Table.Briefing: Security

+++ Table.Spezial Nato-Gipfel: Das Risiko Trump +++

Liebe Leserin, lieber Leser,

mit einem breiten Lächeln begrüßte Verteidigungsminister Boris Pistorius im Flur der US-Handelskammer in Washington Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg, als der ihm am Dienstag zufällig in die Arme lief.

Am ersten Tag des Nato-Gipfels in der US-amerikanischen Hauptstadt fanden vor allem Side-Events statt, unter anderem kamen politische Amtsträger mit Vertretern der Rüstungsindustrie zusammen, bemüht aufzuzeigen, was das Verteidigungsbündnis bisher geleistet hat. Die stellvertretende US-amerikanische Verteidigungsministerin Kathleen Hicks etwa sagte bei der amerikanischen Handelskammer: “Wir halten unser Versprechen hoch, zusammen zu kämpfen, zu schwitzen.”

Kurz danach dann das erste konkrete Ergebnis des Gipfels: Der amerikanische Präsident Joe Biden kündigte an, dass der Ukraine fünf zusätzliche Luftabwehrsysteme bereitgestellt werden sollen.

Nicht weit davon entfernt präsentierten mögliche künftige US-amerikanische Amtsträger ihre Vorstellungen für das Verteidigungsbündnis. Die Diskussion des Thinktanks Heritage Foundation, der Ideen für Trumps Sicherheitspolitik liefert, machte klar, warum eine Trump-Administration von Europa mehr Geld für Verteidigungsausgaben fordern würde: Der US-Steuerzahler könne nicht dafür aufkommen, dass Europäer sechs Wochen Sommerferien machten, aber wenig Geld in Verteidigung steckten, hieß es da etwa. Worauf Deutschland sich in den sicherheitspolitischen Beziehungen zu den USA einstellen kann, lesen Sie in den News.

Wir berichten bis zum Ende des Gipfels aus Washington für Sie – unser nächstes Spezial lesen Sie am Donnerstag,

Ihr
Gabriel Bub
Bild von Gabriel  Bub

Analyse

SWP-Experte Thimm: “Trump ist eine Gefahr für die Glaubwürdigkeit der Nato”

USA-Experte Johannes Thimm.

Herr Thimm, kann ein wiedergewählter Präsident Trump einfach aus der Nato austreten?

Die kurze Antwort auf die Frage lautet: ja.

Niemand kann ihn daran hindern?

Da muss man zwischen der Gesetzeslage und der Praxis unterscheiden. In der Außenpolitik ist der Präsident führend. Er ist der Diplomat-in-Chief, also der oberste Diplomat, und er ist der Commander-in-Chief, also der Oberbefehlshaber der Streitkräfte. Und diese Rollenzuschreibung gibt ihm die Initiative und die entscheidende Macht. Der Kongress kann auf die Außenpolitik Einfluss nehmen über den Haushalt, über die Finanzierung von diplomatischen Aktivitäten und über die Ratifizierung von Verträgen. Um Verträgen beizutreten, braucht man in der Regel die Zustimmung des Kongresses. Aber um aus Verträgen wieder auszutreten, braucht man sie de facto nicht.

Nun gab es ja in der Vergangenheit Bestrebungen im Kongress, ein Gesetz auf den Weg zu bringen, das einen Nato-Austritt ausschließt, weil man schon antizipiert hat, dass Trump vielleicht eine zweite Amtszeit bekommt. Hat das irgendwelche Wirkung?

Das interpretiere ich vor allem als politisches Signal, dass der Kongress nicht einverstanden wäre damit, wenn Trump den Nato-Vertrag aufkündigen würde. Das war ja eine überparteiliche Gesetzesinitiative. Auch da gilt: Der rechtliche Status eines solchen Gesetzes ist ungeklärt. Wir wissen auch von Donald Trump, dass er es mit den Gesetzen manchmal nicht so genau nimmt. Und: Das Gesetz müsste gerichtlich geprüft werden. Das würde lange dauern. Ob es dann praktisch durchgesetzt würde, selbst wenn der Kongress vor Gericht Recht bekommen würde, wäre noch eine ganz andere Frage.

Der politische Schaden wäre dann ja schon angerichtet. Er müsste also gar nicht unbedingt austreten?

Ich würde es nicht vollständig ausschließen, aber ich halte es für nicht wahrscheinlich. Die größere Gefahr sehe ich darin, dass er die Glaubwürdigkeit der Allianz unterminiert, dass er die Beistandsklausel, den Artikel 5 des Nato-Vertrages, infrage stellt. Dass er die nukleare Abschreckung der USA für die Nato-Mitglieder – also auch für Deutschland – infrage stellt. Damit schafft er Unsicherheit und gibt anderen – zum Beispiel Russland – die Chance auszutesten, wie weit der Beistand der USA reicht.

Das hat er bereits gemacht.

Genau, er hat sich tatsächlich schon dahingehend geäußert, dass sich diejenigen, die nicht ihrer Selbstverpflichtung, zwei Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung auszugeben, nicht auf die USA verlassen können. Er hat das in der letzten Zeit wieder etwas relativiert und behauptet, er hätte das nur aus taktischen Gründen gesagt, um eben die Nato-Verbündeten dazuzubekommen, dass sie sich an ihre Selbstverpflichtung halten. Aber da bin ich nicht so sicher.

Würde es nicht Widerstand geben, wenn er dieses Bündnis infrage stellt, auch von Seiten der Republikaner?

Die Republikaner haben sich in letzter Zeit als äußerst flexibel erwiesen und sehr viele von Trumps Positionen, die sie vorher überhaupt nicht vertreten haben, einfach übernommen. Also auch die ganze Haltung gegenüber Russland in der Republikanischen Partei hat sich ja erst durch Trump radikal geändert. Von einer Partei, die eigentlich immer Hardliner gegenüber Russland war und die Demokraten dafür kritisiert hat, dass sie zu verständnisvoll waren. Zu einer Partei, die plötzlich ganz viel Verständnis für Putins Russland hat. Aber ich glaube, der Austritt aus der Nato würde auch vielen Republikanern zu weit gehen. Er würde über die Parteigrenzen hinweg sehr deutlichen Widerstand provozieren. Aus dem außen- und sicherheitspolitischen Establishment und auch aus dem Militär.

Normalerweise neigt das amerikanische Militär nicht zur Rebellion.

Den Generälen ist sehr wohl bewusst, dass die Nato eben nicht nur ein altruistisches Geschenk an die Verbündeten ist, sondern ein ganz wichtiges Asset für die USA. Die Nato ist ein Machtverstärker, der den Einfluss der USA sowohl militärisch als auch diplomatisch in der Welt vergrößert. Die amerikanischen Stützpunkte in Europa dienen als Basis für den gesamten Nahen Osten, für Afrika und sind auch nicht so ohne Weiteres verzichtbar. Ich glaube tatsächlich, als Commander-in-Chief könnte er das befehlen und das Militär würde dann den Befehl umsetzen. Also die Rebellion würde es im Vorfeld geben.

Es gilt als gesichert, dass der damalige Generalsstabschef Mark Milley beim Sturm auf das Kapitol im Januar 2021 geheime Vorkehrungen getroffen haben soll, Trumps Zugriff auf die Atomwaffen einzuschränken. Würde die Militärführung bei einem Nato-Austritt eingreifen?

Nicht im Sinne von Befehlsverweigerung, da gilt das Primat der Politik. Aber da würde dann ganz Washington mobilisiert werden, um dagegen aufzuschreien! Deswegen glaube ich auch tatsächlich, dass dieser formale Austritt nicht erfolgen würde. Aber wie gesagt, alles, was darunter ist, da kann er den Schaden anrichten, bevor jemand etwas dagegen tun kann.

Johannes Thimm ist stellvertretender Forschungsgruppenleiter Amerika der Stiftung Wissenschaft und Politik. Er beschäftigt sich wissenschaftlich mit den USA, transatlantischen Beziehungen und den Vereinten Nationen.

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Welche Rolle China beim Nato-Gipfel spielt

Das Thema Nummer eins beim Nato-Gipfel ist und bleibt die Ukraine. Aber die Herausforderungen durch China spielen innerhalb des Bündnisses eine immer wichtigere Rolle. In Washington soll außerdem den Beziehungen zu den indopazifischen Partnern neuer Schwung verliehen werden.

Zum dritten Mal sind die sogenannten AP4 Australien, Japan, Neuseeland und Südkorea – beim Nato-Gipfel vertreten und werden als einzige Partnerstaaten der Nato auch am Mittwoch auf dem Gipfel gemeinsam mit der EU an den Gesprächen mit den Nato-Regierungschefs teilnehmen. Es soll zu der Ankündigung von “flagship projects” in vier Bereichen kommen: Cyber, Desinformation, KI und der gemeinsamen Unterstützung der Ukraine.

Frankreich will Fokus auf Indopazifik vermeiden

Der Ausbau dieser Partnerschaften steht auch in Verbindung mit dem wachsenden globalen Einfluss Chinas. Mehr als politische Symbolik und Willensbekundungen wird es aber nicht geben. Das liegt auch daran, dass sich die Bündnispartner zwar über die Diagnose zu China einig sind, nicht aber über die Therapie.

“Es gibt noch viele offene Fragen, was die Nato tun kann und sollte”, sagt Helena Legarda, Expertin für Chinas Außen-, und Sicherheitspolitik beim Mercator Institute for China Studies (Merics). Allein innerhalb der EU bestehen unterschiedliche strategische Denkweisen. Vor allem Frankreich steht auf der Bremse, um den Anschein zu vermeiden, dass die Nato ihre Präsenz im Indopazifik ausbaut. Es war auch der französische Präsident Emmanuel Macron, der sich gegen ein Verbindungsbüro in Japan ausgesprochen hat. “Wenn wir die Nato drängen, das Spektrum und die Geografie zu erweitern, machen wir einen großen Fehler”, argumentierte er damals. Noch unklar ist, wie sich Frankreich nach den Parlamentswahlen zu dem Thema verhält.

Nato sieht China zunehmend als Herausforderung

Fest steht: Die Nato begreift sich nach wie vor als euroatlantische Sicherheitsorganisation. Lange Zeit hat sie die Entwicklungen im asiatischen Raum weitgehend ausgeklammert. Jetzt wird immer deutlicher, dass die geografische Trennung in einer globalen und vernetzten Welt nicht mehr der Realität entspricht. Am deutlichsten wird der Zusammenhang derzeit in der Ukraine. Dual-Use-Güter aus China, also Waren, die sowohl zivil als auch militärisch genutzt werden können, kommen zunehmend auch im Angriffskrieg gegen die Ukraine zum Einsatz.

“Die Vorstellung, dass wir zwischen den Bedrohungen, die wir in Europa sehen, die von Russland ausgehen, und den Bedrohungen und Herausforderungen in Asien, im asiatisch-pazifischen Raum, die von China ausgehen, unterscheiden können, ist falsch”, beschrieb es Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg bei einer Veranstaltung des Wilson Centers. Dem Ärger über die chinesische Unterstützung Moskaus soll auch in der Gipfelerklärung Ausdruck verliehen werden, heißt es aus Diplomatenkreisen in Brüssel.

Bereits 2019 hat sich die Nato in ihrer Londoner Erklärung erstmals China als sicherheitspolitischer Herausforderung gewidmet. Damals wurde der wachsende Einfluss Pekings auf die internationale Politik allerdings auch als Chance beschrieben. In ihrem strategischen Konzept von 2022 findet die Nato klare Worte. Darin heißt es, die Partnerschaft zwischen China und Russland und ihre gemeinsamen Versuche, die regelbasierte internationale Ordnung zu untergraben, stehen “im Widerspruch zu unseren Werten und Interessen”.

Ein Konflikt mit China ist nicht völlig ausgeschlossen

Es geht nicht um eine direkte militärische Gefahr, sondern um langfristige ökonomische und politische Herausforderungen. Chinas Investitionen in Technologieunternehmen und in kritische Infrastruktur, aber auch die Präsenz Chinas in der Arktis, in Afrika und im Nahen Osten und Aktivitäten Cyber-, Informations- und Weltraum. All das stellt eine Gefahr für die westlichen Wertepartner auch unterhalb einer militärischen Bedrohung dar.

“Die Stärkung der Beziehungen zu anderen gleichgesinnten Partnern macht generell immer Sinn, aber es spiegelt auch die wachsende Besorgnis in der Region wider, dass ein Konflikt – der höchstwahrscheinlich China involviert – nicht völlig ausgeschlossen ist”, erklärt Legarda. Inwiefern aus den vier “flagship projects” auch konkrete Projekte entstehen, wird sich wohl erst in der Zeit zwischen diesem und dem nächsten Gipfel zeigen.

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News

Verteidigungspolitik unter Trump: Flugabwehr für Ukraine würde als Erstes wegfallen

Elbridge Colby (links) bei der Heritage Foundation am Dienstag in Washington.

Die ersten Abstriche in ihrer militärischen Unterstützung der Ukraine dürften die USA bei der Luftverteidigung machen, sollte Donald Trump abermals zum US-Präsidenten gewählt werden. “Wir müssen jetzt schon die Unterstützung für die Ukraine kalibrieren”, sagte Elbridge Colby bei einer Veranstaltung des Trump-nahen Thinktanks Heritage Foundation auf Nachfrage von Table.Briefings am ersten Tag des Nato-Gipfels in Washington.

Colby war in Trumps erster Amtszeit stellvertretender Verteidigungsminister und kann mit einem hohen Posten bei einem Wahlsieg Trumps rechnen. Es gebe Fähigkeiten wie Abrams-Kampfpanzer, die weiter an die Ukraine geliefert werden könnten, aber Dinge wie “Luftverteidigung, Munition, Geld” würden zurückgefahren. Die USA wollen sich stärker auf den Indopazifik und einen drohenden Konflikt mit China konzentrieren. “Wir werden mehr Verteidigungsausgaben brauchen, allein um mit den Chinesen mitzuhalten.” Dass Donald Trump sage, man sei an der Schwelle zu einem dritten Weltkrieg, sei “absolut richtig”, so Colby.

Gemischte Gefühle gegenüber Deutschland

Deutschland gegenüber zeigte Colby gemischte Gefühle, Verteidigungsminister Borius Pistorius lobte er, Bundeskanzler Olaf Scholz kritisierte er deutlich. Deutschland habe sich bewegt, das sei gut, es gebe aber “zu viel Selbstgratulation”. Dass Scholz die Forderungen von Verteidigungsminister Boris Pistorius nach deutlichen Erhöhungen des Verteidigungshaushalts zurückgewiesen habe, “werfe echte Fragen auf”. Dabei müsse Deutschland “absolut eine zentrale Rolle in der europäischen Sicherheit” übernehmen. Colbys Begründung: Dass Deutschland 1985 über zwölf aktive Divisionen verfügt habe, zeige ihm: “Offensichtlich können die Deutschen das tun, wenn sie es wollen.”

Auch in Europa sieht er lieber ein starkes Deutschland als ein starkes Frankreich. Colby bezeichnete den Ansatz von Frankreichs Präsident Emmanuel Macrons als “peacock security policy”. Es gebe viel Flügelschlagen, aber nicht viel mehr, wenn Macron französische Truppen in der Ukraine nicht ausschließe, aber wenig Geld bereitstelle. Leute wie Pistorius seien da weiter vorne.  

Gardiner fordert Verteidigungsausgaben von bis zu sechs Prozent

Was die Panelisten bei der Heritage Foundation diskutierten, gab einen Einblick, wie Trumps Verteidigungspolitik und seine Einstellung zur Nato aussehen könnten. “Aus meiner Sicht ist Scholz ein sehr schwacher Kanzler”, sagte Nile Gardiner von der Heritage Foundation. Von Deutschland wünsche er sich Verteidigungsausgaben von “vier, fünf oder sechs Prozent”. Die meisten Westeuropäer hätten eine aus der Zeit gefallene Einstellung zur Sicherheit. Europäische Streitkräfte hält er für ein spalterisches Element für die Nato, das Konzept einer strategischen Autonomie von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron bezeichnet er als “absolutes Gift für die Zukunft Europas”.

Wenn Trump nochmal an die Macht komme, solle er dieser Idee entgegentreten. Dass die europäischen Nato-Staaten ihre Verteidigungsausgaben erhöht haben, sei auf Trumps Druck zurückzuführen. “Ich hoffe, dass wenn wir eine neue US-Regierung sehen, der Druck auf die Nato-Alliierten verdoppelt, verdreifacht oder noch weiter erhöht wird.” bub

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Rüstungsindustrie: Stoltenberg kündigt mehr gemeinsame Beschaffungen an

Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg hat beim Nato-Gipfel vor Vertretern der Rüstungsindustrie eine neue Industrievereinbarung aller Nato-Partner angekündigt. Darin sollen sich die Mitgliedsländer dazu verpflichten, ihre Verteidigungsausgaben zu erhöhen. Das zweite Element sei, Geld sinnvoller ausgeben, “indem wir mehr gemeinsam ausgeben”. Das solle größere und kostengünstigere Investitionen ermöglichen. Am Dienstag habe die Nato-Beschaffungsbehörde NSPA schon einen Vertrag für den Kauf von Stinger-Raketen im Wert von 700 Millionen Dollar abgeschlossen. Durch die gemeinsamen Bestellungen könne die Interoperabilität gesteigert werden, sagte Stoltenberg.

Dass die Nato-Mitgliedsländer ihre Verteidigungsausgaben erhöhen wollen, ist zunächst einmal nicht neu. Dass die USA bei Käufen selbstlos auf europäische Waffensysteme setzen, wenn sie nicht in den Vereinigten Staaten produziert werden, ist eher unwahrscheinlich. MBDA-Geschäftsführer Thomas Gottschild sagte in Washington, dass, was er auch gerne mal sehen würde, “Kooperation von Europa in die USA” sei. Eine zurückhaltende Art, anzusprechen, dass Rüstungsgüter transatlantisch meist von West nach Ost verkauft werden und nicht umgekehrt.

Jake Sullivan, der nationale Sicherheitsberater von US-Präsident Joe Biden sagte bei der Eröffnung des Gipfels, die Nato werde ihre Verteidigungsindustrie hochfahren, “ohne unsere nationalen Wirtschaftssysteme zu stören”, wie es Russland tue. “Jeder Alliierte wird sich verpflichten, Pläne zur Stärkung seiner Kapazitäten in der Rüstungsindustrie zu entwickeln”, sagte Sullivan. Das werde der Allianz ermöglichen, bei der Produktion zu priorisieren und neue industrielle Partnerschaften zu schließen. Damit wolle man sich auch auf andere Konflikte vorbereiten. Man solle nicht denken, dass Länder wie China oder Nordkorea Russland unterstützten, ohne eine Gegenleistung zu erwarten.

Verteidigungsminister Boris Pistorius will am Mittwoch eine Drohnen-Initiative vorstellen, die eine Grundlage schafft für die gemeinsame Beschaffung von Drohnen jeglicher Art aus deutscher Produktion für die ukrainischen Streitkräfte. bub/wp

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Standpunkt

Nato soll mehr Kooperation mit Israel wagen

Carsten Ovens ist CEO der Denkfabrik und Netzwerkorganisation Elnet.

Die Nato hat Mark Rutte als nächsten Generalsekretär bestimmt. Der langjährige niederländische Regierungschef soll das Amt am 1. Oktober offiziell von Jens Stoltenberg übernehmen, dessen zehnjährige Amtszeit an der Spitze des Bündnisses endet. Für das transatlantische Verteidigungsbündnis beginnt damit ein neues Kapitel.

Rutte tritt sein Amt in einer Zeit großer sicherheitspolitischer Herausforderungen an. Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine und der sich regional ausbreitende Konflikt zwischen der Terrororganisation Hamas und Israel, ausgelöst durch den Angriff der Hamas vom 7. Oktober, prägen die Sicherheitslage. Hinzu kommt die zunehmende Kooperation zwischen Iran und Russland, die den Nahen Osten und Europa im Kontext des russischen Kriegs gegen die Ukraine sowie des iranischen Atomprogramms vor zusätzliche Herausforderungen stellt.

Verteidigungsfragen nehmen an Bedeutung zu

Vor diesem Hintergrund sollten die sicherheitspolitischen Prioritäten Europas sowie der Nato gegenüber Russland und dem Iran stärker mit denen unserer Verbündeten im Nahen Osten abgestimmt werden. Der Israel Survey 2024 zeigt, dass europäische Parlamentarier dies erkannt haben.

Der Wunsch nach mehr Verteidigungskooperation mit Israel ist europaweit ausgeprägt und hat sich im Vergleich zum Vorjahr auf verschiedenen Ebenen verstärkt. Laut Israel Survey 2024 befürworten 62 Prozent der europäischen Parlamentarier generell eine intensivere Zusammenarbeit im Bereich Verteidigung, was einen Anstieg um 26 Prozent gegenüber 2023 darstellt. Darüber hinaus unterstützen 68 Prozent der europäischen Abgeordneten eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen der Nato und Israel (2023: 67 Prozent), um die Verteidigungsfähigkeiten Europas zu verbessern.

Grüne und Sozialdemokraten vergleichsweise zurückhaltend

In Deutschland liegt die Zustimmung für mehr Nato-Israel-Kooperation ebenfalls bei 68 Prozent und ist bei den Mitgliedern des Bundestages noch ausgeprägter (74 Prozent). Insbesondere Parlamentarier von FDP (88 Prozent) und CDU/CSU (86 Prozent) unterstützen eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen der Nato und Israel. Abgeordnete von SPD und Bündnis 90/Die Grünen zeigen sich etwas zurückhaltender: Nur jeweils 59 Prozent unterstützen eine intensivere Kooperation.

Auch europaweit sprechen sich vornehmlich Abgeordnete konservativer und liberaler Parteien für eine intensivere Zusammenarbeit zwischen der Nato und Israel aus. Nationen mit mehr als siebzig Prozent Zustimmung sind Dänemark, Griechenland, Polen, Italien und das Vereinigte Königreich. Weniger Interesse am Ausbau der Kooperation zeigen hingegen Abgeordnete aus Spanien und Irland.

Mittelmeerdialog und Nato Trainining Cooperation Initiative erfolgreiche Formate

Die Zusammenarbeit zwischen der Nato und Israel hat sich über mehrere Jahrzehnte hinweg im Rahmen verschiedener Initiativen bewährt, darunter der Mittelmeerdialog und die Beteiligung an Nato-Programmen wie der Nato Training Cooperation Initiative und dem Science for Peace and Security Program. Diese Initiativen haben sich als äußerst erfolgreich erwiesen und bieten eine solide Grundlage für eine intensivere Partnerschaft.

Die Zusammenarbeit zwischen der Nato und Israel hat das Potenzial, erheblich zur Stärkung der militärischen und sicherheitspolitischen Fähigkeiten der Nato beizutragen. Bereits jetzt gibt es zahlreiche Bereiche, in denen Israel seine Expertise einbringen könnte, um die Nato zu unterstützen. Ein zentraler Fokus sollte auf Luftstreitkräfte und Drohnen sowie Raketenabwehr gelegt werden.

Luftstreitkräfte, Drohnen und Raketenabwehr aus Israel

Israel ist ein weltweit führender Entwickler von Drohnentechnologie. Israelische Drohnen, wie die Heron-Drohne, werden bereits von Nato-Mitgliedern eingesetzt, einschließlich der Bundeswehr. Diese Drohnentechnologie könnte der Nato helfen, Kosten zu senken und gleichzeitig die Effektivität in Aufklärungs- und Kampfeinsätzen zu erhöhen. Die Entwicklung und Implementierung von Drohnenschwärmen könnten taktische Vorteile verschaffen.

Die israelischen Raketenabwehrsysteme werden seit Monaten von Hisbollah und Hamas herausgefordert. Zuletzt wurde die Effektivität der Abwehr im April 2024 durch den erfolgreichen Einsatz gegen iranische Luftangriffe bestätigt. Das Arrow-3 System, welches strategische Langstreckenraketen in der Stratosphäre abfangen kann, ist bereits Teil der European Sky Shield Initiative, was eine deutlichen Mehrheit der Bundesbürger begrüßt. Durch die weitere Integration solcher Systeme könnte die Nato ihre Verteidigungsfähigkeit gegen Bedrohungen durch ballistische Raketen erheblich stärken und den Schutz der Zivilbevölkerung verbessern.

Eine umfassende bilaterale Partnerschaftsstrategie zwischen der Nato und Israel, die auf den genannten Bereichen aufbaut, könnte die Sicherheit Europas und des Nahen Ostens erheblich verbessern. Das neue Kapitel der Nato könnte mit einem mehrjährigen Nato+1-Programm beginnen, das zentrale Aspekte der Verteidigung und Sicherheit umfasst. Es wäre ein bedeutender Schritt zur Stärkung der militärischen Kapazitäten der Nato und zur Aufrechterhaltung des qualitativen Vorteils gegenüber externen Bedrohungen.

Carsten Ovens ist Executive Director des European Leadership Network (Elnet) in Deutschland, Österreich und der Schweiz, Denkfabrik und Netzwerkorganisation für europäisch-israelische Beziehungen. 2007 gegründet, hat Elnet heute Büros in Berlin, Brüssel, London, Paris, Tel Aviv und Warschau.

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Security.Table Redaktion

SECURITY.TABLE REDAKTION

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    Liebe Leserin, lieber Leser,

    mit einem breiten Lächeln begrüßte Verteidigungsminister Boris Pistorius im Flur der US-Handelskammer in Washington Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg, als der ihm am Dienstag zufällig in die Arme lief.

    Am ersten Tag des Nato-Gipfels in der US-amerikanischen Hauptstadt fanden vor allem Side-Events statt, unter anderem kamen politische Amtsträger mit Vertretern der Rüstungsindustrie zusammen, bemüht aufzuzeigen, was das Verteidigungsbündnis bisher geleistet hat. Die stellvertretende US-amerikanische Verteidigungsministerin Kathleen Hicks etwa sagte bei der amerikanischen Handelskammer: “Wir halten unser Versprechen hoch, zusammen zu kämpfen, zu schwitzen.”

    Kurz danach dann das erste konkrete Ergebnis des Gipfels: Der amerikanische Präsident Joe Biden kündigte an, dass der Ukraine fünf zusätzliche Luftabwehrsysteme bereitgestellt werden sollen.

    Nicht weit davon entfernt präsentierten mögliche künftige US-amerikanische Amtsträger ihre Vorstellungen für das Verteidigungsbündnis. Die Diskussion des Thinktanks Heritage Foundation, der Ideen für Trumps Sicherheitspolitik liefert, machte klar, warum eine Trump-Administration von Europa mehr Geld für Verteidigungsausgaben fordern würde: Der US-Steuerzahler könne nicht dafür aufkommen, dass Europäer sechs Wochen Sommerferien machten, aber wenig Geld in Verteidigung steckten, hieß es da etwa. Worauf Deutschland sich in den sicherheitspolitischen Beziehungen zu den USA einstellen kann, lesen Sie in den News.

    Wir berichten bis zum Ende des Gipfels aus Washington für Sie – unser nächstes Spezial lesen Sie am Donnerstag,

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    Analyse

    SWP-Experte Thimm: “Trump ist eine Gefahr für die Glaubwürdigkeit der Nato”

    USA-Experte Johannes Thimm.

    Herr Thimm, kann ein wiedergewählter Präsident Trump einfach aus der Nato austreten?

    Die kurze Antwort auf die Frage lautet: ja.

    Niemand kann ihn daran hindern?

    Da muss man zwischen der Gesetzeslage und der Praxis unterscheiden. In der Außenpolitik ist der Präsident führend. Er ist der Diplomat-in-Chief, also der oberste Diplomat, und er ist der Commander-in-Chief, also der Oberbefehlshaber der Streitkräfte. Und diese Rollenzuschreibung gibt ihm die Initiative und die entscheidende Macht. Der Kongress kann auf die Außenpolitik Einfluss nehmen über den Haushalt, über die Finanzierung von diplomatischen Aktivitäten und über die Ratifizierung von Verträgen. Um Verträgen beizutreten, braucht man in der Regel die Zustimmung des Kongresses. Aber um aus Verträgen wieder auszutreten, braucht man sie de facto nicht.

    Nun gab es ja in der Vergangenheit Bestrebungen im Kongress, ein Gesetz auf den Weg zu bringen, das einen Nato-Austritt ausschließt, weil man schon antizipiert hat, dass Trump vielleicht eine zweite Amtszeit bekommt. Hat das irgendwelche Wirkung?

    Das interpretiere ich vor allem als politisches Signal, dass der Kongress nicht einverstanden wäre damit, wenn Trump den Nato-Vertrag aufkündigen würde. Das war ja eine überparteiliche Gesetzesinitiative. Auch da gilt: Der rechtliche Status eines solchen Gesetzes ist ungeklärt. Wir wissen auch von Donald Trump, dass er es mit den Gesetzen manchmal nicht so genau nimmt. Und: Das Gesetz müsste gerichtlich geprüft werden. Das würde lange dauern. Ob es dann praktisch durchgesetzt würde, selbst wenn der Kongress vor Gericht Recht bekommen würde, wäre noch eine ganz andere Frage.

    Der politische Schaden wäre dann ja schon angerichtet. Er müsste also gar nicht unbedingt austreten?

    Ich würde es nicht vollständig ausschließen, aber ich halte es für nicht wahrscheinlich. Die größere Gefahr sehe ich darin, dass er die Glaubwürdigkeit der Allianz unterminiert, dass er die Beistandsklausel, den Artikel 5 des Nato-Vertrages, infrage stellt. Dass er die nukleare Abschreckung der USA für die Nato-Mitglieder – also auch für Deutschland – infrage stellt. Damit schafft er Unsicherheit und gibt anderen – zum Beispiel Russland – die Chance auszutesten, wie weit der Beistand der USA reicht.

    Das hat er bereits gemacht.

    Genau, er hat sich tatsächlich schon dahingehend geäußert, dass sich diejenigen, die nicht ihrer Selbstverpflichtung, zwei Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung auszugeben, nicht auf die USA verlassen können. Er hat das in der letzten Zeit wieder etwas relativiert und behauptet, er hätte das nur aus taktischen Gründen gesagt, um eben die Nato-Verbündeten dazuzubekommen, dass sie sich an ihre Selbstverpflichtung halten. Aber da bin ich nicht so sicher.

    Würde es nicht Widerstand geben, wenn er dieses Bündnis infrage stellt, auch von Seiten der Republikaner?

    Die Republikaner haben sich in letzter Zeit als äußerst flexibel erwiesen und sehr viele von Trumps Positionen, die sie vorher überhaupt nicht vertreten haben, einfach übernommen. Also auch die ganze Haltung gegenüber Russland in der Republikanischen Partei hat sich ja erst durch Trump radikal geändert. Von einer Partei, die eigentlich immer Hardliner gegenüber Russland war und die Demokraten dafür kritisiert hat, dass sie zu verständnisvoll waren. Zu einer Partei, die plötzlich ganz viel Verständnis für Putins Russland hat. Aber ich glaube, der Austritt aus der Nato würde auch vielen Republikanern zu weit gehen. Er würde über die Parteigrenzen hinweg sehr deutlichen Widerstand provozieren. Aus dem außen- und sicherheitspolitischen Establishment und auch aus dem Militär.

    Normalerweise neigt das amerikanische Militär nicht zur Rebellion.

    Den Generälen ist sehr wohl bewusst, dass die Nato eben nicht nur ein altruistisches Geschenk an die Verbündeten ist, sondern ein ganz wichtiges Asset für die USA. Die Nato ist ein Machtverstärker, der den Einfluss der USA sowohl militärisch als auch diplomatisch in der Welt vergrößert. Die amerikanischen Stützpunkte in Europa dienen als Basis für den gesamten Nahen Osten, für Afrika und sind auch nicht so ohne Weiteres verzichtbar. Ich glaube tatsächlich, als Commander-in-Chief könnte er das befehlen und das Militär würde dann den Befehl umsetzen. Also die Rebellion würde es im Vorfeld geben.

    Es gilt als gesichert, dass der damalige Generalsstabschef Mark Milley beim Sturm auf das Kapitol im Januar 2021 geheime Vorkehrungen getroffen haben soll, Trumps Zugriff auf die Atomwaffen einzuschränken. Würde die Militärführung bei einem Nato-Austritt eingreifen?

    Nicht im Sinne von Befehlsverweigerung, da gilt das Primat der Politik. Aber da würde dann ganz Washington mobilisiert werden, um dagegen aufzuschreien! Deswegen glaube ich auch tatsächlich, dass dieser formale Austritt nicht erfolgen würde. Aber wie gesagt, alles, was darunter ist, da kann er den Schaden anrichten, bevor jemand etwas dagegen tun kann.

    Johannes Thimm ist stellvertretender Forschungsgruppenleiter Amerika der Stiftung Wissenschaft und Politik. Er beschäftigt sich wissenschaftlich mit den USA, transatlantischen Beziehungen und den Vereinten Nationen.

    • 75 Jahre Nato
    • NatoSummit
    • SWP

    Welche Rolle China beim Nato-Gipfel spielt

    Das Thema Nummer eins beim Nato-Gipfel ist und bleibt die Ukraine. Aber die Herausforderungen durch China spielen innerhalb des Bündnisses eine immer wichtigere Rolle. In Washington soll außerdem den Beziehungen zu den indopazifischen Partnern neuer Schwung verliehen werden.

    Zum dritten Mal sind die sogenannten AP4 Australien, Japan, Neuseeland und Südkorea – beim Nato-Gipfel vertreten und werden als einzige Partnerstaaten der Nato auch am Mittwoch auf dem Gipfel gemeinsam mit der EU an den Gesprächen mit den Nato-Regierungschefs teilnehmen. Es soll zu der Ankündigung von “flagship projects” in vier Bereichen kommen: Cyber, Desinformation, KI und der gemeinsamen Unterstützung der Ukraine.

    Frankreich will Fokus auf Indopazifik vermeiden

    Der Ausbau dieser Partnerschaften steht auch in Verbindung mit dem wachsenden globalen Einfluss Chinas. Mehr als politische Symbolik und Willensbekundungen wird es aber nicht geben. Das liegt auch daran, dass sich die Bündnispartner zwar über die Diagnose zu China einig sind, nicht aber über die Therapie.

    “Es gibt noch viele offene Fragen, was die Nato tun kann und sollte”, sagt Helena Legarda, Expertin für Chinas Außen-, und Sicherheitspolitik beim Mercator Institute for China Studies (Merics). Allein innerhalb der EU bestehen unterschiedliche strategische Denkweisen. Vor allem Frankreich steht auf der Bremse, um den Anschein zu vermeiden, dass die Nato ihre Präsenz im Indopazifik ausbaut. Es war auch der französische Präsident Emmanuel Macron, der sich gegen ein Verbindungsbüro in Japan ausgesprochen hat. “Wenn wir die Nato drängen, das Spektrum und die Geografie zu erweitern, machen wir einen großen Fehler”, argumentierte er damals. Noch unklar ist, wie sich Frankreich nach den Parlamentswahlen zu dem Thema verhält.

    Nato sieht China zunehmend als Herausforderung

    Fest steht: Die Nato begreift sich nach wie vor als euroatlantische Sicherheitsorganisation. Lange Zeit hat sie die Entwicklungen im asiatischen Raum weitgehend ausgeklammert. Jetzt wird immer deutlicher, dass die geografische Trennung in einer globalen und vernetzten Welt nicht mehr der Realität entspricht. Am deutlichsten wird der Zusammenhang derzeit in der Ukraine. Dual-Use-Güter aus China, also Waren, die sowohl zivil als auch militärisch genutzt werden können, kommen zunehmend auch im Angriffskrieg gegen die Ukraine zum Einsatz.

    “Die Vorstellung, dass wir zwischen den Bedrohungen, die wir in Europa sehen, die von Russland ausgehen, und den Bedrohungen und Herausforderungen in Asien, im asiatisch-pazifischen Raum, die von China ausgehen, unterscheiden können, ist falsch”, beschrieb es Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg bei einer Veranstaltung des Wilson Centers. Dem Ärger über die chinesische Unterstützung Moskaus soll auch in der Gipfelerklärung Ausdruck verliehen werden, heißt es aus Diplomatenkreisen in Brüssel.

    Bereits 2019 hat sich die Nato in ihrer Londoner Erklärung erstmals China als sicherheitspolitischer Herausforderung gewidmet. Damals wurde der wachsende Einfluss Pekings auf die internationale Politik allerdings auch als Chance beschrieben. In ihrem strategischen Konzept von 2022 findet die Nato klare Worte. Darin heißt es, die Partnerschaft zwischen China und Russland und ihre gemeinsamen Versuche, die regelbasierte internationale Ordnung zu untergraben, stehen “im Widerspruch zu unseren Werten und Interessen”.

    Ein Konflikt mit China ist nicht völlig ausgeschlossen

    Es geht nicht um eine direkte militärische Gefahr, sondern um langfristige ökonomische und politische Herausforderungen. Chinas Investitionen in Technologieunternehmen und in kritische Infrastruktur, aber auch die Präsenz Chinas in der Arktis, in Afrika und im Nahen Osten und Aktivitäten Cyber-, Informations- und Weltraum. All das stellt eine Gefahr für die westlichen Wertepartner auch unterhalb einer militärischen Bedrohung dar.

    “Die Stärkung der Beziehungen zu anderen gleichgesinnten Partnern macht generell immer Sinn, aber es spiegelt auch die wachsende Besorgnis in der Region wider, dass ein Konflikt – der höchstwahrscheinlich China involviert – nicht völlig ausgeschlossen ist”, erklärt Legarda. Inwiefern aus den vier “flagship projects” auch konkrete Projekte entstehen, wird sich wohl erst in der Zeit zwischen diesem und dem nächsten Gipfel zeigen.

    • 75 Jahre Nato
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    Verteidigungspolitik unter Trump: Flugabwehr für Ukraine würde als Erstes wegfallen

    Elbridge Colby (links) bei der Heritage Foundation am Dienstag in Washington.

    Die ersten Abstriche in ihrer militärischen Unterstützung der Ukraine dürften die USA bei der Luftverteidigung machen, sollte Donald Trump abermals zum US-Präsidenten gewählt werden. “Wir müssen jetzt schon die Unterstützung für die Ukraine kalibrieren”, sagte Elbridge Colby bei einer Veranstaltung des Trump-nahen Thinktanks Heritage Foundation auf Nachfrage von Table.Briefings am ersten Tag des Nato-Gipfels in Washington.

    Colby war in Trumps erster Amtszeit stellvertretender Verteidigungsminister und kann mit einem hohen Posten bei einem Wahlsieg Trumps rechnen. Es gebe Fähigkeiten wie Abrams-Kampfpanzer, die weiter an die Ukraine geliefert werden könnten, aber Dinge wie “Luftverteidigung, Munition, Geld” würden zurückgefahren. Die USA wollen sich stärker auf den Indopazifik und einen drohenden Konflikt mit China konzentrieren. “Wir werden mehr Verteidigungsausgaben brauchen, allein um mit den Chinesen mitzuhalten.” Dass Donald Trump sage, man sei an der Schwelle zu einem dritten Weltkrieg, sei “absolut richtig”, so Colby.

    Gemischte Gefühle gegenüber Deutschland

    Deutschland gegenüber zeigte Colby gemischte Gefühle, Verteidigungsminister Borius Pistorius lobte er, Bundeskanzler Olaf Scholz kritisierte er deutlich. Deutschland habe sich bewegt, das sei gut, es gebe aber “zu viel Selbstgratulation”. Dass Scholz die Forderungen von Verteidigungsminister Boris Pistorius nach deutlichen Erhöhungen des Verteidigungshaushalts zurückgewiesen habe, “werfe echte Fragen auf”. Dabei müsse Deutschland “absolut eine zentrale Rolle in der europäischen Sicherheit” übernehmen. Colbys Begründung: Dass Deutschland 1985 über zwölf aktive Divisionen verfügt habe, zeige ihm: “Offensichtlich können die Deutschen das tun, wenn sie es wollen.”

    Auch in Europa sieht er lieber ein starkes Deutschland als ein starkes Frankreich. Colby bezeichnete den Ansatz von Frankreichs Präsident Emmanuel Macrons als “peacock security policy”. Es gebe viel Flügelschlagen, aber nicht viel mehr, wenn Macron französische Truppen in der Ukraine nicht ausschließe, aber wenig Geld bereitstelle. Leute wie Pistorius seien da weiter vorne.  

    Gardiner fordert Verteidigungsausgaben von bis zu sechs Prozent

    Was die Panelisten bei der Heritage Foundation diskutierten, gab einen Einblick, wie Trumps Verteidigungspolitik und seine Einstellung zur Nato aussehen könnten. “Aus meiner Sicht ist Scholz ein sehr schwacher Kanzler”, sagte Nile Gardiner von der Heritage Foundation. Von Deutschland wünsche er sich Verteidigungsausgaben von “vier, fünf oder sechs Prozent”. Die meisten Westeuropäer hätten eine aus der Zeit gefallene Einstellung zur Sicherheit. Europäische Streitkräfte hält er für ein spalterisches Element für die Nato, das Konzept einer strategischen Autonomie von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron bezeichnet er als “absolutes Gift für die Zukunft Europas”.

    Wenn Trump nochmal an die Macht komme, solle er dieser Idee entgegentreten. Dass die europäischen Nato-Staaten ihre Verteidigungsausgaben erhöht haben, sei auf Trumps Druck zurückzuführen. “Ich hoffe, dass wenn wir eine neue US-Regierung sehen, der Druck auf die Nato-Alliierten verdoppelt, verdreifacht oder noch weiter erhöht wird.” bub

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    Rüstungsindustrie: Stoltenberg kündigt mehr gemeinsame Beschaffungen an

    Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg hat beim Nato-Gipfel vor Vertretern der Rüstungsindustrie eine neue Industrievereinbarung aller Nato-Partner angekündigt. Darin sollen sich die Mitgliedsländer dazu verpflichten, ihre Verteidigungsausgaben zu erhöhen. Das zweite Element sei, Geld sinnvoller ausgeben, “indem wir mehr gemeinsam ausgeben”. Das solle größere und kostengünstigere Investitionen ermöglichen. Am Dienstag habe die Nato-Beschaffungsbehörde NSPA schon einen Vertrag für den Kauf von Stinger-Raketen im Wert von 700 Millionen Dollar abgeschlossen. Durch die gemeinsamen Bestellungen könne die Interoperabilität gesteigert werden, sagte Stoltenberg.

    Dass die Nato-Mitgliedsländer ihre Verteidigungsausgaben erhöhen wollen, ist zunächst einmal nicht neu. Dass die USA bei Käufen selbstlos auf europäische Waffensysteme setzen, wenn sie nicht in den Vereinigten Staaten produziert werden, ist eher unwahrscheinlich. MBDA-Geschäftsführer Thomas Gottschild sagte in Washington, dass, was er auch gerne mal sehen würde, “Kooperation von Europa in die USA” sei. Eine zurückhaltende Art, anzusprechen, dass Rüstungsgüter transatlantisch meist von West nach Ost verkauft werden und nicht umgekehrt.

    Jake Sullivan, der nationale Sicherheitsberater von US-Präsident Joe Biden sagte bei der Eröffnung des Gipfels, die Nato werde ihre Verteidigungsindustrie hochfahren, “ohne unsere nationalen Wirtschaftssysteme zu stören”, wie es Russland tue. “Jeder Alliierte wird sich verpflichten, Pläne zur Stärkung seiner Kapazitäten in der Rüstungsindustrie zu entwickeln”, sagte Sullivan. Das werde der Allianz ermöglichen, bei der Produktion zu priorisieren und neue industrielle Partnerschaften zu schließen. Damit wolle man sich auch auf andere Konflikte vorbereiten. Man solle nicht denken, dass Länder wie China oder Nordkorea Russland unterstützten, ohne eine Gegenleistung zu erwarten.

    Verteidigungsminister Boris Pistorius will am Mittwoch eine Drohnen-Initiative vorstellen, die eine Grundlage schafft für die gemeinsame Beschaffung von Drohnen jeglicher Art aus deutscher Produktion für die ukrainischen Streitkräfte. bub/wp

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    Standpunkt

    Nato soll mehr Kooperation mit Israel wagen

    Carsten Ovens ist CEO der Denkfabrik und Netzwerkorganisation Elnet.

    Die Nato hat Mark Rutte als nächsten Generalsekretär bestimmt. Der langjährige niederländische Regierungschef soll das Amt am 1. Oktober offiziell von Jens Stoltenberg übernehmen, dessen zehnjährige Amtszeit an der Spitze des Bündnisses endet. Für das transatlantische Verteidigungsbündnis beginnt damit ein neues Kapitel.

    Rutte tritt sein Amt in einer Zeit großer sicherheitspolitischer Herausforderungen an. Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine und der sich regional ausbreitende Konflikt zwischen der Terrororganisation Hamas und Israel, ausgelöst durch den Angriff der Hamas vom 7. Oktober, prägen die Sicherheitslage. Hinzu kommt die zunehmende Kooperation zwischen Iran und Russland, die den Nahen Osten und Europa im Kontext des russischen Kriegs gegen die Ukraine sowie des iranischen Atomprogramms vor zusätzliche Herausforderungen stellt.

    Verteidigungsfragen nehmen an Bedeutung zu

    Vor diesem Hintergrund sollten die sicherheitspolitischen Prioritäten Europas sowie der Nato gegenüber Russland und dem Iran stärker mit denen unserer Verbündeten im Nahen Osten abgestimmt werden. Der Israel Survey 2024 zeigt, dass europäische Parlamentarier dies erkannt haben.

    Der Wunsch nach mehr Verteidigungskooperation mit Israel ist europaweit ausgeprägt und hat sich im Vergleich zum Vorjahr auf verschiedenen Ebenen verstärkt. Laut Israel Survey 2024 befürworten 62 Prozent der europäischen Parlamentarier generell eine intensivere Zusammenarbeit im Bereich Verteidigung, was einen Anstieg um 26 Prozent gegenüber 2023 darstellt. Darüber hinaus unterstützen 68 Prozent der europäischen Abgeordneten eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen der Nato und Israel (2023: 67 Prozent), um die Verteidigungsfähigkeiten Europas zu verbessern.

    Grüne und Sozialdemokraten vergleichsweise zurückhaltend

    In Deutschland liegt die Zustimmung für mehr Nato-Israel-Kooperation ebenfalls bei 68 Prozent und ist bei den Mitgliedern des Bundestages noch ausgeprägter (74 Prozent). Insbesondere Parlamentarier von FDP (88 Prozent) und CDU/CSU (86 Prozent) unterstützen eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen der Nato und Israel. Abgeordnete von SPD und Bündnis 90/Die Grünen zeigen sich etwas zurückhaltender: Nur jeweils 59 Prozent unterstützen eine intensivere Kooperation.

    Auch europaweit sprechen sich vornehmlich Abgeordnete konservativer und liberaler Parteien für eine intensivere Zusammenarbeit zwischen der Nato und Israel aus. Nationen mit mehr als siebzig Prozent Zustimmung sind Dänemark, Griechenland, Polen, Italien und das Vereinigte Königreich. Weniger Interesse am Ausbau der Kooperation zeigen hingegen Abgeordnete aus Spanien und Irland.

    Mittelmeerdialog und Nato Trainining Cooperation Initiative erfolgreiche Formate

    Die Zusammenarbeit zwischen der Nato und Israel hat sich über mehrere Jahrzehnte hinweg im Rahmen verschiedener Initiativen bewährt, darunter der Mittelmeerdialog und die Beteiligung an Nato-Programmen wie der Nato Training Cooperation Initiative und dem Science for Peace and Security Program. Diese Initiativen haben sich als äußerst erfolgreich erwiesen und bieten eine solide Grundlage für eine intensivere Partnerschaft.

    Die Zusammenarbeit zwischen der Nato und Israel hat das Potenzial, erheblich zur Stärkung der militärischen und sicherheitspolitischen Fähigkeiten der Nato beizutragen. Bereits jetzt gibt es zahlreiche Bereiche, in denen Israel seine Expertise einbringen könnte, um die Nato zu unterstützen. Ein zentraler Fokus sollte auf Luftstreitkräfte und Drohnen sowie Raketenabwehr gelegt werden.

    Luftstreitkräfte, Drohnen und Raketenabwehr aus Israel

    Israel ist ein weltweit führender Entwickler von Drohnentechnologie. Israelische Drohnen, wie die Heron-Drohne, werden bereits von Nato-Mitgliedern eingesetzt, einschließlich der Bundeswehr. Diese Drohnentechnologie könnte der Nato helfen, Kosten zu senken und gleichzeitig die Effektivität in Aufklärungs- und Kampfeinsätzen zu erhöhen. Die Entwicklung und Implementierung von Drohnenschwärmen könnten taktische Vorteile verschaffen.

    Die israelischen Raketenabwehrsysteme werden seit Monaten von Hisbollah und Hamas herausgefordert. Zuletzt wurde die Effektivität der Abwehr im April 2024 durch den erfolgreichen Einsatz gegen iranische Luftangriffe bestätigt. Das Arrow-3 System, welches strategische Langstreckenraketen in der Stratosphäre abfangen kann, ist bereits Teil der European Sky Shield Initiative, was eine deutlichen Mehrheit der Bundesbürger begrüßt. Durch die weitere Integration solcher Systeme könnte die Nato ihre Verteidigungsfähigkeit gegen Bedrohungen durch ballistische Raketen erheblich stärken und den Schutz der Zivilbevölkerung verbessern.

    Eine umfassende bilaterale Partnerschaftsstrategie zwischen der Nato und Israel, die auf den genannten Bereichen aufbaut, könnte die Sicherheit Europas und des Nahen Ostens erheblich verbessern. Das neue Kapitel der Nato könnte mit einem mehrjährigen Nato+1-Programm beginnen, das zentrale Aspekte der Verteidigung und Sicherheit umfasst. Es wäre ein bedeutender Schritt zur Stärkung der militärischen Kapazitäten der Nato und zur Aufrechterhaltung des qualitativen Vorteils gegenüber externen Bedrohungen.

    Carsten Ovens ist Executive Director des European Leadership Network (Elnet) in Deutschland, Österreich und der Schweiz, Denkfabrik und Netzwerkorganisation für europäisch-israelische Beziehungen. 2007 gegründet, hat Elnet heute Büros in Berlin, Brüssel, London, Paris, Tel Aviv und Warschau.

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