Analyse
Erscheinungsdatum: 11. Februar 2024

Die AfD und der Rechtsextremismus: Abgrenzen, aber nicht zu laut

Die Proteste gegen die AfD und das Urteil gegen ihre Jugendorganisation stellen die Parteispitze vor eine heikle Aufgabe: Zweifelnde Wähler am moderaten Ende halten, ohne intern die Mächtigen am radikalen Ende zu verärgern.

Wenn Bundestagsabgeordnete aus dem Fenster blicken, sehen sie für gewöhnlich Schiffe auf der Spree, schlendernde Touristen, eilende Kolleginnen. Zuletzt zeigte sich ein außergewöhnliches Bild. Der Platz der Republik: Keine Fläche mehr, sondern Gewimmel. Hunderttausende protestierten; deutschlandweit mehr als eine Million. So unterschiedlich die Versammelten und ihre Organisationen waren, sie vereinte klar ein gemeinsames Motiv: Widerstand gegen die AfD.

Die ist seit der Correctiv-Recherche über ein Rechtsradikalen-Treffen in der Villa Adlon bei Potsdam in Umfragen erstmals wieder unter 20 Prozent gerutscht. Ein paar Prozentpunkte weniger mögen angesichts der Proteste nach einer sehr kleinen Bewegung klingen, und doch markieren sie eine mögliche Trendwende. Intern gibt das zu denken, denn Rechtsaußen wird die AfD nicht mehr viel mehr mobilisieren können. Um an Stärke zu gewinnen, ist die Partei auf Wähler mit vergleichsweise moderaten Ansichten angewiesen, für die auch Sahra Wagenknecht mit ihrem Bündnis BSW oder die neue Partei von Hans-Georg Maaßen Optionen darstellen.

Auch von der CDU will die AfD weitere Wählerinnen und Wähler abziehen. Letztere könnte die Wucht des Widerstands auf den Straßen und die damit verbundene Diskussion über ein AfD-Verbot durchaus abschrecken. Ihnen muss die Parteispitze sich als Partei verkaufen, die Abstand zu Demokratiefeinden nimmt – ohne zu offensiv gegen diese aufzubegehren. In Sachsen etwa verbreiten ansonsten schnell die einflussreichen „Freien Sachsen“ das Narrativ einer AfD, die Leuten das Wort verbieten wolle und damit auch nicht besser sei als „das Establishment“. Zuletzt geschah das diesen Januar, als die AfD Sachsen ankündigte, ihren Landtagsabgeordneten Roland Ulbrich aus der Partei zu werfen.

Was Co-Parteichef Tino Chrupalla als Schein-Protest zugunsten der Regierung abzutun versucht, bereitet manchen durchaus ein mulmiges Gefühl. Öffentlich möchte das bisher niemand äußern. Hinter vorgehaltener Hand erzählt manches Fraktionsmitglied, dass die Proteste zum Grübeln anregen würden. Noch nie zeigte sich Ablehnung gegen die AfD so sichtbar, konkret und massenhaft wie in diesem Jahr. Und das zu Beginn eines Wahljahres, in das die AfD angesichts hoher Umfragewerte siegesgewiss gestartet war.

Martin Sellner und die Identitäre Bewegung sind für viele Menschen im Land zum Symbol für Menschen- und Demokratiefeindlichkeit geworden, auch wenn Sellner selbst sich darüber freuen kann, dass sein angekündigtes Buch nun auf Platz eins der Amazon-Büchercharts steht. Dass so viele schockiert über „Remigrations“-Pläne sind, überrascht einige bei der AfD. „Remigration“ ist klar dem Vokabular der Neuen Rechten, die in erheblichen Teilen neonazistischen Netzwerken entstammt, zuzuordnen; dass sie zu den Devisen der AfD gehört, hatte die Partei bisher aber keineswegs versteckt. „Remigration statt Talentabwerbung“ ist immerhin einer der Oberbegriffe im AfD-Programm für die diesjährige Europawahl.

Für die Parteispitze stellt der Umgang mit dem Treffen in der Villa Adlon einerseits ein Risiko dar: Jedes Zeichen von Schwäche oder gar Aburteilung der Identitären Bewegung handelt ihr Ärger mit dem übermächtigen Rechtsaußen-Spektrum ein. Dass Alice Weidel den Vertrag ihres Referenten Roland Hartwig wegen dessen Teilnahme am Treffen auflöste, provozierte prompt Kritik des rechtsextremen und in der Szene einflussreichen Publizisten Götz Kubitschek. Sein Wort gilt bei einer Reihe von Partei-Funktionären als Maß der Dinge.

Andererseits leiten manche – vergleichsweise – moderate AfD-Spitzenpolitiker aus der massiven Empörung die Rechtfertigung dafür her, ihren Abgeordneten und Mitarbeiterinnen Distanz zu Leuten wie Sellner zu verordnen. Manche von ihnen versuchen sogar, die Proteste der Bevölkerung zu einem kleinen Etappensieg für die noch verbliebenen Moderaten in der Partei zu erklären.

Eine nachhaltige Abschreckung gegenüber den rechtsextremen Gruppierungen ist freilich nicht zu erwarten. Erstens erhofften sich moderatere Mitglieder auch in der Vergangenheit schon mehrfach, nun einen Kehrpunkt zu erleben – etwa beim Rausschmiss des früheren Landesvorsitzenden von Brandenburg, Andreas Kalbitz. Doch nie setzten sich moderate Mitglieder durch; immer errangen sie höchstens einen Miniatur-Sieg, ehe die nächste Radikalisierungswelle die Partei erfasste. Zweitens ist das Gros der einflussreichen AfD-Politiker viel zu eng mit rechtsextremen Gruppierungen verzahnt, um sich zu distanzieren.

Nicht nur Thüringens Parteichef Björn Höcke bekundete immer wieder seine Sympathie für die Identitäre Bewegung und andere rechtsextreme Gruppierungen. Jetzt gerade beschäftigt sich wieder ein Gericht mit Höcke, weil er bei einer Rede im Jahr 2021 die SA-Losung „Alles für Deutschland“ verwendet hat. Das Verfahren wegen des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger oder terroristischer Organisationen hat das Landgericht Halle im September eröffnet.

Hans-Thomas Tillschneider, Vize-Landesvorsitzender aus Sachsen-Anhalt, betrieb nicht nur sein Bürgerbüro bis Ende 2019 im Haus der Identitären in Halle und verteidigte sie immer wieder, obwohl sie auf der Unvereinbarkeitsliste der AfD stehen. Er hat auch das Kampagnennetzwerk „Ein Prozent“ mitgegründet, das der Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem einstuft.

Der Bundestagsabgeordnete Petr Bystron forderte schon vor Jahren von der AfD, sie müsse ein „Schutzschild“ der Identitären sein. In Ungarn nahm er Anfang des Jahres an einer Konferenz der rechtsextremen Partei „Unsere Heimat“ teil, die Gebietsansprüche in der Ukraine stellt. Zur gleichen Zeit erließ das Amtsgericht München Strafbefehl gegen Bystron für eine Foto-Collage auf Twitter, auf dem die Richter Hitlergrüße erkannten. Bystron hat dagegen Einspruch eingelegt. Er gehörte auch zu den Abgeordneten, die Reichsbürgern Zutritt zum Bundestag verschafften. Dafür erhielt er zwar eine Rüge, aber seine weitere Entwicklung in der Partei zeigt, wie folgenlos Nähe zu Rechtsextremen bei der AfD bleibt: Er steht auf Platz zwei der AfD-Liste für die Europawahl.

Der AfD-Spitzenmann für die Europawahl Maximilian Krah ließ sich im Kampf um das Oberbürgermeisteramt in Dresden 2022 bei der dort ansässigen Burschenschaft Salamandria feiern, in deren Garten Identitäre schon Schießübungen abgehalten haben. Er hatte auch kein Problem damit, dass an dem für ihn veranstalteten Wahlkampf-Abend Büchertische Publikationen bewarben, die das Ende der Demokratie heraufbeschworen; verbunden mit der Conclusio, dass eine Monarchie die bessere Regierungsform wäre. Krah fühlte sich in der Runde so wohl, dass er in seiner Rede schwärmte: „Wenn wir hier in diesem Raum stehen, hat es den großen Vorteil, dass ich zu Ihnen sprechen kann, ohne dass ich meine Tatzen mit Mehl bestreue und Kreide vorher fresse.“ Im weiteren Verlauf seiner Rede stellte er erst die Frage: „Was sind die großen Treiber der Massen-Migration?“ und beantwortete sie dann mit: „Das sind Hartz IV und Ficki Ficki.“ Schmunzelnd erzählte Krah dem Publikum: „Bunt und vielfältig ist jede Müllhalde. Ich bevorzuge aber durchaus auch mal eine gepflegte hellere Wandfarbe.“

Einige Fraktionsmitglieder bekunden ihre Abneigung gegenüber Krah – aber nur in Hintergrundgesprächen. Wegen dessen Nähe zu China und Skandalen wie um EU-Gelder, die ihn mit gewisser Regelmäßigkeit einholen; wegen Videos mit Titeln wie „Echte Männer sind rechts“, in denen er gerne mal ins Sexuelle abgleitet; wegen seiner unverhohlenen Nähe zu Rechtsextremen.

Aber allen ist der Einfluss des Anwalts bewusst, der vor Gericht schon Holocaust-Leugner verteidigte oder Männer, die Geflüchtete an einen Baum in Sachsen fesselten. Sich öffentlich gegen Krah zu stellen, könnte das eigene Karriere-Ende in der AfD einleiten.

Für Beobachter der AfD sind Treffen wie in der Villa Adlon nichts Neues. Die AfD ist tief vernetzt mit Personen, die rechtsextremen Organisationen wie der Identitären Bewegung angehören, die früher einmal bei der Jugendorganisation der NPD waren oder für rechtsextreme Publikationen wie das Compact-Magazin schreiben – das ab sofort aus 157 deutschen Filialen verschwindet, weil der Konzern Valora es wegen Bedenken um die freiheitlich-demokratische Grundordnung nicht mehr anbieten will. Bei der Wiederholung der Bundestagswahl in Berlin stand für die AfD Birgit Malsack-Winkemann auf dem Zettel, die inzwischen in Untersuchungshaft sitzt, weil sie mit der Gruppe um Prinz Reuß den Umsturz des Bundestags geplant haben soll.

AfD-Politiker feierten in der Vergangenheit Sommerfeste bei der Berliner Burschenschaft Gothia, deren Mitglieder schon 2016 kein Problem damit hatten, sich klar als rechts zu definieren und bei der Deutschen Burschenschaft geblieben sind, auch nachdem diese so viele verlassen haben, weil sie einen „Ariernachweis“ diskutiert hat. Zu seiner aktiven Zeit als Gothia-Bursche war Jörg Sobolewski gar Sprecher der Deutschen Burschenschaft – und gehörte dem Vorstand der Jungen Alternativen an.

Dass das Kölner Verwaltungsgericht die Klage der AfD gegen die Einstufung ihrer Jugendorganisation als rechtsextreme Bestrebung abgelehnt hat, überrascht vor dem Hintergrund solcher Verbindungen wenig: Die Junge Alternative ist noch mehr als die AfD selbst tief mit rechtsextremen, schlagenden Burschenschaften und Organisationen wie der Identitären Bewegung oder „Ein Prozent“ verzahnt.

Das Mitglied der Würzburger Burschenschaft Teutonia Prag Daniel Halemba etwa zog im Oktober in den bayerischen Landtag ein. Am 30. Oktober wurde er wegen des Verdachts auf Volksverhetzung und Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen festgenommen. Unter anderem hatten Ermittler in seinem Zimmer das Poster eines SS-Vereins gefunden. Früher schon sollen Burschen im Garten des Grundstücks „Sieg Heil“ gerufen und Hitlergrüße gezeigt haben. Im Dezember gab er die Parteimitgliedschaft auf. Im Januar forderte die AfD, er solle sein Mandat abgeben.

Der Bundestagsabgeordnete Jörg Schneider ist Mitglied der Hamburger Burschenschaft Germania, aus der erst am Holocaust-Gedenktag Ende Januar ein Vermummter den Hitlergruß zeigte.

Der Chef Kampagnennetzwerks „Ein Prozent“, Philip Stein, verbrachte seine Studentenzeit bis zum Abbruch seines Studiums bei der Burschenschaft Germania in Marburg. Während die Junge Alternative dort 2017 einen Kongress abhielt, soll Stein an einem vermummten Angriff auf einen Fotografen beteiligt gewesen sein. „Ein Prozent“ mit Sitz in Dresden ist ein rassistisches Kampagnennetzwerk, das neben Sachsen-Anhalts Vize-AfD-Vorsitzendem unter anderem die Rechtsaußen-Publizisten Jürgen Elsässer und Götz Kubitschek mitgegründet haben. JA-Mitglieder waren schon im Podcast von „Ein Prozent“, deren Mitglieder wiederum durften auf JA-Kongressen für sich werben.

Philip Stein führt auch den Jungeuropa-Verlag, der Werke von Autoren mit antisemitischen, rassistischen und faschistischen Autoren veröffentlicht. Stein schreibt in einem Text, Deutscher sei man „nicht seines Passes, sondern seines Blutes wegen“. Auch Thüringens Vize-Landesvorsitzender Torben Braga war mit Stein zusammen bei der Burschenschaft Germania.

Der Ex-Bundestagsabgeordnete Frank Pasemann ließ Philip Stein 2018 in den Räumen des Bundestags als Referenten sprechen. Stein brachte frühere Kader der NPD-Jugendorganisation Junge Nationalisten mit: Michael Schäfer und Julian Monaco, die der Abgeordnete als eingeladene Freunde bezeichnete. Monaco ist Mitglied der Dresdner Burschenschaft Salamandria, in der Maximilian Krah seinen Wahlkampf veranstaltet hatte.

Björn Höcke reagierte prompt auf das Urteil zur Jungen Alternative in Köln. „In einer Zeit des politischen Umbruchs, die Gefahr läuft, in einen neuen Obrigkeitsstaat einzumünden, ist es besonders wichtig, daß alle Freiheitsfreunde zusammenhalten“, schreibt er. „Wir Älteren, die noch den direkten Vergleich haben, müssen uns vor unsere Parteijugend stellen.“ Die Parteispitze, die sich im vergangenen Jahr noch über die Einstufung der JA empört hatte, blieb bisher relativ stumm.

Mit Alice Weidel und Tino Chrupalla führen – absehen von Alexander Gauland – erstmals und das schon ziemlich lange zwei die AfD an, die gar nicht mehr versuchen, gegen den rechtsextremen Magnetismus in der Partei anzugehen. Gegen Björn Höcke und seine Gefolgschaft kommt niemand in der AfD an. Und das, obwohl seine Umfragewerte in Thüringen sogar immer wieder schlechter sind als die der AfD. Weidel und Chrupalla wollen das Schicksal ihrer Vorgänger Bernd Lucke, Frauke Petry und Jörg Meuthen vermeiden – ihre Beispiele zeigten eindrucksvoll, dass Auflehnung gegen Rechtsaußen zum eigenen Machtverlust führt, die Partei sich gegen Widerspruch wehrt wie ein Immunsystem gegen Viren.

Auch andere Rechtsaußen-Politikerinnen in Europa wie Georgia Meloni, Marine Le Pen oder Victor Orbán schreckt die AfD mit ihrer Radikalität inzwischen ab. Dass Alice Weidel im Interview mit der Financial Times einen „Dexit“ als Option in Aussicht gestellt hat, macht die Sache nicht besser. Selbst innerhalb der Fraktion sagen manche, dass sie einen Austritt Deutschlands aus der EU für eine Katastrophe halten würden. Nur: Laut traut sich das niemand in der AfD auszusprechen.

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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