Talk of the town
Erscheinungsdatum: 11. September 2025

Reform des Sozialstaats: Warum Nina Warken in den eigenen Reihen unter Druck gerät

Nina Warken (picture alliance / Geisler-Fotopress | Bernd Elmenthaler/Geisler-Fotopr)

In der Debatte über Sozialstaatsreformen rückt das Gesundheitssystem immer mehr in den Fokus. Der Druck auf Nina Warken wächst.

Es ist eines der wichtigsten Ziele, das sich die Union für diese Legislatur gesetzt hat: wirksame Reformen des Sozialstaats. Öffentlich verweisen Unionspolitiker nun gerne auf Bärbel Bas, die als zuständige Ministerin Reformvorschläge für Rente und Bürgergeld vorlegen müsse. Was dabei oft unerwähnt bleibt: Mit dem Gesundheitsministerium besetzt die CDU selbst das zweite zentrale Ministerium, in dem Sozialstaatsreformen auf den Weg gebracht werden müssen. Verantwortlich am Kabinettstisch: Nina Warken. Die CDU-Politikerin aus Baden-Württemberg war für Friedrich Merz nicht die erste Wahl. Der CDU-Vorsitzende hatte den Job nach Informationen von Table.Briefings zunächst seinem Generalsekretär Carsten Linnemann angeboten. Aber der wollte nicht. Jetzt also Warken. 

Nur ist die Überraschungspersonalie im Personaltableau von Friedrich Merz bislang nicht mit eigenen Vorschlägen aufgefallen. Stattdessen verweist sie öffentlich und intern auf Kommissionen für die Pflege und die GKV. Letztere will sie am Freitag in der Bundespressekonferenz vorstellen. Laut Koalitionsvertrag soll das Expertengremium seine Ergebnisse erst 2027 vorlegen. Warken hat nach ihrer Amtseinführung schnell verstanden, dass das angesichts der dramatischen Finanzlage nicht ausreicht und will schon im Frühjahr 2026 erste Ergebnisse sehen. Ob und wie erfolgreich die Gremien jedoch sein werden, bleibt abzuwarten. Generalsekretär Linnemann mahnt gegenüber Table.Briefings: „Wir müssen aufpassen, dass wir nicht immer nur Kommissionen machen und Themen auf die lange Bank schieben.“ Zwar sei es wichtig, dass Experten sich in Kommissionen mit den Themen beschäftigen. Allerdings zeige seine Erfahrung, „dass es am Ende nur eins braucht, und das ist Mut. Und deswegen müssen Politiker Dinge angehen, von denen sie voll überzeugt sind. Sonst ist es besser, es nicht zu machen.“ 

Bis dahin schießt die Ministerin Milliardensummen in das reformbedürftige System, um es am Laufen zu halten. Und macht damit eher das Gegenteil von dem, was sich die Union in der Regierung eigentlich vorgenommen hatte. 4,6 Milliarden Euro für die GKV, weitere zwei Milliarden Euro für die soziale Pflegeversicherung – finanziert durch Darlehen. Vier Milliarden Euro fließen aus dem Infrastruktur-Sondervermögen nach dem Gießkannenprinzip in die Krankenhäuser. Hier will Warken die Reform ihres Vorgängers Karl Lauterbach als eine ihrer ersten Amtshandlungen auflockern – mit längeren Fristen und Kooperationsmöglichkeiten. Kritiker bemängeln, dass die beabsichtigte Effizienzsteigerung dadurch ausbleiben könnte. Deshalb legte die SPD kurzfristig ihr Veto ein, und die für diese Woche geplante Verabschiedung im Kabinett fiel vorerst aus. Warken muss nachsitzen. 

Doch nicht nur in der SPD, sondern auch in den eigenen Reihen wächst die Unzufriedenheit mit der Ministerin. Sowohl bei CDU als auch bei CSU wird vereinzelt Kritik an der bisherigen Performance von Warken geäußert. Sie erwecke nicht den Eindruck, ausreichend in den Themen zu stecken, so ein hochrangiges Unions-Mitglied der Koalition. Andere kritisieren, es reiche nicht, dass Warken bislang nur auf die Arbeit der Kommissionen verweise, damit würde das Problem auf die lange Bank geschoben. Immerhin, die Überarbeitung der Krankenhausreform habe die Ministerin jetzt mal auf den Weg gebracht, so heißt es zumindest etwas verteidigend. 

Auch aus der Branche selbst wächst der Druck. Der GKV-Spitzenverband kündigte am Donnerstag an, gegen die Bundesregierung zu klagen. Es geht um zehn Milliarden Euro, die den gesetzlichen Krankenversicherungen für die Deckung der Kosten für Bürgergeldempfänger fehlen. Sollten sie vor Gericht Recht bekommen, muss die Bundesregierung die zusätzlichen zehn Milliarden entweder aus dem Haushalt auftreiben – oder durch Reformen einsparen. Zumal es CDU-Politiker gibt, die die Klage der Kassen für richtig halten. CDU-Generalsekretär Linnemann sagte etwa zu Table.Briefings, seit der Wiedervereinigung würden sehr viele versicherungsfremde Leistungen über Beiträge finanziert werden. „Das darf nicht sein. Versicherungsfremde Leistungen müssen über Steuern finanziert werden“. Das gelte auch mit Blick auf die Kosten für Bürgergeldempfänger. Dazu stehe zwar nichts im Koalitionsvertrag, weil man es nicht versprechen könne, so Linnemann, „trotzdem setze ich mich dafür ein“. 

Tatsächlich kam aus der BMG-Spitze in dieser Woche ein Vorstoß für eine GKV-Reform – allerdings nicht von Warken, sondern ihrem Parlamentarischen Staatssekretär Tino Sorge. In der Bild schlug er eine Reform der gesetzlichen Krankenversicherung vor, in der die Versicherten zwischen einem günstigeren Basistarif und zusätzlichen kostenpflichtigen Leistungspaketen wählen können. In dem Artikel heißt es, Warken und Sorge würden den Plan derzeit erarbeiten und in Kürze mit der SPD beraten. Dem widersprach Warken allerdings noch am selben Tag in der Regierungsbefragung. Es sei nicht ihr Vorschlag und er werde auch derzeit nicht im Ministerium erarbeitet, stellte sie klar. 

War der Vorstoß also ein Alleingang von Tino Sorge? Für einen Parlamentarischen Staatssekretär wäre das ungewöhnlich. Allerdings ist es in CDU-Kreisen kein Geheimnis, dass Sorge sich selbst für den besseren Minister gehalten hätte. Der Magdeburger beackert das Thema im Bundestag seit vielen Jahren. Er soll fest damit gerechnet haben, dass Friedrich Merz ihm das Ministerium anvertraut und er somit auch die ostdeutsche Stimme im Kabinett wird, heißt es. Einige zweifeln bereits, ob Sorge seiner Ministerin wirklich loyal zur Seite steht. Und manch einer fragt sich auch, ob Warken für Merz zur Fehlbesetzung wird. 

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Letzte Aktualisierung: 11. September 2025

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