Analyse
Erscheinungsdatum: 01. Mai 2023

Carsten Linnemann über das Heizungsgesetz: „Ab in den Papierkorb“

CDU Deutschlands Carsten Linnemann, Vorsitzender GrundsatzprogrammkommissionCDU Deutschlands Carsten Linnemann, Vorsitzender Grundsatzprogrammkommission, Berlin Berlin Deutschland Konrad-Adenauer-Haus *** CDU Germany Carsten Linnemann, Chairman Policy Commission CDU Germany Carsten Linnemann, Chairman Policy Commission, Berlin Berlin Germany Konrad Adenauer Haus
Konservativ, streitbar, Wirtschaftsexperte – Carsten Linnemann soll unter CDU-Chef Friedrich Merz ein neues Grundsatzprogramm schreiben. Nicht ganz einfach für einen, der selten ein Blatt vor den Mund nimmt. Ein Gespräch über einen schweren Neuanfang, Fehler der Vergangenheit und die größte Gefahr für den Standort Deutschland.

Die CDU hat beim Klimaschutz ein schlechtes Image, jetzt soll ein Zukunftskongress helfen. Wie schwer ist der Neustart nach 16 Jahren?

Carsten Linnemann: Da kann ich nur über mich sprechen: Im ersten halben Jahr nach der Bundestagswahl ging bei mir erst mal so gut wie gar nichts. Da hatte ich echt eine Schere im Kopf, ich musste mich neu sortieren. Seitdem weiß ich, wie wichtig es ist – egal ob man persönlich, beruflich oder politisch Herausforderungen vor der Brust hat – dass man sich Zeit nimmt. Damit man wirklich frei ist für neue Ideen.

So schwer war es?

Ja, weil ich an mich selbst einen hohen Anspruch stelle. Es soll ein disruptiver Prozess sein, sonst bleibt man ja im alten Denken. Die CDU muss neu denken. Immerhin machen wir zum ersten Mal seit 1978 ein Grundsatzprogramm aus der Opposition heraus. So liegen zwischen der Erarbeitung des letzten Programms aus dem Jahr 2007 und dem jetzigen Welten.

Welche Welten?

Wenn man in Regierungsverantwortung ist, schreibt man automatisch ein anderes Grundsatzprogramm. Man hat einfach mehr Zwänge. In der Opposition muss man weder aufs Kanzleramt noch auf den Koalitionspartner und schon gar nicht auf den Zeitgeist Rücksicht nehmen. Aber man kann sich umso mehr auf das besinnen, was die Partei ausmacht. Und ich muss zugeben: Am Anfang wusste ich überhaupt nicht, wo die Reise hingeht. Jetzt sind wir in einem Stadium angekommen, in dem jeder weiß: Alles muss raus. Keine Denkverbote, alles muss ausgesprochen werden, auch das scheinbar Unsagbare.

Was meinen Sie damit? Was wurde unter der Decke des Pragmatismus einer Kanzlerschaft verborgen und muss jetzt hervor?

Bei den Regionalkonferenzen wurde deutlich, dass es ein Thema gibt, was die Leute nach wie vor am meisten umtreibt. Die Mitglieder konnten dort über einen QR-Code anonym Themen benennen. Das heißt: Wir haben die ehrliche Meinung der Menschen zurückgespiegelt bekommen. Und welches Thema war's? Migration. Es war nicht wirtschaftlicher Wohlstand, Klima und andere Fragen. Die kamen alle danach.

Und was muss da jetzt ausgesprochen werden?

Wir müssen den Mut haben, zu sagen, dass die Aufnahmefähigkeit unserer Gesellschaft bereits an Grenzen gestoßen ist. Wir müssen den Flüchtlingszuzug mindern. Dazu müssen unsere Grenzen gesichert werden. Am besten natürlich die europäischen, aber wenn das nicht klappt – und so sieht es ja offenkundig aus –, dann müssen wir unsere nationalen Grenzen wieder kontrollieren. Hierzu haben wir übrigens aktuell auch einen Antrag in den Bundestag eingebracht. Im Rahmen des Grundsatzprogramm-Prozesses müssen wir aber noch weiterdenken. Trauen wir uns etwa, zu sagen: Es dürfen nur noch Menschen mit positivem Asylbescheid in die EU?

Und? Haben Sie den Mut?

Ja. Wir werden uns diesem Thema ganz offen und auch offensiv stellen.

Welchen Schluss ziehen Sie daraus? Heißt Grenzen schützen: Deutschland delegiert es wieder an die Staaten an der EU-Außengrenze? So war es ja lange Jahre – und ist gescheitert.

Wenn wir ehrlich sind, dann funktioniert die Europäische Union hier nicht. Es gibt keinen europäischen Konsens; es gibt keine funktionierende europäische Strategie. Stattdessen schaut jeder auf sich selbst und auch auf Deutschland – denn die meisten Flüchtlinge wollen dorthin. Nicht nur, aber auch, weil die Sozialleistungen hier so hoch sind. Das heißt, man muss einen Paradigmenwechsel schaffen, weg von den Mitgliedsstaaten, hin zu einer EU, die hier mehr Kompetenzen bekommt. Wir sehen uns immer als Wertegemeinschaft, aber dann müssen wir endlich die Frage beantworten, wie wir das Sterben im Mittelmeer beenden. Ich persönlich bin da bei dem Migrationsexperten Ruud Koopmans, der sagt: Organisiert es bitte so, dass die Asylverfahren außerhalb der EU laufen.

Das heißt: Noch engere Kooperation mit Staaten, die wir für schwierig bis hochproblematisch halten: Algerien, Libyen, Ägypten.

Tun wir das nicht schon seit Jahrzehnten? Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass jedes Land eigene Interessen hat und diese selbstverständlich vertreten muss. Die EU muss geschlossen mit diesen Ländern in Afrika verhandeln, nicht jedes Land einzeln. Wenn der Wille nicht da ist, wird es nicht funktionieren.

Und dann?

Dann werden wir im nächsten Jahr sehen, dass immer mehr Staaten selbst ihre eigenen Grenzen schützen. Wir sehen das bereits in Dänemark. Das ist nicht das Europa, das ich will. Aber wenn die EU nicht handelt, bleibt den Nationalstaaten keine andere Wahl.

Zum Klimaschutz: Es ist viel liegengeblieben. Zu wenig Windräder, eine kaputte Fotovoltaik-Industrie, zu wenig Stromnetze, die Strom vom Norden in den Süden bringen könnten. Woran liegt es, dass die CDU den Eindruck erweckt, dass sie hinterherrennen muss?

Das stimmt so nicht. Wir haben zwischen 1990 und 2020 unsere Emissionen um rund 40 Prozent gesenkt und gleichzeitig die Wirtschaftsleistung verdoppelt. Der Anteil der erneuerbaren Energien an der Stromerzeugung liegt bei fast 50 Prozent; selbst Jürgen Trittin hat das Tempo nicht für möglich gehalten.

Haben Sie doch alles richtig gemacht?

Nein. Insbesondere räume ich ein, dass wir wegen Fukushima nicht frei von Stimmungen waren. Das muss man ehrlicherweise sagen. Fakt ist, ich würde heute die Kernkraftwerke nicht abstellen. Aber das ist jetzt entschieden.

Dann stellt sich die Frage: was stattdessen?

Ich glaube, dass die CDU das richtige Instrument hatte und immer noch hat. Aber wir haben es nicht geschafft, das zu erklären. Ich meine den Emissionshandel, den wir richtigerweise auf europäischer und auf deutscher Ebene umgesetzt haben. Damit werden CO2-intensive Produkte teurer und klimaschonende günstiger. Damit die Wirtschaft ein hohes Interesse daran hat, Innovationen zu machen – und die Bürger sehen, dass sie nicht mit brutalem Druck, aber doch perspektivisch handeln müssen.

Noch unter Angela Merkel gab es eine Nachtverhandlung und danach einen mickrig kleinen CO2-Preis. Überzeugend klingt das nicht.

Ich wäre dafür, eine Debatte über die Höhe des CO2-Preises zu führen. Dieses System halte ich immer noch für das beste. Zumal dann, wenn man es für die Schwächeren abfedert. Schauen Sie sich an, wie die EU es geschafft hat. Ich hätte nie gedacht, dass Rumänien und Bulgarien zustimmen würden. Und die Chinesen haben mittlerweile ihre staatlichen Kraftwerke alle in ihrem eigenen Emissionshandelssystem, Stahl und Aluminium sollen dazu kommen.

Warum fehlte so lange die Entschlossenheit?

Die Entschlossenheit war da, aber es ist, wie schon gesagt, schwierig zu kommunizieren.

Also Schluss damit?

Nein. Schluss mit dem Heizungsverbots-Unsinn. Die Politik muss den Bürgern Angebote machen, aber sie darf ihnen nicht vorschreiben, welches Auto, welche Heizung, welche Technik sie nutzen müssen. Zumal einfach nicht überall das Gleiche passt. Letztens habe ich mit einem Elektroinstallateur in meinem Wahlkreis gesprochen. Der hat nur den Kopf geschüttelt über das, was da im Bundeswirtschaftsministerium am Reißbrett entworfen wird.

Warum?

Er hat mir einfach ausgerechnet, welche Stromkabel in unserer Straße verlegt sind – und welche Kabel man bräuchte, wenn in den Häusern nur noch Wärmepumpen genutzt und E-Autos aufgeladen würden. Der sagt: Keine Chance; vergessen Sie's. Die Straßen müssten alle aufgerissen und neue Leitungen gelegt werden. Und das würde lange dauern.

Ist das nicht genau das, was zur Rettung des Planeten passieren muss?

Es muss einiges passieren. Aber wir dürfen die Menschen und unsere Unternehmen nicht überfordern. Denn dann werden wir die Menschen verlieren. Und das passiert gerade. Ich rufe wirklich viele Bürger an, die mir schreiben. Aus Angst. Aus Wut. Als Hilferuf. Und dabei gibt es ein Argument, das ich sehr oft höre. Viele 50- bis 60-Jährige sagen mir, dass sie bewusst vor einigen Jahren – übrigens mit Förderung von 30 bis 40 Prozent – eine Gasheizung angeschafft haben. Warum? Weil die Politik es empfohlen und gefördert hat – und weil sie dachten, dass sie damit 30 Jahre Ruhe haben und für das Alter sparen können. Und jetzt? Sie haben gewaltige Angst, dass ihre Heizung kaputtgeht und sie diese auswechseln müssen. Allein der Effekt, dass diese Menschen jetzt Angst haben, ist ein Desaster.

Liegt das wirklich am Gesetz? Oder an Angstmachern, die gar nichts anderes bezwecken wollen als Angst zu erzeugen?

Robert Habeck hat kleine Korrekturen an dem Gesetz vorgenommen. Aber die Angst und den Zweifel der Bürger wird er nicht mehr wegbekommen. Deswegen sage ich: ab in den Papierkorb mit diesem Gesetz. Man müsste noch einmal einen neuen Anlauf machen. Politik müsste öffentlich sagen: Okay, wir haben es verstanden. Aber diese Sorgen kommen bei vielen in Berlin gar nicht an, weil wir hier in einer anderen Welt leben. Uns ist das Gefühl abhandengekommen, wie die Mehrheit in diesem Land lebt.

Zugleich ist der Union das Gefühl abhandengekommen, was für die Rettung des Klimas nötig ist.

Das sehe ich nicht so. Was ich aber sehe, ist, dass wir nicht sofort mit dem Atomausstieg 2011 einen Plan entworfen haben, wie wir dieses Land einigermaßen autark mit Energie versorgen. Wir haben auf russisches Gas gesetzt – wie übrigens fast alle politischen Kräfte in diesem Land. Allerdings würde ich auch fragen: Was wäre eigentlich los gewesen, wenn nicht ein grüner Wirtschaftsminister, sondern eine CDU-geführte Bundesregierung LNG-Terminals gebaut hätte? Mit Schiffen, die mit Öl laufen und mit Fracking-Gas aus Amerika gefüllt sind. Ich will es mir gar nicht ausmalen. Trotzdem muss man sagen, dass uns der Plan gefehlt hat.

Kann es sein, dass diese Aufgabe schlicht von den Grünen gemacht werden muss? Auch im Ringen um Windparks und Stromnetze?

Da haben Sie womöglich einen Punkt. Aber ich bleibe dabei: Wenn die Politik es nicht hinbekommt, die Menschen mitzunehmen, sondern sie unter Zwang auf einen Weg drückt, dann wird sie scheitern.

Was meinen Sie?

Deutschland will ein positives Beispiel für die Welt sein. Das sagen auch die Grünen. Wenn das so ist, dann muss das auch für den Prozess gelten, nicht nur für das Ziel. Dann müssen wir auch als Demokratie vorleben, dass wir es schaffen. Nur dann werden andere Staaten nachziehen. Wenn der FC Bayern München die Champions League gewinnt, dann werden junge Menschen in Asien das Bayern-Trikot kaufen. Wenn der FC Bayern München so schlecht spielt wie jetzt, dann wird sich keiner in Asien fürs Trikot interessieren. Genau so wird es auch in der Klimapolitik sein. Wir dürfen die Menschen nicht vergraulen.

Das hängt aber auch davon ab, ob die Opposition einfach alles für Unsinn erklärt oder in der Sache argumentiert.

Das mag stimmen. Aber deswegen können wir nicht loben, was wir falsch finden. Nehmen Sie das Hochfahren der Kohlekraftwerke. Natürlich ist es in einer Notsituation richtig, alle Hebel zu nutzen, um Grundlaststrom zu haben. Aber wenn die CDU kritisiert wird, weil wir die AKWs noch etwas länger laufen lassen würden statt Braunkohle zu verfeuern, dann finde ich diese Kritik an uns mehr als fragwürdig. Noch dazu, wenn man uns vorwirft, nicht genügend für den Klimaschutz zu tun. Da passt etwas nicht zusammen.

Das könnte man auch Ihnen vorwerfen, zum Beispiel bei den E-Fuels. Heute fordern sie Technologieoffenheit. Aber Sie haben in Regierungszeiten wenig bis nichts dafür getan, damit diese Technik heute marktfähig wäre. Viele Autos, die heute auf der Straße sind, könnten damit fahren.

Wir sind nicht für E-Fuels, nur weil die Grünen für die Wärmepumpe sind. Es geht um etwas ganz anderes. Technologieoffenheit heißt Wissenschaftsfreiheit. Und da läuft etwas schief in Deutschland. Wir müssen es schaffen, dass wir hier Weltspitze bleiben. Dass wir ein Land sind, wo Forscher gerne arbeiten. Und was macht die Regierung: Sie setzt selbst bei der Grundlagenforschung ideologisch motivierte Grenzen oder feindet Wissenschaftler sogar an, die in Bereichen forschen, die ihr nicht passt. Die Grünen bezweifeln die Expertise und sogar Redlichkeit, wenn einer Nuklearforscher ist oder Genforscher. Das geht nicht. Das beschädigt den Forschungsstandort Deutschland. Max Planck oder Robert Koch – ich fürchte, die wären heutzutage nicht in Deutschland.

Ist das nicht ein bisschen dick aufgetragen?

Ich fürchte Nein. Hinzu kommt, dass wir uns mit einer Grundvoraussetzung für Innovationen schwertun: dass man scheitern und ständig neu probieren darf. Ich habe kürzlich einen deutschen Kernforscher gesprochen. Er hat in Karlsruhe und Dresden geforscht und gearbeitet. Jetzt ist er mit der ganzen Familie in Liverpool, weil er in Deutschland ausgebremst wurde. Er arbeitet an der fünften Generation hochmoderner Kernkraftwerke, bei der der bisher produzierte Atommüll als Ressource wiederverwertet werden soll. Ich halte es für falsch und verheerend, dass so jemand nicht bei uns forscht.

Das klingt aber nach einer großen Ausnahme.

Ganz im Gegenteil: Die Botschaft, dass hier eigentlich keiner mehr Verbrennertechnologien will, wird sich unter anderem auf das Interesse an Studiengängen wie den Maschinenbau auswirken. Unser Nachwuchs wird vermehrt ins Ausland abwandern.

Wenn Sie könnten, wie Sie wollten – was würden Sie tun?

Ich würde ein Innovationsministerium gründen und dann versuchen, über Modellregionen in Deutschland Vorbilder zu schaffen. Ich würde eine Bundesexperimentierklausel einführen. Und dann sollen Städte oder Landkreise ausprobieren dürfen. Weniger Bürokratie, weniger Regeln, schneller Dinge versuchen. Wir brauchen eine Mentalität des Machens.

Ist es so schlimm?

Ja. In Deutschland hat sich eine Lethargie breitgemacht. Mit dem Glauben, dass wir durch weniger Arbeit und Schrumpfen mehr erreichen. Das ist einfach falsch.

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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