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+++ Table.Spezial: Selenskyj im Bundestag: „Es gibt keine Mauern, die nicht fallen“ +++

  • Wie Selenskyj die Ampel zusammenschweißt
Liebe Leserin, lieber Leser,

um 14.59 war Wolodymyr Selenskyj auch schon wieder weg – nicht mal zwanzig Minuten sprach er am Nachmittag im Bundestag, zum ersten Mal seit Kriegsbeginn. Russland müsse selbst für die Kosten der Zerstörung der Ukraine aufkommen, appellierte er vor Abgeordneten und Ministern an die Geschlossenheit Europas. “Es ist unser gemeinsames Interesse, dass Putin diesen Krieg persönlich verliert.”

Betreten hatte der ukrainische Präsident das Plenum um kurz nach halb drei, an der Seite von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, gefolgt von Bundeskanzler Olaf Scholz, Bundestagspräsidentin Bärbel Bas und Bundesratspräsidentin Manuela Schwesig. Dass Steinmeier von Selenskyj kurz nach Kriegsbeginn im April 2022 nicht in Kiew empfangen wurde, und welche Rolle die drei anderen Sozialdemokraten im verhängnisvollen deutsch-russischen Verhältnis in der Vergangenheit spielten, war diesen Dienstag kein Thema. “Ich danke Dir, Deutschland!”, zeigte sich Selenskyj versöhnlich. Was auch auf die Ampel-Minister ausstrahlte, wie Markus Bickel im Bundestag beobachtet hat.

Ihr
Gabriel Bub
Bild von Gabriel  Bub

Analyse

Wie Selenskyj im Bundestag die Ampel zusammenschweißt

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj am Dienstagnachmittag im Bundestag mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, Bundeskanzler Olaf Scholz und Bundestagspräsidentin Bärbel Bas.

Am Ende applaudierte Wolodymyr Selenskyj selbst – Bundeskanzler Olaf Scholz, Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, Hunderten Bundestagsabgeordneten und dem gesamten Publikum, das sich am Dienstagnachmittag auf den Gästetribünen des Reichstags eingefunden hatte. “Ich danke Dir, Deutschland”, sagte der ukrainische Präsident bei seiner ersten Rede im Deutschen Bundestag. “Ich danke jedem und jeder hier persönlich”, rief er vom Rednerpult in den fast bis auf den letzten Platz gefüllten Plenarsaal.

Fast gefüllt waren die Abgeordnetenränge nur deshalb, weil fast alle AfD-Parlamentarier und die des Bündnisses Sahra Wagenknecht (BSW) der Rede Selenskyjs fernblieben. Man wolle damit “ein Zeichen der Solidarität mit all jenen Ukrainern” setzen, die sich “eine Verhandlungslösung wünschen, statt von Präsident Selenskyj als Kanonenfutter für einen nicht gewinnbaren Krieg zwangsrekrutiert zu werden”, sagte die BSW-Politikerin Sevim Dagdelen zur Begründung.

Bas bekräftigt Hilfe für “politischen Wiederaufbau”

Breiten Schulterschluss hingegen zeigte das demokratische Lager – selbst aus Reihen der Linken-Gruppe gab es vereinzelt Beifall für die zwanzigminütige Rede Selenskyjs, in der er die Einheit Europas und der Ukraine beschwor. Bundestagspräsidentin Bärbel Bas hatte der Ukraine zuvor die “Solidarität des Deutschen Bundestags” beteuert – man stehe bereit, um beim “politischen Wiederaufbau” zu helfen. Allen voran durch die Aufnahme baldiger EU-Beitrittsverhandlungen mit Kiew. Eine Forderung, die am Vormittag auch schon EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen erhoben hatte.

Der unmittelbare Anlass für Selenskyjs dritten Berlin-Besuch seit Kriegsbeginn ist die Ukraine Recovery Conference, an der noch bis Mittwoch mehr als 2.000 Vertreter aus über sechzig Ländern teilnehmen. Dabei geht es vor allem um die Vernetzung der relevanten Akteure aus Politik, Wirtschaft, Zivilgesellschaft und internationalen Organisationen, nicht darum, Geld für den Wiederaufbau zu sammeln.

“Der Diplomatie eine Chance geben”

Die Berliner Wiederaufbau-Konferenz bildet den Auftakt einer Reihe von internationalen Ukraine-Zusammenkünften, angefangen am Donnerstag mit dem G-7-Gipfel im süditalienischen Apulien, gefolgt von der Ukraine-Konferenz in Genf am Wochenende.

Dort werden Scholz und Selenskyj sich wiedersehen – um “der Diplomatie eine Chance zu geben”, wie der ukrainische Präsident am Schluss seiner mit viel Beifall begleiteten Rede sagte. An die “Einigkeit der Freunde” appellierte er im Bundestag, nur gemeinsam könne es gelingen, dass Europa wieder “der Kontinent ohne Krieg” werde.

Und immer wieder der Verweis auf die Mauer, an die man sich in Berlin doch besonders gut erinnere. “Das geteilte Europa war niemals friedlich, und das geteilte Deutschland war niemals glücklich”, war nicht der einzige Satz in Selenskyjs Rede, der viel Beifall bekam. “Wir werden diesen Krieg zu unseren Bedingungen beenden”, ein weiterer.

Dankbar für Patriot, Taurus kein Thema

Bei seinem dritten Besuch in Berlin seit Kriegsbeginn knüpfte Selenskyj mit der Mauer-Metapher an seine Rede von März 2022 an, als er Scholz um militärische Hilfe geradezu angefleht hatte. Per Videoschalte war er damals in den Plenarsaal des Reichstags zugeschaltet, als er sagte: “Lieber Herr Bundeskanzler Scholz, reißen Sie diese Mauer nieder. Geben Sie Deutschland die Führungsrolle, die Deutschland verdient.”

Zwei Jahre später zeigte sich Selenskyj “besonders dankbar” für die Lieferung von Patriot-Abwehrsystemen: “Auf diese Weise haben Sie Tausende Leben unserer Menschen gerettet”, sagte er mit direktem Blick auf Scholz und Steinmeier, die gemeinsam mit Bas und Bundesratspräsidentin Manuela Schwesig in der ersten Reihe saßen, vor Blumengestecken im Blau-Gelb der ukrainischen Flagge.

Selenskyj sorgt für Schulterschluss der Ampel

Auch SPD-Bundestagsfraktionschef Rolf Mützenich konnte Selenskyj aus der ersten Reihe direkt anschauen, wie Steinmeier und Schwesig eine der sozialdemokratischen Schlüsselfiguren bei der langen Unterstützung Russlands durch Deutschland. Doch das war diesen Dienstag kein Thema, auch der Taurus nicht. Als Außenministerin Annalena Baerbock im Plenum eintraf, schüttelte sie Mützenich als einem der ersten die Hand.

Zumindest zum Staatsbesuch üben die in ihrer Ukraine-Politik bisweilen gespaltenen Koalitionäre den Schulterschluss. Dank Selenskyj, der daran erinnerte, dass sich zwei, drei Jahre vor dem Mauerfall auch niemand habe vorstellen können, dass der Kalte Krieg einmal enden werde. Dass es gelang, hing von “der Führung der Politiker und dem Willen der Menschen ab”, so Selenskyj. “Es gibt keine Mauern, die nicht fallen.”

  • Ampel-Koalition
  • Taurus
  • Ukraine
  • Ukraine-Krieg

Security.Table Redaktion

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    • Wie Selenskyj die Ampel zusammenschweißt
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    um 14.59 war Wolodymyr Selenskyj auch schon wieder weg – nicht mal zwanzig Minuten sprach er am Nachmittag im Bundestag, zum ersten Mal seit Kriegsbeginn. Russland müsse selbst für die Kosten der Zerstörung der Ukraine aufkommen, appellierte er vor Abgeordneten und Ministern an die Geschlossenheit Europas. “Es ist unser gemeinsames Interesse, dass Putin diesen Krieg persönlich verliert.”

    Betreten hatte der ukrainische Präsident das Plenum um kurz nach halb drei, an der Seite von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, gefolgt von Bundeskanzler Olaf Scholz, Bundestagspräsidentin Bärbel Bas und Bundesratspräsidentin Manuela Schwesig. Dass Steinmeier von Selenskyj kurz nach Kriegsbeginn im April 2022 nicht in Kiew empfangen wurde, und welche Rolle die drei anderen Sozialdemokraten im verhängnisvollen deutsch-russischen Verhältnis in der Vergangenheit spielten, war diesen Dienstag kein Thema. “Ich danke Dir, Deutschland!”, zeigte sich Selenskyj versöhnlich. Was auch auf die Ampel-Minister ausstrahlte, wie Markus Bickel im Bundestag beobachtet hat.

    Ihr
    Gabriel Bub
    Bild von Gabriel  Bub

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    Wie Selenskyj im Bundestag die Ampel zusammenschweißt

    Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj am Dienstagnachmittag im Bundestag mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, Bundeskanzler Olaf Scholz und Bundestagspräsidentin Bärbel Bas.

    Am Ende applaudierte Wolodymyr Selenskyj selbst – Bundeskanzler Olaf Scholz, Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, Hunderten Bundestagsabgeordneten und dem gesamten Publikum, das sich am Dienstagnachmittag auf den Gästetribünen des Reichstags eingefunden hatte. “Ich danke Dir, Deutschland”, sagte der ukrainische Präsident bei seiner ersten Rede im Deutschen Bundestag. “Ich danke jedem und jeder hier persönlich”, rief er vom Rednerpult in den fast bis auf den letzten Platz gefüllten Plenarsaal.

    Fast gefüllt waren die Abgeordnetenränge nur deshalb, weil fast alle AfD-Parlamentarier und die des Bündnisses Sahra Wagenknecht (BSW) der Rede Selenskyjs fernblieben. Man wolle damit “ein Zeichen der Solidarität mit all jenen Ukrainern” setzen, die sich “eine Verhandlungslösung wünschen, statt von Präsident Selenskyj als Kanonenfutter für einen nicht gewinnbaren Krieg zwangsrekrutiert zu werden”, sagte die BSW-Politikerin Sevim Dagdelen zur Begründung.

    Bas bekräftigt Hilfe für “politischen Wiederaufbau”

    Breiten Schulterschluss hingegen zeigte das demokratische Lager – selbst aus Reihen der Linken-Gruppe gab es vereinzelt Beifall für die zwanzigminütige Rede Selenskyjs, in der er die Einheit Europas und der Ukraine beschwor. Bundestagspräsidentin Bärbel Bas hatte der Ukraine zuvor die “Solidarität des Deutschen Bundestags” beteuert – man stehe bereit, um beim “politischen Wiederaufbau” zu helfen. Allen voran durch die Aufnahme baldiger EU-Beitrittsverhandlungen mit Kiew. Eine Forderung, die am Vormittag auch schon EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen erhoben hatte.

    Der unmittelbare Anlass für Selenskyjs dritten Berlin-Besuch seit Kriegsbeginn ist die Ukraine Recovery Conference, an der noch bis Mittwoch mehr als 2.000 Vertreter aus über sechzig Ländern teilnehmen. Dabei geht es vor allem um die Vernetzung der relevanten Akteure aus Politik, Wirtschaft, Zivilgesellschaft und internationalen Organisationen, nicht darum, Geld für den Wiederaufbau zu sammeln.

    “Der Diplomatie eine Chance geben”

    Die Berliner Wiederaufbau-Konferenz bildet den Auftakt einer Reihe von internationalen Ukraine-Zusammenkünften, angefangen am Donnerstag mit dem G-7-Gipfel im süditalienischen Apulien, gefolgt von der Ukraine-Konferenz in Genf am Wochenende.

    Dort werden Scholz und Selenskyj sich wiedersehen – um “der Diplomatie eine Chance zu geben”, wie der ukrainische Präsident am Schluss seiner mit viel Beifall begleiteten Rede sagte. An die “Einigkeit der Freunde” appellierte er im Bundestag, nur gemeinsam könne es gelingen, dass Europa wieder “der Kontinent ohne Krieg” werde.

    Und immer wieder der Verweis auf die Mauer, an die man sich in Berlin doch besonders gut erinnere. “Das geteilte Europa war niemals friedlich, und das geteilte Deutschland war niemals glücklich”, war nicht der einzige Satz in Selenskyjs Rede, der viel Beifall bekam. “Wir werden diesen Krieg zu unseren Bedingungen beenden”, ein weiterer.

    Dankbar für Patriot, Taurus kein Thema

    Bei seinem dritten Besuch in Berlin seit Kriegsbeginn knüpfte Selenskyj mit der Mauer-Metapher an seine Rede von März 2022 an, als er Scholz um militärische Hilfe geradezu angefleht hatte. Per Videoschalte war er damals in den Plenarsaal des Reichstags zugeschaltet, als er sagte: “Lieber Herr Bundeskanzler Scholz, reißen Sie diese Mauer nieder. Geben Sie Deutschland die Führungsrolle, die Deutschland verdient.”

    Zwei Jahre später zeigte sich Selenskyj “besonders dankbar” für die Lieferung von Patriot-Abwehrsystemen: “Auf diese Weise haben Sie Tausende Leben unserer Menschen gerettet”, sagte er mit direktem Blick auf Scholz und Steinmeier, die gemeinsam mit Bas und Bundesratspräsidentin Manuela Schwesig in der ersten Reihe saßen, vor Blumengestecken im Blau-Gelb der ukrainischen Flagge.

    Selenskyj sorgt für Schulterschluss der Ampel

    Auch SPD-Bundestagsfraktionschef Rolf Mützenich konnte Selenskyj aus der ersten Reihe direkt anschauen, wie Steinmeier und Schwesig eine der sozialdemokratischen Schlüsselfiguren bei der langen Unterstützung Russlands durch Deutschland. Doch das war diesen Dienstag kein Thema, auch der Taurus nicht. Als Außenministerin Annalena Baerbock im Plenum eintraf, schüttelte sie Mützenich als einem der ersten die Hand.

    Zumindest zum Staatsbesuch üben die in ihrer Ukraine-Politik bisweilen gespaltenen Koalitionäre den Schulterschluss. Dank Selenskyj, der daran erinnerte, dass sich zwei, drei Jahre vor dem Mauerfall auch niemand habe vorstellen können, dass der Kalte Krieg einmal enden werde. Dass es gelang, hing von “der Führung der Politiker und dem Willen der Menschen ab”, so Selenskyj. “Es gibt keine Mauern, die nicht fallen.”

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