CEO.Economics
Erscheinungsdatum: 13. September 2025

Vor dem „Herbst der Kommissionen“: Fragt doch lieber ChatGPT!

Es soll der „Herbst der Reformen“ werden. Aber es wird wohl auch der „Herbst der Kommissionen“. Nach vorsichtiger Zählweise sieht der Koalitionsvertrag die Bildung von nicht weniger als 15 (in Worten: fünfzehn!) Kommissionen vor. Wofür?

Egal, ob es um die Reduzierung der Abhängigkeit von China geht, eine mögliche Reform der Schuldenbremse oder um das Wahlrecht: Für alle Themen – auch für die übrigen zwölf – liegen bereits reichlich Vorschläge, Konzepte und wissenschaftliche Analysen auf dem Tisch. Diese könnten sofort im parlamentarischen Prozess diskutiert, gewogen und gewertet werden und am Ende stünde ein demokratisch legitimierter Rechtsakt.

Die Absurdität dieser neuen „Kommissionitis“ wird besonders deutlich an der geplanten Rentenkommission. Bis Mitte der Legislaturperiode sollen Vorschläge vorliegen, wie man die Rente dauerhaft auf sichere Füße stellen kann. Bis dahin spielt die Koalition auf Nebenplätzen. Frühstart-Rente, Aktiv-Rente oder Mindestnachhaltigkeitsrücklage – man kann das alles machen (und mit der erweiterten Mütterrente und der Rente mit 63 konterkarieren). Aber eine nachhaltige Stabilisierung sollte man sich davon nicht versprechen.

Die Gesetzliche Rentenversicherung ist dem Grunde nach ein sehr einfaches System, das über exakt vier Stellschrauben funktioniert: Beitragssatz, Rentenniveau, Renteneintrittsalter und Bundeszuschuss. Alle anderen Ideen sind bei Lichte betrachtet Spielarten dieser Stellschrauben. Über die Zeit bestimmt vor allem die demografische Entwicklung das System. Der Altenquotient – das Verhältnis von Personen im Rentenalter zu Personen im erwerbsfähigen Alter – wird von 38,8 im Jahr 2024 auf 49,5 im Jahr 2037 steigen – eine Zunahme um fast 30 Prozent.

Diese Prognose ist in ihrer Größenordnung sicher, da alle Menschen, die in diese Rechnung einfließen, heute schon geboren sind. Zuwanderung kann nur in Maßen Einfluss nehmen. Auch ein möglicher Rückgang der Arbeitslosigkeit taugt nicht als Game Changer, da in den kommenden zwölf Jahren demografisch bedingt rund fünf bis sechs Millionen Menschen mehr den Arbeitsmarkt verlassen als neu dazu kommen.

Wenn nun die Stellschrauben und die zentralen Determinanten des Systems bekannt sind, kann die Politik auch entscheiden. Keine Kommission wird zu grundlegend neuen Erkenntnissen gelangen. Mit dem Auftrag an die Kommission, Vorschläge zu unterbreiten, überträgt die Regierung einem Expertengremium in einer gesellschaftlich derart sensiblen Frage die Aufgabe, Wertentscheidungen zu fällen. Dazu ist ein solches Gremium nicht legitimiert.

Im konkreten Fall der Rente liegt die Wertentscheidung im Kern darin, wer die demografisch bedingten Lasten tragen soll: Das können entweder Beitragszahler oder Steuerzahler auf der Finanzierungsseite sein. Oder es sind auf der Leistungsseite die Rentenempfänger oder die älteren Beschäftigten durch einen späteren Renteneintritt. Würde man die zusätzlichen Kosten im Extremfall vollständig durch höhere Beiträge finanzieren, stiege der Beitragssatz nach Berechnungen der Prognos von heute 18,6 Prozent auf 25,5 Prozent im Jahr 2037. Für andere Varianten liegen ebenfalls eindeutige Zahlen vor.

Die Finanzierungsseite zu belasten, würde Wettbewerbsfähigkeit, Wachstum oder die Restspielräume im Bundeshaushalt gefährden. Das Rentenniveau abzusenken, hätte unmittelbare Auswirkungen auf die Einkommensverteilung. Ein späterer Renteneintritt schließlich bedeutete, dass die steigende Lebenserwartung nicht vollständig auf eine längere Rentenbezugsdauer entfällt. Man kann das alles genau ausrechnen. Nirgendwo besteht ein Erkenntnisdefizit.

Rentenpolitik in eine Kommission zu verlagern, ist eine Prokrastinationsstrategie. Stattdessen sollte die Bundesregierung, wenn ihr die Details gerade nicht präsent sind, in dieser Frage einfach wieder mehr „Volksschule Sauerland“ (zurückgehend auf ein Zitat des früheren SPD-Parteivorsitzenden Franz Müntefering) wagen. Das müsste mit dem derzeitigen Bundeskanzler ja eigentlich möglich sein. Oder sie fragt eben ChatGPT. Der Prompt „Wie lässt sich die deutsche Rentenversicherung stabilisieren?“ funktioniert ganz gut.

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Letzte Aktualisierung: 13. September 2025

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