Es ging sehr schnell und es kommt parteiübergreifend. Als Reaktion auf den nächtlichen Angriff, bei dem Sachsens SPD-Spitzenkandidat für die Europawahl, Matthias Ecke, schwer verletzt wurde, sind für den Abend Großdemonstrationen in Dresden und Berlin angekündigt worden. Der Fall ist besonders brutal, aber längst kein Einzelfall mehr. Aus vielen Teilen der Republik werden Angriffe gemeldet, mal körperlich gefährliche, mal Sachbeschädigungen. Das trifft kleine Kommunalbüros genauso wie jüngst die Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt in Brandenburg, die tätlich attackiert wurde.
Zusammenstehen wird nicht mehr reichen. Das ist aus der Regierung genauso zu hören wie aus den Fraktionen und den Ländern. „Der Zustand ist inakzeptabel, die Lage ist sehr enthemmt“, sagt Irene Mihalic, die Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen, zu Table.Briefings. Demonstrieren sei wichtig, aber nicht mehr alles. „Wir müssen Polizei, Staatsanwaltschaften und Gerichte befähigen, den öffentlichen Raum zurückzuerobern“, so die Grünen-Politikerin. Täter müssten schnell und klar zur Rechenschaft gezogen werden, damit die Angriffe auf den für die Demokratie so wichtigen Wahlkampf abgewehrt werden können.
Für Mihalic geht es um Mandatsträger auf allen Ebenen. Also auch um jene Ehrenamtlichen, die weniger Unterstützung und Schutz erhielten. Für sie besteht kein Zweifel: „Bund und Länder müssen mehr Geld in die Hand nehmen, um den Staat stärker zu machen und die Demokratie und ihre Akteure zu schützen.“ Man könne nicht jede politische Veranstaltung schützen, aber niemand sollte allein unterwegs sein beim Plakate-Kleben; keine Veranstaltung sollte stattfinden, ohne dass die Polizei Bescheid weiß. „Es geht in einer ganz neuen Dimension um die Durchsetzung des Gewaltmonopols und den Schutz unserer Demokratie.“
Sachsens Innenminister Armin Schuster warnt vor Dramatisierungen. „Ich wehre mich dagegen, zu sagen: Alles wird immer schlimmer. Das gibt die polizeiliche Kriminalstatistik in Sachsen auch nicht her“, sagt Schuster Table.Briefings. Aber auch er erlebt die Stimmung als sehr aufgeladen. Deshalb fühlt er sich darin bestätigt, dass Sachsen in dieser Legislaturperiode 1000 neue Stellen bei der Polizei geschaffen hat und seine Landes-CDU das gleiche auch für die nächste Legislatur anpeilt.
Schuster kämpft gegen zu hohe Erwartungen – und stellt die Fußballfrage. Auch mit mehr Polizei werde man nicht hinter jedem Wahlkampfhelfer stehen und nicht jede Veranstaltung absichern können. Zumal es davon in Sachsen viele gebe. Trotzdem werde die Polizei in neuer Stärke spürbar präsenter. Schuster betont, dass er nur sehr wenige Polizeien mit ähnlicher Dauerbelastung kenne, ob im Bereich Extremismus oder bei Absicherungen in den Grenzregionen. Deshalb müsse man infrage stellen, dass Bundes- und Landespolizeien jedes Wochenende tausende Polizisten zum Schutz von Fußballspielen bereitstellten, so der CDU-Politiker. „Beim Eishockey brauchen wir zwei Doppelstreifen, beim Handball praktisch überhaupt keine Polizei. Aber beim Fußball hat sich die Gesellschaft dran gewöhnt, als ob das selbstverständlich zum Fußball gehört.“
Beim Blick aufs große Ganze fordert Schuster eine klare Prioritätenverschiebung. Nehme man alles zusammen, dann habe sich die Sicherheitslage insgesamt drastisch verändert, durch Kriege, Naturkatastrophen, durch Bedrohungen aller Art. Deshalb müsse aus seiner Sicht viel mehr in Sicherheit investiert werden. „Wir brauchen auch für die Innere Sicherheit eine Zeitenwende, der Kanzler ist auch für den Zivilschutz zuständig.“ Denn: „Wer jetzt die Zeichen der Zeit nicht erkennt, hat bald eine sehr große offene Rechnung.“ Es sei nicht mehr wegzudiskutieren: „Wir müssen mehr machen.“
2023 hat es laut einer Statistik der Regierung knapp 2.900 Angriffe auf Politikerinnen und Politiker der im Parlament vertretenen Parteien gegeben. In den mit Abstand meisten Fällen traf es Grüne (1219 Fälle), danach folgten Attacken auf AfD-Politiker (478) und Sozialdemokraten (420). Das geht aus der Antwort auf eine Kleine Anfrage der AfD hervor. Sie beinhaltet auch Zahlen zu Angriffen auf Wahlkreisbüros und andere Einrichtungen. Eine Ende Januar eigentlich gestartete Ansprechstelle zum Schutz kommunaler Amts- und Mandatsträger verweist bislang nur auf andere Einrichtungen. Ab dem zweiten Halbjahr soll sie dann auch selbst erreichbar sein. Unterdessen haben mit Stand Montagabend fast 200 Politikerinnen und Politiker eine von der Initiative Brand New Bundestag initiierte Erklärung „gegen die eskalierende Gewalt“ unterzeichnet.