Table.Briefing: Security

Wofür Kamala Harris sicherheitspolitisch steht + Polen strebt nach autonomer Rüstungsindustrie

Liebe Leserin, lieber Leser,

heute will Kamala Harris entscheiden, wer mit ihr als Vizepräsidentenkandidat der Demokraten in den Wahlkampf gegen Donald Trump zieht, Mark Kelly, Josh Shapiro oder Tim Walz. Im Interview mit Nana Brink erklärt die USA-Expertin Constanze Stelzenmüller, was ein Wahlsieg Harris’ für Europa bedeuten würde – und warum für sie die Bündnistreue Amerikas zu Israel nicht verhandelbar ist.

Und wir werfen einen Blick nach Polen. Das Land steckt Milliarden in neue Panzer, Flugzeuge und Flugabwehrsysteme aus Südkorea und den USA. Wie Warschau ändern will, dass an der Aufrüstung vor allem andere verdienen, lesen Sie in der Analyse von Andrzej Rybak.

In den kommenden Ausgaben haben wir noch ein besonderes Highlight: Wir stellen Ihnen die 100 einflussreichsten Köpfe der sicherheitspolitischen Community vor. Den Anfang machen zehn Entscheiderinnen und Entscheider aus dem Bereich der Verwaltung.

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Lisa-Martina Klein
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Analyse

Rüstungsindustrie: Wie Polen sich von westlicher Technologie unabhängig macht

Der polnische Ministerpräsident Donald Tusk mit Verteidigungsminister Wladyslaw Kosiniak-Kamysz im Juli in Warschau.

Der Krieg in der Ukraine treibt die europäische Rüstungsindustrie zu neuen Höhenflügen an: Seit 2022 wächst die Waffenproduktion in Europa jedes Jahr zweistellig, die Börsenkurse der Rüstungskonzerne steigen. Auch wenn die Kampfhandlungen kurzfristig enden sollten – wofür es keine Anzeichen gibt -, die neue Ära der Prosperität der Branche dürfte mehrere Jahre dauern.

Das gilt auch für die polnische Rüstungsindustrie, die nach der Auflösung des Warschauer Pakts immer weiter geschrumpft war. Während die Branche in den 1980er-Jahren noch 300.000 Menschen beschäftigte, waren es zuletzt nur noch 20.000. “Wir brauchen dringend mehr Personal, um eine zweite oder sogar eine dritte Schicht einzuführen”, sagt General Artur Kuptel, Chef der staatlichen polnischen Rüstungsagentur. “Denn die Russen produzieren schon lange rund um die Uhr.”

4,5 Prozent des BIP fließen in Verteidigung

Doch damit ist es nicht getan, sind sich Experten sicher. Die polnische Rüstungsindustrie müsse neue Kapazitäten schaffen, neue Produktionslinien und Fabriken in Betrieb nehmen, um die Bedürfnisse der Streitkräfte zu erfüllen und die Sicherheit des Landes zu garantieren. Die dringend notwendige Kapitalspritze wird auf 14 Milliarden Zloty (3,3 Milliarden Euro) geschätzt.

Seit Beginn des Ukraine-Krieges 2022 hat Polen für mehr als 23 Milliarden US-Dollar Panzer, Panzerhaubitzen, Flugzeuge, Hubschrauber sowie Luftverteidigungssysteme in Südkorea und den USA bestellt, die in den kommenden Jahren geliefert werden sollen. Die Verteidigungsausgaben des Landes werden 2024 rund 160 Milliarden Zloty (knapp 38 Milliarden Euro) betragen – das sind fast 4,5 Prozent des polnischen Bruttoinlandprodukts.  Etwa 42 Milliarden Zloty werden über Schulden finanziert.

Vor allem westliche Hersteller profitieren

An der polnischen Aufrüstung verdienten bisher vor allem westliche Hersteller, denn fast 80 Prozent der modernen Waffensysteme kaufte Warschau im Ausland. Der neue Verteidigungsminister Władysław Kosiniak-Kamysz von der Regierungskoalition um Premier Donald Tusk will nun mehr Waffen vor Ort produzieren und die polnischen Rüstungswerke modernisieren. Ziel sei es, die Hälfte der Ausrüstung selbst herzustellen. 

Die polnische Rüstungsindustrie besteht heute aus zwei unterschiedlichen Teilen: Einige Werke produzieren noch in der Sowjetzeit eingeführte Systeme, andere haben auf Nato-Standards umgestellt und stellen Waffen her, die meist nach 1990 entwickelt wurden. Der postsowjetische Zweig wurde nach dem Nato-Beitritt 1999 schrittweise heruntergefahren, doch in Anbetracht des Kriegs in der Ukraine kommt ihm heute große Bedeutung zu. Denn die ukrainische Armee ist überwiegend mit alten sowjetischen Waffen ausgerüstet – und braucht dringend Nachschub, den die polnischen Werke liefern können.

Steigerung von 30.000 auf 200.000 Munitionseinheiten

Die dringendste Aufgabe der polnischen Rüstungsindustrie ist die Steigerung der Produktion von großkalibriger Artilleriemunition, sowohl des sowjetischen Kalibers (152 Millimeter) wie des Nato-Kalibers von 155 Millimetern. “Die Ukrainer verbrauchen mehr von solchen Geschossen in der Woche als wir im Jahr herstellen können”, schimpft General Mieczysław Bieniek, ehemaliger stellvertretender Strategie-Kommandeur der Nato. Tatsächlich lag die Produktion 2023 bei 30.000 Munitionseinheiten. Im kommenden Jahr soll sie auf 200.000 gesteigert werden – wenn es bis dahin gelingt, ein neues Werk in Pionki in Betrieb zu nehmen.

Die polnischen Nitro-Chem-Werke in Bydgoszcz produzieren zwar rund 10.000 Tonnen TNT pro Jahr, aber das Nitrozellulosepulver und die mehrbasigen Schießpulver, die für moderne Munition notwendig sind, müssen komplett importiert werden – wie auch die Geschosshüllen. “Bei der Munitionsherstellung müssen wir unabhängig von Importen werden”, sagt Krzysztof Trofiniak, Vorsitzender der staatlichen Polska Grupa Zbrojeniowa (Polnische Rüstungsgruppe), zu der 50 wichtige Rüstungsbetriebe im ganzen Land gehören. Sie ist für knapp 70 Prozent der polnischen Rüstungsproduktion zuständig.

Waffensysteme auch für westliche Kunden von Interesse

Warschau besitzt allerdings auch ein paar Systeme, die für Nato-Partner im Westen interessant werden könnten. Dazu gehört unter anderem die Panzerhaubitze Krab, die sich an der Front in der Ukraine bewährt hat. Ihr Hersteller, Huta Stalowa Wola, will im nächsten Jahr die Produktion verdoppeln, vier neue Hallen sollen in Betrieb gehen.

Als Verkaufsschlager gilt das tragbare Luftverteidigungssystem Piorun (Blitz). Zwei Nato-Staaten – Norwegen und Estland – haben beschlossen, ihre Armeen mit Piorun auszustatten, das ein genaueres Zielerfassungssystem und größere Reichweite hat als die US-amerikanische Stinger. Das Mesko-Werk in Skarzysko-Kamienna stellt mehr als 1.000 “Blitze” pro Jahr her.

Privatwirtschaft soll stärker eingebunden werden

Polen versucht, Lehren aus dem Krieg in der Ukraine zu ziehen. So soll stärker in Drohnen-Produktion investiert werden, etwa durch den Ausbau des Orlik-Drohnenprogramms. Auch moderne Radar-Systeme wie Sajna, Bystra und P-18PL, die man leicht in westliche Flugabwehr-Systeme integrieren kann, sollen weiter modernisiert werden. Langfristig will Warschau auch wieder Panzer produzieren, wahrscheinlich auf der Basis des koreanischen K2-Panzers.

PGZ-Chef Trofiniak weiß, dass die Uhr tickt. Um die gesteckten Ziele zu erreichen, will er die Privatwirtschaft an Bord holen. “Die privaten Konzerne könnten die Artilleriehüllen liefern, die wir als Staatsbetrieb mit Explosivmaterial und Zündern versehen könnten”, sagt der erfahrene Rüstungsingenieur. “Wir brauchen auch internationale Kooperationen und Technologietransfer.”

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Pistorius im Indopazifik: Wie sich Deutschland künftig militärisch einbringt

Deutschland will eine größere Rolle im Indopazifik spielen – und Verteidigungsminister Boris Pistorius hat auf seiner am Wochenende zu Ende gegangenen Reise in die Region diesem Anspruch auch Taten folgen lassen. Die wichtigsten Übereinkünfte sind:

  • Philippinen: Vereinbarung über eine Verteidigungskooperation. Geplant ist eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen den deutschen und philippinischen Streitkräften.
  • Südkorea: Beitritt zum United Nations Command. Um den Waffenstillstand zwischen Nord- und Südkorea zu überwachen, will Deutschland zukünftig Personal auf die koreanische Halbinsel entsenden.
  • USA: Stationierung eines Verbindungsoffiziers im Hauptquartier des Indopazifik-Kommandos der USA im US-Bundesstaat Hawaii.

Immer auch China im Blick

Pistorius betonte am Sonntag in Manila: Das deutsche Engagement in der Region sei nicht gegen ein bestimmtes Land gerichtet. Vielmehr wolle man zur Deeskalation beitragen. Es gehe darum, die regelbasierte internationale Ordnung zu gewährleisten, die Freiheit der Schifffahrt zu sichern und Handelsrouten zu schützen. Das alles stimmt – und ist auch wichtig.

Dennoch steht auf allen Stationen der Pistorius-Reise immer auch der sprichwörtliche Elefant im Raum: China. Die Volksrepublik rüstet auf und verfolgt zunehmend robust seine Ziele. Gerade die Philippinen, Südkorea und vor allem die USA blicken besorgt auf China. Die Spannungen in der wirtschaftlich auch für Deutschland wichtigen Region nehmen immer weiter zu.

Auch das Verhältnis zwischen China und Deutschland gestaltet sich zunehmend schwieriger – erst vergangene Woche wurde chinesische Cyberspionage zum Thema. Auf die wachsenden Spannungen hatte Berlin 2023 mit einer eigenen China-Strategie reagiert, die unter anderem die Stärkung von Partnerschaften in Ostasien vorsieht.

Und so wird Pistorius nicht zuletzt auch dem Strategiepapier seiner Regierung gerecht. Man will China mehr als Partner, Wettbewerber und Rivale ansehen. Und man will Diversifizieren.

Pistorius setzt wichtige Akzente

Pistorius hat auf seiner Reise denn auch wichtige Akzente gesetzt:

  • Präsenz zeigen – nicht nur temporär, sondern dauerhaft,
  • Allianzen stärken – nicht nur durch Worte, sondern durch Aufgaben,
  • Partner unterstützen – Stichwort “Burden Sharing”.

Angesichts des Zustandes der Bundeswehr wird es aber im militärischen Bereich auf absehbare Zeit wohl bei Akzenten bleiben. Aber diese Punkte senden dennoch bereits wichtige Signale an die deutschen Partner in der Region.

Philippinen: Engere militärische Zusammenarbeit

Am Sonntag vereinbarten Pistorius und sein philippinischer Amtskollege Gilberto Teodoro eine engere militärische Zusammenarbeit. Das Ziel: gemeinsame Übungen, mehr bilateraler Austausch im Verteidigungsbereich, eventuell auch Rüstungskooperation. Ein entsprechendes Abkommen soll noch in diesem Jahr unterzeichnet werden. Das ist auch wirtschaftlich wichtig: Deutsche Rüstungskonzerne könnten große Aufträge erhalten. Sie könnten bei der Modernisierung des philippinischen Militärs eine wichtige Rolle spielen.

Die Philippinen sehen sich vor allem von China massiv unter Druck gesetzt. Es geht um Gebietsstreitigkeiten im Südchinesischen Meer. Die Philippinen haben deshalb zuletzt auch mit den USA ihre militärische Zusammenarbeit verstärkt und mit Japan ein Verteidigungsabkommen geschlossen.

Südkorea: Sicherung gegenüber Nordkorea

Bei seinem Stopp in Südkorea kündigte Pistorius am Freitag an, dass Deutschland dem United Nations Command beitreten werde. Das Kommando ist nicht den Vereinten Nationen unterstellt, sondern wird von den USA geführt. Es soll die Grenze und den Waffenstillstand zwischen Nord- und Südkorea überwachen. Wie der deutsche Beitrag konkret aussehen wird, soll in den nächsten Wochen und Monaten entschieden werden.

Auch Südkoreas Beziehungen mit China sind angespannt. Der Hauptfokus liegt hier jedoch auf Nordkorea. Machthaber Kim Jong-un treibt sein Raketen- und Atomwaffenprogramm intensiv voran. Immer wieder droht er dem Süden. Und so ist es wichtig, dass Deutschland seinen Partner Südkorea in Fragen der nationalen Sicherheit unterstützt.

Zudem haben Russland und Nordkorea ihre Zusammenarbeit zuletzt ausgebaut. Neben Munitionslieferungen gibt es erste Berichte, wonach auch nordkoreanische Waffen im Ukrainekrieg zum Einsatz kommen. Spätestens hier sind dann auch die deutsche und europäische Sicherheit direkt betroffen. Pistorius stellte in Südkorea denn auch klar: “Putin und Kim rüsten auf und pfeifen gleichzeitig auf die regelbasierte internationale Ordnung, auf das internationale Völkerrecht.”

USA: Kriegsschiffe und Verbindungsoffizier

Zum Auftakt seiner Indopazifik-Reise hatte Verteidigungsminister Pistorius angekündigt, dass die Bundeswehr dauerhaft einen Verbindungsoffizier im Hauptquartier des Indopazifik-Kommandos der USA (Indopacom) im US-Bundesstaat Hawaii stationieren werde. Zudem schaute er sich die Militärübung Rimpac2024 an.

Seit 1971 treffen sich alle zwei Jahre unter US-Führung die Militäreinheiten von Pazifik-Anrainern und anderer am Indopazifik interessierter Staaten. Dadurch soll die Interoperabilität zwischen den verschiedenen Einheiten verbessert werden.

Die Bundeswehr schickt erstmals zwei Kampfschiffe in das gewaltige Manöver: die Fregatte “Baden-Württemberg” und den Einsatzgruppenversorger “Frankfurt am Main”. Hinzu kommen drei Eurofighter und zwei A400M zur Luftbetankung. Hier geht es vor allem darum, ein Signal an den wichtigen Partner USA zu senden: Deutschland ist bereit, sich an gemeinsamen Aufgaben zu beteiligen und mehr Präsenz im Indopazifik zu zeigen.

Zeichen an Partner – und an China

So setzt Pistorius mit seiner Reise und den getroffenen Vereinbarungen klare Zeichen: Deutschland hat die Wichtigkeit des Indopazifiks erkannt. Mehr noch: Man ist auch bereit, Präsenz zu zeigen, Aufgaben zu übernehmen und so die Partner vor Ort zu unterstützen. Auch, wenn der Indopazifik geografisch weit entfernt ist, sind Deutschlands Interessen eng mit der Region verwoben – sowohl politisch als auch wirtschaftlich.

Die USA haben unmissverständlich klargemacht, dass ihr zukünftiger Fokus nicht mehr auf Europa, sondern auf dem Indopazifik liegen wird. Hier sieht Washington den großen Herausforderer der Zukunft: China. Und das wird unabhängig von Ausgang der amerikanischen Präsidentenwahl im November auch so bleiben. Wollen Deutschland und Europa weiterhin Gehör in Washington finden, müssen sie sich mehr einbringen.

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US-Außenpolitik: Warum Amerikas Bündnistreue zu Israel für Harris nicht verhandelbar ist

Frau Stelzenmüller, was könnten wir von einer möglichen Präsidentin Kamala Harris außenpolitisch erwarten?

Sie ist in der Tat keine versierte Außenpolitikerin. Das ist aber bei amerikanischen Präsidenten bisher eher die Ausnahme gewesen. Sie wird sicherlich nicht abweichen von den Positionen, die bei den Demokraten gang und gäbe sind. Das heißt: große Sorgen, was chinesisches Dominanzstreben anbetrifft. Auch sie wird weiterhin auf geoökonomische Waffen wie Strafzölle setzen im Umgang mit strategischen Wettbewerbern wie China. Das ist keine richtig gute Nachricht für Europa, weil unsere Wirtschaft so eng mit der chinesischen verflochten ist. Das gilt allerdings auch für Amerika und China.

Sie sagen, Europa sei für sie keine Herzensangelegenheit. Also wenn wir an Joe Biden denken, der noch Helmut Schmidt gekannt hat, und darauf ganz stolz war: Was wird unter ihr anders sein?

Wir sehen jetzt mit Kamala Harris und letztlich auch mit Trumps Kandidat als Vizepräsident, J.D. Vance, einen Generationswechsel. Und darauf hätten wir uns schon früher vorbereiten können. Wir in Deutschland haben uns darauf verlassen, dass der Status quo schon andauern wird. Aber wir müssen natürlich für jede neue Generation neu begründen, warum das transatlantische Verhältnis wichtig ist. Ich glaube, die Mitarbeiter von Harris und Vance haben schon verstanden, wie wichtig die Europäische Union und die Europäer für eine Auseinandersetzung mit Russland sind. Man hat ja explizit auf das militärische Instrument verzichtet und stattdessen geoökonomische Instrumente eingesetzt, sprich Sanktionen und Exportkontrollen. Das wird dreimal so wichtig sein und ist es schon in der Auseinandersetzung mit China, die ja bereits auf der geoökonomischen Ebene tagtäglich stattfindet. Und darauf müssen wir uns in Europa und Deutschland auch einlassen: Eine Neujustierung des transatlantischen Verhältnisses, in dem das Geoökonomische ein eigenes Gewicht bekommt und mindestens genauso wichtig ist wie das Militärische.

Müssen sich die Europäer nicht militärisch selbstständiger oder sogar unabhängig machen von den USA?

Ich weiß nicht, ob ich das Wort unabhängig benutzen würde, selbstständig finde ich besser. Wir sind ein Kräfteverstärker für Amerika in einer Auseinandersetzung mit Russland, in der wir uns auf die ökonomischen Mittel beschränken. Aber umgekehrt hätten wir es ohne amerikanische Führung und die amerikanische Macht nicht lange ausgehalten. Wir müssen aber mehr von der Last der Verteidigung Europas übernehmen. Die andere wichtige Erkenntnis neben der Bedeutung der Geoökonomie ist ja: Wir können die regionalen Auseinandersetzungen gar nicht mehr auseinanderhalten. Das sehen wir schon an der Tatsache, dass China Russland beispringt und dass China sich auch in europäische Angelegenheiten einmischt, zum Beispiel mit Hackern, die im staatlichen Auftrag handeln. Und da ist es in unserem eigenen Interesse, sowohl unsere Resilienz, unsere Abschreckung und unsere Verteidigung, einfach alles europäisch auf eigene Füße zu stellen, sodass wir sowohl von unseren Verbündeten als auch von unseren Widersachern ernst genommen werden.

Nach ihrem Treffen mit Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu im Juli in Washington hat Harris in Bezug auf das Leid der Palästinenser im Gaza-Streifen offen bekannt: “Ich werde nicht schweigen.” Was heißt das?

Die Bündnistreue gegenüber Israel ist für keinen demokratischen Spitzenpolitiker verhandelbar. Harris hat in der Öffentlichkeit allerdings mehr Empathie für die geschundene Zivilbevölkerung von Gaza erkennen lassen als Präsident Biden. Aber auch das Weiße Haus unter Biden hat einen enormen Druck auf die Regierung in Israel ausgeübt, endlich in Verhandlungen für einen Waffenstillstand einzutreten. Also ich glaube, das gibt es keine großen Unterschiede.

Wie würde Harris sich als Präsidentin darstellen, mal abgesehen von ihren harten politischen Positionen?

Ich habe bei ihr das Gefühl, dass sie sehr direkten Zugang zu ihren Emotionen hat. Und das ist sehr erfrischend. Das ist mir in diesen Tagen und Wochen auch besonders aufgefallen. Wir gehen inzwischen doch völlig anders damit um, dass eine Frau – eine nicht weiße Frau – Anspruch auf das Präsidentenamt erhebt als noch vor zehn oder zwanzig Jahren. Ob sie Präsidentin wird, steht wirklich noch in den Sternen. Aber das ist erst mal eine gute Entwicklung.

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Die entscheidenden Köpfe der sicherheitspolitischen Community – Verwaltung

Annette Lehningk-Emden – Präsidentin des Bundesamtes für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr (BAAINBw)

Annette Lehnigk-Emden muss die Zeitenwende in die Realität umsetzen. Sie leitet seit April 2023 das Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr in Koblenz. Die 63-Jährige ist damit zuständig für die Beschaffung von Material, Ausrüstung und Munition für der Truppe. Verteidigungsminister Boris Pistorius hat klargemacht, dass Zeit bei der Beschaffung ein entscheidender Faktor ist, und Lehningk-Emden hat angekündigt, Tempo zu machen.

Carsten Breuer – Generalinspekteur der Bundeswehr

General Carsten Breuer ist seit 2023 der höchste deutsche Soldat und das militärische Gesicht der Zeitenwende. Er wird nicht müde zu betonen, dass sich die Bundeswehr darauf vorbereiten müsse, dass Russland in spätestens fünf bis acht Jahren Nato-Bündnisgebiet angreifen könnte. Dass er mit Krisen umgehen kann, hat Breuer zuvor als Leiter des Corona-Krisenstabs der Bundesregierung bewiesen.

Eva Högl (SPD) – Wehrbeauftragte des Bundestages

Eva Högl (SPD) hat 2020 den damaligen Wehrbeauftragten Hans-Peter Bartels in seinem Amt abgelöst. Damals hatte sie wenig Berührungspunkte mit der Bundeswehr, heute genießt sie großes Ansehen in der Truppe. In ihrem Amt ist sie die politische Ansprechpartnerin der Soldaten und Soldatinnen, besucht Bundeswehrstandorte und genießt mittlerweile überparteiliches Vertrauen im Bundestag. Einmal jährlich erscheint ihr Bericht über den Zustand der Bundeswehr. Ihr Fazit 2024 wie im Vorjahr: Es mangele der Truppe an allem.

Jens Plötner – Leiter der Abteilung 2 für Außen-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik im Bundeskanzleramt

Er ist der wichtigste außen- und sicherheitspolitische Berater von Bundeskanzler Olaf Scholz; vor seinem Wechsel ins Kanzleramt war er politischer Direktor im Auswärtigen Amt. Die Frage, wie groß sein Einfluss auf Entscheidungen wie etwa die Nicht-Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern an die Ukraine ist, lässt sich nicht leicht beantworten. Klar ist aber, sein Name polarisiert im politischen Berlin: Während die einen ihn als ignoranten Russlandversteher schimpfen, gilt er anderen als brillanter Stratege.

Bruno Kahl – Präsident des Bundesnachrichtendienstes (BND)

Bruno Kahl war ein enger Vertrauter des früheren Finanzministers und Bundestagspräsidenten Wolfgang Schäuble (CDU), der ihn bei seiner Ernennung zum Präsidenten des Bundesnachrichtendienstes unterstützte. Als er 2016 das Amt übernahm, bestand sein Auftrag nicht zuletzt darin, das Image der medial angeschlagenen Behörde aufzupolieren. In seine Amtszeit fielen die Machtübernahme der Taliban in Afghanistan im August 2021 und die Meuterei der russischen Söldnergruppe Wagner gegen Wladimir Putin im Juni 2023, die erneut Zweifel an der Arbeit und der Zuverlässigkeit der Quellen des BND weckten.

Alfons Mais – Inspekteur des Heeres

Generalleutnant Alfons Mais ist seit 2020 oberster truppendienstlicher Vorgesetzter der rund 62.000 Soldaten des Heeres. Auf den ersten Blick unscheinbar und zurückhaltend, hat er sich durch viel Fleiß Respekt in der Truppe und darüber hinaus verschafft. Mit Aussagen wie der, dass das Heer “mehr oder weniger blank” dastehe, hat er Schlagzeilen gemacht und Fakten über den Zustand der Bundeswehr ungeschönt in die Gesellschaft getragen. Er kämpft weiter für mehr Geld für eine bessere Ausstattung der Bundeswehr.

Ingo Gerhartz – Inspekteur der Luftwaffe

Generalleutnant Ingo Gerhartz steht seit fast sechs Jahren an der Spitze der Luftwaffe. 2018 wurde er mit nur 52 Jahren zum Drei-Sterne-General befördert; bei seiner Ernennung war er der jüngste Luftwaffeninspekteur in der Geschichte der Bundeswehr. Die Affäre um eine von Russland abgehörte Telekonferenz deutscher Spitzenmilitärs, die im März öffentlich wurde, versetzte der steilen Karriere allerdings einen medialen Dämpfer. 2025 soll er dennoch die Leitung des Joint Force Command (JFC) der Nato im niederländischen Brunssum übernehmen.

Jan C. Kaack – Inspekteur der Marine

Der erfahrene Marineoffizier übernahm 2022 die Leitung des Marinekommandos in Rostock. In seiner Position an der Spitze der deutschen Seestreitkräfte drängt der 1982 in die damalige Bundesmarine eingetretene Vizeadmiral mit Nachdruck auf die Modernisierung der mit 15.000 Angehörigen kleinsten Teilstreitkraft der Bundeswehr. Dazu zählt unter anderem die Integration neuer Systeme wie Drohnen und Cyberabwehrtechnologie.

Claudia Plattner – Präsidentin des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI)

Claudia Plattner ist seit 2023 Präsidentin des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) und damit die erste Frau an der Spitze der Behörde. Die Mathematikerin war zuvor unter anderem als Chief Information Officer (CIO) der Deutschen Bahn AG und zuletzt als Managerin bei der Europäischen Zentralbank tätig. Beim BSI ist sie für IT-Sicherheit und den Schutz kritischer Informationsinfrastruktur verantwortlich. Darüber hinaus versucht sie, das komplexe Thema Cybersicherheit einer breiteren Öffentlichkeit vertraut zu machen.

Michael Vetter – Abteilungsleiter Cyber- und Informationstechnik im Verteidigungsministerium

Generalleutnant Michael Vetter treibt die Digitalisierung der Bundeswehr als Abteilungsleiter Cyber- und Informationstechnik im Verteidigungsministerium entscheidend voran. Eine Mammutaufgabe, vor allem bei der Umstellung der Truppe auf moderne Kommunikation, die weit hinter den Standards der Verbündeten zurückbleibt. Vetters Job bringt es mit sich, dass er für Probleme wie Verzögerungen beim Einbau digitaler Funkgeräte in Fahrzeuge der Bundeswehr verantwortlich gemacht wird – die er nicht nur gegenüber Medien mit viel Geduld erklärt. Als Schlüsselakteur beim digitalen Wandel der Bundeswehr kommen ihm dreißig Jahre Erfahrung in der Logistik zugute.

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News

Eskalation in Nahost: Wie die Folgen eines iranischen Angriffs abgemildert werden sollen

In Erwartung eines iranischen Angriffs auf Israel haben die USA ihre Militärpräsenz im Nahen Osten am Montag weiter ausgebaut. Auch die diplomatischen Bemühungen zur Verhinderung eines Regionalkriegs nach der Tötung des politischen Anführers der Hamas, Ismail Hanija, vergangene Woche in Teheran gingen weiter. Der Sekretär des russischen Sicherheitsrates, Sergej Schoigu, kam am Montag in Teheran zu Beratungen mit dem iranischen Präsidenten Massud Peseschkian zusammen; tags zuvor hatte Jordaniens Außenminister Ayman Safadi Peseschkian getroffen, um für ein Ende der Eskalation zu werben. Für Mittwoch hat der Iran gemeinsam mit Pakistan ein Außenministertreffen der Organisation für Islamische Zusammenarbeit (OIC) in Saudi-Arabien geplant. Der OIC gehören 57 islamische Länder an, darunter auch die Türkei.

Das Pentagon teilte mit, die Verlegung des Flugzeugträgers Abraham Lincoln samt Begleitschiffen in den Nahen Osten sollte “die Unterstützung für die Verteidigung Israels erhöhen und sicherstellen, dass die Vereinigten Staaten auf verschiedene Eventualitäten vorbereitet sind.” Der Kommandeur des US-Zentralkommandos, General Michael Kurilla, ist seit dem Wochenende in der Region, um arabische Verbündete Washingtons dazu zu bringen, wie im April einen groß angelegten Angriff Irans mit Raketen und Drohnen auf Israel abzuwehren.

Israelische Führung rechnet mit Angriffen an mehreren Fronten

Einem Bericht des Wall Street Journal zufolge rechnet die US-Führung nicht damit, dass der Iran sie wie im April vorab über den Beginn eines Angriffs auf Israel informieren werde. Zwar sagte ein Sprecher des iranischen Außenministeriums am Montag, dass sein Land “nach Stabilität in der Region” strebe. Das aber werde nur möglich sein, “wenn er den Aggressor bestraft und Abschreckung gegen das Abenteurertum des zionistischen Regimes schafft”, der in Iran gängigen Bezeichnung für Israel.

Israel stellt sich seit der Tötung Hanijas und des Militärchefs der libanesischen Hisbollah, Fuad Schukr, auf einen Angriff aus möglicherweise mehreren Staaten ein. Neben dem Iran könnten auch die libanesische Schiitenmiliz, jemenitische Huthi-Rebellen und irakische Schiitenmilizen das Land mit Raketen und Drohnen beschießen. mrb

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Litauen-Brigade: Niedrigere Materialkosten, aber mehr Geld fürs Personal nötig

Für die geplante dauerhafte Stationierung einer Bundeswehr-Brigade in Litauen werden voraussichtlich geringere Kosten für die Beschaffung von Waffensystemen anfallen als bisher veranschlagt. Im April hatte das Verteidigungsministerium für die Ausstattung mit Waffen und Munition eine Summe von bis zu neun Milliarden Euro geschätzt. Nunmehr würden vier bis sechs Milliarden Euro dafür angesetzt, heißt es in einem Bericht des Wehrressorts für den Bundestag, der Table.Briefings vorliegt. Über das Schreiben hatte zuerst der Spiegel berichtet.

Auch für die Betriebskosten für die Kampfeinheiten in dem baltischen Land rechnet das Verteidigungsministerium inzwischen mit geringeren Kosten als zunächst geplant. Vor allem aber habe die Bundesregierung der Nato ohnehin eine weitere Heeresbrigade zugesagt, so dass ein Großteil der laufenden Kosten unabhängig von der Stationierung in Litauen anfalle und sonst im Inland einberechnet werden müsste. So werde die Entsendung an den Standort im Baltikum “keine Zusatzausgaben für die Materialerhaltung zur Folge haben, da diese Ausgaben ohnehin anfallen würden”.

Höher als bislang erwartet würden allerdings die zusätzlichen Personalausgaben ausfallen, heißt es in dem Bericht. Für Auslandszuschläge, Trennungsgeld und Reisekosten könnten es ab Stationierungsbeginn 2027 dann 250 statt wie bisher geschätzt 210 Millionen Euro pro Jahr werden. Allerdings sind bei diesem Posten noch weitere Erhöhungen möglich: “Weitere Finanzbedarfe für Attraktivitätsmaßnahmen sind unter anderem aufgrund ausstehender Entscheidungen (Artikelgesetz Zeitenwende) noch nicht abschließend erfasst.” tw

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Warum die USA mit dem Abzug aus Niger einen strategischen Verbündeten verlieren

Das US-Militär hat seine Drohnenbasis in Niger verlassen. Das teilten Vertreter der amerikanischen Streitkräfte am Montag mit. Die 2019 fertiggestellte Airbase 201 im Norden des Landes am Stadtrand von Agadez hat nach Angaben des US-Verteidigungsministeriums rund 103 Millionen US-Dollar gekostet.

Damit ist der Abzug rund sechs Wochen vor der Frist (15. September) vollzogen. Im Mai hatten die USA bekannt gegeben, ihre militärische Zusammenarbeit mit Niger zu beenden. Ursprünglich waren rund 1.000 US-Militärs in Niger stationiert. Bereits im Juli hatte das US-Militär eine Basis in Niamey (Airbase 101) verlassen.

Die USA verlieren mit dem Abzug aus Niger einen strategischen Verbündeten. Auch der Versuch der Bundeswehr, mit einem Lufttransportstützpunkt in Niamey zu bleiben, ist gescheitert. Das italienische Militär bleibt jedoch weiterhin mit einer Ausbildungsmission in Niger (Misin)

Mali beendet diplomatische Beziehungen zur Ukraine

In Niger sind seit Mai auch russische Ausbilder aktiv. Nach Informationen von Table.Briefings bisher jedoch keine Einsatzkräfte – anders als in Mali.

Dort führten die Äußerungen des ukrainischen Geheimdienstes über eine angebliche Unterstützung für die Tuareg-Rebellen im Norden zum diplomatischen Eklat: Die malische Regierung erklärte die Beziehungen mit der Ukraine am Sonntagabend für beendet. Die Ukraine bedauerte in einer Mitteilung am Montag die Entscheidung Malis. Dies sei “kurzsichtig” und “überhastet”. Das ukrainische Außenministerium forderte die Regierung in Bamako auf, Beweise für eine ukrainische Einmischung in Mali zu erbringen.

Auch im angrenzenden Senegal sorgte die mögliche Hilfe der Ukraine für die Rebellen in Mali für diplomatische Spannungen. Die Regierung von Präsident Diomaye Faye bestellte am Wochenende den ukrainischen Botschafter in Dakar ein. Er hatte auf Facebook ein Video zu dem Vorfall geteilt und kommentiert. Das senegalesische Außenministerium berief sich auf seine Neutralität im “russisch-ukrainischen Konflikt”. Dazu kommt, dass Präsident Faye als Vermittler im angespannten Verhältnis zwischen der westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft Ecowas und der Allianz der Sahel-Staaten, bestehend aus Niger, Mali und Burkina Faso, agiert. lcw

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Desinformation: Wie russische Fake News die Unruhen in Großbritannien anheizen

Drei falsche Behauptungen waren laut britischen Medienberichten die wesentlichen Treiber der rechtsextremen, ausländerfeindlichen Unruhen, die seit Tagen britische Städte vor allem im Norden Englands erfasst haben. Der Name des 17-jährigen Attentäters, der bei einer Messerattacke am 29. Juli in Southport nahe Liverpool drei kleine Mädchen einer Tanzklasse ermordete, laute Ali Al-Shakati. Er sei 2023 als Flüchtling auf einem kleinen Boot über den Ärmelkanal ins Land gekommen. Er habe auf einer Beobachtungsliste des britischen Auslandsgeheimdienstes MI6 gestanden. Der tatsächliche Attentäter, Axel Rudakubana, wurde 2006 als Kind ruandischer Einwanderer in Cardiff geboren und war nach derzeitigem Stand zuvor nicht auffällig.

Große Verbreitung fanden die Fake News dank der Aufbereitung durch Channel3 Now – eine Website, die sich als legitimer US-amerikanischer Nachrichtenkanal geriert, aber laut Daily Telegraph ein aus Russland gesteuertes Medium für “anti-westliche Desinformation” ist. Britische Rechtsradikale, Verschwörungstheoretiker und Influencer griffen die Berichte ihrerseits auf und verstärkten die Falschmeldungen, die die überwiegend aus Großbritanniens rechtsradikaler Szene stammenden Gewalttäter animierten. 

Fast die Hälfte der muslimfeindlichen Posts kommen aus den USA

Auch der rechtspopulistische Unterhausabgeordnete Nigel Farage, Pro-Brexit-Vertreter der ersten Stunde und Putin-Apologet, goss mit Mutmaßungen, die britischen Behörden verschwiegen die Wahrheit, Öl ins Feuer. Insgesamt dienten die Bilder der Unruhen Rechtsextremen in aller Welt als Anknüpfungspunkt für Anti-Einwanderungs- und anti-muslimische Hetze. Dies nicht zuletzt in den USA, wo laut dem britischen Sender Channel4 fast die Hälfte der mit den Morden in Stockport zusammenhängenden, muslimfeindlichen Social-Media-Posts abgesetzt wurden.

US-Unternehmer Elon Musk, Eigentümer der Social-Media-Plattform X (vorher Twitter), verstärkte irreführende Tweets des auf der Flucht vor der Justiz befindlichen britischen Rechtsradikalen Tommy Robinson (eigentlicher Name: Stephen Yaxley-Lennon). Er schrieb am 4. August in Reaktion auf Krawallbilder aus Liverpool und einem Tweet, der “Masseneinwanderung und offene Grenzen” für die Situation verantwortlich machte: “Bürgerkrieg ist unausweichlich”. hh

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Must-Reads

Wilson Center: What to Expect from Russia as the US Presidential Election Draws Near. Destabilisierungsversuche weltweit – nicht nur in den USA – das erwartet Alexander Morozov für die kommenden Monate. Sein Text lässt einen gewissen Optimismus zu, denn Russland gelingt es bisher nicht, größere regionale Mächte auf seine Seite zu ziehen.

Amnesty International: New Weapons Fuelling the Sudan Conflict. Seit Ausbruch des Krieges zwischen den Einheiten Armeeführer Abdel Fattah al-Burhans und dem Chef der Rapid Support Forces (RSF), Mohammed Hamdan Dagalo (Hemedti) im April 2023 sind mehr als 16.000 Menschen getötet worden. Dieser Bericht zeigt, wie nahezu alle Nachbarländer am Waffentransfer in den Sudan beteiligt sind.

Zenith: Tehran’s Escalation Conundrum. Normalisierung der Beziehungen zwischen Israel und den arabischen Staaten erhöhe die Sicherheitsbedenken Irans. Teheran versuche deswegen unter anderem durch strategische Allianzen mit Russland und China, seine regionale Einflussnahme zu behaupten, schreiben Hessam Habibi Doroh und Javad Heiran-Nia für das Nahostmagazin Zenith. Gleichzeitig wolle Teheran für Israel eine zweite Front im Westjordanland schaffen.

Politico: Ukraine Might Breathe a Sigh of Relief – Whether Trump or Harris Wins. Viele befürchten, der republikanische US-Präsidentschaftskandidat Donald Trump könnte die Ukraine-Unterstützung infrage stellen. Matthew Kaminski, Politico’s Editor at large, bezweifelt diese These. Weder Trump noch Kamala Harris hätten ihre Positionen hier schon endgültig festgelegt, was die Unsicherheit für die Zukunft der Ukraine verstärke.

Standpunkt

Ican: Bundesregierung soll Atomwaffenverbotsvertrag beitreten

Von Sebastian Niemetz
Sebastian Niemetz ist Leiter des Berliner Büros der International Campaign to Abolish Nuclear Weapons.

Seit der nuklearen Zerstörung von Hiroshima und Nagasaki war das Risiko eines Atomkriegs noch nie so hoch wie heute. Hunderttausende sind am 6. und 9. August 1945 der Massenvernichtung zum Opfer gefallen. Heute könnte allein ein Atomkrieg zwischen Indien und Pakistan zu weltweiten Hungersnöten mit mehr als zwei Milliarden Toten führen. Ein ungebremster atomarer Konflikt zwischen der Nato und Russland würde das Ende der Menschheit bedeuten.

Atomwaffen sind eine existentielle Bedrohung

Trotzdem rüsten die Kernwaffenstaaten seit Jahrzehnten ihre Arsenale auf, während neue Akteure überlegen, eigene Bomben anzuschaffen. Auch Deutschland beteiligt sich an der nuklearen Modernisierung: Der Luftwaffenstandort Büchel, Herberge für rund zwanzig US-Atombomben, wird derzeit für 1,2 Milliarden Euro ausgebaut.

Dabei leistet nukleare Abschreckung gegen viele Bedrohungen keinen Schutz: Atomwaffenstaaten wurden und werden trotz ihres “nuklearen Schutzschirmes” angegriffen. Der Jom-Kippur-Krieg 1973 und der Falklandkrieg 1982 sind historische Beispiele dafür. Heute können mit US-Atomwaffen weder Angriffe der Huthis abgewendet werden, noch konnte das israelische Nukleararsenal den Angriff der Hamas am 7. Oktober 2023 verhindern. Über den Globus verteilt haben Kernwaffenstaaten Kriege verloren, von Vietnam bis Afghanistan. Auch untereinander haben sie bewaffnete Konflikte ausgetragen, wie Indien gegen Pakistan oder China.

Atomwaffen sind kein sicherheitspolitisches Allheilmittel. Ihr Nutzen wird über-, ihr Risiko unterschätzt. Mit jeder Kernwaffe, mit jedem Atomwaffenstaat, mit jeder Sicherheitsdoktrin, die auf nukleare Abschreckung setzt, steigt die Gefahr der Eskalation. Etliche Male wäre es in der Vergangenheit fast zum Atomeinsatz gekommen, auch durch Missverständnisse und Unfälle. Meist war es pures Glück, dass dies nicht geschah.

Schutz durch Recht und Stigma

Als die Welt von der Massenvernichtung in Hiroshima und Nagasaki erfuhr, bildete sich eine globale Bewegung gegen Kernwaffen. Ein internationales Stigma entstand – das nukleare Tabu. Diese informelle, aber weit verbreitete Norm erklärt Atomwaffen als inakzeptabel und moralisch verwerflich. Das nukleare Tabu hat dazu beigetragen, dass Atombomben seit 1945 nicht mehr in Konflikten eingesetzt wurden.

Schon die erste Resolution des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen forderte 1946 die Abschaffung aller Nuklearwaffen. Mit dem Atomwaffenverbotsvertrag wurde diese Forderung 2017 in bindendes Völkerrecht gegossen; mittlerweile hat bereits rund die Hälfte der Staatenwelt ihn unterzeichnet. Wie die Bio- und Chemiewaffenkonventionen schafft das Atomwaffenverbot einen ungemeinen Sicherheitsgewinn.

Doch: Die Kernwaffenstaaten und einige ihrer Verbündeten, darunter Deutschland, haben bisher nicht unterzeichnet. Indem diese Staaten das Narrativ der nuklearen Abschreckung stärken, gefährden sie nicht nur das nukleare Tabu. Sie unterwandern den Schutz, den die multilaterale Diplomatie der Vereinten Nationen mühselig aufgebaut und gepflegt hat.

Die Bundesregierung sollte die nukleare Teilhabe Deutschlands beenden und dem Atomwaffenverbotsvertrag beitreten. Selbst wenn die Regierung eine Unterzeichnung kurzfristig ausschließt, sollte sie zumindest erklären, dass ein deutscher Beitritt mittelfristiges Ziel ist. Das würde die Bundesrepublik kaum etwas kosten – im Gegenteil, es wäre ein Zeichen der Stärke und würde die eigene Sicherheit erhöhen. Die Regierung würde damit signalisieren, dass sie sich nicht auf ein nukleares Wettrüsten einlässt und dass sie in der Lage ist, ihr Koalitionsziel eines “Deutschlands frei von Atomwaffen” konkret zu untermauern.

Nukleare Abrüstung als Stärke

Angesichts des global einsatzfähigen US-Atomarsenals ist der vermeintliche militärische Nutzen der Nuklearwaffen in Deutschland sowieso vernachlässigbar. Ihr Abzug würde die Kohäsion der Nato genauso wenig bedrohen wie der Fakt, dass derzeit 24 Staaten des Militärbündnisses weder Atomwaffen besitzen noch dauerhaft beherbergen.

Gleichzeitig wäre eine nukleare Entschärfung der deutschen Sicherheitsdoktrin ein wichtiges Zeichen der Entspannung und Bekräftigung internationaler Diplomatie in krisengebeutelten Zeiten. Deutschland würde sich damit der wachsenden Zahl an Staaten anschließen, die erkannt haben: Weniger Atomwaffen bedeutet mehr Sicherheit.

Sebastian Niemetz ist Leiter des Berliner Büros der International Campaign to Abolish Nuclear Weapons (Ican). Für ihr Engagement wurde die Kampagne 2017 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet.

  • Atomwaffen

Security.Table Redaktion

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    Liebe Leserin, lieber Leser,

    heute will Kamala Harris entscheiden, wer mit ihr als Vizepräsidentenkandidat der Demokraten in den Wahlkampf gegen Donald Trump zieht, Mark Kelly, Josh Shapiro oder Tim Walz. Im Interview mit Nana Brink erklärt die USA-Expertin Constanze Stelzenmüller, was ein Wahlsieg Harris’ für Europa bedeuten würde – und warum für sie die Bündnistreue Amerikas zu Israel nicht verhandelbar ist.

    Und wir werfen einen Blick nach Polen. Das Land steckt Milliarden in neue Panzer, Flugzeuge und Flugabwehrsysteme aus Südkorea und den USA. Wie Warschau ändern will, dass an der Aufrüstung vor allem andere verdienen, lesen Sie in der Analyse von Andrzej Rybak.

    In den kommenden Ausgaben haben wir noch ein besonderes Highlight: Wir stellen Ihnen die 100 einflussreichsten Köpfe der sicherheitspolitischen Community vor. Den Anfang machen zehn Entscheiderinnen und Entscheider aus dem Bereich der Verwaltung.

    Eine aufschlussreiche Lektüre wünscht Ihnen

    Ihre
    Lisa-Martina Klein
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    Analyse

    Rüstungsindustrie: Wie Polen sich von westlicher Technologie unabhängig macht

    Der polnische Ministerpräsident Donald Tusk mit Verteidigungsminister Wladyslaw Kosiniak-Kamysz im Juli in Warschau.

    Der Krieg in der Ukraine treibt die europäische Rüstungsindustrie zu neuen Höhenflügen an: Seit 2022 wächst die Waffenproduktion in Europa jedes Jahr zweistellig, die Börsenkurse der Rüstungskonzerne steigen. Auch wenn die Kampfhandlungen kurzfristig enden sollten – wofür es keine Anzeichen gibt -, die neue Ära der Prosperität der Branche dürfte mehrere Jahre dauern.

    Das gilt auch für die polnische Rüstungsindustrie, die nach der Auflösung des Warschauer Pakts immer weiter geschrumpft war. Während die Branche in den 1980er-Jahren noch 300.000 Menschen beschäftigte, waren es zuletzt nur noch 20.000. “Wir brauchen dringend mehr Personal, um eine zweite oder sogar eine dritte Schicht einzuführen”, sagt General Artur Kuptel, Chef der staatlichen polnischen Rüstungsagentur. “Denn die Russen produzieren schon lange rund um die Uhr.”

    4,5 Prozent des BIP fließen in Verteidigung

    Doch damit ist es nicht getan, sind sich Experten sicher. Die polnische Rüstungsindustrie müsse neue Kapazitäten schaffen, neue Produktionslinien und Fabriken in Betrieb nehmen, um die Bedürfnisse der Streitkräfte zu erfüllen und die Sicherheit des Landes zu garantieren. Die dringend notwendige Kapitalspritze wird auf 14 Milliarden Zloty (3,3 Milliarden Euro) geschätzt.

    Seit Beginn des Ukraine-Krieges 2022 hat Polen für mehr als 23 Milliarden US-Dollar Panzer, Panzerhaubitzen, Flugzeuge, Hubschrauber sowie Luftverteidigungssysteme in Südkorea und den USA bestellt, die in den kommenden Jahren geliefert werden sollen. Die Verteidigungsausgaben des Landes werden 2024 rund 160 Milliarden Zloty (knapp 38 Milliarden Euro) betragen – das sind fast 4,5 Prozent des polnischen Bruttoinlandprodukts.  Etwa 42 Milliarden Zloty werden über Schulden finanziert.

    Vor allem westliche Hersteller profitieren

    An der polnischen Aufrüstung verdienten bisher vor allem westliche Hersteller, denn fast 80 Prozent der modernen Waffensysteme kaufte Warschau im Ausland. Der neue Verteidigungsminister Władysław Kosiniak-Kamysz von der Regierungskoalition um Premier Donald Tusk will nun mehr Waffen vor Ort produzieren und die polnischen Rüstungswerke modernisieren. Ziel sei es, die Hälfte der Ausrüstung selbst herzustellen. 

    Die polnische Rüstungsindustrie besteht heute aus zwei unterschiedlichen Teilen: Einige Werke produzieren noch in der Sowjetzeit eingeführte Systeme, andere haben auf Nato-Standards umgestellt und stellen Waffen her, die meist nach 1990 entwickelt wurden. Der postsowjetische Zweig wurde nach dem Nato-Beitritt 1999 schrittweise heruntergefahren, doch in Anbetracht des Kriegs in der Ukraine kommt ihm heute große Bedeutung zu. Denn die ukrainische Armee ist überwiegend mit alten sowjetischen Waffen ausgerüstet – und braucht dringend Nachschub, den die polnischen Werke liefern können.

    Steigerung von 30.000 auf 200.000 Munitionseinheiten

    Die dringendste Aufgabe der polnischen Rüstungsindustrie ist die Steigerung der Produktion von großkalibriger Artilleriemunition, sowohl des sowjetischen Kalibers (152 Millimeter) wie des Nato-Kalibers von 155 Millimetern. “Die Ukrainer verbrauchen mehr von solchen Geschossen in der Woche als wir im Jahr herstellen können”, schimpft General Mieczysław Bieniek, ehemaliger stellvertretender Strategie-Kommandeur der Nato. Tatsächlich lag die Produktion 2023 bei 30.000 Munitionseinheiten. Im kommenden Jahr soll sie auf 200.000 gesteigert werden – wenn es bis dahin gelingt, ein neues Werk in Pionki in Betrieb zu nehmen.

    Die polnischen Nitro-Chem-Werke in Bydgoszcz produzieren zwar rund 10.000 Tonnen TNT pro Jahr, aber das Nitrozellulosepulver und die mehrbasigen Schießpulver, die für moderne Munition notwendig sind, müssen komplett importiert werden – wie auch die Geschosshüllen. “Bei der Munitionsherstellung müssen wir unabhängig von Importen werden”, sagt Krzysztof Trofiniak, Vorsitzender der staatlichen Polska Grupa Zbrojeniowa (Polnische Rüstungsgruppe), zu der 50 wichtige Rüstungsbetriebe im ganzen Land gehören. Sie ist für knapp 70 Prozent der polnischen Rüstungsproduktion zuständig.

    Waffensysteme auch für westliche Kunden von Interesse

    Warschau besitzt allerdings auch ein paar Systeme, die für Nato-Partner im Westen interessant werden könnten. Dazu gehört unter anderem die Panzerhaubitze Krab, die sich an der Front in der Ukraine bewährt hat. Ihr Hersteller, Huta Stalowa Wola, will im nächsten Jahr die Produktion verdoppeln, vier neue Hallen sollen in Betrieb gehen.

    Als Verkaufsschlager gilt das tragbare Luftverteidigungssystem Piorun (Blitz). Zwei Nato-Staaten – Norwegen und Estland – haben beschlossen, ihre Armeen mit Piorun auszustatten, das ein genaueres Zielerfassungssystem und größere Reichweite hat als die US-amerikanische Stinger. Das Mesko-Werk in Skarzysko-Kamienna stellt mehr als 1.000 “Blitze” pro Jahr her.

    Privatwirtschaft soll stärker eingebunden werden

    Polen versucht, Lehren aus dem Krieg in der Ukraine zu ziehen. So soll stärker in Drohnen-Produktion investiert werden, etwa durch den Ausbau des Orlik-Drohnenprogramms. Auch moderne Radar-Systeme wie Sajna, Bystra und P-18PL, die man leicht in westliche Flugabwehr-Systeme integrieren kann, sollen weiter modernisiert werden. Langfristig will Warschau auch wieder Panzer produzieren, wahrscheinlich auf der Basis des koreanischen K2-Panzers.

    PGZ-Chef Trofiniak weiß, dass die Uhr tickt. Um die gesteckten Ziele zu erreichen, will er die Privatwirtschaft an Bord holen. “Die privaten Konzerne könnten die Artilleriehüllen liefern, die wir als Staatsbetrieb mit Explosivmaterial und Zündern versehen könnten”, sagt der erfahrene Rüstungsingenieur. “Wir brauchen auch internationale Kooperationen und Technologietransfer.”

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    • Rüstungsexporte
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    Pistorius im Indopazifik: Wie sich Deutschland künftig militärisch einbringt

    Deutschland will eine größere Rolle im Indopazifik spielen – und Verteidigungsminister Boris Pistorius hat auf seiner am Wochenende zu Ende gegangenen Reise in die Region diesem Anspruch auch Taten folgen lassen. Die wichtigsten Übereinkünfte sind:

    • Philippinen: Vereinbarung über eine Verteidigungskooperation. Geplant ist eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen den deutschen und philippinischen Streitkräften.
    • Südkorea: Beitritt zum United Nations Command. Um den Waffenstillstand zwischen Nord- und Südkorea zu überwachen, will Deutschland zukünftig Personal auf die koreanische Halbinsel entsenden.
    • USA: Stationierung eines Verbindungsoffiziers im Hauptquartier des Indopazifik-Kommandos der USA im US-Bundesstaat Hawaii.

    Immer auch China im Blick

    Pistorius betonte am Sonntag in Manila: Das deutsche Engagement in der Region sei nicht gegen ein bestimmtes Land gerichtet. Vielmehr wolle man zur Deeskalation beitragen. Es gehe darum, die regelbasierte internationale Ordnung zu gewährleisten, die Freiheit der Schifffahrt zu sichern und Handelsrouten zu schützen. Das alles stimmt – und ist auch wichtig.

    Dennoch steht auf allen Stationen der Pistorius-Reise immer auch der sprichwörtliche Elefant im Raum: China. Die Volksrepublik rüstet auf und verfolgt zunehmend robust seine Ziele. Gerade die Philippinen, Südkorea und vor allem die USA blicken besorgt auf China. Die Spannungen in der wirtschaftlich auch für Deutschland wichtigen Region nehmen immer weiter zu.

    Auch das Verhältnis zwischen China und Deutschland gestaltet sich zunehmend schwieriger – erst vergangene Woche wurde chinesische Cyberspionage zum Thema. Auf die wachsenden Spannungen hatte Berlin 2023 mit einer eigenen China-Strategie reagiert, die unter anderem die Stärkung von Partnerschaften in Ostasien vorsieht.

    Und so wird Pistorius nicht zuletzt auch dem Strategiepapier seiner Regierung gerecht. Man will China mehr als Partner, Wettbewerber und Rivale ansehen. Und man will Diversifizieren.

    Pistorius setzt wichtige Akzente

    Pistorius hat auf seiner Reise denn auch wichtige Akzente gesetzt:

    • Präsenz zeigen – nicht nur temporär, sondern dauerhaft,
    • Allianzen stärken – nicht nur durch Worte, sondern durch Aufgaben,
    • Partner unterstützen – Stichwort “Burden Sharing”.

    Angesichts des Zustandes der Bundeswehr wird es aber im militärischen Bereich auf absehbare Zeit wohl bei Akzenten bleiben. Aber diese Punkte senden dennoch bereits wichtige Signale an die deutschen Partner in der Region.

    Philippinen: Engere militärische Zusammenarbeit

    Am Sonntag vereinbarten Pistorius und sein philippinischer Amtskollege Gilberto Teodoro eine engere militärische Zusammenarbeit. Das Ziel: gemeinsame Übungen, mehr bilateraler Austausch im Verteidigungsbereich, eventuell auch Rüstungskooperation. Ein entsprechendes Abkommen soll noch in diesem Jahr unterzeichnet werden. Das ist auch wirtschaftlich wichtig: Deutsche Rüstungskonzerne könnten große Aufträge erhalten. Sie könnten bei der Modernisierung des philippinischen Militärs eine wichtige Rolle spielen.

    Die Philippinen sehen sich vor allem von China massiv unter Druck gesetzt. Es geht um Gebietsstreitigkeiten im Südchinesischen Meer. Die Philippinen haben deshalb zuletzt auch mit den USA ihre militärische Zusammenarbeit verstärkt und mit Japan ein Verteidigungsabkommen geschlossen.

    Südkorea: Sicherung gegenüber Nordkorea

    Bei seinem Stopp in Südkorea kündigte Pistorius am Freitag an, dass Deutschland dem United Nations Command beitreten werde. Das Kommando ist nicht den Vereinten Nationen unterstellt, sondern wird von den USA geführt. Es soll die Grenze und den Waffenstillstand zwischen Nord- und Südkorea überwachen. Wie der deutsche Beitrag konkret aussehen wird, soll in den nächsten Wochen und Monaten entschieden werden.

    Auch Südkoreas Beziehungen mit China sind angespannt. Der Hauptfokus liegt hier jedoch auf Nordkorea. Machthaber Kim Jong-un treibt sein Raketen- und Atomwaffenprogramm intensiv voran. Immer wieder droht er dem Süden. Und so ist es wichtig, dass Deutschland seinen Partner Südkorea in Fragen der nationalen Sicherheit unterstützt.

    Zudem haben Russland und Nordkorea ihre Zusammenarbeit zuletzt ausgebaut. Neben Munitionslieferungen gibt es erste Berichte, wonach auch nordkoreanische Waffen im Ukrainekrieg zum Einsatz kommen. Spätestens hier sind dann auch die deutsche und europäische Sicherheit direkt betroffen. Pistorius stellte in Südkorea denn auch klar: “Putin und Kim rüsten auf und pfeifen gleichzeitig auf die regelbasierte internationale Ordnung, auf das internationale Völkerrecht.”

    USA: Kriegsschiffe und Verbindungsoffizier

    Zum Auftakt seiner Indopazifik-Reise hatte Verteidigungsminister Pistorius angekündigt, dass die Bundeswehr dauerhaft einen Verbindungsoffizier im Hauptquartier des Indopazifik-Kommandos der USA (Indopacom) im US-Bundesstaat Hawaii stationieren werde. Zudem schaute er sich die Militärübung Rimpac2024 an.

    Seit 1971 treffen sich alle zwei Jahre unter US-Führung die Militäreinheiten von Pazifik-Anrainern und anderer am Indopazifik interessierter Staaten. Dadurch soll die Interoperabilität zwischen den verschiedenen Einheiten verbessert werden.

    Die Bundeswehr schickt erstmals zwei Kampfschiffe in das gewaltige Manöver: die Fregatte “Baden-Württemberg” und den Einsatzgruppenversorger “Frankfurt am Main”. Hinzu kommen drei Eurofighter und zwei A400M zur Luftbetankung. Hier geht es vor allem darum, ein Signal an den wichtigen Partner USA zu senden: Deutschland ist bereit, sich an gemeinsamen Aufgaben zu beteiligen und mehr Präsenz im Indopazifik zu zeigen.

    Zeichen an Partner – und an China

    So setzt Pistorius mit seiner Reise und den getroffenen Vereinbarungen klare Zeichen: Deutschland hat die Wichtigkeit des Indopazifiks erkannt. Mehr noch: Man ist auch bereit, Präsenz zu zeigen, Aufgaben zu übernehmen und so die Partner vor Ort zu unterstützen. Auch, wenn der Indopazifik geografisch weit entfernt ist, sind Deutschlands Interessen eng mit der Region verwoben – sowohl politisch als auch wirtschaftlich.

    Die USA haben unmissverständlich klargemacht, dass ihr zukünftiger Fokus nicht mehr auf Europa, sondern auf dem Indopazifik liegen wird. Hier sieht Washington den großen Herausforderer der Zukunft: China. Und das wird unabhängig von Ausgang der amerikanischen Präsidentenwahl im November auch so bleiben. Wollen Deutschland und Europa weiterhin Gehör in Washington finden, müssen sie sich mehr einbringen.

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    US-Außenpolitik: Warum Amerikas Bündnistreue zu Israel für Harris nicht verhandelbar ist

    Frau Stelzenmüller, was könnten wir von einer möglichen Präsidentin Kamala Harris außenpolitisch erwarten?

    Sie ist in der Tat keine versierte Außenpolitikerin. Das ist aber bei amerikanischen Präsidenten bisher eher die Ausnahme gewesen. Sie wird sicherlich nicht abweichen von den Positionen, die bei den Demokraten gang und gäbe sind. Das heißt: große Sorgen, was chinesisches Dominanzstreben anbetrifft. Auch sie wird weiterhin auf geoökonomische Waffen wie Strafzölle setzen im Umgang mit strategischen Wettbewerbern wie China. Das ist keine richtig gute Nachricht für Europa, weil unsere Wirtschaft so eng mit der chinesischen verflochten ist. Das gilt allerdings auch für Amerika und China.

    Sie sagen, Europa sei für sie keine Herzensangelegenheit. Also wenn wir an Joe Biden denken, der noch Helmut Schmidt gekannt hat, und darauf ganz stolz war: Was wird unter ihr anders sein?

    Wir sehen jetzt mit Kamala Harris und letztlich auch mit Trumps Kandidat als Vizepräsident, J.D. Vance, einen Generationswechsel. Und darauf hätten wir uns schon früher vorbereiten können. Wir in Deutschland haben uns darauf verlassen, dass der Status quo schon andauern wird. Aber wir müssen natürlich für jede neue Generation neu begründen, warum das transatlantische Verhältnis wichtig ist. Ich glaube, die Mitarbeiter von Harris und Vance haben schon verstanden, wie wichtig die Europäische Union und die Europäer für eine Auseinandersetzung mit Russland sind. Man hat ja explizit auf das militärische Instrument verzichtet und stattdessen geoökonomische Instrumente eingesetzt, sprich Sanktionen und Exportkontrollen. Das wird dreimal so wichtig sein und ist es schon in der Auseinandersetzung mit China, die ja bereits auf der geoökonomischen Ebene tagtäglich stattfindet. Und darauf müssen wir uns in Europa und Deutschland auch einlassen: Eine Neujustierung des transatlantischen Verhältnisses, in dem das Geoökonomische ein eigenes Gewicht bekommt und mindestens genauso wichtig ist wie das Militärische.

    Müssen sich die Europäer nicht militärisch selbstständiger oder sogar unabhängig machen von den USA?

    Ich weiß nicht, ob ich das Wort unabhängig benutzen würde, selbstständig finde ich besser. Wir sind ein Kräfteverstärker für Amerika in einer Auseinandersetzung mit Russland, in der wir uns auf die ökonomischen Mittel beschränken. Aber umgekehrt hätten wir es ohne amerikanische Führung und die amerikanische Macht nicht lange ausgehalten. Wir müssen aber mehr von der Last der Verteidigung Europas übernehmen. Die andere wichtige Erkenntnis neben der Bedeutung der Geoökonomie ist ja: Wir können die regionalen Auseinandersetzungen gar nicht mehr auseinanderhalten. Das sehen wir schon an der Tatsache, dass China Russland beispringt und dass China sich auch in europäische Angelegenheiten einmischt, zum Beispiel mit Hackern, die im staatlichen Auftrag handeln. Und da ist es in unserem eigenen Interesse, sowohl unsere Resilienz, unsere Abschreckung und unsere Verteidigung, einfach alles europäisch auf eigene Füße zu stellen, sodass wir sowohl von unseren Verbündeten als auch von unseren Widersachern ernst genommen werden.

    Nach ihrem Treffen mit Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu im Juli in Washington hat Harris in Bezug auf das Leid der Palästinenser im Gaza-Streifen offen bekannt: “Ich werde nicht schweigen.” Was heißt das?

    Die Bündnistreue gegenüber Israel ist für keinen demokratischen Spitzenpolitiker verhandelbar. Harris hat in der Öffentlichkeit allerdings mehr Empathie für die geschundene Zivilbevölkerung von Gaza erkennen lassen als Präsident Biden. Aber auch das Weiße Haus unter Biden hat einen enormen Druck auf die Regierung in Israel ausgeübt, endlich in Verhandlungen für einen Waffenstillstand einzutreten. Also ich glaube, das gibt es keine großen Unterschiede.

    Wie würde Harris sich als Präsidentin darstellen, mal abgesehen von ihren harten politischen Positionen?

    Ich habe bei ihr das Gefühl, dass sie sehr direkten Zugang zu ihren Emotionen hat. Und das ist sehr erfrischend. Das ist mir in diesen Tagen und Wochen auch besonders aufgefallen. Wir gehen inzwischen doch völlig anders damit um, dass eine Frau – eine nicht weiße Frau – Anspruch auf das Präsidentenamt erhebt als noch vor zehn oder zwanzig Jahren. Ob sie Präsidentin wird, steht wirklich noch in den Sternen. Aber das ist erst mal eine gute Entwicklung.

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    Die entscheidenden Köpfe der sicherheitspolitischen Community – Verwaltung

    Annette Lehningk-Emden – Präsidentin des Bundesamtes für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr (BAAINBw)

    Annette Lehnigk-Emden muss die Zeitenwende in die Realität umsetzen. Sie leitet seit April 2023 das Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr in Koblenz. Die 63-Jährige ist damit zuständig für die Beschaffung von Material, Ausrüstung und Munition für der Truppe. Verteidigungsminister Boris Pistorius hat klargemacht, dass Zeit bei der Beschaffung ein entscheidender Faktor ist, und Lehningk-Emden hat angekündigt, Tempo zu machen.

    Carsten Breuer – Generalinspekteur der Bundeswehr

    General Carsten Breuer ist seit 2023 der höchste deutsche Soldat und das militärische Gesicht der Zeitenwende. Er wird nicht müde zu betonen, dass sich die Bundeswehr darauf vorbereiten müsse, dass Russland in spätestens fünf bis acht Jahren Nato-Bündnisgebiet angreifen könnte. Dass er mit Krisen umgehen kann, hat Breuer zuvor als Leiter des Corona-Krisenstabs der Bundesregierung bewiesen.

    Eva Högl (SPD) – Wehrbeauftragte des Bundestages

    Eva Högl (SPD) hat 2020 den damaligen Wehrbeauftragten Hans-Peter Bartels in seinem Amt abgelöst. Damals hatte sie wenig Berührungspunkte mit der Bundeswehr, heute genießt sie großes Ansehen in der Truppe. In ihrem Amt ist sie die politische Ansprechpartnerin der Soldaten und Soldatinnen, besucht Bundeswehrstandorte und genießt mittlerweile überparteiliches Vertrauen im Bundestag. Einmal jährlich erscheint ihr Bericht über den Zustand der Bundeswehr. Ihr Fazit 2024 wie im Vorjahr: Es mangele der Truppe an allem.

    Jens Plötner – Leiter der Abteilung 2 für Außen-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik im Bundeskanzleramt

    Er ist der wichtigste außen- und sicherheitspolitische Berater von Bundeskanzler Olaf Scholz; vor seinem Wechsel ins Kanzleramt war er politischer Direktor im Auswärtigen Amt. Die Frage, wie groß sein Einfluss auf Entscheidungen wie etwa die Nicht-Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern an die Ukraine ist, lässt sich nicht leicht beantworten. Klar ist aber, sein Name polarisiert im politischen Berlin: Während die einen ihn als ignoranten Russlandversteher schimpfen, gilt er anderen als brillanter Stratege.

    Bruno Kahl – Präsident des Bundesnachrichtendienstes (BND)

    Bruno Kahl war ein enger Vertrauter des früheren Finanzministers und Bundestagspräsidenten Wolfgang Schäuble (CDU), der ihn bei seiner Ernennung zum Präsidenten des Bundesnachrichtendienstes unterstützte. Als er 2016 das Amt übernahm, bestand sein Auftrag nicht zuletzt darin, das Image der medial angeschlagenen Behörde aufzupolieren. In seine Amtszeit fielen die Machtübernahme der Taliban in Afghanistan im August 2021 und die Meuterei der russischen Söldnergruppe Wagner gegen Wladimir Putin im Juni 2023, die erneut Zweifel an der Arbeit und der Zuverlässigkeit der Quellen des BND weckten.

    Alfons Mais – Inspekteur des Heeres

    Generalleutnant Alfons Mais ist seit 2020 oberster truppendienstlicher Vorgesetzter der rund 62.000 Soldaten des Heeres. Auf den ersten Blick unscheinbar und zurückhaltend, hat er sich durch viel Fleiß Respekt in der Truppe und darüber hinaus verschafft. Mit Aussagen wie der, dass das Heer “mehr oder weniger blank” dastehe, hat er Schlagzeilen gemacht und Fakten über den Zustand der Bundeswehr ungeschönt in die Gesellschaft getragen. Er kämpft weiter für mehr Geld für eine bessere Ausstattung der Bundeswehr.

    Ingo Gerhartz – Inspekteur der Luftwaffe

    Generalleutnant Ingo Gerhartz steht seit fast sechs Jahren an der Spitze der Luftwaffe. 2018 wurde er mit nur 52 Jahren zum Drei-Sterne-General befördert; bei seiner Ernennung war er der jüngste Luftwaffeninspekteur in der Geschichte der Bundeswehr. Die Affäre um eine von Russland abgehörte Telekonferenz deutscher Spitzenmilitärs, die im März öffentlich wurde, versetzte der steilen Karriere allerdings einen medialen Dämpfer. 2025 soll er dennoch die Leitung des Joint Force Command (JFC) der Nato im niederländischen Brunssum übernehmen.

    Jan C. Kaack – Inspekteur der Marine

    Der erfahrene Marineoffizier übernahm 2022 die Leitung des Marinekommandos in Rostock. In seiner Position an der Spitze der deutschen Seestreitkräfte drängt der 1982 in die damalige Bundesmarine eingetretene Vizeadmiral mit Nachdruck auf die Modernisierung der mit 15.000 Angehörigen kleinsten Teilstreitkraft der Bundeswehr. Dazu zählt unter anderem die Integration neuer Systeme wie Drohnen und Cyberabwehrtechnologie.

    Claudia Plattner – Präsidentin des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI)

    Claudia Plattner ist seit 2023 Präsidentin des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) und damit die erste Frau an der Spitze der Behörde. Die Mathematikerin war zuvor unter anderem als Chief Information Officer (CIO) der Deutschen Bahn AG und zuletzt als Managerin bei der Europäischen Zentralbank tätig. Beim BSI ist sie für IT-Sicherheit und den Schutz kritischer Informationsinfrastruktur verantwortlich. Darüber hinaus versucht sie, das komplexe Thema Cybersicherheit einer breiteren Öffentlichkeit vertraut zu machen.

    Michael Vetter – Abteilungsleiter Cyber- und Informationstechnik im Verteidigungsministerium

    Generalleutnant Michael Vetter treibt die Digitalisierung der Bundeswehr als Abteilungsleiter Cyber- und Informationstechnik im Verteidigungsministerium entscheidend voran. Eine Mammutaufgabe, vor allem bei der Umstellung der Truppe auf moderne Kommunikation, die weit hinter den Standards der Verbündeten zurückbleibt. Vetters Job bringt es mit sich, dass er für Probleme wie Verzögerungen beim Einbau digitaler Funkgeräte in Fahrzeuge der Bundeswehr verantwortlich gemacht wird – die er nicht nur gegenüber Medien mit viel Geduld erklärt. Als Schlüsselakteur beim digitalen Wandel der Bundeswehr kommen ihm dreißig Jahre Erfahrung in der Logistik zugute.

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    News

    Eskalation in Nahost: Wie die Folgen eines iranischen Angriffs abgemildert werden sollen

    In Erwartung eines iranischen Angriffs auf Israel haben die USA ihre Militärpräsenz im Nahen Osten am Montag weiter ausgebaut. Auch die diplomatischen Bemühungen zur Verhinderung eines Regionalkriegs nach der Tötung des politischen Anführers der Hamas, Ismail Hanija, vergangene Woche in Teheran gingen weiter. Der Sekretär des russischen Sicherheitsrates, Sergej Schoigu, kam am Montag in Teheran zu Beratungen mit dem iranischen Präsidenten Massud Peseschkian zusammen; tags zuvor hatte Jordaniens Außenminister Ayman Safadi Peseschkian getroffen, um für ein Ende der Eskalation zu werben. Für Mittwoch hat der Iran gemeinsam mit Pakistan ein Außenministertreffen der Organisation für Islamische Zusammenarbeit (OIC) in Saudi-Arabien geplant. Der OIC gehören 57 islamische Länder an, darunter auch die Türkei.

    Das Pentagon teilte mit, die Verlegung des Flugzeugträgers Abraham Lincoln samt Begleitschiffen in den Nahen Osten sollte “die Unterstützung für die Verteidigung Israels erhöhen und sicherstellen, dass die Vereinigten Staaten auf verschiedene Eventualitäten vorbereitet sind.” Der Kommandeur des US-Zentralkommandos, General Michael Kurilla, ist seit dem Wochenende in der Region, um arabische Verbündete Washingtons dazu zu bringen, wie im April einen groß angelegten Angriff Irans mit Raketen und Drohnen auf Israel abzuwehren.

    Israelische Führung rechnet mit Angriffen an mehreren Fronten

    Einem Bericht des Wall Street Journal zufolge rechnet die US-Führung nicht damit, dass der Iran sie wie im April vorab über den Beginn eines Angriffs auf Israel informieren werde. Zwar sagte ein Sprecher des iranischen Außenministeriums am Montag, dass sein Land “nach Stabilität in der Region” strebe. Das aber werde nur möglich sein, “wenn er den Aggressor bestraft und Abschreckung gegen das Abenteurertum des zionistischen Regimes schafft”, der in Iran gängigen Bezeichnung für Israel.

    Israel stellt sich seit der Tötung Hanijas und des Militärchefs der libanesischen Hisbollah, Fuad Schukr, auf einen Angriff aus möglicherweise mehreren Staaten ein. Neben dem Iran könnten auch die libanesische Schiitenmiliz, jemenitische Huthi-Rebellen und irakische Schiitenmilizen das Land mit Raketen und Drohnen beschießen. mrb

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    • Israel
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    Litauen-Brigade: Niedrigere Materialkosten, aber mehr Geld fürs Personal nötig

    Für die geplante dauerhafte Stationierung einer Bundeswehr-Brigade in Litauen werden voraussichtlich geringere Kosten für die Beschaffung von Waffensystemen anfallen als bisher veranschlagt. Im April hatte das Verteidigungsministerium für die Ausstattung mit Waffen und Munition eine Summe von bis zu neun Milliarden Euro geschätzt. Nunmehr würden vier bis sechs Milliarden Euro dafür angesetzt, heißt es in einem Bericht des Wehrressorts für den Bundestag, der Table.Briefings vorliegt. Über das Schreiben hatte zuerst der Spiegel berichtet.

    Auch für die Betriebskosten für die Kampfeinheiten in dem baltischen Land rechnet das Verteidigungsministerium inzwischen mit geringeren Kosten als zunächst geplant. Vor allem aber habe die Bundesregierung der Nato ohnehin eine weitere Heeresbrigade zugesagt, so dass ein Großteil der laufenden Kosten unabhängig von der Stationierung in Litauen anfalle und sonst im Inland einberechnet werden müsste. So werde die Entsendung an den Standort im Baltikum “keine Zusatzausgaben für die Materialerhaltung zur Folge haben, da diese Ausgaben ohnehin anfallen würden”.

    Höher als bislang erwartet würden allerdings die zusätzlichen Personalausgaben ausfallen, heißt es in dem Bericht. Für Auslandszuschläge, Trennungsgeld und Reisekosten könnten es ab Stationierungsbeginn 2027 dann 250 statt wie bisher geschätzt 210 Millionen Euro pro Jahr werden. Allerdings sind bei diesem Posten noch weitere Erhöhungen möglich: “Weitere Finanzbedarfe für Attraktivitätsmaßnahmen sind unter anderem aufgrund ausstehender Entscheidungen (Artikelgesetz Zeitenwende) noch nicht abschließend erfasst.” tw

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    Warum die USA mit dem Abzug aus Niger einen strategischen Verbündeten verlieren

    Das US-Militär hat seine Drohnenbasis in Niger verlassen. Das teilten Vertreter der amerikanischen Streitkräfte am Montag mit. Die 2019 fertiggestellte Airbase 201 im Norden des Landes am Stadtrand von Agadez hat nach Angaben des US-Verteidigungsministeriums rund 103 Millionen US-Dollar gekostet.

    Damit ist der Abzug rund sechs Wochen vor der Frist (15. September) vollzogen. Im Mai hatten die USA bekannt gegeben, ihre militärische Zusammenarbeit mit Niger zu beenden. Ursprünglich waren rund 1.000 US-Militärs in Niger stationiert. Bereits im Juli hatte das US-Militär eine Basis in Niamey (Airbase 101) verlassen.

    Die USA verlieren mit dem Abzug aus Niger einen strategischen Verbündeten. Auch der Versuch der Bundeswehr, mit einem Lufttransportstützpunkt in Niamey zu bleiben, ist gescheitert. Das italienische Militär bleibt jedoch weiterhin mit einer Ausbildungsmission in Niger (Misin)

    Mali beendet diplomatische Beziehungen zur Ukraine

    In Niger sind seit Mai auch russische Ausbilder aktiv. Nach Informationen von Table.Briefings bisher jedoch keine Einsatzkräfte – anders als in Mali.

    Dort führten die Äußerungen des ukrainischen Geheimdienstes über eine angebliche Unterstützung für die Tuareg-Rebellen im Norden zum diplomatischen Eklat: Die malische Regierung erklärte die Beziehungen mit der Ukraine am Sonntagabend für beendet. Die Ukraine bedauerte in einer Mitteilung am Montag die Entscheidung Malis. Dies sei “kurzsichtig” und “überhastet”. Das ukrainische Außenministerium forderte die Regierung in Bamako auf, Beweise für eine ukrainische Einmischung in Mali zu erbringen.

    Auch im angrenzenden Senegal sorgte die mögliche Hilfe der Ukraine für die Rebellen in Mali für diplomatische Spannungen. Die Regierung von Präsident Diomaye Faye bestellte am Wochenende den ukrainischen Botschafter in Dakar ein. Er hatte auf Facebook ein Video zu dem Vorfall geteilt und kommentiert. Das senegalesische Außenministerium berief sich auf seine Neutralität im “russisch-ukrainischen Konflikt”. Dazu kommt, dass Präsident Faye als Vermittler im angespannten Verhältnis zwischen der westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft Ecowas und der Allianz der Sahel-Staaten, bestehend aus Niger, Mali und Burkina Faso, agiert. lcw

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    Desinformation: Wie russische Fake News die Unruhen in Großbritannien anheizen

    Drei falsche Behauptungen waren laut britischen Medienberichten die wesentlichen Treiber der rechtsextremen, ausländerfeindlichen Unruhen, die seit Tagen britische Städte vor allem im Norden Englands erfasst haben. Der Name des 17-jährigen Attentäters, der bei einer Messerattacke am 29. Juli in Southport nahe Liverpool drei kleine Mädchen einer Tanzklasse ermordete, laute Ali Al-Shakati. Er sei 2023 als Flüchtling auf einem kleinen Boot über den Ärmelkanal ins Land gekommen. Er habe auf einer Beobachtungsliste des britischen Auslandsgeheimdienstes MI6 gestanden. Der tatsächliche Attentäter, Axel Rudakubana, wurde 2006 als Kind ruandischer Einwanderer in Cardiff geboren und war nach derzeitigem Stand zuvor nicht auffällig.

    Große Verbreitung fanden die Fake News dank der Aufbereitung durch Channel3 Now – eine Website, die sich als legitimer US-amerikanischer Nachrichtenkanal geriert, aber laut Daily Telegraph ein aus Russland gesteuertes Medium für “anti-westliche Desinformation” ist. Britische Rechtsradikale, Verschwörungstheoretiker und Influencer griffen die Berichte ihrerseits auf und verstärkten die Falschmeldungen, die die überwiegend aus Großbritanniens rechtsradikaler Szene stammenden Gewalttäter animierten. 

    Fast die Hälfte der muslimfeindlichen Posts kommen aus den USA

    Auch der rechtspopulistische Unterhausabgeordnete Nigel Farage, Pro-Brexit-Vertreter der ersten Stunde und Putin-Apologet, goss mit Mutmaßungen, die britischen Behörden verschwiegen die Wahrheit, Öl ins Feuer. Insgesamt dienten die Bilder der Unruhen Rechtsextremen in aller Welt als Anknüpfungspunkt für Anti-Einwanderungs- und anti-muslimische Hetze. Dies nicht zuletzt in den USA, wo laut dem britischen Sender Channel4 fast die Hälfte der mit den Morden in Stockport zusammenhängenden, muslimfeindlichen Social-Media-Posts abgesetzt wurden.

    US-Unternehmer Elon Musk, Eigentümer der Social-Media-Plattform X (vorher Twitter), verstärkte irreführende Tweets des auf der Flucht vor der Justiz befindlichen britischen Rechtsradikalen Tommy Robinson (eigentlicher Name: Stephen Yaxley-Lennon). Er schrieb am 4. August in Reaktion auf Krawallbilder aus Liverpool und einem Tweet, der “Masseneinwanderung und offene Grenzen” für die Situation verantwortlich machte: “Bürgerkrieg ist unausweichlich”. hh

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    Must-Reads

    Wilson Center: What to Expect from Russia as the US Presidential Election Draws Near. Destabilisierungsversuche weltweit – nicht nur in den USA – das erwartet Alexander Morozov für die kommenden Monate. Sein Text lässt einen gewissen Optimismus zu, denn Russland gelingt es bisher nicht, größere regionale Mächte auf seine Seite zu ziehen.

    Amnesty International: New Weapons Fuelling the Sudan Conflict. Seit Ausbruch des Krieges zwischen den Einheiten Armeeführer Abdel Fattah al-Burhans und dem Chef der Rapid Support Forces (RSF), Mohammed Hamdan Dagalo (Hemedti) im April 2023 sind mehr als 16.000 Menschen getötet worden. Dieser Bericht zeigt, wie nahezu alle Nachbarländer am Waffentransfer in den Sudan beteiligt sind.

    Zenith: Tehran’s Escalation Conundrum. Normalisierung der Beziehungen zwischen Israel und den arabischen Staaten erhöhe die Sicherheitsbedenken Irans. Teheran versuche deswegen unter anderem durch strategische Allianzen mit Russland und China, seine regionale Einflussnahme zu behaupten, schreiben Hessam Habibi Doroh und Javad Heiran-Nia für das Nahostmagazin Zenith. Gleichzeitig wolle Teheran für Israel eine zweite Front im Westjordanland schaffen.

    Politico: Ukraine Might Breathe a Sigh of Relief – Whether Trump or Harris Wins. Viele befürchten, der republikanische US-Präsidentschaftskandidat Donald Trump könnte die Ukraine-Unterstützung infrage stellen. Matthew Kaminski, Politico’s Editor at large, bezweifelt diese These. Weder Trump noch Kamala Harris hätten ihre Positionen hier schon endgültig festgelegt, was die Unsicherheit für die Zukunft der Ukraine verstärke.

    Standpunkt

    Ican: Bundesregierung soll Atomwaffenverbotsvertrag beitreten

    Von Sebastian Niemetz
    Sebastian Niemetz ist Leiter des Berliner Büros der International Campaign to Abolish Nuclear Weapons.

    Seit der nuklearen Zerstörung von Hiroshima und Nagasaki war das Risiko eines Atomkriegs noch nie so hoch wie heute. Hunderttausende sind am 6. und 9. August 1945 der Massenvernichtung zum Opfer gefallen. Heute könnte allein ein Atomkrieg zwischen Indien und Pakistan zu weltweiten Hungersnöten mit mehr als zwei Milliarden Toten führen. Ein ungebremster atomarer Konflikt zwischen der Nato und Russland würde das Ende der Menschheit bedeuten.

    Atomwaffen sind eine existentielle Bedrohung

    Trotzdem rüsten die Kernwaffenstaaten seit Jahrzehnten ihre Arsenale auf, während neue Akteure überlegen, eigene Bomben anzuschaffen. Auch Deutschland beteiligt sich an der nuklearen Modernisierung: Der Luftwaffenstandort Büchel, Herberge für rund zwanzig US-Atombomben, wird derzeit für 1,2 Milliarden Euro ausgebaut.

    Dabei leistet nukleare Abschreckung gegen viele Bedrohungen keinen Schutz: Atomwaffenstaaten wurden und werden trotz ihres “nuklearen Schutzschirmes” angegriffen. Der Jom-Kippur-Krieg 1973 und der Falklandkrieg 1982 sind historische Beispiele dafür. Heute können mit US-Atomwaffen weder Angriffe der Huthis abgewendet werden, noch konnte das israelische Nukleararsenal den Angriff der Hamas am 7. Oktober 2023 verhindern. Über den Globus verteilt haben Kernwaffenstaaten Kriege verloren, von Vietnam bis Afghanistan. Auch untereinander haben sie bewaffnete Konflikte ausgetragen, wie Indien gegen Pakistan oder China.

    Atomwaffen sind kein sicherheitspolitisches Allheilmittel. Ihr Nutzen wird über-, ihr Risiko unterschätzt. Mit jeder Kernwaffe, mit jedem Atomwaffenstaat, mit jeder Sicherheitsdoktrin, die auf nukleare Abschreckung setzt, steigt die Gefahr der Eskalation. Etliche Male wäre es in der Vergangenheit fast zum Atomeinsatz gekommen, auch durch Missverständnisse und Unfälle. Meist war es pures Glück, dass dies nicht geschah.

    Schutz durch Recht und Stigma

    Als die Welt von der Massenvernichtung in Hiroshima und Nagasaki erfuhr, bildete sich eine globale Bewegung gegen Kernwaffen. Ein internationales Stigma entstand – das nukleare Tabu. Diese informelle, aber weit verbreitete Norm erklärt Atomwaffen als inakzeptabel und moralisch verwerflich. Das nukleare Tabu hat dazu beigetragen, dass Atombomben seit 1945 nicht mehr in Konflikten eingesetzt wurden.

    Schon die erste Resolution des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen forderte 1946 die Abschaffung aller Nuklearwaffen. Mit dem Atomwaffenverbotsvertrag wurde diese Forderung 2017 in bindendes Völkerrecht gegossen; mittlerweile hat bereits rund die Hälfte der Staatenwelt ihn unterzeichnet. Wie die Bio- und Chemiewaffenkonventionen schafft das Atomwaffenverbot einen ungemeinen Sicherheitsgewinn.

    Doch: Die Kernwaffenstaaten und einige ihrer Verbündeten, darunter Deutschland, haben bisher nicht unterzeichnet. Indem diese Staaten das Narrativ der nuklearen Abschreckung stärken, gefährden sie nicht nur das nukleare Tabu. Sie unterwandern den Schutz, den die multilaterale Diplomatie der Vereinten Nationen mühselig aufgebaut und gepflegt hat.

    Die Bundesregierung sollte die nukleare Teilhabe Deutschlands beenden und dem Atomwaffenverbotsvertrag beitreten. Selbst wenn die Regierung eine Unterzeichnung kurzfristig ausschließt, sollte sie zumindest erklären, dass ein deutscher Beitritt mittelfristiges Ziel ist. Das würde die Bundesrepublik kaum etwas kosten – im Gegenteil, es wäre ein Zeichen der Stärke und würde die eigene Sicherheit erhöhen. Die Regierung würde damit signalisieren, dass sie sich nicht auf ein nukleares Wettrüsten einlässt und dass sie in der Lage ist, ihr Koalitionsziel eines “Deutschlands frei von Atomwaffen” konkret zu untermauern.

    Nukleare Abrüstung als Stärke

    Angesichts des global einsatzfähigen US-Atomarsenals ist der vermeintliche militärische Nutzen der Nuklearwaffen in Deutschland sowieso vernachlässigbar. Ihr Abzug würde die Kohäsion der Nato genauso wenig bedrohen wie der Fakt, dass derzeit 24 Staaten des Militärbündnisses weder Atomwaffen besitzen noch dauerhaft beherbergen.

    Gleichzeitig wäre eine nukleare Entschärfung der deutschen Sicherheitsdoktrin ein wichtiges Zeichen der Entspannung und Bekräftigung internationaler Diplomatie in krisengebeutelten Zeiten. Deutschland würde sich damit der wachsenden Zahl an Staaten anschließen, die erkannt haben: Weniger Atomwaffen bedeutet mehr Sicherheit.

    Sebastian Niemetz ist Leiter des Berliner Büros der International Campaign to Abolish Nuclear Weapons (Ican). Für ihr Engagement wurde die Kampagne 2017 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet.

    • Atomwaffen

    Security.Table Redaktion

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