Talk of the town
Erscheinungsdatum: 02. September 2025

Berlin und Indien: Merz und Wadephul treffen auf eine Welt, die sich neu formiert

Narendra Modi und Xi Jinping (picture alliance / ASSOCIATED PRESS)
Deutschland setzt auf Indien, um sich von China, Russland und – angesichts der Zollpolitik – auch von den USA unabhängiger zu machen. Doch auch Indien leidet unter Trumps Zöllen, sucht neue Partner – und setzt dabei ausgerechnet auf China.

Auf Indien schaut die Bundesregierung mit besonderen Hoffnungen. Das Verhältnis zu China gestaltet sich immer schwieriger, die Beziehungen zu Washington sind kompliziert, von Russland ganz zu schweigen. Außenminister Johann Wadephul ist aktuell in Neu-Delhi und bereitet mit einer großen Wirtschaftsdelegation eine Asienreise des Bundeskanzlers vor. Friedrich Merz will im Herbst Indien und China besuchen. Avisiert ist die letzte Oktoberwoche, sicher ist der Termin aber nicht. Noch müssen die Kalender des indischen Premierministers Narendra Modi, des chinesischen Staatschefs Xi Jinping und des Kanzlers in Einklang gebracht werden.    

Indien befindet sich in einem rasanten Aufstieg. Im ersten Quartal dieses Jahres hat es Japan als viertgrößte Volkswirtschaft abgelöst. Geht es nach Merz, dann sollen sich dort bald viel mehr deutsche Unternehmen ansiedeln. Gut 2.200 sind es derzeit, und das Interesse steigt, wie Dirk Matter von der deutsch-indischen Handelskammer in Düsseldorf berichtet. Das Handelsvolumen mit China ist noch immer knapp zehnmal größer. Merz hofft aber, das ändern zu können. Und eines soll dabei helfen: Ein Freihandelsabkommen mit Indien wird es geben“, sagt Philipp Ackermann, deutscher Botschafter in Neu-Delhi.  

Berlin muss allerdings mit einer Neuausrichtung Indiens umgehen, die sich vor den Augen der Welt abspielt.  Beim Gipfel der Shanghai Cooperation Organisation im chinesischen Tianjin zelebrierten Xi und Modi nach Jahren der Eiszeit ihre Annäherung. 2020 war es an der umstrittenen Grenze zu blutigen Zusammenstößen gekommen. Am Wochenende hatte Modi zum ersten Mal seit sieben Jahren chinesischen Boden betreten.  

Es ist wohl kein Zufall, dass Modi seine Teilnahme am 6. August zusagte dem Tag, an dem Donald Trump die Zölle auf indische Waren auf 50 Prozent verdoppelte. Ein Schock für Modi. Jahrzehntelang hatte Neu-Delhi auf enge Verbindungen zu Washington gesetzt, Modi hatte Trump gar als „wahren Freund“ bezeichnet. Und auch in Washington galt das lange. „Traditionell wurde Indien in Washington als wichtiger Partner und demokratisches Gegengewicht zu China behandelt“, sagt Jagannath Panda vom Institute for Security and Development Policy. „Trump sieht Indien weniger als strategischen Verbündeten, sondern als transaktionalen Akteur, dessen Rolle verhandelbar ist.“ 

Erneut profitiert Xi Jinping von Trumps Fehlern. In China nennen sie ihn „den, der China groß macht“. Trumps Unberechenbarkeit und politische Kurzsichtigkeit treiben viele in die Arme von Xi, der sich als Sprecher des Globalen Südens präsentiert. Bis vor kurzem waren Gipfel der Shanghai Cooperation Organisation den meisten Medien höchstens eine kleine Meldung wert. Aber die SCO, die als Zusammenschluss von China, Russland und zentralasiatischen Staaten begann und heute Länder wie Iran, Indien und Pakistan mit einschließt, ist mittlerweile zur größten Regionalorganisation der Welt aufgestiegen – ein klarer Beleg für die globale Machtverschiebung. Merz wird in eine Weltregion reisen, die sich in atemberaubendem Tempo wandelt.  

Seine Indienpläne werden dadurch noch nicht beeinträchtigt. Seit geraumer Zeit verfolgt Indien die Strategie des sogenannten Multi-Aligments. Neu-Delhi streckt die Hand in viele Richtungen aus, ohne sich von einer zu sehr vereinnahmen zu lassen. Das Land ist sehr interessiert an guten Beziehungen zu Deutschland. Komplizierter gestaltet sich der Umgang mit China. Der Princeton-Professor Kyle Chan prophezeit, dass China die Industriestaaten und vorneweg Deutschland „in der Automobilbranche, der Pharmaindustrie, bei Hightech-Medizingeräten oder in der Robotik“ besonders herausfordern wird. 

Welche Botschaften Xi Jinping mit der Militärparade am Mittwoch sendet, lesen Sie im China.Table

Letzte Aktualisierung: 02. September 2025
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