Table.Briefing: Security

Von der Leyens Verteidigungsunion + Joschka Fischer fordert Militärmacht EU

Liebe Leserin, lieber Leser,

dass die wiedergewählte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen einmal deutsche Verteidigungsministerin war, lässt sich auch an ihren gestern in Straßburg vorgestellten politischen Leitlinien ablesen. Stephan Israel hat aufgeschrieben, was sie sich für die nächsten fünf Jahre sicherheits- und verteidigungspolitisch vorgenommen hat. Die ambitionierten Pläne dürften auch bei Joschka Fischer auf Zuspruch stoßen. Im Gespräch mit Markus Bickel fordert der frühere Außenminister, dass die EU eine Militärmacht werden müsse.

Für weitreichende und nachhaltige Schritte zur glaubwürdigen Abschreckung bräuchte allerdings nicht nur die EU, sondern auch Deutschland mehr Geld. Thomas Wiegold schreibt, dass Verteidigungsminister Boris Pistorius sein Ziel eines höheren Verteidigungsetats 2025 deshalb noch nicht aufgegeben hat. Im Bundestag will er bei den Haushaltsverhandlungen für mehr Geld für die Truppe werben – nach der Sommerpause.

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Wilhelmine Preußen
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Analyse

US-Mittelstreckenraketen: Bundestag moniert mangelnde Informationen über Stationierung

US-Verteidigungsminister Lloyd Austin und Boris Pistorius auf dem Nato-Gipfel in Washington D.C., 11. Juli 2024.

Auch eine Woche nach der Ankündigung von Bundeskanzler Olaf Scholz, bis 2026 US-Mittelstreckenraketen in Deutschland zu stationieren, hat die Bundesregierung den Bundestag nicht über die Details der Pläne unterrichtet. “Die Debatte müsste sorgfältiger und problemorientierter geführt werden”, bemängelte der Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion für Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung sowie für transatlantische Beziehungen, Ralf Stegner, gegenüber Table.Briefings.

Der Obmann der Linken-Bundestagsgruppe im Verteidigungsausschuss, Dietmar Bartsch, kritisierte gegenüber Table.Briefings: “Das Mindeste ist, dass die Obleute von der zuständigen Staatssekretärin oder Generalinspekteur Carsten Breuer über die Sachlage informiert werden.” Dass es bislang nur eine “verbale Ankündigung” des Bundeskanzlers gebe, sei “unverantwortlich”. Die Ampelregierung komme “ihrer Informationspflicht gegenüber dem Parlament nicht nach”. Aus der FDP-Bundestagsfraktion hieß es, “der parlamentarische Raum steht zunehmend nackig da”.

CDU-Außenpolitiker Hardt: “Wir sollten den USA dankbar sein”

Als “erstaunlich” bezeichnete der frühere Bundeswehr-Offizier, Oberst a.D. Wolfgang Richter die am Rande des Nato-Gipfels in Washington bekannt gegebene bilaterale Vereinbarung zwischen Deutschland und den USA. “Man würde ja eigentlich erwarten, dass das Bündnis als Ganzes so etwas kundtut”, sagte er der ARD.

Unterstützung für die Entscheidung kommt aus der konservativen Opposition. “Wir sollten den USA dafür dankbar sein”, sagte der außenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Jürgen Hardt, gegenüber Table.Briefings. “Gerade vor einer möglichen zweiten Amtszeit von Donald Trump ist die Stationierung von Tomahawk-Marschflugkörpern ein wichtiges Zeichen der transatlantischen Freundschaft und des gegenseitigen Sicherheitsversprechens.”

Trump könnte Abkommen aufkündigen

Da der geplante Beginn der Stationierung mehr als ein Jahr nach der US-Präsidentenwahl im kommenden November liegt, könnte sie Trump im Falle seiner Wiederwahl rückgängig machen. Ansonsten stünden erstmals nach Ende des Krieges wieder Raketen auf deutschem Boden, die militärische Ziele in Russland treffen könnten. Russland hat Mittelstreckenraketen vom Typ Iskander bereits seit Jahren in Kaliningrad stationiert, die auch mit nuklearen Sprengköpfen bestückt werden könnten.

Laut der Ankündigung von Weißem Haus und Bundesregierung sollen US-amerikanische Marschflugkörper vom Typ Tomahawk mit etwa 1.600 Kilometern Reichweite, Flugabwehrraketen vom Typ SM-6, die jedoch als Boden-Boden-Kurzstreckenraketen verwendet würden, und neu entwickelte Überschallwaffen ab 2026 in Deutschland stationiert werden, um für einen besseren Schutz der Nato-Verbündeten in Europa zu sorgen. Moskau liegt etwa 1.600 Kilometer Luftlinie von Berlin entfernt.

Die Stationierung der US-amerikanischen Mittelstreckensysteme gilt nur als Übergangslösung, bis europäische Staaten eigene Fähigkeiten in diesem Segment aufgebaut haben. So sieht die auf dem Nato-Gipfel in Washington von Verteidigungsminister Boris Pistorius und seinen Amtskollegen aus Frankreich, Polen und Italien unterzeichnete Absichtserklärung die gemeinsame Entwicklung von Mittelstreckenraketen im Rahmen des European Long Range Strike Approach (Elsa) vor. 

MBDA hält sich bereit

Der Marinemarschflugkörper “missile de croisière naval” (MdCN) des Raketenherstellers MBDA könnte als Basis für die neue Waffe dienen. Auf dem Kurznachrichtendienst X brachte sich das Unternehmen mit Standorten in Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Spanien und den USA schon in Stellung. Nur MBDA verfüge über “die Technologie, Expertise und grenzübergreifende Partnerschaften”, um die Anforderungen zu erfüllen. Eine Umrüstung des von U-Booten und Fregatten startenden MdCN zu einer Boden-Boden-Rakete sei vergleichsweise unkompliziert, hieß es Table.Briefings gegenüber aus französischen Industriekreisen. 

Russlands stellvertretender Außenminister Sergej Rjabkow hatte die Entscheidung vergangene Woche als “Kettenglied im Eskalationskurs” von Nato und USA bezeichnet. Die russische Sicherheit werde durch solche Waffen beeinträchtigt, zitierte ihn die russische Nachrichtenagentur Tass. “Wir werden, ohne Nerven oder Emotionen zu zeigen, eine vor allem militärische Antwort darauf ausarbeiten.”

Stegner warnt vor Abschreckungslogik

Pistorius hingegen argumentiert, dass die Waffen der Abschreckung dienten, “nicht mehr und nicht weniger”. Sollte Deutschland angegriffen werden, könne man sich so aus der Distanz “zur Wehr setzen.” Dafür wird er auch aus den eigenen Reihen kritisiert – nicht zuletzt im linken Flügel der SPD ist die Sorge vor einem neuen Wettrüsten mit Russland groß. “Dass es keine breitere gesellschaftliche Debatte” über die Stationierung gebe wie Anfang der 1980er Jahre gegen den Nato-Doppelbeschluss liege auch daran, dass sich frühere Rüstungskritiker “vom Ostermarsch zum Truppenübungsplatz verabschiedet haben in rasender Geschwindigkeit”, so Stegner mit Blick auf die Grünen. 

Der abrüstungspolitische Sprecher seiner Fraktion zeigte sich skeptisch, dass durch die Stationierung neuer Waffen mehr Sicherheit geschaffen werde: “Die vielfach angeführte Abschreckungslogik hat auch durch die technischen Entwicklungen der vergangenen Jahrzehnte an Glaubwürdigkeit verloren.” Das sieht nicht nur der SPD-Verteidigungsminister anders, sondern auch die für Außen- und Verteidigungspolitik zuständige stellvertretende SPD-Bundestagsfraktionsvorsitzende Gabriela Heinrich, die die Stationierung als “notwendige Reaktion zum Schutz Europas gegen die Bedrohung, die von Russland ausgeht” bezeichnete. “Die US-Systeme werden einen wichtigen Beitrag zur Verteidigung Europas leisten und sie senden gleichzeitig ein unmissverständliches Signal transatlantischer Zusammenarbeit für die Sicherheit Europas.” Mit Gabriel Bub

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Joschka Fischer: “Die EU muss eine Militärmacht werden”

Der frühere deutsche Außenminister Joschka Fischer im März auf dem internationalen Literaturfestival Lit.Cologne in Köln.

Herr Fischer, vor 25 Jahren, im Sommer 1999, endete der Kosovo-Krieg. Bedeutete der erste deutsche Kriegseinsatz nach 1945 eine historische Zäsur?

Es war nicht die Zäsur, als die sie in der deutschen Innenpolitik gesehen wurde damals, sondern eine Notwendigkeit, um Frieden in Europa, Frieden auf dem Balkan zu sichern, der ja bis heute ein sehr prekärer ist. Für uns als Bundesregierung ging es 1999 darum, dass wir als loyale Bündnispartner mit im Boot sein mussten, weil Serbiens Machthaber Slobodan Milošević darauf setzte, Deutschland als Hebel zu nutzen, um die Nato auseinanderzudividieren.

Sie haben zur Begründung der Nato-Intervention gesagt: “Nie wieder Auschwitz, nie wieder Krieg.” Würden Sie das heute wieder so formulieren?

Marek Edelman, einer der Anführer des Aufstands im Warschauer Ghetto, hat genau diese Parallele gezogen. Mich hat das sehr überzeugt, vielleicht auch, weil ich mit diesen beiden Grundsätzen, nie wieder Auschwitz, nie wieder Krieg, politisch aufgewachsen bin. Das war keine Verharmlosung von Auschwitz oder eine Instrumentalisierung, mitnichten. Was damals auf dem Balkan geschehen ist, das hatte schon starken Völkermordcharakter, vor allen Dingen in Bosnien-Herzegowina. Innerhalb des Kosovo begann sich Ähnliches abzuzeichnen, insofern habe ich da nichts zurückzunehmen.

Erinnert Sie die Debatte um Unterstützung der Ukraine heute an die Auseinandersetzungen, die die Grünen in den 1990er-Jahren über ein militärisches Eingreifen auf dem Balkan führten?

Nein. Anders als in Jugoslawien haben wir es heute nicht mit einem zerfallenden Staat zu tun, sondern mit einem imperialen Anspruch Russlands. Wenn wir den akzeptieren, hört das nicht bei der Ukraine auf, das muss man klar sehen. Da gibt es bedauerlicherweise einen Ost-West-Unterschied bei uns im wiedervereinigten Deutschland. Wenn wir blind dem imperialen Anspruch Russlands in die Falle tappen würden, wäre das für Europa und für Deutschland die Katastrophe.

Was muss Europa tun, um eine solche Katastrophe zu verhindern?

Wir müssen eine militärische Macht werden als Europäische Union – in Verbindung mit der Nato, die durch den Beitritt Finnlands und Schwedens ja gestärkt worden ist. Wir werden auch national als Bundesrepublik weiter aufrüsten müssen, um für unsere Sicherheit zu sorgen.

Mit mehr als zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Verteidigungsausgaben, wie die Nato es verlangt?

Ja. Denn wenn sich die USA unter einer möglichen zweiten Amtszeit Donald Trumps aus der Nato zurückziehen würden, würde das alles sehr viel teurer werden als zwei Prozent. Wir können nicht sehenden Auges so tun, als wenn sich nichts verändert hätte durch den Angriffskrieg Russlands gegenüber der Ukraine.

Verteidigungsminister Boris Pistorius fordert, dass Deutschland kriegstüchtig werden muss. Der richtige Begriff?

Es geht nicht darum, in einem allgemeinen, abstrakten Sinne kriegstüchtig zu werden. Wir müssen verteidigungsfähig werden. Wir müssen so stark werden, dass jede Überlegung, Nato-Territorium oder gar Bundesgebiet anzugreifen, einfach abwegig ist auf der anderen Seite. Das setzt Abschreckungsfähigkeit voraus. Dass der Verteidigungsminister das als kriegstüchtig bezeichnet hat, das kann ich nicht kritisieren. Denn er hatte offensichtlich im Hinterkopf, dass es darum geht, die illusionäre Phase in Deutschland, in den deutschen Köpfen zu beenden und die Realität zu sehen. Und die Realität ist, dass Putin ohne Not einen Nachbarn überfallen hat. Und er wird, sollte er damit durchkommen, nicht aufhören, sondern weiter westlich weitermachen.

Ein Fehler der deutschen Politik war es, sich in Energieabhängigkeit von Russland zu begeben. Sie waren Anfang der 2000er-Jahre als Berater des Nabucco-Pipeline-Projekts tätig, das als Alternative zu Nord Stream galt.

Auch Nabucco hätte bedeutet, dass man mit autoritären Regierungen zusammenarbeiten muss. Aber es wäre eine Alternative zur russischen Energieabhängigkeit gewesen. Ich bin nach wie vor der Überzeugung, dass es ein großer Fehler war, dass dieses Projekt nicht höheren Orts unterstützt wurde. Denn das hätte zu einer Diversifizierung und damit zu einer Verringerung der Abhängigkeit geführt.

Schafft man durch die Energiepartnerschaft mit Katar nicht erneut Abhängigkeiten?

Nein, Entschuldigung, Katar ist nicht Russland. Russland ist eine imperiale Weltmacht, Katar hingegen ein kleines Land, das eine sehr geschickte Außenpolitik betreibt – durch Kontakte zu den Taliban und zur Hamas etwa, aber auch dadurch, dass das amerikanische Nahost-Hauptquartier dort seinen Sitz hat. Aber das können Sie mit Russland nicht vergleichen, weiß Gott nicht.

Um eine lupenreine Demokratie handelt es sich bei Katar auch nicht, und trotzdem macht Deutschland mit Doha Geschäfte.

Darum kommen Sie nie herum, wenn Sie Außenminister eines Landes wie der Bundesrepublik Deutschland sind, der drittgrößten Wirtschaftsmacht weltweit, da dürfen Sie sich keine Illusionen machen. Dafür hat man ein Außenministerium, dass das auch mit Leuten zweifelhaften Rufes Kontakt hat, wenn es im Interesse des eigenen Landes ist.

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News

“Eine neue Ära”: Von der Leyen setzt auf Verteidigungsunion

“In einer Ära der Aufrüstung ist es oberste Priorität, die Investitionen deutlich zu erhöhen”, schreibt Ursula von der Leyen in ihren Leitlinien für die kommenden fünf Jahre.

Ursula von der Leyen kündigt in ihren politischen Leitlinien eine “neue Ära für Sicherheit und Verteidigung” an. Das neue Topthema kommt am nächsten an den “Mann-auf-dem-Mond-Moment” von 2019, als der Green Deal im Vordergrund stand. Für die Kommissionspräsidentin geht dabei die Unterstützung der Ukraine Hand in Hand mit der neuen Priorität für die EU. Die beste Investition in die europäische Sicherheit sei die Investition in die Sicherheit der Ukraine.

Den größten Applaus bekam die Kandidatin, als sie Viktor Orbán für dessen “Friedensmission” in Moskau kritisierte. Was Ungarns Regierungschef betreibe, sei Beschwichtigungspolitik. Zwei Tage nach Orbáns Besuch bei Wladimir Putin habe Russland das Kinderkrankenhaus in Kiew bombardiert, sagte Ursula von der Leyen. Das sei kein Irrtum gewesen, sondern eine klare Botschaft, eine “abschreckende Botschaft an uns alle”.

Die Kommissionspräsidentin verspricht, die nächsten fünf Jahre den Fokus auf den Aufbau einer “echten europäischen Verteidigungsunion” zu legen. Von der Leyen bekräftigt, dass sie einen Kommissar für Verteidigung ernennen wird, der die Koordination zur Stärkung der industriellen Basis und der Innovation im Rüstungssektor übernehmen soll. Für den neuen Schlüsselposten gibt es bereits verschiedenen Interessenten, unter anderem den bisherigen Binnenmarktkommissar Thierry Breton. Der Franzose müsste dann allerdings mit der neuen EU-Außenbeauftragten Kaja Kallas zusammenarbeiten.

“Höhere Ausgaben, bessere Ausgaben und gemeinsame Ausgaben”

In den ersten 100 Tagen ihres Mandats will Ursula von der Leyen ein Weißbuch zur Zukunft der europäischen Verteidigung vorlegen. Im Mittelpunkt werde dort der Ausbau der Zusammenarbeit zwischen der EU und der Nato stehen, die in den vergangenen Jahren allerdings durch den ungelösten Zypernkonflikt blockiert wurde. Wie diese Blockade zwischen den EU-Mitgliedern Griechenland und Zypern sowie zwischen dem Nato-Mitglied Türkei aufgelöst werden soll, bleibt allerdings offen.

Im Weißbuch soll auch der Investitionsbedarf ermittelt werden, ein heikles Thema mit Blick auf die ungelöste Frage der Finanzierung. Nötig seien “höhere Ausgaben, bessere Ausgaben und gemeinsame Ausgaben”. Verteidigungsetats würden zwar nach wie vor vorwiegend auf nationaler Ebene ausgegeben, so von der Leyen. Sie will aber den Aufbau des Europäischen Verteidigungsfonds vorantreiben, der in hoch entwickelte Verteidigungsfähigkeiten “wie See-, Boden und Luftkampf sowie weltraumgestützte Frühwarnung und Cyberabwehr” investieren soll.

Über den Ausbau des Programms für die europäische Verteidigungsindustrie sollen ferner Anreize gesetzt werden, besonders kritische Lücken bei den militärischen Fähigkeiten über gemeinsame Beschaffungen zu schließen. Es müssten Ressourcen zusammengeführt werden, um den gemeinsamen Bedrohungen durch Vorzeigeprojekte der europäischen Verteidigungsunion zu begegnen. Konkret erwähnt werden die Projekte für einen europäischen Luftschild und zur gemeinsamen Cyberabwehr.

Vorschläge zu Verteidigungsinvestitionen sollen folgen

Die Reizbegriffe Eurobonds oder gemeinsame Schulden vermied von der Leyen sowohl in den Leitlinien als auch in ihrer Bewerbungsrede. Es brauche zuerst Anreize für private Investitionen in die Verteidigung. Das Stichwort Taxonomie kommt zwar nicht vor, könnte aber gemeint sein. Korrekturen bei der Taxonomie könnten ein Weg sein, damit Rüstungsunternehmen einfacher an private Gelder kommen. Verstärkt einspannen will die Kommissionspräsidentin die Europäische Investitionsbank. Nötig seien zudem europäische Investitionen im nächsten mehrjährigen Finanzrahmen.

Ursula von der Leyen kündigt auch an, zusätzlich weitere Vorschläge in Bezug auf den dringenden Bedarf bei Verteidigungsinvestitionen zu unterbreiten. Bis zum nächsten EU-Gipfel im Oktober soll das Optionenpapier vorliegen, das bereits im Juni erwartet und dann aus Rücksicht auf Befindlichkeiten in Berlin zurückgestellt worden war. Spätestens im Herbst dürfte der Konflikt um gemeinsame Schulden, höhere nationale Beiträge in den Haushalt oder neue Eigenmittel wieder aufkochen. Denn ohne ausreichende Finanzierung bleibt die Verteidigungsunion ein Papiertiger. sti

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Pistorius will im Bundestag um höheren Verteidigungshaushalt kämpfen

Verteidigungsminister Boris Pistorius bei einem Besuch des Logistikkommandos der Bundeswehr in der Erfurter Löberfeld-Kaserne am 17. Juli 2024.

Das Bundeskabinett hat, wie von den Koalitionsspitzen vereinbart, eine geringere Erhöhung des Verteidigungshaushalts 2025 vorgeschlagen als von Verteidigungsminister Boris Pistorius gefordert. Der Wehretat soll zudem in den kommenden drei Jahren praktisch unverändert bleiben und erst ab 2028 deutlich steigen. Pistorius kündigte an, im Parlament um mehr Geld für die Truppe zu kämpfen als von Bundesfinanzminister Christian Lindner und der Bundesregierung im Haushaltsentwurf angelegt.

Das Kabinett hatte am Mittwoch mit dem Beschluss zum Haushaltsentwurf für 2025 eine Steigerung des Wehretats von derzeit knapp 52 auf 53,25 Milliarden Euro im kommenden Jahr festgelegt. In der Finanzplanung für 2025 und die Jahre bis 2027 wird trotz weitgehend gleich bleibender Höhe das Nato-Ziel von zwei Prozent der Wirtschaftsleistung erreicht, weil das Sondervermögen von 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr hinzugerechnet wird. Nach Auslaufen des Sondervermögens soll 2028 der Verteidigungshaushalt sprunghaft auf 80 Milliarden Euro steigen.

Pistorius hat das “Ziel nicht aufgegeben”

Der Verteidigungsminister hatte statt der nun im Entwurf festgelegten 1,25 Milliarden eine Erhöhung um 6,5 Milliarden Euro für das kommende Jahr gefordert. Diese Forderung “war nicht aus der Luft gegriffen”, sagte Pistorius der Rheinischen Post. Ohne eine entsprechende Erhöhung könne die Bundeswehr wichtige Vorhaben “entweder nicht so schnell umsetzen, wie es nötig wäre oder wir müssten nach neuen Finanzierungsmöglichkeiten suchen”. Der SPD-Politiker kündigte an, in den Haushaltsberatungen im Bundestag bei den Abgeordneten um mehr Geld zu werben: “Ich habe das Ziel nicht aufgegeben, dass wir im nun anstehenden parlamentarischen Verfahren noch mehr Mittel dazu bekommen. Bei meinen Zahlen bleibe ich, damit die Soldatinnen und Soldaten den Anforderungen der kommenden Jahre im Interesse unser aller Sicherheit gerecht werden können.”

Ein wesentliches Problem für den Verteidigungsminister ist, dass das Sondervermögen zwar im Wesentlichen für neue Beschaffungen der Bundeswehr genutzt werden kann, steigende Kosten für den Betrieb jedoch nicht abdeckt. Pistorius verwies zudem darauf, dass auch die für 2028 anvisierte Erhöhung des Wehretats möglicherweise angesichts des Bedarfs der Truppe nicht ausreichen werde: Auch die dann vorgesehenen 80 Milliarden Euro seien “noch knapp bemessen”.

Anders als der Verteidigungshaushalt wird im Etatentwurf das vorgesehene Geld für die militärische Unterstützung der Ukraine deutlich gekürzt. Die Ausgaben für “Ertüchtigung von Partnerstaaten im Bereich Sicherheit, Verteidigung und Stabilisierung” sollen nach fast acht Milliarden Euro im kommenden Jahr auf vier Milliarden sinken. Das Auswärtige Amt verwies darauf, dass Deutschland im Rahmen von G7, Nato und EU weiterhin Milliarden für die Ukraine zur Verfügung stelle und Europas größter Geldgeber für das angegriffene Land bleibe. tw

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Internationaler Strafgerichtshof: Warum er auch bei Verbrechen der Aggression tätig werden sollte

Der Internationale Strafgerichtshof (ICC) in Den Haag.

Angesichts der Machtlosigkeit des Internationalen Strafgerichtshofs (ICC), den Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine zu ahnden, mehren sich die Forderungen nach einer Ausweitung seiner Zuständigkeit. 26 Jahre nach Verabschiedung des Rom-Statuts, das seit Juli 1998 die vertragliche Grundlage des ICC bildet, ruft das Global Institute for the Prevention of Aggression (Gipa) die Vertragsstaaten dazu auf, die Zuständigkeit des Gerichtshofs im Falle von Angriffskriegen der Zuständigkeit für Völkermord, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit anzugleichen. Die Vertragsstaaten müssten sich dafür auf eine Änderung von Artikel 15 des Statuts einigen.

Seit dem Kompromiss von Kampala von Juli 2017 zählt auch das Verbrechen der Aggression zu den Straftaten, die vom ICC verfolgt werden können. Allerdings kann die Planung, Vorbereitung, Einleitung oder Ausführung einer Angriffshandlung derzeit nur verfolgt werden, wenn der Staat, dem der Aggressor angehört, Vertragsstaat ist oder der UN-Sicherheitsrat den Fall an den Chefankläger am ICC überwiesen hat. Russland ist nicht Vertragsstaat und blockiert einen entsprechenden Beschluss des Sicherheitsrats. Bei den übrigen Völkerrechtsverbrechen, die der Zuständigkeit des ICC unterliegen, kann der Ankläger auch gegen Staatsangehörige von Nichtvertragsstaaten ermitteln, sofern der Opferstaat unter die ICC-Jurisdiktion fällt.

Baerbock: “Niemand darf im 21. Jahrhundert einen Angriffskrieg führen und straflos bleiben.”

Die Bundesregierung hat sich wiederholt für eine Ausweitung der Zuständigkeit des ICC ausgesprochen. Außenministerin Annalena Baerbock hatte anlässlich des 25. Jahrestags des Rom-Statuts von einer “schmerzhaften Lücke” in der Strafverfolgung gesprochen. “Niemand darf im 21. Jahrhundert einen Angriffskrieg führen und straflos bleiben. Deshalb wollen wir gemeinsam mit Partnern das Völkerrecht weiterentwickeln, sodass es unseren Realitäten im 21. Jahrhundert gerecht wird.” Unterstützung für diese Position gibt es aus südamerikanischen und afrikanischen Staaten. Doch die G7-Staaten Frankreich, Großbritannien und die Vereinigten Staaten, die sich schon beim Kompromiss von Kampala schwertaten, bleiben Skeptiker einer Ausweitung der Zuständigkeit des ICC. Helene Bubrowski

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Litauen steigt aus Streubomben-Verbotsvertrag aus

Der litauische Verteidigungsminister Laurynas Kasciunas begründete den Schritt mit Verweis auf Russlands Missachtung der internationalen Regeln.

Litauen ist am Donnerstag aus dem Übereinkommen über Streumunition ausgetreten. Das Parlament beschloss fast einstimmig, das sogenannte Osloer Übereinkommen aufzukündigen, das den Einsatz von Streumunition im Kriegsfall verbietet. Litauen ist damit weltweit das erste Land, das aus dem 2010 in Kraft getretenen, von 110 Ländern ratifizierten Abkommen austritt. Streu- oder Clustermunition ist aufgrund seiner verheerenden Folgen vor allem für die Zivilbevölkerung international geächtet. Nach Abwurf der Munition bleiben oft viele kleine Munitionsteile, sogenannte Bomblets, als Blindgänger unentdeckt zurück, was es sehr schwer macht, sie zu bergen.

Litauens Verteidigungsminister Laurynas Kasčiūnas sagte am Donnerstag im Parlament in Vilnius: “Solche Konventionen sind wichtig, wenn sich alle Länder daran halten. In diesem Fall besteht das Problem darin, dass die Russische Föderation, die eine Aggression gegen die Ukraine durchführt und imperialistische Ambitionen hegt, diese Regeln nicht befolgt.”

Gemeinsame Beschaffung von Streumunition

Litauen hatte die Konvention zum Verbot von Streumunition 2010 als einziges Land an der Nato-Ostflanke ratifiziert. “Als wir diese Konvention ratifizierten und ihr beitraten, war das eine andere Ära. Jetzt ist alles viel komplizierter. Daher wäre es sehr falsch, wenn der Staat bei der Vorbereitung seiner Verteidigung sofort sagen würde, welche Kapazitäten er nicht für seine Verteidigung nutzen würde”, sagte Kasčiūnas. Nun werde er den anderen baltischen Ländern, Finnland sowie Polen vorschlagen, gemeinsam über den Kauf von Streumunition nachzudenken. 

Die Hilfsorganisation Handicap International (HI) zeigte sich “zutiefst besorgt” über den Ausstieg Litauens aus dem Übereinkommen. “Der Rückzug Litauens stellt einen gefährlichen Präzedenzfall dar und wird tiefgreifende Auswirkungen haben, da er die Rechtsstaatlichkeit und die Normen gegen diese Waffen weiter untergräbt”, heißt es in einer Mitteilung. klm

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Presseschau

The Interpreter: Philippines-Japan security pact puts China on notice. Nach jahrelangen Verhandlungen haben die Philippinen und Japan einen Sicherheitspakt abgeschlossen, der gemeinsame militärische Aktivitäten, sowie Weitergabe und Austausch von Waffensystemen regelt. Ziel beider Nationen ist, sich auf Eventualitäten im benachbarten Taiwan vorzubereiten – mit und ohne Washingtons Unterstützung als Backup.

+972 Magazine: Deceive, defy, and defer – Netanyahu’s time-tested strategy to outmaneuver Biden. Dieser Artikel beschreibt, wie Benjamin Netanjahu sein Wissen über Joe Bidens Führungsstil nutzt, um die Bemühungen Washingtons um eine Zwei-Staaten-Lösung in Israel-Palästina abzuwehren, und wie dies die innenpolitische Lage in den USA beeinflusst.

The New York Times: Taiwan’s Blunt-Talking Leader Faces China’s Backlash. Die New York Times schreibt darüber, wie China mehr militärischen und politischen Druck auf Taiwans neuen Präsidenten Lai Ching-te ausübt. Der weise Pekings Forderungen derweil schärfer zurück als seine Vorgängerin. Spannungen seien zur Normalität geworden, heißt es. Ein Krieg drohe vorerst allerdings nicht, denn noch hoffe Xi Jinping auf eine friedliche Aufnahme Taiwans.

ZEIT: Mehr Sanktionen, bitte! “Die mutmaßlichen Anschlagspläne gegen den Rheinmetall-Chef Armin Papperger durch russische Agenten verlangen eine deutliche Antwort”, kommentiert Wirtschaftsredakteur Ingo Malcher. Zudem sei außerordentlich relevant, dass der Westen angemessen auf russische Sabotageakte, Cyberangriffe und Desinformationskampagnen reagiere.

Der Standard: US-Historiker Snyder: “Putin würde Trump sofort demütigen.” Der Osteuropaexperte Timothy Snyder erklärt in diesem Interview, warum der Angriff auf die Ukraine geopolitisch nicht rational ist, warum mit Russland keine Kompromisse zu machen sind und was Donald Trump und Wladimir Putin gemeinsam haben.

Heads

H&K-Chef Koch – Wie er das Image des Handwaffenherstellers aufpoliert

Jens Bodo Koch wurde gerade bis Ende Januar 2027 als Vorstandsvorsitzender bei Heckler und Koch bestätigt.

Vor 15 Jahren bezeichnete die Wirtschaftswoche Heckler und Koch (H&K) als “das tödlichste Unternehmen Deutschlands”. Das war lange vor der Zeit von Jens Bodo Koch. Der 52-Jährige ist seit 2018 Vorstandsvorsitzender beim Handwaffenhersteller aus Oberndorf am Neckar – und er bemüht sich um einen Imagewandel.

Angefangen damit, dass er mit Journalistinnen und Journalisten spricht. Das war nicht immer so bei Heckler und Koch. “Wir müssen unser Geschäft erklären, sagt Koch, der nur zufällig seinen Nachnamen mit der Gründerfamilie teilt. Gleich zweimal lädt er Table.Briefings in sein Berliner Büro ein, dem der gebürtige Schleswig-Holsteiner regelmäßige Besuche abstattet. Er holt lange aus, um zu erklären, warum die Unterstützung der Ukraine so wichtig ist, erzählt von seinem Besuch vor Ort und wie ihm die Ukrainerinnen und Ukrainer und ihr Kampf um die Freiheit imponiert haben.

Handwaffen als Garant für Sicherheit und Frieden

Die Überleitung dazu, warum Handwaffen nicht die Sicherheit und Freiheit bedrohen, ist schnell gemacht. Auch in der Ukraine, die sich gegen den völkerrechtswidrigen russischen Angriffskrieg verteidigt, kommt Heckler und Kochs Sortiment zum Einsatz. Allerdings werden Handwaffen lange nicht in dem Ausmaß geliefert wie größere Rüstungsgüter und das H&K Geschäft schrumpft trotz Ukrainekrieg.

Einen Großteil seines Umsatzes macht das Unternehmen nach wie vor in den USA, wo die laxen Waffengesetze ein florierendes Geschäft erlauben. Die Amokläufe oder andere tragische Verbrechen, bei denen potenziell seine Handwaffen eingesetzt werden könnten, bügelt Koch ab. Die Gesetze seien heute viel strikter als noch in den 1990er-Jahren, das FBI prüfe genau, in welche Hände die Waffen gelangen.

An den weißen Bürowänden hängen gerahmte Plakate von Spezialkräften in Actionfilmoptik – ausgestattet mit Heckler&Koch-Produkten. Seit über 70 Jahren beliefert das Unternehmen Streitkräfte in aller Welt – darunter Sondereinsatzkräfte und die Polizei. 2016 hat sich das Unternehmen aber als einziges Waffenunternehmen eine “freiwillige Selbstbeschränkung” auferlegt, wonach nur EU-Staaten, Staaten der Nato und Nato-assoziierte Staaten wie Neuseeland, Australien, Japan und die Schweiz beliefert werden dürfen.

Rüstungsexportkontrollgesetz ist “wünschenswert”

Heckler und Koch wirbt noch heute mit dieser sogenannten Grünen-Länder-Strategie. Darauf ist auch Koch, der zuvor an der Spitze des Rüstungsunternehmens Atlas Elektronik stand, sichtlich stolz. De facto hat die Strategie allerdings heute keine Auswirkungen mehr auf die Exportbeschränkungen des Unternehmens. Die deutschen Exportregularien und die speziellen Richtlinien zum Export von Handfeuerwaffen sind mittlerweile so streng, dass die Grüne-Länder-Strategie keine Selbstbeschränkung mehr darstellt, sondern quasi Gesetz ist. Der Kreis der belieferbaren Staaten wurde bereits ausgeweitet auf Staaten mit “bestehenden Sicherheitspartnerschaften zur Bundesrepublik Deutschland” wie Singapur oder Südkorea.

Angst vor einem Update des Rüstungsexportkontrollgesetzes, das dann möglicherweise über die Grüne-Länder-Strategie hinaus gehen könnte, hat er nicht. Aus Perspektive Koch sei ein solches Gesetz sogar “wünschenswert”, weil damit klar werde, wer potenzieller Kunde sei und wer nicht. Das Gesetz sollte aus Kochs Sicht aber ein Mittel sein, um Sicherheitspartnerschaften dann auch zu “konkretisieren”.

Im Grundsatz umschreibt er damit, was auch der grüne Wirtschaftsminister Robert Habeck im Sinn zu haben scheint, wenn es um das Rüstungsexportkontrollgesetz geht. Das Gesetz also als Instrument geopolitischer Interessen. Das wiederum bedeutet, der Kreis der Länder, die beliefert werden können, weitet sich aus.

Gute Zeiten für den Chef eines Rüstungsunternehmens

Mit der Ampel-Regierung und gerade den Ministern Boris Pistorius und Robert Habeck ist er ohnehin sichtlich zufrieden. Beide kommen aus Parteien, die noch vor kurzer Zeit nicht dafür bekannt waren, den Kontakt zur Rüstungsindustrie zu suchen. Beide sind derzeit ihre stärksten Unterstützer. Mit Pistorius besuchte kürzlich zum ersten Mal seit 14 Jahren ein Verteidigungsminister den Bundeswehrausrüster in Oberndorf.

Vom “tödlichsten Unternehmen” ist 2024 zumindest keine Rede mehr. Koch betont, dass sein Unternehmen “Sicherheit und Frieden” in ganz Europa schütze, indem es alle Spezialkräfte in Europa ausrüste. “Ganze Länder verlassen sich für ihre Sicherheit auf die Produkte von Heckler und Koch”, sagt er und öffnet ein Wasser mit einem Flaschenöffner in Form eines G36-Sturmgewehrs. Es sind gute Zeiten für den Chef eines Rüstungsunternehmens, das sich um einen Imagewandel bemüht. Anfang des Jahres hat der Aufsichtsrat seinen Vertrag bis Ende Januar 2027 verlängert. Wilhelmine Preußen

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  • Rüstungsindustrie

Security.Table Redaktion

SECURITY.TABLE REDAKTION

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    Liebe Leserin, lieber Leser,

    dass die wiedergewählte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen einmal deutsche Verteidigungsministerin war, lässt sich auch an ihren gestern in Straßburg vorgestellten politischen Leitlinien ablesen. Stephan Israel hat aufgeschrieben, was sie sich für die nächsten fünf Jahre sicherheits- und verteidigungspolitisch vorgenommen hat. Die ambitionierten Pläne dürften auch bei Joschka Fischer auf Zuspruch stoßen. Im Gespräch mit Markus Bickel fordert der frühere Außenminister, dass die EU eine Militärmacht werden müsse.

    Für weitreichende und nachhaltige Schritte zur glaubwürdigen Abschreckung bräuchte allerdings nicht nur die EU, sondern auch Deutschland mehr Geld. Thomas Wiegold schreibt, dass Verteidigungsminister Boris Pistorius sein Ziel eines höheren Verteidigungsetats 2025 deshalb noch nicht aufgegeben hat. Im Bundestag will er bei den Haushaltsverhandlungen für mehr Geld für die Truppe werben – nach der Sommerpause.

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    US-Mittelstreckenraketen: Bundestag moniert mangelnde Informationen über Stationierung

    US-Verteidigungsminister Lloyd Austin und Boris Pistorius auf dem Nato-Gipfel in Washington D.C., 11. Juli 2024.

    Auch eine Woche nach der Ankündigung von Bundeskanzler Olaf Scholz, bis 2026 US-Mittelstreckenraketen in Deutschland zu stationieren, hat die Bundesregierung den Bundestag nicht über die Details der Pläne unterrichtet. “Die Debatte müsste sorgfältiger und problemorientierter geführt werden”, bemängelte der Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion für Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung sowie für transatlantische Beziehungen, Ralf Stegner, gegenüber Table.Briefings.

    Der Obmann der Linken-Bundestagsgruppe im Verteidigungsausschuss, Dietmar Bartsch, kritisierte gegenüber Table.Briefings: “Das Mindeste ist, dass die Obleute von der zuständigen Staatssekretärin oder Generalinspekteur Carsten Breuer über die Sachlage informiert werden.” Dass es bislang nur eine “verbale Ankündigung” des Bundeskanzlers gebe, sei “unverantwortlich”. Die Ampelregierung komme “ihrer Informationspflicht gegenüber dem Parlament nicht nach”. Aus der FDP-Bundestagsfraktion hieß es, “der parlamentarische Raum steht zunehmend nackig da”.

    CDU-Außenpolitiker Hardt: “Wir sollten den USA dankbar sein”

    Als “erstaunlich” bezeichnete der frühere Bundeswehr-Offizier, Oberst a.D. Wolfgang Richter die am Rande des Nato-Gipfels in Washington bekannt gegebene bilaterale Vereinbarung zwischen Deutschland und den USA. “Man würde ja eigentlich erwarten, dass das Bündnis als Ganzes so etwas kundtut”, sagte er der ARD.

    Unterstützung für die Entscheidung kommt aus der konservativen Opposition. “Wir sollten den USA dafür dankbar sein”, sagte der außenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Jürgen Hardt, gegenüber Table.Briefings. “Gerade vor einer möglichen zweiten Amtszeit von Donald Trump ist die Stationierung von Tomahawk-Marschflugkörpern ein wichtiges Zeichen der transatlantischen Freundschaft und des gegenseitigen Sicherheitsversprechens.”

    Trump könnte Abkommen aufkündigen

    Da der geplante Beginn der Stationierung mehr als ein Jahr nach der US-Präsidentenwahl im kommenden November liegt, könnte sie Trump im Falle seiner Wiederwahl rückgängig machen. Ansonsten stünden erstmals nach Ende des Krieges wieder Raketen auf deutschem Boden, die militärische Ziele in Russland treffen könnten. Russland hat Mittelstreckenraketen vom Typ Iskander bereits seit Jahren in Kaliningrad stationiert, die auch mit nuklearen Sprengköpfen bestückt werden könnten.

    Laut der Ankündigung von Weißem Haus und Bundesregierung sollen US-amerikanische Marschflugkörper vom Typ Tomahawk mit etwa 1.600 Kilometern Reichweite, Flugabwehrraketen vom Typ SM-6, die jedoch als Boden-Boden-Kurzstreckenraketen verwendet würden, und neu entwickelte Überschallwaffen ab 2026 in Deutschland stationiert werden, um für einen besseren Schutz der Nato-Verbündeten in Europa zu sorgen. Moskau liegt etwa 1.600 Kilometer Luftlinie von Berlin entfernt.

    Die Stationierung der US-amerikanischen Mittelstreckensysteme gilt nur als Übergangslösung, bis europäische Staaten eigene Fähigkeiten in diesem Segment aufgebaut haben. So sieht die auf dem Nato-Gipfel in Washington von Verteidigungsminister Boris Pistorius und seinen Amtskollegen aus Frankreich, Polen und Italien unterzeichnete Absichtserklärung die gemeinsame Entwicklung von Mittelstreckenraketen im Rahmen des European Long Range Strike Approach (Elsa) vor. 

    MBDA hält sich bereit

    Der Marinemarschflugkörper “missile de croisière naval” (MdCN) des Raketenherstellers MBDA könnte als Basis für die neue Waffe dienen. Auf dem Kurznachrichtendienst X brachte sich das Unternehmen mit Standorten in Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Spanien und den USA schon in Stellung. Nur MBDA verfüge über “die Technologie, Expertise und grenzübergreifende Partnerschaften”, um die Anforderungen zu erfüllen. Eine Umrüstung des von U-Booten und Fregatten startenden MdCN zu einer Boden-Boden-Rakete sei vergleichsweise unkompliziert, hieß es Table.Briefings gegenüber aus französischen Industriekreisen. 

    Russlands stellvertretender Außenminister Sergej Rjabkow hatte die Entscheidung vergangene Woche als “Kettenglied im Eskalationskurs” von Nato und USA bezeichnet. Die russische Sicherheit werde durch solche Waffen beeinträchtigt, zitierte ihn die russische Nachrichtenagentur Tass. “Wir werden, ohne Nerven oder Emotionen zu zeigen, eine vor allem militärische Antwort darauf ausarbeiten.”

    Stegner warnt vor Abschreckungslogik

    Pistorius hingegen argumentiert, dass die Waffen der Abschreckung dienten, “nicht mehr und nicht weniger”. Sollte Deutschland angegriffen werden, könne man sich so aus der Distanz “zur Wehr setzen.” Dafür wird er auch aus den eigenen Reihen kritisiert – nicht zuletzt im linken Flügel der SPD ist die Sorge vor einem neuen Wettrüsten mit Russland groß. “Dass es keine breitere gesellschaftliche Debatte” über die Stationierung gebe wie Anfang der 1980er Jahre gegen den Nato-Doppelbeschluss liege auch daran, dass sich frühere Rüstungskritiker “vom Ostermarsch zum Truppenübungsplatz verabschiedet haben in rasender Geschwindigkeit”, so Stegner mit Blick auf die Grünen. 

    Der abrüstungspolitische Sprecher seiner Fraktion zeigte sich skeptisch, dass durch die Stationierung neuer Waffen mehr Sicherheit geschaffen werde: “Die vielfach angeführte Abschreckungslogik hat auch durch die technischen Entwicklungen der vergangenen Jahrzehnte an Glaubwürdigkeit verloren.” Das sieht nicht nur der SPD-Verteidigungsminister anders, sondern auch die für Außen- und Verteidigungspolitik zuständige stellvertretende SPD-Bundestagsfraktionsvorsitzende Gabriela Heinrich, die die Stationierung als “notwendige Reaktion zum Schutz Europas gegen die Bedrohung, die von Russland ausgeht” bezeichnete. “Die US-Systeme werden einen wichtigen Beitrag zur Verteidigung Europas leisten und sie senden gleichzeitig ein unmissverständliches Signal transatlantischer Zusammenarbeit für die Sicherheit Europas.” Mit Gabriel Bub

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    Joschka Fischer: “Die EU muss eine Militärmacht werden”

    Der frühere deutsche Außenminister Joschka Fischer im März auf dem internationalen Literaturfestival Lit.Cologne in Köln.

    Herr Fischer, vor 25 Jahren, im Sommer 1999, endete der Kosovo-Krieg. Bedeutete der erste deutsche Kriegseinsatz nach 1945 eine historische Zäsur?

    Es war nicht die Zäsur, als die sie in der deutschen Innenpolitik gesehen wurde damals, sondern eine Notwendigkeit, um Frieden in Europa, Frieden auf dem Balkan zu sichern, der ja bis heute ein sehr prekärer ist. Für uns als Bundesregierung ging es 1999 darum, dass wir als loyale Bündnispartner mit im Boot sein mussten, weil Serbiens Machthaber Slobodan Milošević darauf setzte, Deutschland als Hebel zu nutzen, um die Nato auseinanderzudividieren.

    Sie haben zur Begründung der Nato-Intervention gesagt: “Nie wieder Auschwitz, nie wieder Krieg.” Würden Sie das heute wieder so formulieren?

    Marek Edelman, einer der Anführer des Aufstands im Warschauer Ghetto, hat genau diese Parallele gezogen. Mich hat das sehr überzeugt, vielleicht auch, weil ich mit diesen beiden Grundsätzen, nie wieder Auschwitz, nie wieder Krieg, politisch aufgewachsen bin. Das war keine Verharmlosung von Auschwitz oder eine Instrumentalisierung, mitnichten. Was damals auf dem Balkan geschehen ist, das hatte schon starken Völkermordcharakter, vor allen Dingen in Bosnien-Herzegowina. Innerhalb des Kosovo begann sich Ähnliches abzuzeichnen, insofern habe ich da nichts zurückzunehmen.

    Erinnert Sie die Debatte um Unterstützung der Ukraine heute an die Auseinandersetzungen, die die Grünen in den 1990er-Jahren über ein militärisches Eingreifen auf dem Balkan führten?

    Nein. Anders als in Jugoslawien haben wir es heute nicht mit einem zerfallenden Staat zu tun, sondern mit einem imperialen Anspruch Russlands. Wenn wir den akzeptieren, hört das nicht bei der Ukraine auf, das muss man klar sehen. Da gibt es bedauerlicherweise einen Ost-West-Unterschied bei uns im wiedervereinigten Deutschland. Wenn wir blind dem imperialen Anspruch Russlands in die Falle tappen würden, wäre das für Europa und für Deutschland die Katastrophe.

    Was muss Europa tun, um eine solche Katastrophe zu verhindern?

    Wir müssen eine militärische Macht werden als Europäische Union – in Verbindung mit der Nato, die durch den Beitritt Finnlands und Schwedens ja gestärkt worden ist. Wir werden auch national als Bundesrepublik weiter aufrüsten müssen, um für unsere Sicherheit zu sorgen.

    Mit mehr als zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Verteidigungsausgaben, wie die Nato es verlangt?

    Ja. Denn wenn sich die USA unter einer möglichen zweiten Amtszeit Donald Trumps aus der Nato zurückziehen würden, würde das alles sehr viel teurer werden als zwei Prozent. Wir können nicht sehenden Auges so tun, als wenn sich nichts verändert hätte durch den Angriffskrieg Russlands gegenüber der Ukraine.

    Verteidigungsminister Boris Pistorius fordert, dass Deutschland kriegstüchtig werden muss. Der richtige Begriff?

    Es geht nicht darum, in einem allgemeinen, abstrakten Sinne kriegstüchtig zu werden. Wir müssen verteidigungsfähig werden. Wir müssen so stark werden, dass jede Überlegung, Nato-Territorium oder gar Bundesgebiet anzugreifen, einfach abwegig ist auf der anderen Seite. Das setzt Abschreckungsfähigkeit voraus. Dass der Verteidigungsminister das als kriegstüchtig bezeichnet hat, das kann ich nicht kritisieren. Denn er hatte offensichtlich im Hinterkopf, dass es darum geht, die illusionäre Phase in Deutschland, in den deutschen Köpfen zu beenden und die Realität zu sehen. Und die Realität ist, dass Putin ohne Not einen Nachbarn überfallen hat. Und er wird, sollte er damit durchkommen, nicht aufhören, sondern weiter westlich weitermachen.

    Ein Fehler der deutschen Politik war es, sich in Energieabhängigkeit von Russland zu begeben. Sie waren Anfang der 2000er-Jahre als Berater des Nabucco-Pipeline-Projekts tätig, das als Alternative zu Nord Stream galt.

    Auch Nabucco hätte bedeutet, dass man mit autoritären Regierungen zusammenarbeiten muss. Aber es wäre eine Alternative zur russischen Energieabhängigkeit gewesen. Ich bin nach wie vor der Überzeugung, dass es ein großer Fehler war, dass dieses Projekt nicht höheren Orts unterstützt wurde. Denn das hätte zu einer Diversifizierung und damit zu einer Verringerung der Abhängigkeit geführt.

    Schafft man durch die Energiepartnerschaft mit Katar nicht erneut Abhängigkeiten?

    Nein, Entschuldigung, Katar ist nicht Russland. Russland ist eine imperiale Weltmacht, Katar hingegen ein kleines Land, das eine sehr geschickte Außenpolitik betreibt – durch Kontakte zu den Taliban und zur Hamas etwa, aber auch dadurch, dass das amerikanische Nahost-Hauptquartier dort seinen Sitz hat. Aber das können Sie mit Russland nicht vergleichen, weiß Gott nicht.

    Um eine lupenreine Demokratie handelt es sich bei Katar auch nicht, und trotzdem macht Deutschland mit Doha Geschäfte.

    Darum kommen Sie nie herum, wenn Sie Außenminister eines Landes wie der Bundesrepublik Deutschland sind, der drittgrößten Wirtschaftsmacht weltweit, da dürfen Sie sich keine Illusionen machen. Dafür hat man ein Außenministerium, dass das auch mit Leuten zweifelhaften Rufes Kontakt hat, wenn es im Interesse des eigenen Landes ist.

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    “Eine neue Ära”: Von der Leyen setzt auf Verteidigungsunion

    “In einer Ära der Aufrüstung ist es oberste Priorität, die Investitionen deutlich zu erhöhen”, schreibt Ursula von der Leyen in ihren Leitlinien für die kommenden fünf Jahre.

    Ursula von der Leyen kündigt in ihren politischen Leitlinien eine “neue Ära für Sicherheit und Verteidigung” an. Das neue Topthema kommt am nächsten an den “Mann-auf-dem-Mond-Moment” von 2019, als der Green Deal im Vordergrund stand. Für die Kommissionspräsidentin geht dabei die Unterstützung der Ukraine Hand in Hand mit der neuen Priorität für die EU. Die beste Investition in die europäische Sicherheit sei die Investition in die Sicherheit der Ukraine.

    Den größten Applaus bekam die Kandidatin, als sie Viktor Orbán für dessen “Friedensmission” in Moskau kritisierte. Was Ungarns Regierungschef betreibe, sei Beschwichtigungspolitik. Zwei Tage nach Orbáns Besuch bei Wladimir Putin habe Russland das Kinderkrankenhaus in Kiew bombardiert, sagte Ursula von der Leyen. Das sei kein Irrtum gewesen, sondern eine klare Botschaft, eine “abschreckende Botschaft an uns alle”.

    Die Kommissionspräsidentin verspricht, die nächsten fünf Jahre den Fokus auf den Aufbau einer “echten europäischen Verteidigungsunion” zu legen. Von der Leyen bekräftigt, dass sie einen Kommissar für Verteidigung ernennen wird, der die Koordination zur Stärkung der industriellen Basis und der Innovation im Rüstungssektor übernehmen soll. Für den neuen Schlüsselposten gibt es bereits verschiedenen Interessenten, unter anderem den bisherigen Binnenmarktkommissar Thierry Breton. Der Franzose müsste dann allerdings mit der neuen EU-Außenbeauftragten Kaja Kallas zusammenarbeiten.

    “Höhere Ausgaben, bessere Ausgaben und gemeinsame Ausgaben”

    In den ersten 100 Tagen ihres Mandats will Ursula von der Leyen ein Weißbuch zur Zukunft der europäischen Verteidigung vorlegen. Im Mittelpunkt werde dort der Ausbau der Zusammenarbeit zwischen der EU und der Nato stehen, die in den vergangenen Jahren allerdings durch den ungelösten Zypernkonflikt blockiert wurde. Wie diese Blockade zwischen den EU-Mitgliedern Griechenland und Zypern sowie zwischen dem Nato-Mitglied Türkei aufgelöst werden soll, bleibt allerdings offen.

    Im Weißbuch soll auch der Investitionsbedarf ermittelt werden, ein heikles Thema mit Blick auf die ungelöste Frage der Finanzierung. Nötig seien “höhere Ausgaben, bessere Ausgaben und gemeinsame Ausgaben”. Verteidigungsetats würden zwar nach wie vor vorwiegend auf nationaler Ebene ausgegeben, so von der Leyen. Sie will aber den Aufbau des Europäischen Verteidigungsfonds vorantreiben, der in hoch entwickelte Verteidigungsfähigkeiten “wie See-, Boden und Luftkampf sowie weltraumgestützte Frühwarnung und Cyberabwehr” investieren soll.

    Über den Ausbau des Programms für die europäische Verteidigungsindustrie sollen ferner Anreize gesetzt werden, besonders kritische Lücken bei den militärischen Fähigkeiten über gemeinsame Beschaffungen zu schließen. Es müssten Ressourcen zusammengeführt werden, um den gemeinsamen Bedrohungen durch Vorzeigeprojekte der europäischen Verteidigungsunion zu begegnen. Konkret erwähnt werden die Projekte für einen europäischen Luftschild und zur gemeinsamen Cyberabwehr.

    Vorschläge zu Verteidigungsinvestitionen sollen folgen

    Die Reizbegriffe Eurobonds oder gemeinsame Schulden vermied von der Leyen sowohl in den Leitlinien als auch in ihrer Bewerbungsrede. Es brauche zuerst Anreize für private Investitionen in die Verteidigung. Das Stichwort Taxonomie kommt zwar nicht vor, könnte aber gemeint sein. Korrekturen bei der Taxonomie könnten ein Weg sein, damit Rüstungsunternehmen einfacher an private Gelder kommen. Verstärkt einspannen will die Kommissionspräsidentin die Europäische Investitionsbank. Nötig seien zudem europäische Investitionen im nächsten mehrjährigen Finanzrahmen.

    Ursula von der Leyen kündigt auch an, zusätzlich weitere Vorschläge in Bezug auf den dringenden Bedarf bei Verteidigungsinvestitionen zu unterbreiten. Bis zum nächsten EU-Gipfel im Oktober soll das Optionenpapier vorliegen, das bereits im Juni erwartet und dann aus Rücksicht auf Befindlichkeiten in Berlin zurückgestellt worden war. Spätestens im Herbst dürfte der Konflikt um gemeinsame Schulden, höhere nationale Beiträge in den Haushalt oder neue Eigenmittel wieder aufkochen. Denn ohne ausreichende Finanzierung bleibt die Verteidigungsunion ein Papiertiger. sti

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    Pistorius will im Bundestag um höheren Verteidigungshaushalt kämpfen

    Verteidigungsminister Boris Pistorius bei einem Besuch des Logistikkommandos der Bundeswehr in der Erfurter Löberfeld-Kaserne am 17. Juli 2024.

    Das Bundeskabinett hat, wie von den Koalitionsspitzen vereinbart, eine geringere Erhöhung des Verteidigungshaushalts 2025 vorgeschlagen als von Verteidigungsminister Boris Pistorius gefordert. Der Wehretat soll zudem in den kommenden drei Jahren praktisch unverändert bleiben und erst ab 2028 deutlich steigen. Pistorius kündigte an, im Parlament um mehr Geld für die Truppe zu kämpfen als von Bundesfinanzminister Christian Lindner und der Bundesregierung im Haushaltsentwurf angelegt.

    Das Kabinett hatte am Mittwoch mit dem Beschluss zum Haushaltsentwurf für 2025 eine Steigerung des Wehretats von derzeit knapp 52 auf 53,25 Milliarden Euro im kommenden Jahr festgelegt. In der Finanzplanung für 2025 und die Jahre bis 2027 wird trotz weitgehend gleich bleibender Höhe das Nato-Ziel von zwei Prozent der Wirtschaftsleistung erreicht, weil das Sondervermögen von 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr hinzugerechnet wird. Nach Auslaufen des Sondervermögens soll 2028 der Verteidigungshaushalt sprunghaft auf 80 Milliarden Euro steigen.

    Pistorius hat das “Ziel nicht aufgegeben”

    Der Verteidigungsminister hatte statt der nun im Entwurf festgelegten 1,25 Milliarden eine Erhöhung um 6,5 Milliarden Euro für das kommende Jahr gefordert. Diese Forderung “war nicht aus der Luft gegriffen”, sagte Pistorius der Rheinischen Post. Ohne eine entsprechende Erhöhung könne die Bundeswehr wichtige Vorhaben “entweder nicht so schnell umsetzen, wie es nötig wäre oder wir müssten nach neuen Finanzierungsmöglichkeiten suchen”. Der SPD-Politiker kündigte an, in den Haushaltsberatungen im Bundestag bei den Abgeordneten um mehr Geld zu werben: “Ich habe das Ziel nicht aufgegeben, dass wir im nun anstehenden parlamentarischen Verfahren noch mehr Mittel dazu bekommen. Bei meinen Zahlen bleibe ich, damit die Soldatinnen und Soldaten den Anforderungen der kommenden Jahre im Interesse unser aller Sicherheit gerecht werden können.”

    Ein wesentliches Problem für den Verteidigungsminister ist, dass das Sondervermögen zwar im Wesentlichen für neue Beschaffungen der Bundeswehr genutzt werden kann, steigende Kosten für den Betrieb jedoch nicht abdeckt. Pistorius verwies zudem darauf, dass auch die für 2028 anvisierte Erhöhung des Wehretats möglicherweise angesichts des Bedarfs der Truppe nicht ausreichen werde: Auch die dann vorgesehenen 80 Milliarden Euro seien “noch knapp bemessen”.

    Anders als der Verteidigungshaushalt wird im Etatentwurf das vorgesehene Geld für die militärische Unterstützung der Ukraine deutlich gekürzt. Die Ausgaben für “Ertüchtigung von Partnerstaaten im Bereich Sicherheit, Verteidigung und Stabilisierung” sollen nach fast acht Milliarden Euro im kommenden Jahr auf vier Milliarden sinken. Das Auswärtige Amt verwies darauf, dass Deutschland im Rahmen von G7, Nato und EU weiterhin Milliarden für die Ukraine zur Verfügung stelle und Europas größter Geldgeber für das angegriffene Land bleibe. tw

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    Internationaler Strafgerichtshof: Warum er auch bei Verbrechen der Aggression tätig werden sollte

    Der Internationale Strafgerichtshof (ICC) in Den Haag.

    Angesichts der Machtlosigkeit des Internationalen Strafgerichtshofs (ICC), den Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine zu ahnden, mehren sich die Forderungen nach einer Ausweitung seiner Zuständigkeit. 26 Jahre nach Verabschiedung des Rom-Statuts, das seit Juli 1998 die vertragliche Grundlage des ICC bildet, ruft das Global Institute for the Prevention of Aggression (Gipa) die Vertragsstaaten dazu auf, die Zuständigkeit des Gerichtshofs im Falle von Angriffskriegen der Zuständigkeit für Völkermord, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit anzugleichen. Die Vertragsstaaten müssten sich dafür auf eine Änderung von Artikel 15 des Statuts einigen.

    Seit dem Kompromiss von Kampala von Juli 2017 zählt auch das Verbrechen der Aggression zu den Straftaten, die vom ICC verfolgt werden können. Allerdings kann die Planung, Vorbereitung, Einleitung oder Ausführung einer Angriffshandlung derzeit nur verfolgt werden, wenn der Staat, dem der Aggressor angehört, Vertragsstaat ist oder der UN-Sicherheitsrat den Fall an den Chefankläger am ICC überwiesen hat. Russland ist nicht Vertragsstaat und blockiert einen entsprechenden Beschluss des Sicherheitsrats. Bei den übrigen Völkerrechtsverbrechen, die der Zuständigkeit des ICC unterliegen, kann der Ankläger auch gegen Staatsangehörige von Nichtvertragsstaaten ermitteln, sofern der Opferstaat unter die ICC-Jurisdiktion fällt.

    Baerbock: “Niemand darf im 21. Jahrhundert einen Angriffskrieg führen und straflos bleiben.”

    Die Bundesregierung hat sich wiederholt für eine Ausweitung der Zuständigkeit des ICC ausgesprochen. Außenministerin Annalena Baerbock hatte anlässlich des 25. Jahrestags des Rom-Statuts von einer “schmerzhaften Lücke” in der Strafverfolgung gesprochen. “Niemand darf im 21. Jahrhundert einen Angriffskrieg führen und straflos bleiben. Deshalb wollen wir gemeinsam mit Partnern das Völkerrecht weiterentwickeln, sodass es unseren Realitäten im 21. Jahrhundert gerecht wird.” Unterstützung für diese Position gibt es aus südamerikanischen und afrikanischen Staaten. Doch die G7-Staaten Frankreich, Großbritannien und die Vereinigten Staaten, die sich schon beim Kompromiss von Kampala schwertaten, bleiben Skeptiker einer Ausweitung der Zuständigkeit des ICC. Helene Bubrowski

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    Litauen steigt aus Streubomben-Verbotsvertrag aus

    Der litauische Verteidigungsminister Laurynas Kasciunas begründete den Schritt mit Verweis auf Russlands Missachtung der internationalen Regeln.

    Litauen ist am Donnerstag aus dem Übereinkommen über Streumunition ausgetreten. Das Parlament beschloss fast einstimmig, das sogenannte Osloer Übereinkommen aufzukündigen, das den Einsatz von Streumunition im Kriegsfall verbietet. Litauen ist damit weltweit das erste Land, das aus dem 2010 in Kraft getretenen, von 110 Ländern ratifizierten Abkommen austritt. Streu- oder Clustermunition ist aufgrund seiner verheerenden Folgen vor allem für die Zivilbevölkerung international geächtet. Nach Abwurf der Munition bleiben oft viele kleine Munitionsteile, sogenannte Bomblets, als Blindgänger unentdeckt zurück, was es sehr schwer macht, sie zu bergen.

    Litauens Verteidigungsminister Laurynas Kasčiūnas sagte am Donnerstag im Parlament in Vilnius: “Solche Konventionen sind wichtig, wenn sich alle Länder daran halten. In diesem Fall besteht das Problem darin, dass die Russische Föderation, die eine Aggression gegen die Ukraine durchführt und imperialistische Ambitionen hegt, diese Regeln nicht befolgt.”

    Gemeinsame Beschaffung von Streumunition

    Litauen hatte die Konvention zum Verbot von Streumunition 2010 als einziges Land an der Nato-Ostflanke ratifiziert. “Als wir diese Konvention ratifizierten und ihr beitraten, war das eine andere Ära. Jetzt ist alles viel komplizierter. Daher wäre es sehr falsch, wenn der Staat bei der Vorbereitung seiner Verteidigung sofort sagen würde, welche Kapazitäten er nicht für seine Verteidigung nutzen würde”, sagte Kasčiūnas. Nun werde er den anderen baltischen Ländern, Finnland sowie Polen vorschlagen, gemeinsam über den Kauf von Streumunition nachzudenken. 

    Die Hilfsorganisation Handicap International (HI) zeigte sich “zutiefst besorgt” über den Ausstieg Litauens aus dem Übereinkommen. “Der Rückzug Litauens stellt einen gefährlichen Präzedenzfall dar und wird tiefgreifende Auswirkungen haben, da er die Rechtsstaatlichkeit und die Normen gegen diese Waffen weiter untergräbt”, heißt es in einer Mitteilung. klm

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    Presseschau

    The Interpreter: Philippines-Japan security pact puts China on notice. Nach jahrelangen Verhandlungen haben die Philippinen und Japan einen Sicherheitspakt abgeschlossen, der gemeinsame militärische Aktivitäten, sowie Weitergabe und Austausch von Waffensystemen regelt. Ziel beider Nationen ist, sich auf Eventualitäten im benachbarten Taiwan vorzubereiten – mit und ohne Washingtons Unterstützung als Backup.

    +972 Magazine: Deceive, defy, and defer – Netanyahu’s time-tested strategy to outmaneuver Biden. Dieser Artikel beschreibt, wie Benjamin Netanjahu sein Wissen über Joe Bidens Führungsstil nutzt, um die Bemühungen Washingtons um eine Zwei-Staaten-Lösung in Israel-Palästina abzuwehren, und wie dies die innenpolitische Lage in den USA beeinflusst.

    The New York Times: Taiwan’s Blunt-Talking Leader Faces China’s Backlash. Die New York Times schreibt darüber, wie China mehr militärischen und politischen Druck auf Taiwans neuen Präsidenten Lai Ching-te ausübt. Der weise Pekings Forderungen derweil schärfer zurück als seine Vorgängerin. Spannungen seien zur Normalität geworden, heißt es. Ein Krieg drohe vorerst allerdings nicht, denn noch hoffe Xi Jinping auf eine friedliche Aufnahme Taiwans.

    ZEIT: Mehr Sanktionen, bitte! “Die mutmaßlichen Anschlagspläne gegen den Rheinmetall-Chef Armin Papperger durch russische Agenten verlangen eine deutliche Antwort”, kommentiert Wirtschaftsredakteur Ingo Malcher. Zudem sei außerordentlich relevant, dass der Westen angemessen auf russische Sabotageakte, Cyberangriffe und Desinformationskampagnen reagiere.

    Der Standard: US-Historiker Snyder: “Putin würde Trump sofort demütigen.” Der Osteuropaexperte Timothy Snyder erklärt in diesem Interview, warum der Angriff auf die Ukraine geopolitisch nicht rational ist, warum mit Russland keine Kompromisse zu machen sind und was Donald Trump und Wladimir Putin gemeinsam haben.

    Heads

    H&K-Chef Koch – Wie er das Image des Handwaffenherstellers aufpoliert

    Jens Bodo Koch wurde gerade bis Ende Januar 2027 als Vorstandsvorsitzender bei Heckler und Koch bestätigt.

    Vor 15 Jahren bezeichnete die Wirtschaftswoche Heckler und Koch (H&K) als “das tödlichste Unternehmen Deutschlands”. Das war lange vor der Zeit von Jens Bodo Koch. Der 52-Jährige ist seit 2018 Vorstandsvorsitzender beim Handwaffenhersteller aus Oberndorf am Neckar – und er bemüht sich um einen Imagewandel.

    Angefangen damit, dass er mit Journalistinnen und Journalisten spricht. Das war nicht immer so bei Heckler und Koch. “Wir müssen unser Geschäft erklären, sagt Koch, der nur zufällig seinen Nachnamen mit der Gründerfamilie teilt. Gleich zweimal lädt er Table.Briefings in sein Berliner Büro ein, dem der gebürtige Schleswig-Holsteiner regelmäßige Besuche abstattet. Er holt lange aus, um zu erklären, warum die Unterstützung der Ukraine so wichtig ist, erzählt von seinem Besuch vor Ort und wie ihm die Ukrainerinnen und Ukrainer und ihr Kampf um die Freiheit imponiert haben.

    Handwaffen als Garant für Sicherheit und Frieden

    Die Überleitung dazu, warum Handwaffen nicht die Sicherheit und Freiheit bedrohen, ist schnell gemacht. Auch in der Ukraine, die sich gegen den völkerrechtswidrigen russischen Angriffskrieg verteidigt, kommt Heckler und Kochs Sortiment zum Einsatz. Allerdings werden Handwaffen lange nicht in dem Ausmaß geliefert wie größere Rüstungsgüter und das H&K Geschäft schrumpft trotz Ukrainekrieg.

    Einen Großteil seines Umsatzes macht das Unternehmen nach wie vor in den USA, wo die laxen Waffengesetze ein florierendes Geschäft erlauben. Die Amokläufe oder andere tragische Verbrechen, bei denen potenziell seine Handwaffen eingesetzt werden könnten, bügelt Koch ab. Die Gesetze seien heute viel strikter als noch in den 1990er-Jahren, das FBI prüfe genau, in welche Hände die Waffen gelangen.

    An den weißen Bürowänden hängen gerahmte Plakate von Spezialkräften in Actionfilmoptik – ausgestattet mit Heckler&Koch-Produkten. Seit über 70 Jahren beliefert das Unternehmen Streitkräfte in aller Welt – darunter Sondereinsatzkräfte und die Polizei. 2016 hat sich das Unternehmen aber als einziges Waffenunternehmen eine “freiwillige Selbstbeschränkung” auferlegt, wonach nur EU-Staaten, Staaten der Nato und Nato-assoziierte Staaten wie Neuseeland, Australien, Japan und die Schweiz beliefert werden dürfen.

    Rüstungsexportkontrollgesetz ist “wünschenswert”

    Heckler und Koch wirbt noch heute mit dieser sogenannten Grünen-Länder-Strategie. Darauf ist auch Koch, der zuvor an der Spitze des Rüstungsunternehmens Atlas Elektronik stand, sichtlich stolz. De facto hat die Strategie allerdings heute keine Auswirkungen mehr auf die Exportbeschränkungen des Unternehmens. Die deutschen Exportregularien und die speziellen Richtlinien zum Export von Handfeuerwaffen sind mittlerweile so streng, dass die Grüne-Länder-Strategie keine Selbstbeschränkung mehr darstellt, sondern quasi Gesetz ist. Der Kreis der belieferbaren Staaten wurde bereits ausgeweitet auf Staaten mit “bestehenden Sicherheitspartnerschaften zur Bundesrepublik Deutschland” wie Singapur oder Südkorea.

    Angst vor einem Update des Rüstungsexportkontrollgesetzes, das dann möglicherweise über die Grüne-Länder-Strategie hinaus gehen könnte, hat er nicht. Aus Perspektive Koch sei ein solches Gesetz sogar “wünschenswert”, weil damit klar werde, wer potenzieller Kunde sei und wer nicht. Das Gesetz sollte aus Kochs Sicht aber ein Mittel sein, um Sicherheitspartnerschaften dann auch zu “konkretisieren”.

    Im Grundsatz umschreibt er damit, was auch der grüne Wirtschaftsminister Robert Habeck im Sinn zu haben scheint, wenn es um das Rüstungsexportkontrollgesetz geht. Das Gesetz also als Instrument geopolitischer Interessen. Das wiederum bedeutet, der Kreis der Länder, die beliefert werden können, weitet sich aus.

    Gute Zeiten für den Chef eines Rüstungsunternehmens

    Mit der Ampel-Regierung und gerade den Ministern Boris Pistorius und Robert Habeck ist er ohnehin sichtlich zufrieden. Beide kommen aus Parteien, die noch vor kurzer Zeit nicht dafür bekannt waren, den Kontakt zur Rüstungsindustrie zu suchen. Beide sind derzeit ihre stärksten Unterstützer. Mit Pistorius besuchte kürzlich zum ersten Mal seit 14 Jahren ein Verteidigungsminister den Bundeswehrausrüster in Oberndorf.

    Vom “tödlichsten Unternehmen” ist 2024 zumindest keine Rede mehr. Koch betont, dass sein Unternehmen “Sicherheit und Frieden” in ganz Europa schütze, indem es alle Spezialkräfte in Europa ausrüste. “Ganze Länder verlassen sich für ihre Sicherheit auf die Produkte von Heckler und Koch”, sagt er und öffnet ein Wasser mit einem Flaschenöffner in Form eines G36-Sturmgewehrs. Es sind gute Zeiten für den Chef eines Rüstungsunternehmens, das sich um einen Imagewandel bemüht. Anfang des Jahres hat der Aufsichtsrat seinen Vertrag bis Ende Januar 2027 verlängert. Wilhelmine Preußen

    • Rüstungsexporte
    • Rüstungsindustrie

    Security.Table Redaktion

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