Pünktlich zum Start in einen für Koalition und Regierung ohnehin komplizierten Herbst nimmt die Debatte um ein AfD-Verbot wieder Fahrt auf. An der zum Teil rechtsextremen Funktionärsschicht und Mitgliedschaft der AfD hat sich nichts geändert. Koalition und Regierung senden nach wie vor unterschiedliche Botschaften. Und dann fehlt seit Monaten auch noch die Frau oder der Mann an der Spitze des Verfassungsschutzes – also jene Persönlichkeit, die auf Bundesebene Lage und Aussichten mit einer angemessenen Autorität einordnen könnte.
Für die Koalition ist die Sache heikel. Zumal auch die Gesellschaft in der Frage gespalten ist. Eine neue Umfrage zeigt, dass 42 Prozent für und 42 Prozent gegen ein Verbotsverfahren sind. Während in der SPD viele bis hoch in die Parteispitze ein Verbotsverfahren unterstützen könnten, lehnt es die Union tendenziell ab. In diese Situation hinein wollen Linke und Grüne ein Verfahren starten – die Grünen haben die Sozialdemokraten demonstrativ zum Gespräch eingeladen.
Dieser Einladung will die SPD folgen. Auch die Linke hat zugesagt. Während es für die Opposition auf der Hand liegt, gegen die potenziell rechtsextremistische Partei vorzugehen, muss die SPD ausbalancieren: Einerseits entspricht es der Mehrheits-Überzeugung – dazu bekannte sie sich jüngst auf dem Parteitag. Andererseits steht die junge Koalition ohnehin auf wackeligen Beinen. „Das Verbotsverfahren muss angegangen werden, ohne dass sich ein parteipolitischer Streit darüber entspinnt“, sagt SPD-Innenpolitiker Helge Lindh Table.Briefings. Er mahnt Grüne und Linke, das Ergebnis dürfe nicht sein, die SPD vorzuführen. „Das wäre unredlich.“ Lindh hält es für „toxisch für das Verfahren wie für die Regierung, wenn die Koalition platzt, weil man sich nicht über das Verbotsverfahren einigen kann“.
Eine Zusammenarbeit der SPD mit Linken und Grünen könnte einen Keil in die Beziehung zur Union treiben. Auf genug Stimmen, um einen Verbotsantrag zu verabschieden, kämen sie gleichwohl nicht. Bei Anwesenheit aller Mitglieder wären 316 Stimmen nötig; SPD, Grüne und Linke kommen zusammen nur auf 269 MdB – es fehlten 47. Aus Unionskreisen erfuhr Table.Briefings, dass die CSU weitgehend geschlossen gegen ein Verfahren stehe, während einige CDUler vorsichtig ihre Offenheit bekundet haben. Auch der Bundesrat könnte einen Verbotsantrag stellen. Allerdings wäre auch dort keine Mehrheit ohne unionsregierte Länder zu erreichen.
Die Union im Bundestag lehnt die Gespräche ab. Zwar würden Demokraten selbstverständlich miteinander reden, sagte CSU-Landesgruppenchef Alexander Hoffmann am Dienstagnachmittag, „aber doch bitte nur auf Grundlage ernst gemeinter Gesprächsangebote, die am Ende des Tages auch zu etwas führen“. Alexander Dobrindt, CSU-Innenminister, argumentiert, man müsse die AfD wegregieren, statt ihr durch ein Verbotsverfahren Futter zu geben. Ihn treibt auch die Frage um, ob die Belege der 16 Landesämter und des Bundesamts genügen. Ein scheiterndes Verfahren würde ein fatales Zeichen senden, das der AfD zugutekäme.
In Verfassungsschutz-Kreisen bestehen nach Informationen von Table.Briefings Zweifel, ob sich die kämpferisch-aggressive Haltung gegenüber der bestehenden Ordnung hinreichend nachweisen lässt. Sie ist nach BVerfG-Rechtsprechung neben der Verfassungsfeindlichkeit Voraussetzung für ein Verbot. Staatsrechtler Markus Ogorek identifizierte hingegen in seiner viel beachteten Untersuchung des Verfassungsschutz-Gutachtens über die AfD 574 Belege als „tendenziell oder möglicherweise einschlägig“.
Bei der SPD würden es viele gern wie er lösen: Einen Entwurf erarbeiten, aber mit der Abstimmung warten, bis das OVG Münster entschieden hat, ob der Verfassungsschutz die AfD auf Bundesebene als „gesichert rechtsextrem“ einstufen darf. Auch müssten alle V-Leute die AfD verlassen haben, ehe das Verfahren startet, um es nicht zu gefährden – von da an, so warnt wiederum mancher Unionler, wäre die AfD eine „Blackbox“. Andere warnen, dass die Radikalität und gleichzeitige Professionalisierung der AfD keine weitere Verzögerung erlaubten.