Analyse | Sozialpolitik
Erscheinungsdatum: 06. Oktober 2025

Wie die Bundesregierung gegen Sozialbetrug vorgehen will

Ende September fanden Kontrollen in NRW statt (picture alliance/dpa/Christoph Reichwein)

Leistungsmissbrauch ist kein Massenphänomen, aber in Regionen wie dem Ruhrgebiet ein Problem. Mehrere Ministerien versuchen, es in den Griff zu bekommen.

Die Grundsicherung „muss resistenter gegen Missbrauch werden“, sagte Bärbel Bas bei ihrem Besuch der Bundesagentur für Arbeit im September. Ein systematisches Problem ist er zwar nicht: 2024 gab es offiziell nur 421 Fälle von „bandenmäßigem Leistungsmissbrauch“ beim Bürgergeld. Sie „untergraben aber das Vertrauen in den Sozialstaat und bringen alle Leistungsberechtigten generell in Verdacht“, heißt es in der Jahresbilanz der BA zum Thema.

Das hatte laut dem wiedergewählten Duisburger Oberbürgermeister Sören Link (SPD) Folgen für die Kommunalwahl in NRW. Wenn der Staat sich unfähig zeige, Betrug zu unterbinden „und ganze Nachbarschaften in Mitleidenschaft gezogen werden, zeigt sich das in den Wahlergebnissen“, sagte er dem Spiegel. Dann würden AfD-Kandidaten in Stichwahlen einziehen. Betroffen von dem Problem seien bundesweit vielleicht nur 20 Städte, aber dort entstünden „Bilder, Horrorszenarien, die durch das Netz wabern und politisch instrumentalisiert werden“.

Link fordert einen besseren Datenaustausch zwischen Behörden und Städten und eine klare Definition der europäischen Arbeitnehmerfreizügigkeit auf Bundesebene. Dafür spricht sich auch Ina Scharrenbach (CDU) aus, in NRW Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Digitalisierung. Tatsächlich ist nicht genau abgegrenzt, welche Anforderungen erfüllt sein müssen, um eine Freizügigkeit zu erlauben. Ein Minijob reiche aus, um umfassende Leistungen zu beziehen, kritisiert Link. Scharrenbach sagte Table.Briefings, der Missbrauch betreffe neben dem Bürgergeld auch Kindergeld und Wohngeld. Dazu, wie groß das Problem hier ist, gibt es aber keine aktuellen Zahlen. Menschen würden zu schnell „in deutsche Sozialleistungssysteme“ gelangen, so die Ministerin, die Mitglied des CDU-Präsidiums ist. 

Daher müsse die Politik eingreifen, bevor die Menschen herkommen. Sonst „kann die Armutsmigration aus der EU nicht beendet werden“. Was ihr vorschwebt: Eine Kontrolle, ob jemand „freizügigkeitsberechtigt“ ist oder nicht: Gibt es eine Krankenversicherung im Herkunftsland? Hat die Person genug Geld, um dem Staat im Fall von Arbeitslosigkeit „nicht zur Last zu fallen“? Eine solche Prüfung vor der Einreise gibt es derzeit nicht. Frühestens nach drei Monaten – und auch dann nicht in jedem Einzelfall – kann die Ausländerbehörde einen Nachweis verlangen darüber, dass jemand genug Mittel hat, um selbstständig über die Runden zu kommen. Scharrenbach will daher auch an das Unionsrecht ran: Die Arbeitnehmerfreizügigkeit dürfe „keine Einladung zum Sozialbetrug sein“. Es brauche international Einigkeit darüber, „dass ein EU-Bürger keinem anderen Mitgliedstaat zur sozialen Last fällt“.

Das BMAS teilt auf Anfrage mit, in der Praxis sei es für Ausländer- und Sozialbehörden bisweilen schwierig, „Scheinarbeitsverhältnisse und Betrugshandlungen bereits von Beginn an zu erkennen, insbesondere wenn diese durch organisierte Strukturen erfolgen“. Das Ministerium prüft derzeit, wie es derartigen Missbrauch verhindern kann – etwa durch einen besseren Datenaustausch zwischen Sozial-, Finanz- und Sicherheitsbehörden. Hieran arbeite die Bundesregierung als Ganzes gemäß der Forderung im Koalitionsvertrag, wonach Sozialleistungsmissbrauch beendet werden müsse. Demnach treibt das BMI die Digitalisierung der Migrationsverwaltung voran und das BMF die Modernisierung der Schwarzarbeitsbekämpfung.

Link und Scharrenbach weisen auf ein weiteres Problem hin, das im Koalitionsvertrag Erwähnung findet – sogenannte Schrottimmobilien: minderwertige Wohnungen, die oft in stark von Leerstand betroffenen Gebieten stehen und zu überteuerten Mieten an ausländische Bürgergeld-Empfänger vermietet werden. Solange sich die Kosten im Rahmen der am jeweiligen Ort als angemessen geltenden Mietobergrenze befinden, muss sie das Jobcenter erstatten.

Die Kommunen müssten solche Häuser leichter abreißen können, sagt Scharrenbach. Das BMWSB will helfen: Im Rahmen der aus der Ampel-Zeit noch offenen Novelle des Baugesetzbuches soll ihr Vorkaufsrecht bei derartigen Immobilien gestärkt werden. Zudem unterstütze das Ressort die Aktivierung leerstehender Wohnungen mit verschiedenen Programmen etwa im Rahmen der Städtebauförderung, Anfang des Jahres veröffentlichte es zudem eine „Handlungsstrategie dazu“.

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Letzte Aktualisierung: 06. Oktober 2025

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