Table.Briefing: Security

+++ Table.Spezial: Bodentruppen für die Ukraine? – Oui? Nein! +++

Liebe Leserin, lieber Leser,

was hatte der französische Präsident Emmanuel Macron im Sinn, als er am Montagabend von westlichen Bodentruppen in der Ukraine sprach?

Keine 24 Stunden nach seiner Aussage, wonach er die Entsendung französischer Soldaten “nicht ausschließe”, ist jedenfalls klar, dass er mit seinem Gedankenspiel innerhalb der Nato nicht nur allein dasteht, sondern vielleicht auch Schaden angerichtet hat. Moskau jedenfalls greift seine Worte auf und spielt sie propagandistisch gegen den Westen aus.

Bundeskanzler Olaf Scholz widersprach Macron am Dienstag deutlich. Tags zuvor hatte er schon die Nichtlieferung von Taurus-Marschflugkörpern damit begründet, dass er keine deutschen Soldaten in der Ukraine stationieren werde. Thomas Wiegold erläutert, was Scholz konkret davon abhält, den Taurus Kiew zur Verfügung zu stellen. Die wichtigsten Reaktionen zu Macrons Vorstoß haben wir für Sie hier gebündelt. 

Ein gute Lektüre

Ihr
Viktor Funk
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Analyse

Entsendung von Bodentruppen: Diese Folgen hat Macrons Vorstoß

Olaf Scholz und Emmanuel Macron am Montagabend in Paris.

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron sendete am Montagabend widersprüchliche Signale. In Bezug auf die Entsendung französischer Truppen in die Ukraine sprach er von einer “strategischen Ambiguität”, die in seiner Botschaft steckte. Bundeskanzler Olaf Scholz widersprach am Dienstag vehement und der Kreml fühlt sich bestätigt. Für andere ist Macrons Ansage ein richtiges Signal.

Außenpolitisches Signal, innenpolitisch problematisch

Außen- und sicherheitspolitisch sei Macrons Ansage ein Signal an Moskau und ein Diskursaufruf an die eigene Bevölkerung, sagt der französische Politikwissenschaftler Pierre Haroche, der an der Queen Mary Universität in London lehrt. “Wenn man nicht in der Lage ist, zu eskalieren, ist es eine Einladung an den anderen zu eskalieren, um unser Friedensbedürfnis auszunutzen”, sagt Haroche.

Die Öffentlichkeit dürfe nicht überrascht werden, wenn die Frage nach europäischen Nato-Truppen in der Ukraine aufkäme. Man müsse sich auf zwei Szenarien vorbereiten: Einen ukrainischen Kollaps oder, dass Russland den Krieg unendlich in die Länge ziehen würde, um eine Ausweitung der EU oder der Nato zu verhindern. “Da muss man den Mut haben, zu sagen, dass nicht Russland entscheidet, wann sich die Ukraine uns anschließt.” Manchmal trage eine entschlossene Botschaft mehr zum Frieden bei, “als zweifelnde und ängstliche Nachrichten”, erläutert Haroche.

Der Frankreich-Experte Jacob Ross von der DGAP hält Macrons Aussagen nicht für gut überlegt. Schließlich müsste auch die französische Innenpolitik berücksichtigt werden. “Wenn jetzt wirklich ernsthaft darüber diskutiert werden würde, französische Soldaten in die Ukraine zu entsenden, wäre das eine perfekte Vorlage für das Rassemblement National, um Macron anzugreifen.” Deshalb glaubt er nicht, “dass Russland das für glaubwürdig hält”. Und: “Dadurch gehen auch die wirklich wichtigen Fortschritte ein bisschen unter”, sagt Ross. Zum Beispiel, dass Frankreich seine Position bei der Beschaffung außereuropäischer Artilleriemunition lockert.

Olaf Scholz widerspricht Macron

Bundeskanzler Olaf Scholz hatte wenige Stunden bevor Macron die Stationierung ausländischer Truppen in der Ukraine ins Spiel brachte, sein Nein zur Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern mit der Entsendung von Soldaten begründet. Das schließt Scholz nämlich kategorisch aus. Und am heutigen Dienstag legte er auf dem Kurznachrichtendienst X nochmals nach: “Es wird keine Soldaten aus Europa oder von Nato-Staaten in der Ukraine geben.”

Der Montag war – ob Zufall oder nicht, dass die Aussagen auf denselben Tag fielen – ein Tag, der nochmals verdeutlichte, wie schlecht die deutsch-französischen Beziehungen derzeit sind. “Nach außen entsteht das Bild, dass da nicht nur nicht miteinander gesprochen wird, sondern dass da aktiv gegeneinander geschossen wird”, sagt Ross.

Es wirkt, als lieferten sich Scholz und Macron einen Wettlauf, wer die Ukraine besser unterstützt. Während Deutschland der größte europäische Unterstützer der Ukraine ist, wehrt sich Frankreich gegen Vorwürfe, zu wenig Material zu liefern. Im Januar bezeichnete der französische Verteidigungsminister Sébastien Lecornu die Erhebung des Kiel Institut für Weltwirtschaft, das die Unterstützung an die Ukraine erfasst, als “weder zuverlässig noch gültig”. Gleichzeitig prescht Macron immer wieder vor.

Als er im Januar 2023 ankündigte, AMX-10 RC-Spähpanzer an die Ukraine liefern zu wollen, setzte er Bundeskanzler Olaf Scholz unter Druck. Später hieß es, Macrons Initiative sei nicht abgesprochen gewesen. Im April 2023 brüskierte der französische Präsident die USA und die europäischen Partner, als er auf einem Rückflug aus China sagte, die Europäer dürften keine “Vasallen” der USA werden.

“Es ist ein Problem für Europa, dass Deutschland einerseits das Land ist, dass am meisten beisteuert, aber gleichzeitig, das ambivalenteste Land ist”, sagt Haroche. Scholz’ Zaghaftigkeit schrecke Russland nicht ab.

Der Kreml fühlt sich bestätigt

So nebulös die Worte von Emmanuel Macron auch waren, sie liefern dem Kreml willkommene Vorlagen für sein Narrativ: Das russische Regime fühlt sich einmal mehr bestätigt in der Erzählung, Russland sei vom Westen bedroht. Kreml-Sprecher Dmitri Peskow sprach deswegen sogleich von der Nato, mit der Russland dann “unvermeidlich” in einen Konflikt geraten werde, sollten westliche Staaten Truppen in die Ukraine entsenden. Er betonte zugleich, der Kreml nehme wahr, dass es in der Frage der Truppenentsendung keinen Konsens im Westen gebe, “das ist natürlich nicht im Interesse dieser Staaten, sie sollten sich dessen klar sein”.

Dass Peskow hier das große Ganze in den Fokus nimmt – die Nato und den Westen – und nicht ausschließlich von Frankreich spricht, ist Absicht. So kann Moskau seine Aggression gegen die Ukraine mit der angeblichen Verteidigung gegen die westliche Militärallianz rechtfertigen.

Weniger diplomatisch reagieren russischen Kriegspropagandisten auf Macrons Worte, etwa Dmitri Rogosin. Der ehemalige Leiter der russischen Raumfahrtbehörde (2018 – 2022) und Vertreter bei der Nato (2008 bis 2011) drohte gar direkt allen westlichen Staatsführern: “Dann müssen wir euch alle töten”, schrieb er in seinem Telegram-Kanal. Andere Propagandisten, wie der TV-Krieger Wladimir Slowjew, greifen Zitate französischer Politiker auf, die sich gegen Macrons Idee äußern, und verbreiten sie auf ihren Kanälen. 

Geschlossene Ablehnung aus Ampel und Opposition

Agnieszka Brugger, Vize-Fraktionsvorsitzende von den Grünen, die sich als eine der ersten aus der Partei mit der Forderung nach Leopardlieferungen nach vorne getraut hatte, sagte am Dienstag, dass Macron von den wesentlichen Bedürfnissen der Ukraine ablenke. Es gehe jetzt vor allem darum, mehr Munition und die benötigten Waffen zu liefern, sowie die Sanktionen gegen Russland weiter zu verschärfen. “Bei allem Dissens in der Taurus-Frage, sind, wie wir gestern gesehen haben, in Deutschland alle einig, dass es eben nicht um einen Militäreinsatz gehen darf”, so die Verteidigungspolitikerin.

Auch aus der FDP kommt keine Unterstützung für Nato-Truppen auf ukrainischem Boden. Markus Faber, Verteidigungspolitiker der Liberalen sagt gegenüber Table.Media, dass dies ein “sehr hohes Risiko der Verwicklung” darstellen würde und deswegen vermieden werden muss. Allerdings zeigt er Verständnis für Macron als “direkte Reaktion” auf die erneute Absage des Kanzlers zur Taurus Lieferung. Es sein ein “klares Signal” in Richtung Scholz.

Die Opposition nutzt die Situation ebenfalls, den Kanzler erneut als tatenlos darzustellen, erteilt einer ernsthaften Diskussion über Bodentruppen allerdings auch eine klare Absage. Die Äußerungen Macrons müssten in einem “Führungsvakuum” gesehen werden, das Kanzler Scholz durch die Verweigerung der Lieferung von Taurus und das “Lavieren mit längst widerlegten Pseudo-Argumenten” geschaffen hat, so Unions-Verteidigungsexperte Roderich Kiesewetter gegenüber Table.Media. Macron wolle damit “vorrangig einen Kontrapunkt zu Scholz setzen”. Gleichzeitig wolle aber auch Macron davon ablenken, dass Frankreich selbst bislang zu wenig Unterstützung geliefert habe, erklärte Kiesewetter. “Wir sollten verhindern, dass sich die Frage von Bodentruppen überhaupt stellt, in dem wir endlich ,all-in’ liefern, Waffen und Munition in Masse und Qualität, und zwar sofort.”

Keine Rückendeckung von EU-Staaten

In der EU sei Konsens, der Ukraine alles zu geben, was das Land in seinem Verteidigungskrieg für einen Sieg brauche, so ein Sprecher des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell. Wie dies geschehe, sei zu einem großen Teil in der Hand der Mitgliedstaaten. Es gebe auf jeden Fall keine Entscheidung auf EU-Ebene, die Ukraine mit Truppen zu unterstützen.

Ähnlich äußerte sich Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg: Die Verbündeten leisteten unvergleichliche Hilfe für die Ukraine. Die Allianz habe aber nicht die Absicht, Kampftruppen zu schicken. Doch welches sind die Länder, die laut Macron diesbezüglich Überlegungen anstellen und in Paris das Thema vorgebracht haben sollen? Der französische Präsident habe sich zum Thema Bodentruppen erst auf die Frage eines Journalisten geäußert, unterstreicht in Brüssel ein EU-Diplomat. Der Journalist sprach Macron dabei auf Warnungen des slowakischen Ministerpräsidenten Robert Fico an.

Polens Präsident Andrzej Duda bestätigte in Paris, die Debatte über die Frage der Bodentruppen sei besonders “animiert” gewesen. Die Meinungen gingen aber auseinander, und es gebe keine Entscheidungen. Polen erwäge nicht, Soldaten in die Ukraine zu senden, betonte hingegen Ministerpräsident Donald Tusk am Dienstag vor einem Treffen der Visegrad-Staaten in Prag. Ähnlich äußerte sich Tschechiens Regierungschef Petr Fiala.

  • Frankreich
  • Geopolitik
  • Nato
  • Russland
  • Ukraine
  • Ukraine-Krieg

Warum Olaf Scholz den Taurus nicht hergibt

Immer wieder nennt die Bundesregierung die notwendige Beteiligung deutscher Soldaten bei einem Einsatz von Taurus-Marschflugkörpern als Grund, warum diese Waffe der Ukraine nicht zur Verfügung gestellt wird. Von deutschen Soldaten in Spanien oder gar in Südkorea ist aber nie die Rede – obwohl die beiden Länder als einzige neben Deutschland über den Taurus-Marschflugkörper verfügen. Der südeuropäische Nato-Partner, aber auch das asiatische Land bekommen die Vorbereitung ihrer Taurus auf einen möglichen Einsatz offensichtlich auch so ganz gut in den Griff. Allerdings dürften sie dafür auch alle nötigen Daten aus Deutschland erhalten haben.

Denn die wesentlichen Merkmale des Marschflugkörpers aus deutsch-schwedischer Produktion sind nicht allein Reichweite und Wirkung auch gegen harte Ziele wie Bunker: Das Waffensystem ist darauf ausgelegt, über hunderte von Kilometern möglichst im Tiefflug und möglichst unerkannt auf ein einprogrammiertes Ziel anzufliegen, wenn nötig auch mit Umwegen und durch schwer zu überwachendes Gebiet wie Bergtäler.

Ausgeklügeltes Navigationssystem

Dafür hat der Taurus mehrere Navigationssysteme an Bord. Satellitennavigation über das Global Positioning System (GPS) der USA gehört natürlich dazu, aber auch bei Störung des Satellitensignals kann der Marschflugkörper seinen Weg fortsetzen: Eine hochpräzise 3D-Karte des Terrains und eine Bilderkennung für markante Wegpunkte wie Brücken oder Flussläufe steuern das Waffensystem dann dennoch weiter auf das Ziel zu.

Die Programmierung setzt deshalb das umfangreiche – und möglichst immer wieder aktualisierte – Datenpaket ebenso voraus wie die nötigen Geräte zur Programmierung und Kenntnis des Vorgangs zur Zielauswahl. An der Stelle scheinen die Bedenken aus dem Kanzleramt anzusetzen: Ob die Ukraine alle nötigen Daten für den Einsatz bekommen soll, muss dafür ebenso entschieden werden wie die Frage, ob die Zielauswahl und -programmierung allein ukrainischen Soldaten überlassen wird.

Gerade das scheint aus deutscher Sicht nicht gewünscht, sodass dann doch deutsche Soldaten an diesem Vorgang beteiligt werden müssten. Und eben dieses Vorgehen hat Bundeskanzler Olaf Scholz ausdrücklich ausgeschlossen – eine deutsche Beteiligung am Einsatz des Marschflugkörpers komme nicht infrage, “auch nicht in Deutschland”.

  • Bundesregierung
  • Deutschland
  • Olaf Scholz
  • Taskforce Ukraine
  • Ukraine-Krieg

Security.Table Redaktion

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    was hatte der französische Präsident Emmanuel Macron im Sinn, als er am Montagabend von westlichen Bodentruppen in der Ukraine sprach?

    Keine 24 Stunden nach seiner Aussage, wonach er die Entsendung französischer Soldaten “nicht ausschließe”, ist jedenfalls klar, dass er mit seinem Gedankenspiel innerhalb der Nato nicht nur allein dasteht, sondern vielleicht auch Schaden angerichtet hat. Moskau jedenfalls greift seine Worte auf und spielt sie propagandistisch gegen den Westen aus.

    Bundeskanzler Olaf Scholz widersprach Macron am Dienstag deutlich. Tags zuvor hatte er schon die Nichtlieferung von Taurus-Marschflugkörpern damit begründet, dass er keine deutschen Soldaten in der Ukraine stationieren werde. Thomas Wiegold erläutert, was Scholz konkret davon abhält, den Taurus Kiew zur Verfügung zu stellen. Die wichtigsten Reaktionen zu Macrons Vorstoß haben wir für Sie hier gebündelt. 

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    Entsendung von Bodentruppen: Diese Folgen hat Macrons Vorstoß

    Olaf Scholz und Emmanuel Macron am Montagabend in Paris.

    Frankreichs Präsident Emmanuel Macron sendete am Montagabend widersprüchliche Signale. In Bezug auf die Entsendung französischer Truppen in die Ukraine sprach er von einer “strategischen Ambiguität”, die in seiner Botschaft steckte. Bundeskanzler Olaf Scholz widersprach am Dienstag vehement und der Kreml fühlt sich bestätigt. Für andere ist Macrons Ansage ein richtiges Signal.

    Außenpolitisches Signal, innenpolitisch problematisch

    Außen- und sicherheitspolitisch sei Macrons Ansage ein Signal an Moskau und ein Diskursaufruf an die eigene Bevölkerung, sagt der französische Politikwissenschaftler Pierre Haroche, der an der Queen Mary Universität in London lehrt. “Wenn man nicht in der Lage ist, zu eskalieren, ist es eine Einladung an den anderen zu eskalieren, um unser Friedensbedürfnis auszunutzen”, sagt Haroche.

    Die Öffentlichkeit dürfe nicht überrascht werden, wenn die Frage nach europäischen Nato-Truppen in der Ukraine aufkäme. Man müsse sich auf zwei Szenarien vorbereiten: Einen ukrainischen Kollaps oder, dass Russland den Krieg unendlich in die Länge ziehen würde, um eine Ausweitung der EU oder der Nato zu verhindern. “Da muss man den Mut haben, zu sagen, dass nicht Russland entscheidet, wann sich die Ukraine uns anschließt.” Manchmal trage eine entschlossene Botschaft mehr zum Frieden bei, “als zweifelnde und ängstliche Nachrichten”, erläutert Haroche.

    Der Frankreich-Experte Jacob Ross von der DGAP hält Macrons Aussagen nicht für gut überlegt. Schließlich müsste auch die französische Innenpolitik berücksichtigt werden. “Wenn jetzt wirklich ernsthaft darüber diskutiert werden würde, französische Soldaten in die Ukraine zu entsenden, wäre das eine perfekte Vorlage für das Rassemblement National, um Macron anzugreifen.” Deshalb glaubt er nicht, “dass Russland das für glaubwürdig hält”. Und: “Dadurch gehen auch die wirklich wichtigen Fortschritte ein bisschen unter”, sagt Ross. Zum Beispiel, dass Frankreich seine Position bei der Beschaffung außereuropäischer Artilleriemunition lockert.

    Olaf Scholz widerspricht Macron

    Bundeskanzler Olaf Scholz hatte wenige Stunden bevor Macron die Stationierung ausländischer Truppen in der Ukraine ins Spiel brachte, sein Nein zur Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern mit der Entsendung von Soldaten begründet. Das schließt Scholz nämlich kategorisch aus. Und am heutigen Dienstag legte er auf dem Kurznachrichtendienst X nochmals nach: “Es wird keine Soldaten aus Europa oder von Nato-Staaten in der Ukraine geben.”

    Der Montag war – ob Zufall oder nicht, dass die Aussagen auf denselben Tag fielen – ein Tag, der nochmals verdeutlichte, wie schlecht die deutsch-französischen Beziehungen derzeit sind. “Nach außen entsteht das Bild, dass da nicht nur nicht miteinander gesprochen wird, sondern dass da aktiv gegeneinander geschossen wird”, sagt Ross.

    Es wirkt, als lieferten sich Scholz und Macron einen Wettlauf, wer die Ukraine besser unterstützt. Während Deutschland der größte europäische Unterstützer der Ukraine ist, wehrt sich Frankreich gegen Vorwürfe, zu wenig Material zu liefern. Im Januar bezeichnete der französische Verteidigungsminister Sébastien Lecornu die Erhebung des Kiel Institut für Weltwirtschaft, das die Unterstützung an die Ukraine erfasst, als “weder zuverlässig noch gültig”. Gleichzeitig prescht Macron immer wieder vor.

    Als er im Januar 2023 ankündigte, AMX-10 RC-Spähpanzer an die Ukraine liefern zu wollen, setzte er Bundeskanzler Olaf Scholz unter Druck. Später hieß es, Macrons Initiative sei nicht abgesprochen gewesen. Im April 2023 brüskierte der französische Präsident die USA und die europäischen Partner, als er auf einem Rückflug aus China sagte, die Europäer dürften keine “Vasallen” der USA werden.

    “Es ist ein Problem für Europa, dass Deutschland einerseits das Land ist, dass am meisten beisteuert, aber gleichzeitig, das ambivalenteste Land ist”, sagt Haroche. Scholz’ Zaghaftigkeit schrecke Russland nicht ab.

    Der Kreml fühlt sich bestätigt

    So nebulös die Worte von Emmanuel Macron auch waren, sie liefern dem Kreml willkommene Vorlagen für sein Narrativ: Das russische Regime fühlt sich einmal mehr bestätigt in der Erzählung, Russland sei vom Westen bedroht. Kreml-Sprecher Dmitri Peskow sprach deswegen sogleich von der Nato, mit der Russland dann “unvermeidlich” in einen Konflikt geraten werde, sollten westliche Staaten Truppen in die Ukraine entsenden. Er betonte zugleich, der Kreml nehme wahr, dass es in der Frage der Truppenentsendung keinen Konsens im Westen gebe, “das ist natürlich nicht im Interesse dieser Staaten, sie sollten sich dessen klar sein”.

    Dass Peskow hier das große Ganze in den Fokus nimmt – die Nato und den Westen – und nicht ausschließlich von Frankreich spricht, ist Absicht. So kann Moskau seine Aggression gegen die Ukraine mit der angeblichen Verteidigung gegen die westliche Militärallianz rechtfertigen.

    Weniger diplomatisch reagieren russischen Kriegspropagandisten auf Macrons Worte, etwa Dmitri Rogosin. Der ehemalige Leiter der russischen Raumfahrtbehörde (2018 – 2022) und Vertreter bei der Nato (2008 bis 2011) drohte gar direkt allen westlichen Staatsführern: “Dann müssen wir euch alle töten”, schrieb er in seinem Telegram-Kanal. Andere Propagandisten, wie der TV-Krieger Wladimir Slowjew, greifen Zitate französischer Politiker auf, die sich gegen Macrons Idee äußern, und verbreiten sie auf ihren Kanälen. 

    Geschlossene Ablehnung aus Ampel und Opposition

    Agnieszka Brugger, Vize-Fraktionsvorsitzende von den Grünen, die sich als eine der ersten aus der Partei mit der Forderung nach Leopardlieferungen nach vorne getraut hatte, sagte am Dienstag, dass Macron von den wesentlichen Bedürfnissen der Ukraine ablenke. Es gehe jetzt vor allem darum, mehr Munition und die benötigten Waffen zu liefern, sowie die Sanktionen gegen Russland weiter zu verschärfen. “Bei allem Dissens in der Taurus-Frage, sind, wie wir gestern gesehen haben, in Deutschland alle einig, dass es eben nicht um einen Militäreinsatz gehen darf”, so die Verteidigungspolitikerin.

    Auch aus der FDP kommt keine Unterstützung für Nato-Truppen auf ukrainischem Boden. Markus Faber, Verteidigungspolitiker der Liberalen sagt gegenüber Table.Media, dass dies ein “sehr hohes Risiko der Verwicklung” darstellen würde und deswegen vermieden werden muss. Allerdings zeigt er Verständnis für Macron als “direkte Reaktion” auf die erneute Absage des Kanzlers zur Taurus Lieferung. Es sein ein “klares Signal” in Richtung Scholz.

    Die Opposition nutzt die Situation ebenfalls, den Kanzler erneut als tatenlos darzustellen, erteilt einer ernsthaften Diskussion über Bodentruppen allerdings auch eine klare Absage. Die Äußerungen Macrons müssten in einem “Führungsvakuum” gesehen werden, das Kanzler Scholz durch die Verweigerung der Lieferung von Taurus und das “Lavieren mit längst widerlegten Pseudo-Argumenten” geschaffen hat, so Unions-Verteidigungsexperte Roderich Kiesewetter gegenüber Table.Media. Macron wolle damit “vorrangig einen Kontrapunkt zu Scholz setzen”. Gleichzeitig wolle aber auch Macron davon ablenken, dass Frankreich selbst bislang zu wenig Unterstützung geliefert habe, erklärte Kiesewetter. “Wir sollten verhindern, dass sich die Frage von Bodentruppen überhaupt stellt, in dem wir endlich ,all-in’ liefern, Waffen und Munition in Masse und Qualität, und zwar sofort.”

    Keine Rückendeckung von EU-Staaten

    In der EU sei Konsens, der Ukraine alles zu geben, was das Land in seinem Verteidigungskrieg für einen Sieg brauche, so ein Sprecher des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell. Wie dies geschehe, sei zu einem großen Teil in der Hand der Mitgliedstaaten. Es gebe auf jeden Fall keine Entscheidung auf EU-Ebene, die Ukraine mit Truppen zu unterstützen.

    Ähnlich äußerte sich Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg: Die Verbündeten leisteten unvergleichliche Hilfe für die Ukraine. Die Allianz habe aber nicht die Absicht, Kampftruppen zu schicken. Doch welches sind die Länder, die laut Macron diesbezüglich Überlegungen anstellen und in Paris das Thema vorgebracht haben sollen? Der französische Präsident habe sich zum Thema Bodentruppen erst auf die Frage eines Journalisten geäußert, unterstreicht in Brüssel ein EU-Diplomat. Der Journalist sprach Macron dabei auf Warnungen des slowakischen Ministerpräsidenten Robert Fico an.

    Polens Präsident Andrzej Duda bestätigte in Paris, die Debatte über die Frage der Bodentruppen sei besonders “animiert” gewesen. Die Meinungen gingen aber auseinander, und es gebe keine Entscheidungen. Polen erwäge nicht, Soldaten in die Ukraine zu senden, betonte hingegen Ministerpräsident Donald Tusk am Dienstag vor einem Treffen der Visegrad-Staaten in Prag. Ähnlich äußerte sich Tschechiens Regierungschef Petr Fiala.

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    Warum Olaf Scholz den Taurus nicht hergibt

    Immer wieder nennt die Bundesregierung die notwendige Beteiligung deutscher Soldaten bei einem Einsatz von Taurus-Marschflugkörpern als Grund, warum diese Waffe der Ukraine nicht zur Verfügung gestellt wird. Von deutschen Soldaten in Spanien oder gar in Südkorea ist aber nie die Rede – obwohl die beiden Länder als einzige neben Deutschland über den Taurus-Marschflugkörper verfügen. Der südeuropäische Nato-Partner, aber auch das asiatische Land bekommen die Vorbereitung ihrer Taurus auf einen möglichen Einsatz offensichtlich auch so ganz gut in den Griff. Allerdings dürften sie dafür auch alle nötigen Daten aus Deutschland erhalten haben.

    Denn die wesentlichen Merkmale des Marschflugkörpers aus deutsch-schwedischer Produktion sind nicht allein Reichweite und Wirkung auch gegen harte Ziele wie Bunker: Das Waffensystem ist darauf ausgelegt, über hunderte von Kilometern möglichst im Tiefflug und möglichst unerkannt auf ein einprogrammiertes Ziel anzufliegen, wenn nötig auch mit Umwegen und durch schwer zu überwachendes Gebiet wie Bergtäler.

    Ausgeklügeltes Navigationssystem

    Dafür hat der Taurus mehrere Navigationssysteme an Bord. Satellitennavigation über das Global Positioning System (GPS) der USA gehört natürlich dazu, aber auch bei Störung des Satellitensignals kann der Marschflugkörper seinen Weg fortsetzen: Eine hochpräzise 3D-Karte des Terrains und eine Bilderkennung für markante Wegpunkte wie Brücken oder Flussläufe steuern das Waffensystem dann dennoch weiter auf das Ziel zu.

    Die Programmierung setzt deshalb das umfangreiche – und möglichst immer wieder aktualisierte – Datenpaket ebenso voraus wie die nötigen Geräte zur Programmierung und Kenntnis des Vorgangs zur Zielauswahl. An der Stelle scheinen die Bedenken aus dem Kanzleramt anzusetzen: Ob die Ukraine alle nötigen Daten für den Einsatz bekommen soll, muss dafür ebenso entschieden werden wie die Frage, ob die Zielauswahl und -programmierung allein ukrainischen Soldaten überlassen wird.

    Gerade das scheint aus deutscher Sicht nicht gewünscht, sodass dann doch deutsche Soldaten an diesem Vorgang beteiligt werden müssten. Und eben dieses Vorgehen hat Bundeskanzler Olaf Scholz ausdrücklich ausgeschlossen – eine deutsche Beteiligung am Einsatz des Marschflugkörpers komme nicht infrage, “auch nicht in Deutschland”.

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