Table.Briefing: Security

Zweifel an EU-Verteidigungskommissar + Litauen-Brigade: Stationierung könnte sich verzögern

Liebe Leserin, lieber Leser,

die Europawahl wirft ihre Schatten voraus – nicht zuletzt sicherheitspolitisch. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat mit ihrem Vorschlag, den Posten eines EU-Verteidigungskommissars zu schaffen, die Richtung vorgegeben: Um der Kakophonie in Brüssel ein Ende zu bereiten, solle das Thema künftig von oberster Stelle zentral behandelt werden. Stephan Israel hat sich im Europaparlament umgehört und dabei auch einige kritische Stimmen gesammelt. So sei die frühere deutsche Verteidigungsministerin zwar gut darin, “Überschriften zu deklamieren”, sagt etwa der Sozialdemokrat Udo Bullmann. Politik sei das aber nicht, sondern eher ein ungedeckter Scheck.

Größere Sorge bereiten den Parlamentariern in Brüssel aktuell jedoch Versuche, den Wahlgang selbst zu manipulieren. Netzwerk- und Informationssicherheit spielten deswegen eine immer größere Rolle, warnt auch die Europäische Netzwerk- und Informationssicherheitsbehörde (ENISA): Angriffe auf die Wahlinfrastruktur über die dabei verwendete Software, aber auch Attacken über Verschlüsselungstrojaner und Löschviren, stellten die größten Gefahren dar. Falk Steiner analysiert, was die EU-Institutionen tun können, um den Wahlgang Anfang Juni abzusichern.  

Bessere Verteidigungsfähigkeit für Deutschland und Europa will auch Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck und hat dazu die Chefs deutscher Rüstungsunternehmen zu Gesprächen eingeladen. Was dabei besprochen werden soll, weiß Helene Bubrowski.

In den baltischen Staaten ist man auf Attacken vor allem aus Russland gleich welcher Art schon länger vorbereitet. Umso größer war in Litauen die Freude über die Bereitschaft der Bundeswehr, eine Brigade zum Schutz der Nato-Ostflanke aufzustellen. Mit dem Rücktritt von Verteidigungsminister Arvydas Anušauskas in Vilnius könnte der ambitionierte Zeitplan von Boris Pistorius, mit der Aufstellung schon dieses Jahr zu beginnen, ins Wanken geraten, schreibt Wilhelmine Preußen.

Eine gute Lektüre wünscht,

Ihr
Markus Bickel
Bild von Markus  Bickel

Analyse

Neuer Posten des EU-Verteidigungskommissars: Mitgliedstaaten fürchten den Transfer von Souveränität  

Der Posten des EU-Verteidigungskommissars weckt Interesse, bevor er überhaupt geschaffen ist.  Auch Estlands Ministerpräsidentin Kaja Kallas ist für diese Aufgabe im Gespräch.

Ursula von der Leyen hat sich festgelegt. Sollte sie eine zweite Amtszeit als Kommissionspräsidentin bekommen, will sie in ihrem Kollegium neu den Posten als Verteidigungskommissarin einrichten. Auch die Europäische Volkspartei hat die Forderung nach dem prestigeträchtigen Job im Wahlmanifest prominent aufgenommen. Außerhalb der eigenen Parteienfamilie ist das Echo allerdings gemischt, und auch in einigen den Mitgliedstaaten gibt es Vorbehalte.

Ihren Vorstoß begründet von der Leyen mit Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine und der Herausforderung, die daraus für Europa folgt. Die Frage von Europas Verteidigung und die Kriege in der Nachbarschaft dürften jedenfalls den Wahlkampf dominieren, die Spitzenkandidatin der EVP das Thema dort prominent besetzen. Zum genauen Zuschnitt des Portfolios hat sich die Kommissionschefin bisher allerdings nicht festgelegt, was möglicherweise auch Missverständnisse gefördert hat. 

Mehr als nur Kommissar für Verteidigungsindustrie

Der EU-Abgeordnete Michael Gahler (CDU), außenpolitischer Sprecher der EVP-Fraktion, unterstützt naturgemäß den Plan seiner Parteifreundin und plädiert für ein möglichst breites Feld an Zuständigkeiten. Das Portfolio dürfe sich nicht auf einen reinen Kommissar für die Verteidigungsindustrie beschränken, vielmehr bedürfe es eines Kommissars für die Verteidigungsunion.

Der künftige Amtsinhaber müsse auch die Verwirklichung des Binnenmarktes für Verteidigungsgüter einfordern können, in den vergangenen Jahren von den Mitgliedstaaten unter Verweis auf nationale Sicherheit immer wieder ausgehebelt. Auch der Bereich militärische Mobilität müsste laut Gahler in den Aufgabenbereich eines Verteidigungskommissars gehören. Ebenso der Verteidigungsfonds, geschaffen, um kooperative Forschung und Investitionen zu fördern.

“Entscheidend”, sagt Gahler, “kommt es darauf an, dass der Kommissar einerseits die bereits bestehenden Kompetenzen der Kommission bündelt, andererseits aber auch die Brücke zu den Instrumenten und Initiativen der Mitgliedstaaten, insbesondere PESCO, schlägt, um die gemeinsamen Anstrengungen effektiv auf die Stärkung der europäischen Verteidigungsfähigkeit auszurichten.” Vor diesem Hintergrund setzt Gahler auch darauf, dass im neuen Parlament der Unterausschuss Sicherheit und Verteidigung (SEDE) zu einem Ausschuss für Verteidigung aufgewertet wird, der die Kompetenzen des Verteidigungskommissars widerspiegeln könne.

Alleingänge ein “massives Sicherheitsrisiko” für Europa

Skeptisch ist hingegen Hannah Neumann (Grüne). Die Diskussion über den Posten eines Verteidigungskommissars lenke von den eigentlichen Problemen ab, so die EU-Abgeordnete, ebenfalls Mitglied im SEDE-Unterausschuss. Europa müsse mehr gemeinsam produzieren, einkaufen und dafür sorgen, dass die Lieferungen zuerst in die Ukraine gelangten und nicht etwa nach Katar oder Saudi-Arabien, nur weil diese zuerst bestellt hätten.

Dies alles sei heute schon möglich, nur fehle oft der Wille bei den Mitgliedstaaten. Diese müssten endlich verstehen, dass die Alleingänge ein “massives Sicherheitsrisiko” für Europa darstellten. Nur wenn in den Hauptstädten ein Umdenken stattfinde, könne es sinnvoll sein, einen Verteidigungskommissar einzurichten. Sonst sei die Forderung nicht mehr als ein Wahlkampfmanöver. 

Ursula von der Leyen sei gut darin, “Überschriften zu deklamieren”, sagt der Sozialdemokrat Udo Bullmann. Eine Überschrift sei noch keine Politik, sondern wie ein ungedeckter Scheck. Die Kommissionspräsidentin müsse klar sagen, wie die neue Figur handlungsfähig gemacht werden könne. Es bringe nichts, die Fragmentierung der Rüstungsindustrie mit der Fragmentierung der Zuständigkeiten in der EU-Kommission zu kompensieren.

Für den Posten gebe es weder ausreichend Haushaltsmittel, noch seien die Mitgliedstaaten bereit, Souveränität nach Brüssel zu transferieren oder etwa mit Eurobonds genügend Schlagkraft zu schaffen. Udo Bullmann plädiert “pragmatisch” dafür, stattdessen den Posten des Hohen Beauftragten zu stärken.

Diskussion über mehr Geld absehbar

Das Ziel sei nicht etwa ein europäischer Verteidigungsminister, betont Eric Maurice vom European Policy Centre (EPC). Die EU könne jedoch mit einem Superkommissar für Verteidigungsindustrie die Bedeutung des Politikfeldes in der nächsten Legislaturperiode unterstreichen. Das Portfolio von Binnenmarktkommissar Thierry Breton sei ohnehin sehr breit, der Bereich Rüstungsindustrie könne deshalb gut separiert werden. Hinzu werde die Aufgabe kommen, das neue EU-Programm für die Verteidigungsindustrie (EDIP) und die übergreifende Strategie umzusetzen.

Darüber hinaus gebe es derzeit aber kaum Anzeichen, dass die Mitgliedstaaten bereit seinen, zusätzliche Kompetenzen abzugeben. Die Diskussion über mehr Geld werde aber kommen, etwa über einen Fonds von 100 Milliarden Euro, wie ihn Breton gefordert habe.

Die Kommissionspräsidentin kann den Zuschnitt der Portfolios zwar in eigener Kompetenz festlegen, kann aber das Echo aus Mitgliedstaaten und Parlament nicht ignorieren. Auch in einigen Hauptstädten gibt es Zweifel, ob der Vorstoß mehr als ein Wahlkampfslogan ist.

Berlin und Paris reagieren zurückhaltend

Aus Berlin kommen eher skeptische Äußerungen. Einen Kommissar für Krieg und Frieden werde es nicht geben. Und mit Josep Borrell habe man schon jemanden, der die Treffen der Verteidigungsminister leiten könne. Die Idee von zusätzlichen Mitteln sei auch nicht realistisch. Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) erinnerte zudem daran, dass Verteidigung in der EU zwischenstaatlich organisiert sei. Er könne sich aber einen Kommissar für Rüstungsindustrie vorstellen, der bestehende Kompetenzen innerhalb der EU-Kommission vereine, aber keine neuen Zuständigkeiten schaffe.

Auch in Paris sind die ersten Reaktionen ambivalent. Der Posten dürfe nicht mit einem Transfer von Souveränität verbunden sein. 

Wobei der Franzose Thierry Breton in Brüssel als möglicher Anwärter für den neuen Posten gilt, sollte Emmanuel Macron ihn für eine zweite Amtszeit nach Brüssel schicken. Auch die Namen des polnischen Außenministers Radosław Sikorski und der estnischen Regierungschefin Kaja Kallas fallen.

Die Niederlande könnten die scheidende Verteidigungsministerin Kajsa Ollongren ins Rennen schicken, die sich öffentlich für den separaten Posten eines Verteidigungskommissars starkgemacht hat. Interesse hat auch der Tscheche Jiří Šedivý signalisiert, derzeit noch Generalsekretär der Europäischen Verteidigungsagentur. Der Posten weckt schon viel Interesse, bevor er überhaupt geschaffen ist. 

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Wie die EU die Europawahl vor Manipulation schützen will

Die Angst ist groß: Könnte Russlands Machthaber Wladimir Putin versuchen, die Wahl zum Europaparlament zu beeinflussen? Wenn ja, wie? Immer mehr Bürger würden bei Umfragen der Demokratie weniger vertrauen, sagt EU-Kommissionsvizepräsidentin Věra Jourová in dieser Woche im Europaparlament. Das dürfe nicht sein, und die Integrität der Wahlen müsse sichergestellt werden. Zuständig dafür: in erster Linie die Nationalstaaten. Doch auch EU-Institutionen versuchen einiges.

Auch wenn der Wahlvorgang weiterhin vor allem mit Stift und Papier stattfinde, spielten Netzwerk- und Informationssicherheit eine immer größere Rolle, heißt es in einem gerade erst von der Europäischen Netzwerk- und Informationssicherheitsbehörde (ENISA) aktualisierten Kompendium zur Absicherung von Wahlen. Bei der Europawahl hänge die Integrität des Wahlvorgangs von jedem einzelnen Mitgliedstaat ab.

ENISA listet in dem umfangreichen Werk eine Vielzahl möglicher technischer Angriffsvarianten auf:

  • Ransomware und Wiper-Attacken, also Verschlüsselungstrojaner und Löschviren
  • Distributed Denial of Service, bei denen Zielsysteme mit Verkehr “beschossen” werden, bis sie zusammenbrechen
  • Social Engineering und Phishing, um an sensible Informationen zu gelangen
  • Defacement, also die gezielte Entstellung von Webseiten
  • Supply-Chain-Attacks – also Angriffe auf die Wahlinfrastruktur über dabei verwendete Software

Hierauf müssten sich die zuständigen Wahlleitungen einstellen und Vorsorge treffen. ENISA listet eine Vielzahl an Maßnahmen zur Vorbereitung auf, um im Fall der Fälle nicht ins Chaos zu stürzen.

Einflussnahme mit Social Media

Doch auch jenseits des Wahlvorgangs selbst sieht ENISA hybride Bedrohungslagen – vor allem durch “FIMI”, die Einmischung und Manipulation aus dem Ausland, die mit klassischen Cyberangriffen kombiniert werden könnte.

Insbesondere Soziale Medien gelten als Ort der Möglichkeiten für Einflussnahmeversuche. ENISA nennt hier die gezielte Streuung von Falschinformationen sowie vor allem die Verstärkung. Dabei werden Inhalte, die nicht zwingend unwahr sind, mit den Mechanismen der Mediengesellschaft befeuert. Das meint etwa eine stärkere, algorithmisch getriebene Verbreitung von Inhalten durch hohe Interaktionsraten – was sich über unechte Accounts befeuern lässt.

Dies ist ein Grund, warum viel Hoffnung auf dem Digital Services Act (DSA) liegt. Denn der verpflichtet die größten Plattformen, gegen sogenannte systemische Risiken vorzugehen, die ihren Geschäftsmodellen und Plattformmechanismen inhärent sind. Und dazu zählt auch die Manipulation von Öffentlichkeit durch ausländische Einflussnahme. Die größten Social-Media-Plattformen haben sich zudem im Rahmen eines Code of Practice zum Kampf gegen Desinformation verpflichtet. Die Ausnahme bildet Elon Musks X (früher Twitter).

Plattformen sollen sich vorbereiten

Die EU-Kommission will von den Plattformen verlangen, dass diese sich auf Probleme bestmöglich vorbereiten. Aus Sicht der Behörde ist noch zu wenig geklärt, inwiefern Plattformen einschreiten, wenn KI-generierte oder -unterstützte Inhalte auf ihnen verbreitet werden. Deshalb hat sie am Donnerstag Auskunftsverlangen an Microsofts Bing, Instagram, Snapchat, Facebook, Google Search, Tik Tok, You Tube und X geschickt.

Bis zum 5. April müssen diese nun Fragen rund um ihre Gefahreneinschätzung und ihren Umgang mit KI-bezogenen Problemen im Zusammenhang mit Wahlen beantworten. Die Erkenntnisse daraus sollen dann in formelle Empfehlungen eingearbeitet werden, die die Kommission rechtzeitig vor den Europawahlen im Juni den Betreibern zur Verfügung stellen will.

Amplifizierung als Strategie

Doch Probleme gibt es auch ganz ohne KI. Lutz Güllner, Leiter der Abteilung für Strategische Kommunikation im Europäischen Auswärtigen Dienst, muss sich jeden Tag mit Einflussnahme-Versuchen beschäftigen. Er nennt die Bauernproteste als Beispiel für die Amplifizierungs-Aktivitäten: Niemand bezweifle, dass es echte Sorgen bei den Landwirten gebe. “Trotzdem haben wir auch in diesem Falle wieder gesehen, dass Desinformationsakteure – und ich beziehe mich insbesondere hier auf externe Akteure – immer wieder auf dieses Thema aufspringen”, sagt Güllner. Opportunistisch würden diese auf “Konfliktstoffe, auf diese Bruchlinien in der Gesellschaft aufspringen, sie benutzen, sie verstärken”.

Diese Kampagnen müssten keineswegs immer groß sein, sagt Güllner. Für die Europawahlen sieht er keineswegs eine Zwangsläufigkeit, dass etwa Russland unmittelbare Einflussnahme versuche oder damit gar erfolgreich sei. Aber: “Es gibt ein Risiko. Für dieses Risiko, für diese Verletzbarkeit, für diese Vulnerabilität müssen wir uns vorbereiten.” Defätismus, dass die Wahlen in jedem Fall delegitimiert würden, wäre aber falsch, sagt er: “Sie sind sicher, sie sind wichtig, ein wichtiger Ausdruck unserer Demokratie – und deswegen müssen wir sie eben auch schützen.”

DSA wirkt nicht rechtzeitig bis zur Wahl

Dass der DSA bereits zur Europawahl bei den größten Anbietern vollständig wirkt, erwarten Experten eher nicht. Dafür ist die Vorlaufzeit zu kurz, die Mechanismen sind noch nicht eingespielt. Umso wichtiger, dass die Institutionen auch ansonsten gut aufgestellt sind. In Deutschland kümmert sich eine interministerielle Arbeitsgruppe um Fake-News und andere Probleme, etwa mit KI-Fakes. Das Bundesamt für Verfassungsschutz beobachtet ausländische Einflussnahmekampagnen. Frankreich hat mit Viginum eine formelle Stelle beim Auswärtigen Dienst geschaffen, die sich auf die Suche nach Desinformationskampagnen begibt.

Im Februar veröffentlichte Viginum etwa einen technischen Bericht zu “Portal Kombat”, eine so getaufte Desinformationskampagne, bei der Newswebseiten erstellt und mit prorussischen Inhalten befüllt wurden – unter anderem “pravda-de.com”. Aber auch Nachbauten etablierter, westlicher Nachrichtenwebseiten beschäftigen die Desinformationsenttarner – auch deutsche Newsportale sind hiervon regelmäßig betroffen. Das wesentlichste Mittel, sagen daher sowohl EU-Vertreter als auch die ENISA, sei daher nicht nur die Sensibilisierung der Zuständigen, sondern vor allem auch die der breiten Öffentlichkeit – eine Aufgabe für Medien und Politik.

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Nach der gescheiterten Sahel-Politik will Deutschland sich künftig mehr auf die angrenzenden Küstenländer konzentrieren

Jetzt müssen also die US-Amerikaner raus aus Niger, so will es die Militärregierung von General Tiani. Wie so oft bei der einseitigen Aufkündigung einer Militärkooperation soll das “unverzüglich” geschehen, hieß es vom machthabenden Nationalen Rat in Niamey. Das Zeichen ist deutlich: Niger will weniger Westen im eigenen Land, das sich mit den beiden Sahel-Nachbarn Mali und Burkina Faso zu einer Allianz verbrüdert hat und dafür auch eigene Truppen schaffen will.

Allerdings bedeutet der Rauswurf der US-Streitkräfte, die im Norden bei Agadez eine große Drohnenbasis zur Aufklärung unterhalten, auch schlicht, dass der Einfluss des Westens eben nicht mehr so groß ist wie einst. Davon zeugt auch das von Tiani gesetzte Ende der EUCAP-Sahel-Mission zur Unterstützung nigrischer Sicherheitskräfte. “Werden die russischen Wagner-Truppen die Lücke füllen, die die westlichen Streitkräfte hinterlassen?”, lautet die bange Frage nun in westlichen Sicherheitskreisen.

AA zweifelt an Nigers Verlässlichkeit

“Mit ihrer abrupten einseitigen Aufkündigung des Stationierungsabkommens mit den USA und ihrem unbegründeten Vorgehen gegen EUCAP Sahel Niger hat die nigrische De-facto-Regierung ernsthafte Fragen bezüglich ihrer Verlässlichkeit aufgeworfen”, heißt es aus dem Auswärtigen Amt gegenüber Table.Briefings.

Verlässlichkeit wäre jedoch gut für die weitere Zusammenarbeit, an der Deutschland festhält. Die Stabilität Nigers liege im deutschen sicherheitspolitischen Interesse, sagte ein Sprecher des Verteidigungsministers Table.Briefings auf Anfrage. “Daher wollen wir, wenn die politische Situation in Niger es zulässt, engagiert bleiben.

Dafür stimmt sich die Bundesregierung derzeit ressortübergreifend ab, um konkrete Kooperationsvorschläge zu erarbeiten, die dann die Grundlage für die Abstimmung und eine mögliche Weiterführung der Kooperation mit Niger wären”, hieß es weiter. Unter anderem steht das Projekt, mit deutscher Beteiligung ein Militärkrankenhaus zu errichten, weiter im Raum. Auch der Lufttransportstützpunkt in Niamey könnte erhalten bleiben.

Schulze und Pistorius suchen Schulterschluss

Nach dem Scheitern aller bisherigen Ansätze des Westens für die Sahel-Zone wirkt die deutsche Haltung geprägt von einer allgemeinen Ratlosigkeit. Oder um es in Politiker-Deutsch auszudrücken: Die Bundesregierung sucht eine neue Sahel-Strategie. Die Frage ist, wie es nach der Abwicklung des Minusma-Einsatzes in Mali, die sich in den letzten Zügen befindet, weitergehen kann und soll. Verteidigungsminister Pistorius und Entwicklungsministerin Schulze suchen neuerdings wieder den Schulterschluss, was die Sahel-Zone angeht. Sicherheit und Entwicklung sollen Hand in Hand gehen, lautet die Botschaft etwa im BMZ-Podcast mit Schulze und Pistorius. Am Abend des Dienstag, 19. März, wollen die Entwicklungsministerin und der Verteidigungsminister gemeinsam bei einem Diskussionsabend der Friedrich-Ebert-Stiftung in Berlin auftreten. In Zeiten des Ukraine-Kriegs ist es bemerkenswert, dass Pistorius sich dafür die Zeit nimmt.

Vernetzte Sicherheit ist kein neues Schlagwort. Das wurde ja schon in Afghanistan verwendet”, sagte Afrika-Experte Malte Lierl vom GIGA-Institut in Hamburg im Gespräch mit Table.Briefings. Mit Blick auf die Sahel-Länder müsse jetzt Weitsicht herrschen: “Militärregime sind nicht so stabil, wie ihr schneidiges Auftreten das suggeriert. Für die europäische und deutsche Politik kommt es darauf an, sich langfristig zu positionieren und aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen.”

Vor allem, “dass das Engagement zu sehr sicherheitspolitisch definiert worden ist und eigentlich die Sicherheitspolitik der Entwicklungspolitik übergeordnet worden ist.”  Auch die nationale Sicherheitsstrategie der Bundesregierung, die im vergangenen Sommer veröffentlicht wurde, spricht von einem umfassenden Ansatz in der Sicherheitspolitik. Der Sahel wird allerdings nur am Rande erwähnt.

300 Millionen für Sahel-Krisenländer

Für 2021 bis 2023 hatte das BMZ nach eigenen Angaben fast 300 Millionen Euro für die drei Sahel-Länder Mali, Burkina Faso und Niger eingeplant: Die Zusagen für die bilaterale staatliche Zusammenarbeit an diese drei Staaten belaufen sich demnach auf rund 298 Millionen Euro. Die Umsetzung der bilateralen Entwicklungszusammenarbeit mit Niger ist allerdings seit dem Putsch im Juli 2023 suspendiert. Die bilateralen Zahlungen an die drei Sahel-Staaten machen 18 Prozent der BMZ-Zuwendungen für ganz Westafrika aus, wie das BMZ errechnet hat.

Finanziell liegt der Schwerpunkt woanders: Hauptempfängerland für bilaterale Hilfen ist nach BMZ-Angaben die Elfenbeinküste mit 347 Millionen Euro (2021-2023). Dazu kommen seit 2021 weitere 740 Millionen Euro für die drei Länder aus den sogenannten Kriseninstrumenten des BMZ – die zumeist an UN-Organisationen und Nichtregierungsorganisationen fließen – sowie aus den Fördertöpfen des BMZ für Nichtregierungsorganisationen und Kirchen. “Diese Projekte werden in allen drei Ländern weiter umgesetzt“, so das BMZ auf Anfrage.

“Rein militärisch lassen sich die Dschihadisten im Sahel nicht besiegen. Sie werden für eine lange Zeit dableiben. Der Ansatz in der Extremismus-Bekämpfung muss sein, die Gesellschaften so weit zu stabilisieren, dass die Präsenz der Dschihadisten nicht zu einem kompletten Zusammenbruch der Staaten führt und auch eine weitere Ausbreitung einzudämmen”, meinte Lierl vom GIGA-Institut.

Mehr gemeinsame Reisen von Schulze und Pistorius

Sowohl Deutschland als auch die EU wollen sich künftig mehr auf die angrenzenden Küstenländer konzentrieren, um Spillover-Effekte zu verhindern. Das betonte auch Schulze wieder, kürzlich vor ihrem Besuch in Benin. Generell soll es gemeinsame Reisen von Schulze und Pistorius, wie im April 2023 nach Mali und Niger, laut BMZ künftig wieder geben.

Lierl plädiert dafür, den Fokus in der Zusammenarbeit zu verschieben – weg von Militärregierungen, die sich von Kräften wie Russland schützen lassen, hin zu gesellschaftlichen Akteuren: “Die Feedbackschleife von der Bevölkerung zur Regierung ist in vielen Ländern der Region beeinträchtigt. Deswegen sollte man das konzeptuell anders denken. Man sollte analysieren, was in den Gesellschaften vorgeht, welche Politikansätze von einem breiten gesellschaftlichen Konsens getragen werden können, was wirklich im Interesse der Gesellschaft ist.”

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Pakistans Armee festigt nach den Wahlen ihre Macht

Anfang des Monats wurde Shebaz Sharif in Islamabad zum Regierungschef von Pakistan gewählt. Vier Wochen nach der Parlamentswahl – und unter Buhrufen: Denn die meisten Stimmen hatte nicht die Partei des ehemaligen Premierministers bekommen, sondern die Pakistan Tehreek-e-Insaf Partei (PTI) von Imran Khan. Doch ein Deal, in den neben Militär, Polizei und Geheimdiensten auch Großindustrielle einbezogen waren, sorgte dafür, dass der bereits zwischen April 2022 und August 2023 an der Regierungsspitze stehende Sharif abermals gewählt wurde.

Die Pakistan Muslim League (PML-N) der Polit-Dynastie Sharif und die Volkspartei Pakistan People’s Party (PPP) um Ex-Außenminister Bilawal Bhutto Zardari hatten sich in den Wochen zuvor mit mehreren Kleinparteien auf eine Regierungskoalition geeinigt. Leer aus ging hingegen die PTI des früheren Premierminister Imran Khan, der im Januar zu zehn Jahren Haft wegen der Preisgabe von Staatsgeheimnissen verurteilt worden war. Er beschuldigt das Militär, für seinen Sturz verantwortlich zu sein.

Entscheidender Machtfaktor Militär

Die Armee stellt in Pakistan weiterhin den entscheidenden Machtfaktor dar, was zu einer Art zivil-militärischem Hybridregime geführt hat. Miftah Ismail, zweimaliger Finanzminister und ehemaliges Mitglied der PML-N, sagt: “Seitdem das Militär 1958 geputscht und das Kriegsrecht eingesetzt hat, wurde der Zugang zum System in Pakistan normal.”

An die Armeespitze berufen hatte Sharif bereits vor zwei Jahren den früheren Geheimdienstchef Asim Munir. Vermutlich auch, weil der sich in der Öffentlichkeit zuvor deutlich gegen die Politik von Sharifs Rivalen Khan ausgesprochen hatte. Der hatte ihn 2019 als Generaldirektor des Inter-Service Intelligence (DG ISI), dem militärischen Geheimdienst, entlassen. Danach begann ein öffentliches Kräftemessen zwischen beiden.

Munir kein Kind der Militärhierarchie

Im Unterschied zu seinen Vorgängern stammt der tief religiöse Munir nicht aus einer Militärdynastie. Er hat auch nicht die angesehene Militärakademie in Abbottabad absolviert, ist innerhalb der Armeehierarchie aber trotzdem schnell aufgestiegen. Mit dem Westen hat er wenig Berührungspunkte, da er nicht in den Akademien der USA oder Großbritanniens ausgebildet wurde.

Khan war 2018 mit Unterstützung eines Teils des Militärs in die Regierung gekommen. Mit den Auftritten des Populisten und ehemaligen Cricket-Spielers keimten die Hoffnungen auf umfassende Reformen im Land auf. In einem Versuch, das Militär aus der Mitregierung zu drängen, hatte Khan deshalb nicht nur Munir, sondern auch den damaligen militärischen Oberbefehlshaber Qamar Javed Bajwa entlassen. Doch im Machtkampf behielt am Ende das Militär die Oberhand: 2022 trat Khan zurück, eine Übergangsregierung unter Sharif übernahm die Amtsgeschäfte.

Der in der Öffentlichkeit eher wortkarge Militärchef Munir lehnt jedwede demokratische Regung im Militär strikt ab, tritt für einen einheitlichen Gehorsam ein und setzt die militärische Einflussnahme in der Politik kontinuierlich fort. In seinen knappen Statements machte er in der Vergangenheit deutlich, dass er eine weitere Polarisierung des Militärs in zwei politische Lager nicht akzeptieren werde. Ein schwer kalkulierbarer militärischer Hardliner, der die Sicherheitspolitik in Islamabad weiter prägen wird.

Wenig Aufbruch unter Shebaz Sharif

Der aus einer Industriellenfamilie stammende Nawaz Sharif wiederum weiß sich mit dem Establishment zu arrangieren. Der bereits dreimalige Ex-Premierminister kehrte pünktlich zu den Parlamentswahlen im Februar aus seinem Exil in Großbritannien zurück. Kurz nach Schließung der Wahllokale erklärte er sich zum Sieger – und stimmte am Ende der Ernennung seines jüngeren Bruders Shebaz Sharif zum Premier zu. Die Enttäuschung insbesondere jüngerer Wähler, die weiter auf eine Veränderung hoffen und sich zunehmend radikalisieren, ließ befürchten, dass die Stimmung in weiten Teilen des Landes noch stärker zu eskalieren drohte.

Erste außenpolitische Akzente setzte Munir bei einem Besuch in den USA im November 2023, aber auch im militärischen Konflikt mit dem Nachbarland Iran Anfang des Jahres. Teheran hatte Mitte Januar eine Raketen- und Drohnenattacke gegen eine bewaffnete Gruppe in der pakistanischen Grenzprovinz Balochistan ausführen lassen. Zwei Tage später wurden Einrichtungen im iranischen Sistan-Baluchestan durch das pakistanische Militär angegriffen. Dieser Konflikt wurde in beiderseitigem Einverständnis und unter Beteuerung des guten nachbarschaftlichen Verhältnisses auf diplomatischem Weg beigelegt. Munir hat dabei demonstriert, dass er gewillt ist, rote Linien aufzuzeigen.

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Habeck will Verteidigungsfähigkeit stärken

Robert Habeck will die Weichen stellen, um die deutsche Verteidigungsfähigkeit zu stärken. Wie Table.Briefings aus Regierungskreisen erfahren hat, hat der Bundeswirtschaftsminister die Chefs zahlreicher Rüstungsunternehmen für den 27. März zu einem Roundtable im Ministerium eingeladen. In dem Einladungsschreiben, das Table.Briefings vorliegt, heißt es, Habeck wolle sich mit ihnen “zu den Innovations- und Beschleunigungsmöglichkeiten in der Verteidigungswirtschaft austauschen und dabei insbesondere die Rolle des BMWK in diesem Prozess in den Blick nehmen”.

Persönlich eingeladen sind die CEOs von 20 Unternehmen, darunter Airbus Defense and Space, Rheinmetall, Thyssen Krupp Marine Systems, Krauss-Maffei-Wegmann, Hensoldt AG, Renk AG, und der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie (BDSV), Christoph Atzpodien.

Ökonom wirbt für deutlich mehr Investitionen

In dem Einladungsschreiben bezieht sich Habeck auf den fortdauernden russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine, der für Deutschland die Frage aufwerfe, “wie die militärische Verteidigungsfähigkeit in den Dimensionen Land, Wasser, Luft durch die deutsche Verteidigungsindustrie weiter gestärkt werden kann”. Die Überlegungen im BMWK sind auch Folge von Gesprächen auf der Münchner Sicherheitskonferenz über den Zustand der Nato nach einem möglichen Wahlsieg Donald Trumps in den USA.

Die Einladungen wurden am Tag nach dem vertraulichen Treffen von Habeck, Finanzminister Christian Lindner, Vertretern der führenden Wirtschaftsverbände und einigen Ökonomen im BMWK in der vergangenen Woche verschickt, bei dem auch über die Rolle der Rüstungsindustrie gesprochen wurde. Moritz Schularick, Präsident des Kiel Institut für Weltwirtschaft, hat für massive Investitionen in die Verteidigung geworben, die über Kredite finanziert werden sollen.

Vorschlag würde einen Anteil von 3,5 Prozent des BIP ausmachen

In der mittelfristigen Finanzplanung sind für die Jahre 2024-2027 für den Verteidigungshaushalt pro Jahr 51,8 Milliarden Euro vorgesehen. Schularick hält das nicht für ausreichend, selbst wenn noch Mittel aus dem Sondervermögen und Anteile aus anderen Haushalten dazukommen. Der Ökonom schlägt zusätzliche Ausgaben von 100 Milliarden Euro pro Jahr vor. Damit würde Deutschland rund 3,5 Prozent seines BIPs in Verteidigung investieren.

Das Nato-Ziel sind zwei Prozent, das Deutschland aber jahrelang verfehlt hat. Polen investiert rund vier Prozent seines BIPs. Schularicks Argument: Die Stärkung der Verteidigungsfähigkeit dient nicht nur der europäischen Sicherheit, sondern hat auch stimulierende Effekte für die Konjunktur. Deshalb wird die Idee intern “Konjunkturpaket Verteidigung” genannt. Außerdem seien mittelfristig Spillover-Effekte auf die Technologieentwicklung in nicht-militärischen Bereichen zu erwarten. Und eine politische Komponente hat die Idee auch: Die konjunkturellen Effekte könnten die FDP überzeugen, der Aussetzung der Schuldenbremse zu diesem Zweck doch zuzustimmen. Dem Vernehmen nach haben jedenfalls Lindner und Habeck Schularicks Ideen interessiert und wohlwollend aufgenommen. hb

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15. Juni soll “Veteranentag” werden

Die Ampel-Koalition will zusammen mit der Union künftig am 15. Juni einen “nationalen Veteranentag” einführen. Dies geht aus einem gemeinsamen Antrag hervor, den die SPD federführend entworfen hat. Mit dem Gedenktag sollen diejenigen Frauen und Männer in Uniform geehrt werden, die “gedient haben und diejenigen, die in der Reserve bereitstehen”.

In dem Antrag heißt es, die Soldatinnen und Soldaten verdienten “Respekt, Anerkennung und Würdigung für ihren Dienst und ihre Bereitschaft, im Falle eines Falles das höchste Gut – ihr Leben – für die Sicherheit, Freiheit und die Werte unseres Landes einzusetzen”. Bislang haben über zehn Millionen Frauen und Männer in der Bundeswehr gedient.

Die genaue Ausgestaltung des “Veteranentages” ist noch unklar. Laut des gemeinsamen Antragsentwurfs, der Table.Media vorliegt, soll der Gedenktag “öffentlich und sichtbar in der Mitte der Gesellschaft sowie zentral in Berlin stattfinden”. Ursprünglich sollte der Antrag noch in dieser Woche im Parlament verhandelt werden. Die fraktionsübergreifende Zustimmung scheint nach Informationen von Table.Media allerdings nicht mehr sicher, denn die FDP habe Haushaltsbedenken angemeldet. Strittig sei auch, wer den Gedenktag verantworten soll. Laut des ursprünglichen Plans sollen dafür der Bundestag und das Verteidigungsministerium zuständig sein. Das Bundestagspräsidium hat dazu bislang nicht Stellung genommen.

Mehr öffentliches Bewusstsein für die Soldaten

Die Etablierung des “Veteranentages” ist fraktionsübergreifend immer wieder thematisiert worden. Bei der Ausrichtung der Invictus Games in Düsseldorf im September 2023 erklärte Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD), er wolle “mehr öffentliches Bewusstsein für die Opfer derjenigen erzeugen, die in Uniform dienen”. Auch die Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages, Eva Högl (SPD) hat in ihrem kürzlich erschienenen Bericht einen Gedenktag gefordert.

Ursprünglich fiel die Wahl auf den 12. November. Am 12. November 1955 überreichte der erste Verteidigungsminister der Bundesrepublik, Theodor Blank, den ersten 101 Soldaten ihre Ernennungsurkunden zum freiwilligen Dienst in den Streitkräften. Aufgrund des Feiertags der Deutschen Einheit am 3. Oktober und des Gedenktages am 9. Novembers (Pogrome des NS-Regimes gegen die deutschen Juden 1938) habe man sich aber auf einen Termin vor der parlamentarischen Sommerpause und den Sommerferien entschieden. nana

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Litauen: Ministerwechsel könnte deutsche Brigade ausbremsen

Während die Gründe für den Rücktritt des litauischen Verteidigungsminister Arvydas Anušauskas nach wie vor nicht genau bekannt sind, warnte der scheidende Minister vor Verzögerungen bei der Stationierung der deutschen Brigade in Litauen. Die kommenden Monate seien für das Projekt “kritisch”, sagte Anušauskas. Er betonte, der Ministerwechsel könne die Ankunft der Brigade “für eine gewisse Zeit aufhalten”. Inwiefern die Aussage politisch motiviert ist, blieb zunächst unklar.

Der 60-Jährige hatte vergangene Woche auf Bitte der Ministerpräsidentin und seiner Parteikollegin Ingrida Šimonytė den Rücktritt eingereicht. Šimonytė hatte als Grund angegeben, dass für die Sicherheit Litauens “mehr und schneller” gearbeitet werden müsse. Der Verteidigungsminister müsse sich vor allem stärker für die Erhöhung des Verteidigungshaushalts einsetzen. Außerdem beanstandete die Ministerpräsidentin, dass Anušauskas bei den Plänen zur Einführung der allgemeinen Wehrpflicht nicht aktiv genug gewesen sei.

Litauen will seinen Verteidigungsetat auf 3 Prozent des BIP erhöhen

Anušauskas hatte angegeben, dass die Rücktrittsaufforderungen für ihn überraschend kamen und hatte die Debatte über die Hintergründe mit Verweis auf seine Antikorruptionmaßnahmen zusätzlich angeheizt. Der Vorsitzende des litauischen Verteidigungsausschusses, Laurynas Kasčiūnas, ebenfalls ein Parteikollege, wird als wahrscheinlicher Nachfolger gehandelt. Am Mittwoch ist ein Treffen zwischen Kasčiūnas und Präsident Nausėda geplant.

Der baltische Staat grenzt an die russische Exklave Kaliningrad und an Russlands Verbündeten Belarus. Das Land hat daher seit der russischen Invasion der Ukraine vor zwei Jahren seine Militärausgaben erhöht und rüstet seine Armee weiter auf. Die Regierung präsentierte am Montag auch einen Plan, der die Erhöhung des Etats von derzeit 2,5 Prozent des BIP auf 3 Prozent vorsieht.

Bis 2027 will Deutschland bis zu 5000 Bundeswehrangehörige in Litauen stationieren, um die Nato-Ostflanke zu stärken. Die Finanzierung des Projekts hat wiederholt für Unstimmigkeiten gesorgt. Das Vorkommando, bestehend aus acht bis 15 Personen, soll am 8. April nach Litauen verlegt werden. Auch ein Aufstellungsstab soll noch in diesem Jahr folgen. wp

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EU-Außenminister bringen Sanktionen gegen israelische Siedler auf den Weg

Die EU will erstmals Sanktionen gegen extremistische israelische Siedler im Westjordanland verhängen. Geplant sind zunächst Einreiseverbote und Vermögenssperren für eine kleine, einstellige Zahl von Siedlern, hieß es nach einem Treffen der EU-Außenminister am Montag in Brüssel. Die Liste sei fertig, allerdings fehle noch der formelle Beschluss, sagte der EU-Außenvertreter Josep Borrell.

Mit den Sanktionen folgt die EU den USA. Die Strafmaßnahmen sollen verhindern, dass sich israelische Siedler illegal palästinensische Gebiete aneignen und so die anvisierte Zweistaaten-Lösung unmöglich machen. Außerdem will die EU gewalttätige Übergriffe auf Palästinenser ahnden. Das Vorgehen der radikalen Siedler verstoße gegen internationales Recht, sagte Außenministerin Annalena Baerbock in Brüssel. 

Assoziierungsabkommen mit Israel wird vorerst nicht ausgesetzt

Der nun erfolgten politischen Einigung war ein wochenlanges Tauziehen vorausgegangen. Vor allem Ungarn hatte Bedenken, gab seinen Widerstand am Ende aber auf. Im Gegenzug soll es auch neue Sanktionen gegen die islamistische Terrororganisation Hamas geben. Zuletzt hatte die EU zwei mutmaßliche Drahtzieher des Hamas-Massakers in Israel vom 7. Oktober sanktioniert. 

Keine Einigung gab es in der Frage, ob die EU auch im Gazakrieg den Druck auf Israel verstärken soll. Borrell befürwortet dies. Er setzte kurzfristig eine Debatte über das EU-Assoziierungsabkommen mit Jerusalem auf die Tagesordnung. Spanien und Irland wollen dieses Abkommen teilweise aussetzen, um Israel in Gaza zu Mäßigung zu zwingen. Baerbock lehnte dies jedoch entschieden ab. 

Für die Bemühungen um eine dringend benötigte humanitäre Feuerpause in Gaza brauche es Gesprächskanäle rund um die Uhr, sagte die Grünen-Politikerin. Deswegen halte sie alles, was Gespräche erschwere, in der jetzigen Situation für falsch. Der Rat sprach sich schließlich dafür aus, das Gespräch mit Israels Außenminister zu suchen. Das Assoziierungsabkommen wird also vorerst nicht ausgesetzt. 

Sanktionen als Reaktion auf den Tod von Alexej Nawalny

Die EU-Außenminister befassten sich auch mit Russland und mit der Ukraine. Als Reaktion auf den Tod des Kremlkritikers Alexej Nawalny in einem russischen Straflager will die EU Sanktionen gegen 30 Personen und Organisationen verhängen. Zudem soll das bestehende EU-Sanktionsinstrument zur Bestrafung von schweren Menschenrechtsverstößen nach Nawalny umbenannt werden.

Mit Blick auf die Ukraine haben die EU-Minister endgültig grünes Licht für den neuen “Ukraine Assistance Fund” gegeben, der innerhalb der Europäischen Friedensfazilität (EPF) geschaffen wird. Er wird zunächst mit 5 Milliarden Euro dotiert und soll dem Kauf von Waffen und Munition dienen. Zuvor hatten Deutschland und Frankreich einen monatelangen Streit über die EPF beigelegt. ebo

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Putin betont seinen Großmachtanspruch

Zehn Jahre nach der Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim und einen Tag nach seiner zweifelhaften Wiederwahl hat der russische Präsident Wladimir Putin in mehreren öffentlichen Ansprachen am Montag den Großmachtanspruch Russlands unterstrichen. Die Krim werde immer zu Russland gehören und Russland werde niemals werde es gelingen, auf Russland Druck auszuüben.

Putins Apparat hatte ihm den Wahlsieg mit einer hohen Wahlbeteiligung von offiziell 70,8 Prozent und einem Ergebnis von 87,3 Prozent organisiert, größere Störungen gab es nicht – das Land und der Apparat sind auf Kurs. Erreicht wird die auch mit immer mehr Repressionen und immer strengeren Gesetzen gegen kritische Stimmen.

Mehr Drohnenangriffe auf die Ukraine

In Deutschland ging Verteidigungsminister Boris Pistorius derweil auf Distanz zum  SPD-Fraktionsvorsitzenden Rolf Mützenich, der vergangene Woche im Bundestag vom “Einfrieren” des Krieges gesprochen hatte.  «Es würde am Ende nur Putin helfen», sagte Pistorius am Montag nach einem Treffen mit dem polnischen Verteidigungsminister Wladyslaw Kosiniak-Kamysz in Warschau. Dies sei zwar eine Position, die man vertreten könne, um sich für den Frieden auszusprechen. “Aber einen Diktatfrieden darf es nicht geben und keinen Frieden, der dazu führt, oder einen Waffenstillstand oder ein Einfrieren, bei dem Putin am Ende gestärkt herausgeht und den Konflikt fortsetzt, wann immer es ihm beliebt.”

Nach der orchestrierten Abstimmung, vor der Putin bei seinen öffentlichen Auftritten den Krieg wie ein Nebenprojekt abhandelte, dürften die Anstrengungen, mehr Ressourcen zu mobilisieren, wieder zunehmen. In den vergangenen Tagen hatte die russische Armee ihre Drohnenangriffe auf ukrainische Städte noch einmal verstärkt und dabei viele Zivilisten getötet. Russland hat die Drohnenproduktion erheblich ausgeweitet. vf/dpa

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Presseschau

The New York Times: Five Takeaways From Putin’s Orchestrated Win in Russia. Kriegsveteranen als Kern einer “neuen Elite”, die das Land regiert – so lautet eine Prognose der NYT dafür, wie es nach der Wahl weitergehen könnte. Putin werde versuchen, seine älteren Verbündeten durch eine jüngere Generation zu ersetzen. Und der Krieg wird eine der zentralsten Organisationsaufgaben des Kreml bleiben.

Financial Times: The lost future of young Gazans. Der Wiederaufbau des Bildungssystems im Gazastreifen werde nach Kriegsende eine der größten gesellschaftlichen Herausforderungen, prognostiziert die Financial Times. Mit der Dezimierung von Bildungsinstitutionen und -infrastruktur zerstöre der Krieg “das soziale Gefüge der Gemeinden und ihre Fähigkeit, ihr Leben wieder aufzubauen”, sagt Anthropologin Ala Alazzeh.

Arte: Verbotene Geschäfte – Wie die Sanktionen gegen Russland umgangen werden. Diese Dokumentation zeigt auf, wie mithilfe von Tarnfirmen, Mittelsmännern und gefälschten Zollpapieren Sanktionen umgangen werden und wie Transitländer, unter anderem die Türkei, zu einer Drehscheibe für mitunter kriegswichtige Güter werden.

Financial Times: Russian ‘dark fleet’ lacks disaster insurance, leaks suggest. Wenn russische Öltanker westliche Sanktionen umgehen, kann der Schutz von Versicherungen erlöschen. Ein hohes Risiko für die “dunkle Flotte” Moskaus – und für Küstenstaaten, die im Falle einer Ölpest die Kosten für die Beseitigung der Schäden selber tragen müssten. Dieser Artikel zeigt auf, wie das westliche Sanktionssystem unbeabsichtigt die Umweltbedrohungen erhöht haben könnte.

Arte: Ukraine – Krieg den Verrätern. Regisseur Gwenlaouen Le Gouil blickt in dieser Doku auf Identitäten, Beweggründe und Zerrissenheit von Kollaborateuren und die menschlichen Dimensionen des Verrats inmitten des russischen Angriffskriegs. In der Ukraine erstreckt sich die Verfolgung vermeintlicher Saboteure bis in die höchsten politischen Ebenen.

Standpunkt

Alexander Müller: Wehrpflicht verletzt Freiheitsrechte

Alexander Müller
Alexander Müller ist verteidigungspolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion.

Die Bundeswehr und mit ihr die deutsche Gesellschaft stehen vor der Herausforderung, dass sich zu wenige Rekruten für den Dienst bei den Streitkräften verpflichten. Mit der Wiedereinführung der Wehrpflicht ist das Problem aber nicht gelöst.

Das offizielle Ziel der Bundeswehr, bis 2031 einen Stand von 203.000 Soldaten zu erreichen, ist überaus ambitioniert. Um Deutschlands Sicherheit zu gewährleisten und seinen Beitrag für Landes- und Bündnisverteidigung aufrechtzuerhalten, brauchen wir mehr Frauen und Männer, die unserem Land dienen wollen.

Und genau da liegt der Punkt: Es kann nur ein Wollen und kein Müssen sein. Die Bundeswehr braucht hoch motivierte Spezialisten, die sich mit Leidenschaft ihrer Aufgabe widmen. Das Umfeld eines Soldaten im 21. Jahrhundert ist geprägt von anspruchsvollem Gerät, fortschreitender Digitalisierung und der zunehmenden Präsenz künstlicher Intelligenz. Eine umfassende Ausbildung und Erfahrung sind vor diesem Hintergrund in einer Form nötig, wie sie im Rahmen eines zeitlich begrenzten Wehrdienstes nicht angemessen erreicht werden können.

Wehrpflicht verletzt Freiheitsrechte

Grundsätzlich stellt die Wehrpflicht einen tiefen Eingriff in die Freiheitsrechte des Einzelnen dar. Für mich als Liberalen müssen solche Eingriffe sehr gut begründet werden und derzeit sehe ich (noch) nicht die hinreichende Berechtigung für die Reaktivierung der Wehrpflicht. Je älter die Menschen sind, die man fragt, desto eher unterstützen sie eine Reaktivierung oder eine sonstige Art von Dienstjahr.

Ein wenig Zucht und Ordnung täten den jungen Leuten mal gut, ist, überspitzt formuliert, häufig der Kerngedanke dabei. Doch zum einen ist gut Fordern, wenn man selbst nicht betroffen ist, und zum anderen ist es nicht die Aufgabe des Staates, Bürgern Disziplin und preußische Tugenden beizubringen. Ich erinnere an Artikel 2 des Grundgesetzes: “Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit”.

Die Frage der Wehrgerechtigkeit bleibt bestehen

Grundgesetzliche Probleme ergeben sich zum einen daraus, dass eine neue Wehrpflicht fraglos nicht nur Männer, sondern auch Frauen umfassen sollte. Das müssten Bundestag und Bundesrat mit Zweidrittelmehrheit beschließen. Die andere und ungleich schwieriger zu beantwortende Frage wäre die der Wehrgerechtigkeit. Diese ist ein verfassungsmäßiges Gebot und verlangt, dass die Pflichten der Landesverteidigung möglichst gleichmäßig auf die (männlichen) Staatsbürger verteilt werden.

Wenn nur ein geringer Teil eines Jahrganges eingezogen wird, ist das problematisch. Vor Aussetzung der Wehrpflicht 2011 war dies ein großer Konflikt und einer der Gründe für die Entscheidung der christlich-liberalen Koalition. Das von Bundesverteidigungsminister Pistorius vorgeschlagene Modell würde zur Wiederbelebung dieses Konfliktes führen. Denn obwohl bei diesem Modell vornehmlich jene Personen eingezogen werden, welche ihr Interesse am Dienst geäußert haben, besteht weiterhin eine Pflicht. Das bedeutet, dass auch dann Rekruten eingezogen werden, wenn es weniger Interessierte als offene Stellen gibt.

Eine Wehrpflicht scheitert auch an der Umsetzung

Verbleibt die Frage der Umsetzung. Woher nimmt die Bundeswehr die Liegenschaften für mehrere Zehntausend Wehrpflichtige im Jahr? Wer baut die Unterkünfte und nach wie vielen Jahren wären die dann bezugsfertig? Woher kommen die Soldaten, welche die Massen der Rekruten ausbilden? Was ist mit der persönlichen Ausstattung, der Bewaffnung?

Die Task Force Personal hat mit ihrem Bericht kluge Vorschläge gemacht, um die Personallage der Bundeswehr zu verbessern, die schwedische Wehrpflichtvariante gehört jedoch nicht dazu. Sinnvoll erscheinen mir nur eine breite Musterung und Kontaktaufnahme zu jungen Leuten, nicht aber ein Zwang.

In Frankreich haben die Generäle Präsident Macron, der seinerzeit ebenfalls mit der Wiedereinführung der Wehrpflicht liebäugelte, klargemacht, dass sie wenig Lust haben, Zeit, Energie und Material für junge Rekruten auszugeben, welche nach einigen Monaten wieder verschwunden sind. Le Président ließ sich überzeugen. Vielleicht ist mal wieder ein Anruf in Paris fällig.

Alexander Müller ist verteidigungspolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion und stellvertretender Vorsitzender des Unterausschusses Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung.

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Security.Table Redaktion

SECURITY.TABLE REDAKTION

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    Liebe Leserin, lieber Leser,

    die Europawahl wirft ihre Schatten voraus – nicht zuletzt sicherheitspolitisch. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat mit ihrem Vorschlag, den Posten eines EU-Verteidigungskommissars zu schaffen, die Richtung vorgegeben: Um der Kakophonie in Brüssel ein Ende zu bereiten, solle das Thema künftig von oberster Stelle zentral behandelt werden. Stephan Israel hat sich im Europaparlament umgehört und dabei auch einige kritische Stimmen gesammelt. So sei die frühere deutsche Verteidigungsministerin zwar gut darin, “Überschriften zu deklamieren”, sagt etwa der Sozialdemokrat Udo Bullmann. Politik sei das aber nicht, sondern eher ein ungedeckter Scheck.

    Größere Sorge bereiten den Parlamentariern in Brüssel aktuell jedoch Versuche, den Wahlgang selbst zu manipulieren. Netzwerk- und Informationssicherheit spielten deswegen eine immer größere Rolle, warnt auch die Europäische Netzwerk- und Informationssicherheitsbehörde (ENISA): Angriffe auf die Wahlinfrastruktur über die dabei verwendete Software, aber auch Attacken über Verschlüsselungstrojaner und Löschviren, stellten die größten Gefahren dar. Falk Steiner analysiert, was die EU-Institutionen tun können, um den Wahlgang Anfang Juni abzusichern.  

    Bessere Verteidigungsfähigkeit für Deutschland und Europa will auch Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck und hat dazu die Chefs deutscher Rüstungsunternehmen zu Gesprächen eingeladen. Was dabei besprochen werden soll, weiß Helene Bubrowski.

    In den baltischen Staaten ist man auf Attacken vor allem aus Russland gleich welcher Art schon länger vorbereitet. Umso größer war in Litauen die Freude über die Bereitschaft der Bundeswehr, eine Brigade zum Schutz der Nato-Ostflanke aufzustellen. Mit dem Rücktritt von Verteidigungsminister Arvydas Anušauskas in Vilnius könnte der ambitionierte Zeitplan von Boris Pistorius, mit der Aufstellung schon dieses Jahr zu beginnen, ins Wanken geraten, schreibt Wilhelmine Preußen.

    Eine gute Lektüre wünscht,

    Ihr
    Markus Bickel
    Bild von Markus  Bickel

    Analyse

    Neuer Posten des EU-Verteidigungskommissars: Mitgliedstaaten fürchten den Transfer von Souveränität  

    Der Posten des EU-Verteidigungskommissars weckt Interesse, bevor er überhaupt geschaffen ist.  Auch Estlands Ministerpräsidentin Kaja Kallas ist für diese Aufgabe im Gespräch.

    Ursula von der Leyen hat sich festgelegt. Sollte sie eine zweite Amtszeit als Kommissionspräsidentin bekommen, will sie in ihrem Kollegium neu den Posten als Verteidigungskommissarin einrichten. Auch die Europäische Volkspartei hat die Forderung nach dem prestigeträchtigen Job im Wahlmanifest prominent aufgenommen. Außerhalb der eigenen Parteienfamilie ist das Echo allerdings gemischt, und auch in einigen den Mitgliedstaaten gibt es Vorbehalte.

    Ihren Vorstoß begründet von der Leyen mit Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine und der Herausforderung, die daraus für Europa folgt. Die Frage von Europas Verteidigung und die Kriege in der Nachbarschaft dürften jedenfalls den Wahlkampf dominieren, die Spitzenkandidatin der EVP das Thema dort prominent besetzen. Zum genauen Zuschnitt des Portfolios hat sich die Kommissionschefin bisher allerdings nicht festgelegt, was möglicherweise auch Missverständnisse gefördert hat. 

    Mehr als nur Kommissar für Verteidigungsindustrie

    Der EU-Abgeordnete Michael Gahler (CDU), außenpolitischer Sprecher der EVP-Fraktion, unterstützt naturgemäß den Plan seiner Parteifreundin und plädiert für ein möglichst breites Feld an Zuständigkeiten. Das Portfolio dürfe sich nicht auf einen reinen Kommissar für die Verteidigungsindustrie beschränken, vielmehr bedürfe es eines Kommissars für die Verteidigungsunion.

    Der künftige Amtsinhaber müsse auch die Verwirklichung des Binnenmarktes für Verteidigungsgüter einfordern können, in den vergangenen Jahren von den Mitgliedstaaten unter Verweis auf nationale Sicherheit immer wieder ausgehebelt. Auch der Bereich militärische Mobilität müsste laut Gahler in den Aufgabenbereich eines Verteidigungskommissars gehören. Ebenso der Verteidigungsfonds, geschaffen, um kooperative Forschung und Investitionen zu fördern.

    “Entscheidend”, sagt Gahler, “kommt es darauf an, dass der Kommissar einerseits die bereits bestehenden Kompetenzen der Kommission bündelt, andererseits aber auch die Brücke zu den Instrumenten und Initiativen der Mitgliedstaaten, insbesondere PESCO, schlägt, um die gemeinsamen Anstrengungen effektiv auf die Stärkung der europäischen Verteidigungsfähigkeit auszurichten.” Vor diesem Hintergrund setzt Gahler auch darauf, dass im neuen Parlament der Unterausschuss Sicherheit und Verteidigung (SEDE) zu einem Ausschuss für Verteidigung aufgewertet wird, der die Kompetenzen des Verteidigungskommissars widerspiegeln könne.

    Alleingänge ein “massives Sicherheitsrisiko” für Europa

    Skeptisch ist hingegen Hannah Neumann (Grüne). Die Diskussion über den Posten eines Verteidigungskommissars lenke von den eigentlichen Problemen ab, so die EU-Abgeordnete, ebenfalls Mitglied im SEDE-Unterausschuss. Europa müsse mehr gemeinsam produzieren, einkaufen und dafür sorgen, dass die Lieferungen zuerst in die Ukraine gelangten und nicht etwa nach Katar oder Saudi-Arabien, nur weil diese zuerst bestellt hätten.

    Dies alles sei heute schon möglich, nur fehle oft der Wille bei den Mitgliedstaaten. Diese müssten endlich verstehen, dass die Alleingänge ein “massives Sicherheitsrisiko” für Europa darstellten. Nur wenn in den Hauptstädten ein Umdenken stattfinde, könne es sinnvoll sein, einen Verteidigungskommissar einzurichten. Sonst sei die Forderung nicht mehr als ein Wahlkampfmanöver. 

    Ursula von der Leyen sei gut darin, “Überschriften zu deklamieren”, sagt der Sozialdemokrat Udo Bullmann. Eine Überschrift sei noch keine Politik, sondern wie ein ungedeckter Scheck. Die Kommissionspräsidentin müsse klar sagen, wie die neue Figur handlungsfähig gemacht werden könne. Es bringe nichts, die Fragmentierung der Rüstungsindustrie mit der Fragmentierung der Zuständigkeiten in der EU-Kommission zu kompensieren.

    Für den Posten gebe es weder ausreichend Haushaltsmittel, noch seien die Mitgliedstaaten bereit, Souveränität nach Brüssel zu transferieren oder etwa mit Eurobonds genügend Schlagkraft zu schaffen. Udo Bullmann plädiert “pragmatisch” dafür, stattdessen den Posten des Hohen Beauftragten zu stärken.

    Diskussion über mehr Geld absehbar

    Das Ziel sei nicht etwa ein europäischer Verteidigungsminister, betont Eric Maurice vom European Policy Centre (EPC). Die EU könne jedoch mit einem Superkommissar für Verteidigungsindustrie die Bedeutung des Politikfeldes in der nächsten Legislaturperiode unterstreichen. Das Portfolio von Binnenmarktkommissar Thierry Breton sei ohnehin sehr breit, der Bereich Rüstungsindustrie könne deshalb gut separiert werden. Hinzu werde die Aufgabe kommen, das neue EU-Programm für die Verteidigungsindustrie (EDIP) und die übergreifende Strategie umzusetzen.

    Darüber hinaus gebe es derzeit aber kaum Anzeichen, dass die Mitgliedstaaten bereit seinen, zusätzliche Kompetenzen abzugeben. Die Diskussion über mehr Geld werde aber kommen, etwa über einen Fonds von 100 Milliarden Euro, wie ihn Breton gefordert habe.

    Die Kommissionspräsidentin kann den Zuschnitt der Portfolios zwar in eigener Kompetenz festlegen, kann aber das Echo aus Mitgliedstaaten und Parlament nicht ignorieren. Auch in einigen Hauptstädten gibt es Zweifel, ob der Vorstoß mehr als ein Wahlkampfslogan ist.

    Berlin und Paris reagieren zurückhaltend

    Aus Berlin kommen eher skeptische Äußerungen. Einen Kommissar für Krieg und Frieden werde es nicht geben. Und mit Josep Borrell habe man schon jemanden, der die Treffen der Verteidigungsminister leiten könne. Die Idee von zusätzlichen Mitteln sei auch nicht realistisch. Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) erinnerte zudem daran, dass Verteidigung in der EU zwischenstaatlich organisiert sei. Er könne sich aber einen Kommissar für Rüstungsindustrie vorstellen, der bestehende Kompetenzen innerhalb der EU-Kommission vereine, aber keine neuen Zuständigkeiten schaffe.

    Auch in Paris sind die ersten Reaktionen ambivalent. Der Posten dürfe nicht mit einem Transfer von Souveränität verbunden sein. 

    Wobei der Franzose Thierry Breton in Brüssel als möglicher Anwärter für den neuen Posten gilt, sollte Emmanuel Macron ihn für eine zweite Amtszeit nach Brüssel schicken. Auch die Namen des polnischen Außenministers Radosław Sikorski und der estnischen Regierungschefin Kaja Kallas fallen.

    Die Niederlande könnten die scheidende Verteidigungsministerin Kajsa Ollongren ins Rennen schicken, die sich öffentlich für den separaten Posten eines Verteidigungskommissars starkgemacht hat. Interesse hat auch der Tscheche Jiří Šedivý signalisiert, derzeit noch Generalsekretär der Europäischen Verteidigungsagentur. Der Posten weckt schon viel Interesse, bevor er überhaupt geschaffen ist. 

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    Wie die EU die Europawahl vor Manipulation schützen will

    Die Angst ist groß: Könnte Russlands Machthaber Wladimir Putin versuchen, die Wahl zum Europaparlament zu beeinflussen? Wenn ja, wie? Immer mehr Bürger würden bei Umfragen der Demokratie weniger vertrauen, sagt EU-Kommissionsvizepräsidentin Věra Jourová in dieser Woche im Europaparlament. Das dürfe nicht sein, und die Integrität der Wahlen müsse sichergestellt werden. Zuständig dafür: in erster Linie die Nationalstaaten. Doch auch EU-Institutionen versuchen einiges.

    Auch wenn der Wahlvorgang weiterhin vor allem mit Stift und Papier stattfinde, spielten Netzwerk- und Informationssicherheit eine immer größere Rolle, heißt es in einem gerade erst von der Europäischen Netzwerk- und Informationssicherheitsbehörde (ENISA) aktualisierten Kompendium zur Absicherung von Wahlen. Bei der Europawahl hänge die Integrität des Wahlvorgangs von jedem einzelnen Mitgliedstaat ab.

    ENISA listet in dem umfangreichen Werk eine Vielzahl möglicher technischer Angriffsvarianten auf:

    • Ransomware und Wiper-Attacken, also Verschlüsselungstrojaner und Löschviren
    • Distributed Denial of Service, bei denen Zielsysteme mit Verkehr “beschossen” werden, bis sie zusammenbrechen
    • Social Engineering und Phishing, um an sensible Informationen zu gelangen
    • Defacement, also die gezielte Entstellung von Webseiten
    • Supply-Chain-Attacks – also Angriffe auf die Wahlinfrastruktur über dabei verwendete Software

    Hierauf müssten sich die zuständigen Wahlleitungen einstellen und Vorsorge treffen. ENISA listet eine Vielzahl an Maßnahmen zur Vorbereitung auf, um im Fall der Fälle nicht ins Chaos zu stürzen.

    Einflussnahme mit Social Media

    Doch auch jenseits des Wahlvorgangs selbst sieht ENISA hybride Bedrohungslagen – vor allem durch “FIMI”, die Einmischung und Manipulation aus dem Ausland, die mit klassischen Cyberangriffen kombiniert werden könnte.

    Insbesondere Soziale Medien gelten als Ort der Möglichkeiten für Einflussnahmeversuche. ENISA nennt hier die gezielte Streuung von Falschinformationen sowie vor allem die Verstärkung. Dabei werden Inhalte, die nicht zwingend unwahr sind, mit den Mechanismen der Mediengesellschaft befeuert. Das meint etwa eine stärkere, algorithmisch getriebene Verbreitung von Inhalten durch hohe Interaktionsraten – was sich über unechte Accounts befeuern lässt.

    Dies ist ein Grund, warum viel Hoffnung auf dem Digital Services Act (DSA) liegt. Denn der verpflichtet die größten Plattformen, gegen sogenannte systemische Risiken vorzugehen, die ihren Geschäftsmodellen und Plattformmechanismen inhärent sind. Und dazu zählt auch die Manipulation von Öffentlichkeit durch ausländische Einflussnahme. Die größten Social-Media-Plattformen haben sich zudem im Rahmen eines Code of Practice zum Kampf gegen Desinformation verpflichtet. Die Ausnahme bildet Elon Musks X (früher Twitter).

    Plattformen sollen sich vorbereiten

    Die EU-Kommission will von den Plattformen verlangen, dass diese sich auf Probleme bestmöglich vorbereiten. Aus Sicht der Behörde ist noch zu wenig geklärt, inwiefern Plattformen einschreiten, wenn KI-generierte oder -unterstützte Inhalte auf ihnen verbreitet werden. Deshalb hat sie am Donnerstag Auskunftsverlangen an Microsofts Bing, Instagram, Snapchat, Facebook, Google Search, Tik Tok, You Tube und X geschickt.

    Bis zum 5. April müssen diese nun Fragen rund um ihre Gefahreneinschätzung und ihren Umgang mit KI-bezogenen Problemen im Zusammenhang mit Wahlen beantworten. Die Erkenntnisse daraus sollen dann in formelle Empfehlungen eingearbeitet werden, die die Kommission rechtzeitig vor den Europawahlen im Juni den Betreibern zur Verfügung stellen will.

    Amplifizierung als Strategie

    Doch Probleme gibt es auch ganz ohne KI. Lutz Güllner, Leiter der Abteilung für Strategische Kommunikation im Europäischen Auswärtigen Dienst, muss sich jeden Tag mit Einflussnahme-Versuchen beschäftigen. Er nennt die Bauernproteste als Beispiel für die Amplifizierungs-Aktivitäten: Niemand bezweifle, dass es echte Sorgen bei den Landwirten gebe. “Trotzdem haben wir auch in diesem Falle wieder gesehen, dass Desinformationsakteure – und ich beziehe mich insbesondere hier auf externe Akteure – immer wieder auf dieses Thema aufspringen”, sagt Güllner. Opportunistisch würden diese auf “Konfliktstoffe, auf diese Bruchlinien in der Gesellschaft aufspringen, sie benutzen, sie verstärken”.

    Diese Kampagnen müssten keineswegs immer groß sein, sagt Güllner. Für die Europawahlen sieht er keineswegs eine Zwangsläufigkeit, dass etwa Russland unmittelbare Einflussnahme versuche oder damit gar erfolgreich sei. Aber: “Es gibt ein Risiko. Für dieses Risiko, für diese Verletzbarkeit, für diese Vulnerabilität müssen wir uns vorbereiten.” Defätismus, dass die Wahlen in jedem Fall delegitimiert würden, wäre aber falsch, sagt er: “Sie sind sicher, sie sind wichtig, ein wichtiger Ausdruck unserer Demokratie – und deswegen müssen wir sie eben auch schützen.”

    DSA wirkt nicht rechtzeitig bis zur Wahl

    Dass der DSA bereits zur Europawahl bei den größten Anbietern vollständig wirkt, erwarten Experten eher nicht. Dafür ist die Vorlaufzeit zu kurz, die Mechanismen sind noch nicht eingespielt. Umso wichtiger, dass die Institutionen auch ansonsten gut aufgestellt sind. In Deutschland kümmert sich eine interministerielle Arbeitsgruppe um Fake-News und andere Probleme, etwa mit KI-Fakes. Das Bundesamt für Verfassungsschutz beobachtet ausländische Einflussnahmekampagnen. Frankreich hat mit Viginum eine formelle Stelle beim Auswärtigen Dienst geschaffen, die sich auf die Suche nach Desinformationskampagnen begibt.

    Im Februar veröffentlichte Viginum etwa einen technischen Bericht zu “Portal Kombat”, eine so getaufte Desinformationskampagne, bei der Newswebseiten erstellt und mit prorussischen Inhalten befüllt wurden – unter anderem “pravda-de.com”. Aber auch Nachbauten etablierter, westlicher Nachrichtenwebseiten beschäftigen die Desinformationsenttarner – auch deutsche Newsportale sind hiervon regelmäßig betroffen. Das wesentlichste Mittel, sagen daher sowohl EU-Vertreter als auch die ENISA, sei daher nicht nur die Sensibilisierung der Zuständigen, sondern vor allem auch die der breiten Öffentlichkeit – eine Aufgabe für Medien und Politik.

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    Nach der gescheiterten Sahel-Politik will Deutschland sich künftig mehr auf die angrenzenden Küstenländer konzentrieren

    Jetzt müssen also die US-Amerikaner raus aus Niger, so will es die Militärregierung von General Tiani. Wie so oft bei der einseitigen Aufkündigung einer Militärkooperation soll das “unverzüglich” geschehen, hieß es vom machthabenden Nationalen Rat in Niamey. Das Zeichen ist deutlich: Niger will weniger Westen im eigenen Land, das sich mit den beiden Sahel-Nachbarn Mali und Burkina Faso zu einer Allianz verbrüdert hat und dafür auch eigene Truppen schaffen will.

    Allerdings bedeutet der Rauswurf der US-Streitkräfte, die im Norden bei Agadez eine große Drohnenbasis zur Aufklärung unterhalten, auch schlicht, dass der Einfluss des Westens eben nicht mehr so groß ist wie einst. Davon zeugt auch das von Tiani gesetzte Ende der EUCAP-Sahel-Mission zur Unterstützung nigrischer Sicherheitskräfte. “Werden die russischen Wagner-Truppen die Lücke füllen, die die westlichen Streitkräfte hinterlassen?”, lautet die bange Frage nun in westlichen Sicherheitskreisen.

    AA zweifelt an Nigers Verlässlichkeit

    “Mit ihrer abrupten einseitigen Aufkündigung des Stationierungsabkommens mit den USA und ihrem unbegründeten Vorgehen gegen EUCAP Sahel Niger hat die nigrische De-facto-Regierung ernsthafte Fragen bezüglich ihrer Verlässlichkeit aufgeworfen”, heißt es aus dem Auswärtigen Amt gegenüber Table.Briefings.

    Verlässlichkeit wäre jedoch gut für die weitere Zusammenarbeit, an der Deutschland festhält. Die Stabilität Nigers liege im deutschen sicherheitspolitischen Interesse, sagte ein Sprecher des Verteidigungsministers Table.Briefings auf Anfrage. “Daher wollen wir, wenn die politische Situation in Niger es zulässt, engagiert bleiben.

    Dafür stimmt sich die Bundesregierung derzeit ressortübergreifend ab, um konkrete Kooperationsvorschläge zu erarbeiten, die dann die Grundlage für die Abstimmung und eine mögliche Weiterführung der Kooperation mit Niger wären”, hieß es weiter. Unter anderem steht das Projekt, mit deutscher Beteiligung ein Militärkrankenhaus zu errichten, weiter im Raum. Auch der Lufttransportstützpunkt in Niamey könnte erhalten bleiben.

    Schulze und Pistorius suchen Schulterschluss

    Nach dem Scheitern aller bisherigen Ansätze des Westens für die Sahel-Zone wirkt die deutsche Haltung geprägt von einer allgemeinen Ratlosigkeit. Oder um es in Politiker-Deutsch auszudrücken: Die Bundesregierung sucht eine neue Sahel-Strategie. Die Frage ist, wie es nach der Abwicklung des Minusma-Einsatzes in Mali, die sich in den letzten Zügen befindet, weitergehen kann und soll. Verteidigungsminister Pistorius und Entwicklungsministerin Schulze suchen neuerdings wieder den Schulterschluss, was die Sahel-Zone angeht. Sicherheit und Entwicklung sollen Hand in Hand gehen, lautet die Botschaft etwa im BMZ-Podcast mit Schulze und Pistorius. Am Abend des Dienstag, 19. März, wollen die Entwicklungsministerin und der Verteidigungsminister gemeinsam bei einem Diskussionsabend der Friedrich-Ebert-Stiftung in Berlin auftreten. In Zeiten des Ukraine-Kriegs ist es bemerkenswert, dass Pistorius sich dafür die Zeit nimmt.

    Vernetzte Sicherheit ist kein neues Schlagwort. Das wurde ja schon in Afghanistan verwendet”, sagte Afrika-Experte Malte Lierl vom GIGA-Institut in Hamburg im Gespräch mit Table.Briefings. Mit Blick auf die Sahel-Länder müsse jetzt Weitsicht herrschen: “Militärregime sind nicht so stabil, wie ihr schneidiges Auftreten das suggeriert. Für die europäische und deutsche Politik kommt es darauf an, sich langfristig zu positionieren und aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen.”

    Vor allem, “dass das Engagement zu sehr sicherheitspolitisch definiert worden ist und eigentlich die Sicherheitspolitik der Entwicklungspolitik übergeordnet worden ist.”  Auch die nationale Sicherheitsstrategie der Bundesregierung, die im vergangenen Sommer veröffentlicht wurde, spricht von einem umfassenden Ansatz in der Sicherheitspolitik. Der Sahel wird allerdings nur am Rande erwähnt.

    300 Millionen für Sahel-Krisenländer

    Für 2021 bis 2023 hatte das BMZ nach eigenen Angaben fast 300 Millionen Euro für die drei Sahel-Länder Mali, Burkina Faso und Niger eingeplant: Die Zusagen für die bilaterale staatliche Zusammenarbeit an diese drei Staaten belaufen sich demnach auf rund 298 Millionen Euro. Die Umsetzung der bilateralen Entwicklungszusammenarbeit mit Niger ist allerdings seit dem Putsch im Juli 2023 suspendiert. Die bilateralen Zahlungen an die drei Sahel-Staaten machen 18 Prozent der BMZ-Zuwendungen für ganz Westafrika aus, wie das BMZ errechnet hat.

    Finanziell liegt der Schwerpunkt woanders: Hauptempfängerland für bilaterale Hilfen ist nach BMZ-Angaben die Elfenbeinküste mit 347 Millionen Euro (2021-2023). Dazu kommen seit 2021 weitere 740 Millionen Euro für die drei Länder aus den sogenannten Kriseninstrumenten des BMZ – die zumeist an UN-Organisationen und Nichtregierungsorganisationen fließen – sowie aus den Fördertöpfen des BMZ für Nichtregierungsorganisationen und Kirchen. “Diese Projekte werden in allen drei Ländern weiter umgesetzt“, so das BMZ auf Anfrage.

    “Rein militärisch lassen sich die Dschihadisten im Sahel nicht besiegen. Sie werden für eine lange Zeit dableiben. Der Ansatz in der Extremismus-Bekämpfung muss sein, die Gesellschaften so weit zu stabilisieren, dass die Präsenz der Dschihadisten nicht zu einem kompletten Zusammenbruch der Staaten führt und auch eine weitere Ausbreitung einzudämmen”, meinte Lierl vom GIGA-Institut.

    Mehr gemeinsame Reisen von Schulze und Pistorius

    Sowohl Deutschland als auch die EU wollen sich künftig mehr auf die angrenzenden Küstenländer konzentrieren, um Spillover-Effekte zu verhindern. Das betonte auch Schulze wieder, kürzlich vor ihrem Besuch in Benin. Generell soll es gemeinsame Reisen von Schulze und Pistorius, wie im April 2023 nach Mali und Niger, laut BMZ künftig wieder geben.

    Lierl plädiert dafür, den Fokus in der Zusammenarbeit zu verschieben – weg von Militärregierungen, die sich von Kräften wie Russland schützen lassen, hin zu gesellschaftlichen Akteuren: “Die Feedbackschleife von der Bevölkerung zur Regierung ist in vielen Ländern der Region beeinträchtigt. Deswegen sollte man das konzeptuell anders denken. Man sollte analysieren, was in den Gesellschaften vorgeht, welche Politikansätze von einem breiten gesellschaftlichen Konsens getragen werden können, was wirklich im Interesse der Gesellschaft ist.”

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    Pakistans Armee festigt nach den Wahlen ihre Macht

    Anfang des Monats wurde Shebaz Sharif in Islamabad zum Regierungschef von Pakistan gewählt. Vier Wochen nach der Parlamentswahl – und unter Buhrufen: Denn die meisten Stimmen hatte nicht die Partei des ehemaligen Premierministers bekommen, sondern die Pakistan Tehreek-e-Insaf Partei (PTI) von Imran Khan. Doch ein Deal, in den neben Militär, Polizei und Geheimdiensten auch Großindustrielle einbezogen waren, sorgte dafür, dass der bereits zwischen April 2022 und August 2023 an der Regierungsspitze stehende Sharif abermals gewählt wurde.

    Die Pakistan Muslim League (PML-N) der Polit-Dynastie Sharif und die Volkspartei Pakistan People’s Party (PPP) um Ex-Außenminister Bilawal Bhutto Zardari hatten sich in den Wochen zuvor mit mehreren Kleinparteien auf eine Regierungskoalition geeinigt. Leer aus ging hingegen die PTI des früheren Premierminister Imran Khan, der im Januar zu zehn Jahren Haft wegen der Preisgabe von Staatsgeheimnissen verurteilt worden war. Er beschuldigt das Militär, für seinen Sturz verantwortlich zu sein.

    Entscheidender Machtfaktor Militär

    Die Armee stellt in Pakistan weiterhin den entscheidenden Machtfaktor dar, was zu einer Art zivil-militärischem Hybridregime geführt hat. Miftah Ismail, zweimaliger Finanzminister und ehemaliges Mitglied der PML-N, sagt: “Seitdem das Militär 1958 geputscht und das Kriegsrecht eingesetzt hat, wurde der Zugang zum System in Pakistan normal.”

    An die Armeespitze berufen hatte Sharif bereits vor zwei Jahren den früheren Geheimdienstchef Asim Munir. Vermutlich auch, weil der sich in der Öffentlichkeit zuvor deutlich gegen die Politik von Sharifs Rivalen Khan ausgesprochen hatte. Der hatte ihn 2019 als Generaldirektor des Inter-Service Intelligence (DG ISI), dem militärischen Geheimdienst, entlassen. Danach begann ein öffentliches Kräftemessen zwischen beiden.

    Munir kein Kind der Militärhierarchie

    Im Unterschied zu seinen Vorgängern stammt der tief religiöse Munir nicht aus einer Militärdynastie. Er hat auch nicht die angesehene Militärakademie in Abbottabad absolviert, ist innerhalb der Armeehierarchie aber trotzdem schnell aufgestiegen. Mit dem Westen hat er wenig Berührungspunkte, da er nicht in den Akademien der USA oder Großbritanniens ausgebildet wurde.

    Khan war 2018 mit Unterstützung eines Teils des Militärs in die Regierung gekommen. Mit den Auftritten des Populisten und ehemaligen Cricket-Spielers keimten die Hoffnungen auf umfassende Reformen im Land auf. In einem Versuch, das Militär aus der Mitregierung zu drängen, hatte Khan deshalb nicht nur Munir, sondern auch den damaligen militärischen Oberbefehlshaber Qamar Javed Bajwa entlassen. Doch im Machtkampf behielt am Ende das Militär die Oberhand: 2022 trat Khan zurück, eine Übergangsregierung unter Sharif übernahm die Amtsgeschäfte.

    Der in der Öffentlichkeit eher wortkarge Militärchef Munir lehnt jedwede demokratische Regung im Militär strikt ab, tritt für einen einheitlichen Gehorsam ein und setzt die militärische Einflussnahme in der Politik kontinuierlich fort. In seinen knappen Statements machte er in der Vergangenheit deutlich, dass er eine weitere Polarisierung des Militärs in zwei politische Lager nicht akzeptieren werde. Ein schwer kalkulierbarer militärischer Hardliner, der die Sicherheitspolitik in Islamabad weiter prägen wird.

    Wenig Aufbruch unter Shebaz Sharif

    Der aus einer Industriellenfamilie stammende Nawaz Sharif wiederum weiß sich mit dem Establishment zu arrangieren. Der bereits dreimalige Ex-Premierminister kehrte pünktlich zu den Parlamentswahlen im Februar aus seinem Exil in Großbritannien zurück. Kurz nach Schließung der Wahllokale erklärte er sich zum Sieger – und stimmte am Ende der Ernennung seines jüngeren Bruders Shebaz Sharif zum Premier zu. Die Enttäuschung insbesondere jüngerer Wähler, die weiter auf eine Veränderung hoffen und sich zunehmend radikalisieren, ließ befürchten, dass die Stimmung in weiten Teilen des Landes noch stärker zu eskalieren drohte.

    Erste außenpolitische Akzente setzte Munir bei einem Besuch in den USA im November 2023, aber auch im militärischen Konflikt mit dem Nachbarland Iran Anfang des Jahres. Teheran hatte Mitte Januar eine Raketen- und Drohnenattacke gegen eine bewaffnete Gruppe in der pakistanischen Grenzprovinz Balochistan ausführen lassen. Zwei Tage später wurden Einrichtungen im iranischen Sistan-Baluchestan durch das pakistanische Militär angegriffen. Dieser Konflikt wurde in beiderseitigem Einverständnis und unter Beteuerung des guten nachbarschaftlichen Verhältnisses auf diplomatischem Weg beigelegt. Munir hat dabei demonstriert, dass er gewillt ist, rote Linien aufzuzeigen.

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    Habeck will Verteidigungsfähigkeit stärken

    Robert Habeck will die Weichen stellen, um die deutsche Verteidigungsfähigkeit zu stärken. Wie Table.Briefings aus Regierungskreisen erfahren hat, hat der Bundeswirtschaftsminister die Chefs zahlreicher Rüstungsunternehmen für den 27. März zu einem Roundtable im Ministerium eingeladen. In dem Einladungsschreiben, das Table.Briefings vorliegt, heißt es, Habeck wolle sich mit ihnen “zu den Innovations- und Beschleunigungsmöglichkeiten in der Verteidigungswirtschaft austauschen und dabei insbesondere die Rolle des BMWK in diesem Prozess in den Blick nehmen”.

    Persönlich eingeladen sind die CEOs von 20 Unternehmen, darunter Airbus Defense and Space, Rheinmetall, Thyssen Krupp Marine Systems, Krauss-Maffei-Wegmann, Hensoldt AG, Renk AG, und der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie (BDSV), Christoph Atzpodien.

    Ökonom wirbt für deutlich mehr Investitionen

    In dem Einladungsschreiben bezieht sich Habeck auf den fortdauernden russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine, der für Deutschland die Frage aufwerfe, “wie die militärische Verteidigungsfähigkeit in den Dimensionen Land, Wasser, Luft durch die deutsche Verteidigungsindustrie weiter gestärkt werden kann”. Die Überlegungen im BMWK sind auch Folge von Gesprächen auf der Münchner Sicherheitskonferenz über den Zustand der Nato nach einem möglichen Wahlsieg Donald Trumps in den USA.

    Die Einladungen wurden am Tag nach dem vertraulichen Treffen von Habeck, Finanzminister Christian Lindner, Vertretern der führenden Wirtschaftsverbände und einigen Ökonomen im BMWK in der vergangenen Woche verschickt, bei dem auch über die Rolle der Rüstungsindustrie gesprochen wurde. Moritz Schularick, Präsident des Kiel Institut für Weltwirtschaft, hat für massive Investitionen in die Verteidigung geworben, die über Kredite finanziert werden sollen.

    Vorschlag würde einen Anteil von 3,5 Prozent des BIP ausmachen

    In der mittelfristigen Finanzplanung sind für die Jahre 2024-2027 für den Verteidigungshaushalt pro Jahr 51,8 Milliarden Euro vorgesehen. Schularick hält das nicht für ausreichend, selbst wenn noch Mittel aus dem Sondervermögen und Anteile aus anderen Haushalten dazukommen. Der Ökonom schlägt zusätzliche Ausgaben von 100 Milliarden Euro pro Jahr vor. Damit würde Deutschland rund 3,5 Prozent seines BIPs in Verteidigung investieren.

    Das Nato-Ziel sind zwei Prozent, das Deutschland aber jahrelang verfehlt hat. Polen investiert rund vier Prozent seines BIPs. Schularicks Argument: Die Stärkung der Verteidigungsfähigkeit dient nicht nur der europäischen Sicherheit, sondern hat auch stimulierende Effekte für die Konjunktur. Deshalb wird die Idee intern “Konjunkturpaket Verteidigung” genannt. Außerdem seien mittelfristig Spillover-Effekte auf die Technologieentwicklung in nicht-militärischen Bereichen zu erwarten. Und eine politische Komponente hat die Idee auch: Die konjunkturellen Effekte könnten die FDP überzeugen, der Aussetzung der Schuldenbremse zu diesem Zweck doch zuzustimmen. Dem Vernehmen nach haben jedenfalls Lindner und Habeck Schularicks Ideen interessiert und wohlwollend aufgenommen. hb

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    15. Juni soll “Veteranentag” werden

    Die Ampel-Koalition will zusammen mit der Union künftig am 15. Juni einen “nationalen Veteranentag” einführen. Dies geht aus einem gemeinsamen Antrag hervor, den die SPD federführend entworfen hat. Mit dem Gedenktag sollen diejenigen Frauen und Männer in Uniform geehrt werden, die “gedient haben und diejenigen, die in der Reserve bereitstehen”.

    In dem Antrag heißt es, die Soldatinnen und Soldaten verdienten “Respekt, Anerkennung und Würdigung für ihren Dienst und ihre Bereitschaft, im Falle eines Falles das höchste Gut – ihr Leben – für die Sicherheit, Freiheit und die Werte unseres Landes einzusetzen”. Bislang haben über zehn Millionen Frauen und Männer in der Bundeswehr gedient.

    Die genaue Ausgestaltung des “Veteranentages” ist noch unklar. Laut des gemeinsamen Antragsentwurfs, der Table.Media vorliegt, soll der Gedenktag “öffentlich und sichtbar in der Mitte der Gesellschaft sowie zentral in Berlin stattfinden”. Ursprünglich sollte der Antrag noch in dieser Woche im Parlament verhandelt werden. Die fraktionsübergreifende Zustimmung scheint nach Informationen von Table.Media allerdings nicht mehr sicher, denn die FDP habe Haushaltsbedenken angemeldet. Strittig sei auch, wer den Gedenktag verantworten soll. Laut des ursprünglichen Plans sollen dafür der Bundestag und das Verteidigungsministerium zuständig sein. Das Bundestagspräsidium hat dazu bislang nicht Stellung genommen.

    Mehr öffentliches Bewusstsein für die Soldaten

    Die Etablierung des “Veteranentages” ist fraktionsübergreifend immer wieder thematisiert worden. Bei der Ausrichtung der Invictus Games in Düsseldorf im September 2023 erklärte Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD), er wolle “mehr öffentliches Bewusstsein für die Opfer derjenigen erzeugen, die in Uniform dienen”. Auch die Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages, Eva Högl (SPD) hat in ihrem kürzlich erschienenen Bericht einen Gedenktag gefordert.

    Ursprünglich fiel die Wahl auf den 12. November. Am 12. November 1955 überreichte der erste Verteidigungsminister der Bundesrepublik, Theodor Blank, den ersten 101 Soldaten ihre Ernennungsurkunden zum freiwilligen Dienst in den Streitkräften. Aufgrund des Feiertags der Deutschen Einheit am 3. Oktober und des Gedenktages am 9. Novembers (Pogrome des NS-Regimes gegen die deutschen Juden 1938) habe man sich aber auf einen Termin vor der parlamentarischen Sommerpause und den Sommerferien entschieden. nana

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    Litauen: Ministerwechsel könnte deutsche Brigade ausbremsen

    Während die Gründe für den Rücktritt des litauischen Verteidigungsminister Arvydas Anušauskas nach wie vor nicht genau bekannt sind, warnte der scheidende Minister vor Verzögerungen bei der Stationierung der deutschen Brigade in Litauen. Die kommenden Monate seien für das Projekt “kritisch”, sagte Anušauskas. Er betonte, der Ministerwechsel könne die Ankunft der Brigade “für eine gewisse Zeit aufhalten”. Inwiefern die Aussage politisch motiviert ist, blieb zunächst unklar.

    Der 60-Jährige hatte vergangene Woche auf Bitte der Ministerpräsidentin und seiner Parteikollegin Ingrida Šimonytė den Rücktritt eingereicht. Šimonytė hatte als Grund angegeben, dass für die Sicherheit Litauens “mehr und schneller” gearbeitet werden müsse. Der Verteidigungsminister müsse sich vor allem stärker für die Erhöhung des Verteidigungshaushalts einsetzen. Außerdem beanstandete die Ministerpräsidentin, dass Anušauskas bei den Plänen zur Einführung der allgemeinen Wehrpflicht nicht aktiv genug gewesen sei.

    Litauen will seinen Verteidigungsetat auf 3 Prozent des BIP erhöhen

    Anušauskas hatte angegeben, dass die Rücktrittsaufforderungen für ihn überraschend kamen und hatte die Debatte über die Hintergründe mit Verweis auf seine Antikorruptionmaßnahmen zusätzlich angeheizt. Der Vorsitzende des litauischen Verteidigungsausschusses, Laurynas Kasčiūnas, ebenfalls ein Parteikollege, wird als wahrscheinlicher Nachfolger gehandelt. Am Mittwoch ist ein Treffen zwischen Kasčiūnas und Präsident Nausėda geplant.

    Der baltische Staat grenzt an die russische Exklave Kaliningrad und an Russlands Verbündeten Belarus. Das Land hat daher seit der russischen Invasion der Ukraine vor zwei Jahren seine Militärausgaben erhöht und rüstet seine Armee weiter auf. Die Regierung präsentierte am Montag auch einen Plan, der die Erhöhung des Etats von derzeit 2,5 Prozent des BIP auf 3 Prozent vorsieht.

    Bis 2027 will Deutschland bis zu 5000 Bundeswehrangehörige in Litauen stationieren, um die Nato-Ostflanke zu stärken. Die Finanzierung des Projekts hat wiederholt für Unstimmigkeiten gesorgt. Das Vorkommando, bestehend aus acht bis 15 Personen, soll am 8. April nach Litauen verlegt werden. Auch ein Aufstellungsstab soll noch in diesem Jahr folgen. wp

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    EU-Außenminister bringen Sanktionen gegen israelische Siedler auf den Weg

    Die EU will erstmals Sanktionen gegen extremistische israelische Siedler im Westjordanland verhängen. Geplant sind zunächst Einreiseverbote und Vermögenssperren für eine kleine, einstellige Zahl von Siedlern, hieß es nach einem Treffen der EU-Außenminister am Montag in Brüssel. Die Liste sei fertig, allerdings fehle noch der formelle Beschluss, sagte der EU-Außenvertreter Josep Borrell.

    Mit den Sanktionen folgt die EU den USA. Die Strafmaßnahmen sollen verhindern, dass sich israelische Siedler illegal palästinensische Gebiete aneignen und so die anvisierte Zweistaaten-Lösung unmöglich machen. Außerdem will die EU gewalttätige Übergriffe auf Palästinenser ahnden. Das Vorgehen der radikalen Siedler verstoße gegen internationales Recht, sagte Außenministerin Annalena Baerbock in Brüssel. 

    Assoziierungsabkommen mit Israel wird vorerst nicht ausgesetzt

    Der nun erfolgten politischen Einigung war ein wochenlanges Tauziehen vorausgegangen. Vor allem Ungarn hatte Bedenken, gab seinen Widerstand am Ende aber auf. Im Gegenzug soll es auch neue Sanktionen gegen die islamistische Terrororganisation Hamas geben. Zuletzt hatte die EU zwei mutmaßliche Drahtzieher des Hamas-Massakers in Israel vom 7. Oktober sanktioniert. 

    Keine Einigung gab es in der Frage, ob die EU auch im Gazakrieg den Druck auf Israel verstärken soll. Borrell befürwortet dies. Er setzte kurzfristig eine Debatte über das EU-Assoziierungsabkommen mit Jerusalem auf die Tagesordnung. Spanien und Irland wollen dieses Abkommen teilweise aussetzen, um Israel in Gaza zu Mäßigung zu zwingen. Baerbock lehnte dies jedoch entschieden ab. 

    Für die Bemühungen um eine dringend benötigte humanitäre Feuerpause in Gaza brauche es Gesprächskanäle rund um die Uhr, sagte die Grünen-Politikerin. Deswegen halte sie alles, was Gespräche erschwere, in der jetzigen Situation für falsch. Der Rat sprach sich schließlich dafür aus, das Gespräch mit Israels Außenminister zu suchen. Das Assoziierungsabkommen wird also vorerst nicht ausgesetzt. 

    Sanktionen als Reaktion auf den Tod von Alexej Nawalny

    Die EU-Außenminister befassten sich auch mit Russland und mit der Ukraine. Als Reaktion auf den Tod des Kremlkritikers Alexej Nawalny in einem russischen Straflager will die EU Sanktionen gegen 30 Personen und Organisationen verhängen. Zudem soll das bestehende EU-Sanktionsinstrument zur Bestrafung von schweren Menschenrechtsverstößen nach Nawalny umbenannt werden.

    Mit Blick auf die Ukraine haben die EU-Minister endgültig grünes Licht für den neuen “Ukraine Assistance Fund” gegeben, der innerhalb der Europäischen Friedensfazilität (EPF) geschaffen wird. Er wird zunächst mit 5 Milliarden Euro dotiert und soll dem Kauf von Waffen und Munition dienen. Zuvor hatten Deutschland und Frankreich einen monatelangen Streit über die EPF beigelegt. ebo

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    Putin betont seinen Großmachtanspruch

    Zehn Jahre nach der Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim und einen Tag nach seiner zweifelhaften Wiederwahl hat der russische Präsident Wladimir Putin in mehreren öffentlichen Ansprachen am Montag den Großmachtanspruch Russlands unterstrichen. Die Krim werde immer zu Russland gehören und Russland werde niemals werde es gelingen, auf Russland Druck auszuüben.

    Putins Apparat hatte ihm den Wahlsieg mit einer hohen Wahlbeteiligung von offiziell 70,8 Prozent und einem Ergebnis von 87,3 Prozent organisiert, größere Störungen gab es nicht – das Land und der Apparat sind auf Kurs. Erreicht wird die auch mit immer mehr Repressionen und immer strengeren Gesetzen gegen kritische Stimmen.

    Mehr Drohnenangriffe auf die Ukraine

    In Deutschland ging Verteidigungsminister Boris Pistorius derweil auf Distanz zum  SPD-Fraktionsvorsitzenden Rolf Mützenich, der vergangene Woche im Bundestag vom “Einfrieren” des Krieges gesprochen hatte.  «Es würde am Ende nur Putin helfen», sagte Pistorius am Montag nach einem Treffen mit dem polnischen Verteidigungsminister Wladyslaw Kosiniak-Kamysz in Warschau. Dies sei zwar eine Position, die man vertreten könne, um sich für den Frieden auszusprechen. “Aber einen Diktatfrieden darf es nicht geben und keinen Frieden, der dazu führt, oder einen Waffenstillstand oder ein Einfrieren, bei dem Putin am Ende gestärkt herausgeht und den Konflikt fortsetzt, wann immer es ihm beliebt.”

    Nach der orchestrierten Abstimmung, vor der Putin bei seinen öffentlichen Auftritten den Krieg wie ein Nebenprojekt abhandelte, dürften die Anstrengungen, mehr Ressourcen zu mobilisieren, wieder zunehmen. In den vergangenen Tagen hatte die russische Armee ihre Drohnenangriffe auf ukrainische Städte noch einmal verstärkt und dabei viele Zivilisten getötet. Russland hat die Drohnenproduktion erheblich ausgeweitet. vf/dpa

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    • Ukraine-Krieg

    Presseschau

    The New York Times: Five Takeaways From Putin’s Orchestrated Win in Russia. Kriegsveteranen als Kern einer “neuen Elite”, die das Land regiert – so lautet eine Prognose der NYT dafür, wie es nach der Wahl weitergehen könnte. Putin werde versuchen, seine älteren Verbündeten durch eine jüngere Generation zu ersetzen. Und der Krieg wird eine der zentralsten Organisationsaufgaben des Kreml bleiben.

    Financial Times: The lost future of young Gazans. Der Wiederaufbau des Bildungssystems im Gazastreifen werde nach Kriegsende eine der größten gesellschaftlichen Herausforderungen, prognostiziert die Financial Times. Mit der Dezimierung von Bildungsinstitutionen und -infrastruktur zerstöre der Krieg “das soziale Gefüge der Gemeinden und ihre Fähigkeit, ihr Leben wieder aufzubauen”, sagt Anthropologin Ala Alazzeh.

    Arte: Verbotene Geschäfte – Wie die Sanktionen gegen Russland umgangen werden. Diese Dokumentation zeigt auf, wie mithilfe von Tarnfirmen, Mittelsmännern und gefälschten Zollpapieren Sanktionen umgangen werden und wie Transitländer, unter anderem die Türkei, zu einer Drehscheibe für mitunter kriegswichtige Güter werden.

    Financial Times: Russian ‘dark fleet’ lacks disaster insurance, leaks suggest. Wenn russische Öltanker westliche Sanktionen umgehen, kann der Schutz von Versicherungen erlöschen. Ein hohes Risiko für die “dunkle Flotte” Moskaus – und für Küstenstaaten, die im Falle einer Ölpest die Kosten für die Beseitigung der Schäden selber tragen müssten. Dieser Artikel zeigt auf, wie das westliche Sanktionssystem unbeabsichtigt die Umweltbedrohungen erhöht haben könnte.

    Arte: Ukraine – Krieg den Verrätern. Regisseur Gwenlaouen Le Gouil blickt in dieser Doku auf Identitäten, Beweggründe und Zerrissenheit von Kollaborateuren und die menschlichen Dimensionen des Verrats inmitten des russischen Angriffskriegs. In der Ukraine erstreckt sich die Verfolgung vermeintlicher Saboteure bis in die höchsten politischen Ebenen.

    Standpunkt

    Alexander Müller: Wehrpflicht verletzt Freiheitsrechte

    Alexander Müller
    Alexander Müller ist verteidigungspolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion.

    Die Bundeswehr und mit ihr die deutsche Gesellschaft stehen vor der Herausforderung, dass sich zu wenige Rekruten für den Dienst bei den Streitkräften verpflichten. Mit der Wiedereinführung der Wehrpflicht ist das Problem aber nicht gelöst.

    Das offizielle Ziel der Bundeswehr, bis 2031 einen Stand von 203.000 Soldaten zu erreichen, ist überaus ambitioniert. Um Deutschlands Sicherheit zu gewährleisten und seinen Beitrag für Landes- und Bündnisverteidigung aufrechtzuerhalten, brauchen wir mehr Frauen und Männer, die unserem Land dienen wollen.

    Und genau da liegt der Punkt: Es kann nur ein Wollen und kein Müssen sein. Die Bundeswehr braucht hoch motivierte Spezialisten, die sich mit Leidenschaft ihrer Aufgabe widmen. Das Umfeld eines Soldaten im 21. Jahrhundert ist geprägt von anspruchsvollem Gerät, fortschreitender Digitalisierung und der zunehmenden Präsenz künstlicher Intelligenz. Eine umfassende Ausbildung und Erfahrung sind vor diesem Hintergrund in einer Form nötig, wie sie im Rahmen eines zeitlich begrenzten Wehrdienstes nicht angemessen erreicht werden können.

    Wehrpflicht verletzt Freiheitsrechte

    Grundsätzlich stellt die Wehrpflicht einen tiefen Eingriff in die Freiheitsrechte des Einzelnen dar. Für mich als Liberalen müssen solche Eingriffe sehr gut begründet werden und derzeit sehe ich (noch) nicht die hinreichende Berechtigung für die Reaktivierung der Wehrpflicht. Je älter die Menschen sind, die man fragt, desto eher unterstützen sie eine Reaktivierung oder eine sonstige Art von Dienstjahr.

    Ein wenig Zucht und Ordnung täten den jungen Leuten mal gut, ist, überspitzt formuliert, häufig der Kerngedanke dabei. Doch zum einen ist gut Fordern, wenn man selbst nicht betroffen ist, und zum anderen ist es nicht die Aufgabe des Staates, Bürgern Disziplin und preußische Tugenden beizubringen. Ich erinnere an Artikel 2 des Grundgesetzes: “Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit”.

    Die Frage der Wehrgerechtigkeit bleibt bestehen

    Grundgesetzliche Probleme ergeben sich zum einen daraus, dass eine neue Wehrpflicht fraglos nicht nur Männer, sondern auch Frauen umfassen sollte. Das müssten Bundestag und Bundesrat mit Zweidrittelmehrheit beschließen. Die andere und ungleich schwieriger zu beantwortende Frage wäre die der Wehrgerechtigkeit. Diese ist ein verfassungsmäßiges Gebot und verlangt, dass die Pflichten der Landesverteidigung möglichst gleichmäßig auf die (männlichen) Staatsbürger verteilt werden.

    Wenn nur ein geringer Teil eines Jahrganges eingezogen wird, ist das problematisch. Vor Aussetzung der Wehrpflicht 2011 war dies ein großer Konflikt und einer der Gründe für die Entscheidung der christlich-liberalen Koalition. Das von Bundesverteidigungsminister Pistorius vorgeschlagene Modell würde zur Wiederbelebung dieses Konfliktes führen. Denn obwohl bei diesem Modell vornehmlich jene Personen eingezogen werden, welche ihr Interesse am Dienst geäußert haben, besteht weiterhin eine Pflicht. Das bedeutet, dass auch dann Rekruten eingezogen werden, wenn es weniger Interessierte als offene Stellen gibt.

    Eine Wehrpflicht scheitert auch an der Umsetzung

    Verbleibt die Frage der Umsetzung. Woher nimmt die Bundeswehr die Liegenschaften für mehrere Zehntausend Wehrpflichtige im Jahr? Wer baut die Unterkünfte und nach wie vielen Jahren wären die dann bezugsfertig? Woher kommen die Soldaten, welche die Massen der Rekruten ausbilden? Was ist mit der persönlichen Ausstattung, der Bewaffnung?

    Die Task Force Personal hat mit ihrem Bericht kluge Vorschläge gemacht, um die Personallage der Bundeswehr zu verbessern, die schwedische Wehrpflichtvariante gehört jedoch nicht dazu. Sinnvoll erscheinen mir nur eine breite Musterung und Kontaktaufnahme zu jungen Leuten, nicht aber ein Zwang.

    In Frankreich haben die Generäle Präsident Macron, der seinerzeit ebenfalls mit der Wiedereinführung der Wehrpflicht liebäugelte, klargemacht, dass sie wenig Lust haben, Zeit, Energie und Material für junge Rekruten auszugeben, welche nach einigen Monaten wieder verschwunden sind. Le Président ließ sich überzeugen. Vielleicht ist mal wieder ein Anruf in Paris fällig.

    Alexander Müller ist verteidigungspolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion und stellvertretender Vorsitzender des Unterausschusses Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung.

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