wir begrüßen Sie zum neuen Agrifood.Table, dem Professional Briefing für deutsche und europäische Agrar- und Ernährungspolitik. Sie lesen heute die erste Ausgabe unseres Informationsangebots. Wir hoffen, der Start trifft Ihr Interesse. Wir möchten Ihre Wünsche noch genauer kennenlernen, schreiben Sie Ihre Einschätzung gern an: agrifood@table.media.
Ab sofort berichten wir – immer dienstags – für die entscheidenden Köpfe in Parlamenten und Ministerien, Unternehmen, Universitäten und Instituten, Stiftungen, Verbänden, NGOs und Think-Tanks.
In unseren Vorbereitungen für dieses Professional Briefing war stets sehr präsent, dass der Regulierungsdruck auf diesen Wirtschaftszweig besonders groß ist. Im Spannungsfeld zwischen Umweltschutz und globaler Ernährungssicherheit wurden die politischen Debatten im Laufe der vergangenen Monate immer hitziger geführt. Agrifood.Table hat mehr als 100 entscheidende Köpfe um ihre Prognose für die deutsche und europäische Agrar- und Ernährungspolitik gebeten. Heute antwortet der Präsident des Lebensmittelverbands Deutschland, René Püchner.
Vor gut einer Woche ist es leider bittere Realität geworden: Der russische Präsident Wladimir Putin hat das internationale Getreideabkommen gekippt. Die Folgen für die ukrainische Landwirtschaft sind verheerend. “Unserer Branche geht langsam das Geld aus”, sagt der ukrainische Agrarunternehmer Alex Lissitsa.
Zudem steigt die Gefahr eines Angebotsdefizits auf dem Weltmarkt. Russland und die Ukraine sollen laut einer Prognose des USDA (Landwirtschaftsministerium der Vereinigten Staaten) im Wirtschaftsjahr 2023/24 mehr als ein Viertel des auf dem Weltmarkt gehandelten Weizens bereitstellen. Im UN-Sicherheitsrat haben mehrere Länder Russland zur Rückkehr zum Getreideabkommen gedrängt. Darunter auch China. Wir berichten über Hintergründe und fassen die aktuelle Entwicklung zusammen.
Je nach politischem Lager hält der kürzlich vom Parlament angenommenen Text für das EU-Gesetz zur Wiederherstellung der Natur (Nature Restoration Law) gute oder schlechte Nachrichten bereit. Denn der Passus zur Wiedervernässung von Mooren wurde gestrichen. Damit wird auf einen starken Hebel für den Klimaschutz verzichtet, analysieren wir.
Wir, das sind meine Kolleginnen und Kollegen, die Journalistinnen Merle Heusmann, Annette Bruhns und Claire Stam, die Werksstudentin Amelie Günther, die Journalisten Jens Brehl und Lukas Scheid und ich, mit Unterstützung der vielen Kollegen und Kolleginnen von Table.Media, wünschen Ihnen eine inspirierende Lektüre!
Wenn Ihnen der Agrifood.Table gefällt, leiten Sie uns bitte weiter. Wenn Ihnen diese Mail weitergeleitet wurde: Hier können Sie sich für den Agrifood.Table kostenlos anmelden.
Vom Krieg ohnehin schon gebeutelt, trifft der geplatzte Grain Deal die auf Export angewiesene ukrainische Landwirtschaft bis ins Mark. “Unserer Branche geht langsam das Geld aus”, sagt Alex Lissitsa, Chef der Agrar-Unternehmensgruppe IMC, der jetzt mit sinkenden Preisen für ukrainisches Getreide und steigenden Logistikkosten rechnet. “Der Erlös beim Verkauf von Winterweizen deckt noch nicht einmal die Produktionskosten”, sagt Lissitsa, der mehr als 100.000 Hektar Land in Sumy im Nordosten der Ukraine bewirtschaftet. Russland hingegen – ebenfalls globaler Getreideexporteur – gerät in die komfortable Lage, Weizen auf dem Weltmarkt zu höheren Preisen exportieren zu können.
Die Vereinten Nationen, aber auch China, kritisierten Putin für das Aussetzen des Abkommens. Sie befürchten Hungersnöte, insbesondere in Afrika. Die Führung in Peking forderte Putin explizit auf, die Ausfuhren ukrainischen Getreides über das Schwarze Meer wieder zuzulassen. Putin rechtfertigt den Stopp des Abkommens damit, dass sowieso nur ein geringer Teil der Ernte-Exporte armen Staaten im Rest der Welt zugutekäme. Russland habe kein Interesse daran, ukrainisches Getreide auf den Weltmarkt kommen zu lassen, sagt Tobias Heidland, Direktor für Internationale Entwicklung am Kieler Institut für Weltwirtschaft, im Interview mit Africa.Table. Dieses Geschäft wolle Putin selbst machen und er wolle diplomatisch von der Lebensmittel- und Düngemittelkrise profitieren.
Beide Länder haben nach Ende des Getreideabkommens erklärt, Schiffe, die die Häfen des anderen Landes anlaufen, als potenzielle Träger militärischer Fracht zu betrachten. Aktuell sieht es so aus, als schade sich Putin auch selbst. Deutlich weniger Schiffe steuern russische Häfen an. Dennoch erklärt Putin, Russland sei mit Blick auf eine Rekordernte bereit, ukrainische Getreidelieferungen zu ersetzen. Sollte der Weizenexport der Ukraine und Russlands über einen längeren Zeitraum beeinträchtigt werden, würde das zu einem massiven Angebotsdefizit auf dem Weltmarkt führen, analysiert der Börsenmakler Kaack Terminhandel.
Aktuell wird Weizen, Raps und Gerste in der Ukraine gedroschen. “Niemand weiß, ob wir unsere Ernte in diesem Jahr überhaupt noch verkaufen können”, sagt Lissitsa. Die ukrainische Landwirtschaft sorge für bis zu 70 Prozent der Exporteinnahmen des Landes. “Die Russen treffen damit gezielt unsere Wirtschaft.” Der Unternehmer zweifelt, ob in dieser Saison noch Ware über den Schwarzmeerhafen Odessa transportiert werden wird. Durch die russische Bombardierung ist es zu riskant für Reedereien ihre Schiffe dorthin zu schicken. Sein Unternehmen ist direkt betroffen. Weizen und Mais im Wert von rund 10 Millionen Euro lagert am Schwarzen Meer ohne Aussicht, die Ware zurückzubekommen. “Wir brauchen das Geld dringend, um im September Winterweizen säen zu können.” Hinzukommt, dass ab Oktober Lagerkapazitäten für die Ernte von Mais, Sojabohnen und Sonnenblumenkernen gebraucht werden.
Nun will die EU die Kapazitäten auf den alternativen Routen erhöhen. Zu denen gehören: Transporte über Flüsse, mit Güterzügen, Lastwagen. Seit die sogenannten Solidarity Lanes im Mai 2022 ihre Arbeit aufgenommen haben, wurden 41 Millionen Tonnen Getreide, Öle und andere Agrarprodukte über die alternativen Routen aus der Ukraine ausgeführt. Beim Getreide macht das 60 Prozent aus. 40 Prozent des gesamten exportierten Getreides gingen über die Schwarzmeer-Initiative. Das zeigen neue Daten der EU-Kommission.
Bezüglich der Transportroute über die Donau zum rumänischen Hafen Constanța ist Lissitsa wenig optimistisch: “Kollegen, die Getreideterminals an der Donau besitzen, rechnen in den kommenden Sommermonaten mit Niedrigwasser.” Komplikationen gibt es nach wie vor an der westlichen Grenze zu Polen und Ungarn. Bis zum 15. September gestattet die EU lediglich den Transit von vier landwirtschaftlichen Erzeugnissen (Weizen, Mais, Rapssamen und Sonnenblumenkernen) durch fünf osteuropäische EU-Mitgliedstaaten. Neben Polen und Ungarn betrifft dies auch Bulgarien, Rumänien und die Slowakei. Bislang halten diese Staaten an einem Importverbot fest. Polens Regierungschef Mateusz Morawiecki sagte, man wolle weiterhin eine Destabilisierung des Marktes verhindern.
Die Solidarity Lanes sind jedoch nicht nur für den Export wichtig, sie stellen die einzigen Wege für den Import von Hilfsgütern dar. Die EU baut bessere Verbindungsmöglichkeiten zwischen Polen und der Ukraine sowie zwischen Rumänien und der Republik Moldau aus, neben Straßen- geht es auch um Schienenverbindungen. Insgesamt seien in das Solidaritätsverkehrsprogramm gut eine Milliarde Euro investiert worden, so die EU-Kommission.
Schnell umsetzen lassen sich die Infrastrukturprogramme aber nicht. Hinzu kommen andere Schwierigkeiten, wie etwa der Mangel an Getreidewaggons in Europa. Flüsse lassen sich auch nicht so schnell ausbaggern, um größere Transportschiffe einzusetzen und auch die Zahl der Lastwagen, Lastwagenfahrer sowie der Straßenkapazitäten ist begrenzt. Russland blockiert also die effektivste Exportmöglichkeit der Ukraine und schneidet die Ukraine von etwa 8 bis 9 Milliarden US-Dollar an Einnahmen ab, während russische Exporteure höhere Preise erzielen und Russland damit auch höhere Einnahmen generieren kann.
Mangels Liquidität und fehlender Exportchancen ist zu befürchten, dass in diesem Jahr noch weniger Winterweizen in der Ukraine gesät und im darauffolgenden Jahr entsprechend noch weniger Getreide geerntet wird. Im Jahr 2022 ist die Getreideernte laut Agrarministerium in Kiew von 86 Millionen auf 50 Millionen Tonnen eingebrochen, berichtet der Bundesverband Der Agrarhandel (DAH). In diesem Jahr sei mit ähnlichen Mengen zu rechnen. Ukrainische Landwirte schwenken auf Sonnenblumen und Soja um. Das schmälere zwar den Ertrag, aber erfordere auch nur halb so große Lager und Transportkapazitäten, sagt DAH-Geschäftsführer Martin Courbier. “Als kurzfristige Maßnahme sollte das zulässige LKW-Gesamtgewicht für grenzüberschreitende Transporte angehoben werden”, fordert er.
Ob der Grain Deal wieder aktiviert oder neu verhandelt werden kann – da gehen die Meinungen auseinander. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan sagte noch vor der offiziellen Verkündung aus Moskau für das Ende des Abkommens: Die Initiative sei “Geschichte”. Auch deutsche regierungsnahe Kreise sind eher skeptisch, dass es eine Fortsetzung gibt.
Moskau hat in der Erklärung nicht ausgeschlossen, dass es eine Zukunft für die Schwarzmeer-Initiative geben kann. Seit dem verkündeten Ende zerstört es aber systematisch den Hafen von Odessa – einen der drei ukrainischen Exporthäfen der Initiative. Die Wirtschaftsanalystin Alexandra Prokopenko, die nach dem Verlassen Russlands 2022 nun am Carnegie Russia Eurasia Center in Berlin forscht, sieht noch nicht das endgültige Ende für das Abkommen gekommen und verweist auf die Abhängigkeit des russischen Präsidenten Putin von der Türkei. Putin werde im August Erdogan treffen und sicher auch über das Getreide-Abkommen sprechen, schreibt sie in einer Analyse.
Vor dem Treffen mit Erdogan findet in dieser Woche am Donnerstag und Freitag das Russia-Africa-Economic-Forum in St. Petersbug statt und knapp vier Wochen später das BRICS-Treffen im südafrikanischen Johannesburg. Putin werde diese Treffen nutzen und die Ukraine sowie den Westen für das Ende des Grain Deals verantwortlich machen, vermuten deutsche Diplomaten. Zugleich sei das auch eine Chance für ihn, sich vielleicht als ein Gönner zu präsentieren und afrikanischen Staaten eigene Hilfe anzubieten. Immerhin hat Russland im vergangenen Jahr Rekordernten eingefahren.
Auf verpasste Chancen der Politik weist Rafaël Schneider von der Welthungerhilfe hin. Özdemir und Bundesaußenministerin Annalena Baerbock geißelten Putin zwar zu Recht dafür, Hunger als Kriegswaffe einzusetzen. Dies gelinge ihm aber nur, weil Zusagen der Vereinten Nationen und der Afrikanischen Union, die landwirtschaftliche Erzeugung in von Hunger betroffenen Ländern zu fördern, in der Vergangenheit nicht umgesetzt worden seien. Stattdessen sei die Importabhängigkeit in Teilen Afrikas – nicht nur aus der Ukraine, sondern vor allem auch aus Russland, Frankreich, den USA, Kanada und Argentinien – stetig gewachsen.
Als die Abgeordneten im Europäischen Parlament vor rund zwei Wochen über das neue Regelwerk zur Wiederherstellung der Natur (Nature Restoration Law, NRL) abstimmten, hätten sie darin eigentlich einen Artikel zur Wiederherstellung landwirtschaftlicher Ökosysteme finden sollen. Eigentlich, denn kurz vor der Abstimmung war der umstrittene Passus auf Antrag der ultrakonservativen EKR-Fraktion aus der Kommissionsvorlage heraus gekürzt worden.
In dem vom Parlament angenommenen Text, der nun in den Trilogverhandlungen mit der EU-Kommission und den Mitgliedstaaten weiter verhandelt wird, ist die Wiedervernässung trockengelegter Torfmoore nicht mehr vorgesehen. Laut dem Vorsitzenden des Umweltausschusses, Pascal Canfin (Renew), sei der gesamte Teil des Gesetzes, der sich mit der Landwirtschaft befasst, verwässert worden. “Das ist ein wichtiger Aspekt, den wir mit dem Rat verhandeln wollen”, kündigte Canfin für die anstehenden Trilogverhandlungen an.
Dass dieser Aspekt Canfin und anderen so wichtig ist, liegt auch daran, dass die Wiederherstellung von Mooren nicht nur für den Erhalt der Biodiversität zentral ist, sondern auch für den Klimaschutz. Die Wiedervernässung von Mooren gilt als entscheidender Hebel, um die Treibhausgas-Emissionen weiter zu senken und darüber hinaus CO₂ aus der Atmosphäre zu entziehen und langfristig zu speichern.
Studien des Greifswald Moor Centrums (GMC) und Wetlands International zufolge wurden mehr als 50 Prozent aller Moorflächen in Europa trockengelegt, um die Böden land- oder forstwirtschaftlich nutzen zu können. In Deutschland sind es sogar fast 100 Prozent. Was einst als kulturhistorische Großtat gefeiert und staatlich gefördert wurde, gilt heute als klimatologisches Desaster.
Denn: Moore sind besonders reich an Kohlenstoff. Durch die Entwässerung und die Verbindung mit Sauerstoff entweicht viel CO₂. So wurden die Gebiete über die Jahrzehnte immer mehr vom Kohlenstoffspeicher zum Emittenten und machen laut GMC derzeit etwa sieben Prozent des gesamten Treibhausgas-Ausstoßes der EU aus. Würde der Wasserstand wieder auf Bodenkante angehoben, könnten diese Emissionen vermieden und langfristig sogar Negativ-Emissionen erreicht werden.
“Darauf können wir nicht verzichten, wenn wir unsere Klimaziele erreichen wollen”, sagt Jutta Paulus, NRL-Schattenberichterstatterin der Grünen. Das gelte im Speziellen für die im vergangenen Jahr verabschiedete Verordnung über Landnutzung und Forstwirtschaft (LULUCF). Darin wurde das Ziel für die natürliche Treibhausgas-Senkleistung des Sektors, aufgeteilt auf die EU-Staaten, auf 310 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalente ab 2030 festgelegt.
Bislang beruht diese Leistung überwiegend auf Wäldern, deren Speicherfähigkeit war jedoch in Folge von Trockenheit, Waldbränden und Schädlingen zuletzt deutlich gesunken und nimmt weiter ab. “Ohne die Moore wird das also nicht zu schaffen sein”, sagt Paulus. Das gelte auch für den Erhalt der Biodiversität. So seien rund 60 Prozent aller Vogelarten in Europa auf intakte Moore und Feuchtgebiete angewiesen.
Wohl auch vor diesen Hintergründen sah die Position des Umweltrats zum NRL vor, die Renaturierung der Moore für die Jahre 2030, 2040 und 2050 auf 30, 40 beziehungsweise 50 Prozent der Fläche festzulegen. Die ursprünglichen Kommissionsziele zielten gar auf 30, 50 und 70 Prozent ab.
Gegner des Gesetzesvorhabens fürchten durch solche Vorgaben eine Verknappung der Nahrungsmittelproduktion. Betroffene Landwirte sehen ihre Existenzgrundlage bedroht. Das Landvolk Niedersachsen hält eine flächendeckende Wiedervernässung sowie eine produktive Landwirtschaft für nicht miteinander vereinbar. Der Deutsche Bauernverband fordert, Umstellungen nur im Einvernehmen mit den Betroffenen umzusetzen. Voraussetzung sei die Schaffung von gleichwertigen wirtschaftlichen Alternativen für die landwirtschaftlichen Betriebe und deren Familien. Die hält auch der Verband Familienbetriebe Land und Forst für zentral. “Dazu gehört vor allem, dass eine tragfähige Bioökonomie für Moorprodukte entwickelt wird. Jede Paludikulturwirtschaft kann nur funktionieren, wenn nachgelagerte Liefer- und Verwertungsketten eine Abnahme der Produkte sichern”, sagte Geschäftsführer Leo von Stockhausen.
Franziska Tanneberger, Leiterin des Greifswald Moor Centrums, zeigt die Dimensionen auf: “Wir sprechen von lediglich drei Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche der EU, die auf entwässerten Moorböden liegt. Demgegenüber steht ein Viertel der gesamten Agraremissionen, die dadurch entstehen und vermieden werden könnten.”
Dabei gehe es nicht um eine Stilllegung der wiedervernässten Flächen. Vielmehr sei die weitere Bewirtschaftung nicht nur denkbar, sondern auch sinnvoll. Eine Möglichkeit dieser sogenannten Paludikultur: der Anbau von Schilf. Die Pflanzen entziehen der Atmosphäre CO₂ und eignen sich als nachhaltiges Verpackungsmaterial oder als Baustoff.
Nachfrage gebe es beispielsweise bei der Dachdeckung vieler Häuser in Norddeutschland. “Das in Deutschland verwendete Reet wird zu 85 Prozent importiert, größtenteils aus China”, sagt Tanneberger. “Im Einklang mit Natur- und Klimaschutz könnte auf den Moorflächen also ein nachhaltiges Material produziert werden, an dem großes Interesse besteht. Dies ist eine riesengroße Chance.”
Um bei allen Beteiligten für Planungssicherheit zu sorgen, müssten jedoch die passenden politischen Rahmenbedingungen geschaffen werden. So werde etwa durch die Gemeinsame Agrarpolitik der EU (GAP) die Landwirtschaft auf entwässerten Moorböden auch nach der jüngsten Reform weiterhin genauso gefördert wie bisher, erklärt die Landschaftsökologin. “Daran festzuhalten, steht im Widerspruch zum Green Deal. Denn so ist der Anreiz für eine Umstellung nicht sehr groß, aber irgendwann muss sie erfolgen”, sagt Tanneberger.
Auch die Moorschutz-Pläne der Bundesregierung setzen auf Freiwilligkeit. Das birgt Herausforderungen. Schließlich kann der Wasserstand nicht punktuell auf einzelnen Feldern, sondern nur in zusammenhängenden Gebieten angehoben werden. Entsprechend müssten alle Eigentümer mitziehen. Dazu kommen bürokratische Hürden, und bei einem Planfeststellungsverfahren gehen in der Regel etliche Jahre ins Land.
Weiteres Problem: Bei der Wiedervernässung entsteht Methan, das vor allem auf kurze Sicht weitaus klimaschädlicher ist als CO₂. Langfristig sei der kühlende Effekt der CO₂-Emissionsminderung jedoch erheblich höher, sagt Franziska Tanneberger. Der zusätzliche Nutzen als natürliche Senke noch nicht miteinberechnet.
Ob die Bestimmungen zur Renaturierung von Mooren es am Ende doch zurück ins Regelwerk schaffen werden, wird in den Trilogverhandlungen entschieden. Diese haben zwar vergangene Woche begonnen, werden jedoch erst nach der Sommerpause fortgeführt.
Welche Weichen sollte die europäische und deutsche Agrar- und Ernährungspolitik stellen?
Die EU-Kommission hat mit der “Vom Hof auf den Tisch” -Strategie bereits die entscheidenden Weichen zu mehr Nachhaltigkeit gestellt. Nun geht es darum, konkrete Maßnahmen zu vereinbaren, mit denen die politischen Zielsetzungen erreicht werden können. Das übergeordnete Ziel, nachhaltigere Lebensmittelsysteme zu etablieren, unterstützen wir.
Was erwarten Sie von grüner Gentechnik?
Ich erwarte einen fairen und wissenschaftsbasierten Umgang mit grüner Gentechnik sowie deren bedachten Einsatz mit Augenmaß. Es muss für interessierte Unternehmen möglich sein, die vorhandenen Innovationspotenziale auch in Deutschland und in der Europäischen Union verantwortungsvoll zu nutzen. Im Grundsatz sollte allerdings Wahlfreiheit auf der Angebots- wie der Nachfrageseite bestehen.
Für wie wichtig halten Sie Bio?
Ich halte Bio für sehr wichtig, mit Blick auf die Angebotsvielfalt. Ich bin nur skeptisch, was das Ziel “30 Prozent Bio” von Bundesminister Cem Özdemir angeht. Wir sehen zwar eine steigende Nachfrage nach Bio-Lebensmitteln, jedoch in einem wesentlich kleineren Bereich. 2018 lag der Anteil von Bio-Lebensmitteln am gesamten Lebensmittelumsatz bei 5,3 Prozent, knapp fünf Jahre später, nämlich 2022, lag er bei 7 Prozent. Die Umstellung von konventioneller auf ökologische Landwirtschaft ist mit einigen Kosten verbunden. Auch ist diese Form der Landwirtschaft in der Regel nicht so ertragreich. Das macht Bio mitunter teurer und da müssen die Menschen bereit sein, das auch zu zahlen.
René Püchner ist seit Juni 2021 Präsident des Lebensmittelverbands Deutschland. Im April dieses Jahres wurde er in seinem Amt beim Spitzenverband der deutschen Lebensmittelwirtschaft bestätigt. Der Betriebswirt Püchner ist Geschäftsführer der Capri-Sun Vertriebs GmbH, der Capri Sun Austria GmbH und der Oppo Brothers GmbH.
Die FDP will die geplanten Beschränkungen von Werbung für ungesunde Lebensmittel weiter blockieren. Mit Blick auf das von Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir geforderte Verbot sagte Gero Hocker, agrarpolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, der Bild-Zeitung: “Solange Cem Özdemir keinen sinnvollen und praktikablen Gesetzesvorschlag abgibt, werden wir das parlamentarische Verfahren nicht einleiten.” Ein Gesetz müsse “anstatt pauschaler Verbote” vor allem auf mehr Bewegung und Ernährungsbildung setzen, um Kinder vor den Gefahren extremen Übergewichts zu schützen. Kinder unter 14 Jahren stehen im Fokus der Pläne des Bundeslandwirtschaftsministers.
Özdemir hatte die vorgesehenen Beschränkungen Ende Juni bereits abgeschwächt. Werbeverbote für Produkte mit zu viel Zucker, Fett und Salz sollten nun etwa auf Tageszeiten konzentriert werden, in denen besonders viele Kinder Fernsehen schauen – wochentags von 17 bis 22 Uhr, samstags zusätzlich von 8 bis 11 Uhr und sonntags von 8 bis 22 Uhr. Damit hatte sich Özdemir bereits auf den Koalitionspartner FDP zubewegt. Doch die Kritik hält an, auch seitens der Opposition. Im ZDF-Sommerinterview sagte CDU-Parteichef Friedrich Merz: “Wir müssen raus aus diesen ständigen Verboten.” Özdemir denke in seinem Ministerium “nur noch über Werbeverbote und Essverbote” nach.
Dabei stößt das geplante Verbot sowohl bei Gesundheits- und Verbraucherexperten als auch in der Bevölkerung auf Zustimmung. In einer repräsentativen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Kantar im Auftrag der Verbraucherorganisation foodwatch sprach sich eine deutliche Mehrheit der Deutschen für die geplanten Beschränkungen aus. 66 Prozent der Befragten unterstützen demnach das Vorhaben des Bundesernährungsministeriums. foodwatch bezeichnete die Ergebnisse als deutliches Signal an die Regierung, umfassende Werbebeschränkungen auf den Weg zu bringen. heu/dpa
Der angekündigte Abgang von EU-Kommissionsvize Frans Timmermans hat bei den Grünen Bedauern ausgelöst, bei der EVP hingegen Genugtuung. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen steht nun vor einem größeren Personalpuzzle.
Timmermans hatte vergangene Woche mitgeteilt, Brüssel den Rücken zukehren zu wollen, um in seiner Heimat Nachfolger des niederländischen Premierministers Mark Rutte zu werden. Das ist gleichbedeutend mit seinem frühzeitigen Aus als Exekutiv-Vizepräsident der Kommission und Chef des Green Deal. Allerdings nicht sofort. Die beiden niederländischen Bündnis-Parteien PvdA und GroenLinks, für die Timmermans kandidieren will, wollen ihren Spitzenkandidaten bis zum 22. August benennen. Solange kann der 62-Jährige noch in der Kommission bleiben.
Die einen bedauern Timmermans’ Rückzug aus Brüssel. So kommentierte der grüne EU-Abgeordnete Michael Bloss, die Kommission verliere den visionären Baumeister des Green Deals, dessen Erfolge historisch seien. Andere begrüßen hingegen, dass Timmermans Brüssel den Rücken kehrt. Timmermans Weggang sei gut für den Klimaschutz, sagte Peter Liese, umweltpolitischer Sprecher der EVP. Mit seiner provokanten Art habe er die Diskussion um das Renaturierungsgesetz verkompliziert. Lieses Pateikollege Dennis Radtke schrieb: “Es gibt wohl kaum jemanden, der in den letzten Jahren so großen Schaden angerichtet hat in Europa und dem Arbeitsplätze und sozialer Ausgleich so egal waren.”
Wegen Timmermans’ Kandidatur in den Niederlanden steht von der Leyen nun im letzten Jahr der Amtsperiode eine größere Personalrochade bevor. Mit Margrethe Vestager hatte zuvor bereits eine andere ihrer Executive Vice Presidents (EVPs) die Beurlaubung beantragt, um sich für die Spitze der Europäischen Investitionsbank zu bewerben. Von der Leyen lässt sich noch nicht in die Karten blicken, wie sie die Lücken zu schließen gedenkt. Zunächst sind ohnehin die dänische und die niederländische Regierung am Zug, neue Kandidaten für die Kommission zu benennen. Deren Profil dürfte Einfluss darauf haben, ob von der Leyen sich für eine größere Rotation ihrer Kommissare entscheidet. Die Länder haben jedenfalls keinen Anspruch darauf, die gleichen Portfolios zu besetzen.
In EU-Kreisen wird spekuliert, dass der Green Deal entweder vom italienischen Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni oder von Maroš Šefčovič, Vizepräsident für interinstitutionelle Beziehungen, übernommen wird. Letzterer war zuvor Energiekommissar, weshalb er für den Posten als geeignet gilt.
Die wesentlichen Gesetzesvorschläge des Fit-for-55-Pakets sind ohnehin bereits verabschiedet. Noch im Trilog befinden sich insbesondere die Dossiers zum Naturschutz und der Landwirtschaft, wie das Renaturierungsgesetz, die Industrieemissionsrichtlinie, die Pestizide-Verordnung und die Regulierung zur neuen Gentechnik.
Timmermans hatte sich auch in diese Debatten geworfen. Doch zuständig für die Farm-to-Fork-Strategie sowie die Biodiversitätsstrategie ist nicht Timmermans, sondern Umweltkommissar Virginijus Sinkevičius. Dieser hat zwar weniger politisches Gewicht als Timmermans, löst aber auch weniger Ablehnung bei den konservativen Kräften aus. luk
Vor mehr als zwei Wochen hat die Behörde für Lebensmittelsicherheit EFSA ihre Risikobewertung für Glyphosat bekannt gegeben. Nun steht fest: Die Abstimmung über eine Verlängerung des umstrittenen Herbizids um 15 Jahre soll im Oktober stattfinden.
Die Glyphosat-Verlängerung geht durch die sogenannte Komitologie-Prozedur. Will heißen: Die Kommission stellt einen Entscheid vor, der zuständige Komitologie-Ausschuss des Rats stimmt darüber ab. In diesem Fall ist der Ständige Ausschuss für die Lebensmittelkette und Tiergesundheit zuständig, genauer gesagt dessen Unterausschuss für Phytopharmaka. Beim nächsten Treffen am 15. September will die Kommission ihren Entscheid zum Glyphosat vorstellen. Danach trifft sich das Komitee wieder am 12. und 13. Oktober. Dann will das Gremium über die Verlängerung abstimmen.
Es gilt die qualifizierte Mehrheit. Bei einer negativen Ablehnung wird der Berufungsausschuss mit der Frage befasst. Entscheidet sich auch dieser gegen den Vorschlag der Kommission, muss sie den Vorschlag zurückziehen. Kommt keine qualifizierte Mehrheit für oder gegen den Kommissionsvorschlag zusammen, kann die ihren Vorschlag umsetzen. So geschehen bei der Entscheidung für eine provisorische Verlängerung von Glyphosat im Dezember 2022.
Vor einigen Tagen wurde ein erster Entwurf des Kommissionsvorschlags geleakt. Darin empfiehlt die Kommission die Verlängerung von Glyphosat. Demnach könnte das umstrittene Herbizid noch bis 2038 eingesetzt werden.
Das Parlament erwägt, seine Einwände gegen die Verlängerung geltend zu machen, wie es aus dem Büro von Pascal Canfin (Renew) heißt, dem Vorsitzenden des Umweltausschusses. Ein solcher Einwand hat bei Durchführungsakten aber hauptsächliche symbolischen Charakter.
Das schnelle Vorgehen der Kommission mag überraschen. Erst Ende Juli wird die EFSA ihre Schlussfolgerungen zur Glyphosat-Einschätzung veröffentlichen. Der vollständige Bericht wird erst für Oktober erwartet. Also erst, nachdem die Kommission ihre Entscheidung fällt. cw
In vielen Diskussionen wird mir immer wieder in verschiedenen Varianten dieselbe Frage gestellt: 2050 wird die Landwirtschaft zehn Milliarden Menschen ernähren müssen. Wie können die Bauern das schaffen?
Natürlich ist das eine rhetorische Frage, denn im Kern wird damit suggeriert, dass wir uns den ökologischen Landbau aus humanitären Gründen gar nicht leisten können. Die Landwirtschaft hat in den letzten 50 Jahren durch rücksichtslose Nutzung eines rein technologischen Fortschritts eine wahnsinnige Produktivitätssteigerung erreicht. In der Logik der Fragesteller müssen wir versuchen, die Produktivität durch neue Techniken, wie etwa der Gentechnik, noch schneller und stärker zu steigern. Wir lösen also vermeintlich bestehende Probleme mit der Anwendung technischer Verfahren und nehmen dabei die Schaffung neuer sorglos in Kauf. Zukünftige neue Techniken werden diese schon lösen. So die uns suggerierte Hoffnung.
Doch ist es wirklich so einfach? Was ist die Kehrseite unseres Handelns? Der wirtschaftliche Erfolg beruht auf der konsequenten Ausbeutung natürlicher Ressourcen. Stichworte sind Bodendegeneration, Artensterben, Grundwasserverschmutzung, Klimawandel. Wir Landwirte tragen dafür eine Mitverantwortung.
Kann nun die sogenannte neue Gentechnik diese Probleme auf wundersame Weise lösen? Fakt ist, dass bei ausbleibendem Regen und zunehmender Grundwasserferne auch trockenheitstolerante Getreidesorten das Wachstum einstellen werden. Gleiches gilt für die Wälder – ohne Wasser kein Wachstum! Ohne Wasser kein Leben! Fakt ist, dass auf degenerierten Böden die Pflanzen ins Maul gedüngt werden müssen, um überhaupt gedeihen zu können. Wir hängen sozusagen an der Infusionsnadel der Agrarindustrie. Und Fakt ist auch, dass wir ohne die über Jahrmillionen entstandene und fein austarierte Natur das gesamte Gefüge aus dem Gleichgewicht bringen. Das massive Artensterben und der Biodiversitätsverlust sind sichtbares Zeichen dafür.
Gibt es also keinen anderen Weg? Ich meine doch. Statt unseres immerwährenden Kampfes gegen die Natur (“macht euch die Erde untertan”), sollten wir auf ein Miteinander setzen. Wir sind als Menschen Teil dieser wunderbaren Schöpfung, die wir nutzen dürfen, die wir im Gegenzug aber auch hegen und pflegen sollten.
Was wir brauchen ist eine multifunktionale Landwirtschaft, die sowohl Lebensmittel als auch Umweltgüter erzeugt und bewahrt. Wir müssen Systeme entwickeln, die auf Vielfalt setzen. Wir müssen unsere Böden, die Grundlage allen Lebens sind, gesund und lebendig erhalten. Die Zusammenhänge rund um das “Bodenmikrobiom” müssen erforscht, verstanden und in das landwirtschaftliche Handeln einfließen. Über ausgeklügelte Fruchtfolgen und standortangepasste Sorten können wir ohne den Einsatz von Chemie ein Gleichgewicht erhalten und so Ernährung und Umwelt sichern.
Das heißt nicht, dass wir auf technologischen Fortschritt verzichten sollten. Moderne Landtechnik, Digitalisierung, genomische Selektionsmethoden in der Pflanzen- und Tierzucht (bitte nicht verwechseln mit Neuen Genomischen Techniken), und viele weitere Erfindungen werden uns helfen, Ernährungssicherheit mit Umwelt- und Klimaschutz zu versöhnen.
Was wir nicht brauchen, sind Techniken, die Bäuerinnen und Bauern weltweit vermehrt in Abhängigkeiten führen. Techniken, die zu Monokulturen und in der Folge zu erhöhtem Dünger und Pestizideinsatz führen. Techniken, die eine kapitalintensive Landwirtschaft benötigen und somit nicht zu den Bedürfnissen kleinbäuerlicher Strukturen passt – 85 Prozente aller Höfe weltweit werden von Kleinbäuerinnen und -bauern bewirtschaftet.
Für all das stehen aus meiner Sicht die neuen gentechnischen Züchtungsverfahren. Die grüne Gentechnik ist letztlich ein Geschäftsmodell der Agrarindustrie, mit dem sie versucht, über Patente Bäuerinnen und Bauern in Abhängigkeiten zu bringen und an jedem Stück Brot, das gegessen wird, mitzuverdienen. Ernährung, Umwelt- und Klimaschutz ist existentielle Daseinsvorsorge und für das Überleben von Mensch und Tier unverzichtbar. Wir dürfen dieses Gut zugunsten einiger weniger Großkonzerne nicht aufgeben.
Hermann Färber hat so ziemlich alles von dem, was man sich unter einem Agrarpolitiker der Union vorstellt: Er ist Landwirt, katholisch, hat fünf Kinder, gehört dem Deutschen Bauernverband an und gewinnt seit zehn Jahren das Direktmandat für den baden-württembergischen Wahlkreis Göppingen. Sein Äußeres passt zum Steckbrief: Breites Kreuz, balkenhafte Augenbrauen und sogar im Bundestag im beigen Lodenjanker unterwegs.
Und doch beschreibt das den 60-Jährigen höchstens zu einem Teil. Diesen Politiker, der von sich sagt, er hinterfrage immer wieder, ob er noch flexibel genug sei im Kopf für seinen Job. Der in kleinen Runden viel zuhört und eher leise seine Meinung äußert. Und der auch mal einem jüngeren Kollegen von den Grünen zustimmt oder Überzeugungen der eigenen Partei infrage stellt.
Für die bessere Politik setzt Hermann Färber seinen Verstand und seine politische Vernunft ein. Er gibt sich nicht zufrieden mit einfachen Gewissheiten, sondern hört zu und lernt gerne dazu. Seine Partei zum Beispiel setzt sich für eine Deregulierung von grüner Gentechnik wie CriprCas ein, also von neuen Methoden zur Veränderung der DNA von Pflanzen. Auch Färber sieht darin Chancen, etwa wenn man Resistenzen gegen bestimmte Pilze oder Trockenheitsresilienzen züchten könnte. Eins sei aber klar, sagt er warnend: “Wenn hinterher Patente herauskommen, die Abhängigkeit schaffen, haben wir es falsch gemacht.”
Im Agrarbereich geht es viel um solche Abwägungen. Die Landwirtschaft, sagt der Landwirtschaftsmeister selbstkritisch, habe in manchen Bereichen den Bogen überspannt. Etwa was den Einsatz von Pestiziden angeht. Aber auch die Verteidiger des Naturschutzes seien dabei, zu überziehen. Neulich habe er eine Karte gesehen mit Pufferzonen um Naturschutzgebiete. In diesen Zonen sollen Imker ihre Bienen nicht mehr fliegen lassen, um die Konkurrenz zu Wildbienen zu vermeiden. Färber: “Wenn Nordrhein-Westfalen solche Pufferzonen errichtete, wie sie in zwei Gebieten in Baden-Württemberg schon existieren, dann ist NRW zu 90 Prozent beim Honig raus.”
Oder Agroforste, eigentlich ja eine gute Idee: Hecken und Bäume, die die Felder beschatten, die Wasser im Boden halten und Spatzen oder Zaunkönigen Unterschlupf bieten. Dem gegenüber stehe aber die Naturschutz-Richtlinie FFH (Flora-Fauna-Habitat). Die schieße über ihr Ziel hinaus: “Wenn ein Landwirt in seinem Agroforst oder in seiner Magerwiese dann nämlich eine geschützte Art hat, wird die Glasglocke drüber gestülpt und dann können weder er noch seine Kinder dieses Land je wieder bestellen.”
Vor kurzem sei so etwas einer Bekannten passiert. Sie hatte das Gelände eines aufgegebenen Industriebetriebs gekauft und auch schon eine Förderung erhalten, um da ihren Handwerksbetrieb zu erweitern. “Hermann, ich krieg’ einen Vogel”, habe sie gesagt, “wir sollen jetzt ein Gutachten erstellen, ob da nicht Eidechsen drauf sind, bevor wir bauen.” Da wolle sie lieber das Gelände eigenhändig umgraben.
Der CDU-Politiker Färber schätzt Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir persönlich durchaus. Allerdings ist der Grünen-Politiker aus der Sicht Färbers eingeklemmt zwischen zwei sehr unterschiedlichen Kraftfeldern in der Koalition. Einerseits Naturschützer, die alles dem Naturschutz unterordnen wollten, während Özdemir auch die Aufgabe habe, die Ernährung zu sichern. Und andererseits eine FDP, die alles dem freien Markt überlassen möchte. Das macht Özdemirs Arbeit aus Färbers Sicht schwierig.
Die Liberalen hätten selbst schon dreimal abgelehnt, das Bundeslandwirtschaftsministerium zu leiten, sagt Färber. Nun lehne die FDP – aus anderen Gründen als die Umweltschützer – alle Brückenschläge zwischen Natur und Landwirtschaft ab. Färber erinnert da vor allem an das Konsenspapier der “Zukunftskommission Landwirtschaft” aus dem Jahr 2021, ein Papier, in dem so unterschiedliche Akteure wie der Deutsche Bauernverband und der Verband der Bio-Bauern, Tierschützer, Ernährungsindustrievertreter, Verbraucherschützer und Wissenschaftler sich auf einen gemeinsamen Weg zur Transformation der Landwirtschaft verständigt haben. “Dieses Potenzial liegt brach.”
Zurück zur Zukunft: Als Färber ein Junge war, verschwanden die Hecken und mit ihnen die Rebhühner, die schon sein Vater so geliebt habe. Man nannte das Flurbereinigung. “Aber das war der Fortschritt damals, dass man mit den großen Maschen alles bearbeiten konnte.”
Und heute? Heute sehe man das alles anders. Was Hermann Färber vermisst, ist eine Zielvorstellung. “Wohin soll die Landwirtschaft?” Ohne diese Zielvorstellung, ohne Planungssicherheit bleibe das Geschäft der Bauern zu unsicher, würden noch mehr Kollegen aufgeben.
In Kenia, erzählt Färber, habe er gesehen, was passiert, wenn die Landwirtschaft sich nicht entwickelt. “Die haben Wissen verloren. Die müssen sogar wieder lernen, wie man kompostiert.” So krass, glaubt Färber, könne es auch hier kommen, wenn Deutschland und die EU sich nicht auf klare Ziele verständigen sollten.
Zum Dessert gibt es heute Fleisch. Keine Sorge, kein herkömmliches, sondern kultiviertes Fleisch aus dem 3D-Drucker. Immerhin kann jeder fünfte Bundesbürger sich vorstellen, so etwas zu essen. Das hat der Digitalverband Bitkom in einer Umfrage ermittelt. Vor vier Jahren seien es noch 13 Prozent gewesen.
Laborfleisch wird aus tierischen Zellen in einem Bioreaktor produziert und mithilfe eines 3D-Druckers zu fleischähnlicher Struktur geformt. Darum ist es erstaunlich, dass die Deutschen sich hier so offen zeigen. Denn immerhin spielt das Fleisch aus dem Bioreaktor in einer ganz anderen Liga als das Schnitzel auf Basis von Soja und Weizenprotein oder die veganen Wiener aus Erbsen- und Kartoffeleiweiß.
Doch die Botschaft ist angekommen: Wir müssen den Fleischkonsum reduzieren, sonst erreichen wir die Klimaziele der EU nicht. Denn die bisherigen Fleischlieferanten – allen voran das Rind – rülpsen und pupsen zu viel schädliches Methangas in die Atmosphäre. Fleisch aus dem Labor ist klimafreundlicher. “Sauberes Fleisch”, nennt es darum Petra Kluger, Vizepräsidentin Forschung an der Hochschule Reutlingen.
Mit der Farm-to-Fork-Strategie und der Verordnung 2015/2283 über neuartige Lebensmittel, genannt Novel Food, hat die EU die Ernährungswende bereits eingeleitet. Wer Laborfleisch anbieten möchte, braucht demnach eine Zulassung. Allerdings: Auch wenn der ökologische Fußabdruck von sauberem Fleisch geringer ist als von der natürlichen Variante, so verbraucht die Produktion von Muskelzellen im Bioreaktor dennoch viel Energie. Und die Gewinnung des benötigten Muskelgewebes per Biopsie ist für das Tier eine schmerzhafte Angelegenheit. Aber hier sind Lösungen in Sicht: grüne Energie und aus Nabelblut gewonnene Zellen.
Da in der EU noch kein Unternehmen eine Zulassung für Laborfleisch beantragt hat, wird es wohl so bald nicht auf dem Speisezettel stehen. Wenn es aber so weit ist, sind hochinteressante Spezialitäten denkbar – wie etwa Hackfleischbällchen aus Mammutfleisch. Das australische Start-up Vow, hat die schon einmal vorgebraten. Der Vorteil der Boulette: für diese Struktur ist nicht einmal ein 3D-Drucker erforderlich. Guten Appetit. Corinna Visser
wir begrüßen Sie zum neuen Agrifood.Table, dem Professional Briefing für deutsche und europäische Agrar- und Ernährungspolitik. Sie lesen heute die erste Ausgabe unseres Informationsangebots. Wir hoffen, der Start trifft Ihr Interesse. Wir möchten Ihre Wünsche noch genauer kennenlernen, schreiben Sie Ihre Einschätzung gern an: agrifood@table.media.
Ab sofort berichten wir – immer dienstags – für die entscheidenden Köpfe in Parlamenten und Ministerien, Unternehmen, Universitäten und Instituten, Stiftungen, Verbänden, NGOs und Think-Tanks.
In unseren Vorbereitungen für dieses Professional Briefing war stets sehr präsent, dass der Regulierungsdruck auf diesen Wirtschaftszweig besonders groß ist. Im Spannungsfeld zwischen Umweltschutz und globaler Ernährungssicherheit wurden die politischen Debatten im Laufe der vergangenen Monate immer hitziger geführt. Agrifood.Table hat mehr als 100 entscheidende Köpfe um ihre Prognose für die deutsche und europäische Agrar- und Ernährungspolitik gebeten. Heute antwortet der Präsident des Lebensmittelverbands Deutschland, René Püchner.
Vor gut einer Woche ist es leider bittere Realität geworden: Der russische Präsident Wladimir Putin hat das internationale Getreideabkommen gekippt. Die Folgen für die ukrainische Landwirtschaft sind verheerend. “Unserer Branche geht langsam das Geld aus”, sagt der ukrainische Agrarunternehmer Alex Lissitsa.
Zudem steigt die Gefahr eines Angebotsdefizits auf dem Weltmarkt. Russland und die Ukraine sollen laut einer Prognose des USDA (Landwirtschaftsministerium der Vereinigten Staaten) im Wirtschaftsjahr 2023/24 mehr als ein Viertel des auf dem Weltmarkt gehandelten Weizens bereitstellen. Im UN-Sicherheitsrat haben mehrere Länder Russland zur Rückkehr zum Getreideabkommen gedrängt. Darunter auch China. Wir berichten über Hintergründe und fassen die aktuelle Entwicklung zusammen.
Je nach politischem Lager hält der kürzlich vom Parlament angenommenen Text für das EU-Gesetz zur Wiederherstellung der Natur (Nature Restoration Law) gute oder schlechte Nachrichten bereit. Denn der Passus zur Wiedervernässung von Mooren wurde gestrichen. Damit wird auf einen starken Hebel für den Klimaschutz verzichtet, analysieren wir.
Wir, das sind meine Kolleginnen und Kollegen, die Journalistinnen Merle Heusmann, Annette Bruhns und Claire Stam, die Werksstudentin Amelie Günther, die Journalisten Jens Brehl und Lukas Scheid und ich, mit Unterstützung der vielen Kollegen und Kolleginnen von Table.Media, wünschen Ihnen eine inspirierende Lektüre!
Wenn Ihnen der Agrifood.Table gefällt, leiten Sie uns bitte weiter. Wenn Ihnen diese Mail weitergeleitet wurde: Hier können Sie sich für den Agrifood.Table kostenlos anmelden.
Vom Krieg ohnehin schon gebeutelt, trifft der geplatzte Grain Deal die auf Export angewiesene ukrainische Landwirtschaft bis ins Mark. “Unserer Branche geht langsam das Geld aus”, sagt Alex Lissitsa, Chef der Agrar-Unternehmensgruppe IMC, der jetzt mit sinkenden Preisen für ukrainisches Getreide und steigenden Logistikkosten rechnet. “Der Erlös beim Verkauf von Winterweizen deckt noch nicht einmal die Produktionskosten”, sagt Lissitsa, der mehr als 100.000 Hektar Land in Sumy im Nordosten der Ukraine bewirtschaftet. Russland hingegen – ebenfalls globaler Getreideexporteur – gerät in die komfortable Lage, Weizen auf dem Weltmarkt zu höheren Preisen exportieren zu können.
Die Vereinten Nationen, aber auch China, kritisierten Putin für das Aussetzen des Abkommens. Sie befürchten Hungersnöte, insbesondere in Afrika. Die Führung in Peking forderte Putin explizit auf, die Ausfuhren ukrainischen Getreides über das Schwarze Meer wieder zuzulassen. Putin rechtfertigt den Stopp des Abkommens damit, dass sowieso nur ein geringer Teil der Ernte-Exporte armen Staaten im Rest der Welt zugutekäme. Russland habe kein Interesse daran, ukrainisches Getreide auf den Weltmarkt kommen zu lassen, sagt Tobias Heidland, Direktor für Internationale Entwicklung am Kieler Institut für Weltwirtschaft, im Interview mit Africa.Table. Dieses Geschäft wolle Putin selbst machen und er wolle diplomatisch von der Lebensmittel- und Düngemittelkrise profitieren.
Beide Länder haben nach Ende des Getreideabkommens erklärt, Schiffe, die die Häfen des anderen Landes anlaufen, als potenzielle Träger militärischer Fracht zu betrachten. Aktuell sieht es so aus, als schade sich Putin auch selbst. Deutlich weniger Schiffe steuern russische Häfen an. Dennoch erklärt Putin, Russland sei mit Blick auf eine Rekordernte bereit, ukrainische Getreidelieferungen zu ersetzen. Sollte der Weizenexport der Ukraine und Russlands über einen längeren Zeitraum beeinträchtigt werden, würde das zu einem massiven Angebotsdefizit auf dem Weltmarkt führen, analysiert der Börsenmakler Kaack Terminhandel.
Aktuell wird Weizen, Raps und Gerste in der Ukraine gedroschen. “Niemand weiß, ob wir unsere Ernte in diesem Jahr überhaupt noch verkaufen können”, sagt Lissitsa. Die ukrainische Landwirtschaft sorge für bis zu 70 Prozent der Exporteinnahmen des Landes. “Die Russen treffen damit gezielt unsere Wirtschaft.” Der Unternehmer zweifelt, ob in dieser Saison noch Ware über den Schwarzmeerhafen Odessa transportiert werden wird. Durch die russische Bombardierung ist es zu riskant für Reedereien ihre Schiffe dorthin zu schicken. Sein Unternehmen ist direkt betroffen. Weizen und Mais im Wert von rund 10 Millionen Euro lagert am Schwarzen Meer ohne Aussicht, die Ware zurückzubekommen. “Wir brauchen das Geld dringend, um im September Winterweizen säen zu können.” Hinzukommt, dass ab Oktober Lagerkapazitäten für die Ernte von Mais, Sojabohnen und Sonnenblumenkernen gebraucht werden.
Nun will die EU die Kapazitäten auf den alternativen Routen erhöhen. Zu denen gehören: Transporte über Flüsse, mit Güterzügen, Lastwagen. Seit die sogenannten Solidarity Lanes im Mai 2022 ihre Arbeit aufgenommen haben, wurden 41 Millionen Tonnen Getreide, Öle und andere Agrarprodukte über die alternativen Routen aus der Ukraine ausgeführt. Beim Getreide macht das 60 Prozent aus. 40 Prozent des gesamten exportierten Getreides gingen über die Schwarzmeer-Initiative. Das zeigen neue Daten der EU-Kommission.
Bezüglich der Transportroute über die Donau zum rumänischen Hafen Constanța ist Lissitsa wenig optimistisch: “Kollegen, die Getreideterminals an der Donau besitzen, rechnen in den kommenden Sommermonaten mit Niedrigwasser.” Komplikationen gibt es nach wie vor an der westlichen Grenze zu Polen und Ungarn. Bis zum 15. September gestattet die EU lediglich den Transit von vier landwirtschaftlichen Erzeugnissen (Weizen, Mais, Rapssamen und Sonnenblumenkernen) durch fünf osteuropäische EU-Mitgliedstaaten. Neben Polen und Ungarn betrifft dies auch Bulgarien, Rumänien und die Slowakei. Bislang halten diese Staaten an einem Importverbot fest. Polens Regierungschef Mateusz Morawiecki sagte, man wolle weiterhin eine Destabilisierung des Marktes verhindern.
Die Solidarity Lanes sind jedoch nicht nur für den Export wichtig, sie stellen die einzigen Wege für den Import von Hilfsgütern dar. Die EU baut bessere Verbindungsmöglichkeiten zwischen Polen und der Ukraine sowie zwischen Rumänien und der Republik Moldau aus, neben Straßen- geht es auch um Schienenverbindungen. Insgesamt seien in das Solidaritätsverkehrsprogramm gut eine Milliarde Euro investiert worden, so die EU-Kommission.
Schnell umsetzen lassen sich die Infrastrukturprogramme aber nicht. Hinzu kommen andere Schwierigkeiten, wie etwa der Mangel an Getreidewaggons in Europa. Flüsse lassen sich auch nicht so schnell ausbaggern, um größere Transportschiffe einzusetzen und auch die Zahl der Lastwagen, Lastwagenfahrer sowie der Straßenkapazitäten ist begrenzt. Russland blockiert also die effektivste Exportmöglichkeit der Ukraine und schneidet die Ukraine von etwa 8 bis 9 Milliarden US-Dollar an Einnahmen ab, während russische Exporteure höhere Preise erzielen und Russland damit auch höhere Einnahmen generieren kann.
Mangels Liquidität und fehlender Exportchancen ist zu befürchten, dass in diesem Jahr noch weniger Winterweizen in der Ukraine gesät und im darauffolgenden Jahr entsprechend noch weniger Getreide geerntet wird. Im Jahr 2022 ist die Getreideernte laut Agrarministerium in Kiew von 86 Millionen auf 50 Millionen Tonnen eingebrochen, berichtet der Bundesverband Der Agrarhandel (DAH). In diesem Jahr sei mit ähnlichen Mengen zu rechnen. Ukrainische Landwirte schwenken auf Sonnenblumen und Soja um. Das schmälere zwar den Ertrag, aber erfordere auch nur halb so große Lager und Transportkapazitäten, sagt DAH-Geschäftsführer Martin Courbier. “Als kurzfristige Maßnahme sollte das zulässige LKW-Gesamtgewicht für grenzüberschreitende Transporte angehoben werden”, fordert er.
Ob der Grain Deal wieder aktiviert oder neu verhandelt werden kann – da gehen die Meinungen auseinander. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan sagte noch vor der offiziellen Verkündung aus Moskau für das Ende des Abkommens: Die Initiative sei “Geschichte”. Auch deutsche regierungsnahe Kreise sind eher skeptisch, dass es eine Fortsetzung gibt.
Moskau hat in der Erklärung nicht ausgeschlossen, dass es eine Zukunft für die Schwarzmeer-Initiative geben kann. Seit dem verkündeten Ende zerstört es aber systematisch den Hafen von Odessa – einen der drei ukrainischen Exporthäfen der Initiative. Die Wirtschaftsanalystin Alexandra Prokopenko, die nach dem Verlassen Russlands 2022 nun am Carnegie Russia Eurasia Center in Berlin forscht, sieht noch nicht das endgültige Ende für das Abkommen gekommen und verweist auf die Abhängigkeit des russischen Präsidenten Putin von der Türkei. Putin werde im August Erdogan treffen und sicher auch über das Getreide-Abkommen sprechen, schreibt sie in einer Analyse.
Vor dem Treffen mit Erdogan findet in dieser Woche am Donnerstag und Freitag das Russia-Africa-Economic-Forum in St. Petersbug statt und knapp vier Wochen später das BRICS-Treffen im südafrikanischen Johannesburg. Putin werde diese Treffen nutzen und die Ukraine sowie den Westen für das Ende des Grain Deals verantwortlich machen, vermuten deutsche Diplomaten. Zugleich sei das auch eine Chance für ihn, sich vielleicht als ein Gönner zu präsentieren und afrikanischen Staaten eigene Hilfe anzubieten. Immerhin hat Russland im vergangenen Jahr Rekordernten eingefahren.
Auf verpasste Chancen der Politik weist Rafaël Schneider von der Welthungerhilfe hin. Özdemir und Bundesaußenministerin Annalena Baerbock geißelten Putin zwar zu Recht dafür, Hunger als Kriegswaffe einzusetzen. Dies gelinge ihm aber nur, weil Zusagen der Vereinten Nationen und der Afrikanischen Union, die landwirtschaftliche Erzeugung in von Hunger betroffenen Ländern zu fördern, in der Vergangenheit nicht umgesetzt worden seien. Stattdessen sei die Importabhängigkeit in Teilen Afrikas – nicht nur aus der Ukraine, sondern vor allem auch aus Russland, Frankreich, den USA, Kanada und Argentinien – stetig gewachsen.
Als die Abgeordneten im Europäischen Parlament vor rund zwei Wochen über das neue Regelwerk zur Wiederherstellung der Natur (Nature Restoration Law, NRL) abstimmten, hätten sie darin eigentlich einen Artikel zur Wiederherstellung landwirtschaftlicher Ökosysteme finden sollen. Eigentlich, denn kurz vor der Abstimmung war der umstrittene Passus auf Antrag der ultrakonservativen EKR-Fraktion aus der Kommissionsvorlage heraus gekürzt worden.
In dem vom Parlament angenommenen Text, der nun in den Trilogverhandlungen mit der EU-Kommission und den Mitgliedstaaten weiter verhandelt wird, ist die Wiedervernässung trockengelegter Torfmoore nicht mehr vorgesehen. Laut dem Vorsitzenden des Umweltausschusses, Pascal Canfin (Renew), sei der gesamte Teil des Gesetzes, der sich mit der Landwirtschaft befasst, verwässert worden. “Das ist ein wichtiger Aspekt, den wir mit dem Rat verhandeln wollen”, kündigte Canfin für die anstehenden Trilogverhandlungen an.
Dass dieser Aspekt Canfin und anderen so wichtig ist, liegt auch daran, dass die Wiederherstellung von Mooren nicht nur für den Erhalt der Biodiversität zentral ist, sondern auch für den Klimaschutz. Die Wiedervernässung von Mooren gilt als entscheidender Hebel, um die Treibhausgas-Emissionen weiter zu senken und darüber hinaus CO₂ aus der Atmosphäre zu entziehen und langfristig zu speichern.
Studien des Greifswald Moor Centrums (GMC) und Wetlands International zufolge wurden mehr als 50 Prozent aller Moorflächen in Europa trockengelegt, um die Böden land- oder forstwirtschaftlich nutzen zu können. In Deutschland sind es sogar fast 100 Prozent. Was einst als kulturhistorische Großtat gefeiert und staatlich gefördert wurde, gilt heute als klimatologisches Desaster.
Denn: Moore sind besonders reich an Kohlenstoff. Durch die Entwässerung und die Verbindung mit Sauerstoff entweicht viel CO₂. So wurden die Gebiete über die Jahrzehnte immer mehr vom Kohlenstoffspeicher zum Emittenten und machen laut GMC derzeit etwa sieben Prozent des gesamten Treibhausgas-Ausstoßes der EU aus. Würde der Wasserstand wieder auf Bodenkante angehoben, könnten diese Emissionen vermieden und langfristig sogar Negativ-Emissionen erreicht werden.
“Darauf können wir nicht verzichten, wenn wir unsere Klimaziele erreichen wollen”, sagt Jutta Paulus, NRL-Schattenberichterstatterin der Grünen. Das gelte im Speziellen für die im vergangenen Jahr verabschiedete Verordnung über Landnutzung und Forstwirtschaft (LULUCF). Darin wurde das Ziel für die natürliche Treibhausgas-Senkleistung des Sektors, aufgeteilt auf die EU-Staaten, auf 310 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalente ab 2030 festgelegt.
Bislang beruht diese Leistung überwiegend auf Wäldern, deren Speicherfähigkeit war jedoch in Folge von Trockenheit, Waldbränden und Schädlingen zuletzt deutlich gesunken und nimmt weiter ab. “Ohne die Moore wird das also nicht zu schaffen sein”, sagt Paulus. Das gelte auch für den Erhalt der Biodiversität. So seien rund 60 Prozent aller Vogelarten in Europa auf intakte Moore und Feuchtgebiete angewiesen.
Wohl auch vor diesen Hintergründen sah die Position des Umweltrats zum NRL vor, die Renaturierung der Moore für die Jahre 2030, 2040 und 2050 auf 30, 40 beziehungsweise 50 Prozent der Fläche festzulegen. Die ursprünglichen Kommissionsziele zielten gar auf 30, 50 und 70 Prozent ab.
Gegner des Gesetzesvorhabens fürchten durch solche Vorgaben eine Verknappung der Nahrungsmittelproduktion. Betroffene Landwirte sehen ihre Existenzgrundlage bedroht. Das Landvolk Niedersachsen hält eine flächendeckende Wiedervernässung sowie eine produktive Landwirtschaft für nicht miteinander vereinbar. Der Deutsche Bauernverband fordert, Umstellungen nur im Einvernehmen mit den Betroffenen umzusetzen. Voraussetzung sei die Schaffung von gleichwertigen wirtschaftlichen Alternativen für die landwirtschaftlichen Betriebe und deren Familien. Die hält auch der Verband Familienbetriebe Land und Forst für zentral. “Dazu gehört vor allem, dass eine tragfähige Bioökonomie für Moorprodukte entwickelt wird. Jede Paludikulturwirtschaft kann nur funktionieren, wenn nachgelagerte Liefer- und Verwertungsketten eine Abnahme der Produkte sichern”, sagte Geschäftsführer Leo von Stockhausen.
Franziska Tanneberger, Leiterin des Greifswald Moor Centrums, zeigt die Dimensionen auf: “Wir sprechen von lediglich drei Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche der EU, die auf entwässerten Moorböden liegt. Demgegenüber steht ein Viertel der gesamten Agraremissionen, die dadurch entstehen und vermieden werden könnten.”
Dabei gehe es nicht um eine Stilllegung der wiedervernässten Flächen. Vielmehr sei die weitere Bewirtschaftung nicht nur denkbar, sondern auch sinnvoll. Eine Möglichkeit dieser sogenannten Paludikultur: der Anbau von Schilf. Die Pflanzen entziehen der Atmosphäre CO₂ und eignen sich als nachhaltiges Verpackungsmaterial oder als Baustoff.
Nachfrage gebe es beispielsweise bei der Dachdeckung vieler Häuser in Norddeutschland. “Das in Deutschland verwendete Reet wird zu 85 Prozent importiert, größtenteils aus China”, sagt Tanneberger. “Im Einklang mit Natur- und Klimaschutz könnte auf den Moorflächen also ein nachhaltiges Material produziert werden, an dem großes Interesse besteht. Dies ist eine riesengroße Chance.”
Um bei allen Beteiligten für Planungssicherheit zu sorgen, müssten jedoch die passenden politischen Rahmenbedingungen geschaffen werden. So werde etwa durch die Gemeinsame Agrarpolitik der EU (GAP) die Landwirtschaft auf entwässerten Moorböden auch nach der jüngsten Reform weiterhin genauso gefördert wie bisher, erklärt die Landschaftsökologin. “Daran festzuhalten, steht im Widerspruch zum Green Deal. Denn so ist der Anreiz für eine Umstellung nicht sehr groß, aber irgendwann muss sie erfolgen”, sagt Tanneberger.
Auch die Moorschutz-Pläne der Bundesregierung setzen auf Freiwilligkeit. Das birgt Herausforderungen. Schließlich kann der Wasserstand nicht punktuell auf einzelnen Feldern, sondern nur in zusammenhängenden Gebieten angehoben werden. Entsprechend müssten alle Eigentümer mitziehen. Dazu kommen bürokratische Hürden, und bei einem Planfeststellungsverfahren gehen in der Regel etliche Jahre ins Land.
Weiteres Problem: Bei der Wiedervernässung entsteht Methan, das vor allem auf kurze Sicht weitaus klimaschädlicher ist als CO₂. Langfristig sei der kühlende Effekt der CO₂-Emissionsminderung jedoch erheblich höher, sagt Franziska Tanneberger. Der zusätzliche Nutzen als natürliche Senke noch nicht miteinberechnet.
Ob die Bestimmungen zur Renaturierung von Mooren es am Ende doch zurück ins Regelwerk schaffen werden, wird in den Trilogverhandlungen entschieden. Diese haben zwar vergangene Woche begonnen, werden jedoch erst nach der Sommerpause fortgeführt.
Welche Weichen sollte die europäische und deutsche Agrar- und Ernährungspolitik stellen?
Die EU-Kommission hat mit der “Vom Hof auf den Tisch” -Strategie bereits die entscheidenden Weichen zu mehr Nachhaltigkeit gestellt. Nun geht es darum, konkrete Maßnahmen zu vereinbaren, mit denen die politischen Zielsetzungen erreicht werden können. Das übergeordnete Ziel, nachhaltigere Lebensmittelsysteme zu etablieren, unterstützen wir.
Was erwarten Sie von grüner Gentechnik?
Ich erwarte einen fairen und wissenschaftsbasierten Umgang mit grüner Gentechnik sowie deren bedachten Einsatz mit Augenmaß. Es muss für interessierte Unternehmen möglich sein, die vorhandenen Innovationspotenziale auch in Deutschland und in der Europäischen Union verantwortungsvoll zu nutzen. Im Grundsatz sollte allerdings Wahlfreiheit auf der Angebots- wie der Nachfrageseite bestehen.
Für wie wichtig halten Sie Bio?
Ich halte Bio für sehr wichtig, mit Blick auf die Angebotsvielfalt. Ich bin nur skeptisch, was das Ziel “30 Prozent Bio” von Bundesminister Cem Özdemir angeht. Wir sehen zwar eine steigende Nachfrage nach Bio-Lebensmitteln, jedoch in einem wesentlich kleineren Bereich. 2018 lag der Anteil von Bio-Lebensmitteln am gesamten Lebensmittelumsatz bei 5,3 Prozent, knapp fünf Jahre später, nämlich 2022, lag er bei 7 Prozent. Die Umstellung von konventioneller auf ökologische Landwirtschaft ist mit einigen Kosten verbunden. Auch ist diese Form der Landwirtschaft in der Regel nicht so ertragreich. Das macht Bio mitunter teurer und da müssen die Menschen bereit sein, das auch zu zahlen.
René Püchner ist seit Juni 2021 Präsident des Lebensmittelverbands Deutschland. Im April dieses Jahres wurde er in seinem Amt beim Spitzenverband der deutschen Lebensmittelwirtschaft bestätigt. Der Betriebswirt Püchner ist Geschäftsführer der Capri-Sun Vertriebs GmbH, der Capri Sun Austria GmbH und der Oppo Brothers GmbH.
Die FDP will die geplanten Beschränkungen von Werbung für ungesunde Lebensmittel weiter blockieren. Mit Blick auf das von Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir geforderte Verbot sagte Gero Hocker, agrarpolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, der Bild-Zeitung: “Solange Cem Özdemir keinen sinnvollen und praktikablen Gesetzesvorschlag abgibt, werden wir das parlamentarische Verfahren nicht einleiten.” Ein Gesetz müsse “anstatt pauschaler Verbote” vor allem auf mehr Bewegung und Ernährungsbildung setzen, um Kinder vor den Gefahren extremen Übergewichts zu schützen. Kinder unter 14 Jahren stehen im Fokus der Pläne des Bundeslandwirtschaftsministers.
Özdemir hatte die vorgesehenen Beschränkungen Ende Juni bereits abgeschwächt. Werbeverbote für Produkte mit zu viel Zucker, Fett und Salz sollten nun etwa auf Tageszeiten konzentriert werden, in denen besonders viele Kinder Fernsehen schauen – wochentags von 17 bis 22 Uhr, samstags zusätzlich von 8 bis 11 Uhr und sonntags von 8 bis 22 Uhr. Damit hatte sich Özdemir bereits auf den Koalitionspartner FDP zubewegt. Doch die Kritik hält an, auch seitens der Opposition. Im ZDF-Sommerinterview sagte CDU-Parteichef Friedrich Merz: “Wir müssen raus aus diesen ständigen Verboten.” Özdemir denke in seinem Ministerium “nur noch über Werbeverbote und Essverbote” nach.
Dabei stößt das geplante Verbot sowohl bei Gesundheits- und Verbraucherexperten als auch in der Bevölkerung auf Zustimmung. In einer repräsentativen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Kantar im Auftrag der Verbraucherorganisation foodwatch sprach sich eine deutliche Mehrheit der Deutschen für die geplanten Beschränkungen aus. 66 Prozent der Befragten unterstützen demnach das Vorhaben des Bundesernährungsministeriums. foodwatch bezeichnete die Ergebnisse als deutliches Signal an die Regierung, umfassende Werbebeschränkungen auf den Weg zu bringen. heu/dpa
Der angekündigte Abgang von EU-Kommissionsvize Frans Timmermans hat bei den Grünen Bedauern ausgelöst, bei der EVP hingegen Genugtuung. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen steht nun vor einem größeren Personalpuzzle.
Timmermans hatte vergangene Woche mitgeteilt, Brüssel den Rücken zukehren zu wollen, um in seiner Heimat Nachfolger des niederländischen Premierministers Mark Rutte zu werden. Das ist gleichbedeutend mit seinem frühzeitigen Aus als Exekutiv-Vizepräsident der Kommission und Chef des Green Deal. Allerdings nicht sofort. Die beiden niederländischen Bündnis-Parteien PvdA und GroenLinks, für die Timmermans kandidieren will, wollen ihren Spitzenkandidaten bis zum 22. August benennen. Solange kann der 62-Jährige noch in der Kommission bleiben.
Die einen bedauern Timmermans’ Rückzug aus Brüssel. So kommentierte der grüne EU-Abgeordnete Michael Bloss, die Kommission verliere den visionären Baumeister des Green Deals, dessen Erfolge historisch seien. Andere begrüßen hingegen, dass Timmermans Brüssel den Rücken kehrt. Timmermans Weggang sei gut für den Klimaschutz, sagte Peter Liese, umweltpolitischer Sprecher der EVP. Mit seiner provokanten Art habe er die Diskussion um das Renaturierungsgesetz verkompliziert. Lieses Pateikollege Dennis Radtke schrieb: “Es gibt wohl kaum jemanden, der in den letzten Jahren so großen Schaden angerichtet hat in Europa und dem Arbeitsplätze und sozialer Ausgleich so egal waren.”
Wegen Timmermans’ Kandidatur in den Niederlanden steht von der Leyen nun im letzten Jahr der Amtsperiode eine größere Personalrochade bevor. Mit Margrethe Vestager hatte zuvor bereits eine andere ihrer Executive Vice Presidents (EVPs) die Beurlaubung beantragt, um sich für die Spitze der Europäischen Investitionsbank zu bewerben. Von der Leyen lässt sich noch nicht in die Karten blicken, wie sie die Lücken zu schließen gedenkt. Zunächst sind ohnehin die dänische und die niederländische Regierung am Zug, neue Kandidaten für die Kommission zu benennen. Deren Profil dürfte Einfluss darauf haben, ob von der Leyen sich für eine größere Rotation ihrer Kommissare entscheidet. Die Länder haben jedenfalls keinen Anspruch darauf, die gleichen Portfolios zu besetzen.
In EU-Kreisen wird spekuliert, dass der Green Deal entweder vom italienischen Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni oder von Maroš Šefčovič, Vizepräsident für interinstitutionelle Beziehungen, übernommen wird. Letzterer war zuvor Energiekommissar, weshalb er für den Posten als geeignet gilt.
Die wesentlichen Gesetzesvorschläge des Fit-for-55-Pakets sind ohnehin bereits verabschiedet. Noch im Trilog befinden sich insbesondere die Dossiers zum Naturschutz und der Landwirtschaft, wie das Renaturierungsgesetz, die Industrieemissionsrichtlinie, die Pestizide-Verordnung und die Regulierung zur neuen Gentechnik.
Timmermans hatte sich auch in diese Debatten geworfen. Doch zuständig für die Farm-to-Fork-Strategie sowie die Biodiversitätsstrategie ist nicht Timmermans, sondern Umweltkommissar Virginijus Sinkevičius. Dieser hat zwar weniger politisches Gewicht als Timmermans, löst aber auch weniger Ablehnung bei den konservativen Kräften aus. luk
Vor mehr als zwei Wochen hat die Behörde für Lebensmittelsicherheit EFSA ihre Risikobewertung für Glyphosat bekannt gegeben. Nun steht fest: Die Abstimmung über eine Verlängerung des umstrittenen Herbizids um 15 Jahre soll im Oktober stattfinden.
Die Glyphosat-Verlängerung geht durch die sogenannte Komitologie-Prozedur. Will heißen: Die Kommission stellt einen Entscheid vor, der zuständige Komitologie-Ausschuss des Rats stimmt darüber ab. In diesem Fall ist der Ständige Ausschuss für die Lebensmittelkette und Tiergesundheit zuständig, genauer gesagt dessen Unterausschuss für Phytopharmaka. Beim nächsten Treffen am 15. September will die Kommission ihren Entscheid zum Glyphosat vorstellen. Danach trifft sich das Komitee wieder am 12. und 13. Oktober. Dann will das Gremium über die Verlängerung abstimmen.
Es gilt die qualifizierte Mehrheit. Bei einer negativen Ablehnung wird der Berufungsausschuss mit der Frage befasst. Entscheidet sich auch dieser gegen den Vorschlag der Kommission, muss sie den Vorschlag zurückziehen. Kommt keine qualifizierte Mehrheit für oder gegen den Kommissionsvorschlag zusammen, kann die ihren Vorschlag umsetzen. So geschehen bei der Entscheidung für eine provisorische Verlängerung von Glyphosat im Dezember 2022.
Vor einigen Tagen wurde ein erster Entwurf des Kommissionsvorschlags geleakt. Darin empfiehlt die Kommission die Verlängerung von Glyphosat. Demnach könnte das umstrittene Herbizid noch bis 2038 eingesetzt werden.
Das Parlament erwägt, seine Einwände gegen die Verlängerung geltend zu machen, wie es aus dem Büro von Pascal Canfin (Renew) heißt, dem Vorsitzenden des Umweltausschusses. Ein solcher Einwand hat bei Durchführungsakten aber hauptsächliche symbolischen Charakter.
Das schnelle Vorgehen der Kommission mag überraschen. Erst Ende Juli wird die EFSA ihre Schlussfolgerungen zur Glyphosat-Einschätzung veröffentlichen. Der vollständige Bericht wird erst für Oktober erwartet. Also erst, nachdem die Kommission ihre Entscheidung fällt. cw
In vielen Diskussionen wird mir immer wieder in verschiedenen Varianten dieselbe Frage gestellt: 2050 wird die Landwirtschaft zehn Milliarden Menschen ernähren müssen. Wie können die Bauern das schaffen?
Natürlich ist das eine rhetorische Frage, denn im Kern wird damit suggeriert, dass wir uns den ökologischen Landbau aus humanitären Gründen gar nicht leisten können. Die Landwirtschaft hat in den letzten 50 Jahren durch rücksichtslose Nutzung eines rein technologischen Fortschritts eine wahnsinnige Produktivitätssteigerung erreicht. In der Logik der Fragesteller müssen wir versuchen, die Produktivität durch neue Techniken, wie etwa der Gentechnik, noch schneller und stärker zu steigern. Wir lösen also vermeintlich bestehende Probleme mit der Anwendung technischer Verfahren und nehmen dabei die Schaffung neuer sorglos in Kauf. Zukünftige neue Techniken werden diese schon lösen. So die uns suggerierte Hoffnung.
Doch ist es wirklich so einfach? Was ist die Kehrseite unseres Handelns? Der wirtschaftliche Erfolg beruht auf der konsequenten Ausbeutung natürlicher Ressourcen. Stichworte sind Bodendegeneration, Artensterben, Grundwasserverschmutzung, Klimawandel. Wir Landwirte tragen dafür eine Mitverantwortung.
Kann nun die sogenannte neue Gentechnik diese Probleme auf wundersame Weise lösen? Fakt ist, dass bei ausbleibendem Regen und zunehmender Grundwasserferne auch trockenheitstolerante Getreidesorten das Wachstum einstellen werden. Gleiches gilt für die Wälder – ohne Wasser kein Wachstum! Ohne Wasser kein Leben! Fakt ist, dass auf degenerierten Böden die Pflanzen ins Maul gedüngt werden müssen, um überhaupt gedeihen zu können. Wir hängen sozusagen an der Infusionsnadel der Agrarindustrie. Und Fakt ist auch, dass wir ohne die über Jahrmillionen entstandene und fein austarierte Natur das gesamte Gefüge aus dem Gleichgewicht bringen. Das massive Artensterben und der Biodiversitätsverlust sind sichtbares Zeichen dafür.
Gibt es also keinen anderen Weg? Ich meine doch. Statt unseres immerwährenden Kampfes gegen die Natur (“macht euch die Erde untertan”), sollten wir auf ein Miteinander setzen. Wir sind als Menschen Teil dieser wunderbaren Schöpfung, die wir nutzen dürfen, die wir im Gegenzug aber auch hegen und pflegen sollten.
Was wir brauchen ist eine multifunktionale Landwirtschaft, die sowohl Lebensmittel als auch Umweltgüter erzeugt und bewahrt. Wir müssen Systeme entwickeln, die auf Vielfalt setzen. Wir müssen unsere Böden, die Grundlage allen Lebens sind, gesund und lebendig erhalten. Die Zusammenhänge rund um das “Bodenmikrobiom” müssen erforscht, verstanden und in das landwirtschaftliche Handeln einfließen. Über ausgeklügelte Fruchtfolgen und standortangepasste Sorten können wir ohne den Einsatz von Chemie ein Gleichgewicht erhalten und so Ernährung und Umwelt sichern.
Das heißt nicht, dass wir auf technologischen Fortschritt verzichten sollten. Moderne Landtechnik, Digitalisierung, genomische Selektionsmethoden in der Pflanzen- und Tierzucht (bitte nicht verwechseln mit Neuen Genomischen Techniken), und viele weitere Erfindungen werden uns helfen, Ernährungssicherheit mit Umwelt- und Klimaschutz zu versöhnen.
Was wir nicht brauchen, sind Techniken, die Bäuerinnen und Bauern weltweit vermehrt in Abhängigkeiten führen. Techniken, die zu Monokulturen und in der Folge zu erhöhtem Dünger und Pestizideinsatz führen. Techniken, die eine kapitalintensive Landwirtschaft benötigen und somit nicht zu den Bedürfnissen kleinbäuerlicher Strukturen passt – 85 Prozente aller Höfe weltweit werden von Kleinbäuerinnen und -bauern bewirtschaftet.
Für all das stehen aus meiner Sicht die neuen gentechnischen Züchtungsverfahren. Die grüne Gentechnik ist letztlich ein Geschäftsmodell der Agrarindustrie, mit dem sie versucht, über Patente Bäuerinnen und Bauern in Abhängigkeiten zu bringen und an jedem Stück Brot, das gegessen wird, mitzuverdienen. Ernährung, Umwelt- und Klimaschutz ist existentielle Daseinsvorsorge und für das Überleben von Mensch und Tier unverzichtbar. Wir dürfen dieses Gut zugunsten einiger weniger Großkonzerne nicht aufgeben.
Hermann Färber hat so ziemlich alles von dem, was man sich unter einem Agrarpolitiker der Union vorstellt: Er ist Landwirt, katholisch, hat fünf Kinder, gehört dem Deutschen Bauernverband an und gewinnt seit zehn Jahren das Direktmandat für den baden-württembergischen Wahlkreis Göppingen. Sein Äußeres passt zum Steckbrief: Breites Kreuz, balkenhafte Augenbrauen und sogar im Bundestag im beigen Lodenjanker unterwegs.
Und doch beschreibt das den 60-Jährigen höchstens zu einem Teil. Diesen Politiker, der von sich sagt, er hinterfrage immer wieder, ob er noch flexibel genug sei im Kopf für seinen Job. Der in kleinen Runden viel zuhört und eher leise seine Meinung äußert. Und der auch mal einem jüngeren Kollegen von den Grünen zustimmt oder Überzeugungen der eigenen Partei infrage stellt.
Für die bessere Politik setzt Hermann Färber seinen Verstand und seine politische Vernunft ein. Er gibt sich nicht zufrieden mit einfachen Gewissheiten, sondern hört zu und lernt gerne dazu. Seine Partei zum Beispiel setzt sich für eine Deregulierung von grüner Gentechnik wie CriprCas ein, also von neuen Methoden zur Veränderung der DNA von Pflanzen. Auch Färber sieht darin Chancen, etwa wenn man Resistenzen gegen bestimmte Pilze oder Trockenheitsresilienzen züchten könnte. Eins sei aber klar, sagt er warnend: “Wenn hinterher Patente herauskommen, die Abhängigkeit schaffen, haben wir es falsch gemacht.”
Im Agrarbereich geht es viel um solche Abwägungen. Die Landwirtschaft, sagt der Landwirtschaftsmeister selbstkritisch, habe in manchen Bereichen den Bogen überspannt. Etwa was den Einsatz von Pestiziden angeht. Aber auch die Verteidiger des Naturschutzes seien dabei, zu überziehen. Neulich habe er eine Karte gesehen mit Pufferzonen um Naturschutzgebiete. In diesen Zonen sollen Imker ihre Bienen nicht mehr fliegen lassen, um die Konkurrenz zu Wildbienen zu vermeiden. Färber: “Wenn Nordrhein-Westfalen solche Pufferzonen errichtete, wie sie in zwei Gebieten in Baden-Württemberg schon existieren, dann ist NRW zu 90 Prozent beim Honig raus.”
Oder Agroforste, eigentlich ja eine gute Idee: Hecken und Bäume, die die Felder beschatten, die Wasser im Boden halten und Spatzen oder Zaunkönigen Unterschlupf bieten. Dem gegenüber stehe aber die Naturschutz-Richtlinie FFH (Flora-Fauna-Habitat). Die schieße über ihr Ziel hinaus: “Wenn ein Landwirt in seinem Agroforst oder in seiner Magerwiese dann nämlich eine geschützte Art hat, wird die Glasglocke drüber gestülpt und dann können weder er noch seine Kinder dieses Land je wieder bestellen.”
Vor kurzem sei so etwas einer Bekannten passiert. Sie hatte das Gelände eines aufgegebenen Industriebetriebs gekauft und auch schon eine Förderung erhalten, um da ihren Handwerksbetrieb zu erweitern. “Hermann, ich krieg’ einen Vogel”, habe sie gesagt, “wir sollen jetzt ein Gutachten erstellen, ob da nicht Eidechsen drauf sind, bevor wir bauen.” Da wolle sie lieber das Gelände eigenhändig umgraben.
Der CDU-Politiker Färber schätzt Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir persönlich durchaus. Allerdings ist der Grünen-Politiker aus der Sicht Färbers eingeklemmt zwischen zwei sehr unterschiedlichen Kraftfeldern in der Koalition. Einerseits Naturschützer, die alles dem Naturschutz unterordnen wollten, während Özdemir auch die Aufgabe habe, die Ernährung zu sichern. Und andererseits eine FDP, die alles dem freien Markt überlassen möchte. Das macht Özdemirs Arbeit aus Färbers Sicht schwierig.
Die Liberalen hätten selbst schon dreimal abgelehnt, das Bundeslandwirtschaftsministerium zu leiten, sagt Färber. Nun lehne die FDP – aus anderen Gründen als die Umweltschützer – alle Brückenschläge zwischen Natur und Landwirtschaft ab. Färber erinnert da vor allem an das Konsenspapier der “Zukunftskommission Landwirtschaft” aus dem Jahr 2021, ein Papier, in dem so unterschiedliche Akteure wie der Deutsche Bauernverband und der Verband der Bio-Bauern, Tierschützer, Ernährungsindustrievertreter, Verbraucherschützer und Wissenschaftler sich auf einen gemeinsamen Weg zur Transformation der Landwirtschaft verständigt haben. “Dieses Potenzial liegt brach.”
Zurück zur Zukunft: Als Färber ein Junge war, verschwanden die Hecken und mit ihnen die Rebhühner, die schon sein Vater so geliebt habe. Man nannte das Flurbereinigung. “Aber das war der Fortschritt damals, dass man mit den großen Maschen alles bearbeiten konnte.”
Und heute? Heute sehe man das alles anders. Was Hermann Färber vermisst, ist eine Zielvorstellung. “Wohin soll die Landwirtschaft?” Ohne diese Zielvorstellung, ohne Planungssicherheit bleibe das Geschäft der Bauern zu unsicher, würden noch mehr Kollegen aufgeben.
In Kenia, erzählt Färber, habe er gesehen, was passiert, wenn die Landwirtschaft sich nicht entwickelt. “Die haben Wissen verloren. Die müssen sogar wieder lernen, wie man kompostiert.” So krass, glaubt Färber, könne es auch hier kommen, wenn Deutschland und die EU sich nicht auf klare Ziele verständigen sollten.
Zum Dessert gibt es heute Fleisch. Keine Sorge, kein herkömmliches, sondern kultiviertes Fleisch aus dem 3D-Drucker. Immerhin kann jeder fünfte Bundesbürger sich vorstellen, so etwas zu essen. Das hat der Digitalverband Bitkom in einer Umfrage ermittelt. Vor vier Jahren seien es noch 13 Prozent gewesen.
Laborfleisch wird aus tierischen Zellen in einem Bioreaktor produziert und mithilfe eines 3D-Druckers zu fleischähnlicher Struktur geformt. Darum ist es erstaunlich, dass die Deutschen sich hier so offen zeigen. Denn immerhin spielt das Fleisch aus dem Bioreaktor in einer ganz anderen Liga als das Schnitzel auf Basis von Soja und Weizenprotein oder die veganen Wiener aus Erbsen- und Kartoffeleiweiß.
Doch die Botschaft ist angekommen: Wir müssen den Fleischkonsum reduzieren, sonst erreichen wir die Klimaziele der EU nicht. Denn die bisherigen Fleischlieferanten – allen voran das Rind – rülpsen und pupsen zu viel schädliches Methangas in die Atmosphäre. Fleisch aus dem Labor ist klimafreundlicher. “Sauberes Fleisch”, nennt es darum Petra Kluger, Vizepräsidentin Forschung an der Hochschule Reutlingen.
Mit der Farm-to-Fork-Strategie und der Verordnung 2015/2283 über neuartige Lebensmittel, genannt Novel Food, hat die EU die Ernährungswende bereits eingeleitet. Wer Laborfleisch anbieten möchte, braucht demnach eine Zulassung. Allerdings: Auch wenn der ökologische Fußabdruck von sauberem Fleisch geringer ist als von der natürlichen Variante, so verbraucht die Produktion von Muskelzellen im Bioreaktor dennoch viel Energie. Und die Gewinnung des benötigten Muskelgewebes per Biopsie ist für das Tier eine schmerzhafte Angelegenheit. Aber hier sind Lösungen in Sicht: grüne Energie und aus Nabelblut gewonnene Zellen.
Da in der EU noch kein Unternehmen eine Zulassung für Laborfleisch beantragt hat, wird es wohl so bald nicht auf dem Speisezettel stehen. Wenn es aber so weit ist, sind hochinteressante Spezialitäten denkbar – wie etwa Hackfleischbällchen aus Mammutfleisch. Das australische Start-up Vow, hat die schon einmal vorgebraten. Der Vorteil der Boulette: für diese Struktur ist nicht einmal ein 3D-Drucker erforderlich. Guten Appetit. Corinna Visser