Sie sind Wirtschaftsministerin in einer ausgesprochen starken Autoregion. Was sagen Sie zum Plan der EU, Schutzzölle wegen Dumping auf chinesische E-Autos zu prüfen?
Es geht darum, dass in eine bestimmte Branche Subventionen geflossen sind, die zu einer Wettbewerbsverzerrung führen. In der Folge könnten deren Produkte günstiger auf dem Weltmarkt angeboten werden. So lautet zumindest die Vermutung. Wir müssen abwarten, ob diese Vermutung sich bestätigt.
Was ist ihre Vermutung?
Wir wissen schon lange, dass im Wettbewerb mit China kein Level Playing Field besteht und China seinen eigenen Firmen Vorteile verschafft. Man muss jetzt abwarten, was bei dieser Analyse herauskommt. Ursula von der Leyen ist eine kluge Frau, die weiß, was sie tut.
Die Industrie fürchtet eine Vergeltung Chinas. Peking kann seinerseits Handelsstrafen gegen die EU verhängen, die dann unsere Autoindustrie treffen.
Es ist davon auszugehen, dass China mit eigenen Handelsmaßnahmen reagieren würde. Wenn sich daraus ein Handelskonflikt ergäbe, wäre das natürlich fatal. Wir können nicht in einen Handelskrieg mit China eintreten, weder Deutschland noch die Europäische Union.
Was würde ein solcher Handelskonflikt für Baden-Württemberg bedeuten?
China ist für die baden-württembergischen Unternehmen ein sehr wichtiger Handelspartner, ebenso wie für ganz Deutschland. Wir haben als größten Exportmarkt nach wie vor noch die USA, aber gleich danach kommt China; bei den Importen liegt es sogar auf Platz eins. Über die Jahre hat sich eine internationale Arbeitsteilung eingespielt, in der China eine entscheidende Rolle einnimmt. Dabei sind auch gewisse Abhängigkeiten entstanden.
Also können wir uns eine offene Konfrontation nicht leisten?
Es ist für uns immer schwierig, wenn Handelshemmnisse aufgebaut werden. Das ist wie ein Bumerang. Die Auswirkungen würden auch wir direkt zu spüren bekommen. Ein Handelskonflikt, wie er im Moment zwischen den USA und China läuft, würde wichtige Strukturen zerschlagen und unsere exportorientierte Wirtschaft wahrscheinlich in weiten Teilen massiv schwächen.
Chinas Autobauer sind inzwischen technisch erstaunlich stark. Weckt die neue Konkurrenz Sorge im Südwesten?
Das Ganze ist ambivalent zu betrachten. Die starke Anbindung an China lässt sich auch als Vorteil sehen. Die Zulieferbranche aus Baden-Württemberg ist in die chinesischen Netzwerke eingebunden und spielt damit weiterhin ganz vorne mit.
Dennoch: Wie konnte es Ihrer Einschätzung nach so weit kommen, dass China plötzlich in Teilbereichen der Meister ist und Deutschland der Schüler?
China ist im Sinne des politischen und sozialen Friedens dazu gezwungen, das Wachstum hochzuhalten, und dazu gehört die Strategie, sich technologisch schnell zu entwickeln. Das ist ihnen in der Automobilbranche gut gelungen, und hier vor allem im Bereich der Elektromobilität. Trotz der Mischung aus Staat und privatem Kapital hat China den nötigen Unternehmergeist zugelassen. Ein Beispiel ist BYD, ein Unternehmen, über das ich mich vor Ort informiert habe. Aus einem mittelgroßen Batteriehersteller ist ein Konzern mit Weltmarktambitionen entstanden. Natürlich auch mit staatlicher Unterstützung.
Doch China tritt immer dominanter auf, die Risiken wachsen.
Das Gebot der Stunde ist tatsächlich das De-Risking. Aber das bezieht sich nicht nur auf China. Wir müssen weltweit einseitige Abhängigkeiten reduzieren. Und natürlich müssen wir wachsam sein und gleiche Regeln für alle eindeutig einfordern. Die Wirtschaftsbeziehungen sollten ein Geben und Nehmen sein. De-Risking funktioniert nur mit stärkerer Diversifizierung unserer Handelsbeziehungen. Die EU-Kommission ist hier im besonderen Maße gefordert, mehr Tempo beim Abschluss von Handelsverträgen aufzunehmen – beispielsweise bei den sich ziehenden Verhandlungen mit den Mercosur-Staaten.
Zur schlechten Stimmung gegenüber einer Reihe von Ländern trägt nach Ansicht von Industrievertretern auch die belehrende Haltung der Regierung in Berlin bei. Ist die werteorientierte Außenpolitik für Deutschland zielführend?
Ich bin der Überzeugung, dass wir mit Belehrungen in der Außenpolitik nicht weit kommen. Das führt zu Verärgerung in den betroffenen Ländern. Mir wird von der Außenwirtschaft zurückgemeldet, dass das zu einer schrittweisen Isolierung Deutschlands führt. Viele Länder, mit denen wir Wirtschaftsbeziehungen unterhalten, haben andere Wertvorstellungen und andere Systeme, verfügen über eine andere Kultur. Sie befinden sich vielleicht auch in einer ganz anderen Entwicklungsphase. In Indien gibt es noch Slums und erschreckende Armut. Doch wer sind wir, dass wir als Volkswirtschaft mit hohem Lebensstandard glauben, Indien Vorhaltungen machen zu können? Und deswegen finde ich diesen Ansatz grundsätzlich nicht gut.
Das Eintreten für Menschenrechte war immer auch ein Anliegen Ihrer Partei.
Natürlich müssen in der Außenpolitik Themen wie Menschenrechte angesprochen werden. Entscheidend ist aber, was wir in Deutschland oder in Europa vorleben. Ich finde das Gesetz für Sorgfaltspflichten in der Lieferkette richtig. Aber das darf nicht dazu führen, dass wir andere Länder dahin bringen, sich von uns abzukoppeln. Wenn Deutschland meint, man müsse die Welt erziehen, wird das nicht wertgeschätzt und auch gleich gar nicht angenommen. Das führt im Gegenteil zu Verstimmung. Es führt auch nicht dazu, dass sich in diesen Ländern die Situation verbessert. Sie schotten sich ab und suchen andere Partner.
Vertritt Deutschland mit dem Pochen auf Menschenrechtsfragen nicht auch seine eigenen Interessen in der Welt?
Eine Außenpolitik, die auf eine reine Werteorientierung ausgerichtet ist, könnte die Interessen der Unternehmen in Deutschland aus dem Blick verlieren. Das bekomme ich von den Firmen zurückgespiegelt. Mehr Pragmatismus und eine ausgewogene Ausrichtung nach verschiedenen Zieldimensionen täte der deutschen Außenwirtschaftspolitik ganz gut.
Wie sähe eine interessengeleitete Außenwirtschaftspolitik gegenüber China aus?
Man muss, wo nötig, klare Kante zeigen. Und sagen: bis hierhin und nicht weiter. Wenn wir jetzt erleben, dass chinesische Firmen Elektroautos zu Preisen auf den Markt bringen, die eigentlich nicht wettbewerbsfähig sind, besteht Handlungsbedarf. Es wird zwar gesagt: Wir subventionieren auch in Europa, in Deutschland. Aber wir haben die Käufer subventioniert, um Nachfrage zu generieren und einen Markt zu schaffen. Damit haben wir im Unterschied zu China keine nationalen Hersteller bevorzugt
Wobei sich das mit den Halbleitern jetzt ändert.
Ja, wir fördern zentrale Technologiefelder etwa über IPCEI-Projekte (Important Projects of Common European Interest, Anm. d. Red.). Dabei stehen bei Projekten in Baden-Württemberg nicht einzelne, nationale Unternehmen im Vordergrund, sondern es geht um den Aufbau von wettbewerbsfähigen Strukturen. Und das geschieht weiterhin unter marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten.
Überdenken Sie in der aktuellen Lage Ihre Haltung gegenüber Subventionen? Im chinesischen Modell steckt staatliche Wirtschaftsförderung in der DNA. Und wir konkurrieren mit China.
Eine Neuausrichtung hat bereits begonnen, ohne dass wir den grundsätzlichen Rahmen ändern. Wir haben Programme aufgesetzt zum Thema Batterie, zum Thema Wasserstoff oder zum Thema Mikroelektronik. Die EU und Deutschland fördern gezielt bestimmte Technologien, um uns resilient zu machen. Am Ende des Tages müssen daraus aber langfristige Geschäftsmodelle werden, die im Wettbewerb bestehen können.
Siedeln sie jetzt auch in Baden-Württemberg alle möglichen Fabriken an?
Leider nein. Die Beihilferegeln der EU setzen uns enge Grenzen. Wobei ich das kritisch sehe. Wie soll Europa im Wettbewerb mit den USA und China bestehen können, wenn es bei technologieintensiven Ansiedlungsprojekten vor allem strukturschwache Regionen fördert, ausgerechnet seine starken und innovativen Standorte aber so gut wie aus dem Rennen nimmt? Die neuen Chipfabriken jedenfalls entstehen vor allem in strukturschwachen Regionen. Wir haben nur unter erschwerten Bedingungen Zugang zu Innovationsprogrammen. Wir unterstützen die Unternehmen im Bereich Forschung und Entwicklung, zum Beispiel im Bereich Batterietechnik oder Quanten-Computing. Hier ist Baden-Württemberg stark und belegt mit einer Forschungs- und Entwicklungsquote von 5,8 Prozent weltweit einen Spitzenplatz.
Der grundsätzliche Systemunterschied bleibt also trotz der steigenden Subventionen auf unserer Seite bestehen.
China subventioniert generalstabsmäßig. Das hat auch erhebliche Nachteile, denn es geht zu Lasten der Effizienz. Das Land hat nach wie vor marode Staatskonzerne, die nicht funktionieren und trotzdem weiterexistieren. Auch der bisher das Wachstum stützende Immobiliensektor ist in großen Schwierigkeiten. Deshalb scheint nun ein Kipppunkt erreicht zu sein. Ein Entrepreneur wie Jack Ma von Alibaba lebt nicht mehr in China, und in der Immobilienbranche und im Finanzsystem zeigen sich tiefe Risse.
Wie lösen wir nun unser China-Dilemma?
Wir müssen selbst wieder besser werden und viel mehr Geld ausgeben für Forschung, Entwicklung und Innovation. Ich habe aber den Eindruck, dass die aktuelle Bundesregierung darauf keinen Schwerpunkt legt.
Robert Habeck hat diese Woche eine Rede gehalten beim BDI und gesagt, dass die Rahmenbedingungen, unter denen wir uns bisher die Regeln für die Soziale Marktwirtschaft gegeben haben, weggebrochen sind. Die drei Eckpunkte waren eine Sicherheitsgarantie durch die USA, günstige Energielieferungen aus Russland und China als Produktionsstandort und Absatzmarkt. Brauchen wir andere Regeln?
Klar ist, dass wir einiges verändern müssen, um uns wieder zukunftsfähig aufzustellen. Es bleibt die Frage, wo man ansetzt und welche Schwerpunkte man setzt. Wir haben immer noch alles, was es braucht, um die großen Herausforderungen zu meistern. Doch wir sollten weniger auf Verbote und sonstige planwirtschaftliche Methoden setzen, sondern auf marktwirtschaftliche Instrumente, auf Technologieoffenheit, auf bessere Rahmenbedingungen für Investitionen und Innovationen. Ich habe im Moment kein großes Vertrauen in die Bundesregierung, dass sie das genauso sieht. Das Problem mag erkannt sein, aber es gibt dort keinen Konsens über eine Agenda zu dessen Lösung. Die dort praktizierte Mikro-Regulierung bewirkt das Gegenteil dessen, was nötig ist.
Sie meinen die Wärmepumpe.
Das war grottenschlecht gemacht. Wir haben die CO2-Preise und wir müssen das über Marktmechanismen steuern. Eigentlich bringt das alles ja nur etwas, wenn man eine weltweite CO2-Bepreisung macht und den CO2-Emissionshandel ausbaut.
Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU) ist seit 2016 Wirtschaftsministerin von Baden-Württemberg. Die promovierte Betriebswirtin ist auch Gesellschafterin des Präzisionstechnik-Herstellers Bizerba aus Balingen. Das Unternehmen befindet sich im Besitz der Familie Kraut; es betreibt ein Werk in Shanghai.