Table.Briefing: Security

+++ Table.Spezial: Wie der Sturz Assads die Machtverhältnisse in Nahost verschiebt +++

Liebe Leserin, lieber Leser,

die Flucht des syrischen Machthabers Baschar al-Assad aus Damaskus bedeutet eine Zeitenwende in Nahost – vergleichbar mit dem Sturz Saddam Husseins im Zuge der US-Irak-Invasion 2003.

Was die Einnahme der syrischen Hauptstadt durch die Islamisten der Al-Qaida-Nachfolgeorganisation Hayat Tahrir al-Scham (HTS) in den kommenden Tagen bringt, kann zur Stunde keiner sagen. Für Millionen Syrerinnen und Syrer weltweit ist es ein Grund zur Freude: Dreizehn Jahre nach Beginn des Aufstands gegen die Assad-Diktatur 2011 und mehr als 600.000 Tote später hat die syrische Revolution doch noch gesiegt.

In diesem Spezial werfen wir einen ersten Blick darauf, was die Implosion des Regimes in Damaskus für die regionale Machtbalance zwischen Türkei, Iran und den sunnitischen Golfstaaten bedeutet. Viktor Funk erklärt, weshalb Wladimir Putin seine Truppen aus Syrien abzieht, statt Assad militärisch weiter zu unterstützen. Und Vera Weidenbach schaut von Tel Aviv auf die Golanhöhen, wo das israelische Militär nun mit sunnitischen Dschihadistenmilizen konfrontiert ist – während sich die schiitische Hisbollah und iranische Revolutionsgarden auf dem Rückzug befinden.

Ihr
Markus Bickel
Bild von Markus  Bickel

Analyse

Wie sich Türkei und Qatar für die Post-Assad-Ära in Stellung bringen

Syrische Milizionäre am Sonntagmorgen in Damaskus.

Der Sturz des Regimes des syrischen Machthabers Baschar al-Assad ist weltweit begrüßt worden. Bundeskanzler Olaf Scholz sagte am Sonntag: “Das syrische Volk hat entsetzliches Leid erfahren. Das Ende der Assad-Herrschaft über Syrien ist daher eine gute Nachricht.” Der designierte US-Präsident Donald Trump schrieb, Assads Beschützer Wladimir Putin sei “nicht mehr daran interessiert” gewesen, “ihn zu schützen”. Syriens zweite Schutzmacht Iran befinde sich “wegen Israel und dessen Kampferfolg” ebenfalls in einem geschwächten Zustand, so Trump auf der Plattform Truth Social.

“Die Zukunft gehört uns”, sagte Abu Mohammed Al-Golani am Sonntag im syrischen Fernsehen. Der Anführer der Gruppe Hajat Tahrir al-Scham (HTS) gilt als zentral für die künftigen Machtverhältnisse in Damaskus. Er genießt die Unterstützung der Türkei und Qatars, die als Sieger aus der historischen Wende in Damaskus hervorgehen. Russland und Iran hingegen, die Assad seit Beginn der Proteste gegen dessen Regime 2011 militärisch unterstützt hatten, verlieren ihre Schlüsselstellung im Herzen der arabischen Welt.

Bildung einer Regierung nationaler Einheit soll Übergang sichern

Grundlage für einen friedlichen Übergang in die Post-Assad-Ära könnte UN-Resolution 2254 von 2015 bilden, die einen nationalen Dialog zur Bildung einer Regierung nationaler Einheit vorsieht. Dafür sprachen sich neben Scholz am Sonntag auch Repräsentanten der Türkei und Qatars aus, die syrische Sunnitenmilizen über Jahre unterstützt hatten, um Assad militärisch zu stürzen. “Jetzt kommt es darauf an, dass in Syrien schnell Recht und Ordnung wieder hergestellt werden”, sagte Scholz. “Alle Religionsgemeinschaften, alle Minderheiten müssen jetzt und in Zukunft Schutz genießen.”

Wo Assad sich befindet, war am Sonntagabend weiter unklar. Das russische Außenministerium teilte mit, er habe Syrien verlassen, nachdem er Anweisungen erteilt habe, einen friedlichen Machtwechsel einzuleiten. Ein von der Al-Qaida-Nachfolgeorganisation Hajat Tahrir al-Schams (HTS) geführtes Bündnis von Islamistenmilizen war es zuvor gelungen, innerhalb nur einer Woche die Provinzhauptstädte Aleppo und Hama unter ihre Kontrolle zu bekommen; Suweida im Süden des Landes wurden von drusischen Kräften befreit, die Provinz Daraa, wo die Revolution gegen Assad 2011 begann, von sunnitischen Stammesverbänden. In der Nacht auf Sonntag dann überließen Regimeeinheiten die Hauptstadt Damaskus offenbar weitgehend kampflos den Oppositionseinheiten.

Al-Golani sendet Signale der Mäßigung an Minderheiten

In Jerusalem wird die Nachricht vom Sturz Assads in einer Mischung aus Hoffnung und Besorgnis verfolgt. “Dies schafft natürlich neue, sehr wichtige Möglichkeiten für den Staat Israel”, sagte Premierminister Benjamin Netanjahu bei einem Besuch im Grenzgebiet zu Syrien. “Aber es ist auch nicht ohne Risiken.” Israel arbeite an einer Politik der guten Nachbarschaft und werde Syriens Drusen, Kurden, Christen und Muslimen “die Hand des Friedens reichen”, so Netanjahu.

Zuvor hatte auch HTS-Anführer Abu Mohammed al-Golani Signale der Mäßigung an Syriens Minderheiten geschickt und davor gewarnt, Vergeltung zu üben. Der 42-Jährige hatte sich 2016 von der Al-Qaida-Nachfolgeorganisation Nusra-Front gelöst und seitdem in der nordwestsyrischen Provinz Idlib versucht, außerhalb von Assads Einflussgebiet eine funktionierende Notstandsordnung aufzubauen.

Kurdische Selbstverwaltung strebt Zusammenarbeit an

Auch in den kurdisch dominierten Gebieten der Selbstverwaltung von Nord- und Ostsyrien ist in den vergangenen Jahren ein semistaatliches System entstanden, dass Gesundheit, Bildung, soziale Wohlfahrt und andere Kernbereiche ohne Zutun des Assad-Regimes regelte. “Wir verpflichten uns zu einer führenden Rolle beim Aufbau eines demokratischen und pluralistischen Syriens, das die Rechte aller Syrerinnen und Syrer ohne Diskriminierung garantiert”, sagte deren Deutschland-Sprecher, Khaled Davrisch, am Sonntag.

In den kommenden Wochen wird sich zeigen, inwieweit die rivalisierenden syrischen Akteure in der Lage sind, den Übergang aus der Assad-Diktatur in eine neue Ära zu gestalten. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung befindet sich seit Beginn des Kriegs 2011 auf der Flucht innerhalb oder außerhalb Syriens; etwa 600.000 Menschen wurden getötet, zahlreiche gefoltert. “Jetzt kommt es darauf an, dass in Syrien schnell Recht und Ordnung wieder hergestellt werden”, sagte Scholz am Sonntag. “Wir werden die zukünftig Regierenden daran messen, ob sie allen Syrern ein Leben in Würde und Selbstbestimmung möglich machen, Syriens Souveränität gegen bösartige Einmischung Dritter verteidigen und mit ihren Nachbarn in Frieden leben.”

  • Benjamin Netanjahu
  • Donald Trump
  • Russland
  • Syrien
  • Vereinte Nationen
Translation missing.

Abzug aus Tartus: Putins Armee muss aus Syrien fliehen

Assad und Putin 2017 auf dem russischen Flugplatz Hmeimim bei Latakia.

Am Sonntagnachmittag schien der Kreml noch keine konkrete Idee zu haben, wie der Fall des syrischen Machthabers Baschar al-Assad eingeordnet werden soll. Mit Kommentaren und Erklärungen hielt sich das Außenministerium in Moskau zurück: Assad habe das Land verlassen, Moskau appelliere an die Konfliktparteien, eine politische Lösung zu suchen. Das war alles. Wo Assad ist und wie die Aufrufe nach mehr Diplomatie zum eigenen Verhalten in der Ukraine passen – das bleibt offen.

In Kreml-nahen Medien, wie Ria Nowosti, wird derweil ein Narrativ zu Syrien vorbereitet. Russland habe trotz des Untergangs des Regimes viel gewonnen in den vergangenen Jahren. Hervorgehoben wird, dass die russische Armee wertvolle Kampferfahrungen gesammelt habe, Russland habe mit dem Kampf gegen den Islamischen Staat (IS) außerdem die Gefahr des islamistischen Terrorismus in Zentralasien ausgeschaltet, Russland habe im geopolitischen Kampf zudem zehn Jahre Zeit gewonnen. Und doch: “Unser Land nimmt keine Verantwortung mehr auf sich für das Schicksal anderer”, schreibt eine Kommentatorin. Zugleich beschönigt sie aber auch nicht: Die Lage in Syrien sei “katastrophal”.

Marine-Basis in Tartus verloren

Moskau verliert an geopolitischem Einfluss. In den ersten Dezember-Tagen haben alle russischen Kriegsschiffe die Marine-Basis in Tartus verlassen. Offiziell diente die Basis nur als technischer Versorgungspunkt, sollte aber zu einer ständigen Basis für die russische Marine im Ausland ausgebaut und für 49 Jahr an Russland verpachtet werden.

Am Sonntagnachmittag meldeten russische Telegramkanäle die Ankunft schwerer Transportmaschinen auf dem russischen Luftstützpunkt Hmeimim, bei Latakia. Offenbar wird der Flugplatz evakuiert. Russland schützte die Basis mit dem modernen Luftverteidigungssystem S-400 und mit Tor. Diese Waffen könnten nun Rebellen in die Hände fallen, wenn die russische Armee sie nicht mitnimmt. Dass die Evakuierung erst am Wochenende eingeleitet wurde, spricht dafür, dass Moskau auf ein so schnelles Ende des Assad-Regimes nicht vorbereitet war.

Auch in Homs und bei Palmyra hatte Russland kleine Stützpunkte, beziehungsweise in Damaskus einen Kommandopunkt. Wie viele Kräfte sich weiterhin noch in Syrien befinden, ist derzeit unbekannt. Seit der Vollinvasion in die Ukraine hat Russland die Wagner-Kämpfer sowie reguläre Soldaten teilweise abgezogen. In den vergangenen Tagen berichteten russische Militärblogger zudem von Vorbereitungen für Evakuierungen wegen der aktuellen Lage.

Auch wenn Russland einige Kriegsschiffe sowie Militärflugzeuge abzieht und sie womöglich gegen die Ukraine einsetzt – entscheidend im Krieg gegen Kyjiw sind sie nicht. Fraglich ist auch, ob die Soldaten nach der Flucht aus Syrien motiviert sind, in der Ukraine zu kämpfen. Für den russischen Präsidenten Putin sieht die Lage so aus, dass der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan sich geopolitisch durchsetzt, während er selbst weiter unter Druck gerät – und zunächst schweigt.

  • Russland
  • Syrien
  • Wladimir Putin
Translation missing.

News

Israel rückt auf den Golanhöhen vor

Israelische Einheiten am Sonntag an der Grenze zu Syrien auf den Golanhöhen.

Die israelische Armee ist am Sonntag weiter in die seit 1974 demilitarisierte Pufferzone auf den Golanhöhen eingerückt. “Wir werden nicht zulassen, dass sich eine feindliche Kraft an unserer Grenze festsetzt”, sagte Israels Premierminister Benjamin Netanjahu am Sonntag zur Begründung. Den Sturz Baschar al-Assads bezeichnete er als historischen Tag und direkte Folge der militärischen Schläge, die Israel der Hisbollah und dem Iran in den vergangenen Monaten versetzt habe.

Die Israel Defense Forces (IDF) nannte die Präsenz mehrerer bewaffneter Gruppen auf der syrischen Seite der Golanhöhen als Grund für das Einrücken in die von der UN-Beobachtungsgruppe für die Golanhöhen (Undof) kontrollierten Pufferzone. Diese Kräfte seien nicht an das Abzugsabkommen von 1974 gebunden, das die militärische Entflechtung zwischen israelischen und syrischen Truppen nach dem Jom-Kippur-Krieg von 1973 geregelt hatte. 1981 annektierte Israel die während des Krieges auf den Golanhöhen eroberten Gebiete völkerrechtswidrig; der damalige US-Präsident Donald Trump erkannte die israelische Souveränität über die Golanhöhen 2019 an.

Luftschläge gegen Hisbollah-Kämpfer auf dem Golan

Laut israelischen Medienberichten wurden zwei Bataillone in die Pufferzone verlegt, darunter die Eliteeinheit 98 sowie Fallschirmjäger und Kommandobrigaden, die aus dem Libanon abgezogen wurden. Diese sollen die Grenzzäune zu Syrien notfalls mit Schüssen schützen. Weitere Sorge gelte den Dörfern der drusischen Bevölkerungsgruppe auf syrischer Seite, die eng mit den Communities auf israelischer Seite verbunden sind sowie der Sicherheit der Undof-Angehörigen. Am Wochenende kam es zudem zu mehreren israelischen Luftschlägen auf verlassene Waffendepots der syrischen Armee sowie gegen Hizbullah-Kämpfer, die die Region Richtung Libanon verließen. Offenbar soll verhindert werden, dass die Waffen in die Hände dschihadistischer Gruppen.

Die israelischen Sicherheitsbehörden waren offenbar überrascht von der Geschwindigkeit, mit der das Assad-Regime in sich zusammenbrach. Viele Kräfte sind an den Fronten im Libanon und im Gazastreifen gebunden, sodass der Lage in Syrien zuletzt nicht höchste Priorität eingeräumt wurde. Netanjahu könnte die neue Lage als Möglichkeit sehen, den Druck auf Iran weiter zu erhöhen. Schon länger versucht er die USAS davon zu überzeugen, militärisch gegen das iranische Atomprogramm vorzugehen. Er könnte die Ereignisse ebenfalls dazu nutzen eine Waffenruhe in Gaza weiter aufzuschieben. vew

  • Benjamin Netanjahu
  • Donald Trump
  • Israel
  • Nahost
  • Syrien

Security.Table Redaktion

SECURITY.TABLE REDAKTION

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    Liebe Leserin, lieber Leser,

    die Flucht des syrischen Machthabers Baschar al-Assad aus Damaskus bedeutet eine Zeitenwende in Nahost – vergleichbar mit dem Sturz Saddam Husseins im Zuge der US-Irak-Invasion 2003.

    Was die Einnahme der syrischen Hauptstadt durch die Islamisten der Al-Qaida-Nachfolgeorganisation Hayat Tahrir al-Scham (HTS) in den kommenden Tagen bringt, kann zur Stunde keiner sagen. Für Millionen Syrerinnen und Syrer weltweit ist es ein Grund zur Freude: Dreizehn Jahre nach Beginn des Aufstands gegen die Assad-Diktatur 2011 und mehr als 600.000 Tote später hat die syrische Revolution doch noch gesiegt.

    In diesem Spezial werfen wir einen ersten Blick darauf, was die Implosion des Regimes in Damaskus für die regionale Machtbalance zwischen Türkei, Iran und den sunnitischen Golfstaaten bedeutet. Viktor Funk erklärt, weshalb Wladimir Putin seine Truppen aus Syrien abzieht, statt Assad militärisch weiter zu unterstützen. Und Vera Weidenbach schaut von Tel Aviv auf die Golanhöhen, wo das israelische Militär nun mit sunnitischen Dschihadistenmilizen konfrontiert ist – während sich die schiitische Hisbollah und iranische Revolutionsgarden auf dem Rückzug befinden.

    Ihr
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    Analyse

    Wie sich Türkei und Qatar für die Post-Assad-Ära in Stellung bringen

    Syrische Milizionäre am Sonntagmorgen in Damaskus.

    Der Sturz des Regimes des syrischen Machthabers Baschar al-Assad ist weltweit begrüßt worden. Bundeskanzler Olaf Scholz sagte am Sonntag: “Das syrische Volk hat entsetzliches Leid erfahren. Das Ende der Assad-Herrschaft über Syrien ist daher eine gute Nachricht.” Der designierte US-Präsident Donald Trump schrieb, Assads Beschützer Wladimir Putin sei “nicht mehr daran interessiert” gewesen, “ihn zu schützen”. Syriens zweite Schutzmacht Iran befinde sich “wegen Israel und dessen Kampferfolg” ebenfalls in einem geschwächten Zustand, so Trump auf der Plattform Truth Social.

    “Die Zukunft gehört uns”, sagte Abu Mohammed Al-Golani am Sonntag im syrischen Fernsehen. Der Anführer der Gruppe Hajat Tahrir al-Scham (HTS) gilt als zentral für die künftigen Machtverhältnisse in Damaskus. Er genießt die Unterstützung der Türkei und Qatars, die als Sieger aus der historischen Wende in Damaskus hervorgehen. Russland und Iran hingegen, die Assad seit Beginn der Proteste gegen dessen Regime 2011 militärisch unterstützt hatten, verlieren ihre Schlüsselstellung im Herzen der arabischen Welt.

    Bildung einer Regierung nationaler Einheit soll Übergang sichern

    Grundlage für einen friedlichen Übergang in die Post-Assad-Ära könnte UN-Resolution 2254 von 2015 bilden, die einen nationalen Dialog zur Bildung einer Regierung nationaler Einheit vorsieht. Dafür sprachen sich neben Scholz am Sonntag auch Repräsentanten der Türkei und Qatars aus, die syrische Sunnitenmilizen über Jahre unterstützt hatten, um Assad militärisch zu stürzen. “Jetzt kommt es darauf an, dass in Syrien schnell Recht und Ordnung wieder hergestellt werden”, sagte Scholz. “Alle Religionsgemeinschaften, alle Minderheiten müssen jetzt und in Zukunft Schutz genießen.”

    Wo Assad sich befindet, war am Sonntagabend weiter unklar. Das russische Außenministerium teilte mit, er habe Syrien verlassen, nachdem er Anweisungen erteilt habe, einen friedlichen Machtwechsel einzuleiten. Ein von der Al-Qaida-Nachfolgeorganisation Hajat Tahrir al-Schams (HTS) geführtes Bündnis von Islamistenmilizen war es zuvor gelungen, innerhalb nur einer Woche die Provinzhauptstädte Aleppo und Hama unter ihre Kontrolle zu bekommen; Suweida im Süden des Landes wurden von drusischen Kräften befreit, die Provinz Daraa, wo die Revolution gegen Assad 2011 begann, von sunnitischen Stammesverbänden. In der Nacht auf Sonntag dann überließen Regimeeinheiten die Hauptstadt Damaskus offenbar weitgehend kampflos den Oppositionseinheiten.

    Al-Golani sendet Signale der Mäßigung an Minderheiten

    In Jerusalem wird die Nachricht vom Sturz Assads in einer Mischung aus Hoffnung und Besorgnis verfolgt. “Dies schafft natürlich neue, sehr wichtige Möglichkeiten für den Staat Israel”, sagte Premierminister Benjamin Netanjahu bei einem Besuch im Grenzgebiet zu Syrien. “Aber es ist auch nicht ohne Risiken.” Israel arbeite an einer Politik der guten Nachbarschaft und werde Syriens Drusen, Kurden, Christen und Muslimen “die Hand des Friedens reichen”, so Netanjahu.

    Zuvor hatte auch HTS-Anführer Abu Mohammed al-Golani Signale der Mäßigung an Syriens Minderheiten geschickt und davor gewarnt, Vergeltung zu üben. Der 42-Jährige hatte sich 2016 von der Al-Qaida-Nachfolgeorganisation Nusra-Front gelöst und seitdem in der nordwestsyrischen Provinz Idlib versucht, außerhalb von Assads Einflussgebiet eine funktionierende Notstandsordnung aufzubauen.

    Kurdische Selbstverwaltung strebt Zusammenarbeit an

    Auch in den kurdisch dominierten Gebieten der Selbstverwaltung von Nord- und Ostsyrien ist in den vergangenen Jahren ein semistaatliches System entstanden, dass Gesundheit, Bildung, soziale Wohlfahrt und andere Kernbereiche ohne Zutun des Assad-Regimes regelte. “Wir verpflichten uns zu einer führenden Rolle beim Aufbau eines demokratischen und pluralistischen Syriens, das die Rechte aller Syrerinnen und Syrer ohne Diskriminierung garantiert”, sagte deren Deutschland-Sprecher, Khaled Davrisch, am Sonntag.

    In den kommenden Wochen wird sich zeigen, inwieweit die rivalisierenden syrischen Akteure in der Lage sind, den Übergang aus der Assad-Diktatur in eine neue Ära zu gestalten. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung befindet sich seit Beginn des Kriegs 2011 auf der Flucht innerhalb oder außerhalb Syriens; etwa 600.000 Menschen wurden getötet, zahlreiche gefoltert. “Jetzt kommt es darauf an, dass in Syrien schnell Recht und Ordnung wieder hergestellt werden”, sagte Scholz am Sonntag. “Wir werden die zukünftig Regierenden daran messen, ob sie allen Syrern ein Leben in Würde und Selbstbestimmung möglich machen, Syriens Souveränität gegen bösartige Einmischung Dritter verteidigen und mit ihren Nachbarn in Frieden leben.”

    • Benjamin Netanjahu
    • Donald Trump
    • Russland
    • Syrien
    • Vereinte Nationen
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    Abzug aus Tartus: Putins Armee muss aus Syrien fliehen

    Assad und Putin 2017 auf dem russischen Flugplatz Hmeimim bei Latakia.

    Am Sonntagnachmittag schien der Kreml noch keine konkrete Idee zu haben, wie der Fall des syrischen Machthabers Baschar al-Assad eingeordnet werden soll. Mit Kommentaren und Erklärungen hielt sich das Außenministerium in Moskau zurück: Assad habe das Land verlassen, Moskau appelliere an die Konfliktparteien, eine politische Lösung zu suchen. Das war alles. Wo Assad ist und wie die Aufrufe nach mehr Diplomatie zum eigenen Verhalten in der Ukraine passen – das bleibt offen.

    In Kreml-nahen Medien, wie Ria Nowosti, wird derweil ein Narrativ zu Syrien vorbereitet. Russland habe trotz des Untergangs des Regimes viel gewonnen in den vergangenen Jahren. Hervorgehoben wird, dass die russische Armee wertvolle Kampferfahrungen gesammelt habe, Russland habe mit dem Kampf gegen den Islamischen Staat (IS) außerdem die Gefahr des islamistischen Terrorismus in Zentralasien ausgeschaltet, Russland habe im geopolitischen Kampf zudem zehn Jahre Zeit gewonnen. Und doch: “Unser Land nimmt keine Verantwortung mehr auf sich für das Schicksal anderer”, schreibt eine Kommentatorin. Zugleich beschönigt sie aber auch nicht: Die Lage in Syrien sei “katastrophal”.

    Marine-Basis in Tartus verloren

    Moskau verliert an geopolitischem Einfluss. In den ersten Dezember-Tagen haben alle russischen Kriegsschiffe die Marine-Basis in Tartus verlassen. Offiziell diente die Basis nur als technischer Versorgungspunkt, sollte aber zu einer ständigen Basis für die russische Marine im Ausland ausgebaut und für 49 Jahr an Russland verpachtet werden.

    Am Sonntagnachmittag meldeten russische Telegramkanäle die Ankunft schwerer Transportmaschinen auf dem russischen Luftstützpunkt Hmeimim, bei Latakia. Offenbar wird der Flugplatz evakuiert. Russland schützte die Basis mit dem modernen Luftverteidigungssystem S-400 und mit Tor. Diese Waffen könnten nun Rebellen in die Hände fallen, wenn die russische Armee sie nicht mitnimmt. Dass die Evakuierung erst am Wochenende eingeleitet wurde, spricht dafür, dass Moskau auf ein so schnelles Ende des Assad-Regimes nicht vorbereitet war.

    Auch in Homs und bei Palmyra hatte Russland kleine Stützpunkte, beziehungsweise in Damaskus einen Kommandopunkt. Wie viele Kräfte sich weiterhin noch in Syrien befinden, ist derzeit unbekannt. Seit der Vollinvasion in die Ukraine hat Russland die Wagner-Kämpfer sowie reguläre Soldaten teilweise abgezogen. In den vergangenen Tagen berichteten russische Militärblogger zudem von Vorbereitungen für Evakuierungen wegen der aktuellen Lage.

    Auch wenn Russland einige Kriegsschiffe sowie Militärflugzeuge abzieht und sie womöglich gegen die Ukraine einsetzt – entscheidend im Krieg gegen Kyjiw sind sie nicht. Fraglich ist auch, ob die Soldaten nach der Flucht aus Syrien motiviert sind, in der Ukraine zu kämpfen. Für den russischen Präsidenten Putin sieht die Lage so aus, dass der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan sich geopolitisch durchsetzt, während er selbst weiter unter Druck gerät – und zunächst schweigt.

    • Russland
    • Syrien
    • Wladimir Putin
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    Israel rückt auf den Golanhöhen vor

    Israelische Einheiten am Sonntag an der Grenze zu Syrien auf den Golanhöhen.

    Die israelische Armee ist am Sonntag weiter in die seit 1974 demilitarisierte Pufferzone auf den Golanhöhen eingerückt. “Wir werden nicht zulassen, dass sich eine feindliche Kraft an unserer Grenze festsetzt”, sagte Israels Premierminister Benjamin Netanjahu am Sonntag zur Begründung. Den Sturz Baschar al-Assads bezeichnete er als historischen Tag und direkte Folge der militärischen Schläge, die Israel der Hisbollah und dem Iran in den vergangenen Monaten versetzt habe.

    Die Israel Defense Forces (IDF) nannte die Präsenz mehrerer bewaffneter Gruppen auf der syrischen Seite der Golanhöhen als Grund für das Einrücken in die von der UN-Beobachtungsgruppe für die Golanhöhen (Undof) kontrollierten Pufferzone. Diese Kräfte seien nicht an das Abzugsabkommen von 1974 gebunden, das die militärische Entflechtung zwischen israelischen und syrischen Truppen nach dem Jom-Kippur-Krieg von 1973 geregelt hatte. 1981 annektierte Israel die während des Krieges auf den Golanhöhen eroberten Gebiete völkerrechtswidrig; der damalige US-Präsident Donald Trump erkannte die israelische Souveränität über die Golanhöhen 2019 an.

    Luftschläge gegen Hisbollah-Kämpfer auf dem Golan

    Laut israelischen Medienberichten wurden zwei Bataillone in die Pufferzone verlegt, darunter die Eliteeinheit 98 sowie Fallschirmjäger und Kommandobrigaden, die aus dem Libanon abgezogen wurden. Diese sollen die Grenzzäune zu Syrien notfalls mit Schüssen schützen. Weitere Sorge gelte den Dörfern der drusischen Bevölkerungsgruppe auf syrischer Seite, die eng mit den Communities auf israelischer Seite verbunden sind sowie der Sicherheit der Undof-Angehörigen. Am Wochenende kam es zudem zu mehreren israelischen Luftschlägen auf verlassene Waffendepots der syrischen Armee sowie gegen Hizbullah-Kämpfer, die die Region Richtung Libanon verließen. Offenbar soll verhindert werden, dass die Waffen in die Hände dschihadistischer Gruppen.

    Die israelischen Sicherheitsbehörden waren offenbar überrascht von der Geschwindigkeit, mit der das Assad-Regime in sich zusammenbrach. Viele Kräfte sind an den Fronten im Libanon und im Gazastreifen gebunden, sodass der Lage in Syrien zuletzt nicht höchste Priorität eingeräumt wurde. Netanjahu könnte die neue Lage als Möglichkeit sehen, den Druck auf Iran weiter zu erhöhen. Schon länger versucht er die USAS davon zu überzeugen, militärisch gegen das iranische Atomprogramm vorzugehen. Er könnte die Ereignisse ebenfalls dazu nutzen eine Waffenruhe in Gaza weiter aufzuschieben. vew

    • Benjamin Netanjahu
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