Table.Briefing: Security

Wie die Hamas vorging + EU überprüft Hilfen für Palästinenser + Funkgeräte für die Bundeswehr noch später

Liebe Leserin, lieber Leser,

von Pogromen auf israelischem Boden sprechen Bewohner des Judenstaats nach dem verlustreichsten Wochenende in Jahrzehnten. Allein 260 Besucher eines Musikfvestivals in Re’im am Rande des Gazastreifens wurden von Kämpfern der Hamas im Morgengrauen massakriert. 130 Israelis sollen zudem von Islamischem Dschihad und Hamas als Geiseln in den Gazastreifen verschleppt worden sein. Am Montagabend drohte ein Hamas-Sprecher damit, einzelne Gefangene zu töten, sollte die israelische Luftwaffe ihre Bombardements ziviler Ziele ohne Vorwarnung fortsetzen.

Der Frage, wie es der Islamistenmiliz gelingen konnte, Israels Sicherheitsapparat derart zu überrumpeln, gehe ich in unserer ersten Analyse nach. Dass Geheimdienste, Armee und Polizei vor einer Zäsur stehen, ist schon am Morgen des vierten Kriegstags unbestritten auch wenn in Rekordgeschwindigkeit inzwischen 300.000 Reservisten einberufen worden sind. Auf mindestens 28 Tage fern von zu Hause müssten sie sich einstellen, heißt es seitens ihrer Kommandeure.

Einen Wendepunkt stellt das Ausmaß des Terrors gegen Israel auch für die Europäische Union dar. Nun soll rasch überprüft werden, ob Zahlungen an die Palästinenser eingestellt werden. Das Vorpreschen des Erweiterungskommissars Olivér Várhelyi in dieser Frage am Montag sorgte für Verwirrung. Stephan Israel hat die Diskussion in Brüssel zusammengefasst.

Länger warten als erwartet muss die Bundeswehr auf neue digitale Funkgeräte. Das hat der dafür zuständige Abteilungsleiter im Verteidigungsministerium Lisa-Martina Klein erzählt. Weil die technische Komplexität bei der Umrüstung unterschätzt worden sei, könnten die Geräte erst 2027, nicht bereits 2025, eingebaut werden, so Generalleutnant Michael Vetter im Interview.

Ihr
Markus Bickel
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Analyse

Wie die Hamas Israels Sicherheitsapparat überrumpelte

Am Montagmittag funktionierte Iron Dome so wie es sollte: An der Grenze zum Libanon fing eine mobile Batterie des bodengestützten Abwehrsystems der Israel Defense Forces (IDF) elf Raketen ab, die aus dem nördlichen Nachbarland abgeschossen worden waren. Eine zwölfte landete in einem Feld unweit der israelischen Siedlung Shtula, ohne Schaden anzurichten. Nicht weit davon töteten IDF-Soldaten zwei über die Grenze gekommene bewaffnete Eindringlinge – der auch im Libanon aktive Hamas-Verbündete Islamischer Dschihad hatte so versucht, eine neue Front aufzumachen.

200 Kilometer weiter südlich von Shtula sah das Lagebild am Samstag anders aus, ganz anders: Innerhalb weniger Minuten feuerten Kämpfer der islamistischen Palästinensermiliz Hamas mehr als 2500 Raketen in Gemeinden rund um den Gazastreifen ab – und überforderten die Tamir-Interzeptoren von Iron Dome offenbar so sehr, dass das System auf das Sperrfeuer aus Gaza nicht schnell genug reagieren konnte. Zeitgleich durchbrachen Hamas-Kämpfer den Sperrzaun zum israelischen Kernland an etlichen Stellen, indem sie diesen zunächst mit Gleitschirmen überflogen und dann mit Sprengstoff zerstörten, ehe Bulldozer die Durchbrüche erweiterten.

Cyber-Attacke auf Armeezentrale

Rund tausend Mann gelang es so zwischen sechs und sieben Uhr morgens, in 22 südisraelische Gemeinden und Kibbuzim einzudringen, teils mehr als zwanzig Kilometer vom Gazastreifen entfernt. Eines ihrer ersten Ziele war das Hauptquartier des Gaza-Kommandos der israelischen Armee, dessen Kommunikationseinrichtungen mit einer Cyber-Attacke lahmgelegt wurde. Damit war schnelle Gegenwehr vorerst ausgeschlossen, berichtet die Nachrichtenagentur Reuters unter Berufung auf der Hamas-Führung nahestehende Quellen. Mehr als zwei Jahre lang soll dieses Vorgehen trainiert worden – und in enger Absprache mit Kommandeuren der iranischen Revolutionsgarden Ende September in Beirut beschlossen worden sein. Die größte Schwierigkeit für die Hamas-Führung dürfte darin bestanden haben, Details der Operation Al-Aqsa-Sturm bei der Weitergabe der Befehle zu verschleiern.

Fachleute glauben, dass Iron Dome nicht auf die Wirkung des neuen Hamas-Raketensystems Rajum vorbereitet war, sodass dem Artillerieangriff mit den 114-Millimeter-Geschossen das Vorrücken zu Lande und zu Wasser und in der Luft folgen konnte – wie aus dem Lehrbuch. Außerdem soll die Hamas kleine Drohnen eingesetzt haben, die Munition auf israelische Militärstellungen rund um den Gazastreifen abwarf. Armee und Polizei traf der Überfall von Hunderten Hamas-Kämpfern, die in Geländewagen und auf Motorrädern, sowie mit Gleitschirmen ausschwärmten, völlig überraschend.

Begünstigt wurde der Überfall durch das lange Netz an Tunneln, in die sich die Hamas-Führung zurückgezogen hat. Dort waren Ortung und Signalerfassung, wie sie die israelischen Nachrichtendienste betreiben, nicht möglich.

Größte Mobilmachung in der Geschichte Israels

Neben fehlender Aufklärung über die Angriffspläne lag das auch daran, dass der Angriff an einem Schabbat-Morgen stattfand, zumal am jüdischen Feiertag Simchat Tora. Das Trauma des Jom-Kippur-Kriegs von Oktober 1973, den syrische und ägyptische Truppen vor genau fünfzig Jahren ebenfalls an einem Samstagmorgen begannen, lebt dadurch wieder auf. Schlimmer noch: Jahrzehnte der Aufrüstung haben Israel offenbar nicht weniger verwundbar gemacht, auch wenn der Angriff am Wochenende nicht durch staatliche Armeen, sondern durch die semistaatlichen Einheiten der Hamas-Führung erfolgte.

Insofern hat Ministerpräsident Benjamin Netanjahu Recht, als er am Montag sagte, dass die israelische Gegenreaktion “den Nahen Osten verändern” werde. Schon am Morgen des vierten Kriegstags stellt die bewaffnete Auseinandersetzung mit der Hamas eine Zäsur in der Geschichte der Konflikts dar: 800 Tote in dreißig Stunden auf israelischer Seite und mehr als 560 auf palästinensischer gab es noch nie. In den 33 Tagen des Zweiten Libanon-Kriegs 2006 verloren 1.500 Menschen ihr Leben, in den 44 Tagen Gaza-Krieg 2014 mehr als 2.200, darunter siebzig Israelis.

Auch Massaker wie das an den bis zu 260 Teilnehmenden eines Festivals nahe Re’im dürften dazu führen, dass es in den kommenden Monaten zu einer grundlegenden Überarbeitung der israelischen Abschreckungsdoktrin kommen wird. Wechselnde israelische Regierungen hatten in der inzwischen 16 Jahre dauernden Abriegelung des Gazastreifens zuletzt darauf gesetzt, durch die Vergabe von Arbeitsvisa in Israel auf sozioökonomische Stabilität als Lockmittel für die Hamas zu setzen. In dieser Strategie bestärkt wurde die israelische Regierung auch dadurch, dass die Hamas sich im Mai Raketenbeschuss israelischer Dörfer durch den Islamischen Dschihad nicht anschloss. Verteidigungsminister Joaw Galant und die Armeeführung um Generalstabschef Aviv Kochavi verleitete das offenbar zu der falschen Annahme, dass die Hamas an einem bewaffneten Konflikt nicht interessiert sei.

Verhandlungen über Einheitsregierung in Jerusalem

Diesen Trugschluss hat die Armeeführung nun korrigiert – die Mobilmachung von 300.000 Reservisten ist die größte in der israelischen Geschichte und deutet auf eine Bodenoffensive im Gazastreifen hin. “Der Preis, den der Gazastreifen zahlen wird, wird sehr hoch sein und die Realität für Generationen verändern”, sagte Verteidigungsminister Yoav Gallant am Montag in Ofakim, einer der angegriffenen Städte im Süden des Landes. Gallant kündigte die vollständige Abriegelung des Gazastreifen an: “Kein Strom, keine Lebensmittel, kein Gas, alles ist geschlossen. Wir kämpfen gegen menschliche Tiere und verhalten uns entsprechend.”

Regierungschef Netanjahu nahm derweil Verhandlungen mit dem früheren Verteidigungsminister und Oppositionsführer Benny Gantz über die Bildung einer Einheitsregierung auf. Der allerdings fordert, dass Netanjahus rechtsextremen Verbündete, Itamar Ben-Gvir und Bezalel Smotrich, bis zum Ende des Krieges ihre Funktionen als Minister für Nationale Sicherheit und Zuständiger für die Ziviladministration im Westjordanland ruhen lassen. Weder Ben-Gvir noch Smotrich haben in der Armee gedient.

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EU-Mitglieder uneins über Zahlungen an Palästinenser

Wird die EU nach dem Großangriff von Hamas auf Israel ihre Zahlungen an die Palästinenser überprüfen? Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell habe ein Krisentreffen der Außenminister einberufen, um genau diese Frage und die nächsten Schritte zu diskutieren, sagte am Montagmittag ein Kommissionssprecher. Und im Übrigen finanziere die EU in keiner Weise die Terrororganisation Hamas oder deren Aktivitäten.

Nur wenige Stunden später eine überraschende Wendung: Der Grad an Terror und Brutalität gegen Israel und seine Bevölkerung sei ein Wendepunkt, verkündete EU-Kommissar Oliver Varhelyi auf dem Nachrichtendienst X. Es könne kein “Business as usual” geben. Die EU-Kommission werde ihr gesamtes “Portfolio” im Wert von immerhin 691 Millionen Euro evaluieren. Alle Zahlungen würden mit sofortiger Wirkung gestoppt, alle Projekte und Budgethilfen überprüft, so der Kommissar, zuständig für Erweiterung und Nachbarschaft.

Am Abend dann eine Präzisierung: Die Kommission starte eine dringliche Überprüfung, so schnell wie möglich und in Koordination mit den Mitgliedstaaten. Da im Moment keine Zahlungen vorgesehen seien, werde es in der Zwischenzeit auch keine Suspendierung geben.

Die EU hatte die Zahlungen 2021 schon einmal ausgesetzt, und zwar im Streit um die Finanzierung von palästinensischen Schulbüchern, in denen Hass auf Juden propagiert und zur Gewalt gegen Israel angestachelt wurde. Zeitweise gingen den Krankenhäusern die Medikamente aus, Erkrankte konnten nicht mehr behandelt werden. Erst ein Jahr später wurden die Mittel dann freigegeben. Die EU finanziert unter anderem Beamtengehälter und Renten bei der palästinensischen Autonomiebehörde in Ramallah, aber auch den Ausbau der Wasserversorgung in Gaza.

Österreich prescht vor, Deutschland prüft ebenfalls

Für die Periode von 2021 bis 2024 hat die EU in ihrem Haushalt Mittel in der Höhe von 1,177 Milliarden Euro für die Palästinensergebiete vorgesehen. Österreichs Außenminister Alexander Schallenberg gab am Montag bekannt, dass sein Land alle Entwicklungsprojekte auf Eis legen wird. Konkret geht es um Mittel in der Höhe von knapp 20 Millionen Euro. In Berlin verkündete die Entwicklungsministerin Svenja Schulze, Deutschland werde ebenfalls die Geldhilfen überprüfen.

Die EU und ihre Mitgliedstaaten sind zwar vor den USA und den Golfstaaten mit Abstand die größten Geldgeber der Palästinenser. Doch der politische Einfluss der Europäer hält sich in Grenzen. Nicht zuletzt, weil die EU-Staaten sich zum Nahostkonflikt in der Regel nur auf den kleinsten gemeinsamen Nenner einigen können. So versuchte auch EU-Rats-Präsident Charles Michel am Wochenende in einer ersten Reaktion den Spagat und warnte vage vor einer “weiteren Eskalation”, um gleichzeitig Israels Recht auf Selbstverteidigung zu betonen.

Mehrere EU-Mitglieder kritisieren das Aussetzen der Geldzahlungen

Das kommunikative Chaos zur Zukunft der EU-Mittel für die Palästinenser fügte sich da nahtlos ins Bild. Die von Oliver Varhelyi angekündigte Aussetzung der Zahlungen wirkte am Abend wie ein Alleingang, wobei die EU-Kommission nach der Konfusion mit einer Mitteilung um Schadensbegrenzung bemüht schien. Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn hatte zuvor das Aussetzen der Zahlungen als falsch kritisiert, da damit die gesamte palästinensische Bevölkerung bestraft werde.

Auch Spanien und Irland sollen mit der Entscheidung nicht zufrieden sein, so Diplomaten. Zuständig für die Entscheidung seien zudem ausschließlich die Außenminister, betonte Asselborn. Diese sollen sich heute in Omans Hauptstadt Muskat am Rande eines ohnehin geplanten Treffens von Vertretern der Golfstaaten und der EU beraten. Amtskollegen, die nicht vor Ort sind, sollen sich per Video zuschalten können.

Nach dem Alleingang des ungarischen Kommissars war vorerst unklar, welche Mittel genau betroffen sein sollen. Die EU werde die humanitäre Hilfe für die Palästinenser fortsetzen, solange es nötig sei, entgegnete der zuständige EU-Kommissar Janez Lenarčić ebenfalls auf dem Portal X. Auch wenn er den Terroranschlag von Hamas aufs Schärfste verurteile, sei es wichtig, Zivilisten zu schützen und humanitäres Recht zu respektieren. Es kommt selten vor, dass EU-Kommissare über soziale Medien einen Schlagabtausch führen. Die Überprüfung betreffe nicht die humanitäre Hilfe, stellte die EU-Kommission am Abend klar.

EU-Abgeordnete stützen überwiegend das Aussetzen der Zahlungen

Aus dem EU-Parlament war das Echo auf das Einfrieren der Gelder vorwiegend positiv. “Die Entscheidung der EU-Kommission, in einem ersten Schritt zunächst alle Zahlungen einzufrieren und die finanzielle Unterstützung der palästinensischen Gebiete sorgsam zu prüfen, ist richtig”, schrieb der Sprecher der Grünen Europagruppe Rasmus Andresen. Es brauche humanitäre Hilfe, aber die EU dürfe weder direkt noch indirekt Terror finanzieren.

Auch die konservative EU-Abgeordnete Monika Holmeier (CSU) fordert, dass die Zahlungen eingefroren werden, bis der Terror gegen Israel aufhört und eine verantwortungsvolle Hilfe für humanitäre Zwecke gesichert werden könne. Die palästinensische Autonomiebehörde habe hier bisher zu wenig Offenheit und Transparenz gezeigt. Die Ankündigung, alle EU-Gelder für die Palästinenser einzufrieren, sei das “einzig richtige Signal in diesen schweren Stunden für Israel”, so ebenfalls Niclas Herbst (CDU), stellvertretender Vorsitzender des Haushaltsausschusses im EU-Parlament.

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Digitale Funkgeräte für das Heer: “Weder Debakel noch Desaster”

Generalleutnant Michael Vetter ist Leiter der Abteilung Cyber- und Informationstechnik im Verteidigungsministerium.

Herr Vetter, Sie sind für die Digitalisierung Landbasierter Operationen, kurz D-LBO, zuständig. Was ist da passiert mit den digitalen Funkgeräten, die angeblich nicht in die Fahrzeuge passen? 

Was aktuell medial diskutiert wird, dass die beschafften Funkgeräte nicht in die Fahrzeuge passen, ist in wesentlichen Teilen falsch. Es ist auch nicht so, dass der eine etwas gekauft hat und der andere dann überrascht war, was er in Fahrzeuge einbauen lassen muss. Das Rüstungsprogramm D-LBO beschäftigt uns schon seit einigen Jahren; die vorbereitenden Abstimmungen zur Integration der digitalen Führungsfunksysteme wird seit einigen Jahren innerhalb der verschiedenen Abteilungen im BAAINBw (Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr, Anm. d. Red.), aber auch mit dem Heer als Hauptnutzer abgestimmt. Gerade die Passgenauigkeit war von Anfang an ein entscheidendes Thema. Aber es stimmt, dass es Verzögerungen bei der Integration in die verschiedenen Fahrzeugtypen gibt. 

Erstmal zu den Geräten. Passen sie denn in die Fahrzeuge?  

Bevor die Fahrzeuge serienmäßig auf die digitalen Funkgeräte umgerüstet werden können, muss eine sogenannte Musterintegration für jeden einzelnen Fahrzeugtyp durch die Hersteller stattfinden. Dabei werden verschiedene Dinge geprüft, zum Beispiel die elektromagnetische Verträglichkeit, also stört dieses Funkgerät vielleicht ein anderes System? Passt die Energiebilanz oder muss da gegebenenfalls eine stärkere Lichtmaschine rein? Passt das mit der Wärmeabgabe? Am Ende der Musterintegration gibt es dann eine Genehmigung zur Nutzung und eine Art “Bauanleitung”. Dort steht drin, das Funkgerät kann eingebaut werden, es muss mit folgenden Steckern in folgender Konfiguration an folgendem Ort eingebaut werden.  

Erkennt man das nicht vorher, die technischen Details von Funkgerät und Fahrzeug sind doch bekannt? 

Leider nicht. Das kann man wirklich erst sehen, wenn man es tatsächlich eingebaut hat. Und wenn etwas nicht passt, dann gibt es ja auch Handlungsmöglichkeiten. Man kann beispielsweise am Funkgerät die Leistung regulieren und unter Umständen gibt es einen Quick fix nach dem Motto ‘Das Funkgerät passt rein, aber man reduziert die Leistung.’ Was völlig in Ordnung ist. Worauf wir aber geachtet haben ist, dass die neuen Systeme in den Bauraum der aktuell eingebauten Funkgeräte passen.  

Zu den Verzögerungen: Worin liegen diese begründet? Und liegen die Geräte nun wirklich in Depots und verstauben? 

Es gibt zwei wesentliche Gründe für die Verzögerung. Die Abstimmung zwischen dem Heer und dem BAAINBw darüber, wann welches Fahrzeug dafür zur Verfügung steht, hat länger gedauert. Zum einen, weil wir in großem Umfang Fahrzeuge an die Ukraine abgegeben haben. Und zum anderen haben wir nun mal die Situation, dass das Heer immer noch keine Vollausstattung hat. Dort muss man genau schauen, wann welches Fahrzeug entbehrt werden kann, um trotzdem noch die Einsatzverpflichtungen und die notwendige Ausbildung erfüllen zu können. Daher mussten diese Listen laufend angepasst werden. 

Und der zweite Grund? 

Durch diese Verzögerung aufseiten der Bundeswehr hat sich auch die Aufforderung zur Abgabe eines Angebotes an die Fahrzeughersteller zur Integration verzögert. Das ist erst im Juni de facto erfolgt. Die Hersteller haben dann gemeldet, dass sie sich extrem schwertun, ein Angebot abzugeben, weil deren Kapazitäten knapp sind und weil es auch auf Industrieseite gilt, eine Vielzahl an Beteiligten zu koordinieren. Sie müssen sich die Dimension der Aufgabe vergegenwärtigen. Es müssen an rund 200 verschiedenen Fahrzeugtypen – vom Kampfpanzer bis zum Sanitätsfahrzeug – Musterintegrationen durchgeführt werden und dies in schnellstmöglicher Zeit. So bekommen wir das Angebot der Hersteller wahrscheinlich erst im Oktober, der Vertragsschluss zur Integration verschiebt sich ins Jahr 2024. 

Über wie viel Verzögerung reden wir insgesamt? 

Die schlussendliche Verzögerung wird etwa zwei Jahre betragen. Das heißt, aus einer großflächigen Umrüstung in 2025 wird dann eher 2027. Aber wir haben weder ein Debakel, dass die Funkgeräte nicht reinpassen, noch ein Desaster, dass wir quasi vor “brennenden Ruinen” stehen. Wir haben eine Verzögerung im Projekt, das ist richtig. Das ist nicht schön und das finde ich auch nicht gut. Wir müssen aber eben auch feststellen, dass wir nicht gut genug an den Übergabepunkten waren. Aber mit Blick auf die Komplexität ist es jetzt nicht so, dass das System komplett versagt hat.  

Was passiert mit den Geräten zwischenzeitlich? 

Wir haben genug Funkgeräte im Depot liegen, um mit den Musterintegrationen anfangen zu können, wenn die Verträge hierzu geschlossen sind. Wir brauchen übrigens auch Geräte für die Ausbildung und die IT-Integration. Und dadurch, dass die Firma vertragsgemäß weiter liefert, werden wir auch immer Funkgeräte haben, um dann möglichst direkt in die Serienintegration zu gehen. Wir brauchen also immer eine gewisse Anzahl an Geräten, um die logistische Kette für die Integration zu bedienen. Die Aussage, da liegen die Funkgeräte im Depot und verstauben, ist, Entschuldigung, dummes Zeug. 

Die Funkgeräte waren 40 Jahre alt, auch in vielen anderen Bereichen hat die Bundeswehr nicht das Image der digitalsten Armee. Wie kommt das? 

In den letzten 30 Jahren hat die Bundeswehr in diesem Bereich gespart – sie hat sparen müssen. Wir haben viele Investitionen in die Zukunft verschoben. Der Verteidigungsetat lag vor zehn Jahren bei rund 30 Milliarden Euro, wir waren in zahlreichen internationalen Einsätzen gebunden, so in Afghanistan oder in Mali. Unsere Soldatinnen und Soldaten dort mussten vorrangig mit geschützten Fahrzeugen ausgestattet werden. Wir hatten gleichzeitig große Rüstungsprogramme wie den Eurofighter, die A400M, die Fregatte 124, um nur einige wenige zu nennen, die das investive Budget weitgehend aufgefressen haben.  

Und da wurden dann Entscheidungen wie die Digitalisierung der Streitkräfte zunächst mal nach hinten geschoben. Jetzt haben wir mehr als neun Milliarden Euro aus dem Sondervermögen für den Bereich Digitalisierung Landbasierter Operationen, 21 Milliarden insgesamt für die Dimension Führungsfähigkeit und Digitalisierung. Damit können wir die gesamte Funktionskette von der IT-Infrastruktur in Deutschland, über die strategische Anbindung, beispielsweise über moderne Kommunikationssatelliten, bis hin zum abgesessenen Soldaten im Feld durchdigitalisieren. Das ist eine riesige Chance, in diesem Bereich sehr deutlich nach vorne zu kommen und es ist dringend notwendig.  

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  • Bundeswehr
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News

Bundeswehr schickt wieder Einsatztruppe ins Kosovo

Mehr als fünf Jahre nach der Reduzierung der Bundeswehrtruppen im Kosovo will sich Deutschland wieder stärker militärisch in der ehemaligen serbischen Provinz engagieren. Ab April kommenden Jahres werde eine deutsche Kompanie mit gut 150 Soldaten und Soldatinnen eine österreichische Einheit in der Nato-geführten Kosovo-Schutztruppe Kfor ablösen, teilte das Verteidigungsministerium vergangene Woche mit. Die langfristige deutsche Verstärkung stehe allerdings nicht in Zusammenhang mit den jüngsten Auseinandersetzungen zwischen Serben und Kosovaren im Norden des Landes.

In dem inzwischen am längsten dauernden Auslandseinsatz der Bundeswehr hatte Deutschland seit dem Einmarsch der Nato-Truppen in die damalige serbische Unruheprovinz 1999 über Jahre auch Einsatztruppen gestellt. Mitte 2018 wurde die deutsche Präsenz deutlich reduziert, als eine gemeinsame Eingreiftruppe aus deutschen und österreichischen Soldaten diese Aufgabe an andere Nato-Länder abgab. Seitdem sind rund 85 deutsche Soldatinnen und Soldaten im Kosovo stationiert, überwiegend für Stabs- und Unterstützungsaufgaben. Die im kommenden Jahr vorgesehene neue Kompanie soll dagegen vor allem Soldaten umfassen, die zum Vorgehen gegen gewalttätige Demonstranten ausgebildet sind, die sogenannte Crowd and Riot Control.

Vor dem Hintergrund der gewaltsamen Zusammenstöße zwischen kosovarischen Sicherheitskräften und vermutlich serbisch unterstützten Milizen in den vergangenen Wochen hatte die Nato kurzfristig ihre Eingreifreserve im Kosovo verstärkt. Unter anderem wurden rund 200 zusätzliche britische Soldaten verlegt; Rumänien kündigte ebenfalls Truppen zur Verstärkung an. Die Spannungen wurden durch einen serbischen Militäraufmarsch an der Grenze zum Kosovo verschärft. Die Regierung in Belgrad zog ihre Soldaten allerdings nach deutlichen Warnungen der USA wieder ab. tw

Nordkorea bereitet Güterzüge nach Russland vor

Die “Brücke der Freundschaft” über den Fluss Tjumen im Fernen Osten könnte schon bald wichtige Dienste für Nordkorea und Russland leisten. Über die Eisenbahnbrücke würden schon bald mehr Güterzüge rollen und möglicherweise Waffen und Munition transportiert werden. Das ist die Vermutung des US-Think-Tanks CSIS, der auf dem Portal Beyond Parallel die starke Zunahme von Güterwaggons auf dem nordkoreanischen Grenzbahnhof Tumangang analysiert.

Auf Satellitenbildern sei aktuell mehr Betrieb zu erkennen als jemals in den vergangenen fünf Jahren, stellen die Forschenden fest. Dass Nordkorea Russland mit Waffen und Munition für den Krieg gegen die Ukraine versorgen könnte oder bereits versorgt, wird schon seit Monaten vermutet. Die abgedeckten Container, die auf den Satellitenbildern zu erkennen sind, erlauben jedoch keinen Rückschluss auf den Inhalt.

Die neue Geschäftigkeit auf dem Grenzbahnhof schließt an den Staatsbesuch von Kim Jong-Un Mitte September in Russland an. Sein Programm enthielt den Besuch des Weltraumbahnhofs Wostotschny, Waffenschau sowie Treffen mit Rüstungsherstellern. Kim versteht es, die internationale Isolation Russlands für sich zu nutzen und durch die aufgewärmte Partnerschaft die eigene Isolation aufzubrechen. Bei seinem Besuch in Russland betonte er stärker als der russische Präsident Wladimir Putin die “strategisch-taktische Kooperation”. Putin sprach von “Kameradschaft und guter Nachbarschaft”. Für Pjöngjang könnte die neue Nähe ein größerer Vorteil sein als für Moskau, weil es mehr Sicherheit bedeute. Zugleich würde das den Bruch von UN-Sanktionen gegen die Atommacht Nordkorea bedeuten, betont der Analyst Artyom Lukin auf 38North.org. vf

  • Geopolitik
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  • Rüstung

Presseschau

The New York Times – ‘There Were Terrorists Inside’: How Hamas’s Attack on Israel Unfolded. 13 Überlebende und Zeugen der Hamas-Angriffe schildern, wie sie sich teils stundenlang versteckt haben, während palästinensische Angreifer mit Raketenwerfern durch israelische Wohnvierteln zogen. Schockierende Reportage aus dem Süden Israels nach den Angriffen aus dem Gaza-Streifen.

World Politics Review – The War in Ukraine Is Fraying the Global Security Order. Mit Russlands Einmarsch in die Ukraine könne man am “Ende vom Ende der Geschichte” stehen, so die These von Paul Poast. Auch im Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan könne Russland keine konstruktive Rolle spielen und der Westen sei in der Ukraine gebunden, sodass er in anderen Krisen schlechter intervenieren könne. Ein Zusammenbruch der internationalen Ordnung drohe.

FT – Military briefing: the advance of Ukraine’s ‘mosquito navy’. Nur wenige Soldaten, westliche Aufklärung, Drohnen und kleine Boote – das sind die Bausteine des bisher erfolgreichen ukrainischen Vorgehens gegen die russische Marine im Schwarzen Meer. Die Folge: Russland zieht sich auf dem Wasser erst einmal zurück.

Ifri – Die Zeitenwende aus französischer Perspektive. Die Studie schaut auf die deutsche Zeitenwende, schlussfolgert, was das für Frankreich bedeutet und erklärt, warum deutsch-französische Rüstungsprojekte oft scheitern. In einem Interview zur Studie sagt Élie Tenenbaum, Direktor des Zentrums für Sicherheitsstudien des französischen Thinktanks, Deutschland wolle “die Bundeswehr eher zu einem militärischen Integrator als zu einer echten Armee” machen.

Neue Zürcher Zeitung – Deutschland und Frankreich – Geblieben ist ein einziges echtes Gemeinschaftsprojekt. Und etwas kompakter: Vor sechs Jahren wollte die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron die deutsch-französische Rüstungszusammenarbeit neu beleben. Die NZZ liefert eine Zusammenfassung, was aus den Projekten geworden ist.

Standpunkt

Ein Tag nur für Veteranen

Von Bernhard Drescher
Bernhard Drescher ist Vorsitzender des Bundesverbandes Deutscher Einsatz-Veteranen.

Zweifelsohne hat jeder, der seinen Dienst in der Bundeswehr geleistet hat, Respekt und Wertschätzung verdient. Für die aktiven Soldaten geschieht das unter anderem am Tag der Bundeswehr, für die gefallenen Soldaten am Volkstrauertag, an dem inzwischen auch der Gefallenen der Bundeswehr gedacht wird.

Nicht berücksichtigt werden in Deutschland weiterhin die Veteranen, die in den USA und Großbritannien definiert werden als aus dem Dienst entlassene Angehörige der Streitkräfte. Sprachlich wird anderswo auch zwischen Veteranen und Combat-Veteranen unterschieden, in Dänemark und Frankreich wiederum wird der Begriff ausschließlich für die Teilnahme an einem Konflikt oder an einem Auslandseinsatz verwendet. “Unter Kriegsbedingungen gedient” zu haben, ist in den Niederlanden Voraussetzung, um als Veteran bezeichnet zu werden. Diese Definitionen orientieren sich also an der Wortbedeutung und spiegeln eine erforderliche militärische Erfahrung als Grundlage wider.

Gleichmacherei zwischen Reservisten, Veteranen und Aktiven

Dieser Grundsatz sollte auch in Deutschland gelten, damit Soldaten und Veteranen nicht als “Veteranen light” der Lächerlichkeit preisgegeben werden und ein nun wieder diskutierter Veteranentag nicht zur Farce wird. Doch dem ist leider nicht der Fall, im Gegenteil: Hier gilt jeder Soldat als Veteran, unabhängig davon, ob aktiv oder ehemalig, sodass auch Reservisten darunterfallen – oder neue Rekruten, die gerade erstmalig das Kasernentor durchschreiten.

Damit wurden völlig unterschiedliche Statusgruppen hinsichtlich sozialer Sicherheit, Versorgungs- und Fürsorgebedarf sowie Betreuungsansprüchen zusammengefasst. Und – wichtiger noch – zwischen unterschiedlichen militärischen Lebensleistungen und Lebensrisiken wird nicht differenziert. Das liegt daran, dass Veteranenverbänden nicht an einer adäquaten Definition des Veteranen beteiligt wurden. Eigentlich hätte man im Zuge dieser Gleichmacherei auch den Begriff des Soldaten und des Reservisten konsequenterweise abschaffen müssen. Es sollte politisch wohl niemand ausgeschlossen werden.

Einsatz unter erheblicher Risiken für Körper und Seele

Das ist ehrenwert, dient jedoch nicht der Einführung eines zielorientierten und wertschätzenden Veteranentags. Aus Sicht des Bundes Deutscher Einsatz-Veteranen müsste sich ein Veteranentag zwingend auf Einsatzteilnehmer, auf Einsatzverwundete und allgemein auf “Altgediente”, also ehemalige Soldaten, sowie deren Familien konzentrieren. Einsatzteilnehmer haben mit Waffe in der Hand und schmutzigen Stiefeln für unsere Werte auf fremden Boden gestanden, sind persönlich erhebliche Risiken für Körper und Seele eingegangen und haben auf ihr soziales Leben mit allen Konsequenzen verzichtet. Das verdient ganz besondere Anerkennung.

Ehemalige Soldaten haben ebenso langjährig, manche ein Leben lang, ihre Pflicht mit allen Härten des Berufes an der Gesellschaft erfüllt. Auch ihnen gebührt ein nachhaltiger Dank der Gesellschaft im Rahmen eines Veteranentags. Ein “Danke für Ihren Dienst” auf der Straße hingegen sollte alle Soldaten erreichen.

Verteidigungsausschuss sollte die Definition “Veteran” klären

Es wäre deshalb zielgerichtet, wenn sich der Verteidigungsausschuss zunächst mit der Definition, anstatt mit der Einbeziehung von Einsatzkräften anderer Ressorts oder Wohltätigkeitsorganisationen in einen Veteranentag auseinandersetzt. Die Frage, um wen es geht, ist elementar. Die Verwässerungen – wie in einigen politischen Äußerungen bereits jetzt erkennbar – sollten ein klares Ende nehmen.

Aus diesem Grunde sollte die Veteranendefinition, analog zu verbündeten Nationen wie folgt geändert werden, damit der Veteranentag zu einem allseits anerkannten Ereignis und Baustein in einer sinnvollen Veteranenpolitik und gelebter Veteranenkultur werden kann:

“Veteran ist, wer aus der aktiven Dienstzeit ehrenhaft entlassen wurde. Einsatzveteran ist, wer als aktiver Soldat, ehemaliger Soldat oder Zivilbediensteter an einem Auslandseinsatz oder einer einsatzgleichen Verpflichtung der Bundeswehr teilgenommen hat.”

Definition und Veteranentag dürfen jedoch nicht alleine stehen, dürfen nicht zur Symbolpolitik verfallen. Die Erarbeitung einer umfassenden Veteranenpolitik – auch als Rahmen für eine gelebte Veteranenkultur – muss konsequent erfolgen: durch Wertschätzung, Versorgung, Fürsorge, Betreuung, Identitätsbildung und der gesellschaftlichen Einbindung von Veteranen und Einsatzveteranen. Hierbei sollten die Politik und auch die Bundeswehr zukünftig vermehrt über den Kasernenzaun schauen: Die unsichtbaren Veteranen befinden sich in der Zivilgesellschaft und nicht auf dem Kasernenhof.

Bernhard Drescher ist Bundesvorsitzender des “Bundes Deutscher EinsatzVeteranen e.V.” Der Verein fordert die nachhaltige Sicherung der Versorgung und die Verbesserung der Betreuung für einsatzbelastete Veteranen der Bundeswehr.

  • Bundeswehr

Dessert

Helfer tragen eine schwangere Frau in Mariupol.

Mstyslav Chernov und seine Kolleginnen und Kollegen der Nachrichtenagentur AP waren die einzigen, die im Februar und März 2022 im ukrainischen Mariupol waren, als die russische Armee die Stadt umzingelte. In seinem Film “20 Days of Mariupol” erzählt Chernov von dieser Zeit. Entstanden ist eine Dokumentation von russischen Kriegsverbrechen und ein eindrucksvolles visuelles Werk. Der Film eröffnet am 11. Oktober das Human Rights Film Festival in Berlin. Table.Media hat vorab mit Mstyslav Chernov gesprochen, der zur Filmvorführung aus dem Donbas anreist. “Beim Schneiden des Films war der schwierigste Teil, den Film nicht zu steril zu machen, ihn nicht von der Realität zu entfernen. Wir wollten zeigen, wie es für die Menschen war, in dieser Falle aus Gewalt gefangen zu sein. Zugleich mussten wir darauf achten, den Film nicht zu überladen, damit die Zuschauer nicht gefühlstaub werden”, erzählte Chernov. Das vollständige Interview lesen Sie hier. Zum Programm des mehrtägigen Film-Festivals gelangen Sie hier. 

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Security.Table Redaktion

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    von Pogromen auf israelischem Boden sprechen Bewohner des Judenstaats nach dem verlustreichsten Wochenende in Jahrzehnten. Allein 260 Besucher eines Musikfvestivals in Re’im am Rande des Gazastreifens wurden von Kämpfern der Hamas im Morgengrauen massakriert. 130 Israelis sollen zudem von Islamischem Dschihad und Hamas als Geiseln in den Gazastreifen verschleppt worden sein. Am Montagabend drohte ein Hamas-Sprecher damit, einzelne Gefangene zu töten, sollte die israelische Luftwaffe ihre Bombardements ziviler Ziele ohne Vorwarnung fortsetzen.

    Der Frage, wie es der Islamistenmiliz gelingen konnte, Israels Sicherheitsapparat derart zu überrumpeln, gehe ich in unserer ersten Analyse nach. Dass Geheimdienste, Armee und Polizei vor einer Zäsur stehen, ist schon am Morgen des vierten Kriegstags unbestritten auch wenn in Rekordgeschwindigkeit inzwischen 300.000 Reservisten einberufen worden sind. Auf mindestens 28 Tage fern von zu Hause müssten sie sich einstellen, heißt es seitens ihrer Kommandeure.

    Einen Wendepunkt stellt das Ausmaß des Terrors gegen Israel auch für die Europäische Union dar. Nun soll rasch überprüft werden, ob Zahlungen an die Palästinenser eingestellt werden. Das Vorpreschen des Erweiterungskommissars Olivér Várhelyi in dieser Frage am Montag sorgte für Verwirrung. Stephan Israel hat die Diskussion in Brüssel zusammengefasst.

    Länger warten als erwartet muss die Bundeswehr auf neue digitale Funkgeräte. Das hat der dafür zuständige Abteilungsleiter im Verteidigungsministerium Lisa-Martina Klein erzählt. Weil die technische Komplexität bei der Umrüstung unterschätzt worden sei, könnten die Geräte erst 2027, nicht bereits 2025, eingebaut werden, so Generalleutnant Michael Vetter im Interview.

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    Wie die Hamas Israels Sicherheitsapparat überrumpelte

    Am Montagmittag funktionierte Iron Dome so wie es sollte: An der Grenze zum Libanon fing eine mobile Batterie des bodengestützten Abwehrsystems der Israel Defense Forces (IDF) elf Raketen ab, die aus dem nördlichen Nachbarland abgeschossen worden waren. Eine zwölfte landete in einem Feld unweit der israelischen Siedlung Shtula, ohne Schaden anzurichten. Nicht weit davon töteten IDF-Soldaten zwei über die Grenze gekommene bewaffnete Eindringlinge – der auch im Libanon aktive Hamas-Verbündete Islamischer Dschihad hatte so versucht, eine neue Front aufzumachen.

    200 Kilometer weiter südlich von Shtula sah das Lagebild am Samstag anders aus, ganz anders: Innerhalb weniger Minuten feuerten Kämpfer der islamistischen Palästinensermiliz Hamas mehr als 2500 Raketen in Gemeinden rund um den Gazastreifen ab – und überforderten die Tamir-Interzeptoren von Iron Dome offenbar so sehr, dass das System auf das Sperrfeuer aus Gaza nicht schnell genug reagieren konnte. Zeitgleich durchbrachen Hamas-Kämpfer den Sperrzaun zum israelischen Kernland an etlichen Stellen, indem sie diesen zunächst mit Gleitschirmen überflogen und dann mit Sprengstoff zerstörten, ehe Bulldozer die Durchbrüche erweiterten.

    Cyber-Attacke auf Armeezentrale

    Rund tausend Mann gelang es so zwischen sechs und sieben Uhr morgens, in 22 südisraelische Gemeinden und Kibbuzim einzudringen, teils mehr als zwanzig Kilometer vom Gazastreifen entfernt. Eines ihrer ersten Ziele war das Hauptquartier des Gaza-Kommandos der israelischen Armee, dessen Kommunikationseinrichtungen mit einer Cyber-Attacke lahmgelegt wurde. Damit war schnelle Gegenwehr vorerst ausgeschlossen, berichtet die Nachrichtenagentur Reuters unter Berufung auf der Hamas-Führung nahestehende Quellen. Mehr als zwei Jahre lang soll dieses Vorgehen trainiert worden – und in enger Absprache mit Kommandeuren der iranischen Revolutionsgarden Ende September in Beirut beschlossen worden sein. Die größte Schwierigkeit für die Hamas-Führung dürfte darin bestanden haben, Details der Operation Al-Aqsa-Sturm bei der Weitergabe der Befehle zu verschleiern.

    Fachleute glauben, dass Iron Dome nicht auf die Wirkung des neuen Hamas-Raketensystems Rajum vorbereitet war, sodass dem Artillerieangriff mit den 114-Millimeter-Geschossen das Vorrücken zu Lande und zu Wasser und in der Luft folgen konnte – wie aus dem Lehrbuch. Außerdem soll die Hamas kleine Drohnen eingesetzt haben, die Munition auf israelische Militärstellungen rund um den Gazastreifen abwarf. Armee und Polizei traf der Überfall von Hunderten Hamas-Kämpfern, die in Geländewagen und auf Motorrädern, sowie mit Gleitschirmen ausschwärmten, völlig überraschend.

    Begünstigt wurde der Überfall durch das lange Netz an Tunneln, in die sich die Hamas-Führung zurückgezogen hat. Dort waren Ortung und Signalerfassung, wie sie die israelischen Nachrichtendienste betreiben, nicht möglich.

    Größte Mobilmachung in der Geschichte Israels

    Neben fehlender Aufklärung über die Angriffspläne lag das auch daran, dass der Angriff an einem Schabbat-Morgen stattfand, zumal am jüdischen Feiertag Simchat Tora. Das Trauma des Jom-Kippur-Kriegs von Oktober 1973, den syrische und ägyptische Truppen vor genau fünfzig Jahren ebenfalls an einem Samstagmorgen begannen, lebt dadurch wieder auf. Schlimmer noch: Jahrzehnte der Aufrüstung haben Israel offenbar nicht weniger verwundbar gemacht, auch wenn der Angriff am Wochenende nicht durch staatliche Armeen, sondern durch die semistaatlichen Einheiten der Hamas-Führung erfolgte.

    Insofern hat Ministerpräsident Benjamin Netanjahu Recht, als er am Montag sagte, dass die israelische Gegenreaktion “den Nahen Osten verändern” werde. Schon am Morgen des vierten Kriegstags stellt die bewaffnete Auseinandersetzung mit der Hamas eine Zäsur in der Geschichte der Konflikts dar: 800 Tote in dreißig Stunden auf israelischer Seite und mehr als 560 auf palästinensischer gab es noch nie. In den 33 Tagen des Zweiten Libanon-Kriegs 2006 verloren 1.500 Menschen ihr Leben, in den 44 Tagen Gaza-Krieg 2014 mehr als 2.200, darunter siebzig Israelis.

    Auch Massaker wie das an den bis zu 260 Teilnehmenden eines Festivals nahe Re’im dürften dazu führen, dass es in den kommenden Monaten zu einer grundlegenden Überarbeitung der israelischen Abschreckungsdoktrin kommen wird. Wechselnde israelische Regierungen hatten in der inzwischen 16 Jahre dauernden Abriegelung des Gazastreifens zuletzt darauf gesetzt, durch die Vergabe von Arbeitsvisa in Israel auf sozioökonomische Stabilität als Lockmittel für die Hamas zu setzen. In dieser Strategie bestärkt wurde die israelische Regierung auch dadurch, dass die Hamas sich im Mai Raketenbeschuss israelischer Dörfer durch den Islamischen Dschihad nicht anschloss. Verteidigungsminister Joaw Galant und die Armeeführung um Generalstabschef Aviv Kochavi verleitete das offenbar zu der falschen Annahme, dass die Hamas an einem bewaffneten Konflikt nicht interessiert sei.

    Verhandlungen über Einheitsregierung in Jerusalem

    Diesen Trugschluss hat die Armeeführung nun korrigiert – die Mobilmachung von 300.000 Reservisten ist die größte in der israelischen Geschichte und deutet auf eine Bodenoffensive im Gazastreifen hin. “Der Preis, den der Gazastreifen zahlen wird, wird sehr hoch sein und die Realität für Generationen verändern”, sagte Verteidigungsminister Yoav Gallant am Montag in Ofakim, einer der angegriffenen Städte im Süden des Landes. Gallant kündigte die vollständige Abriegelung des Gazastreifen an: “Kein Strom, keine Lebensmittel, kein Gas, alles ist geschlossen. Wir kämpfen gegen menschliche Tiere und verhalten uns entsprechend.”

    Regierungschef Netanjahu nahm derweil Verhandlungen mit dem früheren Verteidigungsminister und Oppositionsführer Benny Gantz über die Bildung einer Einheitsregierung auf. Der allerdings fordert, dass Netanjahus rechtsextremen Verbündete, Itamar Ben-Gvir und Bezalel Smotrich, bis zum Ende des Krieges ihre Funktionen als Minister für Nationale Sicherheit und Zuständiger für die Ziviladministration im Westjordanland ruhen lassen. Weder Ben-Gvir noch Smotrich haben in der Armee gedient.

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    EU-Mitglieder uneins über Zahlungen an Palästinenser

    Wird die EU nach dem Großangriff von Hamas auf Israel ihre Zahlungen an die Palästinenser überprüfen? Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell habe ein Krisentreffen der Außenminister einberufen, um genau diese Frage und die nächsten Schritte zu diskutieren, sagte am Montagmittag ein Kommissionssprecher. Und im Übrigen finanziere die EU in keiner Weise die Terrororganisation Hamas oder deren Aktivitäten.

    Nur wenige Stunden später eine überraschende Wendung: Der Grad an Terror und Brutalität gegen Israel und seine Bevölkerung sei ein Wendepunkt, verkündete EU-Kommissar Oliver Varhelyi auf dem Nachrichtendienst X. Es könne kein “Business as usual” geben. Die EU-Kommission werde ihr gesamtes “Portfolio” im Wert von immerhin 691 Millionen Euro evaluieren. Alle Zahlungen würden mit sofortiger Wirkung gestoppt, alle Projekte und Budgethilfen überprüft, so der Kommissar, zuständig für Erweiterung und Nachbarschaft.

    Am Abend dann eine Präzisierung: Die Kommission starte eine dringliche Überprüfung, so schnell wie möglich und in Koordination mit den Mitgliedstaaten. Da im Moment keine Zahlungen vorgesehen seien, werde es in der Zwischenzeit auch keine Suspendierung geben.

    Die EU hatte die Zahlungen 2021 schon einmal ausgesetzt, und zwar im Streit um die Finanzierung von palästinensischen Schulbüchern, in denen Hass auf Juden propagiert und zur Gewalt gegen Israel angestachelt wurde. Zeitweise gingen den Krankenhäusern die Medikamente aus, Erkrankte konnten nicht mehr behandelt werden. Erst ein Jahr später wurden die Mittel dann freigegeben. Die EU finanziert unter anderem Beamtengehälter und Renten bei der palästinensischen Autonomiebehörde in Ramallah, aber auch den Ausbau der Wasserversorgung in Gaza.

    Österreich prescht vor, Deutschland prüft ebenfalls

    Für die Periode von 2021 bis 2024 hat die EU in ihrem Haushalt Mittel in der Höhe von 1,177 Milliarden Euro für die Palästinensergebiete vorgesehen. Österreichs Außenminister Alexander Schallenberg gab am Montag bekannt, dass sein Land alle Entwicklungsprojekte auf Eis legen wird. Konkret geht es um Mittel in der Höhe von knapp 20 Millionen Euro. In Berlin verkündete die Entwicklungsministerin Svenja Schulze, Deutschland werde ebenfalls die Geldhilfen überprüfen.

    Die EU und ihre Mitgliedstaaten sind zwar vor den USA und den Golfstaaten mit Abstand die größten Geldgeber der Palästinenser. Doch der politische Einfluss der Europäer hält sich in Grenzen. Nicht zuletzt, weil die EU-Staaten sich zum Nahostkonflikt in der Regel nur auf den kleinsten gemeinsamen Nenner einigen können. So versuchte auch EU-Rats-Präsident Charles Michel am Wochenende in einer ersten Reaktion den Spagat und warnte vage vor einer “weiteren Eskalation”, um gleichzeitig Israels Recht auf Selbstverteidigung zu betonen.

    Mehrere EU-Mitglieder kritisieren das Aussetzen der Geldzahlungen

    Das kommunikative Chaos zur Zukunft der EU-Mittel für die Palästinenser fügte sich da nahtlos ins Bild. Die von Oliver Varhelyi angekündigte Aussetzung der Zahlungen wirkte am Abend wie ein Alleingang, wobei die EU-Kommission nach der Konfusion mit einer Mitteilung um Schadensbegrenzung bemüht schien. Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn hatte zuvor das Aussetzen der Zahlungen als falsch kritisiert, da damit die gesamte palästinensische Bevölkerung bestraft werde.

    Auch Spanien und Irland sollen mit der Entscheidung nicht zufrieden sein, so Diplomaten. Zuständig für die Entscheidung seien zudem ausschließlich die Außenminister, betonte Asselborn. Diese sollen sich heute in Omans Hauptstadt Muskat am Rande eines ohnehin geplanten Treffens von Vertretern der Golfstaaten und der EU beraten. Amtskollegen, die nicht vor Ort sind, sollen sich per Video zuschalten können.

    Nach dem Alleingang des ungarischen Kommissars war vorerst unklar, welche Mittel genau betroffen sein sollen. Die EU werde die humanitäre Hilfe für die Palästinenser fortsetzen, solange es nötig sei, entgegnete der zuständige EU-Kommissar Janez Lenarčić ebenfalls auf dem Portal X. Auch wenn er den Terroranschlag von Hamas aufs Schärfste verurteile, sei es wichtig, Zivilisten zu schützen und humanitäres Recht zu respektieren. Es kommt selten vor, dass EU-Kommissare über soziale Medien einen Schlagabtausch führen. Die Überprüfung betreffe nicht die humanitäre Hilfe, stellte die EU-Kommission am Abend klar.

    EU-Abgeordnete stützen überwiegend das Aussetzen der Zahlungen

    Aus dem EU-Parlament war das Echo auf das Einfrieren der Gelder vorwiegend positiv. “Die Entscheidung der EU-Kommission, in einem ersten Schritt zunächst alle Zahlungen einzufrieren und die finanzielle Unterstützung der palästinensischen Gebiete sorgsam zu prüfen, ist richtig”, schrieb der Sprecher der Grünen Europagruppe Rasmus Andresen. Es brauche humanitäre Hilfe, aber die EU dürfe weder direkt noch indirekt Terror finanzieren.

    Auch die konservative EU-Abgeordnete Monika Holmeier (CSU) fordert, dass die Zahlungen eingefroren werden, bis der Terror gegen Israel aufhört und eine verantwortungsvolle Hilfe für humanitäre Zwecke gesichert werden könne. Die palästinensische Autonomiebehörde habe hier bisher zu wenig Offenheit und Transparenz gezeigt. Die Ankündigung, alle EU-Gelder für die Palästinenser einzufrieren, sei das “einzig richtige Signal in diesen schweren Stunden für Israel”, so ebenfalls Niclas Herbst (CDU), stellvertretender Vorsitzender des Haushaltsausschusses im EU-Parlament.

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    Digitale Funkgeräte für das Heer: “Weder Debakel noch Desaster”

    Generalleutnant Michael Vetter ist Leiter der Abteilung Cyber- und Informationstechnik im Verteidigungsministerium.

    Herr Vetter, Sie sind für die Digitalisierung Landbasierter Operationen, kurz D-LBO, zuständig. Was ist da passiert mit den digitalen Funkgeräten, die angeblich nicht in die Fahrzeuge passen? 

    Was aktuell medial diskutiert wird, dass die beschafften Funkgeräte nicht in die Fahrzeuge passen, ist in wesentlichen Teilen falsch. Es ist auch nicht so, dass der eine etwas gekauft hat und der andere dann überrascht war, was er in Fahrzeuge einbauen lassen muss. Das Rüstungsprogramm D-LBO beschäftigt uns schon seit einigen Jahren; die vorbereitenden Abstimmungen zur Integration der digitalen Führungsfunksysteme wird seit einigen Jahren innerhalb der verschiedenen Abteilungen im BAAINBw (Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr, Anm. d. Red.), aber auch mit dem Heer als Hauptnutzer abgestimmt. Gerade die Passgenauigkeit war von Anfang an ein entscheidendes Thema. Aber es stimmt, dass es Verzögerungen bei der Integration in die verschiedenen Fahrzeugtypen gibt. 

    Erstmal zu den Geräten. Passen sie denn in die Fahrzeuge?  

    Bevor die Fahrzeuge serienmäßig auf die digitalen Funkgeräte umgerüstet werden können, muss eine sogenannte Musterintegration für jeden einzelnen Fahrzeugtyp durch die Hersteller stattfinden. Dabei werden verschiedene Dinge geprüft, zum Beispiel die elektromagnetische Verträglichkeit, also stört dieses Funkgerät vielleicht ein anderes System? Passt die Energiebilanz oder muss da gegebenenfalls eine stärkere Lichtmaschine rein? Passt das mit der Wärmeabgabe? Am Ende der Musterintegration gibt es dann eine Genehmigung zur Nutzung und eine Art “Bauanleitung”. Dort steht drin, das Funkgerät kann eingebaut werden, es muss mit folgenden Steckern in folgender Konfiguration an folgendem Ort eingebaut werden.  

    Erkennt man das nicht vorher, die technischen Details von Funkgerät und Fahrzeug sind doch bekannt? 

    Leider nicht. Das kann man wirklich erst sehen, wenn man es tatsächlich eingebaut hat. Und wenn etwas nicht passt, dann gibt es ja auch Handlungsmöglichkeiten. Man kann beispielsweise am Funkgerät die Leistung regulieren und unter Umständen gibt es einen Quick fix nach dem Motto ‘Das Funkgerät passt rein, aber man reduziert die Leistung.’ Was völlig in Ordnung ist. Worauf wir aber geachtet haben ist, dass die neuen Systeme in den Bauraum der aktuell eingebauten Funkgeräte passen.  

    Zu den Verzögerungen: Worin liegen diese begründet? Und liegen die Geräte nun wirklich in Depots und verstauben? 

    Es gibt zwei wesentliche Gründe für die Verzögerung. Die Abstimmung zwischen dem Heer und dem BAAINBw darüber, wann welches Fahrzeug dafür zur Verfügung steht, hat länger gedauert. Zum einen, weil wir in großem Umfang Fahrzeuge an die Ukraine abgegeben haben. Und zum anderen haben wir nun mal die Situation, dass das Heer immer noch keine Vollausstattung hat. Dort muss man genau schauen, wann welches Fahrzeug entbehrt werden kann, um trotzdem noch die Einsatzverpflichtungen und die notwendige Ausbildung erfüllen zu können. Daher mussten diese Listen laufend angepasst werden. 

    Und der zweite Grund? 

    Durch diese Verzögerung aufseiten der Bundeswehr hat sich auch die Aufforderung zur Abgabe eines Angebotes an die Fahrzeughersteller zur Integration verzögert. Das ist erst im Juni de facto erfolgt. Die Hersteller haben dann gemeldet, dass sie sich extrem schwertun, ein Angebot abzugeben, weil deren Kapazitäten knapp sind und weil es auch auf Industrieseite gilt, eine Vielzahl an Beteiligten zu koordinieren. Sie müssen sich die Dimension der Aufgabe vergegenwärtigen. Es müssen an rund 200 verschiedenen Fahrzeugtypen – vom Kampfpanzer bis zum Sanitätsfahrzeug – Musterintegrationen durchgeführt werden und dies in schnellstmöglicher Zeit. So bekommen wir das Angebot der Hersteller wahrscheinlich erst im Oktober, der Vertragsschluss zur Integration verschiebt sich ins Jahr 2024. 

    Über wie viel Verzögerung reden wir insgesamt? 

    Die schlussendliche Verzögerung wird etwa zwei Jahre betragen. Das heißt, aus einer großflächigen Umrüstung in 2025 wird dann eher 2027. Aber wir haben weder ein Debakel, dass die Funkgeräte nicht reinpassen, noch ein Desaster, dass wir quasi vor “brennenden Ruinen” stehen. Wir haben eine Verzögerung im Projekt, das ist richtig. Das ist nicht schön und das finde ich auch nicht gut. Wir müssen aber eben auch feststellen, dass wir nicht gut genug an den Übergabepunkten waren. Aber mit Blick auf die Komplexität ist es jetzt nicht so, dass das System komplett versagt hat.  

    Was passiert mit den Geräten zwischenzeitlich? 

    Wir haben genug Funkgeräte im Depot liegen, um mit den Musterintegrationen anfangen zu können, wenn die Verträge hierzu geschlossen sind. Wir brauchen übrigens auch Geräte für die Ausbildung und die IT-Integration. Und dadurch, dass die Firma vertragsgemäß weiter liefert, werden wir auch immer Funkgeräte haben, um dann möglichst direkt in die Serienintegration zu gehen. Wir brauchen also immer eine gewisse Anzahl an Geräten, um die logistische Kette für die Integration zu bedienen. Die Aussage, da liegen die Funkgeräte im Depot und verstauben, ist, Entschuldigung, dummes Zeug. 

    Die Funkgeräte waren 40 Jahre alt, auch in vielen anderen Bereichen hat die Bundeswehr nicht das Image der digitalsten Armee. Wie kommt das? 

    In den letzten 30 Jahren hat die Bundeswehr in diesem Bereich gespart – sie hat sparen müssen. Wir haben viele Investitionen in die Zukunft verschoben. Der Verteidigungsetat lag vor zehn Jahren bei rund 30 Milliarden Euro, wir waren in zahlreichen internationalen Einsätzen gebunden, so in Afghanistan oder in Mali. Unsere Soldatinnen und Soldaten dort mussten vorrangig mit geschützten Fahrzeugen ausgestattet werden. Wir hatten gleichzeitig große Rüstungsprogramme wie den Eurofighter, die A400M, die Fregatte 124, um nur einige wenige zu nennen, die das investive Budget weitgehend aufgefressen haben.  

    Und da wurden dann Entscheidungen wie die Digitalisierung der Streitkräfte zunächst mal nach hinten geschoben. Jetzt haben wir mehr als neun Milliarden Euro aus dem Sondervermögen für den Bereich Digitalisierung Landbasierter Operationen, 21 Milliarden insgesamt für die Dimension Führungsfähigkeit und Digitalisierung. Damit können wir die gesamte Funktionskette von der IT-Infrastruktur in Deutschland, über die strategische Anbindung, beispielsweise über moderne Kommunikationssatelliten, bis hin zum abgesessenen Soldaten im Feld durchdigitalisieren. Das ist eine riesige Chance, in diesem Bereich sehr deutlich nach vorne zu kommen und es ist dringend notwendig.  

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    News

    Bundeswehr schickt wieder Einsatztruppe ins Kosovo

    Mehr als fünf Jahre nach der Reduzierung der Bundeswehrtruppen im Kosovo will sich Deutschland wieder stärker militärisch in der ehemaligen serbischen Provinz engagieren. Ab April kommenden Jahres werde eine deutsche Kompanie mit gut 150 Soldaten und Soldatinnen eine österreichische Einheit in der Nato-geführten Kosovo-Schutztruppe Kfor ablösen, teilte das Verteidigungsministerium vergangene Woche mit. Die langfristige deutsche Verstärkung stehe allerdings nicht in Zusammenhang mit den jüngsten Auseinandersetzungen zwischen Serben und Kosovaren im Norden des Landes.

    In dem inzwischen am längsten dauernden Auslandseinsatz der Bundeswehr hatte Deutschland seit dem Einmarsch der Nato-Truppen in die damalige serbische Unruheprovinz 1999 über Jahre auch Einsatztruppen gestellt. Mitte 2018 wurde die deutsche Präsenz deutlich reduziert, als eine gemeinsame Eingreiftruppe aus deutschen und österreichischen Soldaten diese Aufgabe an andere Nato-Länder abgab. Seitdem sind rund 85 deutsche Soldatinnen und Soldaten im Kosovo stationiert, überwiegend für Stabs- und Unterstützungsaufgaben. Die im kommenden Jahr vorgesehene neue Kompanie soll dagegen vor allem Soldaten umfassen, die zum Vorgehen gegen gewalttätige Demonstranten ausgebildet sind, die sogenannte Crowd and Riot Control.

    Vor dem Hintergrund der gewaltsamen Zusammenstöße zwischen kosovarischen Sicherheitskräften und vermutlich serbisch unterstützten Milizen in den vergangenen Wochen hatte die Nato kurzfristig ihre Eingreifreserve im Kosovo verstärkt. Unter anderem wurden rund 200 zusätzliche britische Soldaten verlegt; Rumänien kündigte ebenfalls Truppen zur Verstärkung an. Die Spannungen wurden durch einen serbischen Militäraufmarsch an der Grenze zum Kosovo verschärft. Die Regierung in Belgrad zog ihre Soldaten allerdings nach deutlichen Warnungen der USA wieder ab. tw

    Nordkorea bereitet Güterzüge nach Russland vor

    Die “Brücke der Freundschaft” über den Fluss Tjumen im Fernen Osten könnte schon bald wichtige Dienste für Nordkorea und Russland leisten. Über die Eisenbahnbrücke würden schon bald mehr Güterzüge rollen und möglicherweise Waffen und Munition transportiert werden. Das ist die Vermutung des US-Think-Tanks CSIS, der auf dem Portal Beyond Parallel die starke Zunahme von Güterwaggons auf dem nordkoreanischen Grenzbahnhof Tumangang analysiert.

    Auf Satellitenbildern sei aktuell mehr Betrieb zu erkennen als jemals in den vergangenen fünf Jahren, stellen die Forschenden fest. Dass Nordkorea Russland mit Waffen und Munition für den Krieg gegen die Ukraine versorgen könnte oder bereits versorgt, wird schon seit Monaten vermutet. Die abgedeckten Container, die auf den Satellitenbildern zu erkennen sind, erlauben jedoch keinen Rückschluss auf den Inhalt.

    Die neue Geschäftigkeit auf dem Grenzbahnhof schließt an den Staatsbesuch von Kim Jong-Un Mitte September in Russland an. Sein Programm enthielt den Besuch des Weltraumbahnhofs Wostotschny, Waffenschau sowie Treffen mit Rüstungsherstellern. Kim versteht es, die internationale Isolation Russlands für sich zu nutzen und durch die aufgewärmte Partnerschaft die eigene Isolation aufzubrechen. Bei seinem Besuch in Russland betonte er stärker als der russische Präsident Wladimir Putin die “strategisch-taktische Kooperation”. Putin sprach von “Kameradschaft und guter Nachbarschaft”. Für Pjöngjang könnte die neue Nähe ein größerer Vorteil sein als für Moskau, weil es mehr Sicherheit bedeute. Zugleich würde das den Bruch von UN-Sanktionen gegen die Atommacht Nordkorea bedeuten, betont der Analyst Artyom Lukin auf 38North.org. vf

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    Presseschau

    The New York Times – ‘There Were Terrorists Inside’: How Hamas’s Attack on Israel Unfolded. 13 Überlebende und Zeugen der Hamas-Angriffe schildern, wie sie sich teils stundenlang versteckt haben, während palästinensische Angreifer mit Raketenwerfern durch israelische Wohnvierteln zogen. Schockierende Reportage aus dem Süden Israels nach den Angriffen aus dem Gaza-Streifen.

    World Politics Review – The War in Ukraine Is Fraying the Global Security Order. Mit Russlands Einmarsch in die Ukraine könne man am “Ende vom Ende der Geschichte” stehen, so die These von Paul Poast. Auch im Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan könne Russland keine konstruktive Rolle spielen und der Westen sei in der Ukraine gebunden, sodass er in anderen Krisen schlechter intervenieren könne. Ein Zusammenbruch der internationalen Ordnung drohe.

    FT – Military briefing: the advance of Ukraine’s ‘mosquito navy’. Nur wenige Soldaten, westliche Aufklärung, Drohnen und kleine Boote – das sind die Bausteine des bisher erfolgreichen ukrainischen Vorgehens gegen die russische Marine im Schwarzen Meer. Die Folge: Russland zieht sich auf dem Wasser erst einmal zurück.

    Ifri – Die Zeitenwende aus französischer Perspektive. Die Studie schaut auf die deutsche Zeitenwende, schlussfolgert, was das für Frankreich bedeutet und erklärt, warum deutsch-französische Rüstungsprojekte oft scheitern. In einem Interview zur Studie sagt Élie Tenenbaum, Direktor des Zentrums für Sicherheitsstudien des französischen Thinktanks, Deutschland wolle “die Bundeswehr eher zu einem militärischen Integrator als zu einer echten Armee” machen.

    Neue Zürcher Zeitung – Deutschland und Frankreich – Geblieben ist ein einziges echtes Gemeinschaftsprojekt. Und etwas kompakter: Vor sechs Jahren wollte die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron die deutsch-französische Rüstungszusammenarbeit neu beleben. Die NZZ liefert eine Zusammenfassung, was aus den Projekten geworden ist.

    Standpunkt

    Ein Tag nur für Veteranen

    Von Bernhard Drescher
    Bernhard Drescher ist Vorsitzender des Bundesverbandes Deutscher Einsatz-Veteranen.

    Zweifelsohne hat jeder, der seinen Dienst in der Bundeswehr geleistet hat, Respekt und Wertschätzung verdient. Für die aktiven Soldaten geschieht das unter anderem am Tag der Bundeswehr, für die gefallenen Soldaten am Volkstrauertag, an dem inzwischen auch der Gefallenen der Bundeswehr gedacht wird.

    Nicht berücksichtigt werden in Deutschland weiterhin die Veteranen, die in den USA und Großbritannien definiert werden als aus dem Dienst entlassene Angehörige der Streitkräfte. Sprachlich wird anderswo auch zwischen Veteranen und Combat-Veteranen unterschieden, in Dänemark und Frankreich wiederum wird der Begriff ausschließlich für die Teilnahme an einem Konflikt oder an einem Auslandseinsatz verwendet. “Unter Kriegsbedingungen gedient” zu haben, ist in den Niederlanden Voraussetzung, um als Veteran bezeichnet zu werden. Diese Definitionen orientieren sich also an der Wortbedeutung und spiegeln eine erforderliche militärische Erfahrung als Grundlage wider.

    Gleichmacherei zwischen Reservisten, Veteranen und Aktiven

    Dieser Grundsatz sollte auch in Deutschland gelten, damit Soldaten und Veteranen nicht als “Veteranen light” der Lächerlichkeit preisgegeben werden und ein nun wieder diskutierter Veteranentag nicht zur Farce wird. Doch dem ist leider nicht der Fall, im Gegenteil: Hier gilt jeder Soldat als Veteran, unabhängig davon, ob aktiv oder ehemalig, sodass auch Reservisten darunterfallen – oder neue Rekruten, die gerade erstmalig das Kasernentor durchschreiten.

    Damit wurden völlig unterschiedliche Statusgruppen hinsichtlich sozialer Sicherheit, Versorgungs- und Fürsorgebedarf sowie Betreuungsansprüchen zusammengefasst. Und – wichtiger noch – zwischen unterschiedlichen militärischen Lebensleistungen und Lebensrisiken wird nicht differenziert. Das liegt daran, dass Veteranenverbänden nicht an einer adäquaten Definition des Veteranen beteiligt wurden. Eigentlich hätte man im Zuge dieser Gleichmacherei auch den Begriff des Soldaten und des Reservisten konsequenterweise abschaffen müssen. Es sollte politisch wohl niemand ausgeschlossen werden.

    Einsatz unter erheblicher Risiken für Körper und Seele

    Das ist ehrenwert, dient jedoch nicht der Einführung eines zielorientierten und wertschätzenden Veteranentags. Aus Sicht des Bundes Deutscher Einsatz-Veteranen müsste sich ein Veteranentag zwingend auf Einsatzteilnehmer, auf Einsatzverwundete und allgemein auf “Altgediente”, also ehemalige Soldaten, sowie deren Familien konzentrieren. Einsatzteilnehmer haben mit Waffe in der Hand und schmutzigen Stiefeln für unsere Werte auf fremden Boden gestanden, sind persönlich erhebliche Risiken für Körper und Seele eingegangen und haben auf ihr soziales Leben mit allen Konsequenzen verzichtet. Das verdient ganz besondere Anerkennung.

    Ehemalige Soldaten haben ebenso langjährig, manche ein Leben lang, ihre Pflicht mit allen Härten des Berufes an der Gesellschaft erfüllt. Auch ihnen gebührt ein nachhaltiger Dank der Gesellschaft im Rahmen eines Veteranentags. Ein “Danke für Ihren Dienst” auf der Straße hingegen sollte alle Soldaten erreichen.

    Verteidigungsausschuss sollte die Definition “Veteran” klären

    Es wäre deshalb zielgerichtet, wenn sich der Verteidigungsausschuss zunächst mit der Definition, anstatt mit der Einbeziehung von Einsatzkräften anderer Ressorts oder Wohltätigkeitsorganisationen in einen Veteranentag auseinandersetzt. Die Frage, um wen es geht, ist elementar. Die Verwässerungen – wie in einigen politischen Äußerungen bereits jetzt erkennbar – sollten ein klares Ende nehmen.

    Aus diesem Grunde sollte die Veteranendefinition, analog zu verbündeten Nationen wie folgt geändert werden, damit der Veteranentag zu einem allseits anerkannten Ereignis und Baustein in einer sinnvollen Veteranenpolitik und gelebter Veteranenkultur werden kann:

    “Veteran ist, wer aus der aktiven Dienstzeit ehrenhaft entlassen wurde. Einsatzveteran ist, wer als aktiver Soldat, ehemaliger Soldat oder Zivilbediensteter an einem Auslandseinsatz oder einer einsatzgleichen Verpflichtung der Bundeswehr teilgenommen hat.”

    Definition und Veteranentag dürfen jedoch nicht alleine stehen, dürfen nicht zur Symbolpolitik verfallen. Die Erarbeitung einer umfassenden Veteranenpolitik – auch als Rahmen für eine gelebte Veteranenkultur – muss konsequent erfolgen: durch Wertschätzung, Versorgung, Fürsorge, Betreuung, Identitätsbildung und der gesellschaftlichen Einbindung von Veteranen und Einsatzveteranen. Hierbei sollten die Politik und auch die Bundeswehr zukünftig vermehrt über den Kasernenzaun schauen: Die unsichtbaren Veteranen befinden sich in der Zivilgesellschaft und nicht auf dem Kasernenhof.

    Bernhard Drescher ist Bundesvorsitzender des “Bundes Deutscher EinsatzVeteranen e.V.” Der Verein fordert die nachhaltige Sicherung der Versorgung und die Verbesserung der Betreuung für einsatzbelastete Veteranen der Bundeswehr.

    • Bundeswehr

    Dessert

    Helfer tragen eine schwangere Frau in Mariupol.

    Mstyslav Chernov und seine Kolleginnen und Kollegen der Nachrichtenagentur AP waren die einzigen, die im Februar und März 2022 im ukrainischen Mariupol waren, als die russische Armee die Stadt umzingelte. In seinem Film “20 Days of Mariupol” erzählt Chernov von dieser Zeit. Entstanden ist eine Dokumentation von russischen Kriegsverbrechen und ein eindrucksvolles visuelles Werk. Der Film eröffnet am 11. Oktober das Human Rights Film Festival in Berlin. Table.Media hat vorab mit Mstyslav Chernov gesprochen, der zur Filmvorführung aus dem Donbas anreist. “Beim Schneiden des Films war der schwierigste Teil, den Film nicht zu steril zu machen, ihn nicht von der Realität zu entfernen. Wir wollten zeigen, wie es für die Menschen war, in dieser Falle aus Gewalt gefangen zu sein. Zugleich mussten wir darauf achten, den Film nicht zu überladen, damit die Zuschauer nicht gefühlstaub werden”, erzählte Chernov. Das vollständige Interview lesen Sie hier. Zum Programm des mehrtägigen Film-Festivals gelangen Sie hier. 

    • Ukraine-Krieg

    Security.Table Redaktion

    SECURITY.TABLE REDAKTION

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