Table.Briefing: Security

+++ Table.Spezial 60. Münchner Sicherheitskonferenz +++

Liebe Leserin, lieber Leser,

Sie lesen das erste Table.Spezial zur 60. Münchner Sicherheitskonferenz – bis Sonntag berichten wir täglich für Sie von der MSC 2024, mit Updates zu allem von sicherheitspolitischer Relevanz.

Table.Media-Chefredakteur Michael Bröcker hat vorab mit Polens Vizeaußenminister Marek Prawda gesprochen. “Polen ist Frontstaat”, hat der frühere Botschafter Warschaus in Berlin ihm gesagt – und das Weimarer Dreieck als Verteidigungsbündnis bezeichnet. So sieht das auch Deutschlands ranghöchster Militär an der Nato-Ostflanke, Jürgen-Joachim von Sandrart. “Geografisch macht die Achse Frankreich-Deutschland-Polen es überhaupt erst möglich, auf ein offensives russisches Szenario im Baltikum zu reagieren”, sagt der Generalleutnant im Interview mit Nana Brink und mir.

Was die geopolitischen Umbrüche von der Ukraine bis ins Rote Meer für die exportorientierte europäische Wirtschaft bedeuten, beschreibt Jan Kallmorgen, Partner bei der internationalen Unternehmensberatungsgesellschaft EY. Seismografische Verschiebungen zwischen den globalen Machtzentren USA, China und Europa spielten für Private-Equity-Häuser und Investment Funds eine zunehmend wichtigere Rolle bei Investitionsentscheidungen.

Das gilt nicht zuletzt für die Ukraine, wo Russland trotz internationaler Sanktionen und anhaltenden ökonomischen Drucks seit fast zwei Jahren einen groß angelegten Krieg führt. Ohne die Hilfe anderer Staaten wäre das kaum möglich. Wie Russlands Unterstützer dem Regime in Moskau helfen, hat Security.Table in der Serie “Russlands Freunde” in einem PDF-Reader zusammengefasst. Hier können Sie ihn kostenlos herunterladen.  

Wir sehen uns in München,

Ihr
Markus Bickel
Bild von Markus  Bickel

Analyse

Pistorius: “Der Krieg in der Ukraine wird am Fließband entschieden”

“Der Krieg in der Ukraine wird am Ende auch am Fließband in den Produktionsländern der Welt entschieden”, sagte Verteidigungsminister Boris Pistorius vor Beginn des Treffens der Vertreter von rund 50 Nationen, die in der “Ukraine Defense Contact Group” die militärischen Hilfslieferungen koordinieren. Der deutsche Ressortchef hatte dabei vor allem die Herstellung von Artilleriemunition im Blick, für die der deutsche Rheinmetall-Konzern Anfang der Woche ein neues Werk in Niedersachsen eröffnete: “Munition ist eine globale Mangelware.” In diesem Jahr kündigte Pistorius an, werde Deutschland das Drei- bis Vierfache der Vorjahresmenge an Artilleriegranaten an die Ukraine liefern.

In kleineren, sogenannten Fähigkeitsgruppen bemühen sich die Ukraine-Unterstützer für mehr und schnellere Ausstattung des Landes im Krieg. Gemeinsam mit 13 anderen Nationen unterzeichneten Deutschland und Frankreich dafür in Brüssel eine Absichtserklärung (Letter of Intent) für eine Verbesserung der Flugabwehrmöglichkeiten.

“Die Stärkung der Luftverteidigungsfähigkeiten der Ukraine ist für die Zukunft des Konflikts und den Schutz der Zivilbevölkerung von entscheidender Bedeutung“, sagte der französische Verteidigungsminister Sébastien Lecornu, der gemeinsam mit Pistorius die Gruppe leitet. Ihr gehören neben den beiden Führungsnationen die Ukraine, Belgien, Dänemark, Griechenland, Großbritannien, Litauen, die Niederlande, Norwegen, Polen, Slowenien, Spanien, die Türkei und die USA an.

USA wollen die Unterstützergruppe weiter anführen

US-Verteidigungsminister Lloyd Austin, der wegen einer vorangegangenen Krebsbehandlung im Krankenhaus per Video zum Ramstein-Treffen zugeschaltet war, sicherte zur Eröffnung der Sitzung die anhaltende Unterstützung des Westens für die Ukraine zu – auch durch die USA. “Amerika wird seine Hilfe für den grundlegenden Kampf der Ukraine gegen Putins imperiale Aggression fortsetzen”, versprach der Pentagon-Chef ungeachtet des innenpolitischen Streits in den USA über weitere Unterstützung.

Die USA sind zudem offensichtlich entschlossen, ungeachtet ihrer innenpolitischen Probleme die internationale Unterstützer-Koalition weiterzuführen. Angesichts von Überlegungen, diese Koordinationsaufgabe der Nato zu übertragen, zeigte sich der Generalsekretär der Allianz zurückhaltend. Es gebe zwar Gespräche, aber entscheidend sei das Ziel, die Ukraine auf dem besten und zuverlässigsten Weg zu unterstützen, sagte Jens Stoltenberg. Die US-Botschafterin bei der Nato, Julianne Smith, war vor dem Treffen da deutlicher, wenn auch diplomatisch formuliert: “Dieses Format bringt wirklich Ergebnisse… und die USA werden sich weiterhin in diesen Prozess einbringen.”

  • Boris Pistorius
  • Nato
  • Rüstung
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  • Verteidigungspolitik

Nato-General von Sandrart: “Wir müssen jetzt einsatzbereit sein, um auf ein wiedererstarkendes Russland reagieren zu können”

Jürgen-Joachim von Sandrart sagt, Europa müsse militärisch eigenständiger agieren können.

Aus Ihrer militärischen Sicht: Könnte Russland überhaupt die Nato angreifen?

Russland verfügt heute über ausreichend Fähigkeiten, um neben dem Ukraine-Krieg weitere, regional begrenzte militärische Operationen durchzuführen. Die Frage ist, ob wir zulassen, dass Russland so eine Gelegenheit überhaupt sieht und glaubt, erfolgreich nutzen zu können. Dass dazu die klare Absicht besteht, macht der Kreml seit Jahren deutlich: Sie akzeptieren die Eigenstaatlichkeit ehemaliger Sowjetrepubliken, eingebunden in EU und/oder Nato, nicht. Die Fähigkeiten Russlands hierzu kleinzureden, ist aus meiner Sicht ein großer Fehler.

Wie viel Zeit bleibt der Nato, sich auf einen möglichen Angriff vorzubereiten?

Wir haben grundsätzlich keine Zeit. Als Kommandeur des Multinationalen Korps Nord-Ost ist mein Blick auf das Jetzt gerichtet. Wir müssen jetzt einsatzbereit sein, um auf ein stetig wiedererstarkendes Russland reagieren zu können. Das bedeutet: Bereit sein mit dem, was ich heute zur Verfügung habe. Und gleichzeitig für ein Morgen, für ein Übermorgen zu planen und abgeleitet aus diesen Planungen die militärischen Fähigkeiten deutlich auszubauen.

Auf der Münchner Sicherheitskonferenz wird mit der Wiederbelebung des Weimarer Dreiecks aus Frankreich, Deutschland und Polen gerechnet. Ist dieses Bündnis auch militärisch sinnvoll, um die Nato im Osten zu verteidigen?

Um die Herausforderungen an der Ostflanke zu verstehen, braucht es meines Erachtens den Blick auf die Landkarte – und auf die jüngere Geschichte. Historisch haben die Länder, die mittlerweile Mitglieder der Nato sind, wie Polen oder die baltischen Staaten, entweder selbst zur Sowjetunion gehört oder lagen im Einflussbereich Moskaus. Diese Länder haben ein ganz eigenes Verständnis davon, wie Russland denkt und handelt. Da sollten wir noch genauer hinhören. Geografisch macht die Achse Frankreich-Deutschland-Polen es überhaupt erst möglich, auf ein offensives russisches Szenario im Baltikum zu reagieren. Hinter diesen drei Nationen verbergen sich große Volkswirtschaften mit entsprechenden Ressourcen und Infrastruktur. Deshalb halte ich das Dreieck Paris-Berlin-Warschau für eine ganz entscheidende Größe, um das kollektive Verständnis der Nato europäisch zu schärfen. Gleichzeitig sind und bleiben die USA der zentrale Alliierte für Deterrence and Defence in Europa.

Polen und andere osteuropäische Staaten haben in der Vergangenheit eher auf bilaterale Abkommen mit den USA gesetzt als auf kollektives Vorgehen. Muss sich das nicht ändern?

Meine zwei Jahre in Stettin haben mir ganz klar aufgezeigt, dass nur die Nato als First Responder eine Abschreckung gewährleisten kann, die dann auch als solche in Moskau wahrgenommen wird. Diese Überzeugung teilen in meiner Wahrnehmung auch die Nationen der Baltic Sea Region. Hier stehen wir gemeinsam einer Bedrohung gegenüber. Daraus folgere ich für meinen Bereich: Wir sind One Area of Operation – One Plan – One Team. Das ist der Grundsatz des Multinationale Korps Nord-Ost. Keiner kann die Bedrohung alleine bewältigen, wir können es nur gemeinsam im Bündnis. Im Übrigen: Wenn bilaterale Konstrukte innerhalb der Allianz verlässlicher wären als das Bündnis, würde es als solches infrage gestellt werden. So eine Entwicklung kann ich nicht erkennen – im Gegenteil.

Halten Sie vor diesem Hintergrund eine europäische Armee für richtig?

Grundsätzlich muss Europa militärisch eigenständig agieren können. Eine europäische militärische Struktur sollte sich aber meines Erachtens zunächst auf das konzentrieren, was funktioniert. Aus eigenem Erleben kann ich hier die deutsch-niederländische Kooperation als Paradebeispiel nennen: unter anderem der gleiche Sprachraum, ähnliche Strukturen der parlamentarischen Kontrolle des Militärs, und eine verwandte militärische Sozialisierung nach dem Zweiten Weltkrieg. In Europa haben sich aber nach 1945 während der Blockbildung sehr unterschiedliche militärische Traditionen und Doktrinen herausgebildet. Diese Entwicklung wirkt bis heute nach. Das war auch einer der Gründe, warum vor 25 Jahren auch auf deutsche Initiative hin das Multinationale Korps Nord-Ost gegründet wurde – um Polen und dann folgend die baltischen Staaten an die Nato heranzuführen. Und das war und ist eine Erfolgsgeschichte!

Zum Schluss ein Blick nach innen: Für wie kriegstüchtig halten Sie die Bundeswehr – und für wie kriegstüchtig die Deutschen?

Ich empfinde die Aufregung über diesen Begriff als akademisch – und “typisch deutsch”. Die Bundeswehr ist mit dem, was sie heute hat, kriegsfähig – weil ihre Soldatinnen und Soldaten kriegsfähig sind. Zentral ist dabei, dass “Kriegsfähigkeit” nur eine von mehreren Komponenten ist, durch die eine glaubhafte Verteidigungsfähigkeit und daraus folgend Abschreckung gebildet wird. Für mich gehören dazu untrennbar die Komponenten Durchsetzungsfähigkeit, Durchhaltefähigkeit und unsere Fähigkeit, zu siegen. Schwieriger ist die Frage zu beantworten, ob wir als Gesellschaft resilient genug sind, um einer Bedrohung ähnlich der in der Ukraine gegenüberzutreten. Darüber müssen wir in einen gesellschaftsweiten Dialog eintreten und uns dabei auch vergegenwärtigen, dass das Glück, dass wir hier in Deutschland wie im Paradies auf Erden leben, keine Selbstverständlichkeit ist. Verteidigung, das betrifft uns alle, nicht nur die Soldatinnen und Soldaten. Auch hier lohnt sich ein Blick auf unsere Alliierten im Baltikum.

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News

Wer alles zur 60. MSC kommt – und was hinter den Kulissen spannend wird

Mehr als 1.500 Teilnehmende lang ist die Gästeliste der 60. Münchner Sicherheitskonferenz, allein fünfzig Staats- und Regierungschefs kommen ins Hotel Bayerischer Hof, rund sechzig Außenminister und mehr als 25 Verteidigungsminister sowie zahlreiche weitere politische und militärische Repräsentanten. Darunter auch Regierungsvertreter aus mehr als 70 Staaten des sogenannten Globalen Südens – so viele wie nie zuvor.

Die Bundesregierung ist mit Kanzler Olaf Scholz, Außenministerin Annalena Baerbock, Verteidigungsminister Boris Pistorius, Vizekanzler Robert Habeck und Finanzminister Christian Lindner vertreten.

Die Vereinten Nationen werden von Israel kritisch gesehen

Offiziell eröffnet wird die 60. Münchner Sicherheitskonferenz am Freitag von UN-Generalsekretär Antonio Guterres. MSC-Chef Christoph Heusgen hatte den höchsten Repräsentanten der Weltorganisation nach den Terrorangriffen der Hamas auf Israel im Oktober 2023 in Schutz genommen vor Kritik aus Jerusalem. Ein diplomatisch brisanter Auftakt auch deshalb, weil Israels Botschafter in Berlin, Ron Prosor, Heusgen danach scharf anging. Israels Präsident Jitzach Herzog wird in München erwartet.

CIA-Direktor William J. Burns steht zwar nicht auf der Einladungsliste, könnte aber aus Kairo anreisen, wenn die Verhandlungen um die Freilassung israelischer Geiseln das zulassen.  

Nato-Saceur Cavolli – Are we ready to defend?

Klarstellen, dass an der Einheit der Allianz in Zeiten des Krieges nicht gerüttelt wird, dürfte schon am heutigen Donnerstagabend der höchstrangigste Nato-General in Europa, der Supreme Allied Commander Europe, Christopher G. Cavoli. Auf Einladung der Bayerischen Staatskanzlei und der Deutschen Atlantischen Gesellschaft redet er um 18.30 im Prinz-Carl-Palais zu der Frage: Nato at 75 – Are we ready to defend?

Den internationalen Sicherheitsherausforderungen ist der erste Konferenztag am Freitag gewidmet, am zweiten geht es vormittags um Wege zum Erhalt der internationalen Ordnung – und am Samstagnachmittag um Konflikte und Krisen von Sudan über Haiti, die Ukraine, den Balkan bis ans Rote Meer.

Annäherung hinter den Kulissen am Tag der Krisen

Vor allem hinter den Kulissen dürfte es spannend werden. So sind der serbische Präsident Aleksandar Vučić und Kosovo-Premier Albin Kurti im Bayerischen Hof präsent, um Entspannung zumindest im Südosten Europas voranzutreiben, wenn es schon im Nordosten und Osten des Staatenbundes kriselt. Auch die wichtigsten Stimmen der Zivilgesellschaft sind auf der Jubiläumskonferenz zugegen, darunter die Generalsekretärin von Amnesty International, Agnès Callemard, und der neue Geschäftsführer von Greenpeace, Mads Christensen.

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Exklusiv: Eckpunkte zur Nationalen Wirtschaftsschutzstrategie

Die Bundesregierung will zum Schutz der deutschen Unternehmen und Forschungseinrichtungen die privaten und staatlichen Akteure aller Ebenen enger miteinander verzahnen. Zuständig für die ressortübergreifende Kooperation soll der für den Wirtschaftsschutz zuständige parlamentarische Staatssekretär im Bundesinnenministerium sein. Dieser Plan ergibt sich aus einem Eckpunktepapier zur Nationalen Wirtschaftsschutzstrategie, das Table.Media vorliegt. Es wurde im Haus von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) in Abstimmung mit Stakeholdern erarbeitet und soll Donnerstagabend in München von Vertretern von Bundesinnenministerium und Verfassungsschutz vorgestellt werden.

Die Gefährdung für die Unternehmen nimmt demnach zu. “Im Kontext von geopolitischen und geoökonomischen Risiken steigt die Komplexität der Bedrohungen weltweit zunehmend an”, heißt es in dem Papier. “Die Hemmschwelle autoritärer Staaten für (Wirtschafts-) Spionage und Sabotage sinkt weiter. Hochprofessionelle kriminelle Akteure, auch aus den Strukturen der Organisierten Kriminalität, operieren teilweise im Auftrag und in enger Abstimmung mit staatlichen Sicherheitsorganisationen / Nachrichtendiensten.”

Um dieser Gefahrenlage zu begegnen, ist in dem Papier ein Aktionsplan mit zwölf Kernpunkten vorgesehen. Dazu gehören:

  • Ermittlung des Unterstützungsbedarfs von Start-ups, KMU, Großunternehmen sowie Forschungseinrichtungen in einem regelmäßigen, strukturierten Prozess.
  • Verzahnung mit bereits bestehenden staatlichen Initiativen im Bereich der Cybersicherheit, bspw. mit der Allianz für Cyber-Sicherheit.
  • Konzeption und Bereitstellung einer Plattform für den Austausch von staatlichen und privaten Akteuren zu Bedrohungen und Risiken für Wertschöpfungs- und Lieferketten unter Berücksichtigung von bereits etablierten Initiativen.

Das Eckpunktepapier zum Download: hier. hb

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Polens Vize-Außenminister: Europa ist östlicher geworden

Es war eine Zeit des Friedens und des Aufbruchs, als 1991 die Außenminister Polens, Frankreichs und Deutschlands das Weimarer Dreieck als neue politische Achse in Europa gründeten.

Man traf sich am 28. April zum Geburtstag Johann Wolfgang von Goethes in dessen Heimat Weimar. Der damalige deutsche Außenminister Hans-Dietrich Genscher wollte den “kulturellen und geistesgeschichtlichen Gedanken der europäischen Einheit” nach vorne stellen.

Gute Zeiten.

23 Jahre später tobt in Europa wieder ein Krieg, die Nato ist in Aufruhr und der deutsch-französische Motor stottert. Doch in Polen entwickelt sich die Lage besser. Die Wirtschaft floriert und mit Donald Tusk und Radosław Sikorski sind wieder glühende Europäer an der Regierung.

Ein guter Zeitpunkt also, um das Weimarer Dreieck wiederzubeleben. Nur bekommt es dieses Mal den Charakter eines Verteidigungsbündnisses.

Am vergangenen Montag kamen dazu bereits die Außenminister Annalena Baerbock, Stéphane Séjourné und Radosław Sikorski in Paris zusammen.

Und Christoph Heusgen, der Chef der Münchner Sicherheitskonferenz, der 2005 der früheren Bundeskanzlerin Angela Merkel geraten hatte, gleich nach Amtsbeginn nach Warschau zu reisen, will das Thema bei der Münchner Sicherheitskonferenz ebenfalls aufrufen. Zwar hat Polens Ministerpräsident Donald Tusk abgesagt, doch die Außenminister der drei Länder sehen sich wieder und wollen beraten, wie sie noch enger zusammenarbeiten können.

Marek Prawda, der von 2006 bis 2012 Botschafter Polens in Berlin und anschließend in Brüssel war, sieht unabhängig von der Konferenz die Zeit gekommen für eine Re-Vitalisierung der Partnerschaft

“Die EU ist eine Schicksalsgemeinschaft”

Das Weimarer Dreieck hat ein Momentum“, sagt er. Die sicherheitspolitische Lage mit dem Krieg in der Ukraine, der mögliche Rückzug der USA aus der Verteidigung Europas lasse den großen Nationen gar keine andere Wahl. “Die Sicherheitsfrage überlagert alles. Polen ist ein Frontstaat“, sagt er in fast akzentfreiem Deutsch. Die Europäische Union sei jetzt keine “Regelfabrik” mehr, sondern wirklich eine “Schicksalsgemeinschaft”. “Europa ist östlicher geworden. Polen ist bereit, mehr zu tun als in der Vergangenheit.” 

Polen hat nicht nur geopolitisch eine neue Relevanz bekommen, auch ökonomisch holt das Land seit Jahren auf. In den vergangenen drei Dekaden hat sich das reale Bruttoinlandsprodukt, kurz BIP, mehr als verdreifacht. Die Arbeitslosenquote hat einen Tiefststand erreicht und die Schuldenquote liegt deutlich unter dem EU-Durchschnitt. “Wachstumschampion”, nennt das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft Polen. Mittlerweile ist Polen die sechstgrößte Volkswirtschaft der EU, das Handelsvolumen hat sich seit 2002 versiebenfacht. Deutschland bleibt dabei der wichtigste Handelspartner. 

Dieses Jahr soll die Wirtschaft um 2,4 Prozent wachsen, fast doppelt so viel wie der Schnitt in der EU. In Deutschland wird Stagnation erwartet. Große Konzerne wie der Versicherungskonzern Ergo verlagern bereits Standorte gen Osten. 

Polen, und das ist auch die Botschaft des Gesprächs mit Marek Prawda, kann erstmals auf Augenhöhe mit Frankreich und Deutschland agieren. “Wir sollten in dem Format dann auch über die Zukunft Europas reden”, sagt Prawda. 

Als konkrete Themen für das Weimarer Dreieck hat der Vize-Außenminister die Verteidigungsunion, die EU-Osterweiterung und eine neue wirtschaftspolitische Souveränität Europas ausgemacht. 

Eine gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik müsse keine Konkurrenz zur Nato sein, sie sei das europäische Fundament für den Fortbestand der Nato als transatlantisches Bündnis. Zwischen den widerstreitenden Interessen der staatlich gelenkten Luftfahrt-Industrie in Frankreich und der privatwirtschaftlichen Panzer-Dominanz Deutschlands könne Polen moderieren. In einem Dreieck gebe es immer auch einen “moderierenden Partner”, sagt der ehemalige Botschafter Polens bei der EU. 

Sein Fazit: “Europa muss jetzt gehen lernen.”

Und Polen ist bereit, ganz vorne zu marschieren. 

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Standpunkt

It’s Geopolitics, Stupid!

Jan F. Kallmorgen ist Partner im Bereich Strategy & Transactions der internationalen Wirtschaftsprüfungs- und Unternehmensberatungsgesellschaft EY.

“It´s the economy, stupid” – mit diesem Slogan gewann Bill Clinton die Wahl zum U.S. Präsidenten. Das war in den 1990ern, den goldenen Jahren der Globalisierung. Wenn sich kommendes Wochenende zum sechzigsten Mal Staatschefs, Minister, Diplomaten, Militärs, Think Tanker, Journalisten und Wirtschaftsvertreter im Bayerischen Hof zur Münchner Sicherheitskonferenz drängen, wäre der passende Leitspruch: “It’s Geopolitcs, stupid!”

Denn das Primat der Politik ist zurück: Nicht erst seit dem Krieg Russlands gegen die Ukraine dominieren Außen- und Sicherheitspolitik über Globalisierung, freien Handel, offene Märkte und den Austausch von Waren, Dienstleistungen und Kapital. Wir erleben eine Fragmentierung der Welt mit neuen Blöcken und nationalen Interessengegensätzen. Oder, um es mit dem Ökonomen Mohamed A. El-Erian zu formulieren: “Regierungen weltweit übernehmen immer mehr das Steuer, und die Wirtschaft nimmt auf der Hinterbank Platz.”

Ermüdet von der Unterstützung der Ukraine

Konferenzen wie die MSC bieten Vertretern großer Private Equity Häuser und Investment Funds eine gute Gelegenheit, mit zentralen Akteuren in Regierungen, Diplomatie, Nachrichtendiensten und Militär vertrauliche Gespräche zu führen. Nirgends sonst lässt sich so gut analysieren, wo die Schnittstellen zwischen internationaler Sicherheitspolitik mit ökonomischen Interessen liegen. Ein Blick auf einige Themen der diesjährigen Sicherheitskonferenz zeigt dies.

Ganz oben auf der Tagesordnung und der geopolitischen Risiken steht die Ukraine. Russland spekuliert auf Ermüdungserscheinungen des Westens. Die Ablehnung der Ukraine-Hilfen im US-Senat und die jüngsten Äußerungen von Donald Trump zur Nato dürften den Kreml bestärken. Russland wird den Krieg mit Härte fortsetzen, das Leid in der Ukraine wird weitergehen, Rohstoff,- und Nahrungsmittelexporte werden blockiert, Seewege im Schwarzen Meer gestört und Cyber-Attacken im Baltikum und Osteuropa, aber auch in Deutschland, werden wahrscheinlicher.

Wachstumsmarkt Naher und Mittlerer Osten

Der Nahe und Mittlere Osten wird ein weiteres Großthema auf der MSC sein. Politisch steht die Beendigung des Gaza-Krieges bei Wahrung von Israels Sicherheitsinteressen im Mittelpunkt. Kurzfristig ist mit weiteren Anschlägen iranischer Proxies auf Schiffe oder Ölförderungsanlagen zu rechnen, entsprechend dürften Energiepreise volatil bleiben und Transport- und Versicherungskosten für Tanker und Containerschiffe steigen.  

Die mittelfristige Perspektive auf die Region eröffnet Chancen für Unternehmen: Staaten wie Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate und Katar haben ein hohes Interesse an einer Stabilisierung der Region und große geoökonomische Ambitionen. Sie investieren massiv in den Aufbau ihrer Infrastrukturen, Städte und Technologien und setzen auf westliche Partnerschaften.

Zudem positionieren sich die arabischen Staatsfonds verstärkt als langfristige Ankerinvestoren bei deutschen Konzernen, und die Golfstaaten könnten zu wichtigen Partnern der Energiewende von westlichen Regierungen werden, etwa bei der Produktion von Wasserstoff. Unternehmenslenker sollten die Beziehungen zu den Akteuren intensivieren, etwa durch Teilnahme an einer der vielen Investorenkonferenzen in Abu Dhabi, Dubai oder Riad.

Strategisches Dreieck China, USA, Europa

Die für alle globalen Unternehmen zentrale geostrategische Frage ist die des künftigen Verhältnisses zwischen den drei größten Wirtschaftsblöcken China, den USA und Europa. China hat den militärischen Druck auf Taiwan in den vergangenen Monaten stark erhöht. China, nicht Russland, wird in Washington als strategischer Gegner gesehen; der geopolitische Fokus der USA wird langfristig auf dem Indopazifik liegen.

Zwar sind sich die meisten Experten einig, dass es 2024 nicht zu einer direkten kriegerischen Auseinandersetzung zwischen China und den USA kommen wird – allerdings dürften die Marine- und Luftmanöver weitergehen und das Eskalationsrisiko steigen. Ebenso möglich sind chinesische Seeblockaden oder Cyberattacken. Die USA dürften darauf mit einer Stärkung ihrer maritimen Präsenz reagieren und könnten neue Sanktionen gegen China verhängen, denen sich die EU und deutsche Unternehmen kaum werden entziehen können.

Milliarden für Europas Sicherheitsindustrie

Dieser Ausschnitt auf die aktuellen globalen Herausforderungen zeigt: Unternehmen müssen heute ein systematisches Risikomanagement betreiben, vom 360 Grad-Monitoring über Szenario-Planungen bis zur regelmäßigen geopolitischen Impact-Analyse. Ein Gewinner dieser Entwicklung wird die Verteidigungs- und Sicherheitsindustrie sein. Denn die europäischen Nato-Länder werden – unabhängig davon, wer der nächste US-Präsident wird – in den kommenden Jahren Milliarden in ihre Heere, Marinen, Luftwaffen und Cyberfähigkeiten investieren müssen: Panzer, Flugzeuge, Schiffe, U-Boote, Raketen, Drohnen, Munition, Telekommunikationsausrüstung, Satelliten oder KI-gestützte Aufklärungssysteme – die Einkaufsliste ist lang.

Investoren haben dies längst erkannt und setzen auf den Defense-Sektor. Die entscheidende Frage wird sein, wie die Hunderte von Milliarden angesichts klammer nationaler Budgets finanziert werden können. Diskutiert wird ein neuer gemeinschaftlich an den Kapitalmärkten finanzierter EU-Fonds nach dem Vorbild des 750 Milliarden Corona-Hilfspakets. Ebenso entscheidend wird sein, ob die EU-Kommission Investitionen in die Sicherheits- und Verteidigungsindustrie als ESG-konform qualifiziert, damit auch große institutionelle Anleger leichter Gelder in den Sektor allokieren können.

Jan F. Kallmorgen ist seit Februar 2024 Partner im Bereich Strategy & Transactions der internationalen Wirtschaftsprüfungs- und Unternehmensberatungsgesellschaft EY. 2017 gründete er die auf Geopolitik und Government Affairs spezialisierte Beratungsfirma Berlin Global Advisors (BGA). Zuvor war Kallmorgen Partner bei internationalen Public-Affairs-Firmen; er arbeitete für Think Tanks und die Investment-Bank Goldman Sachs.

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Security.Table Redaktion

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    Was die geopolitischen Umbrüche von der Ukraine bis ins Rote Meer für die exportorientierte europäische Wirtschaft bedeuten, beschreibt Jan Kallmorgen, Partner bei der internationalen Unternehmensberatungsgesellschaft EY. Seismografische Verschiebungen zwischen den globalen Machtzentren USA, China und Europa spielten für Private-Equity-Häuser und Investment Funds eine zunehmend wichtigere Rolle bei Investitionsentscheidungen.

    Das gilt nicht zuletzt für die Ukraine, wo Russland trotz internationaler Sanktionen und anhaltenden ökonomischen Drucks seit fast zwei Jahren einen groß angelegten Krieg führt. Ohne die Hilfe anderer Staaten wäre das kaum möglich. Wie Russlands Unterstützer dem Regime in Moskau helfen, hat Security.Table in der Serie “Russlands Freunde” in einem PDF-Reader zusammengefasst. Hier können Sie ihn kostenlos herunterladen.  

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    Markus Bickel
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    Pistorius: “Der Krieg in der Ukraine wird am Fließband entschieden”

    “Der Krieg in der Ukraine wird am Ende auch am Fließband in den Produktionsländern der Welt entschieden”, sagte Verteidigungsminister Boris Pistorius vor Beginn des Treffens der Vertreter von rund 50 Nationen, die in der “Ukraine Defense Contact Group” die militärischen Hilfslieferungen koordinieren. Der deutsche Ressortchef hatte dabei vor allem die Herstellung von Artilleriemunition im Blick, für die der deutsche Rheinmetall-Konzern Anfang der Woche ein neues Werk in Niedersachsen eröffnete: “Munition ist eine globale Mangelware.” In diesem Jahr kündigte Pistorius an, werde Deutschland das Drei- bis Vierfache der Vorjahresmenge an Artilleriegranaten an die Ukraine liefern.

    In kleineren, sogenannten Fähigkeitsgruppen bemühen sich die Ukraine-Unterstützer für mehr und schnellere Ausstattung des Landes im Krieg. Gemeinsam mit 13 anderen Nationen unterzeichneten Deutschland und Frankreich dafür in Brüssel eine Absichtserklärung (Letter of Intent) für eine Verbesserung der Flugabwehrmöglichkeiten.

    “Die Stärkung der Luftverteidigungsfähigkeiten der Ukraine ist für die Zukunft des Konflikts und den Schutz der Zivilbevölkerung von entscheidender Bedeutung“, sagte der französische Verteidigungsminister Sébastien Lecornu, der gemeinsam mit Pistorius die Gruppe leitet. Ihr gehören neben den beiden Führungsnationen die Ukraine, Belgien, Dänemark, Griechenland, Großbritannien, Litauen, die Niederlande, Norwegen, Polen, Slowenien, Spanien, die Türkei und die USA an.

    USA wollen die Unterstützergruppe weiter anführen

    US-Verteidigungsminister Lloyd Austin, der wegen einer vorangegangenen Krebsbehandlung im Krankenhaus per Video zum Ramstein-Treffen zugeschaltet war, sicherte zur Eröffnung der Sitzung die anhaltende Unterstützung des Westens für die Ukraine zu – auch durch die USA. “Amerika wird seine Hilfe für den grundlegenden Kampf der Ukraine gegen Putins imperiale Aggression fortsetzen”, versprach der Pentagon-Chef ungeachtet des innenpolitischen Streits in den USA über weitere Unterstützung.

    Die USA sind zudem offensichtlich entschlossen, ungeachtet ihrer innenpolitischen Probleme die internationale Unterstützer-Koalition weiterzuführen. Angesichts von Überlegungen, diese Koordinationsaufgabe der Nato zu übertragen, zeigte sich der Generalsekretär der Allianz zurückhaltend. Es gebe zwar Gespräche, aber entscheidend sei das Ziel, die Ukraine auf dem besten und zuverlässigsten Weg zu unterstützen, sagte Jens Stoltenberg. Die US-Botschafterin bei der Nato, Julianne Smith, war vor dem Treffen da deutlicher, wenn auch diplomatisch formuliert: “Dieses Format bringt wirklich Ergebnisse… und die USA werden sich weiterhin in diesen Prozess einbringen.”

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    Nato-General von Sandrart: “Wir müssen jetzt einsatzbereit sein, um auf ein wiedererstarkendes Russland reagieren zu können”

    Jürgen-Joachim von Sandrart sagt, Europa müsse militärisch eigenständiger agieren können.

    Aus Ihrer militärischen Sicht: Könnte Russland überhaupt die Nato angreifen?

    Russland verfügt heute über ausreichend Fähigkeiten, um neben dem Ukraine-Krieg weitere, regional begrenzte militärische Operationen durchzuführen. Die Frage ist, ob wir zulassen, dass Russland so eine Gelegenheit überhaupt sieht und glaubt, erfolgreich nutzen zu können. Dass dazu die klare Absicht besteht, macht der Kreml seit Jahren deutlich: Sie akzeptieren die Eigenstaatlichkeit ehemaliger Sowjetrepubliken, eingebunden in EU und/oder Nato, nicht. Die Fähigkeiten Russlands hierzu kleinzureden, ist aus meiner Sicht ein großer Fehler.

    Wie viel Zeit bleibt der Nato, sich auf einen möglichen Angriff vorzubereiten?

    Wir haben grundsätzlich keine Zeit. Als Kommandeur des Multinationalen Korps Nord-Ost ist mein Blick auf das Jetzt gerichtet. Wir müssen jetzt einsatzbereit sein, um auf ein stetig wiedererstarkendes Russland reagieren zu können. Das bedeutet: Bereit sein mit dem, was ich heute zur Verfügung habe. Und gleichzeitig für ein Morgen, für ein Übermorgen zu planen und abgeleitet aus diesen Planungen die militärischen Fähigkeiten deutlich auszubauen.

    Auf der Münchner Sicherheitskonferenz wird mit der Wiederbelebung des Weimarer Dreiecks aus Frankreich, Deutschland und Polen gerechnet. Ist dieses Bündnis auch militärisch sinnvoll, um die Nato im Osten zu verteidigen?

    Um die Herausforderungen an der Ostflanke zu verstehen, braucht es meines Erachtens den Blick auf die Landkarte – und auf die jüngere Geschichte. Historisch haben die Länder, die mittlerweile Mitglieder der Nato sind, wie Polen oder die baltischen Staaten, entweder selbst zur Sowjetunion gehört oder lagen im Einflussbereich Moskaus. Diese Länder haben ein ganz eigenes Verständnis davon, wie Russland denkt und handelt. Da sollten wir noch genauer hinhören. Geografisch macht die Achse Frankreich-Deutschland-Polen es überhaupt erst möglich, auf ein offensives russisches Szenario im Baltikum zu reagieren. Hinter diesen drei Nationen verbergen sich große Volkswirtschaften mit entsprechenden Ressourcen und Infrastruktur. Deshalb halte ich das Dreieck Paris-Berlin-Warschau für eine ganz entscheidende Größe, um das kollektive Verständnis der Nato europäisch zu schärfen. Gleichzeitig sind und bleiben die USA der zentrale Alliierte für Deterrence and Defence in Europa.

    Polen und andere osteuropäische Staaten haben in der Vergangenheit eher auf bilaterale Abkommen mit den USA gesetzt als auf kollektives Vorgehen. Muss sich das nicht ändern?

    Meine zwei Jahre in Stettin haben mir ganz klar aufgezeigt, dass nur die Nato als First Responder eine Abschreckung gewährleisten kann, die dann auch als solche in Moskau wahrgenommen wird. Diese Überzeugung teilen in meiner Wahrnehmung auch die Nationen der Baltic Sea Region. Hier stehen wir gemeinsam einer Bedrohung gegenüber. Daraus folgere ich für meinen Bereich: Wir sind One Area of Operation – One Plan – One Team. Das ist der Grundsatz des Multinationale Korps Nord-Ost. Keiner kann die Bedrohung alleine bewältigen, wir können es nur gemeinsam im Bündnis. Im Übrigen: Wenn bilaterale Konstrukte innerhalb der Allianz verlässlicher wären als das Bündnis, würde es als solches infrage gestellt werden. So eine Entwicklung kann ich nicht erkennen – im Gegenteil.

    Halten Sie vor diesem Hintergrund eine europäische Armee für richtig?

    Grundsätzlich muss Europa militärisch eigenständig agieren können. Eine europäische militärische Struktur sollte sich aber meines Erachtens zunächst auf das konzentrieren, was funktioniert. Aus eigenem Erleben kann ich hier die deutsch-niederländische Kooperation als Paradebeispiel nennen: unter anderem der gleiche Sprachraum, ähnliche Strukturen der parlamentarischen Kontrolle des Militärs, und eine verwandte militärische Sozialisierung nach dem Zweiten Weltkrieg. In Europa haben sich aber nach 1945 während der Blockbildung sehr unterschiedliche militärische Traditionen und Doktrinen herausgebildet. Diese Entwicklung wirkt bis heute nach. Das war auch einer der Gründe, warum vor 25 Jahren auch auf deutsche Initiative hin das Multinationale Korps Nord-Ost gegründet wurde – um Polen und dann folgend die baltischen Staaten an die Nato heranzuführen. Und das war und ist eine Erfolgsgeschichte!

    Zum Schluss ein Blick nach innen: Für wie kriegstüchtig halten Sie die Bundeswehr – und für wie kriegstüchtig die Deutschen?

    Ich empfinde die Aufregung über diesen Begriff als akademisch – und “typisch deutsch”. Die Bundeswehr ist mit dem, was sie heute hat, kriegsfähig – weil ihre Soldatinnen und Soldaten kriegsfähig sind. Zentral ist dabei, dass “Kriegsfähigkeit” nur eine von mehreren Komponenten ist, durch die eine glaubhafte Verteidigungsfähigkeit und daraus folgend Abschreckung gebildet wird. Für mich gehören dazu untrennbar die Komponenten Durchsetzungsfähigkeit, Durchhaltefähigkeit und unsere Fähigkeit, zu siegen. Schwieriger ist die Frage zu beantworten, ob wir als Gesellschaft resilient genug sind, um einer Bedrohung ähnlich der in der Ukraine gegenüberzutreten. Darüber müssen wir in einen gesellschaftsweiten Dialog eintreten und uns dabei auch vergegenwärtigen, dass das Glück, dass wir hier in Deutschland wie im Paradies auf Erden leben, keine Selbstverständlichkeit ist. Verteidigung, das betrifft uns alle, nicht nur die Soldatinnen und Soldaten. Auch hier lohnt sich ein Blick auf unsere Alliierten im Baltikum.

    • Bundeswehr
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    Wer alles zur 60. MSC kommt – und was hinter den Kulissen spannend wird

    Mehr als 1.500 Teilnehmende lang ist die Gästeliste der 60. Münchner Sicherheitskonferenz, allein fünfzig Staats- und Regierungschefs kommen ins Hotel Bayerischer Hof, rund sechzig Außenminister und mehr als 25 Verteidigungsminister sowie zahlreiche weitere politische und militärische Repräsentanten. Darunter auch Regierungsvertreter aus mehr als 70 Staaten des sogenannten Globalen Südens – so viele wie nie zuvor.

    Die Bundesregierung ist mit Kanzler Olaf Scholz, Außenministerin Annalena Baerbock, Verteidigungsminister Boris Pistorius, Vizekanzler Robert Habeck und Finanzminister Christian Lindner vertreten.

    Die Vereinten Nationen werden von Israel kritisch gesehen

    Offiziell eröffnet wird die 60. Münchner Sicherheitskonferenz am Freitag von UN-Generalsekretär Antonio Guterres. MSC-Chef Christoph Heusgen hatte den höchsten Repräsentanten der Weltorganisation nach den Terrorangriffen der Hamas auf Israel im Oktober 2023 in Schutz genommen vor Kritik aus Jerusalem. Ein diplomatisch brisanter Auftakt auch deshalb, weil Israels Botschafter in Berlin, Ron Prosor, Heusgen danach scharf anging. Israels Präsident Jitzach Herzog wird in München erwartet.

    CIA-Direktor William J. Burns steht zwar nicht auf der Einladungsliste, könnte aber aus Kairo anreisen, wenn die Verhandlungen um die Freilassung israelischer Geiseln das zulassen.  

    Nato-Saceur Cavolli – Are we ready to defend?

    Klarstellen, dass an der Einheit der Allianz in Zeiten des Krieges nicht gerüttelt wird, dürfte schon am heutigen Donnerstagabend der höchstrangigste Nato-General in Europa, der Supreme Allied Commander Europe, Christopher G. Cavoli. Auf Einladung der Bayerischen Staatskanzlei und der Deutschen Atlantischen Gesellschaft redet er um 18.30 im Prinz-Carl-Palais zu der Frage: Nato at 75 – Are we ready to defend?

    Den internationalen Sicherheitsherausforderungen ist der erste Konferenztag am Freitag gewidmet, am zweiten geht es vormittags um Wege zum Erhalt der internationalen Ordnung – und am Samstagnachmittag um Konflikte und Krisen von Sudan über Haiti, die Ukraine, den Balkan bis ans Rote Meer.

    Annäherung hinter den Kulissen am Tag der Krisen

    Vor allem hinter den Kulissen dürfte es spannend werden. So sind der serbische Präsident Aleksandar Vučić und Kosovo-Premier Albin Kurti im Bayerischen Hof präsent, um Entspannung zumindest im Südosten Europas voranzutreiben, wenn es schon im Nordosten und Osten des Staatenbundes kriselt. Auch die wichtigsten Stimmen der Zivilgesellschaft sind auf der Jubiläumskonferenz zugegen, darunter die Generalsekretärin von Amnesty International, Agnès Callemard, und der neue Geschäftsführer von Greenpeace, Mads Christensen.

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    Exklusiv: Eckpunkte zur Nationalen Wirtschaftsschutzstrategie

    Die Bundesregierung will zum Schutz der deutschen Unternehmen und Forschungseinrichtungen die privaten und staatlichen Akteure aller Ebenen enger miteinander verzahnen. Zuständig für die ressortübergreifende Kooperation soll der für den Wirtschaftsschutz zuständige parlamentarische Staatssekretär im Bundesinnenministerium sein. Dieser Plan ergibt sich aus einem Eckpunktepapier zur Nationalen Wirtschaftsschutzstrategie, das Table.Media vorliegt. Es wurde im Haus von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) in Abstimmung mit Stakeholdern erarbeitet und soll Donnerstagabend in München von Vertretern von Bundesinnenministerium und Verfassungsschutz vorgestellt werden.

    Die Gefährdung für die Unternehmen nimmt demnach zu. “Im Kontext von geopolitischen und geoökonomischen Risiken steigt die Komplexität der Bedrohungen weltweit zunehmend an”, heißt es in dem Papier. “Die Hemmschwelle autoritärer Staaten für (Wirtschafts-) Spionage und Sabotage sinkt weiter. Hochprofessionelle kriminelle Akteure, auch aus den Strukturen der Organisierten Kriminalität, operieren teilweise im Auftrag und in enger Abstimmung mit staatlichen Sicherheitsorganisationen / Nachrichtendiensten.”

    Um dieser Gefahrenlage zu begegnen, ist in dem Papier ein Aktionsplan mit zwölf Kernpunkten vorgesehen. Dazu gehören:

    • Ermittlung des Unterstützungsbedarfs von Start-ups, KMU, Großunternehmen sowie Forschungseinrichtungen in einem regelmäßigen, strukturierten Prozess.
    • Verzahnung mit bereits bestehenden staatlichen Initiativen im Bereich der Cybersicherheit, bspw. mit der Allianz für Cyber-Sicherheit.
    • Konzeption und Bereitstellung einer Plattform für den Austausch von staatlichen und privaten Akteuren zu Bedrohungen und Risiken für Wertschöpfungs- und Lieferketten unter Berücksichtigung von bereits etablierten Initiativen.

    Das Eckpunktepapier zum Download: hier. hb

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    Polens Vize-Außenminister: Europa ist östlicher geworden

    Es war eine Zeit des Friedens und des Aufbruchs, als 1991 die Außenminister Polens, Frankreichs und Deutschlands das Weimarer Dreieck als neue politische Achse in Europa gründeten.

    Man traf sich am 28. April zum Geburtstag Johann Wolfgang von Goethes in dessen Heimat Weimar. Der damalige deutsche Außenminister Hans-Dietrich Genscher wollte den “kulturellen und geistesgeschichtlichen Gedanken der europäischen Einheit” nach vorne stellen.

    Gute Zeiten.

    23 Jahre später tobt in Europa wieder ein Krieg, die Nato ist in Aufruhr und der deutsch-französische Motor stottert. Doch in Polen entwickelt sich die Lage besser. Die Wirtschaft floriert und mit Donald Tusk und Radosław Sikorski sind wieder glühende Europäer an der Regierung.

    Ein guter Zeitpunkt also, um das Weimarer Dreieck wiederzubeleben. Nur bekommt es dieses Mal den Charakter eines Verteidigungsbündnisses.

    Am vergangenen Montag kamen dazu bereits die Außenminister Annalena Baerbock, Stéphane Séjourné und Radosław Sikorski in Paris zusammen.

    Und Christoph Heusgen, der Chef der Münchner Sicherheitskonferenz, der 2005 der früheren Bundeskanzlerin Angela Merkel geraten hatte, gleich nach Amtsbeginn nach Warschau zu reisen, will das Thema bei der Münchner Sicherheitskonferenz ebenfalls aufrufen. Zwar hat Polens Ministerpräsident Donald Tusk abgesagt, doch die Außenminister der drei Länder sehen sich wieder und wollen beraten, wie sie noch enger zusammenarbeiten können.

    Marek Prawda, der von 2006 bis 2012 Botschafter Polens in Berlin und anschließend in Brüssel war, sieht unabhängig von der Konferenz die Zeit gekommen für eine Re-Vitalisierung der Partnerschaft

    “Die EU ist eine Schicksalsgemeinschaft”

    Das Weimarer Dreieck hat ein Momentum“, sagt er. Die sicherheitspolitische Lage mit dem Krieg in der Ukraine, der mögliche Rückzug der USA aus der Verteidigung Europas lasse den großen Nationen gar keine andere Wahl. “Die Sicherheitsfrage überlagert alles. Polen ist ein Frontstaat“, sagt er in fast akzentfreiem Deutsch. Die Europäische Union sei jetzt keine “Regelfabrik” mehr, sondern wirklich eine “Schicksalsgemeinschaft”. “Europa ist östlicher geworden. Polen ist bereit, mehr zu tun als in der Vergangenheit.” 

    Polen hat nicht nur geopolitisch eine neue Relevanz bekommen, auch ökonomisch holt das Land seit Jahren auf. In den vergangenen drei Dekaden hat sich das reale Bruttoinlandsprodukt, kurz BIP, mehr als verdreifacht. Die Arbeitslosenquote hat einen Tiefststand erreicht und die Schuldenquote liegt deutlich unter dem EU-Durchschnitt. “Wachstumschampion”, nennt das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft Polen. Mittlerweile ist Polen die sechstgrößte Volkswirtschaft der EU, das Handelsvolumen hat sich seit 2002 versiebenfacht. Deutschland bleibt dabei der wichtigste Handelspartner. 

    Dieses Jahr soll die Wirtschaft um 2,4 Prozent wachsen, fast doppelt so viel wie der Schnitt in der EU. In Deutschland wird Stagnation erwartet. Große Konzerne wie der Versicherungskonzern Ergo verlagern bereits Standorte gen Osten. 

    Polen, und das ist auch die Botschaft des Gesprächs mit Marek Prawda, kann erstmals auf Augenhöhe mit Frankreich und Deutschland agieren. “Wir sollten in dem Format dann auch über die Zukunft Europas reden”, sagt Prawda. 

    Als konkrete Themen für das Weimarer Dreieck hat der Vize-Außenminister die Verteidigungsunion, die EU-Osterweiterung und eine neue wirtschaftspolitische Souveränität Europas ausgemacht. 

    Eine gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik müsse keine Konkurrenz zur Nato sein, sie sei das europäische Fundament für den Fortbestand der Nato als transatlantisches Bündnis. Zwischen den widerstreitenden Interessen der staatlich gelenkten Luftfahrt-Industrie in Frankreich und der privatwirtschaftlichen Panzer-Dominanz Deutschlands könne Polen moderieren. In einem Dreieck gebe es immer auch einen “moderierenden Partner”, sagt der ehemalige Botschafter Polens bei der EU. 

    Sein Fazit: “Europa muss jetzt gehen lernen.”

    Und Polen ist bereit, ganz vorne zu marschieren. 

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    Standpunkt

    It’s Geopolitics, Stupid!

    Jan F. Kallmorgen ist Partner im Bereich Strategy & Transactions der internationalen Wirtschaftsprüfungs- und Unternehmensberatungsgesellschaft EY.

    “It´s the economy, stupid” – mit diesem Slogan gewann Bill Clinton die Wahl zum U.S. Präsidenten. Das war in den 1990ern, den goldenen Jahren der Globalisierung. Wenn sich kommendes Wochenende zum sechzigsten Mal Staatschefs, Minister, Diplomaten, Militärs, Think Tanker, Journalisten und Wirtschaftsvertreter im Bayerischen Hof zur Münchner Sicherheitskonferenz drängen, wäre der passende Leitspruch: “It’s Geopolitcs, stupid!”

    Denn das Primat der Politik ist zurück: Nicht erst seit dem Krieg Russlands gegen die Ukraine dominieren Außen- und Sicherheitspolitik über Globalisierung, freien Handel, offene Märkte und den Austausch von Waren, Dienstleistungen und Kapital. Wir erleben eine Fragmentierung der Welt mit neuen Blöcken und nationalen Interessengegensätzen. Oder, um es mit dem Ökonomen Mohamed A. El-Erian zu formulieren: “Regierungen weltweit übernehmen immer mehr das Steuer, und die Wirtschaft nimmt auf der Hinterbank Platz.”

    Ermüdet von der Unterstützung der Ukraine

    Konferenzen wie die MSC bieten Vertretern großer Private Equity Häuser und Investment Funds eine gute Gelegenheit, mit zentralen Akteuren in Regierungen, Diplomatie, Nachrichtendiensten und Militär vertrauliche Gespräche zu führen. Nirgends sonst lässt sich so gut analysieren, wo die Schnittstellen zwischen internationaler Sicherheitspolitik mit ökonomischen Interessen liegen. Ein Blick auf einige Themen der diesjährigen Sicherheitskonferenz zeigt dies.

    Ganz oben auf der Tagesordnung und der geopolitischen Risiken steht die Ukraine. Russland spekuliert auf Ermüdungserscheinungen des Westens. Die Ablehnung der Ukraine-Hilfen im US-Senat und die jüngsten Äußerungen von Donald Trump zur Nato dürften den Kreml bestärken. Russland wird den Krieg mit Härte fortsetzen, das Leid in der Ukraine wird weitergehen, Rohstoff,- und Nahrungsmittelexporte werden blockiert, Seewege im Schwarzen Meer gestört und Cyber-Attacken im Baltikum und Osteuropa, aber auch in Deutschland, werden wahrscheinlicher.

    Wachstumsmarkt Naher und Mittlerer Osten

    Der Nahe und Mittlere Osten wird ein weiteres Großthema auf der MSC sein. Politisch steht die Beendigung des Gaza-Krieges bei Wahrung von Israels Sicherheitsinteressen im Mittelpunkt. Kurzfristig ist mit weiteren Anschlägen iranischer Proxies auf Schiffe oder Ölförderungsanlagen zu rechnen, entsprechend dürften Energiepreise volatil bleiben und Transport- und Versicherungskosten für Tanker und Containerschiffe steigen.  

    Die mittelfristige Perspektive auf die Region eröffnet Chancen für Unternehmen: Staaten wie Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate und Katar haben ein hohes Interesse an einer Stabilisierung der Region und große geoökonomische Ambitionen. Sie investieren massiv in den Aufbau ihrer Infrastrukturen, Städte und Technologien und setzen auf westliche Partnerschaften.

    Zudem positionieren sich die arabischen Staatsfonds verstärkt als langfristige Ankerinvestoren bei deutschen Konzernen, und die Golfstaaten könnten zu wichtigen Partnern der Energiewende von westlichen Regierungen werden, etwa bei der Produktion von Wasserstoff. Unternehmenslenker sollten die Beziehungen zu den Akteuren intensivieren, etwa durch Teilnahme an einer der vielen Investorenkonferenzen in Abu Dhabi, Dubai oder Riad.

    Strategisches Dreieck China, USA, Europa

    Die für alle globalen Unternehmen zentrale geostrategische Frage ist die des künftigen Verhältnisses zwischen den drei größten Wirtschaftsblöcken China, den USA und Europa. China hat den militärischen Druck auf Taiwan in den vergangenen Monaten stark erhöht. China, nicht Russland, wird in Washington als strategischer Gegner gesehen; der geopolitische Fokus der USA wird langfristig auf dem Indopazifik liegen.

    Zwar sind sich die meisten Experten einig, dass es 2024 nicht zu einer direkten kriegerischen Auseinandersetzung zwischen China und den USA kommen wird – allerdings dürften die Marine- und Luftmanöver weitergehen und das Eskalationsrisiko steigen. Ebenso möglich sind chinesische Seeblockaden oder Cyberattacken. Die USA dürften darauf mit einer Stärkung ihrer maritimen Präsenz reagieren und könnten neue Sanktionen gegen China verhängen, denen sich die EU und deutsche Unternehmen kaum werden entziehen können.

    Milliarden für Europas Sicherheitsindustrie

    Dieser Ausschnitt auf die aktuellen globalen Herausforderungen zeigt: Unternehmen müssen heute ein systematisches Risikomanagement betreiben, vom 360 Grad-Monitoring über Szenario-Planungen bis zur regelmäßigen geopolitischen Impact-Analyse. Ein Gewinner dieser Entwicklung wird die Verteidigungs- und Sicherheitsindustrie sein. Denn die europäischen Nato-Länder werden – unabhängig davon, wer der nächste US-Präsident wird – in den kommenden Jahren Milliarden in ihre Heere, Marinen, Luftwaffen und Cyberfähigkeiten investieren müssen: Panzer, Flugzeuge, Schiffe, U-Boote, Raketen, Drohnen, Munition, Telekommunikationsausrüstung, Satelliten oder KI-gestützte Aufklärungssysteme – die Einkaufsliste ist lang.

    Investoren haben dies längst erkannt und setzen auf den Defense-Sektor. Die entscheidende Frage wird sein, wie die Hunderte von Milliarden angesichts klammer nationaler Budgets finanziert werden können. Diskutiert wird ein neuer gemeinschaftlich an den Kapitalmärkten finanzierter EU-Fonds nach dem Vorbild des 750 Milliarden Corona-Hilfspakets. Ebenso entscheidend wird sein, ob die EU-Kommission Investitionen in die Sicherheits- und Verteidigungsindustrie als ESG-konform qualifiziert, damit auch große institutionelle Anleger leichter Gelder in den Sektor allokieren können.

    Jan F. Kallmorgen ist seit Februar 2024 Partner im Bereich Strategy & Transactions der internationalen Wirtschaftsprüfungs- und Unternehmensberatungsgesellschaft EY. 2017 gründete er die auf Geopolitik und Government Affairs spezialisierte Beratungsfirma Berlin Global Advisors (BGA). Zuvor war Kallmorgen Partner bei internationalen Public-Affairs-Firmen; er arbeitete für Think Tanks und die Investment-Bank Goldman Sachs.

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