Table.Briefing: Security

Vermehrt Drohnenangriffe auf russischem Territorium + Frankreich könnte Mirage-Kampfjets liefern + Wie sich russische Kriegsverbrechen ändern

Liebe Leserin, lieber Leser,

trotz heftiger Kämpfe wie in Bachmut gibt es schon seit vielen Wochen an der Frontlinie kaum Bewegung. Umso auffälliger waren diverse Drohnenangriffe auf Ziele weit im russischen Hinterland. Die ukrainische Regierung will damit nichts zu tun haben, doch der Verdacht liegt nahe, dass Kiew Moskau zeigen will, dass es den Krieg zurück nach Russland tragen kann. Viktor Funk beschreibt eine neue Entwicklung des Krieges. 

Noch hat kein Land der Ukraine westliche Kampfjets geliefert. In Frankreich sagt man zwar, dass es bei der Unterstützung der Ukraine keine Tabus gebe, aber der französische Verteidigungsminister hält sich bei dem Thema noch bedeckt. Dabei hat Frankreich Mehrzweckkampfflugzeuge des Typs Mirage 2000-C, die es liefern könnte. Vorher müssen aber ukrainische Soldaten für die Flugzeuge ausgebildet werden. Das könnte Monate dauern, schreibt mein Kollege Gabriel Bub.

Deutschland will die Sahel-Region künftig aus Niger unterstützen. Am 15. März soll im Bundeskabinett der Beschluss für das Mandat für bis zu 60 Bundeswehrkräfte gefasst werden, die sich an einer EU-Mission beteiligen. Mit der neuen Mission erfüllt Deutschland eine Zusage, die Bundeskanzler Olaf Scholz der Regierung in Niamey im vergangenen Jahr gegeben hatte.

Krisen wie der Krieg in der Ukraine oder Umweltkatastrophen wie die Flut im Ahrtal fordern immer wieder auch die deutsche Zivilgesellschaft heraus. Ein Trendbericht der “Zivilgesellschaft in Zahlen” (ZiviZ), der heute vorgestellt wird und Table.Media exklusiv vorliegt, zeigt, dass auf organisierte Hilfe im Ernstfall Verlass ist. Allerdings bricht mehr und mehr das langfristige ehrenamtliche Engagement weg. Mehr dazu lesen Sie in meiner News.

Wenn Ihnen der Security.Table gefällt, leiten Sie uns bitte weiter. Und wenn Ihnen diese Mail zugeleitet wurde: Hier können Sie sich für das Security-Briefing und weitere Themen anmelden.

Ihre
Lisa-Martina Klein
Bild von Lisa-Martina  Klein

Analyse

Mehr Drohnenattacken auf Ziele in Russland

Mehrere Drohnenvorfälle in den vergangenen Tagen auf russischem Territorium und auf der besetzten Krim nähren den Verdacht, dass die Ukraine zunehmend russische Ziele weit jenseits der Front angreift – auch unweit von Moskau. Neben der ukrainischen Artillerie, die vor allem die russischen Grenzregionen Belgorod, Kursk und Brjansk trifft, werden Drohnenangriffe auch auf Ziele im Landesinneren ausgeführt.

Die im Exil erscheinende russischsprachige Zeitung Novaya Gazeta Europe hat die bekannt gewordenen Vorfälle zusammengetragen:  

  • Fast 360 Angriffe mit Artillerie und Drohnen hat es seit Kriegsanfang bis Anfang März 2023 gegeben
  • Mindestens 36 Menschen sind dabei getötet, 132 verletzt worden
  • Mehr als 1000 Gebäude sind zerstört worden, nur 5 davon werden der militärischen Nutzung zugeschrieben
  • Jeder dritte Artilleriebeschuss trifft Stromleitungen

Insbesondere der Einsatz von Drohnen weit im russischen Landesinneren demonstriert eine neue Entwicklung im Krieg. Der in der Sowjetunion geborene israelische Militäranalyst, David Sharp, sagte in einem Interview vergangene Woche: “Ein Vorteil Russlands zu Beginn des Krieges war sein langer Arm, die Fähigkeit tief im Land des Gegners Schaden anzurichten. Die Ukraine hatte diese Fähigkeiten nur sehr begrenzt.” Inzwischen habe die Ukraine Drohnen entwickelt und setze sie nun offenbar ein. Auch seien sehr wahrscheinlich unterschiedliche Modelle verwendet worden. “Einige Drohnen haben ihr Ziel erreicht, aber insgesamt sieht man, dass sie noch nicht ausgereift sind.”

Ziele sind militärische Infrastruktur

Vergangene Woche wurde mit Drohnen ein Öl-Tanklager in Tuapse am Schwarzen Meer (Region Krasnodar) angegriffen, es kam zu einem Brand; eine weitere Drohne stürzte in derselben Region ab; nur etwa 100 Kilometer von Moskau entfernt stürzte eine weitere Drohne ab: Ihr Ziel könnte eine Gasstation von Gazprom gewesen sein oder eine Militärbasis in der Nähe, die ein wichtiger Kommunikationsknotenpunkt der russischen Armee ist. In Brjansk sollen russische Streitkräfte eine Drohne abgeschossen haben; und offenbar wegen einer Drohne wurde sogar der Luftraum über St. Petersburg kurzzeitig geschlossen. Außerdem sprach das russische Verteidigungsministerium von zehn abgeschossenen Drohnen über der Krim. Das alles spielte sich innerhalb kurzer Zeit am 28. Februar und am 1. März ab.

Der mutmaßliche Drohnenangriff auf das russische Luftraumüberwachungsflugzeug A-50 bei Minsk geht laut Berichten von belarussischen Oppositionsmedien auf das Konto lokaler Partisanen.

Ukraine entwickelt die Technik weiter

Noch Anfang Dezember hatte mutmaßlich die Ukraine drei Flugplätze in Russland mit einzelnen Drohnen angegriffen. Keine drei Monate später verfügt die Ukraine offenbar über bessere Fähigkeiten und mehr unbemannte Fluggeräte. Auch auf der Rüstungsmesse IDEX in Abu Dhabi (VAE) hatte die Ukraine vor zwei Wochen selbst entwickelte und im Krieg eingesetzte Drohnen vorgestellt.

“Große Ziele könnten zwar damit nicht angegriffen werden”, sagte Sharp der Novaya Gazeta, “aber schwach gesicherte Objekte eignen sich durchaus. Auch eignen sich die Drohnen, um die Luftverteidigung abzulenken oder die russische Militärführung ernsthaft zu beunruhigen.”

Für Moskau stellen die Drohnenangriffe einerseits ein Problem dar, denn sie zeigen, dass der Krieg auch nach Russland zurückkehren kann. Andererseits spielt das auch dem Regime in die Hände, weil es der Ukraine die Verantwortung zuschreiben und sie als Gefahr für Russland darstellen kann. Inzwischen stehen auf einigen Gebäuden, unter anderem auf dem Dach des Verteidigungsministeriums in Moskau, Luftabwehrgeschütze. Und der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses in der Duma, Andrey Kartapalov, empfahl am vergangenen Samstag russischen Konzernen, eigene Drohnenabwehrsysteme zu kaufen.

Offiziell ist unklar, wer hinter den Angriffen steckt

Kiew weist die Vorwürfe der Drohnen-Attacken dagegen zurück. Mykhailo Podolyak, persönlicher Berater des Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, reagierte via Twitter und schrieb, die Ukraine würde keine Ziele auf russischem Boden angreifen. “Es führt einen Verteidigungskrieg, um alle seine okkupierten Gebiete zu befreien.” Es handele sich um innerrussische Attacken von nicht identifizierbaren Flugobjekten.

Die Drohnenattacken geschehen, während die westlichen Unterstützerstaaten die Lieferung von Kampfjets oder weitreichender Munition diskutieren. “Zur logistischen Versorgung seiner Truppen an der Frontlinie bedient sich Russland der Eisenbahnverbindungen, Straßen und sonstiger Infrastruktur in den einverleibten Gebieten Luhansk, Donezk, Saporischja und Cherson”, erläutert Ekkehard Brose, Präsident der Bundesakademie für Sicherheitspolitik (BAKS) im Gespräch mit Table.Media.

“Wenn der Westen dabei unterstützen will, den weiteren russischen Vorstoß in ukrainisches Territorium effektiv abzuwehren, so beinhaltet das notwendigerweise auch Waffensysteme, die bis in diese rückwärtigen Gebiete hinter der Front reichen. Kommandozentren, Munitionsdepots und Aufmarschräume können nur so erreicht werden.” Allerdings sei das politisch nur so lange “unproblematisch, wie militärische Aktionen der ukrainischen Truppen, die sich westlicher Waffensysteme bedienen, nicht auf angrenzendes russisches Staatsgebiet übergreifen”, betont Brose.  

Dass dieses Risiko besteht, hat die vergangene Woche gezeigt. Zumindest eine Drohne soll die in der Ukraine entwickelte UJ-22 gewesen sein. Sie flog bis zum Ort Gubastowo südöstlich von Moskau. Nach Angaben des Herstellers hat die Drohne eine Reichweite von 800 Kilometern. Damit wäre die russische Hauptstadt erreichbar.

Kampfjets für die Ukraine – Frankreich hätte Optionen

Deutlich wollte Frankreichs Verteidigungsminister Sébastien Lecornu bei der Befragung im Senat nicht werden, solange die Kamera lief. Umso konkreter wurde die konservative Abgeordnete Joëlle Garriaud-Maylam, die wissen wollte: “Stimmen meine Informationen, dass unsere Luftwaffe bereit ist, ukrainische Piloten in Warschau auszubilden?

Lecornu lavierte und bestätigte zumindest: “Natürlich gibt es Gespräche über Flugzeuge.” Auch mit Ukrainern sei darüber gesprochen worden. Fragen, die geklärt werden müssten, seien logistische und die über die Ausbildung. “Das ist aber nichts Kurzfristiges.” Dringlicher für die Ukraine sei die Beschaffung von jetzt benötigter Munition.

In Frankreich ist die Debatte über die Lieferung von Kampfjets weiter fortgeschritten als in Deutschland. Der Vorsitzende des französischen Verteidigungsausschusses, Thomas Gassilloud ließ Table.Media schon im Januar mitteilen, dass es bei der Unterstützung der Ukraine keine Tabus gebe. Präsident Emmanuel Macron bestätigte das wenig später.

Auch wenn in Frankreich viel über die teuren Rafale diskutiert wird, brachte ein französischer Abgeordneter vergangene Woche eine Alternative ins Spiel. “Es würde zwölf Mirage 2000-C geben, die aktuell eingelagert und für den Verkauf bereit wären. Haben Sie vor, sie an die Ukraine abzugeben?”, fragte der Abgeordnete Philippe Folliot den Verteidigungsminister im Senat. Frankreichs Luftwaffe will bis 2035 eine Flotte, die nur noch aus Rafale-Kampfjets besteht. Die Mirage-Kampfjets sollen nach und nach ausgemustert werden.

Die Reichweite von Kampfjets bereitet Sorgen

“Wenn, dann müsste eine Lieferung koordiniert erfolgen”, sagt Sven Arnold von der SWP. “Ich kann mir das nur in Absprache mit anderen Nato-Staaten vorstellen.” Dass die Piloten in Warschau ausgebildet würden, spräche für eine Koordinierung. Außerdem würde sie kurzfristig die Probleme der Ukraine nicht lösen, weil die Ausbildung der Piloten mehrere Monate dauert. “Insofern gehe ich davon aus, dass eine Lieferung erst in ein paar Monaten erfolgen würde”, sagt Arnold. Die Lieferung von zwölf Fliegern hätte aber symbolischen Wert.

Eine Sorge, die in deutschen Parlamentskreisen und bei den Luftstreitkräften mindestens eines Nato-Landes besteht, ist die über die Reichweite der Kampfjets. Sie könnten leichter als andere aus dem Westen gelieferte Waffen Ziele in Russlands angreifen. Um die russische Flugabwehr effektiv auszuschalten, müssten sie das auch. Das wäre aber eine neue Eskalationsstufe.  

In der Ukraine wünscht man sich vor allem F-16 Kampfjets. Dieser Jet-Typ ist in der Nato am weitesten verbreitet. Während die USA die Lieferung von F-16 noch verweigert, hat das Vereinigte Königreich seine Zustimmung zur Ausbildung ukrainischer Piloten an den Mehrzweckkampfflugzeugen bereits gegeben. Mehrere verschiedene Quellen meldeten jedoch, dass auch in den USA die Ausbildung an den F-16 begonnen habe. Offiziell heißt es aus den USA: “Die F-16-Frage ist eine Frage für später”, so der Nationale Sicherheitsberater Jake Sullivan im Gespräch mit dem Fernsehsender ABC.

Für die Lieferung von MiGs braucht Polen die deutsche Zustimmung

Bisher erhielt die Ukraine alte sowjetische MiG-29 Kampfjets aus Polen, die allerdings nur als “Ersatzteillager” dienten, wie es aus Warschau hieß. Weitere MiG-Jets könnten aus Polen geliefert werden, benötigen aber deutscher Zustimmung. Weil die MiGs der russischen Flugabwehr technologisch nicht gewachsen sind, fordert die Ukraine westliche Kampfjets. Ukrainischen Piloten würden an den MiGs beispielsweise keine Raketen erkennen, die auf sie abgefeuert werden, sagte Juri Ignat, der Sprecher der ukrainischen Luftwaffe, der Deutschen Welle.

Neben Rafale sind auch Lieferungen des Kampfjets Gripen des schwedischen Rüstungsunternehmens Saab im Gespräch. In der Ukraine würden laut Ignat derweil Landebahnen planiert und Straßen für die Landung westlicher Kampfjets umgerüstet. Im ukrainischen Interesse wäre die Lieferung einheitlicher Jets, verschiedene Typen würden die Wartung verkomplizieren.

“Sie haben an allen Orten das Gleiche getan”

Anna Babinets ist Chefredakteurin des ukrainischen Investigativportals Slidstvo.info.

Frau Babinets, unterscheiden sich die Verbrechen, die Sie zu Beginn des Krieges dokumentiert haben, von denen, die Sie in letzter Zeit beobachten?

Ja. Als die Oblast Kiew im April befreit wurde, haben wir Morde an Zivilisten und Vergewaltigungen gesehen. Aber als die östlichen und südlichen Regionen, vor allem die Oblast Cherson, nach neun Monaten russischer Besatzung befreit wurden, haben wir systematische Verbrechen dokumentiert.

Welche Verbrechen waren das?

Die Russen haben Verwaltungssysteme aufgebaut, sie haben Leute gezwungen, mit ihnen zu kooperieren, um dort “Russland” aufzubauen. In den Oblasten Charkiw und Cherson haben sie ukrainische Kinder deportiert. Waisenkinder konnten sie in Russland sehr schnell bei neuen Eltern unterbringen. Sie haben ihre Namen geändert. Das bedeutet, dass die Ukraine diese Kinder nie finden wird. In besetzten Gebieten haben Russen Journalisten gezwungen, zu kooperieren, ihre Verwandten oder sogar ihre Haustiere gefoltert.

Glauben Sie, dass es Anweisungen gibt, besonders brutal zu sein?

Ja. Wir haben vor ein paar Tagen eine Geschichte über einen russischen Kommandeur veröffentlicht, der zusammen mit seinem Kollegen auf eine Familie in der Nähe von Kiew geschossen hat. Sie töteten die Mutter und den Vater, der sechsjährige Junge hat überlebt. Ukrainische Ermittler haben dann herausgefunden, dass es der Kommandeur war, der getötet hat. Als die Russen aus den Oblasten Kiew, Charkiw und Cherson geflohen sind, haben sie innerhalb von ein paar Tagen an allen Orten das Gleiche getan. Sie haben Menschen getötet, die sie vorher gefoltert hatten, und Kinder deportiert. Wir sehen, dass das systematisch geschieht und dass die Kommandeure davon wissen und dazu anweisen.

Haben Sie Zahlen dazu?

Offizielle Zahlen sprechen von 16.000 ukrainischen deportierten Kindern. Das sind aber nur die bestätigten Fälle. Die tatsächliche Zahl liegt deutlich höher.

Wie alt sind die entführten Kinder?

Wir haben in Cherson mit Ärztinnen und Ärzten gesprochen, mit Leuten, die sich um Neugeborene kümmerten. Sie erzählten uns, dass die Russen etwa 10 oder 20 Kinder mitgenommen haben, die nur wenige Monate alt waren. Einige Ärzte haben falsche Diagnosen gestellt, den Kindern Krankheiten bescheinigt und sie so vor einer Deportation gerettet.

Wie laufen die Deportationen von Teenagern ab?

In Cherson bot eine Hochschule Jugendlichen an, zwei Wochen Urlaub auf der Krim zu machen, um dem Krieg zu entkommen. Die Eltern der Jugendlichen waren damit einverstanden, so etwas geschah auch in der Oblast Charkiw. Die Jugendlichen kamen nie zurück. Jetzt sind viele Kinder in den russischen Gebieten und die Russen drängen sie, russische Papiere anzunehmen, damit sie zur Universität oder zur Schule gehen können. Ohne russische Dokumente haben sie in den besetzten Gebieten keinen Zugang zu Bildung. Wir haben auch Fälle gesehen, in denen die Russen Kinder und Jugendliche interniert und gefoltert haben, wenn sie nicht kooperieren wollten.

Wie arbeiten Sie mit internationalen Stellen?

Zu Kriegsbeginn, als unsere Journalisten vor Ort waren, haben uns Staatsanwälte oft nach Informationen gefragt. Manchmal haben wir sie weitergegeben, manchmal nicht, wenn wir unsere Quellen schützen wollten. Unsere Reporter haben auch Staatsanwälte und andere ukrainische Ermittler, die Kriegsverbrechen untersuchen, in Ermittlungsmethoden wie OSINT (Anmerkung: Open Source Intelligence) geschult.

Haben Ihre Recherchen zu Strafverfolgungen beigetragen?

Ja, besonders am Anfang. Die Generalstaatsanwaltschaft hat sogar bekanntgegeben, dass die ersten zehn russischen Militärs, die zu Kriegsbeginn in der Oblast Kiew als Verbrecher identifiziert wurden, mit Hilfe unserer Journalisten über Slidstvo ermittelt wurden.

Stellen Sie Unterschiede zwischen Angehörigen der russischen Streitkräfte und der Gruppe Wagner fest?

Die Wagner-Gruppe macht kein Geheimnis daraus, dass sie Leute aus Gefängnissen rekrutiert. Natürlich sind sie brutaler. Es gibt auch einige Ukrainer aus den besetzten Gebieten, die ebenfalls als Söldner für Wagner arbeiten. Oft sind es ungebildete Leute, die Geld brauchen. Einige von ihnen wurden bereits getötet.

Welche Bedeutung hat Ihre Arbeit in diesem Krieg?

Manchmal ist es frustrierend, weil wir das hier seit einem Jahr jeden Tag machen und nicht wissen, wann diese Leute bestraft werden. Wenn in einem oder zwei Jahren ein internationaler Prozess beginnt, werden wir nicht mehr in der Lage sein, die Wahrheit herauszufinden. Unsere Arbeit besteht also darin, so viele Beweise wie möglich zu sammeln und zu veröffentlichen. Selbst wenn nur 15 Prozent unserer Erkenntnisse vor Gericht verwendet werden, bin ich froh, wenn wir etwas dafür getan haben, dass Menschen, die Verbrechen begangen haben, bestraft werden.

Ein Portrait über Anna Babinets lesen Sie hier.

  • Russland
  • Ukraine
  • Ukraine-Krieg

News

Neues Mandat für bis zu 60 Bundeswehrkräfte für Einsatz in Niger geplant

Deutschland will sich an einer neuen EU-Mission in Niger beteiligen – mit bis zu 60 Soldatinnen und Soldaten. Das neue Mandat dafür soll Mitte März verabschiedet werden. Für Mai ist wiederum ein Abzugsmandat für deutsche Kräfte an der UN-Mission Minusma geplant. Damit soll der Einsatz der Bundeswehr in Mali bis zum kommenden Jahr beendet werden. Niger ist Malis östlicher Nachbar.  

Der Rat der Europäischen Union brachte im Februar die militärische Partnerschaftsmission in Niger (EUMPM Niger) auf den Weg. Die europäischen Streitkräfte sollen unter anderem eine Technik-Schule aufbauen und bei der Einrichtung eines Unterstützungsbataillons für Logistik und Kommunikation helfen. Der Einsatz ist zunächst auf drei Jahre angelegt.

Die Bundeswehr soll sich nach Angaben aus Regierungskreisen an dieser Mission mit bis zu 60 deutschen Soldatinnen und Soldaten beteiligen, die Höchstzahl wird bei solchen Missionen nur äußerst selten ausgeschöpft. Die Soldatinnen und Soldaten haben zwar keine sogenannten exekutiven Aufgaben, werden also nicht militärisch tätig. Allerdings sind Teile des Unterstützungsbetriebs in von Islamisten bedrohten Regionen Nigers geplant, sodass aus Sicht der Bundesregierung eine Mandatierung durch den Bundestag erforderlich ist.

Der Kabinettsbeschluss dafür soll bereits am 15. März gefasst werden; die endgültige Zustimmung des Parlaments wird Ende März erwartet. Das Mandat für EUMPM soll nicht wie üblich für ein Jahr erteilt werden, sondern für 14 Monate – damit wird es zeitlich an das Minusma-Abzugsmandat angepasst, das ebenfalls bis zum Mai 2024 befristet werden soll.

Mit der neuen Mission erfüllt Deutschland eine Zusage, die Bundeskanzler Olaf Scholz im vergangenen Jahr der Regierung in Niamey gegeben hatte. Zugleich vollzieht sich damit der Wechsel vom deutschen Engagement in Mali, dessen Übergangsregierung sich zunehmend Russland annähert, zur weiteren Unterstützung der Sahel-Region mit der Unterstützung Nigers.

In Niger selbst war Ende vergangenen Jahres die Ausbildungsmission Gazelle deutscher Spezialkräfte ausgelaufen. Eine Anschlussmission mit knapp zehn Soldaten unter dem Namen Torima (Taktisch-operativ regional integrierte Military Assistance) braucht aus Sicht der Bundesregierung zwar kein eigenes Mandat. Allerdings werden voraussichtlich Teile dieser kleinen Ausbildungsmission mit in das Mandat für die EU-Mission integriert. tw

  • Afrika
  • EU-Mission
  • Niger
  • Sahel

Grünes Licht für den Export des Flugabwehrsystems Arrow 3 nach Deutschland

Wenn Israels Premierminister Benjamin Netanjahu am 16. März nach Deutschland kommt, bringt er höchstwahrscheinlich eine Zusage zur Lieferung des israelischen Luftabwehrsystems Arrow 3 mit. Es kann gegnerische Raketen in sehr großer Höhe abfangen und ist für den Aufbau des europäischen Luftverteidigungssystems “European Sky Shield Initiative” vorgesehen.

Wie im Security-Briefing Nr. 25 berichtet, fehlte für den Export des Systems die Genehmigung aus den USA. Arrow 3 ist eine israelisch-amerikanische Entwicklung. Nun habe Washington die Genehmigung erteilt, melden israelische Medien. Damit das Geschäft zustande kommt, muss noch der Haushaltsausschuss zustimmen. vf

  • Deutschland
  • Israel
  • Luftverteidigung

Studie: Ziviles Engagement wird situativer, Vereine stehen vor Herausforderungen

Organisierte Ad-Hoc-Hilfen von gemeinnützigen Unternehmen, zum Beispiel nach dem Hochwasser im Ahrtal oder während des russischen Angriffs auf die Ukraine, treten in der deutschen Zivilgesellschaft immer stärker an die Stelle von langfristigem, beständigem ehrenamtlichen Engagement in Vereinen. 

So haben sich mehr als ein Drittel der zivilgesellschaftlichen Organisationen im vergangenen Jahr für Betroffene des Krieges mit Geld- oder Sachspenden oder mit dem Angebot von Integrationsleistungen engagiert. Gemeinnützige Unternehmen mit bezahlten Beschäftigten engagierten sich dabei deutlich häufiger als ehrenamtliche Vereine (55 Prozent zu 28 Prozent).

Das geht aus einem Trendbericht hervor, den Zivilgesellschaft in Zahlen (ZiviZ), eine Tochtergesellschaft des Stifterverbandes, am heutigen Dienstag vorstellt und der Table.Media vorab vorliegt. Knapp 13.000 Vereine, gemeinnützige Kapitalgesellschaften, Genossenschaften und Stiftungen wurden für die repräsentative Studie befragt.

Besonders ausgeprägt war das Engagement im vergangenen Jahr während des Angriffskrieges im Feld der sozialen Dienste (55 Prozent), gefolgt von religiösen Vereinigungen (46 Prozent), Bildung (43 Prozent) sowie Bevölkerungsschutz (40 Prozent).

Vereine müssen umdenken

“Der allgemeine Trend der vergangenen zehn Jahre setzt sich fort. Engagement ist heute spontaner und situativer. Allerdings zeigt sich, dass in Krisen und bei gesellschaftlichen Herausforderungen auf die Zivilgesellschaft wie auch auf engagierte Unternehmen weiterhin Verlass ist”, sagt Birthe Tahmaz, Programmleiterin in der ZiviZ. Wenn es allerdings um beständiges und verlässliches freiwilliges Engagement gehe, dann nehme die Bereitschaft dazu ab.

“Dieser Strukturwandel wird viele Vereine herausfordern, da sie neue Wege finden müssen, Personen als Engagierte zu gewinnen. Das birgt aber auch Chancen. Denn es eröffnet eine flexiblere Beteiligung. Wichtig ist, dass die Engagementförderung diese Veränderungen früh adressiert und gut begleitet”, erklärt Tahmaz.

Zivilgesellschaftliche Organisationen verstehen sich dabei immer häufiger als politische Mitgestalter und als Impulsgeber für sozialen Wandel. Immer mehr an Bedeutung gewinnen dabei die Themen Umwelt (+ 1,3 Prozentpunkte in den vergangenen zehn Jahren) und Bildung (+3,9 Prozentpunkte). 

Die Zahl der zivilgesellschaftlichen Organisationen in Deutschland erhöht sich stetig (18.000 mehr als bei der letzten Erhebung in 2016). Dennoch seien die Zahlen der Engagierten rückläufig. Sportorganisationen sind dabei am stärksten betroffen. klm

  • Katastrophenschutz
  • Zivilgesellschaft

Waffenruhe in Bergkarabach gebrochen – Russland warnt vor Eskalation

Am Sonntagmorgen ist es in der Region Bergkarabach zu einem Zusammenstoß zwischen aserbaidschanischen Truppen und ethnisch armenischen Polizisten der Pass- und Visaabteilung gekommen. Dabei wurden zwei aserbaidschanische und drei armenische Soldaten getötet, ein weiterer armenischer Polizist wurde schwer verletzt. 

Die beiden Seiten bezichtigen sich gegenseitig, das Feuer eröffnet zu haben. Zwischen den Kriegsparteien herrscht eigentlich seit dem 9. November 2020 eine Waffenruhe, die seither aber öfter gebrochen wurde. Mitte Februar hatte Armenien seinem Nachbarn außerdem einen Entwurf für ein Friedensabkommen vorgelegt.

Maria Zakharova, Sprecherin des russischen Außenministeriums, äußerte sich laut Public Radio of Armenia besorgt über die Eskalation der Spannungen. Russland ist als Vermittler in der Region eingesetzt, verliert aber aufgrund des Ukraine-Krieges immer mehr an Glaubwürdigkeit.

Armenien bekommt volle Unterstützung aus Deutschland

Der Vorfall ereignete sich wenige Tage nach einem Arbeitsbesuch des armenischen Ministerpräsidenten Nikol Pashinyan in Deutschland. Pashinyan sprach dabei mit Michael Roth (SPD), Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, und Bundeskanzler Olaf Scholz über die angespannte Lage in Armenien und der Region Bergkarabach. Roth schrieb danach auf Twitter: “Armenien verdient unsere Unterstützung auf dem Weg zu Frieden, Stabilität, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Aserbaidschan muss seine Aggressionen beenden.” 

Auch Scholz betonte, dass er die Zusammenarbeit mit Jerewan weiter vertiefen wolle und sicherte Armenien, das auf dem Weg in die Europäische Union ist, deutsche Unterstützung für den Reformprozess zu. Deutschland ist der wichtigste Handelspartner für Armenien. 

Die humanitäre Lage in Bergkarabach spitzt sich derweil zu. Seit mehr als 80 Tagen besetzen aserbaidschanische Aktivisten den Lachin-Korridor, der die Region, die völkerrechtlich zu Aserbaidschan gehört, in der aber hauptsächlich Armenier leben, mit Armenien verbindet. klm

Harter Kurs gegen Moskau sichert Kallas den Wahlsieg in Estland

Estlands Regierungschefin Kaja Kallas sieht sich nach ihrem Wahlsieg vom Sonntag in ihrem harten Kurs gegenüber Russland bestätigt. Zuletzt hatte sie auf der Münchner Sicherheitskonferenz gefordert, Russland müsse für die begangenen Kriegsverbrechen verantwortlich gemacht werden. Die als “Eiserne Lady des Baltikums” bekannte Politikerin der wirtschaftsliberalen Reformpartei holte 37 von 101 Sitzen im Parlament von Tallinn – drei mehr als bei der vorherigen Wahl 2019.

“Kallas hat die Wahl ganz klar über die Außenpolitik gewonnen“, analysiert die Sicherheitsexpertin für die Baltischen Staaten, Elisabeth Bauer. Die Esten hätten Kallas entschiedenes Eintreten für EU-Sanktionen gegen Moskau und Waffenlieferungen in die Ukraine unterstützt. Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine wird als “fundamentales Sicherheitsrisiko” empfunden, da Estland eine 300 Kilometer lange Grenze mit Russland teilt. Im Interview mit Table.Media erklärte die alte – und wohl auch neue – Regierungschefin: “Wir würden in dunklen Zeiten leben, wären wir nicht in der Nato. Deshalb haben wir auch keine Furcht. Wir glauben nicht, dass Russland ein Nato-Mitglied angreift, weil es eben auch ein Angriff auf die USA, Deutschland und Frankreich wäre.”

Ob die 45-jährige Juristin das Bündnis mit den Sozialdemokraten oder der konservativen Partei Isamaa weiterführt, ist unklar. Möglich wäre auch ein Zweierbündnis mit der ebenfalls liberalen Partei Eesti 200, die zum ersten Mal im Parlament ist. Außen- und sicherheitspolitisch liegen die beiden Parteien auf einer Linie. Eesti 200 hat bekannte Sicherheitspolitiker und potenzielle neue Minister in den eigenen Reihen, wie Ex-Verteidigungsminister Margus Tsahkna oder Ex-Außenminister Kalev Stoicescu, der ebenfalls Botschafter in den US und Kanada war. nana/dpa

  • Europa
  • Ukraine-Krieg

Presseschau

Haaretz – 92 Flights from Israeli Base Reveal Arms Exports to Azerbaijan: Der Artikel skizziert, wie Aserbaidschan seit Jahren modernste Waffensysteme von Israel einkauft, darunter ballistische Raketen, Flugabwehrsysteme, elektronische Kampfführungssysteme und Kamikaze-Drohnen. Auffällig: Die Cargo-Flüge von Israel nach Aserbaidschan stehen in engem zeitlichen Zusammenhang mit den Kämpfen Aserbaidschans gegen Armenien. Aserbaidschan stellt Israel im Gegenzug Öl und Zugang zu iranischem Gebiet zur Verfügung.

The New York Times – They’re Exporting Billions in Arms. Just Not to Ukraine. (Paywall): Weil Nato-Staaten die Munition ausgeht, exportiert Südkorea eifrig und versucht, Russland nicht zu provozieren. Putin hatte bereits mit einer Annäherung an Nordkorea gedroht, sollte Seoul Waffen in die Ukraine liefern. Wie Südkorea die Unterstützer unterstützt und manches doch in der Ukraine landet.

Foreign Affairs – Russia’s Halfway to Hell Strategy. Aus der Sicht des russischen Präsidenten Putin lief das erste Jahr Krieg vielleicht doch nicht so schlecht, wie im Westen zuweilen angenommen. Keine inneren Proteste, eine Wirtschaft auf Kriegskurs, Mobilmachung ohne viel Widerstand. Dem Kriegsregime gelingt es, eine Balance zwischen normalem Alltag und Eskalationsbereitschaft zu wahren. So bleibt Putin unberechenbar, so hält er sich weitere Handlungsoptionen offen, schreiben die Kenner der russischen Geheimdienste, Andei Soldatov und Irina Borogan.  

Podcast: Net Assessment – Turkey’s More Independent Foreign Policy: Ein Blick auf das Nato-Problemkind Türkei aus US-amerikanischer Sicht. Warum hat die Türkei ihre Außenpolitik in den vergangenen Jahrzehnten neu justiert? Was bedeutet das für die Nato-Alliierten und die USA? Welche Auswirkungen werden die Wahlen in der Türkei auf die Beziehungen zum Westen haben? 67 Minuten.

Video: “Diese 8 Behauptungen über den Krieg in der Ukraine sind falsch” Hat die Nato Putin bedroht? Ist die Ukraine eigentlich russisch? Lügen westliche Medien genauso wie die russischen? Der Wissenschaftler Eberhard Karls von der Uni Tübingen nimmt mit viel Kenntnis einige Behauptungen auseinander, die in vielen Talkshows wie in privaten Diskussionen über Russlands Krieg gegen die Ukraine geäußert werden. Kurzweilige 46 Minuten geballten Detailwissens.  

Kyiv Independent – Ukrainian Soldiers in Bahkmut: ‘Our Troops Are Not Being Protected’: Seit Beginn des russischen Krieges gegen die Ukraine sind die Verluste des ukrainischen Militärs ein Geheimnis. In dem Bericht über die Kämpfe bei Bachmut werden nun auch die hohen Verluste auf der ukrainischen Seite thematisiert.

Heads

Ganna Shayakhmetova – Die Weiterforscherin

Ganna Shayakhmetova im Institut für Pharmakologie und Toxikologie in Kiew

Der Alltag steckt voller Probleme, aber für Ganna Shayakhmetova ist es das Wichtigste, dass sie ihrer Forschung überhaupt noch nachgehen kann. Trotz aller Schwierigkeiten, die ein Leben als Wissenschaftlerin in der Ukraine seit dem Beginn des russischen Angriffskriegs mit sich bringt. Etwa durch den Umstand, dass die Forschungsinfrastruktur in vielen Fällen beschädigt oder zerstört ist.

Shayakhmetova ist Hauptforschungsbeauftragte der toxikologischen Abteilung am “Institut für Pharmakologie und Toxikologie”, das zur Nationalen Akademie der Medizinischen Wissenschaften in Kiew gehört. Der Handlungsspielraum für Wissenschaftler dort bleibt derzeit deutlich eingeschränkt. “Manchmal muss ich mehrmals am Tag vom Homeoffice ins Institut wechseln, je nachdem wo es gerade Strom und Internet gibt.”

Da Forschung in den Lebenswissenschaften meist langwierig und kostspielig ist, sei ohnehin oft großer Einfallsreichtum gefragt, sagt Shayakhmetova. Viele ukrainische Forschende hätten sich neu vernetzt und organisierten aktiv den Weiterbetrieb und die Suche nach Forschungsgeldern und internationalen Kooperationen.

Viele Studien erscheinen plötzlich irrelevant

Shayakhmetovas Erfahrung ist, dass “in Kriegszeiten leider viele Studien irrelevant erscheinen und daraufhin beendet werden oder zumindest deutlich kleiner ausfallen”. So auch ihre eigenen Arbeiten zum Metabolischen Syndrom und Diabetes. “Wir hatten eigentlich ein großangelegtes Projekt geplant, das zwei Jahre dauern und die Wirkung von neuen Arzneimitteln im Tiermodell untersuchen sollte”, sagt Ganna Shayakhmetova. Die Pläne wurden auf ein Minimum reduziert, weil Forschungsgelder gestrichen und die Beschaffung und Haltung von Versuchstieren erschwert wurden.

Sie hat erlebt, wie Forscher und Forscherinnen ins europäische Ausland flohen, andere in den Krieg ziehen mussten. “Einige Wissenschaftler, die an die Front gingen und starben, kannte ich persönlich”, sagt Shayakhmetova. Der Verlust schmerze sehr. Die ständigen Strom- und Internetausfälle werden da zur Randnotiz.

Prioritäten der Forschung verschieben sich

Shayakhmetova beobachtet eine zunehmende Verschiebung der Prioritäten. Forschungsaktivitäten werden auch von der Regierung daran gemessen, welche Antworten sie in Bezug auf die aktuelle Kriegs- und Krisensituation liefern. Die Forscherin hat jetzt ein Projekt begonnen, in dem Medikamente für das Posttraumatische Belastungssyndrom an Ratten getestet werden, um die kurzfristigen und langfristigen Folgen besser abschätzen zu können.

Viele Kinder und Erwachsene in ihrem Land würden durch das Erlebte unter Belastungszuständen leiden, sagt die Forscherin. Sie hofft Aufschlüsse darüber zu erlangen, wie Medikamente helfen können und welche – auch langfristigen – Effekte sie haben.

Institute zerstört, Wissenschaftler fehlen dem Land

Gedanken macht sie sich über den Braindrain, der vor allem mit Blick auf den dringend nötigen Wiederaufbau des Landes schwerwiegende Folgen haben könnte. Weil viele Wissenschaftler sehr flexibel und ohnehin international ausgerichtet seien, wäre es ein Leichtes, gute Forscher und exzellenten Nachwuchs an Instituten und Einrichtungen im Ausland unterzubringen.

“Nun gibt es etliche Programme zur Unterstützung ukrainischer Wissenschaftler, die im Ausland vorübergehenden Schutz erhalten haben, aber auf die Situation der Wissenschaft direkt in der Ukraine hat dies kaum positive Auswirkungen.”

Neue Form der Forschungskooperationen sinnvoll

Shayakhmetova glaubt, dass es mehr Fonds und Programme geben sollte, die es Wissenschaftlern ermöglichen, zusammen mit Gastinstitutionen in Deutschland und anderen EU-Ländern Spitzenforschung zu betreiben, ohne die Zugehörigkeit zu ukrainischen Institutionen zu verlieren. “Ich denke, dass ein Teil der Forschung in diesem Fall in der Ukraine und ein Teil zum Beispiel in Deutschland durchgeführt werden kann.”

So könnten auch internationale Standards und neue Forschungsmethoden in der Ukraine eingeführt werden und beide Seiten würden profitieren. Sie geht davon aus, dass nur ein solcher Ansatz für beide Seiten gewinnbringend ist. “Andernfalls wird es einfach niemanden mehr geben, der das Zerstörte hier wiederherstellt.Tim Gabel

  • Ukraine-Krieg

Security.Table Redaktion

SECURITY.TABLE REDAKTION

Licenses:
    Liebe Leserin, lieber Leser,

    trotz heftiger Kämpfe wie in Bachmut gibt es schon seit vielen Wochen an der Frontlinie kaum Bewegung. Umso auffälliger waren diverse Drohnenangriffe auf Ziele weit im russischen Hinterland. Die ukrainische Regierung will damit nichts zu tun haben, doch der Verdacht liegt nahe, dass Kiew Moskau zeigen will, dass es den Krieg zurück nach Russland tragen kann. Viktor Funk beschreibt eine neue Entwicklung des Krieges. 

    Noch hat kein Land der Ukraine westliche Kampfjets geliefert. In Frankreich sagt man zwar, dass es bei der Unterstützung der Ukraine keine Tabus gebe, aber der französische Verteidigungsminister hält sich bei dem Thema noch bedeckt. Dabei hat Frankreich Mehrzweckkampfflugzeuge des Typs Mirage 2000-C, die es liefern könnte. Vorher müssen aber ukrainische Soldaten für die Flugzeuge ausgebildet werden. Das könnte Monate dauern, schreibt mein Kollege Gabriel Bub.

    Deutschland will die Sahel-Region künftig aus Niger unterstützen. Am 15. März soll im Bundeskabinett der Beschluss für das Mandat für bis zu 60 Bundeswehrkräfte gefasst werden, die sich an einer EU-Mission beteiligen. Mit der neuen Mission erfüllt Deutschland eine Zusage, die Bundeskanzler Olaf Scholz der Regierung in Niamey im vergangenen Jahr gegeben hatte.

    Krisen wie der Krieg in der Ukraine oder Umweltkatastrophen wie die Flut im Ahrtal fordern immer wieder auch die deutsche Zivilgesellschaft heraus. Ein Trendbericht der “Zivilgesellschaft in Zahlen” (ZiviZ), der heute vorgestellt wird und Table.Media exklusiv vorliegt, zeigt, dass auf organisierte Hilfe im Ernstfall Verlass ist. Allerdings bricht mehr und mehr das langfristige ehrenamtliche Engagement weg. Mehr dazu lesen Sie in meiner News.

    Wenn Ihnen der Security.Table gefällt, leiten Sie uns bitte weiter. Und wenn Ihnen diese Mail zugeleitet wurde: Hier können Sie sich für das Security-Briefing und weitere Themen anmelden.

    Ihre
    Lisa-Martina Klein
    Bild von Lisa-Martina  Klein

    Analyse

    Mehr Drohnenattacken auf Ziele in Russland

    Mehrere Drohnenvorfälle in den vergangenen Tagen auf russischem Territorium und auf der besetzten Krim nähren den Verdacht, dass die Ukraine zunehmend russische Ziele weit jenseits der Front angreift – auch unweit von Moskau. Neben der ukrainischen Artillerie, die vor allem die russischen Grenzregionen Belgorod, Kursk und Brjansk trifft, werden Drohnenangriffe auch auf Ziele im Landesinneren ausgeführt.

    Die im Exil erscheinende russischsprachige Zeitung Novaya Gazeta Europe hat die bekannt gewordenen Vorfälle zusammengetragen:  

    • Fast 360 Angriffe mit Artillerie und Drohnen hat es seit Kriegsanfang bis Anfang März 2023 gegeben
    • Mindestens 36 Menschen sind dabei getötet, 132 verletzt worden
    • Mehr als 1000 Gebäude sind zerstört worden, nur 5 davon werden der militärischen Nutzung zugeschrieben
    • Jeder dritte Artilleriebeschuss trifft Stromleitungen

    Insbesondere der Einsatz von Drohnen weit im russischen Landesinneren demonstriert eine neue Entwicklung im Krieg. Der in der Sowjetunion geborene israelische Militäranalyst, David Sharp, sagte in einem Interview vergangene Woche: “Ein Vorteil Russlands zu Beginn des Krieges war sein langer Arm, die Fähigkeit tief im Land des Gegners Schaden anzurichten. Die Ukraine hatte diese Fähigkeiten nur sehr begrenzt.” Inzwischen habe die Ukraine Drohnen entwickelt und setze sie nun offenbar ein. Auch seien sehr wahrscheinlich unterschiedliche Modelle verwendet worden. “Einige Drohnen haben ihr Ziel erreicht, aber insgesamt sieht man, dass sie noch nicht ausgereift sind.”

    Ziele sind militärische Infrastruktur

    Vergangene Woche wurde mit Drohnen ein Öl-Tanklager in Tuapse am Schwarzen Meer (Region Krasnodar) angegriffen, es kam zu einem Brand; eine weitere Drohne stürzte in derselben Region ab; nur etwa 100 Kilometer von Moskau entfernt stürzte eine weitere Drohne ab: Ihr Ziel könnte eine Gasstation von Gazprom gewesen sein oder eine Militärbasis in der Nähe, die ein wichtiger Kommunikationsknotenpunkt der russischen Armee ist. In Brjansk sollen russische Streitkräfte eine Drohne abgeschossen haben; und offenbar wegen einer Drohne wurde sogar der Luftraum über St. Petersburg kurzzeitig geschlossen. Außerdem sprach das russische Verteidigungsministerium von zehn abgeschossenen Drohnen über der Krim. Das alles spielte sich innerhalb kurzer Zeit am 28. Februar und am 1. März ab.

    Der mutmaßliche Drohnenangriff auf das russische Luftraumüberwachungsflugzeug A-50 bei Minsk geht laut Berichten von belarussischen Oppositionsmedien auf das Konto lokaler Partisanen.

    Ukraine entwickelt die Technik weiter

    Noch Anfang Dezember hatte mutmaßlich die Ukraine drei Flugplätze in Russland mit einzelnen Drohnen angegriffen. Keine drei Monate später verfügt die Ukraine offenbar über bessere Fähigkeiten und mehr unbemannte Fluggeräte. Auch auf der Rüstungsmesse IDEX in Abu Dhabi (VAE) hatte die Ukraine vor zwei Wochen selbst entwickelte und im Krieg eingesetzte Drohnen vorgestellt.

    “Große Ziele könnten zwar damit nicht angegriffen werden”, sagte Sharp der Novaya Gazeta, “aber schwach gesicherte Objekte eignen sich durchaus. Auch eignen sich die Drohnen, um die Luftverteidigung abzulenken oder die russische Militärführung ernsthaft zu beunruhigen.”

    Für Moskau stellen die Drohnenangriffe einerseits ein Problem dar, denn sie zeigen, dass der Krieg auch nach Russland zurückkehren kann. Andererseits spielt das auch dem Regime in die Hände, weil es der Ukraine die Verantwortung zuschreiben und sie als Gefahr für Russland darstellen kann. Inzwischen stehen auf einigen Gebäuden, unter anderem auf dem Dach des Verteidigungsministeriums in Moskau, Luftabwehrgeschütze. Und der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses in der Duma, Andrey Kartapalov, empfahl am vergangenen Samstag russischen Konzernen, eigene Drohnenabwehrsysteme zu kaufen.

    Offiziell ist unklar, wer hinter den Angriffen steckt

    Kiew weist die Vorwürfe der Drohnen-Attacken dagegen zurück. Mykhailo Podolyak, persönlicher Berater des Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, reagierte via Twitter und schrieb, die Ukraine würde keine Ziele auf russischem Boden angreifen. “Es führt einen Verteidigungskrieg, um alle seine okkupierten Gebiete zu befreien.” Es handele sich um innerrussische Attacken von nicht identifizierbaren Flugobjekten.

    Die Drohnenattacken geschehen, während die westlichen Unterstützerstaaten die Lieferung von Kampfjets oder weitreichender Munition diskutieren. “Zur logistischen Versorgung seiner Truppen an der Frontlinie bedient sich Russland der Eisenbahnverbindungen, Straßen und sonstiger Infrastruktur in den einverleibten Gebieten Luhansk, Donezk, Saporischja und Cherson”, erläutert Ekkehard Brose, Präsident der Bundesakademie für Sicherheitspolitik (BAKS) im Gespräch mit Table.Media.

    “Wenn der Westen dabei unterstützen will, den weiteren russischen Vorstoß in ukrainisches Territorium effektiv abzuwehren, so beinhaltet das notwendigerweise auch Waffensysteme, die bis in diese rückwärtigen Gebiete hinter der Front reichen. Kommandozentren, Munitionsdepots und Aufmarschräume können nur so erreicht werden.” Allerdings sei das politisch nur so lange “unproblematisch, wie militärische Aktionen der ukrainischen Truppen, die sich westlicher Waffensysteme bedienen, nicht auf angrenzendes russisches Staatsgebiet übergreifen”, betont Brose.  

    Dass dieses Risiko besteht, hat die vergangene Woche gezeigt. Zumindest eine Drohne soll die in der Ukraine entwickelte UJ-22 gewesen sein. Sie flog bis zum Ort Gubastowo südöstlich von Moskau. Nach Angaben des Herstellers hat die Drohne eine Reichweite von 800 Kilometern. Damit wäre die russische Hauptstadt erreichbar.

    Kampfjets für die Ukraine – Frankreich hätte Optionen

    Deutlich wollte Frankreichs Verteidigungsminister Sébastien Lecornu bei der Befragung im Senat nicht werden, solange die Kamera lief. Umso konkreter wurde die konservative Abgeordnete Joëlle Garriaud-Maylam, die wissen wollte: “Stimmen meine Informationen, dass unsere Luftwaffe bereit ist, ukrainische Piloten in Warschau auszubilden?

    Lecornu lavierte und bestätigte zumindest: “Natürlich gibt es Gespräche über Flugzeuge.” Auch mit Ukrainern sei darüber gesprochen worden. Fragen, die geklärt werden müssten, seien logistische und die über die Ausbildung. “Das ist aber nichts Kurzfristiges.” Dringlicher für die Ukraine sei die Beschaffung von jetzt benötigter Munition.

    In Frankreich ist die Debatte über die Lieferung von Kampfjets weiter fortgeschritten als in Deutschland. Der Vorsitzende des französischen Verteidigungsausschusses, Thomas Gassilloud ließ Table.Media schon im Januar mitteilen, dass es bei der Unterstützung der Ukraine keine Tabus gebe. Präsident Emmanuel Macron bestätigte das wenig später.

    Auch wenn in Frankreich viel über die teuren Rafale diskutiert wird, brachte ein französischer Abgeordneter vergangene Woche eine Alternative ins Spiel. “Es würde zwölf Mirage 2000-C geben, die aktuell eingelagert und für den Verkauf bereit wären. Haben Sie vor, sie an die Ukraine abzugeben?”, fragte der Abgeordnete Philippe Folliot den Verteidigungsminister im Senat. Frankreichs Luftwaffe will bis 2035 eine Flotte, die nur noch aus Rafale-Kampfjets besteht. Die Mirage-Kampfjets sollen nach und nach ausgemustert werden.

    Die Reichweite von Kampfjets bereitet Sorgen

    “Wenn, dann müsste eine Lieferung koordiniert erfolgen”, sagt Sven Arnold von der SWP. “Ich kann mir das nur in Absprache mit anderen Nato-Staaten vorstellen.” Dass die Piloten in Warschau ausgebildet würden, spräche für eine Koordinierung. Außerdem würde sie kurzfristig die Probleme der Ukraine nicht lösen, weil die Ausbildung der Piloten mehrere Monate dauert. “Insofern gehe ich davon aus, dass eine Lieferung erst in ein paar Monaten erfolgen würde”, sagt Arnold. Die Lieferung von zwölf Fliegern hätte aber symbolischen Wert.

    Eine Sorge, die in deutschen Parlamentskreisen und bei den Luftstreitkräften mindestens eines Nato-Landes besteht, ist die über die Reichweite der Kampfjets. Sie könnten leichter als andere aus dem Westen gelieferte Waffen Ziele in Russlands angreifen. Um die russische Flugabwehr effektiv auszuschalten, müssten sie das auch. Das wäre aber eine neue Eskalationsstufe.  

    In der Ukraine wünscht man sich vor allem F-16 Kampfjets. Dieser Jet-Typ ist in der Nato am weitesten verbreitet. Während die USA die Lieferung von F-16 noch verweigert, hat das Vereinigte Königreich seine Zustimmung zur Ausbildung ukrainischer Piloten an den Mehrzweckkampfflugzeugen bereits gegeben. Mehrere verschiedene Quellen meldeten jedoch, dass auch in den USA die Ausbildung an den F-16 begonnen habe. Offiziell heißt es aus den USA: “Die F-16-Frage ist eine Frage für später”, so der Nationale Sicherheitsberater Jake Sullivan im Gespräch mit dem Fernsehsender ABC.

    Für die Lieferung von MiGs braucht Polen die deutsche Zustimmung

    Bisher erhielt die Ukraine alte sowjetische MiG-29 Kampfjets aus Polen, die allerdings nur als “Ersatzteillager” dienten, wie es aus Warschau hieß. Weitere MiG-Jets könnten aus Polen geliefert werden, benötigen aber deutscher Zustimmung. Weil die MiGs der russischen Flugabwehr technologisch nicht gewachsen sind, fordert die Ukraine westliche Kampfjets. Ukrainischen Piloten würden an den MiGs beispielsweise keine Raketen erkennen, die auf sie abgefeuert werden, sagte Juri Ignat, der Sprecher der ukrainischen Luftwaffe, der Deutschen Welle.

    Neben Rafale sind auch Lieferungen des Kampfjets Gripen des schwedischen Rüstungsunternehmens Saab im Gespräch. In der Ukraine würden laut Ignat derweil Landebahnen planiert und Straßen für die Landung westlicher Kampfjets umgerüstet. Im ukrainischen Interesse wäre die Lieferung einheitlicher Jets, verschiedene Typen würden die Wartung verkomplizieren.

    “Sie haben an allen Orten das Gleiche getan”

    Anna Babinets ist Chefredakteurin des ukrainischen Investigativportals Slidstvo.info.

    Frau Babinets, unterscheiden sich die Verbrechen, die Sie zu Beginn des Krieges dokumentiert haben, von denen, die Sie in letzter Zeit beobachten?

    Ja. Als die Oblast Kiew im April befreit wurde, haben wir Morde an Zivilisten und Vergewaltigungen gesehen. Aber als die östlichen und südlichen Regionen, vor allem die Oblast Cherson, nach neun Monaten russischer Besatzung befreit wurden, haben wir systematische Verbrechen dokumentiert.

    Welche Verbrechen waren das?

    Die Russen haben Verwaltungssysteme aufgebaut, sie haben Leute gezwungen, mit ihnen zu kooperieren, um dort “Russland” aufzubauen. In den Oblasten Charkiw und Cherson haben sie ukrainische Kinder deportiert. Waisenkinder konnten sie in Russland sehr schnell bei neuen Eltern unterbringen. Sie haben ihre Namen geändert. Das bedeutet, dass die Ukraine diese Kinder nie finden wird. In besetzten Gebieten haben Russen Journalisten gezwungen, zu kooperieren, ihre Verwandten oder sogar ihre Haustiere gefoltert.

    Glauben Sie, dass es Anweisungen gibt, besonders brutal zu sein?

    Ja. Wir haben vor ein paar Tagen eine Geschichte über einen russischen Kommandeur veröffentlicht, der zusammen mit seinem Kollegen auf eine Familie in der Nähe von Kiew geschossen hat. Sie töteten die Mutter und den Vater, der sechsjährige Junge hat überlebt. Ukrainische Ermittler haben dann herausgefunden, dass es der Kommandeur war, der getötet hat. Als die Russen aus den Oblasten Kiew, Charkiw und Cherson geflohen sind, haben sie innerhalb von ein paar Tagen an allen Orten das Gleiche getan. Sie haben Menschen getötet, die sie vorher gefoltert hatten, und Kinder deportiert. Wir sehen, dass das systematisch geschieht und dass die Kommandeure davon wissen und dazu anweisen.

    Haben Sie Zahlen dazu?

    Offizielle Zahlen sprechen von 16.000 ukrainischen deportierten Kindern. Das sind aber nur die bestätigten Fälle. Die tatsächliche Zahl liegt deutlich höher.

    Wie alt sind die entführten Kinder?

    Wir haben in Cherson mit Ärztinnen und Ärzten gesprochen, mit Leuten, die sich um Neugeborene kümmerten. Sie erzählten uns, dass die Russen etwa 10 oder 20 Kinder mitgenommen haben, die nur wenige Monate alt waren. Einige Ärzte haben falsche Diagnosen gestellt, den Kindern Krankheiten bescheinigt und sie so vor einer Deportation gerettet.

    Wie laufen die Deportationen von Teenagern ab?

    In Cherson bot eine Hochschule Jugendlichen an, zwei Wochen Urlaub auf der Krim zu machen, um dem Krieg zu entkommen. Die Eltern der Jugendlichen waren damit einverstanden, so etwas geschah auch in der Oblast Charkiw. Die Jugendlichen kamen nie zurück. Jetzt sind viele Kinder in den russischen Gebieten und die Russen drängen sie, russische Papiere anzunehmen, damit sie zur Universität oder zur Schule gehen können. Ohne russische Dokumente haben sie in den besetzten Gebieten keinen Zugang zu Bildung. Wir haben auch Fälle gesehen, in denen die Russen Kinder und Jugendliche interniert und gefoltert haben, wenn sie nicht kooperieren wollten.

    Wie arbeiten Sie mit internationalen Stellen?

    Zu Kriegsbeginn, als unsere Journalisten vor Ort waren, haben uns Staatsanwälte oft nach Informationen gefragt. Manchmal haben wir sie weitergegeben, manchmal nicht, wenn wir unsere Quellen schützen wollten. Unsere Reporter haben auch Staatsanwälte und andere ukrainische Ermittler, die Kriegsverbrechen untersuchen, in Ermittlungsmethoden wie OSINT (Anmerkung: Open Source Intelligence) geschult.

    Haben Ihre Recherchen zu Strafverfolgungen beigetragen?

    Ja, besonders am Anfang. Die Generalstaatsanwaltschaft hat sogar bekanntgegeben, dass die ersten zehn russischen Militärs, die zu Kriegsbeginn in der Oblast Kiew als Verbrecher identifiziert wurden, mit Hilfe unserer Journalisten über Slidstvo ermittelt wurden.

    Stellen Sie Unterschiede zwischen Angehörigen der russischen Streitkräfte und der Gruppe Wagner fest?

    Die Wagner-Gruppe macht kein Geheimnis daraus, dass sie Leute aus Gefängnissen rekrutiert. Natürlich sind sie brutaler. Es gibt auch einige Ukrainer aus den besetzten Gebieten, die ebenfalls als Söldner für Wagner arbeiten. Oft sind es ungebildete Leute, die Geld brauchen. Einige von ihnen wurden bereits getötet.

    Welche Bedeutung hat Ihre Arbeit in diesem Krieg?

    Manchmal ist es frustrierend, weil wir das hier seit einem Jahr jeden Tag machen und nicht wissen, wann diese Leute bestraft werden. Wenn in einem oder zwei Jahren ein internationaler Prozess beginnt, werden wir nicht mehr in der Lage sein, die Wahrheit herauszufinden. Unsere Arbeit besteht also darin, so viele Beweise wie möglich zu sammeln und zu veröffentlichen. Selbst wenn nur 15 Prozent unserer Erkenntnisse vor Gericht verwendet werden, bin ich froh, wenn wir etwas dafür getan haben, dass Menschen, die Verbrechen begangen haben, bestraft werden.

    Ein Portrait über Anna Babinets lesen Sie hier.

    • Russland
    • Ukraine
    • Ukraine-Krieg

    News

    Neues Mandat für bis zu 60 Bundeswehrkräfte für Einsatz in Niger geplant

    Deutschland will sich an einer neuen EU-Mission in Niger beteiligen – mit bis zu 60 Soldatinnen und Soldaten. Das neue Mandat dafür soll Mitte März verabschiedet werden. Für Mai ist wiederum ein Abzugsmandat für deutsche Kräfte an der UN-Mission Minusma geplant. Damit soll der Einsatz der Bundeswehr in Mali bis zum kommenden Jahr beendet werden. Niger ist Malis östlicher Nachbar.  

    Der Rat der Europäischen Union brachte im Februar die militärische Partnerschaftsmission in Niger (EUMPM Niger) auf den Weg. Die europäischen Streitkräfte sollen unter anderem eine Technik-Schule aufbauen und bei der Einrichtung eines Unterstützungsbataillons für Logistik und Kommunikation helfen. Der Einsatz ist zunächst auf drei Jahre angelegt.

    Die Bundeswehr soll sich nach Angaben aus Regierungskreisen an dieser Mission mit bis zu 60 deutschen Soldatinnen und Soldaten beteiligen, die Höchstzahl wird bei solchen Missionen nur äußerst selten ausgeschöpft. Die Soldatinnen und Soldaten haben zwar keine sogenannten exekutiven Aufgaben, werden also nicht militärisch tätig. Allerdings sind Teile des Unterstützungsbetriebs in von Islamisten bedrohten Regionen Nigers geplant, sodass aus Sicht der Bundesregierung eine Mandatierung durch den Bundestag erforderlich ist.

    Der Kabinettsbeschluss dafür soll bereits am 15. März gefasst werden; die endgültige Zustimmung des Parlaments wird Ende März erwartet. Das Mandat für EUMPM soll nicht wie üblich für ein Jahr erteilt werden, sondern für 14 Monate – damit wird es zeitlich an das Minusma-Abzugsmandat angepasst, das ebenfalls bis zum Mai 2024 befristet werden soll.

    Mit der neuen Mission erfüllt Deutschland eine Zusage, die Bundeskanzler Olaf Scholz im vergangenen Jahr der Regierung in Niamey gegeben hatte. Zugleich vollzieht sich damit der Wechsel vom deutschen Engagement in Mali, dessen Übergangsregierung sich zunehmend Russland annähert, zur weiteren Unterstützung der Sahel-Region mit der Unterstützung Nigers.

    In Niger selbst war Ende vergangenen Jahres die Ausbildungsmission Gazelle deutscher Spezialkräfte ausgelaufen. Eine Anschlussmission mit knapp zehn Soldaten unter dem Namen Torima (Taktisch-operativ regional integrierte Military Assistance) braucht aus Sicht der Bundesregierung zwar kein eigenes Mandat. Allerdings werden voraussichtlich Teile dieser kleinen Ausbildungsmission mit in das Mandat für die EU-Mission integriert. tw

    • Afrika
    • EU-Mission
    • Niger
    • Sahel

    Grünes Licht für den Export des Flugabwehrsystems Arrow 3 nach Deutschland

    Wenn Israels Premierminister Benjamin Netanjahu am 16. März nach Deutschland kommt, bringt er höchstwahrscheinlich eine Zusage zur Lieferung des israelischen Luftabwehrsystems Arrow 3 mit. Es kann gegnerische Raketen in sehr großer Höhe abfangen und ist für den Aufbau des europäischen Luftverteidigungssystems “European Sky Shield Initiative” vorgesehen.

    Wie im Security-Briefing Nr. 25 berichtet, fehlte für den Export des Systems die Genehmigung aus den USA. Arrow 3 ist eine israelisch-amerikanische Entwicklung. Nun habe Washington die Genehmigung erteilt, melden israelische Medien. Damit das Geschäft zustande kommt, muss noch der Haushaltsausschuss zustimmen. vf

    • Deutschland
    • Israel
    • Luftverteidigung

    Studie: Ziviles Engagement wird situativer, Vereine stehen vor Herausforderungen

    Organisierte Ad-Hoc-Hilfen von gemeinnützigen Unternehmen, zum Beispiel nach dem Hochwasser im Ahrtal oder während des russischen Angriffs auf die Ukraine, treten in der deutschen Zivilgesellschaft immer stärker an die Stelle von langfristigem, beständigem ehrenamtlichen Engagement in Vereinen. 

    So haben sich mehr als ein Drittel der zivilgesellschaftlichen Organisationen im vergangenen Jahr für Betroffene des Krieges mit Geld- oder Sachspenden oder mit dem Angebot von Integrationsleistungen engagiert. Gemeinnützige Unternehmen mit bezahlten Beschäftigten engagierten sich dabei deutlich häufiger als ehrenamtliche Vereine (55 Prozent zu 28 Prozent).

    Das geht aus einem Trendbericht hervor, den Zivilgesellschaft in Zahlen (ZiviZ), eine Tochtergesellschaft des Stifterverbandes, am heutigen Dienstag vorstellt und der Table.Media vorab vorliegt. Knapp 13.000 Vereine, gemeinnützige Kapitalgesellschaften, Genossenschaften und Stiftungen wurden für die repräsentative Studie befragt.

    Besonders ausgeprägt war das Engagement im vergangenen Jahr während des Angriffskrieges im Feld der sozialen Dienste (55 Prozent), gefolgt von religiösen Vereinigungen (46 Prozent), Bildung (43 Prozent) sowie Bevölkerungsschutz (40 Prozent).

    Vereine müssen umdenken

    “Der allgemeine Trend der vergangenen zehn Jahre setzt sich fort. Engagement ist heute spontaner und situativer. Allerdings zeigt sich, dass in Krisen und bei gesellschaftlichen Herausforderungen auf die Zivilgesellschaft wie auch auf engagierte Unternehmen weiterhin Verlass ist”, sagt Birthe Tahmaz, Programmleiterin in der ZiviZ. Wenn es allerdings um beständiges und verlässliches freiwilliges Engagement gehe, dann nehme die Bereitschaft dazu ab.

    “Dieser Strukturwandel wird viele Vereine herausfordern, da sie neue Wege finden müssen, Personen als Engagierte zu gewinnen. Das birgt aber auch Chancen. Denn es eröffnet eine flexiblere Beteiligung. Wichtig ist, dass die Engagementförderung diese Veränderungen früh adressiert und gut begleitet”, erklärt Tahmaz.

    Zivilgesellschaftliche Organisationen verstehen sich dabei immer häufiger als politische Mitgestalter und als Impulsgeber für sozialen Wandel. Immer mehr an Bedeutung gewinnen dabei die Themen Umwelt (+ 1,3 Prozentpunkte in den vergangenen zehn Jahren) und Bildung (+3,9 Prozentpunkte). 

    Die Zahl der zivilgesellschaftlichen Organisationen in Deutschland erhöht sich stetig (18.000 mehr als bei der letzten Erhebung in 2016). Dennoch seien die Zahlen der Engagierten rückläufig. Sportorganisationen sind dabei am stärksten betroffen. klm

    • Katastrophenschutz
    • Zivilgesellschaft

    Waffenruhe in Bergkarabach gebrochen – Russland warnt vor Eskalation

    Am Sonntagmorgen ist es in der Region Bergkarabach zu einem Zusammenstoß zwischen aserbaidschanischen Truppen und ethnisch armenischen Polizisten der Pass- und Visaabteilung gekommen. Dabei wurden zwei aserbaidschanische und drei armenische Soldaten getötet, ein weiterer armenischer Polizist wurde schwer verletzt. 

    Die beiden Seiten bezichtigen sich gegenseitig, das Feuer eröffnet zu haben. Zwischen den Kriegsparteien herrscht eigentlich seit dem 9. November 2020 eine Waffenruhe, die seither aber öfter gebrochen wurde. Mitte Februar hatte Armenien seinem Nachbarn außerdem einen Entwurf für ein Friedensabkommen vorgelegt.

    Maria Zakharova, Sprecherin des russischen Außenministeriums, äußerte sich laut Public Radio of Armenia besorgt über die Eskalation der Spannungen. Russland ist als Vermittler in der Region eingesetzt, verliert aber aufgrund des Ukraine-Krieges immer mehr an Glaubwürdigkeit.

    Armenien bekommt volle Unterstützung aus Deutschland

    Der Vorfall ereignete sich wenige Tage nach einem Arbeitsbesuch des armenischen Ministerpräsidenten Nikol Pashinyan in Deutschland. Pashinyan sprach dabei mit Michael Roth (SPD), Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, und Bundeskanzler Olaf Scholz über die angespannte Lage in Armenien und der Region Bergkarabach. Roth schrieb danach auf Twitter: “Armenien verdient unsere Unterstützung auf dem Weg zu Frieden, Stabilität, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Aserbaidschan muss seine Aggressionen beenden.” 

    Auch Scholz betonte, dass er die Zusammenarbeit mit Jerewan weiter vertiefen wolle und sicherte Armenien, das auf dem Weg in die Europäische Union ist, deutsche Unterstützung für den Reformprozess zu. Deutschland ist der wichtigste Handelspartner für Armenien. 

    Die humanitäre Lage in Bergkarabach spitzt sich derweil zu. Seit mehr als 80 Tagen besetzen aserbaidschanische Aktivisten den Lachin-Korridor, der die Region, die völkerrechtlich zu Aserbaidschan gehört, in der aber hauptsächlich Armenier leben, mit Armenien verbindet. klm

    Harter Kurs gegen Moskau sichert Kallas den Wahlsieg in Estland

    Estlands Regierungschefin Kaja Kallas sieht sich nach ihrem Wahlsieg vom Sonntag in ihrem harten Kurs gegenüber Russland bestätigt. Zuletzt hatte sie auf der Münchner Sicherheitskonferenz gefordert, Russland müsse für die begangenen Kriegsverbrechen verantwortlich gemacht werden. Die als “Eiserne Lady des Baltikums” bekannte Politikerin der wirtschaftsliberalen Reformpartei holte 37 von 101 Sitzen im Parlament von Tallinn – drei mehr als bei der vorherigen Wahl 2019.

    “Kallas hat die Wahl ganz klar über die Außenpolitik gewonnen“, analysiert die Sicherheitsexpertin für die Baltischen Staaten, Elisabeth Bauer. Die Esten hätten Kallas entschiedenes Eintreten für EU-Sanktionen gegen Moskau und Waffenlieferungen in die Ukraine unterstützt. Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine wird als “fundamentales Sicherheitsrisiko” empfunden, da Estland eine 300 Kilometer lange Grenze mit Russland teilt. Im Interview mit Table.Media erklärte die alte – und wohl auch neue – Regierungschefin: “Wir würden in dunklen Zeiten leben, wären wir nicht in der Nato. Deshalb haben wir auch keine Furcht. Wir glauben nicht, dass Russland ein Nato-Mitglied angreift, weil es eben auch ein Angriff auf die USA, Deutschland und Frankreich wäre.”

    Ob die 45-jährige Juristin das Bündnis mit den Sozialdemokraten oder der konservativen Partei Isamaa weiterführt, ist unklar. Möglich wäre auch ein Zweierbündnis mit der ebenfalls liberalen Partei Eesti 200, die zum ersten Mal im Parlament ist. Außen- und sicherheitspolitisch liegen die beiden Parteien auf einer Linie. Eesti 200 hat bekannte Sicherheitspolitiker und potenzielle neue Minister in den eigenen Reihen, wie Ex-Verteidigungsminister Margus Tsahkna oder Ex-Außenminister Kalev Stoicescu, der ebenfalls Botschafter in den US und Kanada war. nana/dpa

    • Europa
    • Ukraine-Krieg

    Presseschau

    Haaretz – 92 Flights from Israeli Base Reveal Arms Exports to Azerbaijan: Der Artikel skizziert, wie Aserbaidschan seit Jahren modernste Waffensysteme von Israel einkauft, darunter ballistische Raketen, Flugabwehrsysteme, elektronische Kampfführungssysteme und Kamikaze-Drohnen. Auffällig: Die Cargo-Flüge von Israel nach Aserbaidschan stehen in engem zeitlichen Zusammenhang mit den Kämpfen Aserbaidschans gegen Armenien. Aserbaidschan stellt Israel im Gegenzug Öl und Zugang zu iranischem Gebiet zur Verfügung.

    The New York Times – They’re Exporting Billions in Arms. Just Not to Ukraine. (Paywall): Weil Nato-Staaten die Munition ausgeht, exportiert Südkorea eifrig und versucht, Russland nicht zu provozieren. Putin hatte bereits mit einer Annäherung an Nordkorea gedroht, sollte Seoul Waffen in die Ukraine liefern. Wie Südkorea die Unterstützer unterstützt und manches doch in der Ukraine landet.

    Foreign Affairs – Russia’s Halfway to Hell Strategy. Aus der Sicht des russischen Präsidenten Putin lief das erste Jahr Krieg vielleicht doch nicht so schlecht, wie im Westen zuweilen angenommen. Keine inneren Proteste, eine Wirtschaft auf Kriegskurs, Mobilmachung ohne viel Widerstand. Dem Kriegsregime gelingt es, eine Balance zwischen normalem Alltag und Eskalationsbereitschaft zu wahren. So bleibt Putin unberechenbar, so hält er sich weitere Handlungsoptionen offen, schreiben die Kenner der russischen Geheimdienste, Andei Soldatov und Irina Borogan.  

    Podcast: Net Assessment – Turkey’s More Independent Foreign Policy: Ein Blick auf das Nato-Problemkind Türkei aus US-amerikanischer Sicht. Warum hat die Türkei ihre Außenpolitik in den vergangenen Jahrzehnten neu justiert? Was bedeutet das für die Nato-Alliierten und die USA? Welche Auswirkungen werden die Wahlen in der Türkei auf die Beziehungen zum Westen haben? 67 Minuten.

    Video: “Diese 8 Behauptungen über den Krieg in der Ukraine sind falsch” Hat die Nato Putin bedroht? Ist die Ukraine eigentlich russisch? Lügen westliche Medien genauso wie die russischen? Der Wissenschaftler Eberhard Karls von der Uni Tübingen nimmt mit viel Kenntnis einige Behauptungen auseinander, die in vielen Talkshows wie in privaten Diskussionen über Russlands Krieg gegen die Ukraine geäußert werden. Kurzweilige 46 Minuten geballten Detailwissens.  

    Kyiv Independent – Ukrainian Soldiers in Bahkmut: ‘Our Troops Are Not Being Protected’: Seit Beginn des russischen Krieges gegen die Ukraine sind die Verluste des ukrainischen Militärs ein Geheimnis. In dem Bericht über die Kämpfe bei Bachmut werden nun auch die hohen Verluste auf der ukrainischen Seite thematisiert.

    Heads

    Ganna Shayakhmetova – Die Weiterforscherin

    Ganna Shayakhmetova im Institut für Pharmakologie und Toxikologie in Kiew

    Der Alltag steckt voller Probleme, aber für Ganna Shayakhmetova ist es das Wichtigste, dass sie ihrer Forschung überhaupt noch nachgehen kann. Trotz aller Schwierigkeiten, die ein Leben als Wissenschaftlerin in der Ukraine seit dem Beginn des russischen Angriffskriegs mit sich bringt. Etwa durch den Umstand, dass die Forschungsinfrastruktur in vielen Fällen beschädigt oder zerstört ist.

    Shayakhmetova ist Hauptforschungsbeauftragte der toxikologischen Abteilung am “Institut für Pharmakologie und Toxikologie”, das zur Nationalen Akademie der Medizinischen Wissenschaften in Kiew gehört. Der Handlungsspielraum für Wissenschaftler dort bleibt derzeit deutlich eingeschränkt. “Manchmal muss ich mehrmals am Tag vom Homeoffice ins Institut wechseln, je nachdem wo es gerade Strom und Internet gibt.”

    Da Forschung in den Lebenswissenschaften meist langwierig und kostspielig ist, sei ohnehin oft großer Einfallsreichtum gefragt, sagt Shayakhmetova. Viele ukrainische Forschende hätten sich neu vernetzt und organisierten aktiv den Weiterbetrieb und die Suche nach Forschungsgeldern und internationalen Kooperationen.

    Viele Studien erscheinen plötzlich irrelevant

    Shayakhmetovas Erfahrung ist, dass “in Kriegszeiten leider viele Studien irrelevant erscheinen und daraufhin beendet werden oder zumindest deutlich kleiner ausfallen”. So auch ihre eigenen Arbeiten zum Metabolischen Syndrom und Diabetes. “Wir hatten eigentlich ein großangelegtes Projekt geplant, das zwei Jahre dauern und die Wirkung von neuen Arzneimitteln im Tiermodell untersuchen sollte”, sagt Ganna Shayakhmetova. Die Pläne wurden auf ein Minimum reduziert, weil Forschungsgelder gestrichen und die Beschaffung und Haltung von Versuchstieren erschwert wurden.

    Sie hat erlebt, wie Forscher und Forscherinnen ins europäische Ausland flohen, andere in den Krieg ziehen mussten. “Einige Wissenschaftler, die an die Front gingen und starben, kannte ich persönlich”, sagt Shayakhmetova. Der Verlust schmerze sehr. Die ständigen Strom- und Internetausfälle werden da zur Randnotiz.

    Prioritäten der Forschung verschieben sich

    Shayakhmetova beobachtet eine zunehmende Verschiebung der Prioritäten. Forschungsaktivitäten werden auch von der Regierung daran gemessen, welche Antworten sie in Bezug auf die aktuelle Kriegs- und Krisensituation liefern. Die Forscherin hat jetzt ein Projekt begonnen, in dem Medikamente für das Posttraumatische Belastungssyndrom an Ratten getestet werden, um die kurzfristigen und langfristigen Folgen besser abschätzen zu können.

    Viele Kinder und Erwachsene in ihrem Land würden durch das Erlebte unter Belastungszuständen leiden, sagt die Forscherin. Sie hofft Aufschlüsse darüber zu erlangen, wie Medikamente helfen können und welche – auch langfristigen – Effekte sie haben.

    Institute zerstört, Wissenschaftler fehlen dem Land

    Gedanken macht sie sich über den Braindrain, der vor allem mit Blick auf den dringend nötigen Wiederaufbau des Landes schwerwiegende Folgen haben könnte. Weil viele Wissenschaftler sehr flexibel und ohnehin international ausgerichtet seien, wäre es ein Leichtes, gute Forscher und exzellenten Nachwuchs an Instituten und Einrichtungen im Ausland unterzubringen.

    “Nun gibt es etliche Programme zur Unterstützung ukrainischer Wissenschaftler, die im Ausland vorübergehenden Schutz erhalten haben, aber auf die Situation der Wissenschaft direkt in der Ukraine hat dies kaum positive Auswirkungen.”

    Neue Form der Forschungskooperationen sinnvoll

    Shayakhmetova glaubt, dass es mehr Fonds und Programme geben sollte, die es Wissenschaftlern ermöglichen, zusammen mit Gastinstitutionen in Deutschland und anderen EU-Ländern Spitzenforschung zu betreiben, ohne die Zugehörigkeit zu ukrainischen Institutionen zu verlieren. “Ich denke, dass ein Teil der Forschung in diesem Fall in der Ukraine und ein Teil zum Beispiel in Deutschland durchgeführt werden kann.”

    So könnten auch internationale Standards und neue Forschungsmethoden in der Ukraine eingeführt werden und beide Seiten würden profitieren. Sie geht davon aus, dass nur ein solcher Ansatz für beide Seiten gewinnbringend ist. “Andernfalls wird es einfach niemanden mehr geben, der das Zerstörte hier wiederherstellt.Tim Gabel

    • Ukraine-Krieg

    Security.Table Redaktion

    SECURITY.TABLE REDAKTION

    Licenses:

      Jetzt kostenlos anmelden und sofort weiterlesen

      Keine Bankdaten. Keine automatische Verlängerung.

      Sie haben bereits das Table.Briefing Abonnement?

      Anmelden und weiterlesen