Table.Briefing: Africa

Südafrika rückt an Russland heran + Afrika-Strategie: eine vertane Chance + Nestlé mitten im Kakaostreit

  • Südafrika gibt sich im Umgang mit Russland selbstbewusst
  • Bundesministerien in Strategiefragen zu wenig abgestimmt
  • 130 Millionen für mehr Nachhaltigkeit bei Kakao
  • Italiener investieren in Libyen acht Milliarden in Offshore-Gas
  • Nigerias Devisenreserven durch Gerichtsprozess in Gefahr
  • Afrikas Interesse an Biogas nimmt zu
Liebe Leserin, lieber Leser,

willkommen zur zweiten Ausgabe von Africa.Table, dem neuesten Professional Briefing von Table.Media. Künftig werden wir Sie jede Woche, immer dienstags, mit Informationen und Einblicken aus erster Hand über Afrika informieren.

Die deutsche Sicht auf Afrika ändert sich. Es rückt immer mehr in den Blick, wie beide Kontinente, Europa und Afrika, voneinander profitieren können und wie auch Afrika dazu beitragen kann, drängende Probleme in Deutschland zu lösen.

Ungeachtet dessen haben die Machthaber auf unserem Nachbarkontinent längst auch andere, neue Partner im Blick. Südafrika hat längst seine Beziehungen zu China ausgebaut und wendet sich nun Russland zu. Dies ist eine Wende, die uns geopolitisch beschäftigen muss, die aber auch direkte Auswirkungen auf die Wirtschaft in Südafrika haben wird. Mit diesen Fragen beschäftigt sich unser Südafrika-Korrespondent Andreas Sieren in Johannesburg.

Die Afrika-Strategie, die Entwicklungsministerin Svenja Schulze in der vergangenen Woche veröffentlicht hat, löste heftige Diskussionen aus. Ist sie ein Rückschritt in alte Denkmuster einer überkommenen Entwicklungshilfe, oder schafft sie im Gegenteil die Grundlage für eine neue Afrikapolitik? Wir bleiben an dieser Debatte dran und haben ein Gespräch mit Robert Kappel, einem der profundesten Kenner Afrikas und der deutschen Afrikapolitik, geführt. Er kommt dabei zu überraschenden Aussagen.

Nestlé will bei Kakao nachhaltiger werden und investiert dafür viele Millionen Euro. Wir haben uns die Nachhaltigkeitsstrategie des Nahrungsmittelkonzerns näher angeschaut.

Frankreich hat sein Ministerium für Zusammenarbeit – damit gemeint waren wie in Deutschland vor allem Beziehungen zu Afrika – vor einigen Jahren abgeschafft. Heute geht es vor allem um Wirtschaftsbeziehungen. Der französische Politikberater Jean-Louis Guigou fordert in seinem Gastbeitrag nicht weniger als einen integrierten Wirtschaftsraum Afrika-Mittelmeer-Europa.

Wir wünschen Ihnen neue Erkenntnisse mit dem Africa.Table.

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Ihr
Christian von Hiller
Bild von Christian  von Hiller

Analyse

Südafrika bandelt wieder mit Russland an

Als der russische Außenminister Sergei Lawrow kürzlich in Pretoria eintraf, wurde er als politischer “Freund” empfangen. Seine südafrikanische Amtskollegin Naledi Pandor verteidigte diesen Besuch: Südafrika könne “bilaterale Beziehungen haben, mit wem es wolle, ohne vom Westen zu etwas gezwungen zu werden.” In der zweiten Februarhälfte will Südafrika mit Russland und China vor Durban und Richards Bay sogar gemeinsame Marinemanöver durchführen.

Mit seiner  “neutralen” Position weiß sich Pretoria im Einklang mit einem großen Teil des afrikanischen Kontinents. Die meisten afrikanischen Länder wollen, wie Indien und China, in Russlands Krieg gegen die Ukraine keine Partei ergreifen; zumal Südafrika seit 2010 als einziges afrikanisches Land Mitglied von BRICS ist, einem Zusammenschluss der aufstrebenden Länder Brasilien, Russland, Indien, China und eben Südafrika.

Sanktionen gegen Russland abgelehnt

Die Annäherung an Russland kündigte sich bereits an: Als im vergangenen Oktober drei Viertel der Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen Russland verurteilten, enthielt sich Südafrika, so wie 18 der 54 afrikanischen Staaten. Macky Sall, Präsident von Senegal und Vorsitzender der Afrikanischen Union, hatte sich sogar für ein Ende der Sanktionen gegen Russland stark gemacht. Der Grund liegt auf der Hand: Senegal ist auf Dünger und Getreide aus Russland angewiesen.

Der südafrikanischen Außenministerin Pandor kam Lawrows Visite gelegen. In derselben Woche fand nämlich das 15. Ministertreffen zwischen der Europäischen Union und Südafrika statt. Auch der Außenbeauftragte der Europäischen Kommission, Josep Borell, reiste dafür in den Süden, genauso wie die amerikanische Finanzministerin Janet Yellen.

Die eine Seite gegen die andere ausspielen

Mit seiner Terminplanung konnte Südafrika demonstrieren, was es sich unter vorstellt: Die Regierung will mit allen zusammenarbeiten, sich aber von niemandem vereinnahmen lassen. Die entscheidende Frage ist stets: Was hat Südafrika von einer Zusammenarbeit? Vor allem auf dem Energiesektor haben die Russen interessante Vorschläge unterbreitet. Prompt zog auch Janet Yellen mit der Idee einer “Energiekooperation” nach. “Die USA zwängen niemanden, sich für eine Seite zu entscheiden”, betonte einer ihrer Mitarbeiter. Die EU wiederum bot Hilfe bei Südafrikas “Just Energy Transition” an, einem Programm zur Abkehr von fossilen Brennstoffen zu erneuerbarer Energie. Bisher liefert Kohle 77 Prozent der Energie Südafrikas.

So könne Südafrika nun die eine Seite gegen die andere ausspielen, um mehr Hilfe und Handel zu bekommen, analysiert Steven Gruzd, Forscher am SA Institute of International Affairs.

Christoph Plate von der Konrad-Adenauer-Stiftung in Johannesburg hält Russlands Auftreten für einen Teil von “Putins Propagandaoffensive”. Neben guten bilateralen Beziehungen zähle hierzu auch der Einsatz der russischen Söldnergruppe Wagner in verschiedenen Konflikten Afrikas wie auch Social-Media-Kampagnen und der Ausbau des russischen Staatssenders “RT”.

Alte Beziehungen mit Russland

Enge Beziehungen zwischen Moskau und der Regierungspartei Afrikanischer Nationalkongress (ANC) gab es schon zu Zeiten der Apartheid. Damals unterstützte Moskau den ANC mit Militärtraining, Geld und Waffen gegen die weißen Unterdrücker.

Das scheint wieder der Fall zu sein. Im vergangenen Dezember wurde bei Nacht und Nebel das russische Containerschiff “Lady R” in Simon’s Town, dem größten Marinestützpunkt Südafrikas in der Nähe von Kapstadt, entladen. Die Amerikaner vermuteten Waffenlieferungen. Es war auch nicht klar, womit das Schiff beladen war, als es wieder ablegte.

Zum Handel gehören auch Waffen

Russland sollte ursprünglich schon Südafrikas zweites Atomkraftwerk bauen. Frankreich und Großbritannien, die sich ebenfalls um den Auftrag bemüht hatten, gingen leer aus. Doch der 70 Milliarden Euro schwere Deal wurde 2018 eingestampft. Südafrika konnte den Atommeiler nicht finanzieren.

Auch der Handel entwickelt sich dürftig. Im Jahr 2021 importierte Südafrika Waren im Wert von 572 Million Euro aus Russland, beim Export liegt die Zahl bei 377 Millionen Euro. Der Handel mit Deutschland ist rund 20-mal so intensiv: 2021 exportierte Südafrika Waren im Wert von 8,6 Milliarden Euro nach Deutschland, beim Import waren es 6,9 Milliarden Euro.

Zum Handel zwischen Russland und Südafrika gehört offensichtlich auch Militärgerät. Fast die Hälfte aller Waffenlieferungen an afrikanische Länder kommen aus Russland. Damit ist Moskau der wichtigste Waffenlieferant des Kontinents. Bisher wurden die meisten südafrikanischen Marineschiffe auf norddeutschen Werften gebaut. Das muss nicht so bleiben. Russland steht schon als Alternative bereit. Andreas Sieren

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Afrika-Strategie des BMZ ist eine vertane Chance

Robert Kappel, Wirtschaftswissenschaftler und Afrika-Kenner

Herr Kappel, Afrika wird das 21. Jahrhundert prägen, heißt es im neuen Konzept des BMZ.  Findet sich das im Strategiepapier? 

Wenn man das mal in den Mittelpunkt gestellt hätte. So etwas muss sich dann auch an Perspektiven beweisen. Was wir brauchen, ist ein Plan für die künftige wirtschaftliche Zusammenarbeit. Doch Wirtschaftskooperation fehlt in der neuen Strategie fast völlig. Sie finden nichts zu der Frage, wie wir dem chinesischen Einfluss entgegenwirken wollen, aber viermal das Kürzel LGBT. Ich muss sagen: Dieses Konzept ist ein Rückschritt: zu wenig Perspektiven, zu unscharf. 

Das BMZ setzt stark auf sozial-ökologischen Wandel, eine feministische Entwicklungspolitik und Wertevermittlung. Sind das die richtigen Schwerpunkte? 

Die wirtschaftliche Dynamik des Kontinents wird viel zu wenig berücksichtigt. Das moderne Afrika ist in seiner Entwicklung viel weiter, als es in diesem paternalistischen Konzept erscheint. Bildung hat sich verbessert, es gibt Urbanisierung, eine wachsende Zahl von Unternehmen und Industrialisierung, Modernisierung der Landwirtschaft. Das genau ist die Schwäche dieser Strategie: Sie behandelt die Dynamik auf dem afrikanischen Kontinent nicht ausreichend. 

Wie reagieren die Afrikaner eigentlich auf dieses Papier? 

Das Erstaunen ist groß, dass schon wieder eine neue Strategie aus Deutschland kommt. In der afrikanischen Presse hat das zum Beispiel überhaupt kein Interesse gefunden. Wir sollten endlich akzeptieren, dass Afrika unseren bisherigen Approach in der Entwicklungspolitik nicht mehr will. Viele Staaten sind geradezu “entwicklungshilfemüde”. Sie wollen nicht mehr als Länder mit großem Nachholbedarf betrachtet werden, sondern als chancenreich. Genau das ist auch mein großer Kritikpunkt an dieser Strategie. 

Entwicklungspolitik müsste doch Teil eines Gesamtkonzepts sein, zu dem auch Wirtschafts- oder Sicherheitspolitik gehören. Es scheint allerdings, dass im Fall von Afrika die verschiedenen Ministerien wenig verzahnt sind?  

Ich halte es für ein großes Versäumnis der Bundesregierung, dass es bis heute kein gemeinsames Vorgehen gibt. Das erklärt auch, weshalb es erneut eine Schlagseite hin zur Entwicklungskooperation gibt. Immerhin verfügt das BMZ für 2023 über einen Etat von zwölf Milliarden Euro. Das Auswärtige Amt sollte doch an Geostrategie und Sicherheitsfragen interessiert sein, das Wirtschaftsministerium an Außenhandel und Unternehmertum. Und das muss zu einer gemeinsamen Strategie gebündelt werden. Aber nach wie vor wirkt die deutsche Entwicklungspolitik wie in einem Kokon gefangen. 

Was haben Sie gedacht, nachdem Sie die neue Afrika-Strategie gelesen hatten? 

Eine Unmenge Details, aber kein Gesamtkonzept. Ein Bauchladen teils interessanter, aber auch widersprüchlicher Ideen. Ehrlich gesagt, war ich ziemlich enttäuscht. 

  • Afrika-Strategie
  • BMZ
  • Entwicklungsarbeit
  • Wirtschaftspolitik

Nachhaltiger Zoff um Kakao von Nestlé

Kakaoanbau Afrika
Trocknung fermentierter Kakaobohnen, Elfenbeinküste

Der Nahrungsmittelkonzern Nestlé packt die großen Mittel aus: 130 Millionen Euro will er bis zum Jahr 2030 für Nachhaltigkeit im Kakaoanbau aufwenden. Dazu verfolgt er zwei Programme: den Nestlé Cocoa Plan und den Income Accelerator.

“100 Prozent des Kakaos, den wir in unserem Schokoladenwerk in Hamburg verarbeiten, stammen aus dem Nestlé Cocoa Plan, in den Nestlé jährlich 40 Millionen Euro investiert”, sagte eine Pressesprecherin. Dabei will der Konzern aber nicht stehen bleiben. Spätestens in zwei Jahren will Nestlé Kakao ausschließlich aus nachhaltig identifizierten Quellen beziehen. Die Lieferkette des Kakaos soll auf Bauern zurückverfolgt werden können, die von der US-Organisation Rainforest Alliance zertifiziert werden.

60 Prozent der Weltproduktion stammen aus Westafrika

Kakao verwertet Nestlé zum Beispiel in Müsli, Eiscreme und Schokoladeprodukten wie Nestlé, Riegeln wie Nuts, Lion und Kitkat oder in Produkten wie After Eight und Quality Street. Die Kakao-Pflanze hat zwar ihren Ursprung im Amazonasgebiet. Doch mehr als 60 Prozent der Weltproduktion stammen aus Elfenbeinküste und Ghana.

Mit seinen Kakao-Programmen wird Nestlé bei vielen Organisationen in Europa nicht punkten. Trotz des millionenschweren Engagements reißt die Kritik an Nestlé aber nicht ab. Ein häufiger Vorwurf lautet: Für Kakao werden wertvolle Wälder vernichtet. “Die Elfenbeinküste und Ghana haben bereits 90 Prozent des Waldes unter anderem durch den Kakaoanbau verloren”, meint etwa die Tierschutzorganisation WWF. Andere Kritikpunkte sind ein hoher Wasserverbrauch, Kinderarbeit und niedrige Einkommen für die Kleinbauern.

So bemängeln Kritiker, dass Kinderarbeit und die niedrigen Einkommen in den Nachhaltigkeitsstrategien der großen Konzerne eine untergeordnete Rolle spielten. Dabei soll gerade das Nestlé-Programm Income Accelerator dieses Problem angehen. Ungeachtet dessen hatte die Organisation International Right Advocates in den USA eine Sammelklage gegen mehrere Schokoladenhersteller eingereicht. Der Vorwurf: sie seien an Menschenhandel und Zwangsarbeit beteiligt.

Verhärtete Debatten

Ein riesiger Zoff spaltet die Beteiligten: Auf der einen Seite stehen die Konzerne und ihre Nachhaltigkeitsprogramme. Der US-Konzern Mars hat den Plan “Cocoa for Generations” aufgelegt, Mondelez den Plan “Cocoa Life”, Hershey’s den Plan “Cocoa for Good”.

Auf der anderen Seite stehen die Nachhaltigkeitsvertreter, die Konzerne in ihren Nachhaltigkeitsstrategien beraten oder die Einhaltung von entsprechenden Kriterien überwachen. Doch auch die Nachhaltigkeitsvertreter sind sich untereinander nicht grün. So wird Nestlé vorgeworfen, ausgerechnet die Rainforest Alliance einzubinden. Die Stiftung Warentest kritisiert, dass diese Organisation keine Mindestpreise für Produkte vorgebe. Bemängelt wird auch, dass die Umweltstandards der Rainforest Alliance niedriger seien als die des Fairtrade-Siegels oder der EU-Bio-Standards.

Genau dies wiederum kritisieren aber die afrikanischen Vertreter in den Anbauländern. Sie werfen den Nachhaltigkeitsagenturen vor, Vorgaben zu machen, die sich an Wunschvorstellungen der entwickelten Länder orientieren, aber an den Realitäten in Afrika vorbeigingen.

Kritik an den Kritikern aus Afrika selbst

Den Vorwurf, dass für Agrarprodukte Wälder gerodet werden, weist der Unternehmer Jean-Louis Billon von sich. Er ist Gründer von Palmci, dem größten Plantagenbetreiber in Westafrika für Palmöl, Kakao und Kautschuk mit Sitz in Abidjan. “Schon lange dürfen in Elfenbeinküste keine Wälder für Plantagen gerodet werden”, sagt Billon uns im Gespräch.

Der Druck auf die Wälder komme heute eher daher, dass die Menschen Brennholz benötigten. Rodungen seien auch gar nicht notwendig, meint Billon. Denn viele Plantagen, vor allem in Nigeria, lägen brach und könnten jederzeit reaktiviert werden.

Afrikanische Anleger urteilen anders als europäische

Die drei Parteien – Nahrungskonzerne, Nachhaltigkeitsvertreter und afrikanische Betroffene – stehen sich unversöhnlich gegenüber. Eine Einigung über Ziele und ein gemeinsames Vorgehen scheint in weiter Ferne. Viele Fragen sind ungeklärt, zum Beispiel, an welchen Werten sich eine Nachhaltigkeitsstrategie für Tropenprodukte orientieren soll.

Dass afrikanische Anleger Nestlé anders beurteilen als europäische, zeigt auch ein Blick auf die Aktienkurse: An der Börse Abidjan in Elfenbeinküste ist die Aktie von Nestlé Côte d’Ivoire in den vergangenen zwölf Monaten um mehr als 30 Prozent gestiegen. Soviel Wohlwollen schlägt dem Mutterkonzern Nestlé an der Börse Zürich nicht entgegen: Dort ist der Aktienkurs seit Ende Januar vergangenen Jahres um mehr als 7 Prozent gefallen.

Palmci hat übrigens an der Börse zuletzt am stärksten überzeugt: Der Aktienkurs ist in den vergangenen zwölf Monaten an der Börse Abidjan sogar um 37 Prozent gestiegen.

  • Elfenbeinküste
  • Ghana
  • Nachhaltigkeit
  • Nestlé

Standpunkt

Plädoyer für eine Wirtschaftsregion Afrika-Mittelmeer-Europa

Von Jean-Louis Guigou
Jean-Louis Guigou, Präsident des französischen Think Tank IPEMED
Jean-Louis Guigou ist Präsident des Think Tank IPEMED in Paris.

Der Journalist Alain Frachon brachte es kürzlich in “Le Monde” auf den Punkt: “Vierzig Jahre weltweiter Globalisierung gehen zu Ende.” In der Tat fragmentiert sich die Globalisierung durch eine steigende Zahl regionaler Kooperationen. So entstehen Süd-Nord-Vertikale, in denen der Süden oft reich an Rohstoffen, Energie und Bevölkerung ist und der Norden den einkommensstarken Teil stellt. So geschieht es zwischen Nord- und Südamerika, und so geschieht es in Asien zwischen Japan und China im Norden und den Ländern im Süden. Europa dagegen hat seinem großen Nachbarkontinent im Süden bisher zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt.

Dabei sind Afrika, die Mittelmeerregion und Europa mehr denn je aufeinander angewiesen. Dem Norden mangelt es an Energie, Rohstoffen und jungen Menschen. Das alles bietet Afrika. Gleichzeitig müssen Sicherheit, Solidarität, Migration, Energiewende und Terrorismus gemeinsam angegangen werden. Dabei darf die Region Mittelmeer nicht übergegangen werden. Sie hat starke Verbindungen sowohl nach Afrika wie nach Europa.

Es liegt im Interesse Europas, den Ländern des Mittelmeerraums und Afrikas ein ambitioniertes Projekt vorzuschlagen: eine große Wirtschaftsregion Afrika-Mittelmeer-Europa zu schaffen und neben Amerika und Asien eine dritte Vertikale aufzubauen.

Noch ein weiter Weg

Auch Afrika hat ein Interesse daran, seine Zukunft mit Europa zu suchen, denn wie mir ein afrikanischer Staatschef kürzlich sagte: “Die Vertikale erlaubt mir, die USA und China als gelegentliche Partner Afrikas zu betrachten, während Europa unser natürlicher Partner ist.”

Die Geschichte, die wirtschaftlichen Notwendigkeiten und der gesunde Menschenverstand sprechen für eine Annäherung der drei Regionen. Dies hat auch Frankreichs Präsident Emmanuel Macron in seiner berühmten Rede im August 2017 deutlich gemacht.

Wir sind noch weit von einer solchen Vertikale entfernt. Die Europäer beklagen in Afrika nach wie vor Korruption, Unterentwicklung und politische Instabilität. Die Afrikaner verweisen auf Kolonialismus, Raubbau und Selbstgefälligkeit.

Der emotionale und erinnerungsbedingte Graben zwischen Europa und Afrika ist tief. Im Jahr 1918 waren 52 von heute 54 afrikanischen Ländern von den Europäern besetzt. Die Geschichte des Sklavenhandels und der Kolonialisierung, aber auch die Nachkolonialisierung stehen zwischen den beiden Kontinenten.

Mobilisierung der Eliten

Damit die schmerzhafte Vergangenheit überwunden werden kann, braucht es ein ehrgeiziges Projekt. Nur die langfristige Mobilisierung der Eliten, der afrikanischen Experten und der Unternehmer aus dem Mittelmeerraum und aus Europa bieten die Chance für einen Neuanfang. Die Themen möglicher Kooperation sind vielfältig: Energie, Wasser, Ernährung, Gesundheit, Bildung, Mobilität, Logistik, die ökologische Wende.

Dabei fällt den Unternehmen eine strategische Rolle zu, denn die Afrikaner wollen sich industrialisieren und die reichlich vorhandenen Rohstoffe des Kontinents vor Ort verarbeiten. Das bringt Wertschöpfung nach Afrika, schafft Arbeitsplätze und verringert Migration. Der Schlüssel zu Afrikas Industrialisierung sind, wie vor 40 Jahren in China, Sonderwirtschaftszonen, spezialisierte Gewerbeparks, in denen Energie, Internet, Logistik und ausländische Investitionen gebündelt werden.

Europäer ergänzen sich

Derzeit gibt es 237 solcher Sonderwirtschaftszonen in Afrika. Viele sind schlecht geführt und von der lokalen Industrie abgeschnitten. Einige von ihnen sind Freihandelszonen oder gar rechtsfreie Räume. Beim Aufbau einer neuen Generation von Sonderwirtschaftszonen kann die europäische Industrie eine strategische Rolle spielen, indem sie den afrikanischen Staatschefs vorschlägt, Sonderwirtschaftszonen zu schaffen, die inklusiv, nachhaltig, sicher und gerecht sind.

Deutschland, Frankreich und die anderen europäischen Länder haben alle unterschiedliche Schwerpunkte und Fähigkeiten. Wir Europäer ergänzen uns mehr, als dass wir uns in Afrika Konkurrenz machen. Deshalb sollten wir unsere Kräfte bündeln. Die deutsche Industrie sollte gemeinsam mit Frankreich und anderen europäischen Ländern die Wirtschaft Afrikas radikal umgestalten, aber auch Wachstumspfade für die europäische Wirtschaft in Afrika finden. Das wäre ein großes Projekt für den Zusammenhalt Europas und für den Zusammenhalt Europas mit dem globalen Süden.

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  • Infrastruktur
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News

Eni investiert acht Milliarden Dollar in libysches Offshore-Gas

Der italienische Energiekonzern Eni wird gemeinsam mit dem libyschen Staatsunternehmen National Oil Corporation acht Milliarden Dollar in die Förderung von Erdgas im Mittelmeer investieren, teilte die Finanznachrichtenagentur Bloomberg mit. Die geplante Investition ist die größte in Libyen seit Jahren. Erschlossen werden sollen zwei neue Gasfelder mit einer Kapazität von insgesamt 24 Millionen Kubikmeter pro Tag. Mit dem Projekt festigt Eni seine Strategie, die ausfallenden Gaslieferungen aus Russland durch Beteiligungen an neuen Gasfeldern auszubauen. Der Energiekonzern fördert auch in Ägypten und Algerien bereits Erdgas. ajs

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  • Italien
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DR Kongo: Zuschlag für millionenschweres Methanprojekt

Die Regierung der DR Kongo hat drei nordamerikanischen Unternehmen Lizenzen zur Verstromung von Methan im Kivusee erteilt. Den Zuschlag erhielten die kanadische Alfajiri Energy sowie die US-amerikanischen Unternehmen Winds Exploration and Production LLC und Symbion Power, so das Magazin African Business. Symbion verstromt an der ruandischen Ostküste des Sees bereits seit 2016 Methan.

Das Wasser des Kivusees ist ab einer Tiefe von etwa 400 Metern so reich an Methan, dass eine umfassende Verstromung über einen Zeitraum von 50 Jahren eine Leistung von etwa 700 Megawatt produzieren könnte. Da die Förderung von Methan aber erhebliche Umweltschäden verursachen kann, ist entsprechendes Know-how unerlässlich. Die Produktion im Kongo soll 2024 starten und eine Kapazität von 60 Megawatt bereitstellen. Symbion rechnet mit einem Investment von mindestens 300 Millionen Dollar. Auch der Aufbau eines eigenen Stromnetzes wird erwogen. ajs

  • DR Kongo
  • Energie
  • Gas
  • Methan

Milliardenprozess bedroht Nigerias Devisenreserven

Ein Rechtsstreit zwischen der nigerianischen Regierung und einer Rohstoffgesellschaft mit Sitz auf den Britischen Jungferninseln könnte massive Folgen für die Finanzen des Landes haben, berichtet das Wirtschaftsmagazin African Business. In dem seit Jahren in London schwelenden Verfahren geht es um die Frage, ob sich die Rohstoffgesellschaft Process & Industrial Development Ltd. (P&ID) einen Erdgas-Auftrag durch Korruption erschlichen hat. P&ID hatte 2017 erfolgreich gegen die Regierung geklagt und dabei eine Entschädigungszahlung von 6,6 Milliarden Dollar zugesprochen bekommen. Die nigerianische Regierung legte dagegen erfolgreich Berufung ein, da P&ID falsche Tatsachen vorgetäuscht hatte. Nun beginnt der Berufungsprozess im Januar. Inzwischen ist die Forderung inklusive Zinsen auf über 11 Milliarden Dollar angewachsen. Das ist etwa ein Drittel der nigerianischen Devisenreserven, das Prozessrisiko bedroht deshalb auch die nigerianische Wirtschaft. ajs

  • Energie
  • Erdgas
  • Nigeria

AfDB sagt zehn Milliarden Dollar für Ernährungssicherheit zu

Die Afrikanische Entwicklungsbank (AfDB) wird in den nächsten fünf Jahren zehn Milliarden Dollar in die Lebensmittelproduktion auf dem Kontinent investieren. Dies kündigte ihr Präsident Akinwumi Adesina beim African Food Summit in Dakar an. Die Milliardeninvestitionen sollen die Ernährungssicherheit gewährleisten und Afrikas Abhängigkeit von Lebensmittelimporten verringern. Dies sei längst überfällig und notwendig, um die Souveränität des afrikanischen Kontinents zu sichern und auf das rasante Bevölkerungswachstum zu reagieren. Auch die von Corona-Krise und Ukraine-Krieg verursachten Preissteigerungen und Lieferkettenprobleme sollen durch eine bessere afrikanische Selbstversorgung abgemildert werden. Adesina geht davon aus, dass die Produktion von Lebensmitteln in Afrika bis 2030 ein Volumen von einer Billion Dollar erreichen kann. ajs

  • AfDB
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  • Ernährungssicherheit
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Presseschau

NZZ: Afrikanische Gesundheitssysteme nicht auf nächste Pandemie vorbereitet. Obwohl viele Länder des Kontinents die Corona-Pandemie relativ glimpflich überstanden haben, zeigen sich afrikanische Gesundheitsexperten besorgt über den Zustand der Gesundheitssysteme. Bei Personal, Budget, Material und Therapeutika sei Afrika nicht gut für die nächste Pandemie gerüstet.

taz: Ruanda und Kongo am Rande des Krieges. Der Konflikt zwischen Ruanda und seinem Nachbarn DR Kongo spitzt sich weiter zu. Der Militärgouverneur der kongolesischen Provinz Nord-Kivu befürchtet den Ausbruch eines offenen Krieges. Ein kongolesischer Kampfjet soll in den ruandischen Luftraum eingedrungen sein und wurde daraufhin beschossen. Kongo bestreitet den Grenzübertritt und wirft seinerseits Ruanda vor, die Grenzstadt Goma vom Rest des Landes abschneiden zu wollen.

Jeune Afrique: Kalte Dusche für afrikanische Fintechs. Die Begeisterung, die internationale Investoren in den vergangenen Jahren für afrikanische Fintechs gezeigt habe, kühlt sich offenbar ab. Startup-Unternehmen stießen auf zunehmend schwierige Finanzierungsbedingungen. Das in Paris erscheinende Magazin bezieht sich in seiner Analyse vor allem auf Fintechs in Nigeria und bezeichnet diese Abkühlung als eine “notwendige Ernüchterung”.

Le Monde: Investitionen in afrikanische Straßen erforderlich. Afrika leidet unter einer erschreckend hohen Zahl an Verkehrstoten. Die Quote liegt bei 27 Verkehrstoten auf 100.000 Menschen, in Europa sind es sechs. Ursache ist der schlechte Zustand der Straßen: Tiefe Schlaglöcher, überladene Lastwagen und Haustiere auf der Fahrbahn machen eine Autofahrt in Afrika häufig zum Risiko. Dieser Zustand erfordert laut der französischen Tageszeitung hohe Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur.

African Business – Wie Afrika vom Rohstoffboom profitieren kann. Der weltweite Hunger nach Rohstoffen birgt für den afrikanischen Kontinent enorme Chancen. Eine Besinnung auf die geopolitische Bedeutung des Sektors und entsprechende Investitionen können dazu beitragen, dass sich Afrika stärker emanzipiert.

Heads

Manfred Schweda – Pionier der Energiewende in Marokko

Manfred Schweda, Gründer von MS Conex und Generizon
Manfred Schweda, Unternehmensgründer in Marokko.

Manfred Schweda ist schwer zu erreichen. Seine Arbeitswoche scheint dicht gedrängt. Er kommt aus einer langen Besprechung im Ministerium für die Energiewende in Marokkos Hauptstadt Rabat. Mehrere Stunden lang hat Schweda eine 255 Seiten dicke Studie vorgestellt. Das Thema: Wie sich organischer Abfall für die Strom- oder Dampferzeugung nutzen lässt. “Zehn Jahre lang habe ich darum gekämpft, Biogas in Marokko bekannt zu machen”, sagt der Österreicher, der seit mehr als 15 Jahren in Marokko lebt. “Jetzt bekommen wir endlich die Aufmerksamkeit, die dieses Thema verdient.”

Biogas kann einen entscheidenden Beitrag zur Energieversorgung Afrikas leisten. Das war der Grundgedanke, als Schweda 2013 erst mit dem Beratungsunternehmen MS Conex in Marokko startete und im Jahr 2015 die Vertriebsgesellschaft Generizon gründete. In Afrika besteht Müll zu großen Teilen aus organischem Abfall: aus Küchenabfällen, Pflanzenresten und Tierrückständen. Auf dem Land verwerten die Menschen den Abfall zu Kompost. In den Städten jedoch ist der Müll eines der drängendsten Probleme des Kontinents.

Vom Kapitalmarktgeschäft in die Sinnkrise

Dass Schweda ausgerechnet in Marokko Unternehmer wurde, ist Teil seiner Lebensgeschichte. Im Jahr 1964 wurde er in Wien geboren und absolvierte sein Studium an der renommierten Wirtschaftsuniversität (WU) in Wien. Anschließend wurde er Händler für Zinsderivate bei der Girocredit in Wien, der Bankgesellschaft Berlin, der Dresdner Bank in Frankfurt und der First National Bank of Chicago in London. Anfangs genoss er dieses Leben, die Schnelligkeit, den Stress und das viele Geld, das er verdiente. Dann kam die Sinnkrise. “Wenn Du Dir immer alles kaufen kannst, was Du gerade willst, dann wird Dein Leben irgendwann leer”, sagt er im Rückblick.

Schweda schmiss den Job hin und begann ein neues Abenteuer, This Fab Trek. Jahrelang fuhr er mit einem dreiachsigen Land Rover durch Westafrika, mit Marokko als seiner Basis. Dann dehnte er seine Touren über den gesamten Erdball aus. Neun Jahre währte dieses Abenteuer. Dann ließ er sich in Casablanca nieder und engagierte sich für Biogas.

Zehn Jahre Überzeugungsarbeit

“Die ersten Jahre waren hart, sehr hart”, sagt Schweda. Zehn Jahre Überzeugungsarbeit liegen hinter ihm. Anfangs interessierte sich niemand in Marokko für Biogas. Dabei war das Königreich Vorreiter in Afrika für die Nutzung von Wind und Solarkraft. Nahe der Stadt Ouarzazate im Süden des Landes entstand ein riesiges Solarkraftwerk mit einer Gesamtleistung von 2000 Megawatt.

Doch Biogas kam in den Plänen des Königs für erneuerbare Energie nicht vor. Aus gutem Grund: “Biogas allein bringt nicht viel”, meint auch Schweda. “Es muss in ein Gesamtkonzept für die Verwertung von organischem Abfall integriert werden.” Strom aus Biogas ist meist etwas teurer als der aus anderen Energiequellen und konnte deshalb nicht mit anderen Energiequellen konkurrieren.

“Biogas muss im Verbund mit dem Müllproblem gesehen werden”, sagt Schweda. “Und eine Regierung muss den Willen haben, das Müllproblem im Land anzugehen.” Das war bei den meisten Regierungen in Afrika bisher nicht der Fall. Doch nun entdeckt Marokko als erstes Land in Afrika, welches Potenzial in Biogas steckt.

Auch andere Länder entdecken Biogas

Diesen Sinneswandel bekommt Schweda nun zu spüren. Das Ministerium für die Energiewende hat ein großes Programm aufgelegt, um aus organischem Müll das Biogas zu gewinnen und daraus Strom zu erzeugen. MS Conex ist bei diesem Wandel vorne dabei und hat für das Ministerium nun gerade die zweite große Studie fertiggestellt. Jetzt soll ein Konzeptpapier folgen. “Das ist ein gutes Gefühl, nach all diesen schwierigen Jahren zu sehen, dass die Dinge jetzt in Bewegung kommen”, sagt Schweda.

So beginnen nun die ersten Kommunen im Land, nachhaltige Abfallkonzepte und den Bau von Biogasanlagen zu verfolgen. Bald werden die ersten Ausschreibungen veröffentlicht, an denen sich auch Generizon beteiligen will.

Angesichts der weltweit hohen Energiepreise beginnen auch andere Länder, sich für neue Energiequellen zu interessieren, Senegal etwa. Deshalb ist sich Schweda sicher: “In das Thema Biogas kommt jetzt in ganz Afrika Bewegung.” Christian von Hiller

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  • Erneuerbare Energien
  • Marokko

Table.Africa Redaktion

AFRICA.TABLE REDAKTION

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    Die deutsche Sicht auf Afrika ändert sich. Es rückt immer mehr in den Blick, wie beide Kontinente, Europa und Afrika, voneinander profitieren können und wie auch Afrika dazu beitragen kann, drängende Probleme in Deutschland zu lösen.

    Ungeachtet dessen haben die Machthaber auf unserem Nachbarkontinent längst auch andere, neue Partner im Blick. Südafrika hat längst seine Beziehungen zu China ausgebaut und wendet sich nun Russland zu. Dies ist eine Wende, die uns geopolitisch beschäftigen muss, die aber auch direkte Auswirkungen auf die Wirtschaft in Südafrika haben wird. Mit diesen Fragen beschäftigt sich unser Südafrika-Korrespondent Andreas Sieren in Johannesburg.

    Die Afrika-Strategie, die Entwicklungsministerin Svenja Schulze in der vergangenen Woche veröffentlicht hat, löste heftige Diskussionen aus. Ist sie ein Rückschritt in alte Denkmuster einer überkommenen Entwicklungshilfe, oder schafft sie im Gegenteil die Grundlage für eine neue Afrikapolitik? Wir bleiben an dieser Debatte dran und haben ein Gespräch mit Robert Kappel, einem der profundesten Kenner Afrikas und der deutschen Afrikapolitik, geführt. Er kommt dabei zu überraschenden Aussagen.

    Nestlé will bei Kakao nachhaltiger werden und investiert dafür viele Millionen Euro. Wir haben uns die Nachhaltigkeitsstrategie des Nahrungsmittelkonzerns näher angeschaut.

    Frankreich hat sein Ministerium für Zusammenarbeit – damit gemeint waren wie in Deutschland vor allem Beziehungen zu Afrika – vor einigen Jahren abgeschafft. Heute geht es vor allem um Wirtschaftsbeziehungen. Der französische Politikberater Jean-Louis Guigou fordert in seinem Gastbeitrag nicht weniger als einen integrierten Wirtschaftsraum Afrika-Mittelmeer-Europa.

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    Als der russische Außenminister Sergei Lawrow kürzlich in Pretoria eintraf, wurde er als politischer “Freund” empfangen. Seine südafrikanische Amtskollegin Naledi Pandor verteidigte diesen Besuch: Südafrika könne “bilaterale Beziehungen haben, mit wem es wolle, ohne vom Westen zu etwas gezwungen zu werden.” In der zweiten Februarhälfte will Südafrika mit Russland und China vor Durban und Richards Bay sogar gemeinsame Marinemanöver durchführen.

    Mit seiner  “neutralen” Position weiß sich Pretoria im Einklang mit einem großen Teil des afrikanischen Kontinents. Die meisten afrikanischen Länder wollen, wie Indien und China, in Russlands Krieg gegen die Ukraine keine Partei ergreifen; zumal Südafrika seit 2010 als einziges afrikanisches Land Mitglied von BRICS ist, einem Zusammenschluss der aufstrebenden Länder Brasilien, Russland, Indien, China und eben Südafrika.

    Sanktionen gegen Russland abgelehnt

    Die Annäherung an Russland kündigte sich bereits an: Als im vergangenen Oktober drei Viertel der Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen Russland verurteilten, enthielt sich Südafrika, so wie 18 der 54 afrikanischen Staaten. Macky Sall, Präsident von Senegal und Vorsitzender der Afrikanischen Union, hatte sich sogar für ein Ende der Sanktionen gegen Russland stark gemacht. Der Grund liegt auf der Hand: Senegal ist auf Dünger und Getreide aus Russland angewiesen.

    Der südafrikanischen Außenministerin Pandor kam Lawrows Visite gelegen. In derselben Woche fand nämlich das 15. Ministertreffen zwischen der Europäischen Union und Südafrika statt. Auch der Außenbeauftragte der Europäischen Kommission, Josep Borell, reiste dafür in den Süden, genauso wie die amerikanische Finanzministerin Janet Yellen.

    Die eine Seite gegen die andere ausspielen

    Mit seiner Terminplanung konnte Südafrika demonstrieren, was es sich unter vorstellt: Die Regierung will mit allen zusammenarbeiten, sich aber von niemandem vereinnahmen lassen. Die entscheidende Frage ist stets: Was hat Südafrika von einer Zusammenarbeit? Vor allem auf dem Energiesektor haben die Russen interessante Vorschläge unterbreitet. Prompt zog auch Janet Yellen mit der Idee einer “Energiekooperation” nach. “Die USA zwängen niemanden, sich für eine Seite zu entscheiden”, betonte einer ihrer Mitarbeiter. Die EU wiederum bot Hilfe bei Südafrikas “Just Energy Transition” an, einem Programm zur Abkehr von fossilen Brennstoffen zu erneuerbarer Energie. Bisher liefert Kohle 77 Prozent der Energie Südafrikas.

    So könne Südafrika nun die eine Seite gegen die andere ausspielen, um mehr Hilfe und Handel zu bekommen, analysiert Steven Gruzd, Forscher am SA Institute of International Affairs.

    Christoph Plate von der Konrad-Adenauer-Stiftung in Johannesburg hält Russlands Auftreten für einen Teil von “Putins Propagandaoffensive”. Neben guten bilateralen Beziehungen zähle hierzu auch der Einsatz der russischen Söldnergruppe Wagner in verschiedenen Konflikten Afrikas wie auch Social-Media-Kampagnen und der Ausbau des russischen Staatssenders “RT”.

    Alte Beziehungen mit Russland

    Enge Beziehungen zwischen Moskau und der Regierungspartei Afrikanischer Nationalkongress (ANC) gab es schon zu Zeiten der Apartheid. Damals unterstützte Moskau den ANC mit Militärtraining, Geld und Waffen gegen die weißen Unterdrücker.

    Das scheint wieder der Fall zu sein. Im vergangenen Dezember wurde bei Nacht und Nebel das russische Containerschiff “Lady R” in Simon’s Town, dem größten Marinestützpunkt Südafrikas in der Nähe von Kapstadt, entladen. Die Amerikaner vermuteten Waffenlieferungen. Es war auch nicht klar, womit das Schiff beladen war, als es wieder ablegte.

    Zum Handel gehören auch Waffen

    Russland sollte ursprünglich schon Südafrikas zweites Atomkraftwerk bauen. Frankreich und Großbritannien, die sich ebenfalls um den Auftrag bemüht hatten, gingen leer aus. Doch der 70 Milliarden Euro schwere Deal wurde 2018 eingestampft. Südafrika konnte den Atommeiler nicht finanzieren.

    Auch der Handel entwickelt sich dürftig. Im Jahr 2021 importierte Südafrika Waren im Wert von 572 Million Euro aus Russland, beim Export liegt die Zahl bei 377 Millionen Euro. Der Handel mit Deutschland ist rund 20-mal so intensiv: 2021 exportierte Südafrika Waren im Wert von 8,6 Milliarden Euro nach Deutschland, beim Import waren es 6,9 Milliarden Euro.

    Zum Handel zwischen Russland und Südafrika gehört offensichtlich auch Militärgerät. Fast die Hälfte aller Waffenlieferungen an afrikanische Länder kommen aus Russland. Damit ist Moskau der wichtigste Waffenlieferant des Kontinents. Bisher wurden die meisten südafrikanischen Marineschiffe auf norddeutschen Werften gebaut. Das muss nicht so bleiben. Russland steht schon als Alternative bereit. Andreas Sieren

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    Afrika-Strategie des BMZ ist eine vertane Chance

    Robert Kappel, Wirtschaftswissenschaftler und Afrika-Kenner

    Herr Kappel, Afrika wird das 21. Jahrhundert prägen, heißt es im neuen Konzept des BMZ.  Findet sich das im Strategiepapier? 

    Wenn man das mal in den Mittelpunkt gestellt hätte. So etwas muss sich dann auch an Perspektiven beweisen. Was wir brauchen, ist ein Plan für die künftige wirtschaftliche Zusammenarbeit. Doch Wirtschaftskooperation fehlt in der neuen Strategie fast völlig. Sie finden nichts zu der Frage, wie wir dem chinesischen Einfluss entgegenwirken wollen, aber viermal das Kürzel LGBT. Ich muss sagen: Dieses Konzept ist ein Rückschritt: zu wenig Perspektiven, zu unscharf. 

    Das BMZ setzt stark auf sozial-ökologischen Wandel, eine feministische Entwicklungspolitik und Wertevermittlung. Sind das die richtigen Schwerpunkte? 

    Die wirtschaftliche Dynamik des Kontinents wird viel zu wenig berücksichtigt. Das moderne Afrika ist in seiner Entwicklung viel weiter, als es in diesem paternalistischen Konzept erscheint. Bildung hat sich verbessert, es gibt Urbanisierung, eine wachsende Zahl von Unternehmen und Industrialisierung, Modernisierung der Landwirtschaft. Das genau ist die Schwäche dieser Strategie: Sie behandelt die Dynamik auf dem afrikanischen Kontinent nicht ausreichend. 

    Wie reagieren die Afrikaner eigentlich auf dieses Papier? 

    Das Erstaunen ist groß, dass schon wieder eine neue Strategie aus Deutschland kommt. In der afrikanischen Presse hat das zum Beispiel überhaupt kein Interesse gefunden. Wir sollten endlich akzeptieren, dass Afrika unseren bisherigen Approach in der Entwicklungspolitik nicht mehr will. Viele Staaten sind geradezu “entwicklungshilfemüde”. Sie wollen nicht mehr als Länder mit großem Nachholbedarf betrachtet werden, sondern als chancenreich. Genau das ist auch mein großer Kritikpunkt an dieser Strategie. 

    Entwicklungspolitik müsste doch Teil eines Gesamtkonzepts sein, zu dem auch Wirtschafts- oder Sicherheitspolitik gehören. Es scheint allerdings, dass im Fall von Afrika die verschiedenen Ministerien wenig verzahnt sind?  

    Ich halte es für ein großes Versäumnis der Bundesregierung, dass es bis heute kein gemeinsames Vorgehen gibt. Das erklärt auch, weshalb es erneut eine Schlagseite hin zur Entwicklungskooperation gibt. Immerhin verfügt das BMZ für 2023 über einen Etat von zwölf Milliarden Euro. Das Auswärtige Amt sollte doch an Geostrategie und Sicherheitsfragen interessiert sein, das Wirtschaftsministerium an Außenhandel und Unternehmertum. Und das muss zu einer gemeinsamen Strategie gebündelt werden. Aber nach wie vor wirkt die deutsche Entwicklungspolitik wie in einem Kokon gefangen. 

    Was haben Sie gedacht, nachdem Sie die neue Afrika-Strategie gelesen hatten? 

    Eine Unmenge Details, aber kein Gesamtkonzept. Ein Bauchladen teils interessanter, aber auch widersprüchlicher Ideen. Ehrlich gesagt, war ich ziemlich enttäuscht. 

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    Nachhaltiger Zoff um Kakao von Nestlé

    Kakaoanbau Afrika
    Trocknung fermentierter Kakaobohnen, Elfenbeinküste

    Der Nahrungsmittelkonzern Nestlé packt die großen Mittel aus: 130 Millionen Euro will er bis zum Jahr 2030 für Nachhaltigkeit im Kakaoanbau aufwenden. Dazu verfolgt er zwei Programme: den Nestlé Cocoa Plan und den Income Accelerator.

    “100 Prozent des Kakaos, den wir in unserem Schokoladenwerk in Hamburg verarbeiten, stammen aus dem Nestlé Cocoa Plan, in den Nestlé jährlich 40 Millionen Euro investiert”, sagte eine Pressesprecherin. Dabei will der Konzern aber nicht stehen bleiben. Spätestens in zwei Jahren will Nestlé Kakao ausschließlich aus nachhaltig identifizierten Quellen beziehen. Die Lieferkette des Kakaos soll auf Bauern zurückverfolgt werden können, die von der US-Organisation Rainforest Alliance zertifiziert werden.

    60 Prozent der Weltproduktion stammen aus Westafrika

    Kakao verwertet Nestlé zum Beispiel in Müsli, Eiscreme und Schokoladeprodukten wie Nestlé, Riegeln wie Nuts, Lion und Kitkat oder in Produkten wie After Eight und Quality Street. Die Kakao-Pflanze hat zwar ihren Ursprung im Amazonasgebiet. Doch mehr als 60 Prozent der Weltproduktion stammen aus Elfenbeinküste und Ghana.

    Mit seinen Kakao-Programmen wird Nestlé bei vielen Organisationen in Europa nicht punkten. Trotz des millionenschweren Engagements reißt die Kritik an Nestlé aber nicht ab. Ein häufiger Vorwurf lautet: Für Kakao werden wertvolle Wälder vernichtet. “Die Elfenbeinküste und Ghana haben bereits 90 Prozent des Waldes unter anderem durch den Kakaoanbau verloren”, meint etwa die Tierschutzorganisation WWF. Andere Kritikpunkte sind ein hoher Wasserverbrauch, Kinderarbeit und niedrige Einkommen für die Kleinbauern.

    So bemängeln Kritiker, dass Kinderarbeit und die niedrigen Einkommen in den Nachhaltigkeitsstrategien der großen Konzerne eine untergeordnete Rolle spielten. Dabei soll gerade das Nestlé-Programm Income Accelerator dieses Problem angehen. Ungeachtet dessen hatte die Organisation International Right Advocates in den USA eine Sammelklage gegen mehrere Schokoladenhersteller eingereicht. Der Vorwurf: sie seien an Menschenhandel und Zwangsarbeit beteiligt.

    Verhärtete Debatten

    Ein riesiger Zoff spaltet die Beteiligten: Auf der einen Seite stehen die Konzerne und ihre Nachhaltigkeitsprogramme. Der US-Konzern Mars hat den Plan “Cocoa for Generations” aufgelegt, Mondelez den Plan “Cocoa Life”, Hershey’s den Plan “Cocoa for Good”.

    Auf der anderen Seite stehen die Nachhaltigkeitsvertreter, die Konzerne in ihren Nachhaltigkeitsstrategien beraten oder die Einhaltung von entsprechenden Kriterien überwachen. Doch auch die Nachhaltigkeitsvertreter sind sich untereinander nicht grün. So wird Nestlé vorgeworfen, ausgerechnet die Rainforest Alliance einzubinden. Die Stiftung Warentest kritisiert, dass diese Organisation keine Mindestpreise für Produkte vorgebe. Bemängelt wird auch, dass die Umweltstandards der Rainforest Alliance niedriger seien als die des Fairtrade-Siegels oder der EU-Bio-Standards.

    Genau dies wiederum kritisieren aber die afrikanischen Vertreter in den Anbauländern. Sie werfen den Nachhaltigkeitsagenturen vor, Vorgaben zu machen, die sich an Wunschvorstellungen der entwickelten Länder orientieren, aber an den Realitäten in Afrika vorbeigingen.

    Kritik an den Kritikern aus Afrika selbst

    Den Vorwurf, dass für Agrarprodukte Wälder gerodet werden, weist der Unternehmer Jean-Louis Billon von sich. Er ist Gründer von Palmci, dem größten Plantagenbetreiber in Westafrika für Palmöl, Kakao und Kautschuk mit Sitz in Abidjan. “Schon lange dürfen in Elfenbeinküste keine Wälder für Plantagen gerodet werden”, sagt Billon uns im Gespräch.

    Der Druck auf die Wälder komme heute eher daher, dass die Menschen Brennholz benötigten. Rodungen seien auch gar nicht notwendig, meint Billon. Denn viele Plantagen, vor allem in Nigeria, lägen brach und könnten jederzeit reaktiviert werden.

    Afrikanische Anleger urteilen anders als europäische

    Die drei Parteien – Nahrungskonzerne, Nachhaltigkeitsvertreter und afrikanische Betroffene – stehen sich unversöhnlich gegenüber. Eine Einigung über Ziele und ein gemeinsames Vorgehen scheint in weiter Ferne. Viele Fragen sind ungeklärt, zum Beispiel, an welchen Werten sich eine Nachhaltigkeitsstrategie für Tropenprodukte orientieren soll.

    Dass afrikanische Anleger Nestlé anders beurteilen als europäische, zeigt auch ein Blick auf die Aktienkurse: An der Börse Abidjan in Elfenbeinküste ist die Aktie von Nestlé Côte d’Ivoire in den vergangenen zwölf Monaten um mehr als 30 Prozent gestiegen. Soviel Wohlwollen schlägt dem Mutterkonzern Nestlé an der Börse Zürich nicht entgegen: Dort ist der Aktienkurs seit Ende Januar vergangenen Jahres um mehr als 7 Prozent gefallen.

    Palmci hat übrigens an der Börse zuletzt am stärksten überzeugt: Der Aktienkurs ist in den vergangenen zwölf Monaten an der Börse Abidjan sogar um 37 Prozent gestiegen.

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    Standpunkt

    Plädoyer für eine Wirtschaftsregion Afrika-Mittelmeer-Europa

    Von Jean-Louis Guigou
    Jean-Louis Guigou, Präsident des französischen Think Tank IPEMED
    Jean-Louis Guigou ist Präsident des Think Tank IPEMED in Paris.

    Der Journalist Alain Frachon brachte es kürzlich in “Le Monde” auf den Punkt: “Vierzig Jahre weltweiter Globalisierung gehen zu Ende.” In der Tat fragmentiert sich die Globalisierung durch eine steigende Zahl regionaler Kooperationen. So entstehen Süd-Nord-Vertikale, in denen der Süden oft reich an Rohstoffen, Energie und Bevölkerung ist und der Norden den einkommensstarken Teil stellt. So geschieht es zwischen Nord- und Südamerika, und so geschieht es in Asien zwischen Japan und China im Norden und den Ländern im Süden. Europa dagegen hat seinem großen Nachbarkontinent im Süden bisher zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt.

    Dabei sind Afrika, die Mittelmeerregion und Europa mehr denn je aufeinander angewiesen. Dem Norden mangelt es an Energie, Rohstoffen und jungen Menschen. Das alles bietet Afrika. Gleichzeitig müssen Sicherheit, Solidarität, Migration, Energiewende und Terrorismus gemeinsam angegangen werden. Dabei darf die Region Mittelmeer nicht übergegangen werden. Sie hat starke Verbindungen sowohl nach Afrika wie nach Europa.

    Es liegt im Interesse Europas, den Ländern des Mittelmeerraums und Afrikas ein ambitioniertes Projekt vorzuschlagen: eine große Wirtschaftsregion Afrika-Mittelmeer-Europa zu schaffen und neben Amerika und Asien eine dritte Vertikale aufzubauen.

    Noch ein weiter Weg

    Auch Afrika hat ein Interesse daran, seine Zukunft mit Europa zu suchen, denn wie mir ein afrikanischer Staatschef kürzlich sagte: “Die Vertikale erlaubt mir, die USA und China als gelegentliche Partner Afrikas zu betrachten, während Europa unser natürlicher Partner ist.”

    Die Geschichte, die wirtschaftlichen Notwendigkeiten und der gesunde Menschenverstand sprechen für eine Annäherung der drei Regionen. Dies hat auch Frankreichs Präsident Emmanuel Macron in seiner berühmten Rede im August 2017 deutlich gemacht.

    Wir sind noch weit von einer solchen Vertikale entfernt. Die Europäer beklagen in Afrika nach wie vor Korruption, Unterentwicklung und politische Instabilität. Die Afrikaner verweisen auf Kolonialismus, Raubbau und Selbstgefälligkeit.

    Der emotionale und erinnerungsbedingte Graben zwischen Europa und Afrika ist tief. Im Jahr 1918 waren 52 von heute 54 afrikanischen Ländern von den Europäern besetzt. Die Geschichte des Sklavenhandels und der Kolonialisierung, aber auch die Nachkolonialisierung stehen zwischen den beiden Kontinenten.

    Mobilisierung der Eliten

    Damit die schmerzhafte Vergangenheit überwunden werden kann, braucht es ein ehrgeiziges Projekt. Nur die langfristige Mobilisierung der Eliten, der afrikanischen Experten und der Unternehmer aus dem Mittelmeerraum und aus Europa bieten die Chance für einen Neuanfang. Die Themen möglicher Kooperation sind vielfältig: Energie, Wasser, Ernährung, Gesundheit, Bildung, Mobilität, Logistik, die ökologische Wende.

    Dabei fällt den Unternehmen eine strategische Rolle zu, denn die Afrikaner wollen sich industrialisieren und die reichlich vorhandenen Rohstoffe des Kontinents vor Ort verarbeiten. Das bringt Wertschöpfung nach Afrika, schafft Arbeitsplätze und verringert Migration. Der Schlüssel zu Afrikas Industrialisierung sind, wie vor 40 Jahren in China, Sonderwirtschaftszonen, spezialisierte Gewerbeparks, in denen Energie, Internet, Logistik und ausländische Investitionen gebündelt werden.

    Europäer ergänzen sich

    Derzeit gibt es 237 solcher Sonderwirtschaftszonen in Afrika. Viele sind schlecht geführt und von der lokalen Industrie abgeschnitten. Einige von ihnen sind Freihandelszonen oder gar rechtsfreie Räume. Beim Aufbau einer neuen Generation von Sonderwirtschaftszonen kann die europäische Industrie eine strategische Rolle spielen, indem sie den afrikanischen Staatschefs vorschlägt, Sonderwirtschaftszonen zu schaffen, die inklusiv, nachhaltig, sicher und gerecht sind.

    Deutschland, Frankreich und die anderen europäischen Länder haben alle unterschiedliche Schwerpunkte und Fähigkeiten. Wir Europäer ergänzen uns mehr, als dass wir uns in Afrika Konkurrenz machen. Deshalb sollten wir unsere Kräfte bündeln. Die deutsche Industrie sollte gemeinsam mit Frankreich und anderen europäischen Ländern die Wirtschaft Afrikas radikal umgestalten, aber auch Wachstumspfade für die europäische Wirtschaft in Afrika finden. Das wäre ein großes Projekt für den Zusammenhalt Europas und für den Zusammenhalt Europas mit dem globalen Süden.

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    News

    Eni investiert acht Milliarden Dollar in libysches Offshore-Gas

    Der italienische Energiekonzern Eni wird gemeinsam mit dem libyschen Staatsunternehmen National Oil Corporation acht Milliarden Dollar in die Förderung von Erdgas im Mittelmeer investieren, teilte die Finanznachrichtenagentur Bloomberg mit. Die geplante Investition ist die größte in Libyen seit Jahren. Erschlossen werden sollen zwei neue Gasfelder mit einer Kapazität von insgesamt 24 Millionen Kubikmeter pro Tag. Mit dem Projekt festigt Eni seine Strategie, die ausfallenden Gaslieferungen aus Russland durch Beteiligungen an neuen Gasfeldern auszubauen. Der Energiekonzern fördert auch in Ägypten und Algerien bereits Erdgas. ajs

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    DR Kongo: Zuschlag für millionenschweres Methanprojekt

    Die Regierung der DR Kongo hat drei nordamerikanischen Unternehmen Lizenzen zur Verstromung von Methan im Kivusee erteilt. Den Zuschlag erhielten die kanadische Alfajiri Energy sowie die US-amerikanischen Unternehmen Winds Exploration and Production LLC und Symbion Power, so das Magazin African Business. Symbion verstromt an der ruandischen Ostküste des Sees bereits seit 2016 Methan.

    Das Wasser des Kivusees ist ab einer Tiefe von etwa 400 Metern so reich an Methan, dass eine umfassende Verstromung über einen Zeitraum von 50 Jahren eine Leistung von etwa 700 Megawatt produzieren könnte. Da die Förderung von Methan aber erhebliche Umweltschäden verursachen kann, ist entsprechendes Know-how unerlässlich. Die Produktion im Kongo soll 2024 starten und eine Kapazität von 60 Megawatt bereitstellen. Symbion rechnet mit einem Investment von mindestens 300 Millionen Dollar. Auch der Aufbau eines eigenen Stromnetzes wird erwogen. ajs

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    Milliardenprozess bedroht Nigerias Devisenreserven

    Ein Rechtsstreit zwischen der nigerianischen Regierung und einer Rohstoffgesellschaft mit Sitz auf den Britischen Jungferninseln könnte massive Folgen für die Finanzen des Landes haben, berichtet das Wirtschaftsmagazin African Business. In dem seit Jahren in London schwelenden Verfahren geht es um die Frage, ob sich die Rohstoffgesellschaft Process & Industrial Development Ltd. (P&ID) einen Erdgas-Auftrag durch Korruption erschlichen hat. P&ID hatte 2017 erfolgreich gegen die Regierung geklagt und dabei eine Entschädigungszahlung von 6,6 Milliarden Dollar zugesprochen bekommen. Die nigerianische Regierung legte dagegen erfolgreich Berufung ein, da P&ID falsche Tatsachen vorgetäuscht hatte. Nun beginnt der Berufungsprozess im Januar. Inzwischen ist die Forderung inklusive Zinsen auf über 11 Milliarden Dollar angewachsen. Das ist etwa ein Drittel der nigerianischen Devisenreserven, das Prozessrisiko bedroht deshalb auch die nigerianische Wirtschaft. ajs

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    AfDB sagt zehn Milliarden Dollar für Ernährungssicherheit zu

    Die Afrikanische Entwicklungsbank (AfDB) wird in den nächsten fünf Jahren zehn Milliarden Dollar in die Lebensmittelproduktion auf dem Kontinent investieren. Dies kündigte ihr Präsident Akinwumi Adesina beim African Food Summit in Dakar an. Die Milliardeninvestitionen sollen die Ernährungssicherheit gewährleisten und Afrikas Abhängigkeit von Lebensmittelimporten verringern. Dies sei längst überfällig und notwendig, um die Souveränität des afrikanischen Kontinents zu sichern und auf das rasante Bevölkerungswachstum zu reagieren. Auch die von Corona-Krise und Ukraine-Krieg verursachten Preissteigerungen und Lieferkettenprobleme sollen durch eine bessere afrikanische Selbstversorgung abgemildert werden. Adesina geht davon aus, dass die Produktion von Lebensmitteln in Afrika bis 2030 ein Volumen von einer Billion Dollar erreichen kann. ajs

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    Presseschau

    NZZ: Afrikanische Gesundheitssysteme nicht auf nächste Pandemie vorbereitet. Obwohl viele Länder des Kontinents die Corona-Pandemie relativ glimpflich überstanden haben, zeigen sich afrikanische Gesundheitsexperten besorgt über den Zustand der Gesundheitssysteme. Bei Personal, Budget, Material und Therapeutika sei Afrika nicht gut für die nächste Pandemie gerüstet.

    taz: Ruanda und Kongo am Rande des Krieges. Der Konflikt zwischen Ruanda und seinem Nachbarn DR Kongo spitzt sich weiter zu. Der Militärgouverneur der kongolesischen Provinz Nord-Kivu befürchtet den Ausbruch eines offenen Krieges. Ein kongolesischer Kampfjet soll in den ruandischen Luftraum eingedrungen sein und wurde daraufhin beschossen. Kongo bestreitet den Grenzübertritt und wirft seinerseits Ruanda vor, die Grenzstadt Goma vom Rest des Landes abschneiden zu wollen.

    Jeune Afrique: Kalte Dusche für afrikanische Fintechs. Die Begeisterung, die internationale Investoren in den vergangenen Jahren für afrikanische Fintechs gezeigt habe, kühlt sich offenbar ab. Startup-Unternehmen stießen auf zunehmend schwierige Finanzierungsbedingungen. Das in Paris erscheinende Magazin bezieht sich in seiner Analyse vor allem auf Fintechs in Nigeria und bezeichnet diese Abkühlung als eine “notwendige Ernüchterung”.

    Le Monde: Investitionen in afrikanische Straßen erforderlich. Afrika leidet unter einer erschreckend hohen Zahl an Verkehrstoten. Die Quote liegt bei 27 Verkehrstoten auf 100.000 Menschen, in Europa sind es sechs. Ursache ist der schlechte Zustand der Straßen: Tiefe Schlaglöcher, überladene Lastwagen und Haustiere auf der Fahrbahn machen eine Autofahrt in Afrika häufig zum Risiko. Dieser Zustand erfordert laut der französischen Tageszeitung hohe Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur.

    African Business – Wie Afrika vom Rohstoffboom profitieren kann. Der weltweite Hunger nach Rohstoffen birgt für den afrikanischen Kontinent enorme Chancen. Eine Besinnung auf die geopolitische Bedeutung des Sektors und entsprechende Investitionen können dazu beitragen, dass sich Afrika stärker emanzipiert.

    Heads

    Manfred Schweda – Pionier der Energiewende in Marokko

    Manfred Schweda, Gründer von MS Conex und Generizon
    Manfred Schweda, Unternehmensgründer in Marokko.

    Manfred Schweda ist schwer zu erreichen. Seine Arbeitswoche scheint dicht gedrängt. Er kommt aus einer langen Besprechung im Ministerium für die Energiewende in Marokkos Hauptstadt Rabat. Mehrere Stunden lang hat Schweda eine 255 Seiten dicke Studie vorgestellt. Das Thema: Wie sich organischer Abfall für die Strom- oder Dampferzeugung nutzen lässt. “Zehn Jahre lang habe ich darum gekämpft, Biogas in Marokko bekannt zu machen”, sagt der Österreicher, der seit mehr als 15 Jahren in Marokko lebt. “Jetzt bekommen wir endlich die Aufmerksamkeit, die dieses Thema verdient.”

    Biogas kann einen entscheidenden Beitrag zur Energieversorgung Afrikas leisten. Das war der Grundgedanke, als Schweda 2013 erst mit dem Beratungsunternehmen MS Conex in Marokko startete und im Jahr 2015 die Vertriebsgesellschaft Generizon gründete. In Afrika besteht Müll zu großen Teilen aus organischem Abfall: aus Küchenabfällen, Pflanzenresten und Tierrückständen. Auf dem Land verwerten die Menschen den Abfall zu Kompost. In den Städten jedoch ist der Müll eines der drängendsten Probleme des Kontinents.

    Vom Kapitalmarktgeschäft in die Sinnkrise

    Dass Schweda ausgerechnet in Marokko Unternehmer wurde, ist Teil seiner Lebensgeschichte. Im Jahr 1964 wurde er in Wien geboren und absolvierte sein Studium an der renommierten Wirtschaftsuniversität (WU) in Wien. Anschließend wurde er Händler für Zinsderivate bei der Girocredit in Wien, der Bankgesellschaft Berlin, der Dresdner Bank in Frankfurt und der First National Bank of Chicago in London. Anfangs genoss er dieses Leben, die Schnelligkeit, den Stress und das viele Geld, das er verdiente. Dann kam die Sinnkrise. “Wenn Du Dir immer alles kaufen kannst, was Du gerade willst, dann wird Dein Leben irgendwann leer”, sagt er im Rückblick.

    Schweda schmiss den Job hin und begann ein neues Abenteuer, This Fab Trek. Jahrelang fuhr er mit einem dreiachsigen Land Rover durch Westafrika, mit Marokko als seiner Basis. Dann dehnte er seine Touren über den gesamten Erdball aus. Neun Jahre währte dieses Abenteuer. Dann ließ er sich in Casablanca nieder und engagierte sich für Biogas.

    Zehn Jahre Überzeugungsarbeit

    “Die ersten Jahre waren hart, sehr hart”, sagt Schweda. Zehn Jahre Überzeugungsarbeit liegen hinter ihm. Anfangs interessierte sich niemand in Marokko für Biogas. Dabei war das Königreich Vorreiter in Afrika für die Nutzung von Wind und Solarkraft. Nahe der Stadt Ouarzazate im Süden des Landes entstand ein riesiges Solarkraftwerk mit einer Gesamtleistung von 2000 Megawatt.

    Doch Biogas kam in den Plänen des Königs für erneuerbare Energie nicht vor. Aus gutem Grund: “Biogas allein bringt nicht viel”, meint auch Schweda. “Es muss in ein Gesamtkonzept für die Verwertung von organischem Abfall integriert werden.” Strom aus Biogas ist meist etwas teurer als der aus anderen Energiequellen und konnte deshalb nicht mit anderen Energiequellen konkurrieren.

    “Biogas muss im Verbund mit dem Müllproblem gesehen werden”, sagt Schweda. “Und eine Regierung muss den Willen haben, das Müllproblem im Land anzugehen.” Das war bei den meisten Regierungen in Afrika bisher nicht der Fall. Doch nun entdeckt Marokko als erstes Land in Afrika, welches Potenzial in Biogas steckt.

    Auch andere Länder entdecken Biogas

    Diesen Sinneswandel bekommt Schweda nun zu spüren. Das Ministerium für die Energiewende hat ein großes Programm aufgelegt, um aus organischem Müll das Biogas zu gewinnen und daraus Strom zu erzeugen. MS Conex ist bei diesem Wandel vorne dabei und hat für das Ministerium nun gerade die zweite große Studie fertiggestellt. Jetzt soll ein Konzeptpapier folgen. “Das ist ein gutes Gefühl, nach all diesen schwierigen Jahren zu sehen, dass die Dinge jetzt in Bewegung kommen”, sagt Schweda.

    So beginnen nun die ersten Kommunen im Land, nachhaltige Abfallkonzepte und den Bau von Biogasanlagen zu verfolgen. Bald werden die ersten Ausschreibungen veröffentlicht, an denen sich auch Generizon beteiligen will.

    Angesichts der weltweit hohen Energiepreise beginnen auch andere Länder, sich für neue Energiequellen zu interessieren, Senegal etwa. Deshalb ist sich Schweda sicher: “In das Thema Biogas kommt jetzt in ganz Afrika Bewegung.” Christian von Hiller

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    Table.Africa Redaktion

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