Analyse
Erscheinungsdatum: 11. Mai 2023

Bayern-SPD: „Viel zu weit weg von den Wählern“

Florian VON BRUNN Vorsitzender der BayernSPD und Spitzenkandidat fuer die Landtagswahl in Bayern 2023, Einzelbild,angeschnittenes Einzelmotiv,Portraet,Portrait,Porträt. Pressekonferenz der Bayern SPD Landesverband am 10.05.2023. *** Florian VON BRUNN Chairman of the BayernSPD and top candidate for the state election in Bavaria 2023 , single image,cropped single image,portrait,portrait,portrait press conference of the Bavarian SPD state association on 10 05 2023

Sie war mal stolz, sie war mal nah dran an der Rolle einer Volkspartei. Aber sie ist heute nur noch ein Schatten ihrer selbst: die bayerische SPD. Spricht man mit alten Größen wie Renate Schmidt oder Christian Ude, dann spürt man vor allem die große Sorge. Auch der Parteitag am Wochenende wird daran nicht viel ändern.

Immerhin, nach der letzten Bundestagswahl gab es für die SPD in Bayern nochmal so was wie einen Lichtstreif am Horizont. An jenem Wahlabend vor anderthalb Jahren blitzte für einen kurzen Moment die Chance auf einen Machtwechsel auf. Die Ampel-Parteien SPD, Grüne und FDP kamen in Bayern zusammen auf 42,6 Prozent, während die CSU mit 31,7 Prozent ein historisches Debakel erlebte. Das sah schön aus, das streichelte kurz die Seelen der bayerischen Sozialdemokraten.

Gehalten hat sich davon: nichts. Heute, fünf Monate vor der Landtagswahl, ist der Traum von einer Bayern-Ampel längst ausgeträumt. Die CSU hat sich erholt, auch eine absolute Mehrheit der Mandate ist nicht ausgeschlossen. Von den Ampel-Parteien können sich allein die Grünen behaupten, aktuelle Umfragen sagen ihnen ein Ergebnis zwischen 15 und 16 Prozent voraus. Die FDP muss fürchten, auch in Bayern an der Fünf-Prozent-Hürde zu scheitern. Dass es aber keine Machtperspektive jenseits der CSU gibt, hat vor allem mit der Schwäche der SPD zu tun. Die 18 Prozent, die die Sozialdemokraten noch bei der Bundestagswahl geholt haben, waren ein kurzer Höhenflug. Für die Landtagswahl im Herbst prognostizieren jüngste Umfragen zwischen 10 und 11 Prozent – nicht weit entfernt von den 9,7 Prozent bei der Landtagswahl vor fünf Jahren.

Die SPD ist seither nur noch die fünftstärkste Kraft im Landtag; hinter CSU, Grünen, Freien Wählern und AfD. Das hat neben den politischen Auswirkungen auch formale Folgen, denn das Landtagswahlergebnis bestimmt auch die Reihung der Parteien für die nächste Landtags- und Kommunalwahl auf dem Wahlzettel. Man muss in der Wahlkabine mit dem Stift weit wandern, wenn man SPD wählen möchte. Wer für die SPD antritt, „ist Kandidat der Liste fünf“, sagt Christian Ude. Der langjährige Münchner Oberbürgermeister war bei der Landtagswahl 2013 selbst Spitzenkandidat der SPD und hat damals gegen Horst Seehofer 20,6 Prozent geholt – ein Ergebnis, das die bayerische SPD heute, zehn Jahre später, als politisches Wunder feiern würde.

Leicht hatten es die Sozialdemokraten in Bayern nie. Das hat auch strukturelle Gründe. „Die Landes-SPD in Bayern ist in einer Sondersituation. Wir stehen einer Partei gegenüber, die gleichzeitig Landes- und Bundespartei ist“, sagt Renate Schmidt. Das habe zu einem finanziellen, personellen und medialen Ungleichgewicht geführt, das aus eigener Kraft nicht aufzuholen sei. Schmidt, die im Dezember 80 Jahre alt wird und bis heute eine Ikone der Bayern-SPD ist, steht für eine kurze Zeitspanne, in der die SPD tatsächlich davon träumen konnte, die CSU aus der Regierung abzulösen. Mit Schmidt als Spitzenkandidatin kam die SPD bei der Landtagswahl 1994 auf 30 Prozent.

Aber dass die SPD in Bayern außer einer dreijährigen Phase in den 1950-er Jahren nie an der Macht war, hat nicht nur strukturelle Gründe. In der bayerischen SPD gab es immer zwei Welten, zwischen denen es bis heute kaum eine Verbindung gibt. Auf der einen Seite die Welt der erfolgreichen Kommunalpolitiker. Auch in tiefschwarzen Regionen gelang es SPD-Kandidaten immer wieder, Bürgermeister- oder Landratspositionen zu erobern. „Die SPD ist nach wie vor in den Kommunen stärker als die Grünen“, sagt Renate Schmidt. Für SPD-Landeschef Florian von Brunn, Spitzenkandidat bei der Landtagswahl, sind die Wahlerfolge auf kommunaler Ebene ein Beleg dafür „dass wir regierungsfähig sind“.

Das Problem ist, dass die kommunalen Erfolgsrezepte auf der Landesebene nie eine Rolle gespielt haben oder gar übernommen worden wären. Die erfolgreichen Kommunalpolitiker wurden dort eher misstrauisch beäugt, weil sie in Habitus und politischem Pragmatismus ihren CSU-Konkurrenten sehr ähnlich waren. Christian Scharpf, einer dieser kommunalen Wahlsieger, der 2020 völlig überraschend die OB-Wahl in Ingolstadt gewann, hat das Problem der Landes-SPD vor wenigen Tagen in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung auf einen treffenden Nenner gebracht. „Es ist vielleicht das Verhängnis der Bayern-SPD, dass sie nach dem Zweiten Weltkrieg oft meinte, besonders links sein zu müssen.“ Das sei in einem konservativen Land wie Bayern „natürlich schwierig“. In der anderen bayerischen SPD-Welt, der Welt der Parteitage und Gremiensitzungen, war es meist wichtiger, parteiinterne Gegner zu bekämpfen, um jeden Spiegelstrich in Antragsberatungen zu kämpfen und Stimmpakete für die eigene Wiederwahl oder den sicheren Listenplatz zu organisieren.

„Das ist eher schlimmer geworden“, sagt die Politikwissenschaftlerin Ursula Münch, Direktorin der Akademie für Politische Bildung in Tutzing, über die Entwicklung der Partei. Münchens Ex-OB Ude kommt zum gleichen Befund. „Die SPD wird wie noch nie von einer politischen Gruppierung dominiert, den Jusos.“ Die stellten inzwischen etwa 40 Prozent der Delegierten und bestimmten damit die innerparteiliche Agenda. „Die Pragmatiker haben sich zurückgezogen oder werden hinausgedrängt“, sagt Ude. „Die Mitte der Partei ist heute weitgehend abgemeldet.“

Welch bizarre Folgen das hat, zeigte sich zu Beginn des Jahres, als der bayerische SPD-Generalsekretär Arif Tasdelen nach einer zermürbenden, monatelangen Auseinandersetzung mit den Jusos zurückgetreten ist. Tasdelen war vorgeworfen worden, sich gegenüber weiblichen Juso-Mitgliedern unangemessen verhalten zu haben. Was eigentlich genau passiert ist, ist bis heute unklar, die Betroffenen wollten anonym bleiben. Dem Landesvorsitzenden von Brunn gelang es nicht, die Affäre zu entschärfen. „Es hat sich gezeigt, dass sich das in Gesprächen nicht lösen lässt“, sagt er. Stattdessen wurde eine Kommission eingesetzt, deren Bericht den wahren Sachverhalt aber auch nicht offenlegte. Renate Schmidt bezeichnete die im Raum stehenden Vorwürfe öffentlich als „Pipifax“ und hat dafür nach eigenem Bekunden auch parteiintern viel Zuspruch erhalten. Sie attestiert von Brunn insgesamt zwar gute Arbeit, hält sein Taktieren in der Sache Tasdelen aber für falsch. Statt eine Kommission einzusetzen, hätte er „auf den Tisch hauen müssen“.

„So etwas kann man nur machen, wenn einem egal ist, ob man gewählt wird“, sagt die Politikwissenschaftlerin Münch über die Affäre um Tasdelen, bei der nicht klar ist, ob es überhaupt eine Affäre war. Nach Münchs Analyse ist die SPD in Bayern „viel zu weit weg von den Wählern“ und hat mit dem Lebensgefühl der Menschen nichts mehr zu tun. „Die SPD wird nicht wegen woker Themen gewählt, sondern müsste einen pragmatischen Kurs steuern“, sagt Münch. Auch Renate Schmidt nimmt die Agenda des Parteinachwuchses mit großem Befremden zur Kenntnis, wie so viele in der Partei. Die SPD müsse den Klimaschutz und das Soziale gleichzeitig thematisieren und dürfe sich „nicht in Gendersternchen verlieren“.

Welchen Unterschied es macht, wenn die SPD machtbewusst, pragmatisch und geschlossen auftritt, hat sich im Herbst bei der Landtagswahl in Niedersachsen gezeigt. Bei der Wahlparty in Hannover hatten auffallend viele SPD-Anhänger im Juso-Alter den Sieg ihres Ministerpräsidenten Stephan Weil überschwänglich gefeiert. Wenige Tage später angesprochen auf die Frage, warum gleiches nicht auch in Bayern möglich sei, antwortete Weil, die SPD in Niedersachsen sei eben auch was ganz anderes als die in Bayern.

Spitzenkandidat von Brunn gibt sich trotz der Ausgangslage, die in Münchs Augen „fast schon deprimierend“ ist, gelassen. Man habe ja noch einige Monate Zeit. Sein Wahlziel klingt allerdings nicht nach einem großen Aufbruch. „Was ich auf jeden Fall erreichen möchte, ist, dass die bayerische SPD wieder auf Platz drei steht.“ Platz drei hinter Union und Grünen. In keinem westlichen Bundesland außer in Baden-Württemberg wäre das ein Ergebnis, mit dem sich die SPD feiern könnte. Schlimmer sieht es nur in den ostdeutschen Ländern aus. Da ist die Lage wegen der Stärke der AfD noch viel dramatischer.

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Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025

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