Table.Standpunkt
Erscheinungsdatum: 27. September 2025

Das verräterische Zögern der japanischen Zentralbank

Die Bank von Japan hält trotz Inflation am Mini-Leitzins fest. Riesige Bestände an Staatsanleihen und ETFs machen einen Ausstieg fast unmöglich – ein warnendes Beispiel für Europa, wie Zentralbanken ihre Unabhängigkeit verlieren können.

Während die US-amerikanische Fed und die Europäische Zentralbank nach einer langen Niedrigzinsphase ab 2022 die Zinsen entschlossen anhoben und inzwischen wieder senken, zögert die japanische Notenbank weiterhin. Am 19. September beließ sie den Leitzins trotz Inflation bei mageren 0,5 Prozent. Seit der erstmaligen Senkung auf null Prozent im Februar 1999 hat sie keine nennenswerte geldpolitische Straffung mehr durchgesetzt.

Zwar kündigte die Bank von Japan am 19. September an, ihre ETF-Bestände zu reduzieren. Doch das geringe Tempo und die Tatsache, dass die immensen Staatsanleihebestände unangetastet bleiben, deuten auf den weitgehenden Verlust ihrer geldpolitischen Unabhängigkeit hin.

Der Weg dorthin war lang: Im September 1985 gab Japan dem Druck der USA nach, den Yen aufzuwerten, um das Handelsungleichgewicht zwischen beiden Ländern zu verringern. Die daraus resultierende unkontrollierte Aufwertung traf den Exportsektor hart.

Die Bank von Japan reagierte mit Zinssenkungen, um den Aufwertungsdruck abzufedern. Das half zwar kurzfristig, löste jedoch eine Aktien- und Immobilienblase aus. Diese platzte Ende der 1980er-Jahre, als die Bank die Zinsen wieder anhob. Infolge der geplatzten Blase gerieten die Banken wegen fauler Immobilienkredite ins Wanken. Da dies die gesamte Wirtschaft belastete, sah sich die Notenbank zu erneuten Zinssenkungen gezwungen. Nachdem die Nullzinsgrenze erreicht war, begann sie ab 2001 mit Staatsanleihekäufen.

Der Verlust der Unabhängigkeit beschleunigte sich im Januar 2013, als Premierminister Shinzō Abe im Rahmen der „Abenomics“ eine sehr expansive Finanz- und Geldpolitik verkündete. Der von ihm ernannte Zentralbankpräsident Haruhiko Kuroda initiierte massive Staatsanleihekäufe. Ab Dezember 2010 begann die Bank zudem mit Aktienkäufen in Form von ETFs.

Heute hält die Bank von Japan Staatsanleihen im Wert von 571 Billionen Yen (3.300 Milliarden Euro), was rund 50 Prozent der ausstehenden Anleihen entspricht. Hinzu kommen ETFs mit einem Anschaffungswert von 37,2 Billionen Yen (210 Milliarden Euro).

Ein Verkauf von Staatsanleihen würde die langfristigen Zinsen steigen lassen – mit der Folge explodierender Zinslasten für die hochverschuldete Regierung. Die Staatsverschuldung liegt bereits bei 235 Prozent des Bruttoinlandsprodukts.

Eine Zinserhöhung würde zudem den Yen aufwerten und damit die in Fremdwährungen gehaltenen Auslandsanlagen, umgerechnet in Yen, entwerten. Finanzinstitute und Pensionskassen, die aufgrund der langjährigen Niedrigzinsen massiv im Ausland investiert haben, kämen unter Druck.

Auch drohen der Bank von Japan bei Verkäufen von Staatsanleihen und ETFs hohe Bewertungsverluste auf die verbleibenden Bestände. Ihre Unabhängigkeit wäre endgültig dahin, wenn sie durch das Finanzministerium rekapitalisiert werden müsste. Kein Wunder also, dass es mit dem derzeit angekündigten Verkaufsvolumen von 330 Milliarden Yen pro Jahr ganze 112 (!) Jahre dauern würde, bis alle ETFs aus der Bilanz verschwunden sind.

Die Inflationsrate lag im August mit 2,7 Prozent bereits seit mehr als drei Jahren über dem Zielwert von zwei Prozent – ohne dass die Bank von Japan ihre Geldpolitik entschlossen gestrafft hätte. Das zögerliche Verhalten der Bank von Japan sollte daher – auch mit Blick auf Frankreich – der Europäischen Zentralbank eine Warnung sein: Große Bestände an Staatsanleihen gefährden die Unabhängigkeit der Zentralbank.

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Letzte Aktualisierung: 27. September 2025

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