Table.Briefing: Security

Zweifel an Selenskyjs Siegesplan + Das Beste aus 200 Security.Tables

Liebe Leserin, lieber Leser,

wir möchten uns bei Ihnen entschuldigen. Seit 200 Ausgaben tischen wir Ihnen häufig schwere Kost auf: Wir analysieren, warum mit Putins Russland kein schneller Frieden zu machen ist; welche Fehler Israel in seinem Kampf gegen Hamas und Hisbollah begeht; dass die Bundeswehr bei Technik, Personal und Verwaltung die Zeitenwende verschläft und warum Klimapolitik auch Friedenspolitik ist. Diese Themen sind oft nicht leicht zu verdauen. Und manchmal möchten wir im Editorial schreiben: “Wir wünschen Ihnen eine gute Lektüre – trotz der düsteren Weltlage.”

Die “Entschuldigung” ist eigentlich ein Versprechen. Denn auch in den nächsten 200 und vielen mehr Ausgaben des Security.Table werden wir Sie sachlich, fundiert und vorausschauend informieren. In der folgenden kleinen Auswahl frei zugänglicher Artikel zeigen wir Ihnen, was Sie mit unserem regelmäßigen Briefing erhalten – zweimal die Woche und aufgrund aktueller Ereignisse eigentlich öfter.

Die komplexe Lage im Nahen Osten beschäftigt schon seit vielen Jahren den Leiter des Security.Tables, Markus Bickel. Erst vor wenigen Tagen ist er aus Israel zurückgekehrt. Wie nah die Region an einem großen Krieg ist, lesen Sie in seiner aktuellen Analyse:

Und dass die bisherige Strategie gezielter Tötungen Israel nicht hilft, schrieb Markus Bickel bereits Anfang August:

Noch bevor Künstliche Intelligenz zum Buzzword wurde, haben wir auf das – noch immer! – ungelöste Problem einer fehlenden nationalen KI-Strategie hingewiesen. Internationale Absprachen sind beim Thema KI und Waffen noch schwieriger zu erreichen. Nana Brink verfolgt die Entwicklungen in diesem Bereich intensiv:

Die Nato steht selbstredend im Fokus unseres ganzen Teams. Zu den Analysen, die wir verfasst und die nichts an ihrer Aktualität verloren haben, gehören unter anderem die Texte vom Nato-Summit, den Gabriel Bub und Wilhelmine Preußen vor Ort in Washington begleitet haben.

  • Welche Rolle Europa in der Nato künftig spielen will und was auf dem Gipfel besprochen wurde, lesen Sie hier.

Zu großen Sicherheitsbaustellen gehören die Kritische Infrastruktur an Land wie auf See. Liest man dazu die Analysen von Lisa-Martina Klein und erinnert sich an die bereits erwähnten Regelungslücken beim Thema KI, so drängt sich die Frage auf, ob das Zuständigkeitswirrwarr in Deutschland nicht längst ein eigenes Sicherheitsrisiko ist:

Kaum ein anderer Journalist in Deutschland kennt die Bundeswehr, ihr Personal und ihre Probleme so gut wie Thomas Wiegold. Früh hat er dargelegt, warum Verteidigungsminister Boris Pistorius von “Kriegstüchtigkeit” spricht, beschrieben, welche Waffen Made in Germany sich in der Ukraine bewähren und die Schwachstelle der Nationalen Sicherheitsstrategie benannt: die Finanzierung.

Viel zu selten werden die Themen Migration, Sicherheit und Klimaschutz zusammengedacht. Warum das dringend nötig ist, erläutert Anouk Schlung gleich in mehreren Analysen, die aktuell bleiben:

Die geopolitischen Herausforderungen zu beschreiben, ist das eine, sie auf einen Blick verständlich zu machen, ist das andere. So geschehen in der vom ganzen Team erstellten Analyse über Russlands Stressgürtel rund um Europa – nur ein Beispiel von vielen:

Russland, beziehungsweise das Regime Wladimir Putins, sein Krieg gegen die Ukraine sowie die Diktatur in Belarus bleiben natürlich ein ständiges Thema unserer Arbeit. Viktor Funk und der freie Kollege Denis Trubetskoy haben die Entwicklungen in diesen Ländern fest im Blick. Dass die Ukraine den Krieg mit Drohnen auf russisches Territorium zurückträgt, stand im Security.Table schon früh:

Welchen Preis die ukrainischen Soldaten und viele Zivilisten für die Verteidigung ihres Landes zahlen und wie deutsche Unternehmen medizinisch helfen, recherchierte Viktor Funk vor Ort:

So fern die Kriege und Konflikte in Afrika, Asien und Osteuropa manchmal erscheinen – sie alle tangieren uns in unserem Alltag. Ganz direkt etwa beim Thema Migration, indirekt beim Thema Finanzen und Klima oder Umwelt. Wir zeigen auf, wie all das zusammenhängt und versorgen Sie außerdem mit exklusiven Personalnews und Interviews.

Und selbstverständlich können Sie unser Team für Feedback und Kritik erreichen.  

Ihr
Viktor Funk
Bild von Viktor  Funk

Analyse

Selenskyjs Siegesplan-Diplomatie

Wolodymyr Selenskyj am Donnerstag bei einem Zwischenstopp mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, am Abend ging’s nach Rom.

Unbeirrt von der Absage des Ramstein-Treffens, das für Samstag vorgesehen war, reiste der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj am Donnerstag durch Westeuropa. Bei den Treffen mit Regierungschefs in London, Paris und am Abend in Rom sowie am heutigen Freitag in Berlin wirbt der ukrainische Präsident für seinen Siegesplan. In London traf er auch Nato-Generalsekretär Mark Rutte.

Selenskyj wünscht sich von Großbritannien und Frankreich die Erlaubnis, die an die Ukraine gelieferten Marschflugkörper Storm Shadow (Großbritannien) und Scalp (Frankreich), auch gegen Ziele auf russischem Gebiet einsetzen zu dürfen. Ein Sprecher des britischen Premierministers Keir Starmer sagte allerdings am Donnerstag: “Da hat sich an der Position der britischen Regierung zum Einsatz von Langstreckenraketen nichts geändert.”

Selenskyj will Krieg “spätestens im Jahr 2025 durch entschlossenes Handeln beenden”

Der ukrainische Präsident erhofft sich Gebietsgewinne, um seine Verhandlungsposition stärken zu können. Der italienische “Corriere della Sera” hatte gemutmaßt, dass Selenskyj zu einem Waffenstillstand bereit sei, wenn die Ukraine dafür Sicherheitsgarantien von den USA erhielte und der EU schnell beitreten könne. Das ukrainische Außenministerium wies die “manipulierenden Darstellungen einiger ausländischer Medien” am Donnerstagabend aber scharf zurück.

Eine Grundlage der italienischen Interpretation war ein Tweet Selenskyjs vom Mittwochabend, in dem er schrieb: “Die Lage auf dem Schlachtfeld bietet die Möglichkeit, den Krieg spätestens im Jahr 2025 durch entschlossenes Handeln zu beenden.” Selenskyj schrieb außerdem, dass eine Einladung der Nato an die Ukraine und eine künftige Mitgliedschaft “ein wahrer Schritt in Richtung Frieden” seien. Ohne die Gewissheit, dass die Ukraine niemals von Russland unterworfen würde, sei kein Frieden möglich.

Mit Hinblick auf den Friedensgipfel, der noch dieses Jahr stattfinden soll, schrieb Selenskyj weiter: “Im Oktober, November und Dezember haben wir eine echte Chance, die Dinge in Richtung Frieden und dauerhafte Stabilität zu bewegen.”

US-Unterstützung dürfte abnehmen

Selenskyj weiß, dass die Widerstandsfähigkeit seines Landes letztlich von der Unterstützung aus dem Ausland abhängt. Und da sind mehrere Risiken absehbar. Selbst wenn Donald Trump, der auch nach seiner Amtszeit einen direkten Kontakt zu Russlands Machthaber Wladimir Putin unterhielt, nicht als US-Präsident gewählt wird, ist die Hilfe aus Washington im bisherigen Umfang unsicher.

Ein weiteres Risiko sind die Populisten in der EU. Sie stellen besonders in Wahlkämpfen die Hilfen für Kiew infrage, in Deutschland finden sich solche Stimmen sowohl in der AfD als auch in dem sich selbst als links verortenden Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW). Die von ihnen geschürten Neiddebatten fruchten. Dabei fällt die Gesamthilfe für die Ukraine im Vergleich zu Aufwendungen bei anderen Krisen eher klein aus. Die gesamten EU-Mittel betrugen bis einschließlich August 2024 etwas weniger als ein Achtel der Mittel gegen die wirtschaftlichen Corona-Auswirkungen, so das Kiel Institut für Weltwirtschaft:

Das Hauptproblem sei die Abhängigkeit, die zwischen der europäischen und der US-Unterstützung bestehe, denn die USA allein leisteten mehr als die Hälfte der militärischen Hilfe, erläutert auf Nachfrage Pietro Bomprezzi. Er leitet das Projekt Ukraine Support Tracker am Kiel Institut. Und er verweist auf ein weiteres Problem: “Derzeit läuft der militär-industrielle Ausbau in Europa langsamer als der in Russland.” 

Vom Staatsbudget 2025 plant Putins Regierung ein Drittel fürs Militär und die Rüstungsbranche ein – 32,4 Prozent aller Ausgaben, drei Prozentpunkte mehr als dieses Jahr. Trotz 14 Sanktionspaketen hat das Regime die Wirtschaft zumindest für eine absehbare Zeit stabilisiert. Lew Gudkow, einer der erfahrensten und angesehensten Soziologen Russlands, fasste in dieser Woche bei einem Besuch in Berlin die Situation in seiner Heimat so zusammen: “Russland wird den Krieg auf keinen Fall wegen wirtschaftlicher Auszehrung beenden.”   

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Wie die Ukrainer auf Selenskyjs “Siegesplan” blicken

Die ukrainischen Streitkräfte behalten die russische Region Kursk unter ihrer Kontrolle. Seit rund einem Jahr hält Russland jedoch die strategische Initiative an den übrigen Frontabschnitten – vor allem in der Region Donezk.

Der Fall der wichtigen Stadt Wuhledar, um die länger als zwei Jahre gekämpft wurde, war ein bedeutender Rückschlag für die Ukraine. Auch die sich zuspitzende Lage um die Stadt Pokrowsk bleibt besorgniserregend. Unter diesen Umständen gab es in der Ukraine kritische Stimmen, ob der Begriff “Siegesplan” angebracht sei. Diese stammten auch von einigen Politikexperten, denen eine Nähe zur ukrainischen Präsidentenkanzlei nachgesagt wird.

Was konkret im Plan steht, der insgesamt aus fünf Punkten bestehen soll und bei denen einer davon in erster Linie für die Zeit nach der Einstellung der Kampfhandlungen gelten soll, ist unklar. Die Liste an Waffen, die die Ukraine bräuchte, um den Kremlherrscher Wladimir Putin zur Einstellung seines Angriffskrieges zu zwingen, dürfte geheim bleiben.

“Siegesplan” nur eine von mehreren Maßnahmen

Genau wie Details darüber, wie der wirtschaftliche Druck auf Russland erhöht werden soll, um die Kriegsfinanzierung zu erschweren. Klar ist hingegen, dass die Ukraine auf die Erteilung einer Erlaubnis für den Einsatz der weitreichenderen westlichen Waffen auf russischem Gebiet und einer Einladung in die Nato nach dem Krieg bestehen wird.

Laut unterschiedlicher US-Medien traf der Plan dort auf zurückhaltende Reaktionen, weil er vergleichsweise wenig Neues beinhalte. Gleichzeitig ist es aus ukrainischer Sicht schwer zu verstehen, was bei der aktuellen Ausgangslage neben der Verstärkung der militärischen Unterstützung der Ukraine und des jeweiligen Drucks auf Russland getan werden könnte, was prinzipiell neu wäre.

Ob der Begriff “Siegesplan”, der mit großer Wahrscheinlichkeit von Präsident Wolodymyr Selenskyj selbst stammt, in der Ukraine nicht für überhöhte Erwartungen sorgt, ist jedoch zumindest ein legitimer Diskussionspunkt. Der Plan existiert nicht isoliert, sondern wird von der Friedensformel Selenskyjs sowie von einem von ihm angekündigten Plan für Verhandlungen mit Russland flankiert.

Die verschiedenen Wege zum Ziel

  • Bei der Friedensformel geht es um die Formulierung des strategischen Maximalziels: Kiew wird die Wiederherstellung der vollen territorialen Integrität des Landes anstreben – möglicherweise auch über die aktuellen Kampfhandlungen hinaus und auch auf dem politischen oder diplomatischen Wege.
  • Der “Siegesplan” soll in erster Linie dafür sorgen, dass Russland zu ernsthaften Gesprächen etwa über einen Waffenstillstand ohne unrealistische Vorbedingungen wie zum Beispiel die radikale Verkleinerung der ukrainischen Armee irgendwann bereit ist.
  • Der Verhandlungsplan, dessen Inhalte komplett unbekannt sind, wäre dann für diese Gespräche gedacht.

Aktuell scheint Russland nicht für Gespräche bereit zu sein. Wie die renommierten Innenpolitik-Journalisten Roman Krawez und Roman Romanjuk von der Ukrajinska Prawda berichten, gibt es mindestens bis zum Frühjahr keine Hoffnungen auf ernsthafte Gespräche. Dafür müsste die russische Armee bei ihrem Vorrücken zunächst gestoppt werden. Trotz verwirrender und oft widersprüchlicher Berichte ist in der Ukraine klar, dass man mehrere Pläne hat und flexibel agieren möchte.

Umfrage: Mehr Ukrainer bereit zu Gebietsabtritten

Laut dem Kiewer Internationalen Soziologie-Institut (KIIS) sprechen sich mehr als 70 Prozent der Bürgerinnen und Bürger im Land dafür aus, dass neben dem militärischen auch nach anderen Wegen zur Beendigung des Krieges gesucht werden soll. Bei konkreten Kompromissen sind die Befragten meist dagegen.

Im Mai dieses Jahres sprachen sich in einer Umfrage 32 Prozent dafür aus, dass der Verzicht auf einige Gebiete für die schnellstmögliche Kriegseinstellung für sie infrage käme – sechs Prozent mehr als im November 2023. 55 Prozent waren jedoch klar dagegen – und dass die Ukraine ihre Gebiete etwa offiziell als russisch anerkennt, ist ganz unrealistisch. So bleibt ein bloßer Waffenstillstand ohne Vorbedingungen und am besten mit starken westlichen Sicherheitsgarantien für die Ukraine ein optimales Szenario. Die aktuelle Lage an der Front deutet jedoch nicht auf diese Entwicklung hin.

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News

Ukraine: Europäischer Rat beschließt 35-Milliarden-Euro-Kredit

Der Europäische Rat hat den lange erwarteten 35-Milliarden-Euro-Kredit für die Ukraine beschlossen. Ungarn hat sich dem offenbar nicht widersetzt – allerdings war eine Zustimmung auch nicht notwendig. Die Ukraine soll diese Mittel im kommenden Jahr bekommen, um daraus Kosten für Verteidigung und Wiederaufbau zu decken. Zins und Tilgung des Milliarden-Kredits stammen aus den sogenannten windfall profits, Zinseinnahmen aus russischen Staatsvermögen, die die EU eingefroren hat. Die G7 hatten den 50 Milliarden Dollar-Kredit im Juni verabredet, um die Ukraine-Hilfe “Trump-fest” zu machen – und ihre Haushalte zu entlasten.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen war vor drei Wochen bei ihrem Besuch in Kiew über die EU-Zusage in Höhe von 20 Milliarden Dollar – offenbar auf eigene Faust – deutlich hinausgegangen. Deutschland hatte seine militärischen Ukraine-Mittel im Haushaltsentwurf für 2025 gegenüber 2024 von 7,5 Milliarden auf vier Milliarden Euro fast halbiert.

Dies hatte international für Verwunderung und bei der Ukraine zu Sorge geführt. Die Bundesregierung hatte diese Reduzierung bereits mit dem erwarteten Kredit begründet. Die Kreditanteile der USA, die ursprünglich ebenfalls 20 Milliarden Dollar zugesagt hatten, sind bisher nicht bewilligt. Die US-Regierung drängt darauf, dass die russischen Vermögen in der EU dauerhaft eingefroren werden und so auch dauerhaft zur Finanzierung der Kreditmittel zur Verfügung stehen.

Hierfür wäre eine einstimmige Entscheidung – unter Beteiligung Ungarns – nötig, die Viktor Orbán bisher verweigert hat. Allerdings wird in der Bundesregierung erwartet, dass Orbán seinen Widerstand nach den US-Wahlen aufgibt – unabhängig von deren Ausgang. Sven Siebert

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Studie: Unfälle mit Putins Schattenflotte könnten Schäden in Milliardenhöhe anrichten

Als Reaktion auf westliche Sanktionen auf den Export von Rohöl setzt Russland verstärkt seine sogenannte Schattenflotte zum Transport des Öls ein. Russland kauft dafür Tanker billig ein, die im Durchschnitt etwa 17 Jahre alt und oft kaum seetauglich sind, um das Öl über die Weltmeere zu verschiffen. Dabei nehmen die Tanker oft gefährliche Routen, die durch ausschließliche Wirtschaftszonen (AWZ) oder Hoheitsgewässer von Ländern oder durch wichtige maritime Engpässe führen und stark befahren sind. Die Kollisionsgefahr ist hoch.

Eine Studie des finnischen Thinktanks Centre for Research on Energy and Clean Air (CREA) hat nun berechnet, welche finanziellen Folgen ein Unfall eines solchen Tankers hätte: Zwischen 859 Millionen und 1,6 Milliarden US-Dollar könnte die Bekämpfung eines Ölteppichs kosten. Die Kosten dürften am Ende von den Küstenstaaten getragen werden. Denn: Die undurchsichtige Eigentümerstruktur und fragwürdige Versicherungsdeckung erschweren die Durchsetzung von Verantwortlichkeit bei Unfällen. 

Havarierte Tanker als Teil hybrider Kriegsführung

Seit dem Beginn der russischen Invasion in der Ukraine waren “Schattentanker” in 50 Zwischenfälle in verschiedenen Regionen wie der Meerenge zwischen der Ost- und Nordsee und den Dardanellen und dem Bosporus vor der Türkei, bis vor der Küste Malaysias verwickelt, heißt es in der Studie. Zusätzlich steigt die Gefahr, dass Russland die Tanker auch als Teil seiner hybriden Angriffsstrategie gegen den Westen einsetzt: Was wie ein Unfall aussieht, kann eine absichtlich herbeigeführte Havarie sein.

Die Autoren der Studie empfehlen, eine Nachweispflicht einer Schadensversicherung für Öltanker, die Hoheitsgewässer und ausschließliche Wirtschaftszonen passieren wollen, zu implementieren. Außerdem fordern sie strengere Umwelt-Vorschriften für ältere Tanker sowie Maßnahmen zur Erhöhung der Transparenz bezüglich Eigentümerschaft und Versicherungsschutz.

Die Studie erscheint am heutigen Freitag und lag Table.Briefings vorab vor. Sie kann hier abgerufen werden. klm

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KAS-Analyse: Harris setzt auf graduelle US-Truppenreduzierung in Europa – Trump auf Tempo

Unabhängig vom Ausgang der Präsidentschaftswahl in den USA im November muss sich Europa sicherheitspolitisch unabhängiger von den USA aufstellen. Einer der Hauptunterschiede zwischen einer Harris- und einer Trump-Regierung läge nicht darin, ob die USA Verteidigungsressourcen aus Europa abziehen würden, sondern nur wie schnell und in welchem Umfang, argumentieren Evelyn Gaiser und Max Willem Fricke von der Konrad-Adenauer-Stiftung in einem Analysepapier, das am heutigen Freitag erscheint und Table.Briefings vorab vorlag.

Etwa 85.000 US-Soldaten sind derzeit in Europa stationiert, die meisten davon in Deutschland. Fähigkeiten der strategischen Einsatzbereitschaft (strategic enablers) wie Aufklärung, Luftbetankung und Satellitenkommunikation werden von den USA gestellt. Während Trump einen raschen Rückzug forcieren könnte, würde Harris’ Sieg eher einen graduellen Prozess bedeuten, so Gaiser und Fricke.

Zwei Trends verstärkten die Dringlichkeit nach mehr Verantwortung der Europäer für den eigenen Kontinent: 

  • In den USA schwindet die Unterstützung für die Hilfen für die Ukraine und die Bereitschaft, die europäische Verteidigung zu finanzieren. Europa müsse den USA deshalb den Mehrwert der Nato und eines stabilen Europas klarmachen. “Berechnungen zufolge würden Handelsverluste, die durch einen Rückzug der USA aus internationalen Sicherheitsverpflichtungen mittel- und langfristig entstehen könnten, die möglichen Einsparungen bei Verteidigungsressourcen übersteigen”, heißt es in dem Papier.
  • Die USA nimmt China als größte Bedrohung für die USA wahr. “Angesichts zunehmender Spannungen im Indo-Pazifik wird eine Verlegung zusätzlicher militärischer Ressourcen, insbesondere der Luftwaffe und der Marine, von Europa in den indo-pazifischen Raum mittelfristig kaum zu vermeiden sein”, schreibt Gaier. Europa müsse daher mehr Engagement im Indo-Pazifik zeigen, um eigene Interessen zu schützen und den USA ihren Beitrag zur transatlantischen Sicherheit zu signalisieren. Wenn die USA das Engagement in der Nato zurückführen und auf China richteten, könnte China außerdem mehr Einfluss in Europa gewinnen. klm
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EU-Cybersicherheitsrichtlinie NIS-2: Wo Experten und Politik Schwachstellen bei der Umsetzung sehen

Der Bundestag befasst sich heute in erster Lesung mit dem Gesetzentwurf der Bundesregierung für die Umsetzung der EU-Cybersicherheitsrichtlinie NIS-2. Nicht nur in der Opposition regt sich Unmut über die derzeitige Fassung. Mit dem Gesetz soll die Einführung verbindlicher Maßnahmen für Verwaltung und Wirtschaft geregelt werden, um in der EU ein hohes Cybersicherheitsniveau sicherzustellen.

Um das zu erreichen, sollen künftig weit mehr Organisationen und Unternehmen strukturierte Risikomanagement-Maßnahmen ergreifen, nicht nur Betreiber kritischer Infrastrukturen. Damit einher geht auch eine Ausweitung des Verantwortungsbereichs des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI), das für die Überwachung der Maßnahmen und Unterstützung bei der Umsetzung zuständig ist.

Kritik kommt von Opposition, Ampel-Politikern und Experten

Die Opposition sieht die Behörde damit überfordert. “Der gut gemeinte Aufbau des BSI zur neuen Zentralstelle wird in der Umsetzung scheitern, da der Haushalt 2025 für die Behörde Kürzungen in Höhe von fast zehn Prozent des Gesamtetats vorsieht”, sagte der CDU-Innenpolitiker Marc Henrichmann zu Table.Briefings “Die Ampel stellt mit ihrer NIS-2-Umsetzung die gesamtdeutsche Cybersicherheit auf wacklige Beine”, so Henrichmann.

Aber auch in den eigenen Reihen besteht Unmut über Verzögerungen und über den Umgang des Bundesministeriums des Inneren mit wesentlichen Forderungen aus dem Parlament.

Abgeordnete der Ampel-Fraktionen rund um Manuel Höferlin (FDP) und Konstantin von Notz (Grüne) hatten vor der Sommerpause einen Konsens erzielt, wie das BSI künftig unabhängiger vom BMI agieren und mehr Verantwortung für das Cybersicherheitsmanagement der Bundesverwaltung übernehmen könne – und diesen an das BMI weitergegeben. Doch der zuständige Parlamentarische Staatssekretär, Johann Saathoff, habe in seiner Antwort wesentliche Forderungen ignoriert, heißt es aus Parlamentskreisen.

Auch Experten sehen weiteren Verbesserungsbedarf. Dennis-Kenji Kipker, Research Director des cyberintelligence.institute und Professor für IT-Sicherheitsrecht, monierte “offene inhaltliche Baustellen”, unter anderem zur Unabhängigkeitsstellung des BSI, aber auch zur Konkretisierung von entscheidenden Begriffen wie “Schwachstelle”. “Es wird jetzt darauf ankommen, den bestmöglichen Kompromiss in kürzestmöglicher Zeit zu erzielen, denn nichts anderes als die nationale Cybersicherheit steht mit jedem Tag von Neuem auf dem Spiel”, so Kipker. Laut einem vorläufigen Zeitplan des Ministeriums soll das Gesetz im März 2025 in Kraft treten. wp

  • BSI
  • Bundestag
  • Cybersicherheit
  • NIS-2

Must-Reads

Loyal: Die drohnenarme Armee. Bei der Bundeswehr spielen Drohnen bisher kaum eine Rolle. Über 600 Drohnen verfügen alle Teilstreitkräfte der Bundeswehr zusammen. Eine streitkräftegemeinsame Strategie hat die Bundeswehr nicht, stattdessen entwickeln alle Teilstreitkräfte eigene Konzepte und formulieren darauf basierende militärische Forderungen.

Financial Times: Exploding pagers and spy chips: The rising risk of hardware tampering. Die explodierenden Pager der Hisbollah-Miliz legten eine Schwachstelle offen. Lange Zeit wurde vor allem darüber diskutiert, wie man sich gegen Cyberbedrohungen schützen kann. Dabei wurden schon während des Kalten Krieges Konzepte entwickelt, Chips und sogar die Chipproduktion zu manipulieren.

Wall Street Journal: How Oct. 7 Upended America’s Global Military Strategy. Nach dem Sieg über den IS haben die USA den größten Teil ihrer Truppen aus dem Nahen Osten abgezogen. Die Massaker der Hamas vom 7. Oktober 2023 zwangen sie, ihre Strategie zu ändern. Die USA haben die Zahl der Kampfflugzeuge in der Region im vergangenen Jahr fast verdoppelt.

Hybrid CoE: Uncrewed maritime vessels: Shaping naval power in hybrid threat operations. Unbemannte Wasserfahrzeuge werden zunehmend eine wichtige Rolle bei der Bekämpfung hybrider Bedrohungen im maritimen Bereich übernehmen. Das Papier behandelt die Geschichte der unbemannten Fahrzeuge, aktuelle Entwicklungen und die verschiedenen bestehenden Klassen. Zudem werden die Einsatzmöglichkeiten dieser Boote bei hybriden Bedrohungen beschrieben.

Heads

Rohrschneider ist neuer Kommandeur des JSEC in Ulm

Generalleutnant Kai Ronald Rohrschneider bei der Kommandoübergabe Multinationales Kommando Operative Führung in der Wilhelmsburgkaserne am 10. Oktober 2024.

Generalleutnant Kai Rohrschneider koordiniert künftig für die Nato Nachschub und mögliche Truppenaufmärsche des Bündnisses an die Ostflanke – vor allem durch die “Drehscheibe Deutschland”. Der 60-jährige Bundeswehrgeneral übernahm am Donnerstag den Befehl über das “Joint Support and Enabling Command (JSEC)” der Allianz mit Sitz in Ulm.

In Personalunion ist Rohrschneider, der zuvor die Abteilung “Einsatzbereitschaft und Unterstützung Streitkräfte” im Verteidigungsministerium leitete, auch Befehlshaber des “Multinationalen Kommandos Operative Führung” der Bundeswehr.

Die Nato hatte das JSEC 2018 als Unterstützungskommando für Logistik, Verstärkung und militärische Mobilität aufgestellt. Bereits vor dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine 2022 war das Bündnis unter dem Eindruck des russischen Vorgehens unter anderem bei der Annexion der Krim zu der Einschätzung gekommen, dass Mobilität und schnelle Nachschubwege für eine mögliche Abwehr an der Nato-Ostflanke entscheidend sind. Das Ulmer Kommando ist dem militärischen Oberbefehlshaber des Bündnisses für Europa direkt unterstellt.

Der neue Kommandeur Rohrschneider hatte bereits 2018 als Stabschef im Multinationalen Kommando in Ulm Dienst getan, bevor er ins Verteidigungsministerium wechselte. Zuvor war der Panzeroffizier – als deutscher Soldat – Stabschef im Hauptquartier der U.S. Army Europa in Wiesbaden. Rohrschneider war mehrfach in Afghanistan im Einsatz.

Den Posten als Abteilungsleiterin “Einsatzbereitschaft und Unterstützung Streitkräfte” im Ministerium übernahm Generalstabsarzt Nicole Schilling, die erste Soldatin als Abteilungsleiterin im Wehrressort. tw

  • Bundeswehr
  • Mobilität
  • Nato

Falko Droßmann ist neuer verteidigungspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion

Falko Droßmann (SPD).

Falko Droßmann ist neuer verteidigungspolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. Diese wird der 50-Jährige auch künftig nicht nur im Verteidigungsausschuss, sondern auch in dem für Menschenrechte und humanitäre Hilfe vertreten – sowie im Unterausschuss für Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung.

Dass dem früheren Polizeivollzugsbeamten und Oberstleutnant der Luftwaffe Fragen von Krieg und Frieden wichtig sind, macht er seit der Zeitenwende in zahlreichen Podiumsdiskussionen immer wieder deutlich. “Pastor zu sein, war mein Traum”, sagte er Ende 2023  dem christlichen Medienmagazin Pro. Seinen Posten als Sprecher der Arbeitsgruppe Queerpolitik der SPD-Bundestagsfraktion gibt Droßmann demnächst auf. mrb

  • Bundeswehr
  • Menschenrechte
  • Rüstungskontrolle
  • Verteidigungspolitik

Nachtisch

Die Widersprüchlichkeiten, die internationales Handeln mit sich bringt, kann auch Jan van Aken nicht beseitigen. In “Worte statt Waffen” erklärt der frühere Bundestagsabgeordnete – der beim Parteitag der Linken kommende Woche zu einem der Vorsitzenden gewählt werden will – aber, warum er ein “Primat des Zivilen” fordert. Manchmal etwas reißerisch: “Deutschland [ist] einer der größten Waff­enexporteure der Welt und liefert fast hemmungslos fast jede Waff­e in fast jedes Land.” An jedem der 8,36 Milliarden Euro, die die Bundesregierung 2022 an Rüstungsexporten genehmigt habe, “klebt Blut”, so van Aken. Manchmal ist er aber auch abwägend, mit Verständnis für die andere Seite. Worum es ihm geht: Er will “das Nachdenken über friedliche Lösungen überhaupt wieder auf die Tagesordnung […] setzen”.

Das gelingt ihm auch dank seiner Erfahrungen als früherer UN-Waffeninspekteur und als promovierter Biologe, der naturwissenschaftliche Möglichkeiten der Rüstungskontrolle erklärt. Anekdotisch gespickt liefert er Einblicke in Friedensinitiativen, die ohne den Einsatz von Waffen auskommen. Wie Konflikte auf lokaler Ebene beigelegt werden können, welche Rolle zivile Initiativen und Gerechtigkeitsempfinden dabei spielen oder warum ein Waffenstillstand nicht immer sinnvoll ist. Wenn Konflikte nicht mehr mit Waffen ausgetragen werden, schwindet auch die Aufmerksamkeit dafür. Er will zeigen: Frieden zu erhalten ist leichter, als ihn zu schaffen.

Ein Buch, das vorsichtig Optimismus streut, weil es nacherzählt, wie Kriege endeten oder verhindert wurden – und was da manchmal richtig gemacht wurde. bub

Econ Verlag: Jan van Aken – Worte statt Waffen. Wie Kriege enden und Frieden verhandelt werden kann.

Security.Table Redaktion

SECURITY.TABLE REDAKTION

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    wir möchten uns bei Ihnen entschuldigen. Seit 200 Ausgaben tischen wir Ihnen häufig schwere Kost auf: Wir analysieren, warum mit Putins Russland kein schneller Frieden zu machen ist; welche Fehler Israel in seinem Kampf gegen Hamas und Hisbollah begeht; dass die Bundeswehr bei Technik, Personal und Verwaltung die Zeitenwende verschläft und warum Klimapolitik auch Friedenspolitik ist. Diese Themen sind oft nicht leicht zu verdauen. Und manchmal möchten wir im Editorial schreiben: “Wir wünschen Ihnen eine gute Lektüre – trotz der düsteren Weltlage.”

    Die “Entschuldigung” ist eigentlich ein Versprechen. Denn auch in den nächsten 200 und vielen mehr Ausgaben des Security.Table werden wir Sie sachlich, fundiert und vorausschauend informieren. In der folgenden kleinen Auswahl frei zugänglicher Artikel zeigen wir Ihnen, was Sie mit unserem regelmäßigen Briefing erhalten – zweimal die Woche und aufgrund aktueller Ereignisse eigentlich öfter.

    Die komplexe Lage im Nahen Osten beschäftigt schon seit vielen Jahren den Leiter des Security.Tables, Markus Bickel. Erst vor wenigen Tagen ist er aus Israel zurückgekehrt. Wie nah die Region an einem großen Krieg ist, lesen Sie in seiner aktuellen Analyse:

    Und dass die bisherige Strategie gezielter Tötungen Israel nicht hilft, schrieb Markus Bickel bereits Anfang August:

    Noch bevor Künstliche Intelligenz zum Buzzword wurde, haben wir auf das – noch immer! – ungelöste Problem einer fehlenden nationalen KI-Strategie hingewiesen. Internationale Absprachen sind beim Thema KI und Waffen noch schwieriger zu erreichen. Nana Brink verfolgt die Entwicklungen in diesem Bereich intensiv:

    Die Nato steht selbstredend im Fokus unseres ganzen Teams. Zu den Analysen, die wir verfasst und die nichts an ihrer Aktualität verloren haben, gehören unter anderem die Texte vom Nato-Summit, den Gabriel Bub und Wilhelmine Preußen vor Ort in Washington begleitet haben.

    • Welche Rolle Europa in der Nato künftig spielen will und was auf dem Gipfel besprochen wurde, lesen Sie hier.

    Zu großen Sicherheitsbaustellen gehören die Kritische Infrastruktur an Land wie auf See. Liest man dazu die Analysen von Lisa-Martina Klein und erinnert sich an die bereits erwähnten Regelungslücken beim Thema KI, so drängt sich die Frage auf, ob das Zuständigkeitswirrwarr in Deutschland nicht längst ein eigenes Sicherheitsrisiko ist:

    Kaum ein anderer Journalist in Deutschland kennt die Bundeswehr, ihr Personal und ihre Probleme so gut wie Thomas Wiegold. Früh hat er dargelegt, warum Verteidigungsminister Boris Pistorius von “Kriegstüchtigkeit” spricht, beschrieben, welche Waffen Made in Germany sich in der Ukraine bewähren und die Schwachstelle der Nationalen Sicherheitsstrategie benannt: die Finanzierung.

    Viel zu selten werden die Themen Migration, Sicherheit und Klimaschutz zusammengedacht. Warum das dringend nötig ist, erläutert Anouk Schlung gleich in mehreren Analysen, die aktuell bleiben:

    Die geopolitischen Herausforderungen zu beschreiben, ist das eine, sie auf einen Blick verständlich zu machen, ist das andere. So geschehen in der vom ganzen Team erstellten Analyse über Russlands Stressgürtel rund um Europa – nur ein Beispiel von vielen:

    Russland, beziehungsweise das Regime Wladimir Putins, sein Krieg gegen die Ukraine sowie die Diktatur in Belarus bleiben natürlich ein ständiges Thema unserer Arbeit. Viktor Funk und der freie Kollege Denis Trubetskoy haben die Entwicklungen in diesen Ländern fest im Blick. Dass die Ukraine den Krieg mit Drohnen auf russisches Territorium zurückträgt, stand im Security.Table schon früh:

    Welchen Preis die ukrainischen Soldaten und viele Zivilisten für die Verteidigung ihres Landes zahlen und wie deutsche Unternehmen medizinisch helfen, recherchierte Viktor Funk vor Ort:

    So fern die Kriege und Konflikte in Afrika, Asien und Osteuropa manchmal erscheinen – sie alle tangieren uns in unserem Alltag. Ganz direkt etwa beim Thema Migration, indirekt beim Thema Finanzen und Klima oder Umwelt. Wir zeigen auf, wie all das zusammenhängt und versorgen Sie außerdem mit exklusiven Personalnews und Interviews.

    Und selbstverständlich können Sie unser Team für Feedback und Kritik erreichen.  

    Ihr
    Viktor Funk
    Bild von Viktor  Funk

    Analyse

    Selenskyjs Siegesplan-Diplomatie

    Wolodymyr Selenskyj am Donnerstag bei einem Zwischenstopp mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, am Abend ging’s nach Rom.

    Unbeirrt von der Absage des Ramstein-Treffens, das für Samstag vorgesehen war, reiste der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj am Donnerstag durch Westeuropa. Bei den Treffen mit Regierungschefs in London, Paris und am Abend in Rom sowie am heutigen Freitag in Berlin wirbt der ukrainische Präsident für seinen Siegesplan. In London traf er auch Nato-Generalsekretär Mark Rutte.

    Selenskyj wünscht sich von Großbritannien und Frankreich die Erlaubnis, die an die Ukraine gelieferten Marschflugkörper Storm Shadow (Großbritannien) und Scalp (Frankreich), auch gegen Ziele auf russischem Gebiet einsetzen zu dürfen. Ein Sprecher des britischen Premierministers Keir Starmer sagte allerdings am Donnerstag: “Da hat sich an der Position der britischen Regierung zum Einsatz von Langstreckenraketen nichts geändert.”

    Selenskyj will Krieg “spätestens im Jahr 2025 durch entschlossenes Handeln beenden”

    Der ukrainische Präsident erhofft sich Gebietsgewinne, um seine Verhandlungsposition stärken zu können. Der italienische “Corriere della Sera” hatte gemutmaßt, dass Selenskyj zu einem Waffenstillstand bereit sei, wenn die Ukraine dafür Sicherheitsgarantien von den USA erhielte und der EU schnell beitreten könne. Das ukrainische Außenministerium wies die “manipulierenden Darstellungen einiger ausländischer Medien” am Donnerstagabend aber scharf zurück.

    Eine Grundlage der italienischen Interpretation war ein Tweet Selenskyjs vom Mittwochabend, in dem er schrieb: “Die Lage auf dem Schlachtfeld bietet die Möglichkeit, den Krieg spätestens im Jahr 2025 durch entschlossenes Handeln zu beenden.” Selenskyj schrieb außerdem, dass eine Einladung der Nato an die Ukraine und eine künftige Mitgliedschaft “ein wahrer Schritt in Richtung Frieden” seien. Ohne die Gewissheit, dass die Ukraine niemals von Russland unterworfen würde, sei kein Frieden möglich.

    Mit Hinblick auf den Friedensgipfel, der noch dieses Jahr stattfinden soll, schrieb Selenskyj weiter: “Im Oktober, November und Dezember haben wir eine echte Chance, die Dinge in Richtung Frieden und dauerhafte Stabilität zu bewegen.”

    US-Unterstützung dürfte abnehmen

    Selenskyj weiß, dass die Widerstandsfähigkeit seines Landes letztlich von der Unterstützung aus dem Ausland abhängt. Und da sind mehrere Risiken absehbar. Selbst wenn Donald Trump, der auch nach seiner Amtszeit einen direkten Kontakt zu Russlands Machthaber Wladimir Putin unterhielt, nicht als US-Präsident gewählt wird, ist die Hilfe aus Washington im bisherigen Umfang unsicher.

    Ein weiteres Risiko sind die Populisten in der EU. Sie stellen besonders in Wahlkämpfen die Hilfen für Kiew infrage, in Deutschland finden sich solche Stimmen sowohl in der AfD als auch in dem sich selbst als links verortenden Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW). Die von ihnen geschürten Neiddebatten fruchten. Dabei fällt die Gesamthilfe für die Ukraine im Vergleich zu Aufwendungen bei anderen Krisen eher klein aus. Die gesamten EU-Mittel betrugen bis einschließlich August 2024 etwas weniger als ein Achtel der Mittel gegen die wirtschaftlichen Corona-Auswirkungen, so das Kiel Institut für Weltwirtschaft:

    Das Hauptproblem sei die Abhängigkeit, die zwischen der europäischen und der US-Unterstützung bestehe, denn die USA allein leisteten mehr als die Hälfte der militärischen Hilfe, erläutert auf Nachfrage Pietro Bomprezzi. Er leitet das Projekt Ukraine Support Tracker am Kiel Institut. Und er verweist auf ein weiteres Problem: “Derzeit läuft der militär-industrielle Ausbau in Europa langsamer als der in Russland.” 

    Vom Staatsbudget 2025 plant Putins Regierung ein Drittel fürs Militär und die Rüstungsbranche ein – 32,4 Prozent aller Ausgaben, drei Prozentpunkte mehr als dieses Jahr. Trotz 14 Sanktionspaketen hat das Regime die Wirtschaft zumindest für eine absehbare Zeit stabilisiert. Lew Gudkow, einer der erfahrensten und angesehensten Soziologen Russlands, fasste in dieser Woche bei einem Besuch in Berlin die Situation in seiner Heimat so zusammen: “Russland wird den Krieg auf keinen Fall wegen wirtschaftlicher Auszehrung beenden.”   

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    Wie die Ukrainer auf Selenskyjs “Siegesplan” blicken

    Die ukrainischen Streitkräfte behalten die russische Region Kursk unter ihrer Kontrolle. Seit rund einem Jahr hält Russland jedoch die strategische Initiative an den übrigen Frontabschnitten – vor allem in der Region Donezk.

    Der Fall der wichtigen Stadt Wuhledar, um die länger als zwei Jahre gekämpft wurde, war ein bedeutender Rückschlag für die Ukraine. Auch die sich zuspitzende Lage um die Stadt Pokrowsk bleibt besorgniserregend. Unter diesen Umständen gab es in der Ukraine kritische Stimmen, ob der Begriff “Siegesplan” angebracht sei. Diese stammten auch von einigen Politikexperten, denen eine Nähe zur ukrainischen Präsidentenkanzlei nachgesagt wird.

    Was konkret im Plan steht, der insgesamt aus fünf Punkten bestehen soll und bei denen einer davon in erster Linie für die Zeit nach der Einstellung der Kampfhandlungen gelten soll, ist unklar. Die Liste an Waffen, die die Ukraine bräuchte, um den Kremlherrscher Wladimir Putin zur Einstellung seines Angriffskrieges zu zwingen, dürfte geheim bleiben.

    “Siegesplan” nur eine von mehreren Maßnahmen

    Genau wie Details darüber, wie der wirtschaftliche Druck auf Russland erhöht werden soll, um die Kriegsfinanzierung zu erschweren. Klar ist hingegen, dass die Ukraine auf die Erteilung einer Erlaubnis für den Einsatz der weitreichenderen westlichen Waffen auf russischem Gebiet und einer Einladung in die Nato nach dem Krieg bestehen wird.

    Laut unterschiedlicher US-Medien traf der Plan dort auf zurückhaltende Reaktionen, weil er vergleichsweise wenig Neues beinhalte. Gleichzeitig ist es aus ukrainischer Sicht schwer zu verstehen, was bei der aktuellen Ausgangslage neben der Verstärkung der militärischen Unterstützung der Ukraine und des jeweiligen Drucks auf Russland getan werden könnte, was prinzipiell neu wäre.

    Ob der Begriff “Siegesplan”, der mit großer Wahrscheinlichkeit von Präsident Wolodymyr Selenskyj selbst stammt, in der Ukraine nicht für überhöhte Erwartungen sorgt, ist jedoch zumindest ein legitimer Diskussionspunkt. Der Plan existiert nicht isoliert, sondern wird von der Friedensformel Selenskyjs sowie von einem von ihm angekündigten Plan für Verhandlungen mit Russland flankiert.

    Die verschiedenen Wege zum Ziel

    • Bei der Friedensformel geht es um die Formulierung des strategischen Maximalziels: Kiew wird die Wiederherstellung der vollen territorialen Integrität des Landes anstreben – möglicherweise auch über die aktuellen Kampfhandlungen hinaus und auch auf dem politischen oder diplomatischen Wege.
    • Der “Siegesplan” soll in erster Linie dafür sorgen, dass Russland zu ernsthaften Gesprächen etwa über einen Waffenstillstand ohne unrealistische Vorbedingungen wie zum Beispiel die radikale Verkleinerung der ukrainischen Armee irgendwann bereit ist.
    • Der Verhandlungsplan, dessen Inhalte komplett unbekannt sind, wäre dann für diese Gespräche gedacht.

    Aktuell scheint Russland nicht für Gespräche bereit zu sein. Wie die renommierten Innenpolitik-Journalisten Roman Krawez und Roman Romanjuk von der Ukrajinska Prawda berichten, gibt es mindestens bis zum Frühjahr keine Hoffnungen auf ernsthafte Gespräche. Dafür müsste die russische Armee bei ihrem Vorrücken zunächst gestoppt werden. Trotz verwirrender und oft widersprüchlicher Berichte ist in der Ukraine klar, dass man mehrere Pläne hat und flexibel agieren möchte.

    Umfrage: Mehr Ukrainer bereit zu Gebietsabtritten

    Laut dem Kiewer Internationalen Soziologie-Institut (KIIS) sprechen sich mehr als 70 Prozent der Bürgerinnen und Bürger im Land dafür aus, dass neben dem militärischen auch nach anderen Wegen zur Beendigung des Krieges gesucht werden soll. Bei konkreten Kompromissen sind die Befragten meist dagegen.

    Im Mai dieses Jahres sprachen sich in einer Umfrage 32 Prozent dafür aus, dass der Verzicht auf einige Gebiete für die schnellstmögliche Kriegseinstellung für sie infrage käme – sechs Prozent mehr als im November 2023. 55 Prozent waren jedoch klar dagegen – und dass die Ukraine ihre Gebiete etwa offiziell als russisch anerkennt, ist ganz unrealistisch. So bleibt ein bloßer Waffenstillstand ohne Vorbedingungen und am besten mit starken westlichen Sicherheitsgarantien für die Ukraine ein optimales Szenario. Die aktuelle Lage an der Front deutet jedoch nicht auf diese Entwicklung hin.

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    News

    Ukraine: Europäischer Rat beschließt 35-Milliarden-Euro-Kredit

    Der Europäische Rat hat den lange erwarteten 35-Milliarden-Euro-Kredit für die Ukraine beschlossen. Ungarn hat sich dem offenbar nicht widersetzt – allerdings war eine Zustimmung auch nicht notwendig. Die Ukraine soll diese Mittel im kommenden Jahr bekommen, um daraus Kosten für Verteidigung und Wiederaufbau zu decken. Zins und Tilgung des Milliarden-Kredits stammen aus den sogenannten windfall profits, Zinseinnahmen aus russischen Staatsvermögen, die die EU eingefroren hat. Die G7 hatten den 50 Milliarden Dollar-Kredit im Juni verabredet, um die Ukraine-Hilfe “Trump-fest” zu machen – und ihre Haushalte zu entlasten.

    EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen war vor drei Wochen bei ihrem Besuch in Kiew über die EU-Zusage in Höhe von 20 Milliarden Dollar – offenbar auf eigene Faust – deutlich hinausgegangen. Deutschland hatte seine militärischen Ukraine-Mittel im Haushaltsentwurf für 2025 gegenüber 2024 von 7,5 Milliarden auf vier Milliarden Euro fast halbiert.

    Dies hatte international für Verwunderung und bei der Ukraine zu Sorge geführt. Die Bundesregierung hatte diese Reduzierung bereits mit dem erwarteten Kredit begründet. Die Kreditanteile der USA, die ursprünglich ebenfalls 20 Milliarden Dollar zugesagt hatten, sind bisher nicht bewilligt. Die US-Regierung drängt darauf, dass die russischen Vermögen in der EU dauerhaft eingefroren werden und so auch dauerhaft zur Finanzierung der Kreditmittel zur Verfügung stehen.

    Hierfür wäre eine einstimmige Entscheidung – unter Beteiligung Ungarns – nötig, die Viktor Orbán bisher verweigert hat. Allerdings wird in der Bundesregierung erwartet, dass Orbán seinen Widerstand nach den US-Wahlen aufgibt – unabhängig von deren Ausgang. Sven Siebert

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    Studie: Unfälle mit Putins Schattenflotte könnten Schäden in Milliardenhöhe anrichten

    Als Reaktion auf westliche Sanktionen auf den Export von Rohöl setzt Russland verstärkt seine sogenannte Schattenflotte zum Transport des Öls ein. Russland kauft dafür Tanker billig ein, die im Durchschnitt etwa 17 Jahre alt und oft kaum seetauglich sind, um das Öl über die Weltmeere zu verschiffen. Dabei nehmen die Tanker oft gefährliche Routen, die durch ausschließliche Wirtschaftszonen (AWZ) oder Hoheitsgewässer von Ländern oder durch wichtige maritime Engpässe führen und stark befahren sind. Die Kollisionsgefahr ist hoch.

    Eine Studie des finnischen Thinktanks Centre for Research on Energy and Clean Air (CREA) hat nun berechnet, welche finanziellen Folgen ein Unfall eines solchen Tankers hätte: Zwischen 859 Millionen und 1,6 Milliarden US-Dollar könnte die Bekämpfung eines Ölteppichs kosten. Die Kosten dürften am Ende von den Küstenstaaten getragen werden. Denn: Die undurchsichtige Eigentümerstruktur und fragwürdige Versicherungsdeckung erschweren die Durchsetzung von Verantwortlichkeit bei Unfällen. 

    Havarierte Tanker als Teil hybrider Kriegsführung

    Seit dem Beginn der russischen Invasion in der Ukraine waren “Schattentanker” in 50 Zwischenfälle in verschiedenen Regionen wie der Meerenge zwischen der Ost- und Nordsee und den Dardanellen und dem Bosporus vor der Türkei, bis vor der Küste Malaysias verwickelt, heißt es in der Studie. Zusätzlich steigt die Gefahr, dass Russland die Tanker auch als Teil seiner hybriden Angriffsstrategie gegen den Westen einsetzt: Was wie ein Unfall aussieht, kann eine absichtlich herbeigeführte Havarie sein.

    Die Autoren der Studie empfehlen, eine Nachweispflicht einer Schadensversicherung für Öltanker, die Hoheitsgewässer und ausschließliche Wirtschaftszonen passieren wollen, zu implementieren. Außerdem fordern sie strengere Umwelt-Vorschriften für ältere Tanker sowie Maßnahmen zur Erhöhung der Transparenz bezüglich Eigentümerschaft und Versicherungsschutz.

    Die Studie erscheint am heutigen Freitag und lag Table.Briefings vorab vor. Sie kann hier abgerufen werden. klm

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    KAS-Analyse: Harris setzt auf graduelle US-Truppenreduzierung in Europa – Trump auf Tempo

    Unabhängig vom Ausgang der Präsidentschaftswahl in den USA im November muss sich Europa sicherheitspolitisch unabhängiger von den USA aufstellen. Einer der Hauptunterschiede zwischen einer Harris- und einer Trump-Regierung läge nicht darin, ob die USA Verteidigungsressourcen aus Europa abziehen würden, sondern nur wie schnell und in welchem Umfang, argumentieren Evelyn Gaiser und Max Willem Fricke von der Konrad-Adenauer-Stiftung in einem Analysepapier, das am heutigen Freitag erscheint und Table.Briefings vorab vorlag.

    Etwa 85.000 US-Soldaten sind derzeit in Europa stationiert, die meisten davon in Deutschland. Fähigkeiten der strategischen Einsatzbereitschaft (strategic enablers) wie Aufklärung, Luftbetankung und Satellitenkommunikation werden von den USA gestellt. Während Trump einen raschen Rückzug forcieren könnte, würde Harris’ Sieg eher einen graduellen Prozess bedeuten, so Gaiser und Fricke.

    Zwei Trends verstärkten die Dringlichkeit nach mehr Verantwortung der Europäer für den eigenen Kontinent: 

    • In den USA schwindet die Unterstützung für die Hilfen für die Ukraine und die Bereitschaft, die europäische Verteidigung zu finanzieren. Europa müsse den USA deshalb den Mehrwert der Nato und eines stabilen Europas klarmachen. “Berechnungen zufolge würden Handelsverluste, die durch einen Rückzug der USA aus internationalen Sicherheitsverpflichtungen mittel- und langfristig entstehen könnten, die möglichen Einsparungen bei Verteidigungsressourcen übersteigen”, heißt es in dem Papier.
    • Die USA nimmt China als größte Bedrohung für die USA wahr. “Angesichts zunehmender Spannungen im Indo-Pazifik wird eine Verlegung zusätzlicher militärischer Ressourcen, insbesondere der Luftwaffe und der Marine, von Europa in den indo-pazifischen Raum mittelfristig kaum zu vermeiden sein”, schreibt Gaier. Europa müsse daher mehr Engagement im Indo-Pazifik zeigen, um eigene Interessen zu schützen und den USA ihren Beitrag zur transatlantischen Sicherheit zu signalisieren. Wenn die USA das Engagement in der Nato zurückführen und auf China richteten, könnte China außerdem mehr Einfluss in Europa gewinnen. klm
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    EU-Cybersicherheitsrichtlinie NIS-2: Wo Experten und Politik Schwachstellen bei der Umsetzung sehen

    Der Bundestag befasst sich heute in erster Lesung mit dem Gesetzentwurf der Bundesregierung für die Umsetzung der EU-Cybersicherheitsrichtlinie NIS-2. Nicht nur in der Opposition regt sich Unmut über die derzeitige Fassung. Mit dem Gesetz soll die Einführung verbindlicher Maßnahmen für Verwaltung und Wirtschaft geregelt werden, um in der EU ein hohes Cybersicherheitsniveau sicherzustellen.

    Um das zu erreichen, sollen künftig weit mehr Organisationen und Unternehmen strukturierte Risikomanagement-Maßnahmen ergreifen, nicht nur Betreiber kritischer Infrastrukturen. Damit einher geht auch eine Ausweitung des Verantwortungsbereichs des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI), das für die Überwachung der Maßnahmen und Unterstützung bei der Umsetzung zuständig ist.

    Kritik kommt von Opposition, Ampel-Politikern und Experten

    Die Opposition sieht die Behörde damit überfordert. “Der gut gemeinte Aufbau des BSI zur neuen Zentralstelle wird in der Umsetzung scheitern, da der Haushalt 2025 für die Behörde Kürzungen in Höhe von fast zehn Prozent des Gesamtetats vorsieht”, sagte der CDU-Innenpolitiker Marc Henrichmann zu Table.Briefings “Die Ampel stellt mit ihrer NIS-2-Umsetzung die gesamtdeutsche Cybersicherheit auf wacklige Beine”, so Henrichmann.

    Aber auch in den eigenen Reihen besteht Unmut über Verzögerungen und über den Umgang des Bundesministeriums des Inneren mit wesentlichen Forderungen aus dem Parlament.

    Abgeordnete der Ampel-Fraktionen rund um Manuel Höferlin (FDP) und Konstantin von Notz (Grüne) hatten vor der Sommerpause einen Konsens erzielt, wie das BSI künftig unabhängiger vom BMI agieren und mehr Verantwortung für das Cybersicherheitsmanagement der Bundesverwaltung übernehmen könne – und diesen an das BMI weitergegeben. Doch der zuständige Parlamentarische Staatssekretär, Johann Saathoff, habe in seiner Antwort wesentliche Forderungen ignoriert, heißt es aus Parlamentskreisen.

    Auch Experten sehen weiteren Verbesserungsbedarf. Dennis-Kenji Kipker, Research Director des cyberintelligence.institute und Professor für IT-Sicherheitsrecht, monierte “offene inhaltliche Baustellen”, unter anderem zur Unabhängigkeitsstellung des BSI, aber auch zur Konkretisierung von entscheidenden Begriffen wie “Schwachstelle”. “Es wird jetzt darauf ankommen, den bestmöglichen Kompromiss in kürzestmöglicher Zeit zu erzielen, denn nichts anderes als die nationale Cybersicherheit steht mit jedem Tag von Neuem auf dem Spiel”, so Kipker. Laut einem vorläufigen Zeitplan des Ministeriums soll das Gesetz im März 2025 in Kraft treten. wp

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    Must-Reads

    Loyal: Die drohnenarme Armee. Bei der Bundeswehr spielen Drohnen bisher kaum eine Rolle. Über 600 Drohnen verfügen alle Teilstreitkräfte der Bundeswehr zusammen. Eine streitkräftegemeinsame Strategie hat die Bundeswehr nicht, stattdessen entwickeln alle Teilstreitkräfte eigene Konzepte und formulieren darauf basierende militärische Forderungen.

    Financial Times: Exploding pagers and spy chips: The rising risk of hardware tampering. Die explodierenden Pager der Hisbollah-Miliz legten eine Schwachstelle offen. Lange Zeit wurde vor allem darüber diskutiert, wie man sich gegen Cyberbedrohungen schützen kann. Dabei wurden schon während des Kalten Krieges Konzepte entwickelt, Chips und sogar die Chipproduktion zu manipulieren.

    Wall Street Journal: How Oct. 7 Upended America’s Global Military Strategy. Nach dem Sieg über den IS haben die USA den größten Teil ihrer Truppen aus dem Nahen Osten abgezogen. Die Massaker der Hamas vom 7. Oktober 2023 zwangen sie, ihre Strategie zu ändern. Die USA haben die Zahl der Kampfflugzeuge in der Region im vergangenen Jahr fast verdoppelt.

    Hybrid CoE: Uncrewed maritime vessels: Shaping naval power in hybrid threat operations. Unbemannte Wasserfahrzeuge werden zunehmend eine wichtige Rolle bei der Bekämpfung hybrider Bedrohungen im maritimen Bereich übernehmen. Das Papier behandelt die Geschichte der unbemannten Fahrzeuge, aktuelle Entwicklungen und die verschiedenen bestehenden Klassen. Zudem werden die Einsatzmöglichkeiten dieser Boote bei hybriden Bedrohungen beschrieben.

    Heads

    Rohrschneider ist neuer Kommandeur des JSEC in Ulm

    Generalleutnant Kai Ronald Rohrschneider bei der Kommandoübergabe Multinationales Kommando Operative Führung in der Wilhelmsburgkaserne am 10. Oktober 2024.

    Generalleutnant Kai Rohrschneider koordiniert künftig für die Nato Nachschub und mögliche Truppenaufmärsche des Bündnisses an die Ostflanke – vor allem durch die “Drehscheibe Deutschland”. Der 60-jährige Bundeswehrgeneral übernahm am Donnerstag den Befehl über das “Joint Support and Enabling Command (JSEC)” der Allianz mit Sitz in Ulm.

    In Personalunion ist Rohrschneider, der zuvor die Abteilung “Einsatzbereitschaft und Unterstützung Streitkräfte” im Verteidigungsministerium leitete, auch Befehlshaber des “Multinationalen Kommandos Operative Führung” der Bundeswehr.

    Die Nato hatte das JSEC 2018 als Unterstützungskommando für Logistik, Verstärkung und militärische Mobilität aufgestellt. Bereits vor dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine 2022 war das Bündnis unter dem Eindruck des russischen Vorgehens unter anderem bei der Annexion der Krim zu der Einschätzung gekommen, dass Mobilität und schnelle Nachschubwege für eine mögliche Abwehr an der Nato-Ostflanke entscheidend sind. Das Ulmer Kommando ist dem militärischen Oberbefehlshaber des Bündnisses für Europa direkt unterstellt.

    Der neue Kommandeur Rohrschneider hatte bereits 2018 als Stabschef im Multinationalen Kommando in Ulm Dienst getan, bevor er ins Verteidigungsministerium wechselte. Zuvor war der Panzeroffizier – als deutscher Soldat – Stabschef im Hauptquartier der U.S. Army Europa in Wiesbaden. Rohrschneider war mehrfach in Afghanistan im Einsatz.

    Den Posten als Abteilungsleiterin “Einsatzbereitschaft und Unterstützung Streitkräfte” im Ministerium übernahm Generalstabsarzt Nicole Schilling, die erste Soldatin als Abteilungsleiterin im Wehrressort. tw

    • Bundeswehr
    • Mobilität
    • Nato

    Falko Droßmann ist neuer verteidigungspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion

    Falko Droßmann (SPD).

    Falko Droßmann ist neuer verteidigungspolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. Diese wird der 50-Jährige auch künftig nicht nur im Verteidigungsausschuss, sondern auch in dem für Menschenrechte und humanitäre Hilfe vertreten – sowie im Unterausschuss für Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung.

    Dass dem früheren Polizeivollzugsbeamten und Oberstleutnant der Luftwaffe Fragen von Krieg und Frieden wichtig sind, macht er seit der Zeitenwende in zahlreichen Podiumsdiskussionen immer wieder deutlich. “Pastor zu sein, war mein Traum”, sagte er Ende 2023  dem christlichen Medienmagazin Pro. Seinen Posten als Sprecher der Arbeitsgruppe Queerpolitik der SPD-Bundestagsfraktion gibt Droßmann demnächst auf. mrb

    • Bundeswehr
    • Menschenrechte
    • Rüstungskontrolle
    • Verteidigungspolitik

    Nachtisch

    Die Widersprüchlichkeiten, die internationales Handeln mit sich bringt, kann auch Jan van Aken nicht beseitigen. In “Worte statt Waffen” erklärt der frühere Bundestagsabgeordnete – der beim Parteitag der Linken kommende Woche zu einem der Vorsitzenden gewählt werden will – aber, warum er ein “Primat des Zivilen” fordert. Manchmal etwas reißerisch: “Deutschland [ist] einer der größten Waff­enexporteure der Welt und liefert fast hemmungslos fast jede Waff­e in fast jedes Land.” An jedem der 8,36 Milliarden Euro, die die Bundesregierung 2022 an Rüstungsexporten genehmigt habe, “klebt Blut”, so van Aken. Manchmal ist er aber auch abwägend, mit Verständnis für die andere Seite. Worum es ihm geht: Er will “das Nachdenken über friedliche Lösungen überhaupt wieder auf die Tagesordnung […] setzen”.

    Das gelingt ihm auch dank seiner Erfahrungen als früherer UN-Waffeninspekteur und als promovierter Biologe, der naturwissenschaftliche Möglichkeiten der Rüstungskontrolle erklärt. Anekdotisch gespickt liefert er Einblicke in Friedensinitiativen, die ohne den Einsatz von Waffen auskommen. Wie Konflikte auf lokaler Ebene beigelegt werden können, welche Rolle zivile Initiativen und Gerechtigkeitsempfinden dabei spielen oder warum ein Waffenstillstand nicht immer sinnvoll ist. Wenn Konflikte nicht mehr mit Waffen ausgetragen werden, schwindet auch die Aufmerksamkeit dafür. Er will zeigen: Frieden zu erhalten ist leichter, als ihn zu schaffen.

    Ein Buch, das vorsichtig Optimismus streut, weil es nacherzählt, wie Kriege endeten oder verhindert wurden – und was da manchmal richtig gemacht wurde. bub

    Econ Verlag: Jan van Aken – Worte statt Waffen. Wie Kriege enden und Frieden verhandelt werden kann.

    Security.Table Redaktion

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