Table.Briefing: Security

Was man von Boris Pistorius erwarten kann

  • Einer, der fast alle Anforderungen erfüllt
  • Wie Pistorius auf Sicherheitsthemen blickt
Liebe Leserin, lieber Leser,

was kann die Bundeswehr von Verteidigungsminister Boris Pistorius erwarten? Was kann er tatsächlich bewegen, angesichts der Konzentration der Entscheidungsmacht bei verteidigungspolitischen Themen im Kanzleramt? Nana Brink und Thomas Wiegold stellen den Neuen im Bendlerblock vor.

Seine bisherigen Aussagen und Positionen in sicherheitspolitischen Themen haben Gabriel Bub, Lisa-Martina Klein und Viktor Funk zusammengetragen. Zeit, als Verteidigungsminister Anlauf zu nehmen, wird Pistorius nicht haben. Es gibt zu viele Baustellen, wie im Security-Briefing vom 17. Januar gezeigt. Er muss sofort loslegen.

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Eine gute Lektüre wünscht Ihnen das Team vom Security.Table

Ihr
Viktor Funk
Bild von Viktor  Funk

Analyse

Einer, der fast alle Anforderungen erfüllt

Porträtfoto von Boris Pistorius (SPD) vor einem Logo des Bundesministeriums für Verteidigung.
Boris Pistorius folgt Christine Lambrecht nach.

Mit so viel Vorschusslorbeeren ist schon lange niemand an die Spitze des Verteidigungsministeriums gekommen. Boris Pistorius, bislang niedersächsischer Innenminister und künftiger “Inhaber der Befehls- und Kommandogewalt”, erhält nicht nur das pflichtgemäße Lob aus den eigenen Reihen: Vom linken Flügel der Sozialdemokraten, sonst eher kritisch gegenüber dem Wehrressort eingestellt, bis zur CDU-Opposition wird die überraschende Entscheidung von Bundeskanzler Olaf Scholz wohlwollend bewertet.

Ausschlaggebend dafür dürfte sein, dass der bald 63 Jahre alte Niedersachse – fast – alle Wunschkriterien an einen neuen Verteidigungsminister erfüllt. Erfahrungen mit Sicherheitsbehörden? Nach zehn Jahren Amtszeit im Innenministerium kein Problem. Durchsetzungsfähig? Ebenso. Interesse an der Bundeswehr? Als Ressortchef im Bundesland mit den beiden größten Stationierungsorten – Munster und Wilhelmshaven – kaum zu vermeiden. Zudem hat Pistorius nicht nur, inzwischen ungewöhnlich für einen SPD-Spitzenpolitiker, den Grundwehrdienst abgeleistet, sondern sich auch als Innenminister aktiv für die Truppe interessiert und immer wieder dort gezeigt.

“Klassische Landesverteidigung wird wieder zentrale Aufgabe”

Da bleibt, neben dem Vorwurf nun mangelnder Geschlechterparität im künftigen Bundeskabinett, nur der Hinweis auf mangelnde Erfahrung in der Verteidigungs- und auswärtigen Sicherheitspolitik. Allerdings hatte sich der neue Mann an der Spitze von Bundeswehr und Verteidigungsministerium spätestens seit Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine auch damit befasst:

“Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine, den Wladimir Putin entfesselt hat, führt uns vor Augen, dass sich die Sicherheitslage in Deutschland, Europa und der Welt grundlegend verändert hat”, erläuterte Pistorius und fuhr fort: “Klassische Landesverteidigung, wie wir sie seit dem Ende des Kalten Krieges nicht mehr im Vordergrund sahen, wird wieder zu einer zentralen Aufgabe. Allerdings zeichnet sich die Bedrohungslage in dieser neuen Zeit nicht allein durch die militärische Konfrontation in Osteuropa aus. Sie resultiert aus dem Nebeneinander von Klimawandel, verschiedenen internationalen Konfliktlagen, der Bedrohung im Cyberraum und einer höheren Anfälligkeit moderner Industrie- und Wissensgesellschaften.”

Diese Formulierungen könnten auch aus dem Verteidigungsministerium stammen. Tatsächlich stehen sie in dem Vorschlag für einen “Bund-Länder-Pakt für den Zivil- und Katastrophenschutz”, den Pistorius am Rande der Innenministerkonferenz im März 2022 einbrachte. Darin lobte er auch das 100-Milliarden-Euro-Sondervermögen für die Bundeswehr als “notwendiges und richtiges Signal”. Seine Forderung, dieses Geld auch zielgerichtet einzusetzen, wird er nun selbst organisieren müssen.

Unterstützung aus dem linken Flügel der SPD

Dabei kann er, und das ist keineswegs selbstverständlich, auch auf Unterstützung vom linken SPD-Flügel setzen. “Ich halte ihn für eine Idealbesetzung”, sagte Ralf Stegner, einer seiner Wortführer, Security.Table. Pistorius bringe genau das Profil mit, “das der Bundeskanzler braucht”, habe Führungsqualitäten, den Sinn für Sicherheitspolitik und Autorität.

Stegner verglich ihn sogar, unter Sozialdemokraten höchstes Lob, mit dem früheren Verteidigungsminister Peter Struck: Wie der damalige Ressortchef, ebenfalls aus Niedersachsen und bei der Truppe ebenso beliebt wie durchsetzungsfähig, könne Pistorius eine “gewisse norddeutsche Knorrigkeit” im Amt zeigen.

Lob von Kiesewetter und Brugger

Auch die Opposition urteilt über den künftigen Verteidigungsminister positiv, zumindest was sein Verhältnis zur Truppe betrifft. “Die Bundeswehr kann mit ihm”, erklärt der CDU-Sicherheitspolitiker Roderich Kiesewetter, selbst ehemaliger Bundeswehr-Offizier. Als ehemaliger Präsident des Reservistenverbandes habe er beim damaligen niedersächsischen Innenminister ein “Herz für Soldaten” gesehen.

Allerdings müsse er eine “steile Lernkurve” hinlegen, vor allem schon im Hinblick auf das Geber-Treffen für die Ukraine in Ramstein am nächsten Freitag: “Ich erwarte vom ihm, dass er Deutschland mit Blick auf die Unterstützung der Ukraine klar positioniert. Die Chance hat er jetzt.” Auch, dass die Panzerlieferungen unter Führung von Deutschland “europäisch koordiniert werden”.

Grünen-Politikerin Agnieszka Brugger, Mitglied im Verteidigungsausschuss, sieht im neuen Verteidigungsminister einen “konzilianten Verhandlungspartner” und wird mit Blick auf die militärische Hilfe für die Ukraine deutlicher als Kiesewetter: “Wer der Lieferung von Mardern zustimmen kann, kann auch Leopard-Panzer liefern.”

Hilfe für die Ukraine? Das letzte Wort hat aber das Kanzleramt

Da allerdings, das weiß auch die Opposition, ist der neue Minister zwar Herr über die Streitkräfte – aber nicht über diese Entscheidungen. Die werden weiterhin im Kanzleramt getroffen. “Der Bundeskanzler wird sich keinen Verteidigungsminister holen, der nicht auf seiner Linie ist”, sagt der SPD-Linke Stegner. Beim Treffen in Ramstein wird Pistorius deshalb nicht viel eigenen Spielraum haben.

Ähnlich wird es zwei Tage später bei der Zusammenkunft der Regierungen aus Deutschland und Frankreich in Paris sein. Der französische Verteidigungsminister, Sébastien Lecornu, gratulierte Pistorius zwar als einer der ersten: “Dem Minister wird es ein Anliegen sein, gemeinsam mit seinem neuen Amtskollegen die verteidigungspolitische Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Frankreich zu stärken und zu vertiefen, insbesondere im Hinblick auf die großen Sicherheitsherausforderungen, mit denen Europa und die Atlantische Allianz konfrontiert sind, aber auch auf die gemeinsamen Industrieprojekte wie das Future Air Combat System (FCAS) und das Main Ground Combat System (MGCS).” Die Verwerfungen zwischen diesen beiden Ländern bei den gemeinsamen Rüstungsvorhaben müssen allerdings die Regierungschefs lösen.

Dafür kann Pistorius, so die Hoffnung in den Reihen der Koalition, mit etwas glänzen, was die Abgeordneten in den Bundestagsausschüssen bei seiner Vorgängerin schmerzlich vermisst haben. Mit dem neuen Minister, heißt es aus allen drei Ampel-Parteien, werde wieder das Gespräch zwischen Ministerium und Parlament möglich – auf der “Beziehungsebene”, wie es ein Verteidigungspolitiker ausdrückte, werde sich die Politik wohl deutlich verändern. Nana Brink und Thomas Wiegold

  • Bundeswehr
  • Deutschland
  • MGCS
  • Ramstein
  • Ukraine
  • Verteidigungsministerium

Wie Pistorius auf Sicherheitsthemen blickt

Bundeswehr

Pistorius hat seinen Wehrdienst in Achim bei Bremen absolviert, wurde zunächst als Fahrer am Flugabwehrkanonenpanzer ausgebildet und dann als Kommandeurfahrer eingesetzt, wie es in einer Publikation über Söhne und Töchter Osnabrücks heißt. Niedersachsen hat in Wilhelmshaven den größten Bundeswehr-Standort Deutschlands, bei seiner Vorgängerin im BMVg warb Pistorius um die Stationierung eines Heimatschutzregiments in seinem Bundesland, in Nienburg, der ihm im September für 2024 zugesagt wurde. Eine “großartige Nachricht für Niedersachsen” nannte der Innenminister das.

Als die Bundeswehr aus Afghanistan abzog, forderte er, ehemalige Ortskräfte nach Deutschland zu holen. Es wäre “ein kleines Zeichen des Anstands und der Dankbarkeit für die geleisteten Dienste, die Flugkosten für diese überschaubare Anzahl von Menschen und ihre Familien zu übernehmen”.

Zivil- und Katastrophenschutz

Früh nach dem Beginn des russischen Krieges gegen die Ukraine dränge Pistorius auf den Ausbau des Zivilschutzes. Und schon 2016 hatte er sich für die Zusammenarbeit von Bundeswehr und Polizei in Terrorsituationen eingesetzt. Gemeinsame Übungen folgten. Von den 100 Milliarden Euro Sondervermögen wollte er wie andere Landesinnenminister, dass 10 Milliarden Euro in den Zivil- und Katastrophenschutz fließen. “Beide Bereiche, äußere und innere Verteidigung, sind zwei Seiten derselben Medaille und konkurrieren nicht miteinander, sondern müssen sich optimal ergänzen.”  

Bei diesem Thema wirbt der Niedersachse für mehr Kooperation zwischen Kommunen, Ländern und dem Bund. Auf den Zivilschutz in Deutschland bezogen, sagte er: “Wir müssen wieder in einen Modus, in eine Praxis zurück, wie wir sie leider bis 1990 immer aus anderen Gründen gebraucht haben, und wie wir sie augenscheinlich jetzt wieder in ähnlicher Form brauchen werden.” Als Beispiele nannte er die Reaktionsfähigkeit bei Cyberangriffen auf die kritische Infrastruktur, Mangellagen bei Treib- und Brennstoffen sowie Versorgungsengpässe durch Sanktionen. Für die Bewältigung von Notsituationen forderte er ein Nationales Krisenkommando nach Art des Corona-Krisenstabs.

Innere Sicherheit

In seiner Rolle als Innenminister in Niedersachsen wurde Pistorius für das neue Landespolizeigesetz stark kritisiert. Es sieht unter anderem eine Präventivhaft von bis zu 35 Tagen vor und den Einsatz von Schadsoftware zur Telekommunikationsüberwachung und Online-Durchsuchung. Bei der Vorbereitung des Gesetzes, das unter dem Eindruck islamistischer Terroranschläge in der EU entstanden war, hatten die hauseigenen Fachleute im Landtag vor verfassungswidrigen Plänen gewarnt. Nach zehn Monaten Debatten, Protesten und Änderungen wurde das Gesetz im Mai 2019 verabschiedet. Pistorius selbst verteidigte es als “vernünftige, angemessene und notwendige Modernisierung”.  

Beim Thema Rechtsextremismus unterstützt Pistorius die Pläne der Bundesinnenministerin Nancy Faeser, rechtsextreme Beamte leichter aus dem Dienst zu entlassen und bewertet den Rechtsextremismus und -terrorismus als eine zentrale Gefahr für die Demokratie. Vor der Reichsbürgerszene warnte Pistorius bereits, als der damalige Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen sie noch kleinredete.

Internationale Zusammenarbeit

In seiner ersten Woche wird Pistorius viele Hände wichtiger Leute schütteln. Mit US-Verteidigungsminister Lloyd Austin spricht er beim Ramstein-Format über weitere Waffenlieferungen an die Ukraine – ein Thema, zu dem er bisher nicht viel von sich hören ließ. Beim Deutsch-Französischen Ministerrat am Sonntag ist ein Gespräch mit seinem Amtskollegen Sébastien Lecornu geplant.

Viel internationale Erfahrung hat Pistorius bislang nicht. Er war bisher als Niedersachsens Innenminister hauptsächlich für innen- und digitalpolitische Themen wie Cybersicherheit, Katastrophenschutz und Polizeiarbeit auf Reisen in den USA und Kanada. Mit Europarecht hatte Pistorius schon im Studium zu tun.

Pistorius ist zudem im Verteidigungsausschuss im Bundesrat und stellvertretendes Mitglied in der Parlamentarischen Versammlung der Nato. Als Nato-unabhängiges Diskussionsforum beraten Parlamentarier aus den 30 Bündnisländern und 50 assoziierte Delegierte über Fragen zu gemeinsamen Interessen.

Ukraine

Vor dem Überfall Russlands auf die Ukraine war Pistorius skeptisch gegenüber den EU-Sanktionen gegen Russland. Er sah erheblichen wirtschaftlichen Schaden für deutsche Unternehmen. Niedersachsen, als Anteilseigner von VW, war bei dem Thema besonders sensibel. Während der damalige Außenminister Heiko Maas (SPD) seinen Russland-Kurs 2018 verschärfte, sprach sich Pistorius für eine Zusammenarbeit mit Russland aus. Bis die Deutsch-Russische-Freundschaftsgruppe des Bundesrates im April 2022 aufgelöst wurde, war Pistorius Mitglied.

Zum Krieg in der Ukraine äußert sich Pistorius vor allem als Manager für die Versorgung Geflüchteter. Nach einem Aufschrei der Kommunen baut das Land die Kapazitäten der Aufnahmeeinrichtungen aus. Bis Jahresende 2022 sollten sie von 4900 auf rund 15.000 Plätze erhöht werden. Aussagen zur militärischen Unterstützung der Ukraine, etwa Bewertungen der bisherigen Waffenlieferungen, gibt es von Pistorius keine. Dafür gehörte er zu den ersten Landesinnenministern, die im Frühjahr 2022 Strafen für russische Kriegssymbole auf Demonstrationen vorgesehen hatten. Gabriel Bub, Viktor Funk, Lisa-Martina Klein

  • Außenpolitik
  • Bundeswehr
  • Deutschland
  • Sicherheit
  • Verteidigungsministerium

Security.Table Redaktion

SECURITY.TABLE REDAKTION

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    was kann die Bundeswehr von Verteidigungsminister Boris Pistorius erwarten? Was kann er tatsächlich bewegen, angesichts der Konzentration der Entscheidungsmacht bei verteidigungspolitischen Themen im Kanzleramt? Nana Brink und Thomas Wiegold stellen den Neuen im Bendlerblock vor.

    Seine bisherigen Aussagen und Positionen in sicherheitspolitischen Themen haben Gabriel Bub, Lisa-Martina Klein und Viktor Funk zusammengetragen. Zeit, als Verteidigungsminister Anlauf zu nehmen, wird Pistorius nicht haben. Es gibt zu viele Baustellen, wie im Security-Briefing vom 17. Januar gezeigt. Er muss sofort loslegen.

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    Boris Pistorius folgt Christine Lambrecht nach.

    Mit so viel Vorschusslorbeeren ist schon lange niemand an die Spitze des Verteidigungsministeriums gekommen. Boris Pistorius, bislang niedersächsischer Innenminister und künftiger “Inhaber der Befehls- und Kommandogewalt”, erhält nicht nur das pflichtgemäße Lob aus den eigenen Reihen: Vom linken Flügel der Sozialdemokraten, sonst eher kritisch gegenüber dem Wehrressort eingestellt, bis zur CDU-Opposition wird die überraschende Entscheidung von Bundeskanzler Olaf Scholz wohlwollend bewertet.

    Ausschlaggebend dafür dürfte sein, dass der bald 63 Jahre alte Niedersachse – fast – alle Wunschkriterien an einen neuen Verteidigungsminister erfüllt. Erfahrungen mit Sicherheitsbehörden? Nach zehn Jahren Amtszeit im Innenministerium kein Problem. Durchsetzungsfähig? Ebenso. Interesse an der Bundeswehr? Als Ressortchef im Bundesland mit den beiden größten Stationierungsorten – Munster und Wilhelmshaven – kaum zu vermeiden. Zudem hat Pistorius nicht nur, inzwischen ungewöhnlich für einen SPD-Spitzenpolitiker, den Grundwehrdienst abgeleistet, sondern sich auch als Innenminister aktiv für die Truppe interessiert und immer wieder dort gezeigt.

    “Klassische Landesverteidigung wird wieder zentrale Aufgabe”

    Da bleibt, neben dem Vorwurf nun mangelnder Geschlechterparität im künftigen Bundeskabinett, nur der Hinweis auf mangelnde Erfahrung in der Verteidigungs- und auswärtigen Sicherheitspolitik. Allerdings hatte sich der neue Mann an der Spitze von Bundeswehr und Verteidigungsministerium spätestens seit Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine auch damit befasst:

    “Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine, den Wladimir Putin entfesselt hat, führt uns vor Augen, dass sich die Sicherheitslage in Deutschland, Europa und der Welt grundlegend verändert hat”, erläuterte Pistorius und fuhr fort: “Klassische Landesverteidigung, wie wir sie seit dem Ende des Kalten Krieges nicht mehr im Vordergrund sahen, wird wieder zu einer zentralen Aufgabe. Allerdings zeichnet sich die Bedrohungslage in dieser neuen Zeit nicht allein durch die militärische Konfrontation in Osteuropa aus. Sie resultiert aus dem Nebeneinander von Klimawandel, verschiedenen internationalen Konfliktlagen, der Bedrohung im Cyberraum und einer höheren Anfälligkeit moderner Industrie- und Wissensgesellschaften.”

    Diese Formulierungen könnten auch aus dem Verteidigungsministerium stammen. Tatsächlich stehen sie in dem Vorschlag für einen “Bund-Länder-Pakt für den Zivil- und Katastrophenschutz”, den Pistorius am Rande der Innenministerkonferenz im März 2022 einbrachte. Darin lobte er auch das 100-Milliarden-Euro-Sondervermögen für die Bundeswehr als “notwendiges und richtiges Signal”. Seine Forderung, dieses Geld auch zielgerichtet einzusetzen, wird er nun selbst organisieren müssen.

    Unterstützung aus dem linken Flügel der SPD

    Dabei kann er, und das ist keineswegs selbstverständlich, auch auf Unterstützung vom linken SPD-Flügel setzen. “Ich halte ihn für eine Idealbesetzung”, sagte Ralf Stegner, einer seiner Wortführer, Security.Table. Pistorius bringe genau das Profil mit, “das der Bundeskanzler braucht”, habe Führungsqualitäten, den Sinn für Sicherheitspolitik und Autorität.

    Stegner verglich ihn sogar, unter Sozialdemokraten höchstes Lob, mit dem früheren Verteidigungsminister Peter Struck: Wie der damalige Ressortchef, ebenfalls aus Niedersachsen und bei der Truppe ebenso beliebt wie durchsetzungsfähig, könne Pistorius eine “gewisse norddeutsche Knorrigkeit” im Amt zeigen.

    Lob von Kiesewetter und Brugger

    Auch die Opposition urteilt über den künftigen Verteidigungsminister positiv, zumindest was sein Verhältnis zur Truppe betrifft. “Die Bundeswehr kann mit ihm”, erklärt der CDU-Sicherheitspolitiker Roderich Kiesewetter, selbst ehemaliger Bundeswehr-Offizier. Als ehemaliger Präsident des Reservistenverbandes habe er beim damaligen niedersächsischen Innenminister ein “Herz für Soldaten” gesehen.

    Allerdings müsse er eine “steile Lernkurve” hinlegen, vor allem schon im Hinblick auf das Geber-Treffen für die Ukraine in Ramstein am nächsten Freitag: “Ich erwarte vom ihm, dass er Deutschland mit Blick auf die Unterstützung der Ukraine klar positioniert. Die Chance hat er jetzt.” Auch, dass die Panzerlieferungen unter Führung von Deutschland “europäisch koordiniert werden”.

    Grünen-Politikerin Agnieszka Brugger, Mitglied im Verteidigungsausschuss, sieht im neuen Verteidigungsminister einen “konzilianten Verhandlungspartner” und wird mit Blick auf die militärische Hilfe für die Ukraine deutlicher als Kiesewetter: “Wer der Lieferung von Mardern zustimmen kann, kann auch Leopard-Panzer liefern.”

    Hilfe für die Ukraine? Das letzte Wort hat aber das Kanzleramt

    Da allerdings, das weiß auch die Opposition, ist der neue Minister zwar Herr über die Streitkräfte – aber nicht über diese Entscheidungen. Die werden weiterhin im Kanzleramt getroffen. “Der Bundeskanzler wird sich keinen Verteidigungsminister holen, der nicht auf seiner Linie ist”, sagt der SPD-Linke Stegner. Beim Treffen in Ramstein wird Pistorius deshalb nicht viel eigenen Spielraum haben.

    Ähnlich wird es zwei Tage später bei der Zusammenkunft der Regierungen aus Deutschland und Frankreich in Paris sein. Der französische Verteidigungsminister, Sébastien Lecornu, gratulierte Pistorius zwar als einer der ersten: “Dem Minister wird es ein Anliegen sein, gemeinsam mit seinem neuen Amtskollegen die verteidigungspolitische Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Frankreich zu stärken und zu vertiefen, insbesondere im Hinblick auf die großen Sicherheitsherausforderungen, mit denen Europa und die Atlantische Allianz konfrontiert sind, aber auch auf die gemeinsamen Industrieprojekte wie das Future Air Combat System (FCAS) und das Main Ground Combat System (MGCS).” Die Verwerfungen zwischen diesen beiden Ländern bei den gemeinsamen Rüstungsvorhaben müssen allerdings die Regierungschefs lösen.

    Dafür kann Pistorius, so die Hoffnung in den Reihen der Koalition, mit etwas glänzen, was die Abgeordneten in den Bundestagsausschüssen bei seiner Vorgängerin schmerzlich vermisst haben. Mit dem neuen Minister, heißt es aus allen drei Ampel-Parteien, werde wieder das Gespräch zwischen Ministerium und Parlament möglich – auf der “Beziehungsebene”, wie es ein Verteidigungspolitiker ausdrückte, werde sich die Politik wohl deutlich verändern. Nana Brink und Thomas Wiegold

    • Bundeswehr
    • Deutschland
    • MGCS
    • Ramstein
    • Ukraine
    • Verteidigungsministerium

    Wie Pistorius auf Sicherheitsthemen blickt

    Bundeswehr

    Pistorius hat seinen Wehrdienst in Achim bei Bremen absolviert, wurde zunächst als Fahrer am Flugabwehrkanonenpanzer ausgebildet und dann als Kommandeurfahrer eingesetzt, wie es in einer Publikation über Söhne und Töchter Osnabrücks heißt. Niedersachsen hat in Wilhelmshaven den größten Bundeswehr-Standort Deutschlands, bei seiner Vorgängerin im BMVg warb Pistorius um die Stationierung eines Heimatschutzregiments in seinem Bundesland, in Nienburg, der ihm im September für 2024 zugesagt wurde. Eine “großartige Nachricht für Niedersachsen” nannte der Innenminister das.

    Als die Bundeswehr aus Afghanistan abzog, forderte er, ehemalige Ortskräfte nach Deutschland zu holen. Es wäre “ein kleines Zeichen des Anstands und der Dankbarkeit für die geleisteten Dienste, die Flugkosten für diese überschaubare Anzahl von Menschen und ihre Familien zu übernehmen”.

    Zivil- und Katastrophenschutz

    Früh nach dem Beginn des russischen Krieges gegen die Ukraine dränge Pistorius auf den Ausbau des Zivilschutzes. Und schon 2016 hatte er sich für die Zusammenarbeit von Bundeswehr und Polizei in Terrorsituationen eingesetzt. Gemeinsame Übungen folgten. Von den 100 Milliarden Euro Sondervermögen wollte er wie andere Landesinnenminister, dass 10 Milliarden Euro in den Zivil- und Katastrophenschutz fließen. “Beide Bereiche, äußere und innere Verteidigung, sind zwei Seiten derselben Medaille und konkurrieren nicht miteinander, sondern müssen sich optimal ergänzen.”  

    Bei diesem Thema wirbt der Niedersachse für mehr Kooperation zwischen Kommunen, Ländern und dem Bund. Auf den Zivilschutz in Deutschland bezogen, sagte er: “Wir müssen wieder in einen Modus, in eine Praxis zurück, wie wir sie leider bis 1990 immer aus anderen Gründen gebraucht haben, und wie wir sie augenscheinlich jetzt wieder in ähnlicher Form brauchen werden.” Als Beispiele nannte er die Reaktionsfähigkeit bei Cyberangriffen auf die kritische Infrastruktur, Mangellagen bei Treib- und Brennstoffen sowie Versorgungsengpässe durch Sanktionen. Für die Bewältigung von Notsituationen forderte er ein Nationales Krisenkommando nach Art des Corona-Krisenstabs.

    Innere Sicherheit

    In seiner Rolle als Innenminister in Niedersachsen wurde Pistorius für das neue Landespolizeigesetz stark kritisiert. Es sieht unter anderem eine Präventivhaft von bis zu 35 Tagen vor und den Einsatz von Schadsoftware zur Telekommunikationsüberwachung und Online-Durchsuchung. Bei der Vorbereitung des Gesetzes, das unter dem Eindruck islamistischer Terroranschläge in der EU entstanden war, hatten die hauseigenen Fachleute im Landtag vor verfassungswidrigen Plänen gewarnt. Nach zehn Monaten Debatten, Protesten und Änderungen wurde das Gesetz im Mai 2019 verabschiedet. Pistorius selbst verteidigte es als “vernünftige, angemessene und notwendige Modernisierung”.  

    Beim Thema Rechtsextremismus unterstützt Pistorius die Pläne der Bundesinnenministerin Nancy Faeser, rechtsextreme Beamte leichter aus dem Dienst zu entlassen und bewertet den Rechtsextremismus und -terrorismus als eine zentrale Gefahr für die Demokratie. Vor der Reichsbürgerszene warnte Pistorius bereits, als der damalige Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen sie noch kleinredete.

    Internationale Zusammenarbeit

    In seiner ersten Woche wird Pistorius viele Hände wichtiger Leute schütteln. Mit US-Verteidigungsminister Lloyd Austin spricht er beim Ramstein-Format über weitere Waffenlieferungen an die Ukraine – ein Thema, zu dem er bisher nicht viel von sich hören ließ. Beim Deutsch-Französischen Ministerrat am Sonntag ist ein Gespräch mit seinem Amtskollegen Sébastien Lecornu geplant.

    Viel internationale Erfahrung hat Pistorius bislang nicht. Er war bisher als Niedersachsens Innenminister hauptsächlich für innen- und digitalpolitische Themen wie Cybersicherheit, Katastrophenschutz und Polizeiarbeit auf Reisen in den USA und Kanada. Mit Europarecht hatte Pistorius schon im Studium zu tun.

    Pistorius ist zudem im Verteidigungsausschuss im Bundesrat und stellvertretendes Mitglied in der Parlamentarischen Versammlung der Nato. Als Nato-unabhängiges Diskussionsforum beraten Parlamentarier aus den 30 Bündnisländern und 50 assoziierte Delegierte über Fragen zu gemeinsamen Interessen.

    Ukraine

    Vor dem Überfall Russlands auf die Ukraine war Pistorius skeptisch gegenüber den EU-Sanktionen gegen Russland. Er sah erheblichen wirtschaftlichen Schaden für deutsche Unternehmen. Niedersachsen, als Anteilseigner von VW, war bei dem Thema besonders sensibel. Während der damalige Außenminister Heiko Maas (SPD) seinen Russland-Kurs 2018 verschärfte, sprach sich Pistorius für eine Zusammenarbeit mit Russland aus. Bis die Deutsch-Russische-Freundschaftsgruppe des Bundesrates im April 2022 aufgelöst wurde, war Pistorius Mitglied.

    Zum Krieg in der Ukraine äußert sich Pistorius vor allem als Manager für die Versorgung Geflüchteter. Nach einem Aufschrei der Kommunen baut das Land die Kapazitäten der Aufnahmeeinrichtungen aus. Bis Jahresende 2022 sollten sie von 4900 auf rund 15.000 Plätze erhöht werden. Aussagen zur militärischen Unterstützung der Ukraine, etwa Bewertungen der bisherigen Waffenlieferungen, gibt es von Pistorius keine. Dafür gehörte er zu den ersten Landesinnenministern, die im Frühjahr 2022 Strafen für russische Kriegssymbole auf Demonstrationen vorgesehen hatten. Gabriel Bub, Viktor Funk, Lisa-Martina Klein

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