es war der größte Massenmord an Jüdinnen und Juden seit dem Holocaust und der verlustreichste Tag in der Geschichte Israels: der Terrorüberfall der Hamas am 7. Oktober 2023. Über Jahre sollen Hamas-Chef Yahia Sinwar und eine Handvoll Vertrauter den Angriff auf Gemeinden und Kibbuzim rund um den Gazastreifen geplant haben; 1.250 Menschen wurden dabei getötet, mehr als 250 als Geiseln genommen.
Zwölf Monate später hat Israels Krieg gegen die Hamas mehr als 41.000 Palästinenserinnen und Palästinensern das Leben gekostet, und noch immer befinden sich über neunzig Geiseln in den Händen der Hamas – lediglich sechzig von ihnen sollen noch am Leben sein. Die Wut darüber, dass Premierminister Benjamin Netanjahu deren Schicksal persönlichen Interessen unterordnet, treibt Samstag für Samstag Hunderttausende Israelis auf die Straße.
Wir gehen in diesem Spezial der Frage nach, ob der Krieg gegen Hamas und Hisbollah die Sicherheit des Landes strategisch verbessert hat – zu einem Zeitpunkt, wo Tausende israelische Soldaten in den Libanon eingerückt sind, der dritten Invasion des nördlichen Nachbarn in einem halben Jahrhundert. Und wo Irans Stellvertretermilizen im Jemen, Irak und Syrien nicht aufhören, Israel mit Drohnen und Raketen zu beschießen. Vera Weidenbach beschreibt außerdem, wie die von Hamas-Kämpfern am 7. Oktober vergewaltigen Frauen weiter auf Gerechtigkeit warten.
Und wir werfen einen Blick auf die Rolle Deutschlands im größten Nahost-Krieg seit der Irak-Invasion der USA 2003. Ist die Bundesregierung ihrem Anspruch gerecht geworden, Israel so zu schützen wie es Angela Merkels Diktum von der Sicherheit des Landes als Teil deutscher Staatsräson suggeriert? Das hat Wilhelmine Preußen außen- und verteidigungspolitische Sprecher der Bundestagsfraktionen gefragt. Thomas Wiegold gibt einen Überblick darüber, wie Deutschland Israel militärisch unterstützt.
Ihnen einen guten Start in die Woche,

Für Shimshon Talker ist das Massaker vom 7. Oktober auch ein Jahr später nicht vorbei. 29 Stunden verschanzte sich der Mann im Schutzraum seines Hauses im Kibbuz Kfar Aza, ehe Eliteeinheiten der Israel Defense Forces (IDF) endlich eintrafen, um ihn und die wenigen anderen Überlebenden des Terrorüberfalls zu retten. “Normalerweise ist man in Israel nie allein”, sagt der 65-Jährige in Tel Aviv, wo er in einem Hotel untergebracht ist, weil eine Rückkehr an den Rand des Kriegsgebiets weiter nicht möglich ist. “Aber an diesem Tag hat die Armee uns alle im Stich gelassen, und bis heute wissen wir nicht, ob sie uns künftig schützen kann.” Von den rund 950 Bewohnern Kfar Azas tötete die Hamas 64, 19 entführte sie.
Talker bringt auf den Punkt, was viele seiner Landsleute denken. Als Israels 9/11 ist der 7. Oktober bereits beschrieben worden – wegen der vielen Opfer, und weil die Geheimdienste des Landes von dem Überfall völlig überrascht wurden. Mit einem Mal starb der Mythos des wegen seiner spektakulären Aktionen weltweit bewunderten und gefürchteten Auslandsgeheimdienstes Mossad. Aber auch der Inlandsgeheimdienst Shin Bet, die IDF-Spezialeinheit Unit 8200 sowie der Militärgeheimdienst standen blank da. Und das, obwohl IDF-Analystinnen ein halbes Jahr vor dem Überfall genaue Pläne der von der Hamas “al-Aqsa-Flut” genannten Operation vorlagen.
“Soweit bisher erkennbar, fehlte es auf israelischer Seite weniger an nachrichtendienstlich beschafften Hinweisen und technischen Aufklärungsergebnissen”, sagt Gerhard Conrad, der frühere Leiter des Leitungsstabs des Bundesnachrichtendienstes (BND) im Gespräch mit Table.Briefings. Ausschlaggebend für die “strategische Fehlleistung der israelischen Dienste sowie der militärischen und politischen Führung im Vorfeld des Krieges” scheine vielmehr “ein vorgefasstes, allseits in Diensten, Politik und Militär geteiltes Lagebild gewesen zu sein, in dem die Möglichkeit einer Transformation von Teilen der Hamas von einer aus dem Untergrund agierenden Terrormiliz in eine modern ausgerüstete und zum Gefecht der verbundenen Waffen befähigte Truppe nicht ernsthaft erwogen worden ist.”
Dass es Israel in den vergangenen zwölf Monaten jedoch gelungen sei, die Hamas entscheidend zu schwächen und der Hisbollah schwere Schläge zuzufügen, stelle “die außergewöhnlichen Befähigungen der israelischen Geheimdienste zu einer über Jahre hinweg betriebenen, in die Tiefe gehenden Aufklärung der militärischen und politischen Gegner” unter Beweis, so Conrad, der in den 2000er und 2010er Jahren bei mehreren Gefangenen- und Geiselaustauschen als Vermittler zwischen Israel, Hamas und der Hisbollah tätig war.
Der Geheimdienst- und Sicherheitsexperte der israelischen Tageszeitung Haaretz, Yossi Melman, zieht eine kritischere Bilanz von Armee und Geheimdiensten im Gazastreifen. Zwar sei es gelungen, “die Hamas als militärische Kraft zu besiegen”, sagt er zu Table.Briefings. Doch von der Erreichung des Kriegsziels Ministerpräsident Benjamin Netanjahus, die Organisation politisch von der Macht in Gaza zu entfernen und militärisch zu zerschlagen, sei man weit entfernt. “Quicklebendig” sei die Terrormiliz, die in den vergangenen Monaten zu Guerillataktiken übergegangen sei, wie sie sie bereits während des Gaza-Krieges 2014 praktiziert habe, so Melman – mithilfe von Sprengfallen, Minen und leichten Panzerabwehrwaffen. Conrad konstatiert: “Hamas ist bis auf Weiteres auf ein Terrornetzwerk reduziert worden, dessen operative Reichweite nicht sehr weit über Gaza hinausreicht. Subversive und terroristische Handlungsoptionen und -potenziale bestehen noch in der Westbank.”
Auch mit Blick auf den Libanon ist Melman skeptisch, ob die Mitte September massiv ausgeweiteten Schläge gegen Kommandeure, Waffendepots, Abschussrampen und Kommunikationsnetze der Hisbollah Israel langfristig strategisch in eine bessere Lage versetzten. Was der längste Waffengang seit dem Unabhängigkeitskrieg 1947/48 vielmehr produziert habe, sei ein erheblicher Vertrauensverlust in die Führungsfähigkeiten der Armeespitze, was “einen moralischen Wendepunkt in der Geschichte Israels” bedeute.
Denn auch wenn die von Ex-BND-Mann Conrad hervorgehobene “Reduktion der unmittelbaren militärischen Gefährdungslage Israels” zutreffe, vor allem dann, “wenn es gelingen sollte, den iranischen Nachschub wirksam zu reduzieren oder gar abzuschneiden”, fehlt es Netanjahus Regierung an politischen Optionen für eine Zeit nach den Kämpfen: “Israel kann einen so langen Abnutzungskrieg nicht durchhalten”, sagt Melman.
Das sieht auch Mairav Zonszein so, Israel-Expertin der International Crisis Group (ICG). “Der Einmarsch im Libanon ist nichts weiter als eine Verlängerung von Netanjahus Strategie eines Krieges ohne Ende”, sagt sie zu Table.Briefings. Ohne diplomatische Lösung stehe zu befürchten, dass sich die IDF wie nach der Invasion 1982 über Jahre im Libanon festsetzen. Die Nettoverluste der Operation würden damit deutlich höher ausfallen als es die militärischen Erfolge der vergangenen Wochen erscheinen ließen, so Zonszein. “Eines ist ein Jahr nach dem 7. Oktober klar: Es gibt keinen Plan für den Tag danach, und so wie es nicht gelungen ist, die Hamas zu zerstören, wird es auch nicht gelingen, die Hisbollah zu zerschlagen.”
Ganz abgesehen von der Gefahr einer weiteren Ausweitung des Konflikts, dem in einem Jahr mehr Menschen zum Opfer gefallen sind als in allen vorherigen Kriegen im Nahen Osten seit Gründung Israels 1948 – fast 42.000 Tote auf palästinensischer und jeweils mehr als 2.000 auf libanesischer Seite sowie israelischer Seite. Am Freitag rief Irans Oberster Führer, Ajatollah Ali Khamenei, Muslime in aller Welt dazu auf, ihre “Anstrengungen und Fähigkeiten” zu verdoppeln. “Widersteht dem aggressiven Feind”, sagte er bei seinem ersten öffentlichen Auftritt seit der Tötung Hisbollah-Generalsekretärs Hassan Nasrallah Ende September und pries den Raketenangriff auf Israel von vergangener Woche als “Mindeststrafe”: “Jeder Schlag gegen das zionistische Regime ist ein Dienst an der gesamten Menschheit.”
Die Aufklärung der Verbrechen der Hamas am 7. Oktober 2023 ist nicht abgeschlossen. Das gilt insbesondere in Bezug auf sexualisierte Gewalt, die Hamas-Terroristen während des Überfalls verübten. In einem Krieg, der weltweit polarisiert, wird das Thema auf der einen Seite von der Terrororganisation und teilweise auch von propalästinensischen Aktivisten geleugnet. Auf israelischer Seite herrscht ein Gefühl der mangelnden Solidarität des Westens nach dem 7. Oktober, das sich in Bezug auf die sexualisierte Gewalt mit dem Protest-Slogan jüdischer Organisationen zusammenfassen lässt: “Me too, unless you are a jew”.
Sowohl zivilgesellschaftliche Organisationen in Israel als auch die Sonderbeauftragte der Vereinten Nationen für sexualisierte Gewalt in Konflikten, Pramila Patten, beklagen die mangelnde Kooperation israelischer Behörden, die Zugänge zu Beweisen und Untersuchungsergebnissen nicht möglich machten. Auch das ohnehin von Misstrauen geprägte Verhältnis zwischen Israel und den UN macht es nicht einfacher, ein klares Bild der Verbrechen zu zeichnen. Polizei und Staatsanwaltschaft haben die Ermittlungen übernommen, Anklagen gibt es bisher allerdings keine.
Im Januar reiste Pramila Patten nach Israel und ins Westjordanland. Ihr Bericht kommt zu dem Schluss, dass die Belege für sexualisierte Gewalt durch die Hamas glaubwürdig und hinreichend sind. Er weist auch darauf hin, dass weibliche Geiseln vergewaltigt wurden und sie dieser Gefahr in Gefangenschaft weiterhin ausgesetzt sind. Der Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs (ICC), Karim Ahmad Khan, führte im Mai bei der Beantragung von Haftbefehlen gegen drei Hamas-Anführer “Vergewaltigung und andere sexuelle Verbrechen gegen die Menschlichkeit” explizit auf. In der Öffentlichkeit dominierte die Kritik Israels an dem Gericht in Den Haag, dass es wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen nicht nur Haftbefehle gegen Hamas-Führungsmitglieder beantragte, sondern auch gegen Angehörige der israelischen Regierung, darunter Ministerpräsident Benjamin Netanjahu. Außenminister Israel Katz beschuldigte die UN, zu den Sexualverbrechen zu schweigen.
Neben dem Patten-Bericht hat die israelische Association of Rape Crisis Centerseinen umfassenden Bericht vorgelegt. Er kommt grundsätzlich zu einem ähnlichen Urteil wie die UN. Die Unterschiede liegen vor allem in der Einschätzung des Ausmaßes und der Systematik der sexuellen Gewalt. Grundsätzliche Schwierigkeiten, mit denen beide Teams konfrontiert waren: Viele Leichen wurden, wie es der jüdische Bestattungsritus verlangt, nach vierundzwanzig Stunden verbrannt und nicht forensisch untersucht. Auch viele der Ersthelfer waren dafür nicht ausgebildet und veränderten die Position von Frauenkörpern, oder bedeckten sie, manchmal aus religiösen Gründen.
Der UN-Bericht legte hohe Maßstäbe an die gezählten Beweise: Zum Beispiel mussten die Informationen von mindestens zwei unabhängigen Quellen bestätigt sein. Trotz dieser Hürden kommt er zu dem Ergebnis, dass es Vergewaltigungen und Gruppenvergewaltigungen an mindestens drei unterschiedlichen Orten gegeben habe: Am Schauplatz des Nova-Festivals, neben dem Highway 232 und in der Nähe des eines Kibbuz. Der Bericht beschreibt außerdem ein Muster, wie hauptsächlich weibliche Leichen nach dem Attentat vorgefunden wurden: gefesselt und erschossen, nackt oder mit nacktem Unterkörper. “Obwohl nur ein Indiz, könnte ein solches Muster des Entkleidens und Fesselns von Opfern ein Hinweis auf Formen sexualisierter Gewalt sein”, schließt der Bericht dennoch sehr vorsichtig.
Diese Systematik ist es, die der israelische Bericht stärker bewertet. Außerdem werden mehr Vorfälle und Orte gemeldet, an denen die Verbrechen stattfanden. Er stützt sich neben Zeugenaussagen von Ersthelfern und Zeugen sowie vertraulichen Informationen von Betroffenen auch auf journalistische Recherchen. In dem Bericht werden Zeugen zitiert und die Fälle und Muster der sexualisierten Gewalt, die Hamas-Terroristen verübten, aufgelistet. Zu den im UN-Bericht aufgeführten Tatbeständen kommen demnach Angriffe auf Männer (laut Zeugenaussagen wurden Männerleichen mit abgetrennten Genitalien gefunden) sowie Vergewaltigung vor Familienmitgliedern hinzu. Es gibt mehrere Zeugenaussagen über Leichen, die in der Umgebung des Nova-Festivals an Bäumen gefesselt waren. Sie werden auch im UN-Bericht erwähnt.
Dass sexualisierte Gewalt in Kriegen von Konfliktparteien instrumentalisiert wird, beobachten Frauenrechtsorganisationen in vielen Fällen. “Politisch und gesellschaftlich thematisiert und instrumentalisiert wird die Gewalt vor allem, wenn es darum geht, bestimme Narrative zu bedienen”, sagt Sara Fremberg von der Frauenrechtsorganisation Medica Mondiale. “Nach dem 7. Oktober haben wir mit großer Sorge beobachtet, wie die sexualisierten Gewaltverbrechen wiederholt geleugnet und angezweifelt wurden.” Auch israelische Frauenrechtsorganisationen hätten das so wahrgenommen, sagt Fremberg. Politische Instrumentalisierung erschwere die Aufklärung, woran am meisten die Überlebenden litten, deren Bedarf an medizinischer, psychosozialer und rechtlicher Unterstützung nicht berücksichtigt werden.
Israels Sicherheit sei “Teil der Staatsräson meines Landes” hat die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel 2008 vor der israelischen Knesset gesagt. Ein Jahr nach dem 7. Oktober 2023, an dem Terroristen der Hamas Israel überfielen, 1139 Menschen töteten und Hunderte Geiseln nahmen, hat Table.Briefings Außen- und Sicherheitspolitiker im Bundestag gefragt: Inwiefern ist Deutschland diesem Bekenntnis zu Israels Sicherheit nach dem schlimmsten Massaker an Juden seit dem Holocaust gerecht geworden – auch militärisch?
Nils Schmid, außenpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion
Die Sicherheit Israels als Heimstätte für das jüdische Volk ist deutsche Staatsräson. Dies ist eine zentrale Lehre aus den deutschen Verbrechen des Zweiten Weltkriegs. Nie wieder darf es eine Welt geben, in der es für Jüdinnen und Juden keinen Zufluchtsort vor Antisemitismus und systematischer Gewalt gibt.
Die daraus entstehende Verantwortung Deutschlands umfasst militärische Unterstützung. Deshalb haben wir auch nach dem 7. Oktober Waffen geliefert. Die Verpflichtung gilt einem Israel in den Grenzen von 1967, das auf den Grundfesten seiner Unabhängigkeitserklärung und internationalem Recht ruht. Dies verbindet Deutschland mit allen Bürgerinnen und Bürgern Israels, ob jüdisch oder palästinensisch.
Israel kann nur in Sicherheit leben, wenn auch die Palästinenser in Sicherheit leben. Dazu braucht es einen palästinensischen Staat. Militärische Stärke allein wird keinen Frieden bringen, es braucht eine politische Lösung des Konflikts. Dafür betreibt Deutschland intensive diplomatische Anstrengungen und spricht mit all seinen Partnern vor Ort. Seit dem 7. Oktober war Außenministerin Baerbock elfmal in der Region.
Wir tun alles, um Gesprächskanäle zu öffnen und gemeinsam mit Gleichgesinnten nach Lösungen zu suchen. Israelis und Palästinenser müssen eines Tages Seite an Seite und ohne Terror auf der Grundlage einer verhandelten Zwei-Staaten-Lösung leben können. Den Menschen muss ein Leben in Sicherheit, Freiheit, Würde und mit gleichen Rechten ermöglicht werden.
Florian Hahn, verteidigungspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion
Der schreckliche Überfall der Hamas und die Angriffe des Irans auf Israel waren eine Zäsur. Ich hätte mir gewünscht, dass die Bundesregierung Israel in dieser schwierigen Zeit eine substantielle Unterstützung beispielsweise in Form eines militärischen Beitrags mit Kräften aus Deutschland angeboten hätte. Andere Nationen wie die USA, Großbritannien und auch Jordanien haben es vorgemacht, als sie Israel bei der Abwehr der iranischen Raketenangriffe unterstützt haben. Für ein deutsches Engagement hätte es auch gute Anknüpfungspunkte gegeben: Durch vorangegangene gemeinsame Übungen besteht beispielsweise ein großes Vertrauen zwischen der israelischen und der deutschen Luftwaffe. Genau das hätte man für ein Angebot – mit Eurofightern zur Luftverteidigung Israels beizutragen – nutzen können. Auch weitere Fähigkeiten wie Luftraumüberwachung und weitere Aufklärungskapazitäten wären denkbar gewesen und hätten ein entschiedenes Signal gesendet, dass wir Israel zur Seite stehen und uns unserer historischen Verantwortung bewusst sind. Auf diplomatischer Ebene hätte ich mir ebenfalls deutlichere Signale – beispielsweise beim Stimmverhalten Deutschlands bei den Vereinten Nationen – gewünscht. Das alles hat die Bundesregierung leider versäumt. Daher muss ich konstatieren, dass meine Bewertung des Engagements der Bundesregierung für Israel leider nicht positiv ausfallen kann.
Sara Nanni, sicherheitspolitische Sprecherin der Grünen
Die Sicherheit Israels ist deutsche Staatsräson. Die deutsche NS-Geschichte, die furchtbaren Verbrechen an den Jüdinnen und Juden Europas, verpflichten Deutschland dazu, sich für die Sicherheit Israels und gegen Antisemitismus in Deutschland und weltweit einzusetzen. Die Existenz des Staates Israel ist für Deutsche nicht verhandelbar. Das gilt insbesondere nach den brutalen Terroranschlägen des 7. Oktober 2023. Das heißt nicht, dass wir gegenüber der jeweils aktuellen israelischen Regierung keine Kritik üben würden oder unsere Differenzen verschleiern. Die unterschiedlichen Sichtweisen auf Siedlungsbau und Kriegsführung treten in den letzten Monaten besonders zu Tage, sind aber nicht gänzlich neu und waren somit immer Teil der Auseinandersetzung, was Staatsräson konkret heißt. Wir – Deutsche und Israelis – müssen diese Spannung gemeinsam aushalten. Dabei gilt es immer im Blick zu behalten, dass Staatsräson nicht nur für die einfachen Zeiten gilt, sondern besonders für die schweren. Deshalb ist es richtig, wenn die Bundesrepublik in den internationalen Gremien und bei den Verhandlungen in der Region vor allem auch die Sicherheit Israels in den Blick nimmt. Genauso richtig ist es, darauf zu pochen, dass das humanitäre Völkerrecht eingehalten wird. Israels größte Stärke für eine sichere Zukunft und sein langfristig bester Schutz ist seine Menschlichkeit, sein Bekenntnis zu demokratischen Werten, dem Völkerrecht und den Menschenrechten.
Marcus Faber, FDP, Vorsitzender des Verteidigungsausschusses
Seit dem 7. Oktober hat Deutschland in Worten klar seine Solidarität mit Israel betont, doch in der Umsetzung unserer Staatsräson – auch militärisch – sind wir dem nur teilweise gerecht geworden. Während die Bundeswehr humanitäre Hilfe in Gaza leistet und wir unsere Unterstützung stets unterstrichen haben, blieb die Enthaltung bei der UN-Resolution zum sofortigen Waffenstillstand ein Fehler. Deutschland hätte mit “Nein” stimmen müssen, um deutlich zu machen, dass ein Waffenstillstand ohne die Zerschlagung der Hamas nicht möglich ist. Diese Entscheidung hat unserer Glaubwürdigkeit geschadet und steht im Widerspruch zu unserem eigenen Anspruch, Israels Sicherheit zu unterstützen. Militärisch gesehen war es richtig, keine Truppen nach Israel zu entsenden, da Israel dies nicht angefragt hat und eine kurzfristige Integration deutscher Kräfte schwierig gewesen wäre. Dennoch hätten wir Israel schneller mit Rüstungsexporten unterstützen müssen. Die Verzögerungen in den Genehmigungsverfahren zeigen, dass wir in dieser Hinsicht zu langsam reagiert haben. Schnelle und unbürokratische Unterstützung hätte Israel militärisch frühzeitiger gestärkt.
Die Bundesrepublik hat durch ihre humanitären Einsätze und diplomatischen Schritte gezeigt, dass wir unserer Verantwortung bewusst sind. Doch gerade in Krisenzeiten muss der Anspruch der Staatsräson noch entschlossener umgesetzt werden, um den Wert der deutsch-israelischen Beziehungen zu wahren und die Sicherheit Israels langfristig zu gewährleisten.
Die SPD-Fraktion hat sich dazu entschlossen, die Frage vom außenpolitischen Sprecher und nicht vom verteidigungspolitischen Sprecher beantworten zu lassen. Der verteidigungspolitische Sprecher der Linken lieferte bis Redaktionsschluss kein Statement.
Als der Iran vergangene Woche mit rund 180 Raketen Israel angriff, beteiligten sich auch die USA an der Abwehr. Bereits im April, als Teheran hunderte von Raketen, Drohnen und Marschflugkörpern auf Israel schoss, schützten westliche Verbündete den Luftraum. Die USA, Großbritannien und Frankreich wehrten einen Teil der Geschosse ab, ehe sie israelisches Gebiet erreichen konnten. Die Bundeswehr war formal nicht beteiligt: Dass ein deutsches Tankflugzeug über Jordanien französische Kampfjets kurz vor diesem Einsatz mit Sprit versorgt hatte, war nach deutscher Lesart eine Unterstützung im Kampf gegen den Islamischen Staat und damit vom Bundestagsmandat für diese Mission erlaubt.
Eine direkte deutsche militärische Unterstützung Israels gegen einen Angriff dagegen wäre – unabhängig vom politischen Willen – rechtlich kaum möglich. Das dafür nötige Mandat würde vermutlich im Parlament eine Mehrheit finden, offen bleibt aber die rechtliche Grundlage. Denn das Grundgesetz schreibt für den Einsatz der Bundeswehr außerhalb von Landes- und Bündnisverteidigung vor, dass er in einem “System kollektiver Sicherheit” stattfinden muss. Das ist in diesem Fall kaum denkbar: Ein Beschluss des UN-Sicherheitsrats ist für einen Einsatz zugunsten Israels ebenso wenig wahrscheinlich wie ein kollektives Eingreifen der Nato.
Während die deutschen rechtlichen Selbst-Beschränkungen – eine Lehre aus den Weltkriegen des vergangenen Jahrhunderts – ein militärisches Eingreifen unwahrscheinlich machen, hat die deutsche Unterstützung der vergangenen Jahrzehnte Israel ein mächtiges Instrument der Verteidigung an die Hand gegeben. Auf deutschen Werften, zum Teil finanziert von der deutschen Regierung, wurden U-Boote für die israelische Marine gebaut – und damit ein wesentlicher Teil der nuklearen Abschreckungsfähigkeit des Landes.
Offiziell haben israelische Regierungen nie bestätigt, dass die Streitkräfte über Atomwaffen verfügen. Diese “strategische Ambiguität” ist bewusst eingesetzter Teil der Politik Israels. Allerdings ist es ein offenes Geheimnis, dass die Boote aus deutscher Produktion so konstruiert wurden, dass Israel sie als Träger von Nuklearwaffen einsetzen kann. Die fünf U-Boote der “Dolphin”- und der “Tanin”-Klasse sollen nuklearfähige Marschflugkörper verschießen können. Das sechste Boot, bereits “Drakon” getauft, lief im August vergangenen Jahres in Kiel vom Stapel und wurde noch nicht ausgeliefert. Es soll nach unbestätigten Berichten erstmals über senkrechte Startanlagen (Vertical Launch System) für Raketen oder Marschflugkörper verfügen und ebenfalls Atomwaffen einsetzen können.
Mit den Booten, die rotierend im Einsatz sind, will Israel sicherstellen, dass die Israeli Defence Forces (IDF) selbst dann auf einen Angriff reagieren können, wenn eine verheerende Attacke die militärischen Einrichtungen im Land zerstört – vor allem, wenn es ein Angriff mit Atomwaffen ist. Diese sogenannte nukleare Zweitschlagsfähigkeit soll einen potenziellen Gegner abschrecken, in erster Linie Iran.
Bei Lieferungen von Waffen, Munition und anderem Militärgerät aus Deutschland an Israel ist die aktuelle Situation allerdings eine andere. Nach dem Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober 2023 hatte die Bundesregierung zunächst, so weit bekannt, Anfragen Israels nach Militärgerät und Munition positiv beantwortet – auch wenn geheim blieb, was und wie viel tatsächlich geliefert wurde. Doch seit Jahresbeginn hat sich die Lage geändert. Schon für die Auslieferung des U-Boots “Drakon”, antwortete die Bundesregierung am 10. September auf eine parlamentarische Anfrage des BSW, gebe es bislang die letzte noch erforderliche Ausfuhrgenehmigung nicht. Ob sie allerdings seitdem erteilt wurde, will das Ministerium auf Anfrage ausdrücklich nicht mitteilen.
Allerdings: Im Jahr 2024 “gab es keine Ausfuhren von Kriegswaffen, das heißt Waren, die dem Kriegswaffenkontrollgesetz unterliegen, nach Israel”, heißt es in der Antwort der Bundesregierung. Zudem ging der Umfang der Genehmigungen deutlich zurück. Angesichts der seit Jahrzehnten laufenden umfangreichen Rüstungskooperation beider Länder liest es sich wie ein Schreibfehler, wenn die deutsche Regierung angibt: “Im Mai 2024 wurden Einzelgenehmigungen für die endgültige Ausfuhr von Rüstungsgütern im Gesamtwert von 187 Euro erteilt.”
Einen Stopp der Rüstungslieferungen an Israel räumt die Bundesregierung, die das Vorgehen der israelischen Streitkräfte vor allem in Gaza mehr oder weniger deutlich kritisiert hat, zwar öffentlich nicht ein. “Wir haben Israel Waffen geliefert, und wir haben keine Entscheidung getroffen, das nicht mehr zu tun. Aber wir entscheiden natürlich jedes Mal im Einzelfall“, sagte Bundeskanzler Olaf Scholz bei seiner Sommer-Pressekonferenz im Juli. Vergangene Woche bekräftigte das für Ausfuhrgenehmigungen zuständige Bundeswirtschaftsministerium das erneut: “Allgemein können wir Ihnen mitteilen, dass es keinen Genehmigungsstopp für Rüstungsexporte nach Israel gibt und es auch keinen Stopp geben wird.”
Faktisch scheinen diese Einzelfallentscheidungen allerdings vorerst auf einen generellen Stopp hinauszulaufen. Dass die Genehmigungen für Waffenlieferungen und Rüstungsexporte seit einigen Monaten nicht erteilt werden, wird aus der Regierungskoalition hinter vorgehaltener Hand bestätigt: Grund sei, dass man Urteile der laufenden Gerichtsverfahren abwarten wolle. Streitpunkt ist offensichtlich auch eine Erklärung, mit der Israel erklären soll, bestimmte Waffen nur völkerrechtskonform einzusetzen. Allerdings, auch darauf weist die Bundesregierung hin: Der Umfang deutscher Lieferungen schwankt erheblich – vor allem, weil das finanzielle Volumen jedesmal nach oben schnellt, wenn ein U-Boot oder, wie ebenfalls in den vergangenen Jahren, eine Korvette geliefert wird.
Welche Auswirkungen das derzeitige Liefert-Tief auf das auf die Zusammenarbeit beider Länder haben könnte, bleibt vorerst offen. Schließlich hat auch Deutschland umfangreiche Bestellungen in Israel laufen – als größtes Projekt das Luftverteidigungssystem “Arrow” aus israelischer Produktion. Ob wie geplant israelische Raketenartilleriesysteme des Typs PULS bestellt werden, hängt allerdings eher an den finanziellen Möglichkeiten des deutschen Verteidigungshaushalts als an der politischen Situation.
Ob dennoch ein direktes Eingreifen der Bundeswehr bei einem groß angelegten Angriff auf Israel möglich wäre, ähnlich dem Luftbetankungs-Vorgehen im April, bleibt derzeit offen: Die deutsche Fregatte “Hamburg”, eigentlich für den EU-Einsatz zum Schutz der Handelsschifffahrt im Roten Meer vor Angriffen der Huthi aus dem Jemen vorgesehen, bleibt vorerst im östlichen Mittelmeer. Während es zuerst hieß, das Schiff stehe dort für eventuelle Evakuierungsmissionen aus dem Libanon bereit, wurde der Auftrag kürzlich präzisiert: Die “Hamburg” soll mit ihrer Luftverteidigung das US-Docklandungsschiff “Wasp” vor möglichen Luftangriffen schützen. Vielleicht ja auch bei einem weiteren iranischen Angriff vor Raketen, die Richtung Israel fliegen.
es war der größte Massenmord an Jüdinnen und Juden seit dem Holocaust und der verlustreichste Tag in der Geschichte Israels: der Terrorüberfall der Hamas am 7. Oktober 2023. Über Jahre sollen Hamas-Chef Yahia Sinwar und eine Handvoll Vertrauter den Angriff auf Gemeinden und Kibbuzim rund um den Gazastreifen geplant haben; 1.250 Menschen wurden dabei getötet, mehr als 250 als Geiseln genommen.
Zwölf Monate später hat Israels Krieg gegen die Hamas mehr als 41.000 Palästinenserinnen und Palästinensern das Leben gekostet, und noch immer befinden sich über neunzig Geiseln in den Händen der Hamas – lediglich sechzig von ihnen sollen noch am Leben sein. Die Wut darüber, dass Premierminister Benjamin Netanjahu deren Schicksal persönlichen Interessen unterordnet, treibt Samstag für Samstag Hunderttausende Israelis auf die Straße.
Wir gehen in diesem Spezial der Frage nach, ob der Krieg gegen Hamas und Hisbollah die Sicherheit des Landes strategisch verbessert hat – zu einem Zeitpunkt, wo Tausende israelische Soldaten in den Libanon eingerückt sind, der dritten Invasion des nördlichen Nachbarn in einem halben Jahrhundert. Und wo Irans Stellvertretermilizen im Jemen, Irak und Syrien nicht aufhören, Israel mit Drohnen und Raketen zu beschießen. Vera Weidenbach beschreibt außerdem, wie die von Hamas-Kämpfern am 7. Oktober vergewaltigen Frauen weiter auf Gerechtigkeit warten.
Und wir werfen einen Blick auf die Rolle Deutschlands im größten Nahost-Krieg seit der Irak-Invasion der USA 2003. Ist die Bundesregierung ihrem Anspruch gerecht geworden, Israel so zu schützen wie es Angela Merkels Diktum von der Sicherheit des Landes als Teil deutscher Staatsräson suggeriert? Das hat Wilhelmine Preußen außen- und verteidigungspolitische Sprecher der Bundestagsfraktionen gefragt. Thomas Wiegold gibt einen Überblick darüber, wie Deutschland Israel militärisch unterstützt.
Ihnen einen guten Start in die Woche,

Für Shimshon Talker ist das Massaker vom 7. Oktober auch ein Jahr später nicht vorbei. 29 Stunden verschanzte sich der Mann im Schutzraum seines Hauses im Kibbuz Kfar Aza, ehe Eliteeinheiten der Israel Defense Forces (IDF) endlich eintrafen, um ihn und die wenigen anderen Überlebenden des Terrorüberfalls zu retten. “Normalerweise ist man in Israel nie allein”, sagt der 65-Jährige in Tel Aviv, wo er in einem Hotel untergebracht ist, weil eine Rückkehr an den Rand des Kriegsgebiets weiter nicht möglich ist. “Aber an diesem Tag hat die Armee uns alle im Stich gelassen, und bis heute wissen wir nicht, ob sie uns künftig schützen kann.” Von den rund 950 Bewohnern Kfar Azas tötete die Hamas 64, 19 entführte sie.
Talker bringt auf den Punkt, was viele seiner Landsleute denken. Als Israels 9/11 ist der 7. Oktober bereits beschrieben worden – wegen der vielen Opfer, und weil die Geheimdienste des Landes von dem Überfall völlig überrascht wurden. Mit einem Mal starb der Mythos des wegen seiner spektakulären Aktionen weltweit bewunderten und gefürchteten Auslandsgeheimdienstes Mossad. Aber auch der Inlandsgeheimdienst Shin Bet, die IDF-Spezialeinheit Unit 8200 sowie der Militärgeheimdienst standen blank da. Und das, obwohl IDF-Analystinnen ein halbes Jahr vor dem Überfall genaue Pläne der von der Hamas “al-Aqsa-Flut” genannten Operation vorlagen.
“Soweit bisher erkennbar, fehlte es auf israelischer Seite weniger an nachrichtendienstlich beschafften Hinweisen und technischen Aufklärungsergebnissen”, sagt Gerhard Conrad, der frühere Leiter des Leitungsstabs des Bundesnachrichtendienstes (BND) im Gespräch mit Table.Briefings. Ausschlaggebend für die “strategische Fehlleistung der israelischen Dienste sowie der militärischen und politischen Führung im Vorfeld des Krieges” scheine vielmehr “ein vorgefasstes, allseits in Diensten, Politik und Militär geteiltes Lagebild gewesen zu sein, in dem die Möglichkeit einer Transformation von Teilen der Hamas von einer aus dem Untergrund agierenden Terrormiliz in eine modern ausgerüstete und zum Gefecht der verbundenen Waffen befähigte Truppe nicht ernsthaft erwogen worden ist.”
Dass es Israel in den vergangenen zwölf Monaten jedoch gelungen sei, die Hamas entscheidend zu schwächen und der Hisbollah schwere Schläge zuzufügen, stelle “die außergewöhnlichen Befähigungen der israelischen Geheimdienste zu einer über Jahre hinweg betriebenen, in die Tiefe gehenden Aufklärung der militärischen und politischen Gegner” unter Beweis, so Conrad, der in den 2000er und 2010er Jahren bei mehreren Gefangenen- und Geiselaustauschen als Vermittler zwischen Israel, Hamas und der Hisbollah tätig war.
Der Geheimdienst- und Sicherheitsexperte der israelischen Tageszeitung Haaretz, Yossi Melman, zieht eine kritischere Bilanz von Armee und Geheimdiensten im Gazastreifen. Zwar sei es gelungen, “die Hamas als militärische Kraft zu besiegen”, sagt er zu Table.Briefings. Doch von der Erreichung des Kriegsziels Ministerpräsident Benjamin Netanjahus, die Organisation politisch von der Macht in Gaza zu entfernen und militärisch zu zerschlagen, sei man weit entfernt. “Quicklebendig” sei die Terrormiliz, die in den vergangenen Monaten zu Guerillataktiken übergegangen sei, wie sie sie bereits während des Gaza-Krieges 2014 praktiziert habe, so Melman – mithilfe von Sprengfallen, Minen und leichten Panzerabwehrwaffen. Conrad konstatiert: “Hamas ist bis auf Weiteres auf ein Terrornetzwerk reduziert worden, dessen operative Reichweite nicht sehr weit über Gaza hinausreicht. Subversive und terroristische Handlungsoptionen und -potenziale bestehen noch in der Westbank.”
Auch mit Blick auf den Libanon ist Melman skeptisch, ob die Mitte September massiv ausgeweiteten Schläge gegen Kommandeure, Waffendepots, Abschussrampen und Kommunikationsnetze der Hisbollah Israel langfristig strategisch in eine bessere Lage versetzten. Was der längste Waffengang seit dem Unabhängigkeitskrieg 1947/48 vielmehr produziert habe, sei ein erheblicher Vertrauensverlust in die Führungsfähigkeiten der Armeespitze, was “einen moralischen Wendepunkt in der Geschichte Israels” bedeute.
Denn auch wenn die von Ex-BND-Mann Conrad hervorgehobene “Reduktion der unmittelbaren militärischen Gefährdungslage Israels” zutreffe, vor allem dann, “wenn es gelingen sollte, den iranischen Nachschub wirksam zu reduzieren oder gar abzuschneiden”, fehlt es Netanjahus Regierung an politischen Optionen für eine Zeit nach den Kämpfen: “Israel kann einen so langen Abnutzungskrieg nicht durchhalten”, sagt Melman.
Das sieht auch Mairav Zonszein so, Israel-Expertin der International Crisis Group (ICG). “Der Einmarsch im Libanon ist nichts weiter als eine Verlängerung von Netanjahus Strategie eines Krieges ohne Ende”, sagt sie zu Table.Briefings. Ohne diplomatische Lösung stehe zu befürchten, dass sich die IDF wie nach der Invasion 1982 über Jahre im Libanon festsetzen. Die Nettoverluste der Operation würden damit deutlich höher ausfallen als es die militärischen Erfolge der vergangenen Wochen erscheinen ließen, so Zonszein. “Eines ist ein Jahr nach dem 7. Oktober klar: Es gibt keinen Plan für den Tag danach, und so wie es nicht gelungen ist, die Hamas zu zerstören, wird es auch nicht gelingen, die Hisbollah zu zerschlagen.”
Ganz abgesehen von der Gefahr einer weiteren Ausweitung des Konflikts, dem in einem Jahr mehr Menschen zum Opfer gefallen sind als in allen vorherigen Kriegen im Nahen Osten seit Gründung Israels 1948 – fast 42.000 Tote auf palästinensischer und jeweils mehr als 2.000 auf libanesischer Seite sowie israelischer Seite. Am Freitag rief Irans Oberster Führer, Ajatollah Ali Khamenei, Muslime in aller Welt dazu auf, ihre “Anstrengungen und Fähigkeiten” zu verdoppeln. “Widersteht dem aggressiven Feind”, sagte er bei seinem ersten öffentlichen Auftritt seit der Tötung Hisbollah-Generalsekretärs Hassan Nasrallah Ende September und pries den Raketenangriff auf Israel von vergangener Woche als “Mindeststrafe”: “Jeder Schlag gegen das zionistische Regime ist ein Dienst an der gesamten Menschheit.”
Die Aufklärung der Verbrechen der Hamas am 7. Oktober 2023 ist nicht abgeschlossen. Das gilt insbesondere in Bezug auf sexualisierte Gewalt, die Hamas-Terroristen während des Überfalls verübten. In einem Krieg, der weltweit polarisiert, wird das Thema auf der einen Seite von der Terrororganisation und teilweise auch von propalästinensischen Aktivisten geleugnet. Auf israelischer Seite herrscht ein Gefühl der mangelnden Solidarität des Westens nach dem 7. Oktober, das sich in Bezug auf die sexualisierte Gewalt mit dem Protest-Slogan jüdischer Organisationen zusammenfassen lässt: “Me too, unless you are a jew”.
Sowohl zivilgesellschaftliche Organisationen in Israel als auch die Sonderbeauftragte der Vereinten Nationen für sexualisierte Gewalt in Konflikten, Pramila Patten, beklagen die mangelnde Kooperation israelischer Behörden, die Zugänge zu Beweisen und Untersuchungsergebnissen nicht möglich machten. Auch das ohnehin von Misstrauen geprägte Verhältnis zwischen Israel und den UN macht es nicht einfacher, ein klares Bild der Verbrechen zu zeichnen. Polizei und Staatsanwaltschaft haben die Ermittlungen übernommen, Anklagen gibt es bisher allerdings keine.
Im Januar reiste Pramila Patten nach Israel und ins Westjordanland. Ihr Bericht kommt zu dem Schluss, dass die Belege für sexualisierte Gewalt durch die Hamas glaubwürdig und hinreichend sind. Er weist auch darauf hin, dass weibliche Geiseln vergewaltigt wurden und sie dieser Gefahr in Gefangenschaft weiterhin ausgesetzt sind. Der Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs (ICC), Karim Ahmad Khan, führte im Mai bei der Beantragung von Haftbefehlen gegen drei Hamas-Anführer “Vergewaltigung und andere sexuelle Verbrechen gegen die Menschlichkeit” explizit auf. In der Öffentlichkeit dominierte die Kritik Israels an dem Gericht in Den Haag, dass es wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen nicht nur Haftbefehle gegen Hamas-Führungsmitglieder beantragte, sondern auch gegen Angehörige der israelischen Regierung, darunter Ministerpräsident Benjamin Netanjahu. Außenminister Israel Katz beschuldigte die UN, zu den Sexualverbrechen zu schweigen.
Neben dem Patten-Bericht hat die israelische Association of Rape Crisis Centerseinen umfassenden Bericht vorgelegt. Er kommt grundsätzlich zu einem ähnlichen Urteil wie die UN. Die Unterschiede liegen vor allem in der Einschätzung des Ausmaßes und der Systematik der sexuellen Gewalt. Grundsätzliche Schwierigkeiten, mit denen beide Teams konfrontiert waren: Viele Leichen wurden, wie es der jüdische Bestattungsritus verlangt, nach vierundzwanzig Stunden verbrannt und nicht forensisch untersucht. Auch viele der Ersthelfer waren dafür nicht ausgebildet und veränderten die Position von Frauenkörpern, oder bedeckten sie, manchmal aus religiösen Gründen.
Der UN-Bericht legte hohe Maßstäbe an die gezählten Beweise: Zum Beispiel mussten die Informationen von mindestens zwei unabhängigen Quellen bestätigt sein. Trotz dieser Hürden kommt er zu dem Ergebnis, dass es Vergewaltigungen und Gruppenvergewaltigungen an mindestens drei unterschiedlichen Orten gegeben habe: Am Schauplatz des Nova-Festivals, neben dem Highway 232 und in der Nähe des eines Kibbuz. Der Bericht beschreibt außerdem ein Muster, wie hauptsächlich weibliche Leichen nach dem Attentat vorgefunden wurden: gefesselt und erschossen, nackt oder mit nacktem Unterkörper. “Obwohl nur ein Indiz, könnte ein solches Muster des Entkleidens und Fesselns von Opfern ein Hinweis auf Formen sexualisierter Gewalt sein”, schließt der Bericht dennoch sehr vorsichtig.
Diese Systematik ist es, die der israelische Bericht stärker bewertet. Außerdem werden mehr Vorfälle und Orte gemeldet, an denen die Verbrechen stattfanden. Er stützt sich neben Zeugenaussagen von Ersthelfern und Zeugen sowie vertraulichen Informationen von Betroffenen auch auf journalistische Recherchen. In dem Bericht werden Zeugen zitiert und die Fälle und Muster der sexualisierten Gewalt, die Hamas-Terroristen verübten, aufgelistet. Zu den im UN-Bericht aufgeführten Tatbeständen kommen demnach Angriffe auf Männer (laut Zeugenaussagen wurden Männerleichen mit abgetrennten Genitalien gefunden) sowie Vergewaltigung vor Familienmitgliedern hinzu. Es gibt mehrere Zeugenaussagen über Leichen, die in der Umgebung des Nova-Festivals an Bäumen gefesselt waren. Sie werden auch im UN-Bericht erwähnt.
Dass sexualisierte Gewalt in Kriegen von Konfliktparteien instrumentalisiert wird, beobachten Frauenrechtsorganisationen in vielen Fällen. “Politisch und gesellschaftlich thematisiert und instrumentalisiert wird die Gewalt vor allem, wenn es darum geht, bestimme Narrative zu bedienen”, sagt Sara Fremberg von der Frauenrechtsorganisation Medica Mondiale. “Nach dem 7. Oktober haben wir mit großer Sorge beobachtet, wie die sexualisierten Gewaltverbrechen wiederholt geleugnet und angezweifelt wurden.” Auch israelische Frauenrechtsorganisationen hätten das so wahrgenommen, sagt Fremberg. Politische Instrumentalisierung erschwere die Aufklärung, woran am meisten die Überlebenden litten, deren Bedarf an medizinischer, psychosozialer und rechtlicher Unterstützung nicht berücksichtigt werden.
Israels Sicherheit sei “Teil der Staatsräson meines Landes” hat die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel 2008 vor der israelischen Knesset gesagt. Ein Jahr nach dem 7. Oktober 2023, an dem Terroristen der Hamas Israel überfielen, 1139 Menschen töteten und Hunderte Geiseln nahmen, hat Table.Briefings Außen- und Sicherheitspolitiker im Bundestag gefragt: Inwiefern ist Deutschland diesem Bekenntnis zu Israels Sicherheit nach dem schlimmsten Massaker an Juden seit dem Holocaust gerecht geworden – auch militärisch?
Nils Schmid, außenpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion
Die Sicherheit Israels als Heimstätte für das jüdische Volk ist deutsche Staatsräson. Dies ist eine zentrale Lehre aus den deutschen Verbrechen des Zweiten Weltkriegs. Nie wieder darf es eine Welt geben, in der es für Jüdinnen und Juden keinen Zufluchtsort vor Antisemitismus und systematischer Gewalt gibt.
Die daraus entstehende Verantwortung Deutschlands umfasst militärische Unterstützung. Deshalb haben wir auch nach dem 7. Oktober Waffen geliefert. Die Verpflichtung gilt einem Israel in den Grenzen von 1967, das auf den Grundfesten seiner Unabhängigkeitserklärung und internationalem Recht ruht. Dies verbindet Deutschland mit allen Bürgerinnen und Bürgern Israels, ob jüdisch oder palästinensisch.
Israel kann nur in Sicherheit leben, wenn auch die Palästinenser in Sicherheit leben. Dazu braucht es einen palästinensischen Staat. Militärische Stärke allein wird keinen Frieden bringen, es braucht eine politische Lösung des Konflikts. Dafür betreibt Deutschland intensive diplomatische Anstrengungen und spricht mit all seinen Partnern vor Ort. Seit dem 7. Oktober war Außenministerin Baerbock elfmal in der Region.
Wir tun alles, um Gesprächskanäle zu öffnen und gemeinsam mit Gleichgesinnten nach Lösungen zu suchen. Israelis und Palästinenser müssen eines Tages Seite an Seite und ohne Terror auf der Grundlage einer verhandelten Zwei-Staaten-Lösung leben können. Den Menschen muss ein Leben in Sicherheit, Freiheit, Würde und mit gleichen Rechten ermöglicht werden.
Florian Hahn, verteidigungspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion
Der schreckliche Überfall der Hamas und die Angriffe des Irans auf Israel waren eine Zäsur. Ich hätte mir gewünscht, dass die Bundesregierung Israel in dieser schwierigen Zeit eine substantielle Unterstützung beispielsweise in Form eines militärischen Beitrags mit Kräften aus Deutschland angeboten hätte. Andere Nationen wie die USA, Großbritannien und auch Jordanien haben es vorgemacht, als sie Israel bei der Abwehr der iranischen Raketenangriffe unterstützt haben. Für ein deutsches Engagement hätte es auch gute Anknüpfungspunkte gegeben: Durch vorangegangene gemeinsame Übungen besteht beispielsweise ein großes Vertrauen zwischen der israelischen und der deutschen Luftwaffe. Genau das hätte man für ein Angebot – mit Eurofightern zur Luftverteidigung Israels beizutragen – nutzen können. Auch weitere Fähigkeiten wie Luftraumüberwachung und weitere Aufklärungskapazitäten wären denkbar gewesen und hätten ein entschiedenes Signal gesendet, dass wir Israel zur Seite stehen und uns unserer historischen Verantwortung bewusst sind. Auf diplomatischer Ebene hätte ich mir ebenfalls deutlichere Signale – beispielsweise beim Stimmverhalten Deutschlands bei den Vereinten Nationen – gewünscht. Das alles hat die Bundesregierung leider versäumt. Daher muss ich konstatieren, dass meine Bewertung des Engagements der Bundesregierung für Israel leider nicht positiv ausfallen kann.
Sara Nanni, sicherheitspolitische Sprecherin der Grünen
Die Sicherheit Israels ist deutsche Staatsräson. Die deutsche NS-Geschichte, die furchtbaren Verbrechen an den Jüdinnen und Juden Europas, verpflichten Deutschland dazu, sich für die Sicherheit Israels und gegen Antisemitismus in Deutschland und weltweit einzusetzen. Die Existenz des Staates Israel ist für Deutsche nicht verhandelbar. Das gilt insbesondere nach den brutalen Terroranschlägen des 7. Oktober 2023. Das heißt nicht, dass wir gegenüber der jeweils aktuellen israelischen Regierung keine Kritik üben würden oder unsere Differenzen verschleiern. Die unterschiedlichen Sichtweisen auf Siedlungsbau und Kriegsführung treten in den letzten Monaten besonders zu Tage, sind aber nicht gänzlich neu und waren somit immer Teil der Auseinandersetzung, was Staatsräson konkret heißt. Wir – Deutsche und Israelis – müssen diese Spannung gemeinsam aushalten. Dabei gilt es immer im Blick zu behalten, dass Staatsräson nicht nur für die einfachen Zeiten gilt, sondern besonders für die schweren. Deshalb ist es richtig, wenn die Bundesrepublik in den internationalen Gremien und bei den Verhandlungen in der Region vor allem auch die Sicherheit Israels in den Blick nimmt. Genauso richtig ist es, darauf zu pochen, dass das humanitäre Völkerrecht eingehalten wird. Israels größte Stärke für eine sichere Zukunft und sein langfristig bester Schutz ist seine Menschlichkeit, sein Bekenntnis zu demokratischen Werten, dem Völkerrecht und den Menschenrechten.
Marcus Faber, FDP, Vorsitzender des Verteidigungsausschusses
Seit dem 7. Oktober hat Deutschland in Worten klar seine Solidarität mit Israel betont, doch in der Umsetzung unserer Staatsräson – auch militärisch – sind wir dem nur teilweise gerecht geworden. Während die Bundeswehr humanitäre Hilfe in Gaza leistet und wir unsere Unterstützung stets unterstrichen haben, blieb die Enthaltung bei der UN-Resolution zum sofortigen Waffenstillstand ein Fehler. Deutschland hätte mit “Nein” stimmen müssen, um deutlich zu machen, dass ein Waffenstillstand ohne die Zerschlagung der Hamas nicht möglich ist. Diese Entscheidung hat unserer Glaubwürdigkeit geschadet und steht im Widerspruch zu unserem eigenen Anspruch, Israels Sicherheit zu unterstützen. Militärisch gesehen war es richtig, keine Truppen nach Israel zu entsenden, da Israel dies nicht angefragt hat und eine kurzfristige Integration deutscher Kräfte schwierig gewesen wäre. Dennoch hätten wir Israel schneller mit Rüstungsexporten unterstützen müssen. Die Verzögerungen in den Genehmigungsverfahren zeigen, dass wir in dieser Hinsicht zu langsam reagiert haben. Schnelle und unbürokratische Unterstützung hätte Israel militärisch frühzeitiger gestärkt.
Die Bundesrepublik hat durch ihre humanitären Einsätze und diplomatischen Schritte gezeigt, dass wir unserer Verantwortung bewusst sind. Doch gerade in Krisenzeiten muss der Anspruch der Staatsräson noch entschlossener umgesetzt werden, um den Wert der deutsch-israelischen Beziehungen zu wahren und die Sicherheit Israels langfristig zu gewährleisten.
Die SPD-Fraktion hat sich dazu entschlossen, die Frage vom außenpolitischen Sprecher und nicht vom verteidigungspolitischen Sprecher beantworten zu lassen. Der verteidigungspolitische Sprecher der Linken lieferte bis Redaktionsschluss kein Statement.
Als der Iran vergangene Woche mit rund 180 Raketen Israel angriff, beteiligten sich auch die USA an der Abwehr. Bereits im April, als Teheran hunderte von Raketen, Drohnen und Marschflugkörpern auf Israel schoss, schützten westliche Verbündete den Luftraum. Die USA, Großbritannien und Frankreich wehrten einen Teil der Geschosse ab, ehe sie israelisches Gebiet erreichen konnten. Die Bundeswehr war formal nicht beteiligt: Dass ein deutsches Tankflugzeug über Jordanien französische Kampfjets kurz vor diesem Einsatz mit Sprit versorgt hatte, war nach deutscher Lesart eine Unterstützung im Kampf gegen den Islamischen Staat und damit vom Bundestagsmandat für diese Mission erlaubt.
Eine direkte deutsche militärische Unterstützung Israels gegen einen Angriff dagegen wäre – unabhängig vom politischen Willen – rechtlich kaum möglich. Das dafür nötige Mandat würde vermutlich im Parlament eine Mehrheit finden, offen bleibt aber die rechtliche Grundlage. Denn das Grundgesetz schreibt für den Einsatz der Bundeswehr außerhalb von Landes- und Bündnisverteidigung vor, dass er in einem “System kollektiver Sicherheit” stattfinden muss. Das ist in diesem Fall kaum denkbar: Ein Beschluss des UN-Sicherheitsrats ist für einen Einsatz zugunsten Israels ebenso wenig wahrscheinlich wie ein kollektives Eingreifen der Nato.
Während die deutschen rechtlichen Selbst-Beschränkungen – eine Lehre aus den Weltkriegen des vergangenen Jahrhunderts – ein militärisches Eingreifen unwahrscheinlich machen, hat die deutsche Unterstützung der vergangenen Jahrzehnte Israel ein mächtiges Instrument der Verteidigung an die Hand gegeben. Auf deutschen Werften, zum Teil finanziert von der deutschen Regierung, wurden U-Boote für die israelische Marine gebaut – und damit ein wesentlicher Teil der nuklearen Abschreckungsfähigkeit des Landes.
Offiziell haben israelische Regierungen nie bestätigt, dass die Streitkräfte über Atomwaffen verfügen. Diese “strategische Ambiguität” ist bewusst eingesetzter Teil der Politik Israels. Allerdings ist es ein offenes Geheimnis, dass die Boote aus deutscher Produktion so konstruiert wurden, dass Israel sie als Träger von Nuklearwaffen einsetzen kann. Die fünf U-Boote der “Dolphin”- und der “Tanin”-Klasse sollen nuklearfähige Marschflugkörper verschießen können. Das sechste Boot, bereits “Drakon” getauft, lief im August vergangenen Jahres in Kiel vom Stapel und wurde noch nicht ausgeliefert. Es soll nach unbestätigten Berichten erstmals über senkrechte Startanlagen (Vertical Launch System) für Raketen oder Marschflugkörper verfügen und ebenfalls Atomwaffen einsetzen können.
Mit den Booten, die rotierend im Einsatz sind, will Israel sicherstellen, dass die Israeli Defence Forces (IDF) selbst dann auf einen Angriff reagieren können, wenn eine verheerende Attacke die militärischen Einrichtungen im Land zerstört – vor allem, wenn es ein Angriff mit Atomwaffen ist. Diese sogenannte nukleare Zweitschlagsfähigkeit soll einen potenziellen Gegner abschrecken, in erster Linie Iran.
Bei Lieferungen von Waffen, Munition und anderem Militärgerät aus Deutschland an Israel ist die aktuelle Situation allerdings eine andere. Nach dem Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober 2023 hatte die Bundesregierung zunächst, so weit bekannt, Anfragen Israels nach Militärgerät und Munition positiv beantwortet – auch wenn geheim blieb, was und wie viel tatsächlich geliefert wurde. Doch seit Jahresbeginn hat sich die Lage geändert. Schon für die Auslieferung des U-Boots “Drakon”, antwortete die Bundesregierung am 10. September auf eine parlamentarische Anfrage des BSW, gebe es bislang die letzte noch erforderliche Ausfuhrgenehmigung nicht. Ob sie allerdings seitdem erteilt wurde, will das Ministerium auf Anfrage ausdrücklich nicht mitteilen.
Allerdings: Im Jahr 2024 “gab es keine Ausfuhren von Kriegswaffen, das heißt Waren, die dem Kriegswaffenkontrollgesetz unterliegen, nach Israel”, heißt es in der Antwort der Bundesregierung. Zudem ging der Umfang der Genehmigungen deutlich zurück. Angesichts der seit Jahrzehnten laufenden umfangreichen Rüstungskooperation beider Länder liest es sich wie ein Schreibfehler, wenn die deutsche Regierung angibt: “Im Mai 2024 wurden Einzelgenehmigungen für die endgültige Ausfuhr von Rüstungsgütern im Gesamtwert von 187 Euro erteilt.”
Einen Stopp der Rüstungslieferungen an Israel räumt die Bundesregierung, die das Vorgehen der israelischen Streitkräfte vor allem in Gaza mehr oder weniger deutlich kritisiert hat, zwar öffentlich nicht ein. “Wir haben Israel Waffen geliefert, und wir haben keine Entscheidung getroffen, das nicht mehr zu tun. Aber wir entscheiden natürlich jedes Mal im Einzelfall“, sagte Bundeskanzler Olaf Scholz bei seiner Sommer-Pressekonferenz im Juli. Vergangene Woche bekräftigte das für Ausfuhrgenehmigungen zuständige Bundeswirtschaftsministerium das erneut: “Allgemein können wir Ihnen mitteilen, dass es keinen Genehmigungsstopp für Rüstungsexporte nach Israel gibt und es auch keinen Stopp geben wird.”
Faktisch scheinen diese Einzelfallentscheidungen allerdings vorerst auf einen generellen Stopp hinauszulaufen. Dass die Genehmigungen für Waffenlieferungen und Rüstungsexporte seit einigen Monaten nicht erteilt werden, wird aus der Regierungskoalition hinter vorgehaltener Hand bestätigt: Grund sei, dass man Urteile der laufenden Gerichtsverfahren abwarten wolle. Streitpunkt ist offensichtlich auch eine Erklärung, mit der Israel erklären soll, bestimmte Waffen nur völkerrechtskonform einzusetzen. Allerdings, auch darauf weist die Bundesregierung hin: Der Umfang deutscher Lieferungen schwankt erheblich – vor allem, weil das finanzielle Volumen jedesmal nach oben schnellt, wenn ein U-Boot oder, wie ebenfalls in den vergangenen Jahren, eine Korvette geliefert wird.
Welche Auswirkungen das derzeitige Liefert-Tief auf das auf die Zusammenarbeit beider Länder haben könnte, bleibt vorerst offen. Schließlich hat auch Deutschland umfangreiche Bestellungen in Israel laufen – als größtes Projekt das Luftverteidigungssystem “Arrow” aus israelischer Produktion. Ob wie geplant israelische Raketenartilleriesysteme des Typs PULS bestellt werden, hängt allerdings eher an den finanziellen Möglichkeiten des deutschen Verteidigungshaushalts als an der politischen Situation.
Ob dennoch ein direktes Eingreifen der Bundeswehr bei einem groß angelegten Angriff auf Israel möglich wäre, ähnlich dem Luftbetankungs-Vorgehen im April, bleibt derzeit offen: Die deutsche Fregatte “Hamburg”, eigentlich für den EU-Einsatz zum Schutz der Handelsschifffahrt im Roten Meer vor Angriffen der Huthi aus dem Jemen vorgesehen, bleibt vorerst im östlichen Mittelmeer. Während es zuerst hieß, das Schiff stehe dort für eventuelle Evakuierungsmissionen aus dem Libanon bereit, wurde der Auftrag kürzlich präzisiert: Die “Hamburg” soll mit ihrer Luftverteidigung das US-Docklandungsschiff “Wasp” vor möglichen Luftangriffen schützen. Vielleicht ja auch bei einem weiteren iranischen Angriff vor Raketen, die Richtung Israel fliegen.