Der allmächtige SPD-Chef: Lars Klingbeil auf dem vorläufigen Höhepunkt seiner Macht

Als SPD Vorsitzender, Vizekanzler und Finanzminister blickt Lars Klingbeil mit seiner Partei in die Zukunft - vom vorläufigen Höhepunkt seiner Macht aus.

HK
05. Mai 2025

Nun ist erst einmal Neustart angesagt. Vergessen ist das schlechteste Wahlergebnis in der neueren Geschichte der SPD. Verdrängt ist, dass Klingbeil den Job als Fraktionschef noch am Wahlabend an sich riss, um ganz von vorne in die Verhandlungen mit der Union zu ziehen. Und in den Hintergrund gerückt ist auch, dass die zugesagte Aufarbeitung der Wahlniederlage vom 23. Februar und die programmatische Neuformation der Partei erst einmal aufgeschoben sind. Allenfalls, dass er Saskia Esken nach vier Jahren des kooperativen Miteinanders sachte zur Seite geschoben hat, könnte noch zum Thema werden. Woran sie selbst nicht ganz unschuldig ist.

Nahezu geräuschlos hat sich Lars Klingbeil in nur zehn Wochen zum Quasi-Allmächtigen der SPD emporgearbeitet. Kein Vorsitzender der Sozialdemokraten nach dem Krieg konnte so unangefochten handeln wie der 47-Jährige in diesen Tagen. Oskar Lafontaine hatte Gerhard Schröder als Widerpart, nach 2005 musste Franz Müntefering immer auch Außenminister Frank-Walter Steinmeier, Fraktionschef Peter Struck oder Ministerpräsident Kurt Beck berücksichtigen. Sigmar Gabriel musste sich mit Andrea Nahles und starken Landesverbänden auseinandersetzen.

Klingbeil dagegen wird von niemandem mehr eingehegt. Konkurrenz ist weit und breit nicht in Sicht. Sein Personaltableau für Kabinett und Fraktion, immerhin Dutzende von Positionen, hat er nahezu im Alleingang entworfen. Bis zum Schluss führte er seine Gespräche überaus diskret, nur sein engster Stab und künftiger Fraktionschef Matthias Miersch waren eingebunden, die Parteiführung und Ministerpräsidenten waren nur sporadisch beteiligt. „Klingbeils Solo“ nannte das am vergangenen Freitag die Süddeutsche Zeitung.

Seine Stärke hat nicht zuletzt externe Gründe. Sie hängt eng zusammen mit der personellen Schwäche der SPD in der Fraktion, in den Landesverbänden und unter den Ministerpräsidenten. Stephan Weil war stets eher väterlicher Freund denn Gegenspieler, Anke Rehlinger konzentriert sich vorläufig auf das Saarland, Manuela Schwesig hat sich früh entschieden, ihn zu unterstützen. Einen ernsthaften Kontrahenten, eine potenzielle Herausforderin hat er weder in der Fraktion noch in den Ländern zu fürchten, und der derzeit mächtigste SPD-Landesverband – der niedersächsische – ist sein eigener. Doch darin liegt auch ein Problem. Klingbeil konnte nicht allen Herausforderungen im Personal-Puzzle gerecht werden. Überall gab es Enttäuschungen: Hubertus Heil, Klara Geywitz und Svenja Schulze wären gerne in ihren Häusern geblieben, Sören Bartol und Katja Mast gerne zu Ministerehren gekommen. Auch die Landesverbände Hessen und NRW hatten mehr erwartet. Von Esken ganz zu schweigen. Sie soll bis zuletzt gekämpft haben.

Und so bergen Freiheit und Macht für Klingbeil erhebliche Risiken. Auch wenn er sich zuvor die nötige Beinfreiheit in seinen Gremien abgeholt hat: Es ist sein Kabinett, er hat die Minister ernannt, überwiegend auch die Staatssekretäre. Selbst in die Leitungsstäbe der Ressorts hinein soll er Hinweise gegeben haben. Alle wissen: Es waren Klingbeils Entscheidungen, nicht die von Präsidium und Vorstand. Solange alles gut läuft, hat er nichts zu befürchten. Doch wenn es in Koalition oder Fraktion zu ruckeln beginnt, wird die Frage gestellt werden, wer das alles zu verantworten hat. Wer hat in der K-Frage im November gezaudert? Wer ist für die 16,4 Prozent bei der Bundestagswahl verantwortlich? Um den jetzt unangefochtenen Parteichef könnte es schnell einsam werden.

Der zornige Leitantrag des SPD-Landesverbandes NRW für den Parteitag am Samstag ist ein Hinweis. Von einem „Tiefpunkt der deutschen Sozialdemokratie“ ist dort die Rede und dass die „katastrophale Niederlage“ bei der Bundestagswahl dringend aufgearbeitet gehöre. Auch eine Reihe erfahrener Genossen ist besorgt über den Zustand der Partei. Der Einstieg in die nächsten vier Jahre ist Klingbeil gelungen. Doch schon der SPD-Parteitag Ende Juni wird für ihn zum Testfall. Von der langen Strecke bis 2029 gar nicht zu reden.

Lars Klingbeil hat viel telefoniert in den vergangenen Tagen, lange hat er die Puzzleteile hin- und hergeschoben, um sein personelles Paket zu präsentieren. Mit sich als Vizekanzler und Finanzminister, mit Verteidigungsminister Boris Pistorius und Arbeitsministerin Bärbel Bas als Stützen der SPD-Ministerriege. Und mit vier Kolleginnen und Kollegen, die Aufbruch und Vielfalt verkörpern sollen. Auffällig: Nicht immer war die inhaltliche Kompetenz bei der Auswahl handlungsleitend. Maßgeblich für den SPD-Chef war vor allem der Proporz, der alters-, der geschlechtsspezifische und natürlich der regionale. Dass der Osten und Rheinland-Pfalz besonders prominent vertreten sind, ist dem besonderen Drängen zweier Ministerpräsidenten zu verdanken: Manuela Schwesig und Alexander Schweitzer.

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Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025