Es war ein Tweet des FDP-Bundestagsabgeordneten Frank Müller-Rosentritt, der bei Ampel-Kollegen für Irritationen sorgte: „Dank intensiver Intervention des @BMF_Bund und der @fdpbt konnten wir – gegen den ausdrücklichen Willen unserer Koalitionspartner – das #Provisionsverbot vorerst stoppen.“
Die Liberalen frohlockten. So überschwänglich, dass Parteikollege und Finanzminister Christian Lindner auch gleich noch die Geringverdiener vereinnahmte : „Ein Provisionsverbot hätte es gerade Kunden mit geringerem Einkommen schwerer gemacht, Beratung kostengünstig und niedrigschwellig in Anspruch zu nehmen.“
Worum geht es?
Die EU-Kommission, allen voran die konservative Finanzkommissarin Mairead McGuiness, hatte Ende vergangenen Jahres ein Verbot von Provisionen beim Verkauf von Finanzprodukten in Aussicht gestellt. Zumindest wollte sie die exorbitant hohen Ausschüttungen beim Abschluss von Verträgen spürbar deckeln.
Es ist ein Plan, der die Finanzgemeinde aufrüttelte. Verbraucherschützer applaudierten, „ein Schritt in die richtige Richtung“, assistierte Kommissionsvize Valdis Dombrovskis. Von einem „wichtigen Schritt zur Verbesserung der Transparenz“ sprach auch Ex-Kommissar Michel Barnier.
Umgekehrt setzten Banken und Versicherungen, Vermögensberater und Anlagespezialisten, allesamt durchaus gut organisiert im Ringen um Einfluss, ihre Lobbyisten in Marsch.Allen voran die Vertreter der Großbanken und Versicherungen. Die klopften in Berlin und Brüssel bei den Parlamentariern an, Sparkassen und Volksbanken redeten auf Abgeordnete ein. Bundestagsparlamentarier wurden bedrängt: „Ihr verratet die Interessen der Sparkassen!“
Die Lobbyvertreter mobilisierten insbesondere in Deutschland alles und jeden, der sich mobilisieren ließ. Von einem „Bärendienst für Kleinanleger“ sprach der CSU-Europaabgeordnete Markus Ferber. Selbst Finanzminister Christian Lindner begab sich auf den Kampfplatz, kaum hatte die Kommissarin ihre Absicht geäußert: Er sei „sehr besorgt“, schrieb er in einem offenen Brief nach Brüssel, ein Verbot sei „ein bedeutender Rückschritt“ im Bemühen, Anlagemöglichkeiten auf europäischen Kapitalmärkten zu erleichtern.
In Deutschland sind rund 300.000 Berater in Sparkassen, Banken und Versicherungen von Provisionszahlungen abhängig. Für sie hätte ein Verbot weitreichende Folgen. Die Finanzindustrie allein in Deutschland verdient jährlich Milliarden durch die Provisionen, wie die bankenkritische Organisation Finanzwende errechnet hat. Die Beraterinnen und Berater bekommen ihr Geld, indem sie für jeden verkauften Fonds und jede Versicherungspolice mehrere Prozent Provision kassieren. Je teurer ein Produkt, desto höher die Provision. Es versteht sich, dass für die Berater deshalb manchmal eher der Vertragsabschluss als eine solide Beratung im Vordergrund steht.
Andere Länder haben längst reagiert. In Großbritannien oder den Niederlanden sind hohe Provisionen, die zudem gleich zu Beginn bei Vertragsabschluss fällig werden, verboten – ohne dass das Geschäft eingebrochen wäre. Der alternative Grundgedanke deshalb in Brüssel und auch in den roten und grünen Fraktionen in Berlin: Kunden sollen den Berater für seine Arbeitszeit bezahlen, analog zum Steuerberater oder Anwalt in Form eines Honorars, nicht aber Erfolgsprämien, womit für die Berater vor allem teure Produkte attraktiv sind.
Doch die organisierte Intervention in Brüssel hatte zunächst Erfolg: Die Kommission stellte die Idee eines Provisionsverbots vorerst zurück. Hohe Provisionen wären demnach weiterhin erlaubt..
Bei Sozialdemokraten und Grünen überwog der leise Groll. „Das ist ein Problem für uns“, sagt der SPD-Finanzexperte Michael Schrod i, der Provisionen ebenfalls nicht per se verbieten will. „Aber wir wollen keine für Verbraucher schädliche Verquickung von Abschluss und Beratung.“ Der „massive Lobbydruck“ sei auch bei ihm angekommen.
Auch bei den Grünen ist man der Ansicht, „dass das aktuelle System, das nahezu ausschließlich auf Provisionsbasis gestützt ist, falsche Anreize setzt". So sagt es der zuständige Berichterstatter Stefan Schmidt. In vielen Fällen seien „Provisionen eben nicht der Garant für unabhängige Beratung, sondern für Verkäufe von überteuerten Finanzprodukten, unabhängig von der Qualität oder Eignung". „Das Vertrauen in gute Beratung ist leider erodiert", ergänzt Kollegin Katharina Beck.
Der Streit schwelt schon länger. Schon in den Koalitionsverhandlungen war das Provisionsverbot Thema. „Wir wollten mehr honorarbasierte und weniger provisionsbasierte Beratung“, berichtete seinerzeit ein Sozialdemokrat. „Mehr Schutz und gute Beratung." Aber: „Mit der FDP war nicht mal ein Kompromiss möglich.“
Das ist inzwischen anders – trotz des Jubel-Tweets von Frank Müller-Rosentritt. Gemäßigte Liberale lassen inzwischen durchaus ein gewisses Problembewusstsein erkennen. „An die hohen Provisionen gerade in der Anfangsphase sollten wir ran“, sagt einer mit Einfluss unter ihnen. Grundsätzlich will er an Provisionen festhalten, sie jedoch auf der Zeitschiene strecken und gegebenenfalls nach oben deckeln.
Dass sich die FDP bewegt, erwarten unterdessen auch die Aufseher der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin). Sie blicken überaus kritisch auf das ungezügelte Provisionswesen. Die Bankenaufsicht hat bereits angekündigt, dass sie ihre „Prüfungstätigkeit ausweiten und intensivieren“ will. Viele Berater kassierten über vier Prozent der vertraglichen Beitragssumme. Die Aufsicht spricht von einer „frontlastigen Kalkulation von Vertriebs- und Abschlusskosten“ und stellt ganz grundsätzlich die Frage, ob eine Abschlussprovisionszahlung „überhaupt noch vertretbar“ sei.
Von „Exzessen in der Provisionsgestaltung“ sprach unlängst auch der Bafin-Chefaufseher für das Versicherungswesen, Frank Grund. Und in einem internen Papier der Bundesanstalt heißt es: „Hohe Effektivkosten in der Spitze lassen ernsthaft daran zweifeln, dass die Produktfreigabeverfahren den Bedürfnissen der Kunden ausreichend Rechnung getragen haben.“
Die Bafin kündigte an, solche Unternehmen genauer zu prüfen, „die durch hohe Aufwendungen für Versicherungsvermittler und insbesondere Zahlung hoher Abschlussprovisionen auffallen“.
Sozialdemokrat Schrodi hat die Hoffnung jedenfalls nicht aufgegeben. „Wenn auch kein Verbot – eine Einschränkung wird kommen.“ Er rechnet zeitnah mit einem neuen Vorschlag der Kommission.