Table.Briefing: Security

Ukrainische Gegenoffensive + Taurus-Marschflugkörper + Unterwasser-Kritis: Nato in der Verantwortung

Liebe Leserin, lieber Leser,

Großbritannien hat es getan, Frankreich auch, Deutschland allerdings tut sich schwer mit der Lieferung von Marschflugkörpern an die Ukraine. Der Besuch von Finanzminister Christian Linder in Kiew am gestrigen Montag könnte die Entscheidung, ob Deutschland die lange geforderten Taurus-Raketen liefert, beeinflussen – zugunsten der Ukraine.

Die präzisen Raketen mit hoher Reichweite sind jetzt schon von großer Bedeutung für die Ukraine, die sich in der laufenden Gegenoffensive schwertut, durch die Verteidigungslinien Russlands zu brechen. Warum es allerdings falsch wäre, die Fortschritte nur anhand von Geländegewinnen zu bewerten, erklärt Stanislaw Besuschko, ukrainischer Militäranalyst, meinem Kollegen Denis Trubetskoy.

Russland bereitet der Nato auch in der Nord- und Ostsee Kopfzerbrechen. Dort liegen abertausende Kilometer an Daten- und Stromkabeln sowie Pipelines am Meeresgrund. Klar ist: für deren Sicherheit können nicht mehr nur die privaten Betreiber zuständig sein. Wie die Nato derzeit nach einer Antwort auf die Frage nach Schutz und Verteidigung Kritischer Unterwasserinfrastruktur sucht, lesen Sie in meiner Analyse.

In Niger nähern sich der Putsch-General Abdourahmane Tchiani und die Ecowas-Staaten an; eine Intervention rückt damit in die Ferne. Doch die Militärregierung bleibt – und bringt damit endgültig die G5 Sahel ins Wanken, die seit dem Rückzug Malis aus dem Bündnis bereits auf tönernen Füßen steht. Lucia Weiß fasst die Entwicklungen für Sie zusammen.

Ihre
Lisa-Martina Klein
Bild von Lisa-Martina  Klein

Analyse

Wie sich die Nato für Krieg am Meeresgrund rüstet

Der Anschlag auf die Nord-Stream-Pipelines im vergangenen September wirkte wie ein Brandbeschleuniger innerhalb der Nato. Im Rahmen der “enhanced Vigilance Activities” (eVA) entsandte sie zusätzliche Schiffe in die Nord- und Ostsee, um entlang der eigenen Infrastruktur Flagge zu zeigen.

Zudem rutschten bereits angestoßene Überlegungen darüber, wie Kritische Unterwasserinfrastruktur in Nord- und Ostsee besser geschützt werden kann, auf der gemeinsamen Agenda weiter nach oben. Nicht zuletzt muss sich das Verteidigungsbündnis fragen, wie es auf Anschläge solcher Art künftig reagieren will.

Denn dass die Häufigkeit und eventuell auch Schwere zunehmen werden, ist wahrscheinlich. Russland könnte bereits Sprengsätze an Pipelines und Co. angebracht haben, vermutet die Nato und stützt sich dabei auf Informationen der Betreiber von Öl- und Gasplattformen, Pipelines, Stromleitungen und Telekommunikationskabeln.

Flotte für den Seabed Warfare

Bereits vor Jahren hat Russland das Potenzial des sogenannten Seabed Warfare, der Kriegsführung am Meeresgrund, erkannt: Ebenso wie Cyberangriffe sind Attacken auf Unterwasserinfrastruktur schwer vorherzusehen und zu verhindern und noch schwerer eindeutig einem Akteur nachzuweisen. So rangieren sie bislang unterhalb der Schwelle zur Kriegsführung.

Die Entwicklung hoch technisierter und aufgerüsteter U-Boote wurde in Russland nach dem Zerfall der Sowjetunion zudem nicht, wie in anderen Ländern, heruntergefahren, sondern weitergetrieben. So verfügt Russland inzwischen über nuklear betriebene Jagd-U-Boote der Yasen-Klasse, die denen der US Navy ebenbürtig sind. Zudem fungieren speziell ausgestattete Forschungsschiffe wie die “Admiral Vladimirsky” als Aufklärer. Andere Forschungsschiffe, wie die “Jantar” oder die “Sibirjakov”, werden als Träger kleiner, unbemannter Unterwasserfahrzeuge eingesetzt. Auch Fischerboote mit ausgeschaltetem Transponder wurden in den Gewässern der Nord- und Ostsee ermittelt, vermutlich mit der Aufgabe, Windparks, Häfen, Pipelines und Kabel zu kartografieren.

Deutsch-norwegische Initiative willkommen

Die Sprengung der Pipelines und die lange, bislang erfolglose Suche nach einem Schuldigen zeigen das Dilemma, in dem die Nato steckt: Die Überwachung und der Schutz Kritischer Infrastrukturen sind keine militärische Aufgabe, sondern die der zivilen Betreiber und damit nationale Angelegenheit. Aber es reichen Nadelstiche, um ein Land zu destabilisieren und fallen so potenziell in den Zuständigkeitsbereich des Militärs.

Entsprechende Rückendeckung erfuhr die Initiative, die Bundeskanzler Olaf Scholz und Norwegens Ministerpräsident Jonas Gahr Støhr im November vergangenen Jahres auf der Berliner Sicherheitskonferenz einbrachten: Die Nato solle konkret prüfen, wie sie zur Überwachung und zum Schutz Kritischer Unterwasserinfrastruktur beitragen könne und eine Koordinierungsstelle einrichten. Vor allem Norwegen ist auf funktionierende Ölpipelines angewiesen und ist jetzt der größte Öllieferant Deutschlands, seit Deutschland den Import aus Russland eingestellt hat.

Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg, selbst Norweger, machte die Idee noch in Berlin zur Chefsache. Im Februar verkündete er die Einrichtung einer Koordinierungszelle, prominent angesiedelt am politischen Hauptquartier der Nato in Brüssel und prominent besetzt mit dem aus dem Ruhestand zurückgeholten deutschen Generalleutnant Hans-Werner Wiermann. Er war zuvor Direktor des Internationalen Militärstabes der Allianz.

Nato richtet Unterwasserlagebildzentrum ein

Sein Auftrag: Er soll ein Netzwerk schaffen, das private Betreiber Kritischer Infrastrukturanlagen, Behörden mit maritimem Arbeitsschwerpunkt, EU-Institutionen, staatliche Akteure und Geheimdienste zusammenbringt – aus 31, bald 32 Mitgliedstaaten. Der Überblick soll helfen, die wichtigsten Lebensadern und Knotenpunkte zu identifizieren, die potenziell interessante Angriffspunkte bieten. Denn die Nato “weiß” bislang nicht mal, wo genau die Pipelines und Kabel im Meer liegen.

Auf militärischer Seite einigten sich die Nato-Staaten auf die Einrichtung eines “Maritimen Zentrums zur Sicherheit kritischer Unterwasserinfrastruktur”, angesiedelt am Maritime Command (Marcom) in Northwood, Großbritannien. Es ist, wenn eingerichtet, auf operativer Ebene für die Erstellung eines Unterwasserlagebildes zuständig. Hier sollen die gesammelten Daten der privaten Betreiber, der Nato-Schiffe auf regulärer Patrouille und der anderen Akteure eingesteuert und ausgewertet werden. Noch sind wenige Details bekannt, weder wer das Zentrum leiten wird, noch wie viele Militärs dort genau arbeiten werden.

Verteidigung durch Abschreckung

Wichtiger ist aber die Frage nach den geplanten Kompetenzen des Zentrums: Die Erstellung eines Unterwasserlagebilds wirkt abschreckend, kann Angriffe aber nicht unbedingt verhindern. Selbst wenn ein feindliches U-Boot nahe einer Pipeline oder eines Kabels entdeckt werden sollte – was wäre die verhältnismäßige Konsequenz daraus?

Es stellt sich auch die Frage, wie die Nato auf einen verübten Anschlag reagieren soll – vorausgesetzt, er kann eindeutig einem Aggressor zugeordnet werden. Aus dem Abschluss-Kommuniqué zum Nato-Gipfel in Vilnius geht hervor: “Jedem vorsätzlichen Angriff auf die kritischen Infrastrukturen der Bündnispartner wird mit einer einheitlichen und entschlossenen Reaktion begegnet; dies gilt auch für kritische Unterwasserinfrastrukturen.” Und weiter: “Die Nato ist bereit, die Verbündeten zu unterstützen, wenn sie darum gebeten wird.”

Das Kommuniqué bleibt also vage darüber, wie genau die Reaktion der Nato aussehen würde – aber dass Artikel 5, also die Beistandsverpflichtung des Bündnisses, nach einem Angriff auf die Kritische Unterwasserinfrastruktur greifen könnte, kann man herauslesen. Bislang zielt die Verteidigungsplanung der Nato aber vor allem auf Abschreckung ab. Wenn sich der Gegner beobachtet fühlt, so die Hoffnung, wird er gar nicht erst angreifen.

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Fragiles Regionalbündnis G5 Sahel unter Druck

Nahtlos von Mauretanien im Westen, über Mali, Burkina, Niger bis zum Tschad weiter östlich, so starteten die G5 Sahel im Jahr 2014. Seit 2022 klafft eine große weiße Lücke im Emblem des Regionalbündnisses, das die afrikanischen Mitgliedsländer mit ihren Flaggen abbildet: Da, wo die grün-gelb-rot längs gestreifte malische Flagge stand, ist der Platz leer.

Mali zog sich unter Militärmachthaber Assimi Goita aus den G5 Sahel zurück, weil ihm der Vorsitz versagt wurde. Seitdem fehlt Mali, ist aber geisterhaft stets im Gespräch, wenn es um die Zukunft des Bündnisses geht. Noch vor gut einem Monat warb der mauretanische Präsident Mohamed Ould Cheikh El Ghazouani, der den G5 zurzeit vorsteht, in Nouackhott eindringlich um die Rückkehr der Malier. Denn die gemeinsame Terrorbekämpfung könne ohne sie nicht funktionieren.

Die seit 2017 gemeinsame Eingreiftruppe der G5 Sahel (Force Conjointe) wurde in der Vergangenheit vom Westen unterstützt, unter anderem von den USA. “Das ist jetzt schwierig, denn vier von fünf Ländern haben militärische Putsch-Regierungen”, sagt die Leiterin des Afrika-Programms am belgischen Egmont-Institut für Internationale Beziehungen. Auch Deutschland und Frankreich unterstützten die Eingreiftruppe.

Zukunft der Sahel-Allianz eng mit G5 verknüpft

Insbesondere die Trias aus Militärregimen aus Mali, Burkina Faso und nun Niger, könnte sich komplett vom Regionalbündnis abkehren und versuchen eine eigene Einheit aufzubauen, so Wilén. Die Bekämpfung des Terrorismus in der Sahel-Region wird eine Herausforderung bleiben – aber das Regionalbündnis G5 Sahel ist nach Meinung der Politikwissenschaftlerin kein schlagkräftiger Akteur mehr: “Die G5 Sahel sind für den Moment überflüssig. Der Fokus liegt gerade woanders. Sie haben in den letzten Monaten auch keine gemeinsamen Militäroperationen durchgeführt. Ob sie ganz auseinanderbrechen, ist allerdings schwierig vorherzusagen.”

Dass ein etwaiges neues Bündnis aus militärisch geführten Ländern den großen Umschwung bringt, glaubt Henrik Maihack, Leiter des Afrika-Referats bei der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung in Berlin nicht. “Bei Militärregierungen gibt es ein hohes Risiko für Menschenrechtsverletzungen. Das zeigt uns der Fall Mali”, so Maihack. “Militärregierungen sind schlecht im Anti-Terror-Kampf. Sie schaffen eher noch mehr Ursachen, dass Menschen sich Terroristen zuwenden. In Mali und Burkina ist das sichtbar, die Sicherheitslage hat sich verschlechtert – unter Bazoum in Niger nicht.”

Auch die Entwicklungszusammenarbeit in der Sahel-Region ist durch eine schwache G5 gefährdet, denn an den G5 hängt die milliardenschwere Sahel-Allianz. Das westlich geprägte Geber-Bündnis koordiniert die internationale Unterstützung der fünf Sahelstaaten. “Die Zukunft der Sahel-Allianz hängt davon ab, wie es mit den G5 weitergeht”, so Wilén.

Jungen Menschen eine Perspektive geben

Deutschland übernahm im Juli den Vorsitz der Gebergemeinschaft aus 18 ständigen Mitgliedern und neun Beobachtern. Ministerin Svenja Schulze reiste im Juli für einen Tag nach Mauretanien, um die Agenda vorzustellen und sich für die Entwicklungszusammenarbeit starkzumachen als Priorität für die Sahel-Region.

Nun, kaum einen Monat später, ist die Ministerin wieder in Mauretanien. Das war geplant, doch hat sich mit dem jüngsten Putsch in Niger der Kontext der Reise deutlich verändert. Dennoch hält Schulze an ihrem Programm fest. “Die jüngsten Entwicklungen im Sahel haben einmal mehr deutlich gemacht: Es sind Lösungen erforderlich, die an den eigentlichen Ursachen der Probleme in der Region ansetzen: Perspektiven für junge Menschen durch mehr Beschäftigung, soziale Sicherung, die hilft, den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu wahren und ein weiteres Abgleiten breiter Bevölkerungsschichten in die Armut zu verhindern”, so Schulze in einer Pressemitteilung zum Auftakt ihrer Reise. Im Gespräch mit Mauretaniens Präsident, dem G5-Vorsitzenden, soll es demnach auch um die Konsequenzen des Putsches in Niger für die Entwicklungszusammenarbeit gehen.

Offiziell hat sich die Sahel-Allianz dazu noch nicht geäußert. Ein Sprecher des Entwicklungsministeriums sagte auf Nachfrage von Table.Media am Montagnachmittag, eine gemeinsame Erklärung befinde sich noch in der Abstimmung. Die Initiativen und Investitionen der Allianz-Mitglieder belaufen sich auf mehr als 28 Milliarden Euro.

Ecowas als Hoffnung für friedliche Lösung

“Die Sahel-Allianz hat bisher zu sehr auf die militärischen Komponenten gesetzt. Jetzt gibt es eine nachhaltigere Strategie mit der deutschen Präsidentschaft. Ich glaube auch nicht, dass man Terrorismus nur durch Brunnenbauen stoppt. Aber nun könnte der Dreiklang anders gesetzt werden”, so Maihack von der Friedrich-Ebert-Stiftung. “Zuerst Entwicklungszusammenarbeit. Nachgeordnet wären die Bereitschaft zu Verhandlungen der afrikanischen Regierungen auch mit bewaffneten Gruppen, die als Terroristen bezeichnet werden, sowie robuste Elemente, aber angeführt von afrikanischen Akteuren, wichtig.”

Schulze änderte als Reaktion auf den Coup kurzfristig ihr Reiseprogramm. Ursprünglich war ein Besuch in Burkina Faso und ein Treffen mit der Regierung von Militärmachthaber Ibrahima Traoré geplant. Traoré verdrängte durch einen Putsch Ende September vergangenen Jahres seinen Vorgänger Paul-Henri Sandaogo Damiba – der ebenfalls durch einen Staatsstreich im Januar 2022 ins Amt gelangt war. Nun will Schulze am Ende ihrer viertägigen Reise, am Mittwoch, stattdessen Nigeria besuchen und sich mit der Ecowas austauschen.

Diese hatte eine militärische Intervention zur Wiederherstellung der verfassungsgemäßen Ordnung in Niger angedroht, bisher aber lediglich begonnen, ihre Standby Force zu aktivieren. “Die westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft Ecowas spielt die entscheidende Rolle bei der Suche nach einer friedlichen Lösung im Niger-Konflikt. Diese Bemühungen werden wir als Sahel-Allianz, aber auch im Rahmen der deutschen Entwicklungszusammenarbeit nach Kräften unterstützen”, so Schulze zum Auftakt ihrer Westafrika-Reise. Die Ecowas und das BMZ arbeiten seit rund 40 Jahren zusammen.

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Ukrainische Gegenoffensive: “Uns werden aus dem Westen komische Sachen empfohlen”

Langsame Lieferung westlicher Waffen, stark vermintes Gelände, überhöhte Erwartungen: Über die Entwicklung der ukrainischen Offensive lässt sich nur schwer urteilen. Noch mindestens bis Mitte Oktober hat die ukrainische Armee bei passenden Wetterbedingungen die Möglichkeit, im Süden vorzustoßen. Ihr Ziel ist offensichtlich: Die russisch besetzte Landbrücke zur annektierten Krim soll zurückerobert werden. (Zum Stand der Gegenoffensive siehe Meldung in dieser Ausgabe.)

“Die Journalisten machen einen Fehler, wenn sie den Erfolg der Gegenoffensive nur anhand eingenommener Orte und ähnlichem bewerten. Es gibt Sachen, die unsichtbar, aber enorm wichtig sind”, sagt Stanislaw Besuschko, Militäranalyst aus Lwiw. Er kämpfte bereits im Donbass-Krieg und ist nun wieder an der Front. 

Zu den Hauptproblemen seiner Armee zählt Besuschko etwa das Defizit der Ausrüstung zur Minenräumung sowie der Flugabwehr für die Front, aber auch natürliche Probleme bei der Vorbereitung der neu zusammengestellten Brigaden im Westen.

Ukrainer greifen mit Sturmgruppen an

“Darüber wird wenig gesprochen, aber wir können hier einfach nicht so angreifen, wie die Amerikaner das im Irak gemacht haben”, sagt Besuschko. “Wir haben versucht, mit viel Militärtechnik reinzufahren und haben viel Gerät auf den Minen verloren. So funktioniert es hier nicht, die Region Saporischschja ist ja auch keine Wüste. Uns werden aus dem Westen manchmal ganz komische Sachen empfohlen, wie: Umfahrt doch die Minen. Wie das gelingen soll, nachdem die Russen monatelang diese Minenfelder vorbereitet haben, erschließt sich mir nicht.” 

Daher mussten die Ukrainer auf im Westen skeptisch gesehene Angriffe mit kleinen Sturmgruppen umstellen, die mühsam, aber aus Besuschkos Sicht, alternativlos sind.

Einen Vorteil hat die Ukraine allerdings beim Einsatz von Raketen. So habe die westliche Artillerie nicht nur eine größere Reichweite, sie schieße auch deutlich genauer als die russische. “Wir haben bei Artillerieduellen einen riesigen Vorteil und zerstören russisches Gerät in großer Zahl”, sagt Besuschko. Er ist sich sicher, dass die Front unter diesen Umständen irgendwann bricht, doch man könne nicht einplanen, wann genau dies passiert.

Neben Artillerie bringen auch die westlichen Marschflugkörper einen entscheidenden Vorteil. Sie können aufgrund ihrer hohen Reichweite Ziele weit hinter der Front erreichen und russische Versorgungslinien empfindlich treffen. Schon seit Mai sind die britischen Storm-Shadows im Einsatz, Ende Juli beschloss Frankreich die Lieferung von SCALP-Raketen. Nahezu täglich werden damit wichtige Öl- und Munitionsdepots auf dem besetzten Gebiet inklusive der Krim erfolgreich angegriffen – und auch wichtige Logistikobjekte für die russischen Streitkräfte wie etwa Wege und Brücken, die die Krim mit dem okkupierten Teil des Bezirks Cherson verbinden.

Widerstand gegen Taurus-Lieferung bröckelt

In Deutschland regt sich aus Angst vor einer weiteren Eskalation noch Widerstand gegen die Lieferung von Taurus-Raketen, der sich diese Woche aber auflösen könnte (siehe Meldung in dieser Ausgabe). Kritikerinnen und Kritiker der möglichen Lieferungen befürchten, dass die Ukraine damit Ziele auf dem russischen Staatsgebiet angreifen könnte. Die Ukraine verweist darauf, dass bislang keine Ziele in Russland mit Marschflugkörpern angegriffen wurden. 

Für ein Vorankommen an der Front sind zerstörte Nachschublinien essenziell, genauso wie die Minenräumung. “Das Durchbrechen der Front ist keine Operation, die in zwei Monaten erledigt ist – und sie ist mit der blitzschnellen Befreiung des Gebiets Charkiw im letzten Jahr überhaupt nicht zu vergleichen”, betont der Analyst. Die Befreiung des westlichen Dnipro-Ufers im Bezirk Cherson habe zusammengerechnet fünf Monate gedauert, das wäre der korrektere Vergleich. 

Während die ukrainische Gesellschaft insgesamt ruhig auf den Verlauf der Gegenoffensive reagiert, gibt es trotzdem unvermeidliche enttäuschte Hoffnungen. Obwohl Armee-Befehlshaber Walerij Saluschnyj und Verteidigungsminister Oleksij Resnikow ausdrücklich von überhöhten Erwartungen warnten, stimmte das Beispiel der Charkiw-Operation von 2022 einige trotzdem zu optimistisch ein. Zudem stützten Offizielle mit weniger Verantwortung im militärischen Bereich solche Hoffnungen mit öffentlichen Äußerungen.

Ehrliche Kommunikation mit der Bevölkerung

“Die Ukrainer an der Front und im Hinterland realisieren langsam, aber sicher, dass es keinen schnellen Sieg geben wird. Der Kampf gegen die russische Invasion könnte sich auf unbestimmte Zeit hinziehen und noch mehr Opfer vom Staat und der Gesellschaft erfordern”, sagt der Kiewer Politologe Wolodymyr Fessenko, der das Zentrum für angewandte politische Forschung Penta leitet. Deswegen legt Fessenko großen Wert darauf, dass ukrainische Politiker realistische Erwartungen vermitteln müssten.

“Mit der Gesellschaft muss man offen und ehrlich darüber reden”, sagt der 64-jährige Politikwissenschaftler, der dem Beraterteam um den Präsidenten Wolodymyr Selenskyj nahesteht. “Die Offiziellen sollten auf konkrete Vorhersagen zum Kriegsende verzichten. Die Prognosen über den bevorstehenden schnellen Sieg verärgern Militärs an der Front, die die tatsächliche Lage kennen. Aber auch Prognosen darüber, dass dieser Krieg noch sehr viele Jahre dauern wird, können demotivierend wirken.” 

Notwendig sei es daher, an den Sieg der ukrainischen Streitkräfte zu glauben, aber unter Berücksichtigung der tatsächlichen Aussichten des Krieges. Das heißt: Mit der ständigen Erinnerung daran, dass der Weg zum Sieg Schritt für Schritt verläuft. Das strategische Ziel der Befreiung aller besetzten Gebiete bleibe unverändert.

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News

Starke Verminung bremst ukrainische Armee

Frontverlauf in der Ukraine im August 2023

Mindestens bis Mitte Oktober dürfte die ukrainische Armee noch die Möglichkeit haben, bei passenden Wetterbedingungen im Süden vorzustoßen, um ihr offensichtliches Ziel zu erreichen: die Durchbrechung der sogenannten Landbrücke zur besetzten Krim. 

Die militärischen Zwischenergebnisse der Gegenoffensive, die seit Anfang Juni läuft, fallen unterschiedlich aus. An mehreren Schlüsselstellen der Südfront haben es die Ukrainer geschafft, rund zehn stark verminte Kilometer bis zu den ersten Hauptverteidigungslinien der Russen durchzukommen. Etwa bei Robotyne im Bezirk Saporischschja, das auf dem Weg zum Schlüsselknotenpunkt Tokmak ist, sind die Ukrainer auf geolokalisierten Fotos und Videos bereits deutlich hinter den aufgebauten Stellungen der Russen zu sehen.

Allerdings hätte die ukrainische Militärführung die ersten Verteidigungslinien der russischen Armee sicher gerne etwas schneller als innerhalb von rund zwei Monaten durchbrochen. Das gigantische Ausmaß der Verminung war und bleibt aber ein großes Problem für ukrainische Kräfte. 

Die Front beschränkt sich nicht auf den Süden. An den Flanken der Stadt Bachmut im Bezirk Donezk behalten die Ukrainer zwar die Initiative. Südlicher von Bachmut stoßen sie etwas schneller vor als nördlicher und haben viele strategische Höhen eingenommen.

Russland zwingt die Ukraine zur Verteilung der Kräfte

Im Norden der aktuellen Front, vor allem auf dem kleinen Teil des Bezirks Charkiw am östlichen Ufer des Flusses Oskil, ganz nah an der russischen Grenze, sind die Russen aber bereits seit Monaten in der Offensive und verzeichnen einige Erfolge. Diese Gegenden wurden von der Ukraine im letzten Herbst befreit, sind aber nur ein kleiner Teil der damals zurückeroberten Gebiete. Das Ziel der Russen ist dort, die Ukrainer vom östlichen Oskil-Ufer zu vertreiben, was theoretisch gelingen kann, aber keine strategische Katastrophe für Kiew darstellen würde.

Die Situation dort ist für die Ukrainer vor allem wegen der Nähe zur russischen Grenze schwierig. Diese Gegenden können von der russischen Artillerie leicht beschossen werden – und auch die russische Luftwaffe fühlt sich dort freier und sicherer. Das gehört zu den Hauptgründen, warum die Ukrainer die Evakuierung aus einigen Orten der Region verkündeten. 

Der Sinn der russischen Handlungen: Die Ukrainer von der Südfront abzulenken und sie zum Einsatz der für die Gegenoffensive vorbereiteten Reserven zu provozieren, was bisher jedoch nur zum kleinen Teil passiert. Denis Trubetskoy

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Entscheidung über Taurus-Marschflugkörper für die Ukraine naht

Der Berichterstatter der SPD für den Wehretat, Andreas Schwarz, geht davon aus, dass “innerhalb der nächsten Tage” eine Entscheidung zur Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern in die Ukraine getroffen wird. Das sagte er Table.Media. Schwarz hatte sich als erster aus der SPD-Fraktion für eine Lieferung ausgesprochen. Finanzminister Christian Lindner sagte am Montag bei einem Besuch in Kiew, dass er für eine Lieferung sei. Lindners Besuch werde “mit Sicherheit schnell in die Entscheidungsfindung einfließen”, sagte Schwarz. Bundeskanzler Olaf Scholz war der Frage im ZDF-Sommerinterview am Sonntagabend ausgewichen und hatte gesagt, man werde Entscheidungen prüfen, “was geht, was Sinn macht, was unser Beitrag sein kann”.

Zuletzt hatte der Druck auf die Bundesregierung zugenommen. Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba schrieb auf X (vormals Twitter): “Taurus und ATACMS sind entscheidend für den Erfolg der Ukraine, deshalb bitten wir unsere Partner, sie so schnell wie möglich bereitzustellen.”

Die Taurus-Marschflugkörper haben eine Reichweite von 500 Kilometern. Auch wenn die Ukraine versichert, die Raketen nicht für Angriffe auf russisches Gebiet zu verwenden, gibt es die Befürchtung, dass Russland einen Angriff auf eigenes Gebiet mit deutschen Waffen als Kriegsbeteiligung interpretiert. Technische Modifikationen an den Taurus-Raketen könnten die Reichweite verringern. Die Ukraine nutzt bereits Marschflugkörper des Typs Storm Shadow und Scalp aus dem Vereinigten Königreich und Frankreich. Die eingesetzten Modelle haben eine geringere Reichweite als die Taurus-Raketen.

Bei den Lieferungen der Leopard-Kampfpanzer hatte sich die Bundesregierung an den USA orientiert. Über deren Taurus-Pendant, die ballistische Kurzstreckenrakete Army Tactical Missile System (ATACMS), die eine Reichweite von rund 320 Kilometern hat, wurde noch keine Entscheidung getroffen. Am Donnerstag hatte US-Präsident Joe Biden den Kongress gebeten, zusätzliche Hilfen für die Ukraine in Höhe von 20 Milliarden Dollar zu genehmigen, von denen 13 Milliarden für militärische Hilfen vorgesehen sind. bub

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Putschisten und Ecowas bewegen sich aufeinander zu

Rund zweieinhalb Wochen nach dem Militärputsch in Niger ist der General Abdourahmane Tchiani nun bereit, mit den Ecowas-Staaten zu reden. Eine Militärintervention der Ecowas-Staaten in Niger rückt somit weiter in die Ferne. Ein Überblick über die wichtigsten Ereignisse.

  • Die Putschisten in Niger haben angekündigt, den gestürzten Präsidenten Mohamed Bazoum wegen “Hochverrats und Gefährdung der inneren und äußeren Sicherheit” anzuklagen. Er solle “vor kompetenten nationalen und internationalen Instanzen verfolgt werden”, hieß es in einer TV-Erklärung. Nach dem nigrischen Strafgesetzbuch droht Bazoum somit die Todesstrafe.
  • Entwicklungsministerin Svenja Schulze ist am Montag zu einem mehrtägigen Besuch nach Westafrika gereist. Sie ist seit Juli Vorsitzende der Sahel-Allianz, die die internationale Unterstützung für Mauretanien, Mali, Burkina Faso, Tschad und Niger koordiniert. Doch drei dieser Länder – Mali, Burkina Faso und nun auch Niger – werden von Militärregierungen beherrscht.
  • Mauretanien rückt nun stärker in den Fokus der deutschen Afrika-Politik. Dies sei ein wichtiges, demokratisch verfasstes Land, ein stabiler Akteur in der Region, hieß es in Regierungskreisen. Es sei aber auch das einzige Land, das in der Sahel-Region noch als Partner zur Verfügung stehe.
  • Die Ecowas scheint nun Verhandlungen einer Militärintervention vorzuziehen. Sie hatte am Wochenende mitgeteilt, eigene Vermittler nach Niamey schicken zu wollen. Die Putschisten hatten sich bisher geweigert, offizielle Delegationen zu empfangen.
  • In Frankreich haben sich fast 100 Senatoren in einem Brief an Präsident Macron über dessen gescheiterte Afrika-Politik beschwert. “Das Françafrique von gestern wurde durch das militärische Russafrique, das wirtschaftliche Chinafrique oder das diplomatische Américafrique ersetzt.”
  • Tausende Anhänger des Militärregimes haben sich am Freitag in der Nähe der französischen Militärbasis in Niamey versammelt. Dabei riefen sie: “Nieder mit Frankreich, nieder mit der Ecowas”. hlr/lcw/as
  • Afrika
  • Niger

Die Opfer der Taliban

Zivile Opfer der Taliban

Zwei Jahre an der Macht, zwei Jahre Repression gegen zivile Gruppen: Das britische, wissenschaftliche Projekt ACLED hat mehr als 1.000 Gewaltakte in Afghanistan seit dem 15. August 2021 ausgewertet und die am stärksten unterdrückten und verfolgten Gruppen identifiziert: Es sind vor allem ehemalige zivile Beschäftigte der alten Regierung, Inhaftierte, Frauen und Medienvertreter. Das Projekt ACLED lokalisiert Gewaltakte und erstellt Karten, die die Verteilung der Vorfälle im Land zeigen. So wird unter anderem deutlich, dass es in mindestens 29 der 34 Provinzen des Landes Widerstand gegen die Taliban gab.

Wichtige Rückschlüsse aus den Daten sind:

  • Anders als angekündigt verüben Taliban-Kämpfer Racheakte an alten Regierungsangehörigen und unterdrücken Frauen wegen ihres Geschlechts
  • 2022 haben Frauen doppelt so häufig gegen die Taliban protestiert wie im Jahr der Machtübernahme. Auch in diesem Jahr protestieren viele Frauen weiter.
  • Gewalt gegen Journalistinnen und Journalisten hält weiterhin an. ACLED-Analysten gehen davon aus, dass durch die erschwerte journalistische Arbeit das ganze Ausmaß der Gewalt nicht sichtbar ist.

Besonders das Thema Gewalt gegen Frauen stellt für die Taliban selbst ein Dilemma dar, schreiben die ACLED-Forschenden Asena Karacalti und Elliott Bynum. Es gebe Taliban-Vertreter, die darauf hinwiesen, dass die Repressionen der Frauen zu Schwierigkeiten in der internationalen Politik führten. Einige Taliban sorgten sich um die internationale Anerkennung des Regimes. “Dennoch gibt es keine Anzeichen dafür, dass die ,Geschlechter-Apartheid’ bald enden könnte”, betonen Karacalti und Bynum.  

Infolge der Kämpfe zwischen den Taliban, anderen radikalen Kräften sowie alten regierungsnahen Kräften gibt es auch Angriffe auf Zivilisten, die nicht von den Taliban ausgehen. Mehr als 660 solcher Angriffe hat es in den vergangenen zwei Jahren gegeben. vf

  • Afghanistan
  • Geopolitik

Presseschau

Spiegel – “Xi ist viel gefährlicher als Putin” (Paywall). Langfristig stellt China eine größere – wirtschaftliche – Gefahr für die USA dar als Russland, und die gilt es einzudämmen. Die Europäer, so erklärt es der republikanische Berater Elbridge Colby im Interview, müssten allein für die Unterstützung der Ukraine aufkommen, damit sich die USA China zuwenden könne.

Foreign Affairs – The Last Ambassador: A Memoir of the Collapse of Yugoslavia (Paywall). Ein Blick ins Archiv: Warren Zimmermann, der letzte Botschafter der USA in Jugoslawien, schreibt in dem 1995 veröffentlichten Stück ausführlich über seine Erfahrungen im post-sowjetischen Balkan und seine Begegnungen mit Serbiens ehemaligem Präsidenten Slobodan Milošević.

War on the Rocks – France’s Policy Shift on Ukraine’s Nato Membership. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat sich lange gegen einen Nato-Beitritt der Ukraine nach Kriegsende gewehrt. Mittlerweile ist er einer der größten Fürsprecher. Wenn der Krieg zu Ende geht, könnte die Ukraine eine der bestausgerüsteten Armeen Europas sein. Außerdem könnte es die anderen europäischen Mitgliedstaaten weniger kosten, als wenn die Ukraine nicht Teil der Nato würde.

Tagesspiegel – Patrick Sensburg: “Müssen wieder Verteidigungswillen entwickeln”. Ein Prozent des 100-Milliarden-Sondervermögens muss in die Reserve fließen, fordert Patrick Sensburg, Chef des Reservistenverbandes, im Interview. Zudem plädiert er für eine Wiedereinführung der Wehrpflicht, verbunden mit einer allgemeinen Dienstpflicht.

60Minutes – Frontline war photographer James Nachtwey: Capturing conflict, heroism, history. In einem knapp viertelstündigen Video-Interview spricht der US-amerikanische Moderator Anderson Cooper mit dem legendären Kriegsfotografen James Nachtwey. Der 75-Jährige dokumentiert mit seiner Kamera noch immer die Konflikte dieser Welt, zuletzt die Verbrechen der russischen Armee in der Ukraine. Ein persönliches, nachdenklich stimmendes Gespräch.

Heads

Kristina Lunz – Die, die Außenpolitik aufmischt

Kristina Lunz ist Ko-Geschäftsführerin des Centre for Feminist Foreign Policy (CFFP).

Bereits als Studentin wollte Kristina Lunz viel verändern: Mit ihrer Medienkampagne “Stop Bild Sexism” protestierte sie gegen die “Oben-Ohne”-Frauenportraits in der Bild-Zeitung – und war damit erfolgreich. “Mein Wille, Dinge zu verändern, ist damals aus ganz viel Wut entstanden“, sagt die heute 34-Jährige.

Kurz darauf gründete sie das Centre for Feminist Foreign Policy (CFFP), dessen Ko-Geschäftsführerin sie bis heute ist. Mittlerweile ist Lunz viel gefragt: Sie sitzt mit Außenministerinnen, Außenministern und Staatsoberhäuptern am Tisch und sucht mit ihnen Wege, die Rechte und Interessen von Frauen besser in ihre Politik einzubinden

Die gebürtige Oberfränkin studierte Public Policy am University College London und anschließend Global Governance in Oxford. Nach dem Studium arbeitete sie für eine Menschenrechtsorganisation in Kolumbien und das Gender and Coordination Office des Entwicklungsprogramms der UN in Myanmar. “In der Zeit konnte ich sehen, wie wenig Beachtung Frauenrechte international finden”, sagt sie.

Damals fand in Myanmar der Genozid an den Rohingya statt, während dessen Frauen strategisch vergewaltigt wurden. “Da kam in mir das Bedürfnis auf, den Feminismus, den ich bisher nur innenpolitisch angewandt hatte, auch in die Außenpolitik zu tragen”, sagt Lunz. 2016 gründete sie das CFFP in London mit und eröffnete 2018 die Berliner Dependance.

Kann Außenpolitik feministisch sein?

Als Annalena Baerbock Außenministerin wurde, kündigte sie an, die deutsche Außenpolitik feministisch gestalten zu wollen. Ein großer Erfolg für Kristina Lunz, die den Begriff prägte. Seitdem “feministische Außenpolitik” im Koalitionsvertrag steht, ist sie zum Buzz- und Reizwort geworden.

Dabei kursieren einige Fehlannahmen, meint Lunz. “Ich höre oft, das sei ein westliches Konzept, das anderen Ländern oktroyiert werden soll – das ist Blödsinn.” Zivilgesellschaftliche Bestrebungen und Kämpfe um Frauenrechte gebe es in anderen Ländern genauso lang wie im Westen. “Wir verdanken es Frauen aus Lateinamerika, dass Gleichberechtigung zwischen Frauen und Männern in der UN-Charta festgehalten ist.” 

Eine weitere Fehlannahme sei, dass feministische Außenpolitik bedeute, mehr Frauen in politischen Ämtern unterzubringen. Feminismus habe immer etwas mit Machtverschiebung zu tun, sagt Lunz. “Repräsentation ist ein wichtiger Aspekt, aber eben nur einer.” Bei aller Kritik am Begriff “feministisch” gehe der Blick für den Kern einer feministischen Außenpolitik verloren. Patriarchales Denken, Misogynie, Homophobie seien Grundpfeiler von faschistischen Bewegungen und Autoritarismus. Mit einer feministischen Zivilgesellschaft könne dies am besten verhindert werden.

Das Konzept wird auf die Probe gestellt

Auch die Bekämpfung der Klimakrise hat eine feministische Komponente: “Wir sehen, dass vor allem Frauen und Mädchen die Kosten für die Klimakrise tragen: 80 Prozent der Klimaflüchtlinge sind weiblich und viele von ihnen erleben auf der Flucht sexualisierte Gewalt”, sagt Lunz. An dieser Gerechtigkeitskomponente setze die feministische Außenpolitik an, sagt die CFFP-Gründerin.

Lunz’ Arbeit und der lange Atem von Feministinnen zeigt sich langsam auf dem internationalen Parkett. “2014 war Schweden das erste Land mit einer offiziell feministischen Außenpolitik. 2022 waren es sieben, heute sind es elf Staaten – das ist eine große Errungenschaft.” Durch einen internationalen Rechtsruck und den Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine wird das Konzept der gewaltfreien, feministischen Außenpolitik auf die Probe gestellt. Lunz bleibt optimistisch: “Wir haben als Organisation – und auch ich als Aktivistin – schon Dinge erreicht, an die nie jemand geglaubt hat.” Svenja Schlicht

  • Feministische Außenpolitik

Security.Table Redaktion

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    Die präzisen Raketen mit hoher Reichweite sind jetzt schon von großer Bedeutung für die Ukraine, die sich in der laufenden Gegenoffensive schwertut, durch die Verteidigungslinien Russlands zu brechen. Warum es allerdings falsch wäre, die Fortschritte nur anhand von Geländegewinnen zu bewerten, erklärt Stanislaw Besuschko, ukrainischer Militäranalyst, meinem Kollegen Denis Trubetskoy.

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    Analyse

    Wie sich die Nato für Krieg am Meeresgrund rüstet

    Der Anschlag auf die Nord-Stream-Pipelines im vergangenen September wirkte wie ein Brandbeschleuniger innerhalb der Nato. Im Rahmen der “enhanced Vigilance Activities” (eVA) entsandte sie zusätzliche Schiffe in die Nord- und Ostsee, um entlang der eigenen Infrastruktur Flagge zu zeigen.

    Zudem rutschten bereits angestoßene Überlegungen darüber, wie Kritische Unterwasserinfrastruktur in Nord- und Ostsee besser geschützt werden kann, auf der gemeinsamen Agenda weiter nach oben. Nicht zuletzt muss sich das Verteidigungsbündnis fragen, wie es auf Anschläge solcher Art künftig reagieren will.

    Denn dass die Häufigkeit und eventuell auch Schwere zunehmen werden, ist wahrscheinlich. Russland könnte bereits Sprengsätze an Pipelines und Co. angebracht haben, vermutet die Nato und stützt sich dabei auf Informationen der Betreiber von Öl- und Gasplattformen, Pipelines, Stromleitungen und Telekommunikationskabeln.

    Flotte für den Seabed Warfare

    Bereits vor Jahren hat Russland das Potenzial des sogenannten Seabed Warfare, der Kriegsführung am Meeresgrund, erkannt: Ebenso wie Cyberangriffe sind Attacken auf Unterwasserinfrastruktur schwer vorherzusehen und zu verhindern und noch schwerer eindeutig einem Akteur nachzuweisen. So rangieren sie bislang unterhalb der Schwelle zur Kriegsführung.

    Die Entwicklung hoch technisierter und aufgerüsteter U-Boote wurde in Russland nach dem Zerfall der Sowjetunion zudem nicht, wie in anderen Ländern, heruntergefahren, sondern weitergetrieben. So verfügt Russland inzwischen über nuklear betriebene Jagd-U-Boote der Yasen-Klasse, die denen der US Navy ebenbürtig sind. Zudem fungieren speziell ausgestattete Forschungsschiffe wie die “Admiral Vladimirsky” als Aufklärer. Andere Forschungsschiffe, wie die “Jantar” oder die “Sibirjakov”, werden als Träger kleiner, unbemannter Unterwasserfahrzeuge eingesetzt. Auch Fischerboote mit ausgeschaltetem Transponder wurden in den Gewässern der Nord- und Ostsee ermittelt, vermutlich mit der Aufgabe, Windparks, Häfen, Pipelines und Kabel zu kartografieren.

    Deutsch-norwegische Initiative willkommen

    Die Sprengung der Pipelines und die lange, bislang erfolglose Suche nach einem Schuldigen zeigen das Dilemma, in dem die Nato steckt: Die Überwachung und der Schutz Kritischer Infrastrukturen sind keine militärische Aufgabe, sondern die der zivilen Betreiber und damit nationale Angelegenheit. Aber es reichen Nadelstiche, um ein Land zu destabilisieren und fallen so potenziell in den Zuständigkeitsbereich des Militärs.

    Entsprechende Rückendeckung erfuhr die Initiative, die Bundeskanzler Olaf Scholz und Norwegens Ministerpräsident Jonas Gahr Støhr im November vergangenen Jahres auf der Berliner Sicherheitskonferenz einbrachten: Die Nato solle konkret prüfen, wie sie zur Überwachung und zum Schutz Kritischer Unterwasserinfrastruktur beitragen könne und eine Koordinierungsstelle einrichten. Vor allem Norwegen ist auf funktionierende Ölpipelines angewiesen und ist jetzt der größte Öllieferant Deutschlands, seit Deutschland den Import aus Russland eingestellt hat.

    Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg, selbst Norweger, machte die Idee noch in Berlin zur Chefsache. Im Februar verkündete er die Einrichtung einer Koordinierungszelle, prominent angesiedelt am politischen Hauptquartier der Nato in Brüssel und prominent besetzt mit dem aus dem Ruhestand zurückgeholten deutschen Generalleutnant Hans-Werner Wiermann. Er war zuvor Direktor des Internationalen Militärstabes der Allianz.

    Nato richtet Unterwasserlagebildzentrum ein

    Sein Auftrag: Er soll ein Netzwerk schaffen, das private Betreiber Kritischer Infrastrukturanlagen, Behörden mit maritimem Arbeitsschwerpunkt, EU-Institutionen, staatliche Akteure und Geheimdienste zusammenbringt – aus 31, bald 32 Mitgliedstaaten. Der Überblick soll helfen, die wichtigsten Lebensadern und Knotenpunkte zu identifizieren, die potenziell interessante Angriffspunkte bieten. Denn die Nato “weiß” bislang nicht mal, wo genau die Pipelines und Kabel im Meer liegen.

    Auf militärischer Seite einigten sich die Nato-Staaten auf die Einrichtung eines “Maritimen Zentrums zur Sicherheit kritischer Unterwasserinfrastruktur”, angesiedelt am Maritime Command (Marcom) in Northwood, Großbritannien. Es ist, wenn eingerichtet, auf operativer Ebene für die Erstellung eines Unterwasserlagebildes zuständig. Hier sollen die gesammelten Daten der privaten Betreiber, der Nato-Schiffe auf regulärer Patrouille und der anderen Akteure eingesteuert und ausgewertet werden. Noch sind wenige Details bekannt, weder wer das Zentrum leiten wird, noch wie viele Militärs dort genau arbeiten werden.

    Verteidigung durch Abschreckung

    Wichtiger ist aber die Frage nach den geplanten Kompetenzen des Zentrums: Die Erstellung eines Unterwasserlagebilds wirkt abschreckend, kann Angriffe aber nicht unbedingt verhindern. Selbst wenn ein feindliches U-Boot nahe einer Pipeline oder eines Kabels entdeckt werden sollte – was wäre die verhältnismäßige Konsequenz daraus?

    Es stellt sich auch die Frage, wie die Nato auf einen verübten Anschlag reagieren soll – vorausgesetzt, er kann eindeutig einem Aggressor zugeordnet werden. Aus dem Abschluss-Kommuniqué zum Nato-Gipfel in Vilnius geht hervor: “Jedem vorsätzlichen Angriff auf die kritischen Infrastrukturen der Bündnispartner wird mit einer einheitlichen und entschlossenen Reaktion begegnet; dies gilt auch für kritische Unterwasserinfrastrukturen.” Und weiter: “Die Nato ist bereit, die Verbündeten zu unterstützen, wenn sie darum gebeten wird.”

    Das Kommuniqué bleibt also vage darüber, wie genau die Reaktion der Nato aussehen würde – aber dass Artikel 5, also die Beistandsverpflichtung des Bündnisses, nach einem Angriff auf die Kritische Unterwasserinfrastruktur greifen könnte, kann man herauslesen. Bislang zielt die Verteidigungsplanung der Nato aber vor allem auf Abschreckung ab. Wenn sich der Gegner beobachtet fühlt, so die Hoffnung, wird er gar nicht erst angreifen.

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    Fragiles Regionalbündnis G5 Sahel unter Druck

    Nahtlos von Mauretanien im Westen, über Mali, Burkina, Niger bis zum Tschad weiter östlich, so starteten die G5 Sahel im Jahr 2014. Seit 2022 klafft eine große weiße Lücke im Emblem des Regionalbündnisses, das die afrikanischen Mitgliedsländer mit ihren Flaggen abbildet: Da, wo die grün-gelb-rot längs gestreifte malische Flagge stand, ist der Platz leer.

    Mali zog sich unter Militärmachthaber Assimi Goita aus den G5 Sahel zurück, weil ihm der Vorsitz versagt wurde. Seitdem fehlt Mali, ist aber geisterhaft stets im Gespräch, wenn es um die Zukunft des Bündnisses geht. Noch vor gut einem Monat warb der mauretanische Präsident Mohamed Ould Cheikh El Ghazouani, der den G5 zurzeit vorsteht, in Nouackhott eindringlich um die Rückkehr der Malier. Denn die gemeinsame Terrorbekämpfung könne ohne sie nicht funktionieren.

    Die seit 2017 gemeinsame Eingreiftruppe der G5 Sahel (Force Conjointe) wurde in der Vergangenheit vom Westen unterstützt, unter anderem von den USA. “Das ist jetzt schwierig, denn vier von fünf Ländern haben militärische Putsch-Regierungen”, sagt die Leiterin des Afrika-Programms am belgischen Egmont-Institut für Internationale Beziehungen. Auch Deutschland und Frankreich unterstützten die Eingreiftruppe.

    Zukunft der Sahel-Allianz eng mit G5 verknüpft

    Insbesondere die Trias aus Militärregimen aus Mali, Burkina Faso und nun Niger, könnte sich komplett vom Regionalbündnis abkehren und versuchen eine eigene Einheit aufzubauen, so Wilén. Die Bekämpfung des Terrorismus in der Sahel-Region wird eine Herausforderung bleiben – aber das Regionalbündnis G5 Sahel ist nach Meinung der Politikwissenschaftlerin kein schlagkräftiger Akteur mehr: “Die G5 Sahel sind für den Moment überflüssig. Der Fokus liegt gerade woanders. Sie haben in den letzten Monaten auch keine gemeinsamen Militäroperationen durchgeführt. Ob sie ganz auseinanderbrechen, ist allerdings schwierig vorherzusagen.”

    Dass ein etwaiges neues Bündnis aus militärisch geführten Ländern den großen Umschwung bringt, glaubt Henrik Maihack, Leiter des Afrika-Referats bei der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung in Berlin nicht. “Bei Militärregierungen gibt es ein hohes Risiko für Menschenrechtsverletzungen. Das zeigt uns der Fall Mali”, so Maihack. “Militärregierungen sind schlecht im Anti-Terror-Kampf. Sie schaffen eher noch mehr Ursachen, dass Menschen sich Terroristen zuwenden. In Mali und Burkina ist das sichtbar, die Sicherheitslage hat sich verschlechtert – unter Bazoum in Niger nicht.”

    Auch die Entwicklungszusammenarbeit in der Sahel-Region ist durch eine schwache G5 gefährdet, denn an den G5 hängt die milliardenschwere Sahel-Allianz. Das westlich geprägte Geber-Bündnis koordiniert die internationale Unterstützung der fünf Sahelstaaten. “Die Zukunft der Sahel-Allianz hängt davon ab, wie es mit den G5 weitergeht”, so Wilén.

    Jungen Menschen eine Perspektive geben

    Deutschland übernahm im Juli den Vorsitz der Gebergemeinschaft aus 18 ständigen Mitgliedern und neun Beobachtern. Ministerin Svenja Schulze reiste im Juli für einen Tag nach Mauretanien, um die Agenda vorzustellen und sich für die Entwicklungszusammenarbeit starkzumachen als Priorität für die Sahel-Region.

    Nun, kaum einen Monat später, ist die Ministerin wieder in Mauretanien. Das war geplant, doch hat sich mit dem jüngsten Putsch in Niger der Kontext der Reise deutlich verändert. Dennoch hält Schulze an ihrem Programm fest. “Die jüngsten Entwicklungen im Sahel haben einmal mehr deutlich gemacht: Es sind Lösungen erforderlich, die an den eigentlichen Ursachen der Probleme in der Region ansetzen: Perspektiven für junge Menschen durch mehr Beschäftigung, soziale Sicherung, die hilft, den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu wahren und ein weiteres Abgleiten breiter Bevölkerungsschichten in die Armut zu verhindern”, so Schulze in einer Pressemitteilung zum Auftakt ihrer Reise. Im Gespräch mit Mauretaniens Präsident, dem G5-Vorsitzenden, soll es demnach auch um die Konsequenzen des Putsches in Niger für die Entwicklungszusammenarbeit gehen.

    Offiziell hat sich die Sahel-Allianz dazu noch nicht geäußert. Ein Sprecher des Entwicklungsministeriums sagte auf Nachfrage von Table.Media am Montagnachmittag, eine gemeinsame Erklärung befinde sich noch in der Abstimmung. Die Initiativen und Investitionen der Allianz-Mitglieder belaufen sich auf mehr als 28 Milliarden Euro.

    Ecowas als Hoffnung für friedliche Lösung

    “Die Sahel-Allianz hat bisher zu sehr auf die militärischen Komponenten gesetzt. Jetzt gibt es eine nachhaltigere Strategie mit der deutschen Präsidentschaft. Ich glaube auch nicht, dass man Terrorismus nur durch Brunnenbauen stoppt. Aber nun könnte der Dreiklang anders gesetzt werden”, so Maihack von der Friedrich-Ebert-Stiftung. “Zuerst Entwicklungszusammenarbeit. Nachgeordnet wären die Bereitschaft zu Verhandlungen der afrikanischen Regierungen auch mit bewaffneten Gruppen, die als Terroristen bezeichnet werden, sowie robuste Elemente, aber angeführt von afrikanischen Akteuren, wichtig.”

    Schulze änderte als Reaktion auf den Coup kurzfristig ihr Reiseprogramm. Ursprünglich war ein Besuch in Burkina Faso und ein Treffen mit der Regierung von Militärmachthaber Ibrahima Traoré geplant. Traoré verdrängte durch einen Putsch Ende September vergangenen Jahres seinen Vorgänger Paul-Henri Sandaogo Damiba – der ebenfalls durch einen Staatsstreich im Januar 2022 ins Amt gelangt war. Nun will Schulze am Ende ihrer viertägigen Reise, am Mittwoch, stattdessen Nigeria besuchen und sich mit der Ecowas austauschen.

    Diese hatte eine militärische Intervention zur Wiederherstellung der verfassungsgemäßen Ordnung in Niger angedroht, bisher aber lediglich begonnen, ihre Standby Force zu aktivieren. “Die westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft Ecowas spielt die entscheidende Rolle bei der Suche nach einer friedlichen Lösung im Niger-Konflikt. Diese Bemühungen werden wir als Sahel-Allianz, aber auch im Rahmen der deutschen Entwicklungszusammenarbeit nach Kräften unterstützen”, so Schulze zum Auftakt ihrer Westafrika-Reise. Die Ecowas und das BMZ arbeiten seit rund 40 Jahren zusammen.

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    Ukrainische Gegenoffensive: “Uns werden aus dem Westen komische Sachen empfohlen”

    Langsame Lieferung westlicher Waffen, stark vermintes Gelände, überhöhte Erwartungen: Über die Entwicklung der ukrainischen Offensive lässt sich nur schwer urteilen. Noch mindestens bis Mitte Oktober hat die ukrainische Armee bei passenden Wetterbedingungen die Möglichkeit, im Süden vorzustoßen. Ihr Ziel ist offensichtlich: Die russisch besetzte Landbrücke zur annektierten Krim soll zurückerobert werden. (Zum Stand der Gegenoffensive siehe Meldung in dieser Ausgabe.)

    “Die Journalisten machen einen Fehler, wenn sie den Erfolg der Gegenoffensive nur anhand eingenommener Orte und ähnlichem bewerten. Es gibt Sachen, die unsichtbar, aber enorm wichtig sind”, sagt Stanislaw Besuschko, Militäranalyst aus Lwiw. Er kämpfte bereits im Donbass-Krieg und ist nun wieder an der Front. 

    Zu den Hauptproblemen seiner Armee zählt Besuschko etwa das Defizit der Ausrüstung zur Minenräumung sowie der Flugabwehr für die Front, aber auch natürliche Probleme bei der Vorbereitung der neu zusammengestellten Brigaden im Westen.

    Ukrainer greifen mit Sturmgruppen an

    “Darüber wird wenig gesprochen, aber wir können hier einfach nicht so angreifen, wie die Amerikaner das im Irak gemacht haben”, sagt Besuschko. “Wir haben versucht, mit viel Militärtechnik reinzufahren und haben viel Gerät auf den Minen verloren. So funktioniert es hier nicht, die Region Saporischschja ist ja auch keine Wüste. Uns werden aus dem Westen manchmal ganz komische Sachen empfohlen, wie: Umfahrt doch die Minen. Wie das gelingen soll, nachdem die Russen monatelang diese Minenfelder vorbereitet haben, erschließt sich mir nicht.” 

    Daher mussten die Ukrainer auf im Westen skeptisch gesehene Angriffe mit kleinen Sturmgruppen umstellen, die mühsam, aber aus Besuschkos Sicht, alternativlos sind.

    Einen Vorteil hat die Ukraine allerdings beim Einsatz von Raketen. So habe die westliche Artillerie nicht nur eine größere Reichweite, sie schieße auch deutlich genauer als die russische. “Wir haben bei Artillerieduellen einen riesigen Vorteil und zerstören russisches Gerät in großer Zahl”, sagt Besuschko. Er ist sich sicher, dass die Front unter diesen Umständen irgendwann bricht, doch man könne nicht einplanen, wann genau dies passiert.

    Neben Artillerie bringen auch die westlichen Marschflugkörper einen entscheidenden Vorteil. Sie können aufgrund ihrer hohen Reichweite Ziele weit hinter der Front erreichen und russische Versorgungslinien empfindlich treffen. Schon seit Mai sind die britischen Storm-Shadows im Einsatz, Ende Juli beschloss Frankreich die Lieferung von SCALP-Raketen. Nahezu täglich werden damit wichtige Öl- und Munitionsdepots auf dem besetzten Gebiet inklusive der Krim erfolgreich angegriffen – und auch wichtige Logistikobjekte für die russischen Streitkräfte wie etwa Wege und Brücken, die die Krim mit dem okkupierten Teil des Bezirks Cherson verbinden.

    Widerstand gegen Taurus-Lieferung bröckelt

    In Deutschland regt sich aus Angst vor einer weiteren Eskalation noch Widerstand gegen die Lieferung von Taurus-Raketen, der sich diese Woche aber auflösen könnte (siehe Meldung in dieser Ausgabe). Kritikerinnen und Kritiker der möglichen Lieferungen befürchten, dass die Ukraine damit Ziele auf dem russischen Staatsgebiet angreifen könnte. Die Ukraine verweist darauf, dass bislang keine Ziele in Russland mit Marschflugkörpern angegriffen wurden. 

    Für ein Vorankommen an der Front sind zerstörte Nachschublinien essenziell, genauso wie die Minenräumung. “Das Durchbrechen der Front ist keine Operation, die in zwei Monaten erledigt ist – und sie ist mit der blitzschnellen Befreiung des Gebiets Charkiw im letzten Jahr überhaupt nicht zu vergleichen”, betont der Analyst. Die Befreiung des westlichen Dnipro-Ufers im Bezirk Cherson habe zusammengerechnet fünf Monate gedauert, das wäre der korrektere Vergleich. 

    Während die ukrainische Gesellschaft insgesamt ruhig auf den Verlauf der Gegenoffensive reagiert, gibt es trotzdem unvermeidliche enttäuschte Hoffnungen. Obwohl Armee-Befehlshaber Walerij Saluschnyj und Verteidigungsminister Oleksij Resnikow ausdrücklich von überhöhten Erwartungen warnten, stimmte das Beispiel der Charkiw-Operation von 2022 einige trotzdem zu optimistisch ein. Zudem stützten Offizielle mit weniger Verantwortung im militärischen Bereich solche Hoffnungen mit öffentlichen Äußerungen.

    Ehrliche Kommunikation mit der Bevölkerung

    “Die Ukrainer an der Front und im Hinterland realisieren langsam, aber sicher, dass es keinen schnellen Sieg geben wird. Der Kampf gegen die russische Invasion könnte sich auf unbestimmte Zeit hinziehen und noch mehr Opfer vom Staat und der Gesellschaft erfordern”, sagt der Kiewer Politologe Wolodymyr Fessenko, der das Zentrum für angewandte politische Forschung Penta leitet. Deswegen legt Fessenko großen Wert darauf, dass ukrainische Politiker realistische Erwartungen vermitteln müssten.

    “Mit der Gesellschaft muss man offen und ehrlich darüber reden”, sagt der 64-jährige Politikwissenschaftler, der dem Beraterteam um den Präsidenten Wolodymyr Selenskyj nahesteht. “Die Offiziellen sollten auf konkrete Vorhersagen zum Kriegsende verzichten. Die Prognosen über den bevorstehenden schnellen Sieg verärgern Militärs an der Front, die die tatsächliche Lage kennen. Aber auch Prognosen darüber, dass dieser Krieg noch sehr viele Jahre dauern wird, können demotivierend wirken.” 

    Notwendig sei es daher, an den Sieg der ukrainischen Streitkräfte zu glauben, aber unter Berücksichtigung der tatsächlichen Aussichten des Krieges. Das heißt: Mit der ständigen Erinnerung daran, dass der Weg zum Sieg Schritt für Schritt verläuft. Das strategische Ziel der Befreiung aller besetzten Gebiete bleibe unverändert.

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    News

    Starke Verminung bremst ukrainische Armee

    Frontverlauf in der Ukraine im August 2023

    Mindestens bis Mitte Oktober dürfte die ukrainische Armee noch die Möglichkeit haben, bei passenden Wetterbedingungen im Süden vorzustoßen, um ihr offensichtliches Ziel zu erreichen: die Durchbrechung der sogenannten Landbrücke zur besetzten Krim. 

    Die militärischen Zwischenergebnisse der Gegenoffensive, die seit Anfang Juni läuft, fallen unterschiedlich aus. An mehreren Schlüsselstellen der Südfront haben es die Ukrainer geschafft, rund zehn stark verminte Kilometer bis zu den ersten Hauptverteidigungslinien der Russen durchzukommen. Etwa bei Robotyne im Bezirk Saporischschja, das auf dem Weg zum Schlüsselknotenpunkt Tokmak ist, sind die Ukrainer auf geolokalisierten Fotos und Videos bereits deutlich hinter den aufgebauten Stellungen der Russen zu sehen.

    Allerdings hätte die ukrainische Militärführung die ersten Verteidigungslinien der russischen Armee sicher gerne etwas schneller als innerhalb von rund zwei Monaten durchbrochen. Das gigantische Ausmaß der Verminung war und bleibt aber ein großes Problem für ukrainische Kräfte. 

    Die Front beschränkt sich nicht auf den Süden. An den Flanken der Stadt Bachmut im Bezirk Donezk behalten die Ukrainer zwar die Initiative. Südlicher von Bachmut stoßen sie etwas schneller vor als nördlicher und haben viele strategische Höhen eingenommen.

    Russland zwingt die Ukraine zur Verteilung der Kräfte

    Im Norden der aktuellen Front, vor allem auf dem kleinen Teil des Bezirks Charkiw am östlichen Ufer des Flusses Oskil, ganz nah an der russischen Grenze, sind die Russen aber bereits seit Monaten in der Offensive und verzeichnen einige Erfolge. Diese Gegenden wurden von der Ukraine im letzten Herbst befreit, sind aber nur ein kleiner Teil der damals zurückeroberten Gebiete. Das Ziel der Russen ist dort, die Ukrainer vom östlichen Oskil-Ufer zu vertreiben, was theoretisch gelingen kann, aber keine strategische Katastrophe für Kiew darstellen würde.

    Die Situation dort ist für die Ukrainer vor allem wegen der Nähe zur russischen Grenze schwierig. Diese Gegenden können von der russischen Artillerie leicht beschossen werden – und auch die russische Luftwaffe fühlt sich dort freier und sicherer. Das gehört zu den Hauptgründen, warum die Ukrainer die Evakuierung aus einigen Orten der Region verkündeten. 

    Der Sinn der russischen Handlungen: Die Ukrainer von der Südfront abzulenken und sie zum Einsatz der für die Gegenoffensive vorbereiteten Reserven zu provozieren, was bisher jedoch nur zum kleinen Teil passiert. Denis Trubetskoy

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    Entscheidung über Taurus-Marschflugkörper für die Ukraine naht

    Der Berichterstatter der SPD für den Wehretat, Andreas Schwarz, geht davon aus, dass “innerhalb der nächsten Tage” eine Entscheidung zur Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern in die Ukraine getroffen wird. Das sagte er Table.Media. Schwarz hatte sich als erster aus der SPD-Fraktion für eine Lieferung ausgesprochen. Finanzminister Christian Lindner sagte am Montag bei einem Besuch in Kiew, dass er für eine Lieferung sei. Lindners Besuch werde “mit Sicherheit schnell in die Entscheidungsfindung einfließen”, sagte Schwarz. Bundeskanzler Olaf Scholz war der Frage im ZDF-Sommerinterview am Sonntagabend ausgewichen und hatte gesagt, man werde Entscheidungen prüfen, “was geht, was Sinn macht, was unser Beitrag sein kann”.

    Zuletzt hatte der Druck auf die Bundesregierung zugenommen. Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba schrieb auf X (vormals Twitter): “Taurus und ATACMS sind entscheidend für den Erfolg der Ukraine, deshalb bitten wir unsere Partner, sie so schnell wie möglich bereitzustellen.”

    Die Taurus-Marschflugkörper haben eine Reichweite von 500 Kilometern. Auch wenn die Ukraine versichert, die Raketen nicht für Angriffe auf russisches Gebiet zu verwenden, gibt es die Befürchtung, dass Russland einen Angriff auf eigenes Gebiet mit deutschen Waffen als Kriegsbeteiligung interpretiert. Technische Modifikationen an den Taurus-Raketen könnten die Reichweite verringern. Die Ukraine nutzt bereits Marschflugkörper des Typs Storm Shadow und Scalp aus dem Vereinigten Königreich und Frankreich. Die eingesetzten Modelle haben eine geringere Reichweite als die Taurus-Raketen.

    Bei den Lieferungen der Leopard-Kampfpanzer hatte sich die Bundesregierung an den USA orientiert. Über deren Taurus-Pendant, die ballistische Kurzstreckenrakete Army Tactical Missile System (ATACMS), die eine Reichweite von rund 320 Kilometern hat, wurde noch keine Entscheidung getroffen. Am Donnerstag hatte US-Präsident Joe Biden den Kongress gebeten, zusätzliche Hilfen für die Ukraine in Höhe von 20 Milliarden Dollar zu genehmigen, von denen 13 Milliarden für militärische Hilfen vorgesehen sind. bub

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    Putschisten und Ecowas bewegen sich aufeinander zu

    Rund zweieinhalb Wochen nach dem Militärputsch in Niger ist der General Abdourahmane Tchiani nun bereit, mit den Ecowas-Staaten zu reden. Eine Militärintervention der Ecowas-Staaten in Niger rückt somit weiter in die Ferne. Ein Überblick über die wichtigsten Ereignisse.

    • Die Putschisten in Niger haben angekündigt, den gestürzten Präsidenten Mohamed Bazoum wegen “Hochverrats und Gefährdung der inneren und äußeren Sicherheit” anzuklagen. Er solle “vor kompetenten nationalen und internationalen Instanzen verfolgt werden”, hieß es in einer TV-Erklärung. Nach dem nigrischen Strafgesetzbuch droht Bazoum somit die Todesstrafe.
    • Entwicklungsministerin Svenja Schulze ist am Montag zu einem mehrtägigen Besuch nach Westafrika gereist. Sie ist seit Juli Vorsitzende der Sahel-Allianz, die die internationale Unterstützung für Mauretanien, Mali, Burkina Faso, Tschad und Niger koordiniert. Doch drei dieser Länder – Mali, Burkina Faso und nun auch Niger – werden von Militärregierungen beherrscht.
    • Mauretanien rückt nun stärker in den Fokus der deutschen Afrika-Politik. Dies sei ein wichtiges, demokratisch verfasstes Land, ein stabiler Akteur in der Region, hieß es in Regierungskreisen. Es sei aber auch das einzige Land, das in der Sahel-Region noch als Partner zur Verfügung stehe.
    • Die Ecowas scheint nun Verhandlungen einer Militärintervention vorzuziehen. Sie hatte am Wochenende mitgeteilt, eigene Vermittler nach Niamey schicken zu wollen. Die Putschisten hatten sich bisher geweigert, offizielle Delegationen zu empfangen.
    • In Frankreich haben sich fast 100 Senatoren in einem Brief an Präsident Macron über dessen gescheiterte Afrika-Politik beschwert. “Das Françafrique von gestern wurde durch das militärische Russafrique, das wirtschaftliche Chinafrique oder das diplomatische Américafrique ersetzt.”
    • Tausende Anhänger des Militärregimes haben sich am Freitag in der Nähe der französischen Militärbasis in Niamey versammelt. Dabei riefen sie: “Nieder mit Frankreich, nieder mit der Ecowas”. hlr/lcw/as
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    Die Opfer der Taliban

    Zivile Opfer der Taliban

    Zwei Jahre an der Macht, zwei Jahre Repression gegen zivile Gruppen: Das britische, wissenschaftliche Projekt ACLED hat mehr als 1.000 Gewaltakte in Afghanistan seit dem 15. August 2021 ausgewertet und die am stärksten unterdrückten und verfolgten Gruppen identifiziert: Es sind vor allem ehemalige zivile Beschäftigte der alten Regierung, Inhaftierte, Frauen und Medienvertreter. Das Projekt ACLED lokalisiert Gewaltakte und erstellt Karten, die die Verteilung der Vorfälle im Land zeigen. So wird unter anderem deutlich, dass es in mindestens 29 der 34 Provinzen des Landes Widerstand gegen die Taliban gab.

    Wichtige Rückschlüsse aus den Daten sind:

    • Anders als angekündigt verüben Taliban-Kämpfer Racheakte an alten Regierungsangehörigen und unterdrücken Frauen wegen ihres Geschlechts
    • 2022 haben Frauen doppelt so häufig gegen die Taliban protestiert wie im Jahr der Machtübernahme. Auch in diesem Jahr protestieren viele Frauen weiter.
    • Gewalt gegen Journalistinnen und Journalisten hält weiterhin an. ACLED-Analysten gehen davon aus, dass durch die erschwerte journalistische Arbeit das ganze Ausmaß der Gewalt nicht sichtbar ist.

    Besonders das Thema Gewalt gegen Frauen stellt für die Taliban selbst ein Dilemma dar, schreiben die ACLED-Forschenden Asena Karacalti und Elliott Bynum. Es gebe Taliban-Vertreter, die darauf hinwiesen, dass die Repressionen der Frauen zu Schwierigkeiten in der internationalen Politik führten. Einige Taliban sorgten sich um die internationale Anerkennung des Regimes. “Dennoch gibt es keine Anzeichen dafür, dass die ,Geschlechter-Apartheid’ bald enden könnte”, betonen Karacalti und Bynum.  

    Infolge der Kämpfe zwischen den Taliban, anderen radikalen Kräften sowie alten regierungsnahen Kräften gibt es auch Angriffe auf Zivilisten, die nicht von den Taliban ausgehen. Mehr als 660 solcher Angriffe hat es in den vergangenen zwei Jahren gegeben. vf

    • Afghanistan
    • Geopolitik

    Presseschau

    Spiegel – “Xi ist viel gefährlicher als Putin” (Paywall). Langfristig stellt China eine größere – wirtschaftliche – Gefahr für die USA dar als Russland, und die gilt es einzudämmen. Die Europäer, so erklärt es der republikanische Berater Elbridge Colby im Interview, müssten allein für die Unterstützung der Ukraine aufkommen, damit sich die USA China zuwenden könne.

    Foreign Affairs – The Last Ambassador: A Memoir of the Collapse of Yugoslavia (Paywall). Ein Blick ins Archiv: Warren Zimmermann, der letzte Botschafter der USA in Jugoslawien, schreibt in dem 1995 veröffentlichten Stück ausführlich über seine Erfahrungen im post-sowjetischen Balkan und seine Begegnungen mit Serbiens ehemaligem Präsidenten Slobodan Milošević.

    War on the Rocks – France’s Policy Shift on Ukraine’s Nato Membership. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat sich lange gegen einen Nato-Beitritt der Ukraine nach Kriegsende gewehrt. Mittlerweile ist er einer der größten Fürsprecher. Wenn der Krieg zu Ende geht, könnte die Ukraine eine der bestausgerüsteten Armeen Europas sein. Außerdem könnte es die anderen europäischen Mitgliedstaaten weniger kosten, als wenn die Ukraine nicht Teil der Nato würde.

    Tagesspiegel – Patrick Sensburg: “Müssen wieder Verteidigungswillen entwickeln”. Ein Prozent des 100-Milliarden-Sondervermögens muss in die Reserve fließen, fordert Patrick Sensburg, Chef des Reservistenverbandes, im Interview. Zudem plädiert er für eine Wiedereinführung der Wehrpflicht, verbunden mit einer allgemeinen Dienstpflicht.

    60Minutes – Frontline war photographer James Nachtwey: Capturing conflict, heroism, history. In einem knapp viertelstündigen Video-Interview spricht der US-amerikanische Moderator Anderson Cooper mit dem legendären Kriegsfotografen James Nachtwey. Der 75-Jährige dokumentiert mit seiner Kamera noch immer die Konflikte dieser Welt, zuletzt die Verbrechen der russischen Armee in der Ukraine. Ein persönliches, nachdenklich stimmendes Gespräch.

    Heads

    Kristina Lunz – Die, die Außenpolitik aufmischt

    Kristina Lunz ist Ko-Geschäftsführerin des Centre for Feminist Foreign Policy (CFFP).

    Bereits als Studentin wollte Kristina Lunz viel verändern: Mit ihrer Medienkampagne “Stop Bild Sexism” protestierte sie gegen die “Oben-Ohne”-Frauenportraits in der Bild-Zeitung – und war damit erfolgreich. “Mein Wille, Dinge zu verändern, ist damals aus ganz viel Wut entstanden“, sagt die heute 34-Jährige.

    Kurz darauf gründete sie das Centre for Feminist Foreign Policy (CFFP), dessen Ko-Geschäftsführerin sie bis heute ist. Mittlerweile ist Lunz viel gefragt: Sie sitzt mit Außenministerinnen, Außenministern und Staatsoberhäuptern am Tisch und sucht mit ihnen Wege, die Rechte und Interessen von Frauen besser in ihre Politik einzubinden

    Die gebürtige Oberfränkin studierte Public Policy am University College London und anschließend Global Governance in Oxford. Nach dem Studium arbeitete sie für eine Menschenrechtsorganisation in Kolumbien und das Gender and Coordination Office des Entwicklungsprogramms der UN in Myanmar. “In der Zeit konnte ich sehen, wie wenig Beachtung Frauenrechte international finden”, sagt sie.

    Damals fand in Myanmar der Genozid an den Rohingya statt, während dessen Frauen strategisch vergewaltigt wurden. “Da kam in mir das Bedürfnis auf, den Feminismus, den ich bisher nur innenpolitisch angewandt hatte, auch in die Außenpolitik zu tragen”, sagt Lunz. 2016 gründete sie das CFFP in London mit und eröffnete 2018 die Berliner Dependance.

    Kann Außenpolitik feministisch sein?

    Als Annalena Baerbock Außenministerin wurde, kündigte sie an, die deutsche Außenpolitik feministisch gestalten zu wollen. Ein großer Erfolg für Kristina Lunz, die den Begriff prägte. Seitdem “feministische Außenpolitik” im Koalitionsvertrag steht, ist sie zum Buzz- und Reizwort geworden.

    Dabei kursieren einige Fehlannahmen, meint Lunz. “Ich höre oft, das sei ein westliches Konzept, das anderen Ländern oktroyiert werden soll – das ist Blödsinn.” Zivilgesellschaftliche Bestrebungen und Kämpfe um Frauenrechte gebe es in anderen Ländern genauso lang wie im Westen. “Wir verdanken es Frauen aus Lateinamerika, dass Gleichberechtigung zwischen Frauen und Männern in der UN-Charta festgehalten ist.” 

    Eine weitere Fehlannahme sei, dass feministische Außenpolitik bedeute, mehr Frauen in politischen Ämtern unterzubringen. Feminismus habe immer etwas mit Machtverschiebung zu tun, sagt Lunz. “Repräsentation ist ein wichtiger Aspekt, aber eben nur einer.” Bei aller Kritik am Begriff “feministisch” gehe der Blick für den Kern einer feministischen Außenpolitik verloren. Patriarchales Denken, Misogynie, Homophobie seien Grundpfeiler von faschistischen Bewegungen und Autoritarismus. Mit einer feministischen Zivilgesellschaft könne dies am besten verhindert werden.

    Das Konzept wird auf die Probe gestellt

    Auch die Bekämpfung der Klimakrise hat eine feministische Komponente: “Wir sehen, dass vor allem Frauen und Mädchen die Kosten für die Klimakrise tragen: 80 Prozent der Klimaflüchtlinge sind weiblich und viele von ihnen erleben auf der Flucht sexualisierte Gewalt”, sagt Lunz. An dieser Gerechtigkeitskomponente setze die feministische Außenpolitik an, sagt die CFFP-Gründerin.

    Lunz’ Arbeit und der lange Atem von Feministinnen zeigt sich langsam auf dem internationalen Parkett. “2014 war Schweden das erste Land mit einer offiziell feministischen Außenpolitik. 2022 waren es sieben, heute sind es elf Staaten – das ist eine große Errungenschaft.” Durch einen internationalen Rechtsruck und den Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine wird das Konzept der gewaltfreien, feministischen Außenpolitik auf die Probe gestellt. Lunz bleibt optimistisch: “Wir haben als Organisation – und auch ich als Aktivistin – schon Dinge erreicht, an die nie jemand geglaubt hat.” Svenja Schlicht

    • Feministische Außenpolitik

    Security.Table Redaktion

    SECURITY.TABLE REDAKTION

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