Der Fall schlägt seit 2024 Wellen: Vor dem Oberlandesgericht Dresden hat am Dienstag der Spionageprozess gegen Jian G. begonnen, ehemaliger Mitarbeiter des damaligen AfD-Europaabgeordneten Maximilian Krah, der heute für die AfD im Bundestag sitzt. Bis zur Festnahme im April 2024 soll Jian G. als Agent für die Volksrepublik China spioniert haben.
Mehr als 500 zum Teil „sensitive“ Dokumente zu Beratungen und Entscheidungen des Europäischen Parlaments beschaffte Jian G. unter anderem laut Anklageschrift und leitete diese an chinesische Stellen weiter. Auch chinesische Oppositionelle und Dissidenten in Deutschland soll er ausgespäht haben. Seine mutmaßliche Komplizin Yaqi X. stand mit vor Gericht. Ihr wird vorgeworfen, Informationen über Flüge, Fracht und Passagiere des Flughafens Leipzig an Jian G. übermittelt zu haben, darunter Transportflüge der Bundeswehr und der Rüstungsfirma Rheinmetall.
Die Affäre wirft ein Schlaglicht auf das Verhältnis des AfD-Abgeordneten zu China. Krah fiel in der Vergangenheit unter anderem dadurch auf, dass er der Kommunistischen Partei zum siebzigsten Jahrestag der Autonomen Region Tibet gratulierte, wo China Proteste brutal niederschlug, oder die Berichterstattung über Umerziehungslager in Xinjiang als anti-chinesische Propaganda bezeichnete.
Der Sinologe Lucas Brang von der Universität Freiburg sieht ideologische Gemeinsamkeiten zwischen deutschen Rechtsextremen wie Maximilian Krah und den Denkern der Kommunistischen Partei (KP). Darüber veröffentlichte er im Oktober einen Artikel in den Blättern für deutsche und internationale Politik.
Der erste Punkt sind die Menschenrechte. Maximilian Krah saß sowohl im EU-Parlament als auch heute im Bundestag im Menschenrechtsausschuss. 2022 gab er der chinesischen Nachrichtenplattform Guanchazhe ein Interview und wurde gefragt, ob China und der Westen in der Frage der Menschenrechte zusammenfinden können. Krah antwortete, das sei gar nicht erstrebenswert: „Die westliche Theorie von Menschenrechten ist zu weit gegangen.“ Menschenrechte bezeichnet Krah als neokolonialistisches Konzept.
Das entspricht auch der Haltung der KP zu Menschenrechten. Wenn die Vereinten Nationen Chinas Menschenrechtsverletzungen in Tibet oder Xinjiang kritisieren, wehrt China das ab: Menschenrechte würden als Waffe verwendet werden, um China anzugreifen, sagte zum Beispiel Chen Xu, Chinas UN-Botschafter in Genf vergangenes Jahr.
Eine weitere Verbindung ist das Denken in sogenannten Großräumen: Demnach herrsche Frieden, wenn jeweils eine Hegemonialmacht über einen Großraum herrsche und keine „raumfremde“ Macht in einen anderen Großraum eingreife. Diese Theorie stammt von dem deutschen Juristen Carl Schmitt. Schmitt wird als „Kronjurist der Nationalsozialisten“ bezeichnet; Theorien, wie die vom Großraum, sollten den Krieg der Nationalsozialisten legitimieren.
Carl Schmitt ist einer der Hauptreferenzpunkte für Rechtsextreme in Deutschland. Krah bezieht sich in seinem Buch „Politik von Rechts“ von 2020 auf Schmitt und seine Theorie vom Großraum. Er bezeichnet den Universalismus als neokoloniale Idee der westlichen „Linksliberalen“. Als Alternative stellt er das Konzept von Großräumen dar, „die sich selbst organisieren, regelmäßig durch angestammte Regionalmächte, und in die raumfremde Mächte nicht intervenieren dürfen.“
Was das in Bezug auf China konkret bedeutet, zeigt sich an seiner Haltung zu Taiwan: In einem Interview mit Free West Media aus dem Jahr 2020 sagte Krah, er verstehe das chinesische Volk, das „auf die Wiedervereinigung mit Formosa hoffe und darauf hinarbeite“. Formosa ist der Name, den portugiesische Seefahrer Taiwan gegeben haben. Laut dem Rechtsextremismus-Forscher Felix Schilk verwenden Rechtsextreme oft diesen Namen, um Taiwan die Legitimität abzusprechen.
Schmitts Theorien sind seit den 2000er-Jahren auch unter chinesischen Denkern so populär, dass der Sinologe Lucas Brang von „Schmitt-Fieber“ spricht. Der Philosoph Liu Xiaofeng, der Schmitts Werk in Chinesische übersetzte, schrieb 2020 in Bezug auf die Großraumtheorie, dass Schmitts Warnungen für China nach wie vor Gültigkeit hätten: „Wir müssen erkennen, dass das Neue China bis heute noch keine unabhängige ‘Großraumordnung mit Interventionsverbot für raumfremde Mächte‘ etabliert hat.“
Trotz dieser Gemeinsamkeiten warnt Schilk, Krahs Haltung zu China zu viel Konsistenz zuzuschreiben: „Vieles ist opportunistische Gefälligkeit, keine harte Ideologie“. Strategisch passe China in das Weltbild vieler Rechtsextremer, in dem es darum gehe, die US-Hegemonie zu durchbrechen. China sei dafür eine nützliche Projektionsfläche und die Rechten pickten sich das Passende heraus, glaubt Schilk: „Wer hat schon Sprachkenntnisse oder sich im Detail mit China beschäftigt? Das macht niemand.“
Das verhindert nicht, dass hier Allianzen entstehen. Es sind keine formalen Netzwerke, sondern lose Verbindungen: Man kennt sich, man liest sich, man trifft sich. Wie das aussieht, wird deutlich am Beispiel von Alexander Dugin, der als Putins Philosoph bezeichnet wird. Er feiert Xi Jinpings Neue Seidenstraße als eurasisches Projekt, hält Vorträge in China und ist Teil eines Thinktanks der Fudan-Universität in Shanghai. Dugin steht dazu in Verbindung zu rechten Aktivisten aus Europa und den USA: So gab er dem ehemaligen Fox-News-Moderator Tucker Carlson ein Interview, genauso wie Brittany Sellner, der Ehefrau des österreichischen Aktivisten Martin Sellner.
Für diese Verbindungen ist eine tiefe Kenntnis der anderen Länder gar nicht notwendig, denn was sie vereint, ist ein gemeinsames Feindbild: Sie sind gegen Globalisierung, gegen Universalismus, gegen „Wokeismus“, gegen eine US-Hegemonie und beziehen sich dabei oft auf Carl Schmitt. Ihr Credo fasst Krah im Guanchazhe-Interview zusammen: „Ihr dürft niemals wie die ‚Linksliberalen‘ werden!“ Mitarbeit: Julia Fiedler