Talk of the town
Erscheinungsdatum: 24. September 2025

Der Kanzler und die Eine-Billion-Euro-Frage – Wer zieht mit wem an einem Strang, und wofür?

Lars Klingbeil Friedrich Merz
Lars Klingbeil und Friedrich Merz bei der Generaldebatte (picture alliance/dpa | Michael Kappeler)

Noch nie hatte ein Kanzler so viel Geld zur Verfügung, um das Land zu verändern – doch statt Aufbruch herrschen Frust, Zweifel und schlechte Umfragen. Gelingt Friedrich Merz noch die Wende?

In der Geschichte der Republik hat es das auch noch nicht gegeben. Da hat ein Kanzler unter hohem Risiko über Schulden eine Billion Euro Sondervermögen zur Verfügung, um Deutschlands Straßen, Schienen, Schulen und die Bundeswehr wieder flott zu machen. Und trotzdem zweifeln viele Menschen daran, dass er damit irgendwas im Land bewegen wird. Keine Kanzlerin vor ihm hatte diese Möglichkeiten – und keiner nach ihm wird sie so leicht bekommen. Trotzdem haben es Friedrich Merz und seine Koalition noch immer nicht geschafft, ein Gefühl von Aufbruch und Zuversicht zu erzeugen.    

Das heißt nicht, dass Merz daran kein Interesse hätte. Im Gegenteil. Wer den Kanzler in diesen Tagen beobachtet, begegnet einem Politiker, der sich viel Mühe gibt, das Gefühl eines Neuanfangs anzustoßen. In der zweiten Generaldebatte binnen acht Tagen räumt er nicht nur Versäumnisse ein – und das nicht zum ersten Mal –, sondern er wehrt sich zugleich gegen den Vorwurf aus der Vorwoche, die Regierung habe bislang zu wenig getan. In seiner Lesart hat die Regierung schon vieles geschafft, darunter eine historische Investitionsoffensive und eine härtere Migrationspolitik mit Kontrollen und Zurückweisungen an den Grenzen. Weitere Reformen seien längst in Arbeit. Allerdings dürfe man nicht vergessen, dass man für alles Kompromisse brauche. Schließlich habe bei den letzten Wahlen niemand eine absolute Mehrheit erreichen können.  

Der Blick auf jüngste Umfragen zeigt jedoch: Den Bürgerinnen und Bürgern reicht das als Erklärung nicht mehr. Die Union ist bei Werten zwischen 25 und 26 Prozent angelangt, gleichauf oder teilweise sogar knapp hinter der AfD. Auch die Persönlichkeitswerte für Merz sind so schlecht wie noch nie. Laut einer aktuellen Insa-Umfrage sind nur noch 26 Prozent der Deutschen zufrieden mit der Arbeit des Kanzlers. 62 Prozent bewerten sie negativ. Übersetzt heißt das: Trotz allergrößter Möglichkeiten hat Merz die Menschen bis jetzt nicht wirklich gewinnen können.  

Merz’ Problem Nummer eins: Er hat die Fantasie der Menschen bis jetzt nicht beflügeln können. Die Menschen verbinden mit der Eine-Billion-Euro-Option keine Hoffnung auf Besserung. Es gibt keine Modellprojekte; es gibt keine überraschenden Initiativen. Es gibt in seinen Reden die üblichen Versprechen auf Besserung, aber keinen Moment, in dem die Menschen, weil er etwas Ungewöhnliches, Neues ankündigt, auch nur für einen Moment den Atem anhalten. Ausgerechnet er, der den Wählerinnen und Wählern sehr viel, vielleicht zu viel versprochen hat, wirkt wie einer, der nicht liefert.   

Merz’ Problem Nummer zwei: Obwohl das Land eine Billion Euro an Schulden aufnimmt, klagen auch eigene Minister, dass überall Geld fehle. So hat es vor wenigen Tagen Verkehrsminister Patrick Schnieder gemacht, der ankündigte, wegen fehlender Mittel manche Autobahn-Projekte gar nicht machen zu können. Und so wiederholte es Landwirtschaftsminister Alois Rainer, der in der Haushaltsdebatte mehr Geld forderte. Das mag früher übliches Geschäft auch in Kabinetten gewesen sein. Aktuell aber können viele Menschen das kaum mehr zusammenbringen: ein riesiger Schuldenberg, der gar nichts bringt? Da kommt keine Freude auf; da wachsen nur Zweifel. Auch unter den eigenen Leuten.  

Und Merz’ Problem Nummer drei: Hinter ihm steht keine geschlossene Union, die um jeden Preis seinen Erfolg will. Zum Teil ist Merz dafür selbst verantwortlich. Auf ihn geht zurück, dass das Kanzleramt auf der einen und Partei und Fraktion auf der anderen Seite mehr Abstand halten als es unter früheren Unionskanzlern organisiert war. Dazu sehen in der Union immer noch zu viele bis hoch in die Führung eher zu, ob er es schafft oder nicht, statt ihn entschlossen zu unterstützen. Und dann gibt es Menschen aus seinem engsten Umfeld, denen im Kanzleramt selbst jemand fehlt, der emotional und mit Ideen wie mit Kritik alles so zusammenhält, wie das einst eine Eva Christiansen für Angela Merkel tat. Merz wird sich etwas überlegen müssen.  

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Letzte Aktualisierung: 24. September 2025

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