heute Nachmittag, kurz nach 15 Uhr, wird der Bundestag wohl den gefährlichsten Einsatz der Deutschen Marine seit Jahrzehnten mandatieren. Die Fregatte “Hessen” soll noch heute im Einsatzgebiet im Roten Meer einlaufen, um Handelsschiffe vor Huthi-Angriffen zu schützen. Thomas Wiegold hat analysiert, was die Fregatte kann – und was nicht. Anders als bei der Debatte über die Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern, die Markus Bickel am Donnerstag verfolgte, dürften die Abgeordneten bei der Abstimmung heute relativ geschlossen sein.
Für die Grünen-Bundestagsabgeordnete Lamya Kaddor ist die Mission ein Signal für mehr Verantwortung im Nahen Osten. Sie fordert in ihrem Standpunkt, “humanitäres und diplomatisches Engagement in den arabischen Ländern zu verstärken”. Der 7. Oktober 2023 habe gezeigt, dass der Nahe Osten “weiterhin entscheidend sein wird für unsere und die globale Sicherheit”.
Seit dem Tag ist ein anderes Datum in den Hintergrund gerückt. “Der 24. Februar 2022 war der bisher schlechteste Tag meines Lebens”, sagt Denis Trubetskoy, der regelmäßig für uns aus der Ukraine berichtet und auf der Krim geboren ist. In dem sehr persönlichen Text schildert er, warum er trotz aller Schwierigkeiten nicht verzweifelt und was ihn an westlicher Berichterstattung stört. Ich lege Ihnen seinen Essay sehr ans Herz.
Und noch etwas: Der Bundestag berät heute über den Zwischenbericht der Enquete-Kommission zu Afghanistan. Überraschendes Fazit des Vorsitzenden des Deutschen Bundeswehrverbandes, Oberst André Wüstner: Die Dominanz des Militärischen habe zum Scheitern bei Stabilisierung und Wiederaufbau in Afghanistan geführt, sagte er Donnerstagabend bei einer Veranstaltung der SPD-Fraktion im Bundestag.
Ich wünsche eine gute Lektüre
Der 24. Februar 2022 war der bisher schlechteste Tag meines Lebens – und wird es wohl für eine Weile bleiben. Als die Flugabwehr von Kiew gegen 5 Uhr morgens versuchte, die ersten russischen Marschflugkörper abzufangen, wurde mir klar: Ich wusste zwar, was ich machen muss – dass ich schnell den Rucksack packen und meinen nordwestlichen Stadtteil verlassen sollte. Doch ich merkte auch: Mental bin ich darauf nicht vorbereitet. Dabei hatte ich geglaubt, dass ich es bin.
Obolon, der Stadtteil, in dem ich lebe, liegt unweit der Kleinstädte Butscha, Hostomel und Irpin. Diese Namen sind inzwischen weltberühmt wegen der Verbrechen, die die russischen Truppen dort verübt haben. Wären sie bei ihrem Vorstoß erfolgreicher gewesen, hätten sie in Richtung der Innenstadt von Kiew auch das Haus passiert, in dem ich lebe. Obolon hatte Riesenglück. Ich hatte Glück.
Ich bin kein Kriegsreporter. Als Journalist in der Ukraine wusste ich aber auch schon vor dem 24. Februar 2022, was Krieg bedeutet. Denn fast so verzweifelt wie vor zwei Jahren war ich bereits einmal gewesen, im Frühjahr 2014. In einer schnellen Aktion verleibte sich Russland damals die Krim ein, die ukrainische Halbinsel, auf der ich geboren bin.
Die Welt sah damals zu, wie eine Atommacht zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg mit Gewalt Grenzen verschiebt. Die Reaktion darauf in Form lächerlicher Personensanktionen gegen ein paar Dutzend Menschen ist – diplomatisch ausgedrückt – nicht angemessen gewesen.
Heute, zwei Jahre nach der russischen Vollinvasion, erlebe ich viele Déjà-vu-Momente. Dieses Mal bin ich aber nicht verzweifelt. Es ist nur extrem schwierig, ohne einen Planungshorizont zu leben und davon auszugehen, dass der Krieg noch mindestens genauso lange wie bisher dauern könnte. Trotzdem lebe ich nicht in der Welt der schwarz-weißen Schlagzeilen vieler westlicher Medien, die eher einen pessimistischen Ton anstimmen und die Ukraine quasi begraben.
Ja, die militärischen Budgetplanungen Russlands für den Zeitraum zwischen 2024 und 2026 sind gewaltig. Ja, Moskaus Mobilisierungspotenzial ist größer. Es wird jedoch einiges verdreht, obwohl die dauernde Krise im US-Parlament tatsächlich dem russischen Präsidenten Wladimir Putin in die Hände spielt. Die ukrainische Offensive im Süden des Landes im vergangenen Jahr war kein Erfolg. Zur Wahrheit gehört aber auch: Auch Russland gelang bisher trotz aller Anstrengungen kein Durchbruch. Die Einnahme der zerstörten Kleinstadt Awdijiwka ist ein solcher nicht.
Und dass es der Ukraine, selbst de facto ohne Flotte, gelungen ist, die russische Schwarzmeerflotte derart zurückzudrängen, dass Exporte durch das Schwarze Meer ohne ein neues Getreideabkommen wieder möglich wurden, ist keine Kleinigkeit.
Es wird lange dauern, bis die Ukraine Putin zeigen kann: Jetzt ist Schluss. Denn schließlich sind dem Kremlherrscher sowohl wirtschaftliche Folgen als auch das Leben der Russen, geschweige denn der Ukrainer, völlig egal. Und obwohl auch in der Ukraine mit der Zeit mehr und mehr Menschen von einem nicht näher definierten Kompromiss träumen könnten, wird der großen Mehrheit klar bleiben, dass wir schlicht durchhalten müssen. Wenn man in einem offenen Meer bei Sturm schwimmen muss, gibt es nur zwei Optionen: Das Ufer irgendwie erreichen – oder ertrinken. Putin will die ukrainische Staatlichkeit am liebsten ganz auslöschen, koste es, was es wolle, das kann kaum angezweifelt werden.
Um meine Mitbürger mache ich mir keine Sorgen. Was mich aber neben dem politischen Chaos in den USA beschäftigt: Wie schnell dieser Krieg dort zu einer Art Normalität geworden ist, wohin man zu Friedenszeiten von Kiew aus innerhalb von zwei Flugstunden gelangte. Der Krieg ist zu einer Talkshow-Angelegenheit geworden, die man mit einem Espresso in der Hand genießen könnte, liefen die deutschen Talkshows nicht so spät am Abend.
Ich bin politischer Journalist und kein Militärexperte. Ich habe mich dennoch eingehend genug mit diesem Krieg auseinandergesetzt, um die Rückkehr zur Tagesordnung in Deutschland nicht zu verstehen – obwohl mir der grundsätzliche Drang zur Normalität verständlich ist. Auch ich sehne mich danach.
Was ich aber sehe und nicht begreife: Zwar tut gerade Deutschland viel, um die Ukraine zu unterstützen, doch wirklich klar haben es weder Berlin noch Europa als Ganzes verstanden: Russland jetzt zu stoppen, ist billiger und besser für alle. Vielleicht ist das Risiko, im eigenen 24. Februar 2022 aufzuwachen, nicht allzu groß für Europa. Aber es ist größer als vor zwei Jahren. Und diese Erfahrung wünsche ich niemandem.
Beim Militär heißt so etwas “Time on Target”: pünktlich. Wenn der Bundestag am Freitagnachmittag absehbar den Einsatz der Bundeswehr im Roten Meer beschließt, soll die deutsche Fregatte “Hessen” aus dem Suezkanal in das Seegebiet einlaufen. Kurz hinter Port Suez beginnt dann mit der Aufgabe, Handelsschiffe vor Angriffen der Huthi-Milizen aus dem Jemen zu schützen, der gefährlichste Einsatz der Deutschen Marine seit Jahrzehnten.
Die Angriffe der vergangenen Wochen zeigen, wie groß die Gefahr ist: Mehrere Handelsschiffe wurden trotz des bereits laufenden Einsatzes von Kriegsschiffen der US-geführten “Operation Prosperity Guardian” getroffen, der Frachter “Rubymar” musste von der Besatzung aufgegeben werden und drohte zu sinken. Beim Einsatz im Roten Meer muss die 250-köpfige Besatzung der “Hessen” deshalb auf eine permanente Bedrohung eingestellt sein: Das Schiff wird dann im “Kriegsmarsch” unterwegs sein, bei dem alle Gefechtsstationen besetzt sind und die Mannschaft zum Beispiel mit zusätzlicher Schutzausrüstung wie Flammschutzhauben auf einen Treffer und Feuer im Schiff vorbereitet ist – eine erhebliche körperliche Belastung.
Die Angriffe aus dem Jemen richteten sich insbesondere gegen Handelsschiffe aus westlichen Staaten, denen die Huthis die Unterstützung Israels im Kampf gegen die Hamas im Gazastreifen vorwerfen. Rund 60 solcher gezielten Angriffe gab es seitdem, von denen die meisten von Kriegsschiffen der USA, Großbritanniens und Frankreichs abgewehrt wurden. Außerdem bombardierten die USA und Großbritannien erkannte Abschussstellungen der Huthis im Jemen selbst. Dennoch vermeiden zahlreiche Reedereien derzeit den Weg durch eine der wichtigsten Schifffahrtsrouten der Welt und wählen den Umweg um die Südspitze Afrikas.
Die EU-Mission hat ein Operationsgebiet, das vom Roten Meer bis zum Persischen Golf reicht – allerdings ist bei dem Bereich, in dem Handelsschiffe geschützt werden sollen, die Straße von Hormus und der Persische Golf selbst ausgenommen. Angriffe auf Landziele gehören nicht zum Auftrag der neuen EU-Mission “Aspides”, an der sich die Deutsche Marine beteiligt, und damit auch nicht zum Auftrag der “Hessen”. Unter dem Kommando eines griechischen und eines italienischen Admirals sollen die europäischen Kriegsschiffe nur die Abwehr der auf die Frachter und Tanker anfliegenden Geschosse sicherstellen. Die deutsche Fregatte ist genau für diese Aufgabe gebaut worden – um im Kriegsfall einen Verband aus anderen Kriegsschiffen oder auch Nachschubkonvois vor eben diesen Raketen, Marschflugkörpern und Drohnen zu schützen.
Nach Ausbruch des Gazakriegs im vergangenen Oktober hatten die von Iran unterstützten Milizen, die sich selbst Ansar Allah (Helfer Gottes) nennen, damit begonnen, Frachter und Tanker im Roten Meer, der Meerenge Bab al-Mandab und im Golf von Aden anzugreifen – mit Antischiffsraketen, Marschflugkörpern und Drohnen.
Dafür ist die “Hessen” mit mehreren Flugabwehrsystemen ausgerüstet. Ihr Radarsystem überwacht den Luftraum bis zu 400 Kilometer weit; in bis zu 160 Kilometern Entfernung kann sie anfliegende Ziele mit der Standard Missile 2 abschießen. In geringerer Entfernung wird der Flugkörper Evolved Sea Sparrow Missile mit rund 50 Kilometern Reichweite eingesetzt, und unterhalb von zehn Kilometern Entfernung kommt der Rolling Airframe Missile zum Einsatz.
Sollten die Huthis, wie bereits geschehen, mit Schnellbooten oder Hubschraubern versuchen, ein Schiff zu entern, kann die Fregatte mit ihren Bordkanonen wie dem Marineleichtgeschütz im Kaliber 27 mm reagieren – oder mit ihren beiden Bordhubschraubern vom Typ Sea Lynx, die mit schweren Maschinengewehren ausgerüstet sind.
Offen ist vorerst, ob zu den Raketen und Drohnen eine weitere Gefahr hinzukommt. Am vergangenen Wochenende meldeten die US-Streitkräfte erstmals eine beobachtete Unterwasserdrohne – wie die anderen Waffensysteme sehr wahrscheinlich eine iranische Entwicklung. Auf die Bedrohung unter Wasser, durch Torpedos oder eben durch unbemannte Systeme ist die “Hessen” bislang nicht eingestellt. Ein Abwehrsystem dagegen hat sie nicht an Bord und kann deshalb einer solchen Gefahr nur durch schnelle Manöver ausweichen.
Die dauerhafte Bedrohung wie in einem Krieg macht diesen Einsatz so gefährlich – anders als vorangegangene Missionen der Deutschen Marine zum Beispiel bei der Bekämpfung der Piraterie vor Somalia, wo somalische Banden mit Kalaschnikows und alten Panzerfäusten die größte Gefahr darstellten. Deshalb ist bemerkenswert, dass sich für diesen Einsatz am Freitagnachmittag eine sehr breite Mehrheit im Parlament aussprechen dürfte: Selbst die AfD, die in den vergangenen Jahren regelmäßig die Auslandseinsätze der Bundeswehr ablehnte, hatte bereits in der ersten Beratung am Mittwoch ihre Zustimmung angekündigt.
Die Differenzen innerhalb der Regierungsfraktionen über eine mögliche Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern an die Ukraine haben sich weiter vertieft. Der Bundestag stimmte am Donnerstag zwar mit großer Mehrheit einem von SPD, Grünen und FDP eingebrachten Antrag zu, der von der Bundesregierung “die Lieferung von zusätzlich erforderlichen weitreichenden Waffensystemen und Munition” an die Ukraine fordert. Doch mehrere Abgeordnete von Grünen und FDP machten in der Debatte deutlich, dass sie sich dezidiert die Lieferung des Taurus an Kiew wünschten; das sei jedoch an der Haltung der SPD-Bundestagsfraktion gescheitert.
Weil ihr die Formulierung im Ampel-Antrag nicht deutlich genug ausfiel, stimmte die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP), nicht nur dem von der eigenen Fraktion initiierten, sondern auch einem von den Unionsfraktionen eingebrachten Antrag zu. Dieser hatte den vom Hersteller von Lenkflugkörpern und Luftverteidigungssystemen MBDA in Schrobenhausen produzierten Taurus explizit genannt.
Sie sei enttäuscht darüber, dass es ihr nicht gelungen sei, ihre Kolleginnen und Kollegen in der Ampelkoalition davon zu überzeugen, “das Kind einfach mal beim Namen zu nennen” und stattdessen “sprachliche Nebenkriegsschauplätze” zu eröffnen. Die stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Gabriele Heinrich, wies die Kritik zurück: “Niemand kann doch behaupten, dass ein einziges System den Game Changer darstellt”, sagte sie.
Verteidigungsminister Boris Pistorius wich auf Nachfragen von CDU-Abgeordneten der Frage aus, ob er die Lieferung von Taurus-Systemen unterstütze, die mit einer Reichweite von mehr als 500 Kilometern auch Ziele hinter den russischen Frontlinien treffen könnten. Parlamentarier von AfD, Linke und BSW (Bündnis Sahra Wagenknecht) hielten der Bundesregierung vor, mit ihrer Politik eine Verhandlungslösung mit Russland zu erschweren. Pistorius bezeichnete diese als “fünfte Kolonne Moskaus” mrb
Russlands Stärke ist Europas Trägheit – so lässt sich die Situation in der Ukraine zwei Jahre nach der Vollinvasion der russischen Armee zusammenfassen. Nachdem der Regierung Wladimir Putins kurz nach dem 24. Februar 2022 klar geworden war, dass ein schneller Sieg nicht zu erwarten ist, wurde das Land im Eiltempo auf Kriegskurs umgestellt. Seitdem ist Russland der Ukraine und ihren Unterstützern stets einige Schritt voraus.
Zumindest kurzfristig hat Russland deshalb die Oberhand: An der Front konnte die russische Armee zuletzt leichte Geländegewinne vermelden, vor allem im Osten der Ukraine bei Awdijiwka. Wichtig ist hier aber weniger der konkrete, überschaubare Erfolg, sondern zwei andere Faktoren. Zum einen bezahlt Russland die Einnahme dieser ehemals 31.000-Einwohner-Stadt mit sehr hohen Verlusten. Nach Angaben eines pro-russischen Militärbloggers, der sich mit dem Verteidigungsministerium angelegt hatte, starben mindestens 16.000 russische Soldaten bei der Offensive auf Awdiijwka. Zum anderen binden die Kämpfe dort viele Kräfte der Ukraine, die sie im Süden des Landes nicht einsetzen kann.
Der Militärblogger Andrej Morosow, “Murs”, der über die hohen Verluste berichtete, hat in dieser Woche angeblich Suizid begangen. Zuvor hatte er sich, als Soldat vor Ort, öffentlich über die hohen Verluste und die unwahre Berichterstattung über die Frontlage an die Führungsspitze beschwert.
Russland gleicht die hohen Verluste mit einem stetigen Nachschub an frischen Kräften aus. Nach offiziellen Angaben seien allein in den ersten Monaten dieses Jahres mehr als 53.600 neue Soldaten an die Front gelangt. Die Zahl lässt sich nicht überprüfen. Nach Auskunft von drei Experten, mit denen Table.Media sprach und die in Russland wehrpflichtige Männer beraten, wie sie dem Kriegsdienst entkommen können, rekrutieren die Behörden aber hartnäckig weiter – vor allem in Strafkolonien und auch in Waisenhäusern.
Vor den Präsidentschaftswahlen Mitte März erwarten die Experten keine offizielle Mobilmachung. “Dafür bekommen jetzt alle wehrpflichtigen Männer einen Bescheid, dass sie sich im Falle einer Benachrichtigung innerhalb weniger Stunden bei entsprechenden Einheiten einfinden sollen. Dann muss noch nicht einmal eine Mobilmachung offiziell verkündet werden”, sagte eine Expertin.
Dass Russland weiterhin sein Ziel verfolgt, sich mindestens Teile der Ukraine ganz einzuverleiben, zeigen auch Berichte über die Versorgung von Russland mit Artilleriemunition und Raketen aus Nordkorea und dem Iran. Rund 400 iranische Raketen mit einer Reichweite bis zu 700 km sollen in Russland angekommen sein. Diese Nachricht konterkariert aber zugleich russische Behauptungen, wonach sie die Produktion von Raketen erheblich hochgefahren haben.
Grundsätzlich fehlen der russischen Rüstungsbranche die Arbeitskräfte. Nach offiziellen Angaben betrug die zuletzt genannte Arbeitslosenquote 2,9 Prozent – was quasi bedeutet, dass es keine verfügbaren Arbeitskräfte mehr gibt. Die Rüstungsbranche sucht Kräfte für einfache bis hoch spezialisierte Tätigkeiten und konkurriert dabei mit dem Verteidigungsministerium. Nach Auswertung des unabhängigen russischen Mediums Cholod, müssen immer mehr Betriebe aus dem zivilen Sektor für die Armee produzieren, weil “die Nachfrage durch die Rüstungsbranche allein nicht gedeckt werden kann”.
Das zweite große Problem für Russland: die westlichen Sanktionen. Obwohl es Moskau gelingt, über Umwege genug elektronische Komponenten vor allem für den Raketen- und Drohnenbau einzuführen, sieht es mit schweren Waffen und gepanzerten Fahrzeugen deutlich schlechter aus. In diesem Punkt wendet sich das Blatt mittelfristig zugunsten der Ukraine, weil in der EU oder in der Ukraine die Produktion für Artillerie hochgefahren wird. Aktuell versuchen aber sowohl die russischen Besatzer wie die ukrainischen Verteidiger, den Status quo zu halten. vf
Eine Reihe von Vorfällen von Vandalismus in den baltischen Staaten erweist sich mit großer Wahrscheinlichkeit als Teil einer vom russischen Geheimdienst organisierten Kampagne von hybriden Operationen, hat der estnische Inlandssicherheitsdienst mitgeteilt. In diesem Zusammenhang wurden elf Personen in Estland und Lettland verhaftet. Der Fall ist ein seltenes Beispiel für die Aufdeckung mutmaßlich russischer Hybridoperationen.
Die eingeschlagenen Autoscheiben eines Ministers und eines Journalisten sowie die mehrfache Verunstaltung historischer Denkmäler in allen drei baltischen Staaten im vergangenen Jahr schienen zunächst voneinander unabhängig geschehen zu sein. Doch diese Woche wurde in einer gemeinsamen Operation ein Netzwerk mutmaßlicher russischer Agenten im Baltikum zerschlagen. Die Ermittlungen sind noch nicht abgeschlossen. Bei den Verhafteten handelt es sich um russische und russisch-estnische Staatsangehörige.
“Es ist heute ein allgemeiner Trend, dass sowohl russische als auch chinesische Sondereinheiten Kontakte über soziale Medien ansprechen. Die Geldsumme war nicht hoch und das Risiko war es sicher nicht wert”, sagte der estnische Geheimdienstchef Margo Palloson und warnte vor einer “neuen Methode der Einflussnahme”.
Die Ereignisse erinnern an einen Fall von Ende 2023, als Schulen im Baltikum Hunderte von Bombendrohungen erhielten. Für einige Tage musste der Unterricht unterbrochen werden. 2007 führte Russland einen massiven Cyber-Angriff auf Estland durch, infolgedessen es zu Unruhen kam. Kürzlich wurde in einem anderen Zusammenhang aufgedeckt, dass ein lettisches pro-russisches Mitglied des Europäischen Parlaments mit russischen Geheimdiensten zusammenarbeitete.
Derweil erhöht Moskau auch auf das westlich orientierte Moldau den Druck. In der abtrünnigen Region Transnistrien wollen die politisch Verantwortlichen am 28. Februar einen Kongress abhalten und nach Aussagen eines Oppositionspolitikers Russland dazu aufrufen, Transnistrien in die Russische Föderation aufzunehmen. Ähnliche Ankündigungen hat es bereits gegeben. Dieses Mal soll die Versammlung nur einen Tag vor der Rede des russischen Präsidenten zur Lage der Nation abgehalten werden. Die OSZE-Mission in der Grenzregion zwischen der Republik Moldau und dem abtrünnigen Transnistrien ist Mitte Dezember entgegen der üblichen Praxis nur um sechs statt zwölf Monate verlängert worden. jb/vf
Moskau will den Spielraum westlicher diplomatischer Vertretungen in Russland weiter einschränken und setzt dabei auf ein altes sowjetisches Modell: Lokale Mitarbeiter könnten bald nur noch von einer russischen Behörde vermittelt werden, die dem Außenministerium unterstellt ist. Aus dem Auswärtigen Amt heißt es gegenüber Table.Media, die Ankündigung des russischen Außenministers Sergej Lawrow sei bekannt. Auslandsvertretungen könnte in Russland das Recht entzogen werden, im Land als Arbeitgeber aufzutreten. Westliche Diplomaten könnten dann nicht mehr frei auswählen, welche russischen Staatsbürger bei ihnen arbeiten.
Lawrow hatte vor wenigen Tagen im russischen Parlament, der Staatsduma, erklärt, dass die “Hauptadministration für Dienstleistungen des Diplomatischen Korps” (GlavUpDK) das Anwerben von Personal für westliche Vertretungen übernehmen werde. Er nannte dabei die Botschaft des Vereinigten Königreichs in Moskau und das Generalkonsulat in Jekaterinburg, die davon bereits betroffen seien. Nach Recherchen von Table.Media ist das bereits seit mehreren Monaten der Fall.
Der ehemalige russische Diplomat Boris Bondarew, der im Mai 2022 seinen Dienst aus Protest gegen den Krieg aufgegeben hatte, befürchtet, dass hierdurch russische Nachrichtendienste den Diplomaten noch näher kämen als ohnehin schon. Schon zu Sowjetzeiten galt, dass der GlavUpDK als Einfallstor für Sicherheitsbehörden in die sonst schwer zugänglichen diplomatischen Vertretungen genutzt wurde und die Dienstleister vor allem Spionage, Einschüchterung und Kontrolle ausüben sollten. fst/vf
Zusammen mit dem Weißbuch zur Zukunft der Konnektivität, das in erster Linie Ideen zur Neuregelung des Telekommunikationsmarktes enthält, stellte die EU-Kommission ihre Unterseekabel-Empfehlung am Mittwoch vor. Ergänzend zu den Vorschriften aus der Revision der Netzwerk- und Informationssicherheitsrichtlinie (NIS2) und der Richtlinie über den physischen Schutz kritischer Einrichtungen (CER), die Teilaspekte bereits adressieren, geht es dabei um zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen und ein koordinierteres Vorgehen.
Vergleichbar zur sogenannten 5G-Toolbox, mit der die EU koordinierte Maßnahmen gegen potenzielle Gefahren im Mobilfunknetz erreichen wollte, soll die Sicherheit der Untersee-Dateninfrastruktur nun mittels Cable Security Toolbox erreicht werden. Dafür fordert die Kommission die Mitgliedstaaten zur Mitarbeit an einheitlichen Standards und Methoden zur Bekämpfung von Risiken auf.
Ein wesentlicher Teil der Kommissionsempfehlung zum besseren Schutz vor Kabelangriffen soll dabei durch die Einberufung der “Submarine Cable Infrastructure informal Expert Group” geleistet werden. Die soll:
Allerdings könne, das betonen EU-Kommissionsbeamte, keinerlei Vorschrift für Infrastruktur außerhalb des EU-Gebietes gemacht werden – selbst wenn beide Endpunkte in der EU liegen. Dieses Grundsatzproblem bei Unterseekabelprojekten lässt sich vorerst nicht lösen. Auch die Frage, welchen Regularien Schiffe unterliegen, die Kabel verlegen oder reparieren, sei mit sehr vielen Unwägbarkeiten verbunden, heißt es aus Brüssel. Insgesamt werde ein “Team Europe”-Ansatz aus Mitgliedstaaten und EU-Kommission gebraucht, bei dem Erweiterungskandidaten, strategische Partner, Organisationen und weitere Drittländer gemeinsam an der Resilienz der Unterseekabel zusammenarbeiten. Ausdrücklich sollen sich hierzu etwa EU- und Nato-Beamte austauschen.
Die Kommission betont, dass sie ihre ersten Vorschläge aufgrund von Wünschen aus den Mitgliedstaaten unterbreitet habe. Spätestens im Dezember 2025 soll geprüft werden, ob auf die Unterseekabel-Empfehlung der Kommission weitere Schritte folgen. fst
The Washington Post: A killing in Spain points to Russia and Putin’s sense of impunity. Die Ermordung des russischen Piloten Maksim Kuzminov bedeutet “eine Mahnung an alle, die im Exil leben und aktiv gegen das Regime opponieren.” Der Mord reiht sich in eine Serie von Vergeltungsschlägen ein. Die Washington Post beleuchtet das Netzwerk hinter den Attentaten und wirft die Frage auf, ob westliche Geheimdienste genug getan haben, um russische Überläufer zu schützen.
The Economist: Can Europe defend itself without America? Eine Verteidigung Europas ohne Amerika würde erhebliche militärische, strukturelle und gesellschaftliche Anstrengungen erfordern. Die finanzielle Anstrengung stellen nur einen Bruchteil der Herausforderungen dar, die hier aufgeführt werden.
Spiegel: Nordkoreanische Hacker nehmen Rüstungsfirmen ins Visier. Nordkorea werde oft mit Armut und technologischem Rückstand verbunden. Aber die Diktatur könne aktive und kreative Hackertruppen vorweisen, die mittlerweile von den USA und Europa sehr ernst genommen werden und helfen Sanktionen zu umgehen. Opfer der Cyberangriffe aus Nordkorea sei unter anderem auch die deutsche Rüstungsindustrie.
Politico: 5 ways the EU could help end the war in Ukraine. Das neue Sanktionspaket der EU treffe Putin nicht da, wo es wirklich wehtue, so die Prämisse dieses Artikels. Doch welche Weichen muss Brüssel stellen, um Putins Kassen zu leeren? Eine Ölpreisobergrenze oder die Beeinträchtigung des russischen Metallhandels wären nur zwei Ideen – und wie wahrscheinlich ein Umsetzen durch die EU ist, ist eine andere Frage.
SWP: Die EU-Operation Eunavfor Aspides – Geoökonomie und -politik stehen (noch) in einem Missverhältnis. Das Mandat für die EU-Operation Aspides weise Schwächen auf, vor allem weil es nur darauf abziele handelspolitische Interessen durchzusetzen, anstatt auch auf die geopolitischen Gründe für den Einsatz einzugehen. Dadurch begebe sich die EU in außenpolitische Abhängigkeiten.
Bayrischer Rundfunk: Wie der Klimawandel unsere Sicherheit bedroht. Dieser Podcast beleuchtet, wie Extremwetterereignisse Gesellschaften destabilisieren und widmet sich der Frage, wie wir den Sicherheitsrisiken des Klimawandels begegnen können. Er legt den Fokus auf den Südsudan und auf Pakistan, zwei Länder, die bereits jetzt stark von den Auswirkungen des Klimawandels betroffen sind.
1650 Km sind es zwischen der saudischen Hafenstadt Damman am Persischen Golf bis nach Dschidda, der Metropole im äußersten Westen am Roten Meer. Ein LKW, beladen mit Schiffscontainern, benötigt für die Strecke einmal quer durch das Königreich knappe 14 Stunden. Als die deutsche Reederei Hapag-Lloyd Ende Januar ankündigte, anstelle der Passage durch den Golf von Aden ins Rote Meer bis zum Suezkanal ihren Kunden anzubieten, jeden einzelnen Container auf dem Landweg durch die Wüste zu fahren, wurde deutlich: Die Huthi-Rebellen im Jemen hatten es geschafft, durch den vergleichsweise geringen Einsatz eigener Mittel einen regionalen Konflikt in eine globale Krise zu verwandeln und die Aufmerksamkeit des Westens auf sich zu ziehen.
“Ansar Allah” (Die Anhänger Allahs), wie die Huthis sich selber nennen, möchten sich mit ihren Attacken auf Handelsschiffe im Roten Meer als entschlossene Unterstützer der Palästinenser im Gazastreifen gegen Israel in Stellung bringen und damit die Sympathien der arabischen Straßen für sich gewinnen, selbst unter ihren Gegnern. Das stärkt ihre Position in einer Nachkriegsordnung, die momentan mit Saudi-Arabien und der international anerkannten Regierung in Aden ausgehandelt wird. Denn es erhöht den Druck auf den Verhandlungspartner in Riad: Es geht um mehr Geld, mehr Posten, mehr Einfluss im zukünftigen Jemen. Ohne Waffen und Geheimdienstinformationen aus dem Iran hätten die Huthis niemals eine solche Drohkulisse aufbauen können. Die jahrelange Unterstützung zahlt sich für Teheran nun aus. Das iranische Regime hat bisher vor einer direkten Konfrontation mit Israel und dem Westen zurückgeschreckt. Angriffe oder auch nur Androhung von Gewalt gegen Handelsschiffe setzen die westliche Wirtschaft erheblich unter Druck.
Kürzlich ließen die Huthis verlauten, bald auch die internationalen Tiefsee-Kabel im Roten Meer zu sabotieren. Geschätzt 17 Prozent des globalen Datenverkehrs laufen durch diese Verbindungen, vor allem zwischen Europa und Asien. Genau das ist das Kalkül; es offenbart Europas Abhängigkeit und Verwundbarkeit in einer digitalen, global vernetzten Welt. Es zeigt auch, wie geschickt der Iran trotz seiner innenpolitischen Schwäche und der katastrophalen Menschenrechtslage seine internationale Isolation gesprengt und seine Proxys in Stellung gebracht hat. Standen die Zeichen im Nahen Osten 2023 eher auf Entspannung durch ein überraschendes Abkommen zwischen Saudi-Arabien und Iran, in dem sich die beiden regionalen Schwergewichte Entspannung versprachen, ist mit dem Angriff der Hamas auf Israel das Verhältnis empfindlich gestört.
Der Westen wird zu einem möglicherweise langfristigen militärischen Engagement im Roten Meer gezwungen, um unsere geostrategischen Interessen zu schützen. Sie sind nur vordergründig ökonomischer Natur. Europa ist sich seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine vor fast genau zwei Jahren um seine Verletzlichkeit bewusst. Damit einher geht, so zeigen es auch Umfragen in Deutschland, eine wachsende Bereitschaft zur Artikulation und damit auch zur Verteidigung eigener Interessen. Das gilt für den Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine ebenso wie im Nahen Osten, wo der Iran das ist, was Russland für Osteuropa darstellt – der zentrale destabilisierende Akteur. Nicht zufällig vertiefen diese Länder seit Jahren ihre Allianz. Der Iran beliefert Russland mit Drohnen gegen die Ukraine. Russland kooperiert auf grausamste Weise mit dem Iran in Syrien seit Jahren und hat sich im Nahost-Krieg schnell an die Seite der Terrororganisation Hamas gestellt. Moskau spielt sich als Unterstützer der Palästinenser auf. Das lenkt von den Schlachtfeldern in der Ukraine ab und bringt den Westen und sein vermeintlich bigottes Wertesystem im Globalen Süden in Verruf.
Gleichzeitig stehen wir vor einer weiteren Herausforderung: Die nahende US-Wahl bringt die Unsicherheit zurück, ob wir uns auch weiterhin auf die USA als Nato-Schutzmacht verlassen können. Es ist kurz vor Zwölf, eine eigenständige Außen- und Sicherheitspolitik in Europa durchzudeklinieren. Die EU hat hier gezeigt, dass sie, wenn nötig, sehr schnell, sehr pragmatisch reagieren kann. Vor der Wahl des EU-Parlaments im Juni ist dies ein wichtiges Signal und demonstriert die Handlungsfähigkeit der EU – auch gegenüber unseren Nato-Partnern. Es gilt im Verhältnis Iran und Nahost die Fehler der Vergangenheit in Bezug zu Russland nicht zu wiederholen.
Der 7. Oktober hat auch gezeigt, dass der Nahe Osten weiterhin entscheidend sein wird für unsere und die globale Sicherheit. Es macht die langfristige, strategische Auseinandersetzung mit der Region erforderlich. Es bedeutet, die uns zur Verfügung stehenden Mittel in der Außen- und Sicherheitspolitik zu nutzen und in eine ganzheitliche Nahost-Strategie zu integrieren, am besten auf europäischer Ebene und soweit es geht im Verbund mit den USA. Es bedeutet, einen möglicherweise bald nuklear bewaffneten Iran, als zentralen Destabilisierungsakteur in der Region zu benennen. Es bedeutet, ein beträchtliches humanitäres und diplomatisches Engagement in den arabischen Ländern zu verstärken, um den Einfluss des Iran, Russlands oder Chinas zurückzudrängen. Damit würden wir auch für die Menschen vor Ort eine zuverlässigere, auf gegenseitigen Gewinn ausgerichtete und dennoch menschenrechtsbasierte Politik auf Augenhöhe schaffen.
Und es bedeutet letztlich eben auch, uns militärisch vor Ort zu engagieren. Sei es, um normbasiertes Handeln international zu stärken, unserer Verantwortung für die langfristige Sicherheit Israels und den Frieden in Nahost mit einer Zwei-Staaten-Lösung für Israelis und Palästinenser gerecht zu werden oder dem globalen Terrorismus und Extremismus Einhalt zu gebieten. Die Marinemission im Roten Meer indes wird all diese Herausforderungen nicht lösen können. Sie wird im besten Fall Vertrauen in die Freizügigkeit der internationalen Schifffahrt wiederherstellen können. Das Signal jedoch lautet: Europa ist gemeinsam bereit, mehr Verantwortung auch im Nahen Osten zu übernehmen.
heute Nachmittag, kurz nach 15 Uhr, wird der Bundestag wohl den gefährlichsten Einsatz der Deutschen Marine seit Jahrzehnten mandatieren. Die Fregatte “Hessen” soll noch heute im Einsatzgebiet im Roten Meer einlaufen, um Handelsschiffe vor Huthi-Angriffen zu schützen. Thomas Wiegold hat analysiert, was die Fregatte kann – und was nicht. Anders als bei der Debatte über die Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern, die Markus Bickel am Donnerstag verfolgte, dürften die Abgeordneten bei der Abstimmung heute relativ geschlossen sein.
Für die Grünen-Bundestagsabgeordnete Lamya Kaddor ist die Mission ein Signal für mehr Verantwortung im Nahen Osten. Sie fordert in ihrem Standpunkt, “humanitäres und diplomatisches Engagement in den arabischen Ländern zu verstärken”. Der 7. Oktober 2023 habe gezeigt, dass der Nahe Osten “weiterhin entscheidend sein wird für unsere und die globale Sicherheit”.
Seit dem Tag ist ein anderes Datum in den Hintergrund gerückt. “Der 24. Februar 2022 war der bisher schlechteste Tag meines Lebens”, sagt Denis Trubetskoy, der regelmäßig für uns aus der Ukraine berichtet und auf der Krim geboren ist. In dem sehr persönlichen Text schildert er, warum er trotz aller Schwierigkeiten nicht verzweifelt und was ihn an westlicher Berichterstattung stört. Ich lege Ihnen seinen Essay sehr ans Herz.
Und noch etwas: Der Bundestag berät heute über den Zwischenbericht der Enquete-Kommission zu Afghanistan. Überraschendes Fazit des Vorsitzenden des Deutschen Bundeswehrverbandes, Oberst André Wüstner: Die Dominanz des Militärischen habe zum Scheitern bei Stabilisierung und Wiederaufbau in Afghanistan geführt, sagte er Donnerstagabend bei einer Veranstaltung der SPD-Fraktion im Bundestag.
Ich wünsche eine gute Lektüre
Der 24. Februar 2022 war der bisher schlechteste Tag meines Lebens – und wird es wohl für eine Weile bleiben. Als die Flugabwehr von Kiew gegen 5 Uhr morgens versuchte, die ersten russischen Marschflugkörper abzufangen, wurde mir klar: Ich wusste zwar, was ich machen muss – dass ich schnell den Rucksack packen und meinen nordwestlichen Stadtteil verlassen sollte. Doch ich merkte auch: Mental bin ich darauf nicht vorbereitet. Dabei hatte ich geglaubt, dass ich es bin.
Obolon, der Stadtteil, in dem ich lebe, liegt unweit der Kleinstädte Butscha, Hostomel und Irpin. Diese Namen sind inzwischen weltberühmt wegen der Verbrechen, die die russischen Truppen dort verübt haben. Wären sie bei ihrem Vorstoß erfolgreicher gewesen, hätten sie in Richtung der Innenstadt von Kiew auch das Haus passiert, in dem ich lebe. Obolon hatte Riesenglück. Ich hatte Glück.
Ich bin kein Kriegsreporter. Als Journalist in der Ukraine wusste ich aber auch schon vor dem 24. Februar 2022, was Krieg bedeutet. Denn fast so verzweifelt wie vor zwei Jahren war ich bereits einmal gewesen, im Frühjahr 2014. In einer schnellen Aktion verleibte sich Russland damals die Krim ein, die ukrainische Halbinsel, auf der ich geboren bin.
Die Welt sah damals zu, wie eine Atommacht zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg mit Gewalt Grenzen verschiebt. Die Reaktion darauf in Form lächerlicher Personensanktionen gegen ein paar Dutzend Menschen ist – diplomatisch ausgedrückt – nicht angemessen gewesen.
Heute, zwei Jahre nach der russischen Vollinvasion, erlebe ich viele Déjà-vu-Momente. Dieses Mal bin ich aber nicht verzweifelt. Es ist nur extrem schwierig, ohne einen Planungshorizont zu leben und davon auszugehen, dass der Krieg noch mindestens genauso lange wie bisher dauern könnte. Trotzdem lebe ich nicht in der Welt der schwarz-weißen Schlagzeilen vieler westlicher Medien, die eher einen pessimistischen Ton anstimmen und die Ukraine quasi begraben.
Ja, die militärischen Budgetplanungen Russlands für den Zeitraum zwischen 2024 und 2026 sind gewaltig. Ja, Moskaus Mobilisierungspotenzial ist größer. Es wird jedoch einiges verdreht, obwohl die dauernde Krise im US-Parlament tatsächlich dem russischen Präsidenten Wladimir Putin in die Hände spielt. Die ukrainische Offensive im Süden des Landes im vergangenen Jahr war kein Erfolg. Zur Wahrheit gehört aber auch: Auch Russland gelang bisher trotz aller Anstrengungen kein Durchbruch. Die Einnahme der zerstörten Kleinstadt Awdijiwka ist ein solcher nicht.
Und dass es der Ukraine, selbst de facto ohne Flotte, gelungen ist, die russische Schwarzmeerflotte derart zurückzudrängen, dass Exporte durch das Schwarze Meer ohne ein neues Getreideabkommen wieder möglich wurden, ist keine Kleinigkeit.
Es wird lange dauern, bis die Ukraine Putin zeigen kann: Jetzt ist Schluss. Denn schließlich sind dem Kremlherrscher sowohl wirtschaftliche Folgen als auch das Leben der Russen, geschweige denn der Ukrainer, völlig egal. Und obwohl auch in der Ukraine mit der Zeit mehr und mehr Menschen von einem nicht näher definierten Kompromiss träumen könnten, wird der großen Mehrheit klar bleiben, dass wir schlicht durchhalten müssen. Wenn man in einem offenen Meer bei Sturm schwimmen muss, gibt es nur zwei Optionen: Das Ufer irgendwie erreichen – oder ertrinken. Putin will die ukrainische Staatlichkeit am liebsten ganz auslöschen, koste es, was es wolle, das kann kaum angezweifelt werden.
Um meine Mitbürger mache ich mir keine Sorgen. Was mich aber neben dem politischen Chaos in den USA beschäftigt: Wie schnell dieser Krieg dort zu einer Art Normalität geworden ist, wohin man zu Friedenszeiten von Kiew aus innerhalb von zwei Flugstunden gelangte. Der Krieg ist zu einer Talkshow-Angelegenheit geworden, die man mit einem Espresso in der Hand genießen könnte, liefen die deutschen Talkshows nicht so spät am Abend.
Ich bin politischer Journalist und kein Militärexperte. Ich habe mich dennoch eingehend genug mit diesem Krieg auseinandergesetzt, um die Rückkehr zur Tagesordnung in Deutschland nicht zu verstehen – obwohl mir der grundsätzliche Drang zur Normalität verständlich ist. Auch ich sehne mich danach.
Was ich aber sehe und nicht begreife: Zwar tut gerade Deutschland viel, um die Ukraine zu unterstützen, doch wirklich klar haben es weder Berlin noch Europa als Ganzes verstanden: Russland jetzt zu stoppen, ist billiger und besser für alle. Vielleicht ist das Risiko, im eigenen 24. Februar 2022 aufzuwachen, nicht allzu groß für Europa. Aber es ist größer als vor zwei Jahren. Und diese Erfahrung wünsche ich niemandem.
Beim Militär heißt so etwas “Time on Target”: pünktlich. Wenn der Bundestag am Freitagnachmittag absehbar den Einsatz der Bundeswehr im Roten Meer beschließt, soll die deutsche Fregatte “Hessen” aus dem Suezkanal in das Seegebiet einlaufen. Kurz hinter Port Suez beginnt dann mit der Aufgabe, Handelsschiffe vor Angriffen der Huthi-Milizen aus dem Jemen zu schützen, der gefährlichste Einsatz der Deutschen Marine seit Jahrzehnten.
Die Angriffe der vergangenen Wochen zeigen, wie groß die Gefahr ist: Mehrere Handelsschiffe wurden trotz des bereits laufenden Einsatzes von Kriegsschiffen der US-geführten “Operation Prosperity Guardian” getroffen, der Frachter “Rubymar” musste von der Besatzung aufgegeben werden und drohte zu sinken. Beim Einsatz im Roten Meer muss die 250-köpfige Besatzung der “Hessen” deshalb auf eine permanente Bedrohung eingestellt sein: Das Schiff wird dann im “Kriegsmarsch” unterwegs sein, bei dem alle Gefechtsstationen besetzt sind und die Mannschaft zum Beispiel mit zusätzlicher Schutzausrüstung wie Flammschutzhauben auf einen Treffer und Feuer im Schiff vorbereitet ist – eine erhebliche körperliche Belastung.
Die Angriffe aus dem Jemen richteten sich insbesondere gegen Handelsschiffe aus westlichen Staaten, denen die Huthis die Unterstützung Israels im Kampf gegen die Hamas im Gazastreifen vorwerfen. Rund 60 solcher gezielten Angriffe gab es seitdem, von denen die meisten von Kriegsschiffen der USA, Großbritanniens und Frankreichs abgewehrt wurden. Außerdem bombardierten die USA und Großbritannien erkannte Abschussstellungen der Huthis im Jemen selbst. Dennoch vermeiden zahlreiche Reedereien derzeit den Weg durch eine der wichtigsten Schifffahrtsrouten der Welt und wählen den Umweg um die Südspitze Afrikas.
Die EU-Mission hat ein Operationsgebiet, das vom Roten Meer bis zum Persischen Golf reicht – allerdings ist bei dem Bereich, in dem Handelsschiffe geschützt werden sollen, die Straße von Hormus und der Persische Golf selbst ausgenommen. Angriffe auf Landziele gehören nicht zum Auftrag der neuen EU-Mission “Aspides”, an der sich die Deutsche Marine beteiligt, und damit auch nicht zum Auftrag der “Hessen”. Unter dem Kommando eines griechischen und eines italienischen Admirals sollen die europäischen Kriegsschiffe nur die Abwehr der auf die Frachter und Tanker anfliegenden Geschosse sicherstellen. Die deutsche Fregatte ist genau für diese Aufgabe gebaut worden – um im Kriegsfall einen Verband aus anderen Kriegsschiffen oder auch Nachschubkonvois vor eben diesen Raketen, Marschflugkörpern und Drohnen zu schützen.
Nach Ausbruch des Gazakriegs im vergangenen Oktober hatten die von Iran unterstützten Milizen, die sich selbst Ansar Allah (Helfer Gottes) nennen, damit begonnen, Frachter und Tanker im Roten Meer, der Meerenge Bab al-Mandab und im Golf von Aden anzugreifen – mit Antischiffsraketen, Marschflugkörpern und Drohnen.
Dafür ist die “Hessen” mit mehreren Flugabwehrsystemen ausgerüstet. Ihr Radarsystem überwacht den Luftraum bis zu 400 Kilometer weit; in bis zu 160 Kilometern Entfernung kann sie anfliegende Ziele mit der Standard Missile 2 abschießen. In geringerer Entfernung wird der Flugkörper Evolved Sea Sparrow Missile mit rund 50 Kilometern Reichweite eingesetzt, und unterhalb von zehn Kilometern Entfernung kommt der Rolling Airframe Missile zum Einsatz.
Sollten die Huthis, wie bereits geschehen, mit Schnellbooten oder Hubschraubern versuchen, ein Schiff zu entern, kann die Fregatte mit ihren Bordkanonen wie dem Marineleichtgeschütz im Kaliber 27 mm reagieren – oder mit ihren beiden Bordhubschraubern vom Typ Sea Lynx, die mit schweren Maschinengewehren ausgerüstet sind.
Offen ist vorerst, ob zu den Raketen und Drohnen eine weitere Gefahr hinzukommt. Am vergangenen Wochenende meldeten die US-Streitkräfte erstmals eine beobachtete Unterwasserdrohne – wie die anderen Waffensysteme sehr wahrscheinlich eine iranische Entwicklung. Auf die Bedrohung unter Wasser, durch Torpedos oder eben durch unbemannte Systeme ist die “Hessen” bislang nicht eingestellt. Ein Abwehrsystem dagegen hat sie nicht an Bord und kann deshalb einer solchen Gefahr nur durch schnelle Manöver ausweichen.
Die dauerhafte Bedrohung wie in einem Krieg macht diesen Einsatz so gefährlich – anders als vorangegangene Missionen der Deutschen Marine zum Beispiel bei der Bekämpfung der Piraterie vor Somalia, wo somalische Banden mit Kalaschnikows und alten Panzerfäusten die größte Gefahr darstellten. Deshalb ist bemerkenswert, dass sich für diesen Einsatz am Freitagnachmittag eine sehr breite Mehrheit im Parlament aussprechen dürfte: Selbst die AfD, die in den vergangenen Jahren regelmäßig die Auslandseinsätze der Bundeswehr ablehnte, hatte bereits in der ersten Beratung am Mittwoch ihre Zustimmung angekündigt.
Die Differenzen innerhalb der Regierungsfraktionen über eine mögliche Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern an die Ukraine haben sich weiter vertieft. Der Bundestag stimmte am Donnerstag zwar mit großer Mehrheit einem von SPD, Grünen und FDP eingebrachten Antrag zu, der von der Bundesregierung “die Lieferung von zusätzlich erforderlichen weitreichenden Waffensystemen und Munition” an die Ukraine fordert. Doch mehrere Abgeordnete von Grünen und FDP machten in der Debatte deutlich, dass sie sich dezidiert die Lieferung des Taurus an Kiew wünschten; das sei jedoch an der Haltung der SPD-Bundestagsfraktion gescheitert.
Weil ihr die Formulierung im Ampel-Antrag nicht deutlich genug ausfiel, stimmte die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP), nicht nur dem von der eigenen Fraktion initiierten, sondern auch einem von den Unionsfraktionen eingebrachten Antrag zu. Dieser hatte den vom Hersteller von Lenkflugkörpern und Luftverteidigungssystemen MBDA in Schrobenhausen produzierten Taurus explizit genannt.
Sie sei enttäuscht darüber, dass es ihr nicht gelungen sei, ihre Kolleginnen und Kollegen in der Ampelkoalition davon zu überzeugen, “das Kind einfach mal beim Namen zu nennen” und stattdessen “sprachliche Nebenkriegsschauplätze” zu eröffnen. Die stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Gabriele Heinrich, wies die Kritik zurück: “Niemand kann doch behaupten, dass ein einziges System den Game Changer darstellt”, sagte sie.
Verteidigungsminister Boris Pistorius wich auf Nachfragen von CDU-Abgeordneten der Frage aus, ob er die Lieferung von Taurus-Systemen unterstütze, die mit einer Reichweite von mehr als 500 Kilometern auch Ziele hinter den russischen Frontlinien treffen könnten. Parlamentarier von AfD, Linke und BSW (Bündnis Sahra Wagenknecht) hielten der Bundesregierung vor, mit ihrer Politik eine Verhandlungslösung mit Russland zu erschweren. Pistorius bezeichnete diese als “fünfte Kolonne Moskaus” mrb
Russlands Stärke ist Europas Trägheit – so lässt sich die Situation in der Ukraine zwei Jahre nach der Vollinvasion der russischen Armee zusammenfassen. Nachdem der Regierung Wladimir Putins kurz nach dem 24. Februar 2022 klar geworden war, dass ein schneller Sieg nicht zu erwarten ist, wurde das Land im Eiltempo auf Kriegskurs umgestellt. Seitdem ist Russland der Ukraine und ihren Unterstützern stets einige Schritt voraus.
Zumindest kurzfristig hat Russland deshalb die Oberhand: An der Front konnte die russische Armee zuletzt leichte Geländegewinne vermelden, vor allem im Osten der Ukraine bei Awdijiwka. Wichtig ist hier aber weniger der konkrete, überschaubare Erfolg, sondern zwei andere Faktoren. Zum einen bezahlt Russland die Einnahme dieser ehemals 31.000-Einwohner-Stadt mit sehr hohen Verlusten. Nach Angaben eines pro-russischen Militärbloggers, der sich mit dem Verteidigungsministerium angelegt hatte, starben mindestens 16.000 russische Soldaten bei der Offensive auf Awdiijwka. Zum anderen binden die Kämpfe dort viele Kräfte der Ukraine, die sie im Süden des Landes nicht einsetzen kann.
Der Militärblogger Andrej Morosow, “Murs”, der über die hohen Verluste berichtete, hat in dieser Woche angeblich Suizid begangen. Zuvor hatte er sich, als Soldat vor Ort, öffentlich über die hohen Verluste und die unwahre Berichterstattung über die Frontlage an die Führungsspitze beschwert.
Russland gleicht die hohen Verluste mit einem stetigen Nachschub an frischen Kräften aus. Nach offiziellen Angaben seien allein in den ersten Monaten dieses Jahres mehr als 53.600 neue Soldaten an die Front gelangt. Die Zahl lässt sich nicht überprüfen. Nach Auskunft von drei Experten, mit denen Table.Media sprach und die in Russland wehrpflichtige Männer beraten, wie sie dem Kriegsdienst entkommen können, rekrutieren die Behörden aber hartnäckig weiter – vor allem in Strafkolonien und auch in Waisenhäusern.
Vor den Präsidentschaftswahlen Mitte März erwarten die Experten keine offizielle Mobilmachung. “Dafür bekommen jetzt alle wehrpflichtigen Männer einen Bescheid, dass sie sich im Falle einer Benachrichtigung innerhalb weniger Stunden bei entsprechenden Einheiten einfinden sollen. Dann muss noch nicht einmal eine Mobilmachung offiziell verkündet werden”, sagte eine Expertin.
Dass Russland weiterhin sein Ziel verfolgt, sich mindestens Teile der Ukraine ganz einzuverleiben, zeigen auch Berichte über die Versorgung von Russland mit Artilleriemunition und Raketen aus Nordkorea und dem Iran. Rund 400 iranische Raketen mit einer Reichweite bis zu 700 km sollen in Russland angekommen sein. Diese Nachricht konterkariert aber zugleich russische Behauptungen, wonach sie die Produktion von Raketen erheblich hochgefahren haben.
Grundsätzlich fehlen der russischen Rüstungsbranche die Arbeitskräfte. Nach offiziellen Angaben betrug die zuletzt genannte Arbeitslosenquote 2,9 Prozent – was quasi bedeutet, dass es keine verfügbaren Arbeitskräfte mehr gibt. Die Rüstungsbranche sucht Kräfte für einfache bis hoch spezialisierte Tätigkeiten und konkurriert dabei mit dem Verteidigungsministerium. Nach Auswertung des unabhängigen russischen Mediums Cholod, müssen immer mehr Betriebe aus dem zivilen Sektor für die Armee produzieren, weil “die Nachfrage durch die Rüstungsbranche allein nicht gedeckt werden kann”.
Das zweite große Problem für Russland: die westlichen Sanktionen. Obwohl es Moskau gelingt, über Umwege genug elektronische Komponenten vor allem für den Raketen- und Drohnenbau einzuführen, sieht es mit schweren Waffen und gepanzerten Fahrzeugen deutlich schlechter aus. In diesem Punkt wendet sich das Blatt mittelfristig zugunsten der Ukraine, weil in der EU oder in der Ukraine die Produktion für Artillerie hochgefahren wird. Aktuell versuchen aber sowohl die russischen Besatzer wie die ukrainischen Verteidiger, den Status quo zu halten. vf
Eine Reihe von Vorfällen von Vandalismus in den baltischen Staaten erweist sich mit großer Wahrscheinlichkeit als Teil einer vom russischen Geheimdienst organisierten Kampagne von hybriden Operationen, hat der estnische Inlandssicherheitsdienst mitgeteilt. In diesem Zusammenhang wurden elf Personen in Estland und Lettland verhaftet. Der Fall ist ein seltenes Beispiel für die Aufdeckung mutmaßlich russischer Hybridoperationen.
Die eingeschlagenen Autoscheiben eines Ministers und eines Journalisten sowie die mehrfache Verunstaltung historischer Denkmäler in allen drei baltischen Staaten im vergangenen Jahr schienen zunächst voneinander unabhängig geschehen zu sein. Doch diese Woche wurde in einer gemeinsamen Operation ein Netzwerk mutmaßlicher russischer Agenten im Baltikum zerschlagen. Die Ermittlungen sind noch nicht abgeschlossen. Bei den Verhafteten handelt es sich um russische und russisch-estnische Staatsangehörige.
“Es ist heute ein allgemeiner Trend, dass sowohl russische als auch chinesische Sondereinheiten Kontakte über soziale Medien ansprechen. Die Geldsumme war nicht hoch und das Risiko war es sicher nicht wert”, sagte der estnische Geheimdienstchef Margo Palloson und warnte vor einer “neuen Methode der Einflussnahme”.
Die Ereignisse erinnern an einen Fall von Ende 2023, als Schulen im Baltikum Hunderte von Bombendrohungen erhielten. Für einige Tage musste der Unterricht unterbrochen werden. 2007 führte Russland einen massiven Cyber-Angriff auf Estland durch, infolgedessen es zu Unruhen kam. Kürzlich wurde in einem anderen Zusammenhang aufgedeckt, dass ein lettisches pro-russisches Mitglied des Europäischen Parlaments mit russischen Geheimdiensten zusammenarbeitete.
Derweil erhöht Moskau auch auf das westlich orientierte Moldau den Druck. In der abtrünnigen Region Transnistrien wollen die politisch Verantwortlichen am 28. Februar einen Kongress abhalten und nach Aussagen eines Oppositionspolitikers Russland dazu aufrufen, Transnistrien in die Russische Föderation aufzunehmen. Ähnliche Ankündigungen hat es bereits gegeben. Dieses Mal soll die Versammlung nur einen Tag vor der Rede des russischen Präsidenten zur Lage der Nation abgehalten werden. Die OSZE-Mission in der Grenzregion zwischen der Republik Moldau und dem abtrünnigen Transnistrien ist Mitte Dezember entgegen der üblichen Praxis nur um sechs statt zwölf Monate verlängert worden. jb/vf
Moskau will den Spielraum westlicher diplomatischer Vertretungen in Russland weiter einschränken und setzt dabei auf ein altes sowjetisches Modell: Lokale Mitarbeiter könnten bald nur noch von einer russischen Behörde vermittelt werden, die dem Außenministerium unterstellt ist. Aus dem Auswärtigen Amt heißt es gegenüber Table.Media, die Ankündigung des russischen Außenministers Sergej Lawrow sei bekannt. Auslandsvertretungen könnte in Russland das Recht entzogen werden, im Land als Arbeitgeber aufzutreten. Westliche Diplomaten könnten dann nicht mehr frei auswählen, welche russischen Staatsbürger bei ihnen arbeiten.
Lawrow hatte vor wenigen Tagen im russischen Parlament, der Staatsduma, erklärt, dass die “Hauptadministration für Dienstleistungen des Diplomatischen Korps” (GlavUpDK) das Anwerben von Personal für westliche Vertretungen übernehmen werde. Er nannte dabei die Botschaft des Vereinigten Königreichs in Moskau und das Generalkonsulat in Jekaterinburg, die davon bereits betroffen seien. Nach Recherchen von Table.Media ist das bereits seit mehreren Monaten der Fall.
Der ehemalige russische Diplomat Boris Bondarew, der im Mai 2022 seinen Dienst aus Protest gegen den Krieg aufgegeben hatte, befürchtet, dass hierdurch russische Nachrichtendienste den Diplomaten noch näher kämen als ohnehin schon. Schon zu Sowjetzeiten galt, dass der GlavUpDK als Einfallstor für Sicherheitsbehörden in die sonst schwer zugänglichen diplomatischen Vertretungen genutzt wurde und die Dienstleister vor allem Spionage, Einschüchterung und Kontrolle ausüben sollten. fst/vf
Zusammen mit dem Weißbuch zur Zukunft der Konnektivität, das in erster Linie Ideen zur Neuregelung des Telekommunikationsmarktes enthält, stellte die EU-Kommission ihre Unterseekabel-Empfehlung am Mittwoch vor. Ergänzend zu den Vorschriften aus der Revision der Netzwerk- und Informationssicherheitsrichtlinie (NIS2) und der Richtlinie über den physischen Schutz kritischer Einrichtungen (CER), die Teilaspekte bereits adressieren, geht es dabei um zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen und ein koordinierteres Vorgehen.
Vergleichbar zur sogenannten 5G-Toolbox, mit der die EU koordinierte Maßnahmen gegen potenzielle Gefahren im Mobilfunknetz erreichen wollte, soll die Sicherheit der Untersee-Dateninfrastruktur nun mittels Cable Security Toolbox erreicht werden. Dafür fordert die Kommission die Mitgliedstaaten zur Mitarbeit an einheitlichen Standards und Methoden zur Bekämpfung von Risiken auf.
Ein wesentlicher Teil der Kommissionsempfehlung zum besseren Schutz vor Kabelangriffen soll dabei durch die Einberufung der “Submarine Cable Infrastructure informal Expert Group” geleistet werden. Die soll:
Allerdings könne, das betonen EU-Kommissionsbeamte, keinerlei Vorschrift für Infrastruktur außerhalb des EU-Gebietes gemacht werden – selbst wenn beide Endpunkte in der EU liegen. Dieses Grundsatzproblem bei Unterseekabelprojekten lässt sich vorerst nicht lösen. Auch die Frage, welchen Regularien Schiffe unterliegen, die Kabel verlegen oder reparieren, sei mit sehr vielen Unwägbarkeiten verbunden, heißt es aus Brüssel. Insgesamt werde ein “Team Europe”-Ansatz aus Mitgliedstaaten und EU-Kommission gebraucht, bei dem Erweiterungskandidaten, strategische Partner, Organisationen und weitere Drittländer gemeinsam an der Resilienz der Unterseekabel zusammenarbeiten. Ausdrücklich sollen sich hierzu etwa EU- und Nato-Beamte austauschen.
Die Kommission betont, dass sie ihre ersten Vorschläge aufgrund von Wünschen aus den Mitgliedstaaten unterbreitet habe. Spätestens im Dezember 2025 soll geprüft werden, ob auf die Unterseekabel-Empfehlung der Kommission weitere Schritte folgen. fst
The Washington Post: A killing in Spain points to Russia and Putin’s sense of impunity. Die Ermordung des russischen Piloten Maksim Kuzminov bedeutet “eine Mahnung an alle, die im Exil leben und aktiv gegen das Regime opponieren.” Der Mord reiht sich in eine Serie von Vergeltungsschlägen ein. Die Washington Post beleuchtet das Netzwerk hinter den Attentaten und wirft die Frage auf, ob westliche Geheimdienste genug getan haben, um russische Überläufer zu schützen.
The Economist: Can Europe defend itself without America? Eine Verteidigung Europas ohne Amerika würde erhebliche militärische, strukturelle und gesellschaftliche Anstrengungen erfordern. Die finanzielle Anstrengung stellen nur einen Bruchteil der Herausforderungen dar, die hier aufgeführt werden.
Spiegel: Nordkoreanische Hacker nehmen Rüstungsfirmen ins Visier. Nordkorea werde oft mit Armut und technologischem Rückstand verbunden. Aber die Diktatur könne aktive und kreative Hackertruppen vorweisen, die mittlerweile von den USA und Europa sehr ernst genommen werden und helfen Sanktionen zu umgehen. Opfer der Cyberangriffe aus Nordkorea sei unter anderem auch die deutsche Rüstungsindustrie.
Politico: 5 ways the EU could help end the war in Ukraine. Das neue Sanktionspaket der EU treffe Putin nicht da, wo es wirklich wehtue, so die Prämisse dieses Artikels. Doch welche Weichen muss Brüssel stellen, um Putins Kassen zu leeren? Eine Ölpreisobergrenze oder die Beeinträchtigung des russischen Metallhandels wären nur zwei Ideen – und wie wahrscheinlich ein Umsetzen durch die EU ist, ist eine andere Frage.
SWP: Die EU-Operation Eunavfor Aspides – Geoökonomie und -politik stehen (noch) in einem Missverhältnis. Das Mandat für die EU-Operation Aspides weise Schwächen auf, vor allem weil es nur darauf abziele handelspolitische Interessen durchzusetzen, anstatt auch auf die geopolitischen Gründe für den Einsatz einzugehen. Dadurch begebe sich die EU in außenpolitische Abhängigkeiten.
Bayrischer Rundfunk: Wie der Klimawandel unsere Sicherheit bedroht. Dieser Podcast beleuchtet, wie Extremwetterereignisse Gesellschaften destabilisieren und widmet sich der Frage, wie wir den Sicherheitsrisiken des Klimawandels begegnen können. Er legt den Fokus auf den Südsudan und auf Pakistan, zwei Länder, die bereits jetzt stark von den Auswirkungen des Klimawandels betroffen sind.
1650 Km sind es zwischen der saudischen Hafenstadt Damman am Persischen Golf bis nach Dschidda, der Metropole im äußersten Westen am Roten Meer. Ein LKW, beladen mit Schiffscontainern, benötigt für die Strecke einmal quer durch das Königreich knappe 14 Stunden. Als die deutsche Reederei Hapag-Lloyd Ende Januar ankündigte, anstelle der Passage durch den Golf von Aden ins Rote Meer bis zum Suezkanal ihren Kunden anzubieten, jeden einzelnen Container auf dem Landweg durch die Wüste zu fahren, wurde deutlich: Die Huthi-Rebellen im Jemen hatten es geschafft, durch den vergleichsweise geringen Einsatz eigener Mittel einen regionalen Konflikt in eine globale Krise zu verwandeln und die Aufmerksamkeit des Westens auf sich zu ziehen.
“Ansar Allah” (Die Anhänger Allahs), wie die Huthis sich selber nennen, möchten sich mit ihren Attacken auf Handelsschiffe im Roten Meer als entschlossene Unterstützer der Palästinenser im Gazastreifen gegen Israel in Stellung bringen und damit die Sympathien der arabischen Straßen für sich gewinnen, selbst unter ihren Gegnern. Das stärkt ihre Position in einer Nachkriegsordnung, die momentan mit Saudi-Arabien und der international anerkannten Regierung in Aden ausgehandelt wird. Denn es erhöht den Druck auf den Verhandlungspartner in Riad: Es geht um mehr Geld, mehr Posten, mehr Einfluss im zukünftigen Jemen. Ohne Waffen und Geheimdienstinformationen aus dem Iran hätten die Huthis niemals eine solche Drohkulisse aufbauen können. Die jahrelange Unterstützung zahlt sich für Teheran nun aus. Das iranische Regime hat bisher vor einer direkten Konfrontation mit Israel und dem Westen zurückgeschreckt. Angriffe oder auch nur Androhung von Gewalt gegen Handelsschiffe setzen die westliche Wirtschaft erheblich unter Druck.
Kürzlich ließen die Huthis verlauten, bald auch die internationalen Tiefsee-Kabel im Roten Meer zu sabotieren. Geschätzt 17 Prozent des globalen Datenverkehrs laufen durch diese Verbindungen, vor allem zwischen Europa und Asien. Genau das ist das Kalkül; es offenbart Europas Abhängigkeit und Verwundbarkeit in einer digitalen, global vernetzten Welt. Es zeigt auch, wie geschickt der Iran trotz seiner innenpolitischen Schwäche und der katastrophalen Menschenrechtslage seine internationale Isolation gesprengt und seine Proxys in Stellung gebracht hat. Standen die Zeichen im Nahen Osten 2023 eher auf Entspannung durch ein überraschendes Abkommen zwischen Saudi-Arabien und Iran, in dem sich die beiden regionalen Schwergewichte Entspannung versprachen, ist mit dem Angriff der Hamas auf Israel das Verhältnis empfindlich gestört.
Der Westen wird zu einem möglicherweise langfristigen militärischen Engagement im Roten Meer gezwungen, um unsere geostrategischen Interessen zu schützen. Sie sind nur vordergründig ökonomischer Natur. Europa ist sich seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine vor fast genau zwei Jahren um seine Verletzlichkeit bewusst. Damit einher geht, so zeigen es auch Umfragen in Deutschland, eine wachsende Bereitschaft zur Artikulation und damit auch zur Verteidigung eigener Interessen. Das gilt für den Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine ebenso wie im Nahen Osten, wo der Iran das ist, was Russland für Osteuropa darstellt – der zentrale destabilisierende Akteur. Nicht zufällig vertiefen diese Länder seit Jahren ihre Allianz. Der Iran beliefert Russland mit Drohnen gegen die Ukraine. Russland kooperiert auf grausamste Weise mit dem Iran in Syrien seit Jahren und hat sich im Nahost-Krieg schnell an die Seite der Terrororganisation Hamas gestellt. Moskau spielt sich als Unterstützer der Palästinenser auf. Das lenkt von den Schlachtfeldern in der Ukraine ab und bringt den Westen und sein vermeintlich bigottes Wertesystem im Globalen Süden in Verruf.
Gleichzeitig stehen wir vor einer weiteren Herausforderung: Die nahende US-Wahl bringt die Unsicherheit zurück, ob wir uns auch weiterhin auf die USA als Nato-Schutzmacht verlassen können. Es ist kurz vor Zwölf, eine eigenständige Außen- und Sicherheitspolitik in Europa durchzudeklinieren. Die EU hat hier gezeigt, dass sie, wenn nötig, sehr schnell, sehr pragmatisch reagieren kann. Vor der Wahl des EU-Parlaments im Juni ist dies ein wichtiges Signal und demonstriert die Handlungsfähigkeit der EU – auch gegenüber unseren Nato-Partnern. Es gilt im Verhältnis Iran und Nahost die Fehler der Vergangenheit in Bezug zu Russland nicht zu wiederholen.
Der 7. Oktober hat auch gezeigt, dass der Nahe Osten weiterhin entscheidend sein wird für unsere und die globale Sicherheit. Es macht die langfristige, strategische Auseinandersetzung mit der Region erforderlich. Es bedeutet, die uns zur Verfügung stehenden Mittel in der Außen- und Sicherheitspolitik zu nutzen und in eine ganzheitliche Nahost-Strategie zu integrieren, am besten auf europäischer Ebene und soweit es geht im Verbund mit den USA. Es bedeutet, einen möglicherweise bald nuklear bewaffneten Iran, als zentralen Destabilisierungsakteur in der Region zu benennen. Es bedeutet, ein beträchtliches humanitäres und diplomatisches Engagement in den arabischen Ländern zu verstärken, um den Einfluss des Iran, Russlands oder Chinas zurückzudrängen. Damit würden wir auch für die Menschen vor Ort eine zuverlässigere, auf gegenseitigen Gewinn ausgerichtete und dennoch menschenrechtsbasierte Politik auf Augenhöhe schaffen.
Und es bedeutet letztlich eben auch, uns militärisch vor Ort zu engagieren. Sei es, um normbasiertes Handeln international zu stärken, unserer Verantwortung für die langfristige Sicherheit Israels und den Frieden in Nahost mit einer Zwei-Staaten-Lösung für Israelis und Palästinenser gerecht zu werden oder dem globalen Terrorismus und Extremismus Einhalt zu gebieten. Die Marinemission im Roten Meer indes wird all diese Herausforderungen nicht lösen können. Sie wird im besten Fall Vertrauen in die Freizügigkeit der internationalen Schifffahrt wiederherstellen können. Das Signal jedoch lautet: Europa ist gemeinsam bereit, mehr Verantwortung auch im Nahen Osten zu übernehmen.