Analyse | Sozialpolitik
Erscheinungsdatum: 06. Juli 2025

Flexibilisierung der Arbeitszeit: Warum es auch um Gleichstellung geht

Eine gleichberechtigte Aufteilung der Sorgearbeit ist noch immer selten (picture alliance/Monkey Business 2/Shotshop)
Die Umstellung von einer täglichen auf eine wöchentliche Höchstarbeitszeit soll die Vereinbarkeit von Beruf und Familie fördern. Forschende warnen jedoch: Sie könnte bestehende Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern verstärken.

Dass die geplante Flexibilisierung der Arbeitszeit eines der umstrittensten Vorhaben der Bundesregierung ist, zeigen Äußerungen der Sozialpartner, die darüber mitentscheiden sollen. Die Debatte, die von Teilen der Arbeitgeber und der Politik geführt wird, sei „entweder verlogen oder in Unkenntnis der tatsächlichen betrieblichen Realitäten“, kritisiert Guido Zeitler, Vorsitzender der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG). Auf Grundlage vieler Tarifverträge könne das Arbeitspensum bereits jetzt flexibel auf größere Zeitkorridore verteilt werden.

Demgegenüber verweist Steffen Kampeter nicht nur auf den globalen Wettbewerb, sondern auch auf Wünsche von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern. Viele von ihnen, insbesondere Eltern, „wünschen sich diese Gestaltungsfreiheit, um Beruf und Familie besser zu vereinbaren“, so der Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA). Der Koalitionsvertrag stützt seine Position: Die Reform erfolge „auch und gerade im Sinne einer besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf“, heißt es dort. Ähnlich äußerte sich Michael Hüther, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW): Wer an einem Tag länger arbeite, könne an einem anderen früher aufhören, um privaten Verpflichtungen nachzukommen.

Allerdings gibt es auch deutlichen Widerspruch. Aus Sicht der Hans-Böckler-Stiftung erschwert die Umstellung von einer täglichen auf eine wöchentliche Höchstarbeitszeit eine gleichberechtigte Aufteilung von Erwerbs- und Sorgearbeit. Da Frauen weiterhin den Großteil der unbezahlten Haus- und Pflegearbeit übernehmen, sei zusätzliche Mehrarbeit für sie oft nicht realisierbar. In einem Kommentar schreiben Forschende: „Abweichungen vom 8-Stunden-Tag und eine Verlängerung der Arbeitszeiten könnten Frauen vermehrt vom Arbeitsmarkt drängen, während Männer (…) noch weniger Zeit für Familie haben.“

Die Wissenschaftlerinnen fordern unter anderem eine Reform des Brückenteilzeitgesetzes, das eine befristete Reduzierung der Arbeitszeit erlaubt, derzeit aber nur für Beschäftigte in Unternehmen mit mehr als 45 Mitarbeitenden gilt. Wichtig seien eine stärkere Berücksichtigung individueller Wünsche bei der Rückkehr in Vollzeit sowie flexiblere Anpassungs- und Nutzungsmöglichkeiten während der Laufzeit, die derzeit zwischen einem und fünf Jahren liegt.

Da Männer weniger unbezahlte Familienarbeit leisten, können sie mehr Zeit im Beruf verbringen. Laut Zahlen der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) arbeitet rund die Hälfte der Männer zwischen 48 und 59 Stunden pro Woche; bei Frauen sind es 40 Prozent. In einer Befragung von 2024 gaben sogar 43 Prozent der Männer an, 60 Stunden oder mehr zu arbeiten – bei den Frauen waren es 27 Prozent. Die EU-Arbeitszeitrichtlinie nennt 48 Stunden als maximale Wochenarbeitszeit, inklusive Überstunden. Mit zunehmender Arbeitszeit „sinkt der Anteil der Beschäftigten, die eine häufige Vereinbarkeit von Familie und Beruf erleben“, heißt es im im Juni erschienenen Report" “Arbeitswelt im Wandel”.

Ein breiter Konsens in der Politik besteht darüber, dass eine stärkere Vollzeit-Erwerbstätigkeit von Frauen entscheidend für die Stabilität des Arbeitsmarkts ist. Voraussetzung dafür ist jedoch eine flächendeckende Verfügbarkeit von Kinderbetreuungsplätzen. „Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf kann einen Beitrag zur Fachkräftesicherung leisten“, heißt es in einer Analyse des Wirtschaftsforschungsunternehmens Prognos.

Ein Schlüssel dafür liege in der Erhöhung der durchschnittlichen Wochenarbeitszeit erwerbstätiger Mütter. Wenn jene, die derzeit weniger als 28 Stunden pro Woche arbeiten, ihre Arbeitszeit unter guten Rahmenbedingungen um nur eine Stunde wöchentlich erhöhen könnten, entspräche dies laut Prognos einem zusätzlichen Arbeitsvolumen von rund 71.000 Vollzeitäquivalenten.

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
Teilen
Kopiert!