Europa hat im industriellen Wettlauf mit China schon einige Rückschläge hinnehmen müssen. Jeder kennt die Erzählung von den Solarzellen, die in Europa entwickelt wurden – aber inzwischen hauptsächlich in China produziert werden. Dasselbe scheint gerade auf dem Markt der Elektromobilität zu passieren: Inzwischen ist der Großteil der in China produzierten Fahrzeuge elektrisch betrieben und die Marken drängen in den europäischen Markt.
Im Stillen hat uns China aber auch auf einem Gebiet überholt, das für die Unabhängigkeit Europas womöglich noch bedeutsamer ist als Markenprestige. Es geht um die Batteriezellenproduktion mithilfe moderner Recycling-Techniken. Das Absurde ist: Europa hilft China dabei, indem es Batterierückstände, die sogenannte „Schwarze Masse“, aus der EU nach Asien exportiert – damit sie dort recycelt werden kann. Manche Schätzungen, etwa des Institut francais des relations internationales (Ifri), gehen von einer Quote von über 50 Prozent aus.
Das in den Rückständen enthaltene Lithium und dessen Recycling haben enorme wirtschaftliche und strategische Bedeutung für europäische Lieferketten. Trotz aller Weiterentwicklungen in der Batterietechnologie bleibt die Schwarze Masse der Treibstoff für die Elektromobilität, insbesondere auf einem Kontinent ohne nennenswerte eigene Lithiumvorkommen.
Anders gesagt: Unser Lithium liegt eigentlich buchstäblich auf der Straße, aber Europa schifft es außer Lande – und schlittert so in die nächste Abhängigkeit. Warum?
Dafür gibt es mehrere Gründe: Einerseits sind die Rohstoffströme nach Asien intransparent. Genaue Zahlen gibt es nicht, die Politik ist auf Schätzungen angewiesen. Der andere Grund ist subtiler Natur: Es gibt keine harte Lithium-Lobby. Die Autohersteller haben ihr Augenmerk längst auf den gigantischen asiatischen Markt gelenkt. Dort finden sie beste Produktionsbedingungen – warum sollten sie also in Europa laute Forderungen stellen? Wenn die Politik auf Anrufe aus den Chefetagen der großen Automarken wartet, begeht sie einen gravierenden Fehler.
Und schließlich ist es eine Geldfrage: In Asien lässt sich die Schwarze Masse zu deutlich günstigeren Preisen recyceln: Arbeit ist billiger und Energie erst recht, zumal viel in Industrieclustern gearbeitet wird. Zudem winken Subventionen.
Fürs Lithium-Recycling in Europa und Deutschland fehlt dagegen bislang wirksame politische Unterstützung. Die EU macht Nachhaltigkeitsvorgaben für die Industrie in der Batterieverordnung (2023/1542) und setzt sich mit dem Critical Raw Materials Act ehrgeizige, jedoch unverbindliche Ziele. Den Abfluss der Schwarzen Masse werden diese Maßnahmen nicht stoppen. Damit hierzulande ein Markt entsteht, braucht es direkte Förderung – die Vereinigten Staaten haben es mit dem Inflation Reduction Act vorgemacht. Sie wissen, dass gerade eine der größten ökonomischen Wetten der letzten Jahrzehnte läuft: Der globale Lithium-Markt wird künftig jährlich schätzungsweise um 20 Prozent wachsen. Anders gesagt: Lithium ist und bleibt ein globaler Machtfaktor.
Die Idee lautete bisher: Der Staat fördert gigantische Batterieprojekte, die das Rad praktisch neu erfinden sollen. Die Batterieproduktion wird von Grund auf neu gedacht, was neue Hersteller im Markt in große operative und finanzielle Risiken drängt und manchmal die Existenz kostet. Wer solche Ambitionen verfolgt, muss vorne liegen. Wir liegen aber nicht vorn. Europa wird China weder in der Technologie noch in der Produktion derzeit überholen können. Der Kontinent muss sich an den zweiten Platz gewöhnen.
Es ist Zeit für strategischen Pragmatismus. Wir dürfen uns nicht zu schade sein, asiatische Partner für die Produktion in europäischen Industrieclustern zu suchen, die schon über mehr Erfahrung verfügen. Dabei müssen wir in Systemen denken. Marokko etwa baut im großen Stil Akkuproduktionen zusammen mit anderen Zulieferern von Batteriekomponenten.
Europäische Staaten sollten keine Überholmanöver anstreben, sondern die Förderung auf das Erreichbare fokussieren. Dazu braucht es neben schnellen Genehmigungen auch Geld: Subventionen, Finanzierungshilfen. Der Preiswettbewerb mit Asien ist beinhart, was nicht zuletzt an den erheblich höheren Energiepreisen liegt.
Die Zeit ist sehr knapp. Wir müssen in Europa schnell die Lithium-Kreisläufe schließen, bevor der Abfluss der Schwarzen Masse nach Asien zur geübten Routine wird. Sonst verlieren wir nicht nur das Rennen um Elektromobilität, sondern etwas Wichtigeres: einen weiteren Teil unserer Souveränität.