Talk of the town
Erscheinungsdatum: 23. Oktober 2025

Stimmung auf dem EU-Gipfel: Zwischen harscher Kritik am Parlament und Solidarität mit der Ukraine

Ursula von der Leyen, Emmanuel Macron und Friedrich Merz am Donnerstag in Brüssel (picture alliance / Anadolu | Dursun Aydemir)

Nach dem Scheitern des Omnibus-I-Kompromisses liegen beim EU-Gipfel die Nerven blank. Parlamentspräsidentin Roberta Metsola bemüht sich um Schadensbegrenzung – doch der nächste Konflikt zeichnet sich bereits ab.

Dass es diesmal ungemütlich werden könnte, dass die meisten Staats- und Regierungschefs der EU inzwischen ungehalten sind, dürfte Roberta Metsola geahnt haben. Der Austausch mit ihr ist üblicherweise nur ein Pflichttermin zum Auftakt jedes EU-Gipfels: Die Parlamentspräsidentin redet, während die Staats- und Regierungschefs desinteressiert in ihren Unterlagen blättern. Doch einen Tag nach dem Scheitern des Kompromisses zum EU-Lieferkettengesetz im Europaparlament ist alles anders. Die Entscheidung des EU-Parlaments sei „inakzeptabel“, schimpft Friedrich Merz kurz nach Ankunft in Brüssel. Die Abgeordneten müssten diese „fatale Fehlentscheidung“ korrigieren. Merz pocht schließlich darauf, die Vorschriften für Unternehmen zu lockern und nicht weiter zu verschärfen.

Ähnlich der Tenor am ovalen Tisch im Gipfelgebäude. Dort ist der Kanzler nicht der Einzige mit seiner harschen Kritik. Es habe eine lebhafte Diskussion um die Blamage der proeuropäischen „Ursula-Koalition“ gegeben, der zusehends fragilen Mehrheit hinter der Kommissionspräsidentin, berichten Diplomaten. Auf dem Tisch liegt auch das Protestschreiben von inzwischen 21 Staats- und Regierungschefs, die vor Europas Verlust an Wettbewerbsfähigkeit warnen und mehr Tempo beim Bürokratieabbau fordern. Kein Wunder, dass Roberta Metsola da in die Defensive gerät. Ihre Vorgänger hatten einst um einen Platz am Tisch der Staatenlenker kämpfen müssen. Nun findet sich die Malteserin auf dem heißen Stuhl wieder. Statt über die Solidarität mit der Ukraine zu reden, musste die Parlamentspräsidentin sich rechtfertigen und versprechen, im November zu liefern.

Dabei hatte der Gipfel am Morgen mit der finalen Einigung auf das 19. Sanktionspaket gegen Russland unter guten Vorzeichen begonnen. Doch dass der Tag lang werden könnte, zeigt sich wenig später bei der Ankunft von Belgiens Premier Bart De Wever. Noch am Vortag hatten Diplomaten eine politische Einigung beim geplanten Reparationsdarlehen für die Ukraine in Reichweite gesehen. Belgien als Standort des Finanzdienstleisters Euroclear, bei dem ein Großteil der blockierten russischen Staatsbankgelder lagert, fürchtet Entschädigungsforderungen und russische Repressalien.

Bart De Wever sei mit einer verhärteten Position zum Gipfel gekommen, meinen Diplomaten verärgert. Andere wie Österreich zeigen Verständnis für Belgien, das angesichts der Drohungen aus Russland nicht allein gelassen werden dürfe. Ein deutsch-finnisch-polnischer Kompromissvorschlag reichte dem Belgier nicht. Nach mehreren Unterbrechungen wollten die Staats- und Regierungschefs am späten Abend weiter den Spielraum für Formulierungen zu Garantien und Absicherungen sondieren.

Zur Abwechslung ist einmal nicht Viktor Orbán der Störenfried. Der Ungar trifft wegen Verpflichtungen in Budapest erst am späten Nachmittag in Brüssel ein – nach dem Austausch der Staats- und Regierungschefs mit Wolodymyr Selenskyj. Der sagt, dass die Ukraine die Mittel aus dem Reparationsdarlehen in Höhe von 140 Milliarden Euro ab dem nächsten Jahr brauche, idealerweise schon ab Januar. Man werde damit hauptsächlich Rüstungsgüter bei der heimischen Industrie und in Europa kaufen. Eine Nachricht, die auch Emmanuel Macron freuen dürfte, der im Einklang mit dem deutschen Kanzler darauf drängt, dass die Mittel in Europa bleiben.

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Letzte Aktualisierung: 23. Oktober 2025

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