die 60. Münchner Sicherheitskonferenz ist vorbei, um 13.18 beendete Christoph Heusgen die Jubiläumszusammenkunft mit den Worten: “Ich habe einen Silberstreifen gefunden darin, wofür München steht: Frieden durch Dialog.”
Krisen, Kriege und Konflikte zumindest im Ansatz zu entschärfen, hatte der MSC-Vorsitzende zum Konferenzauftakt am Freitag als Ziel genannt. Heusgens Wendung vom “Silberstreif am Horizont” griff am Samstag auch Bundeskanzler Olaf Scholz auf, als er nicht ganz ohne Hoffnung auf die Ukraine blickte – angesichts der tags zuvor in Paris und Berlin unterzeichneten Sicherheitsabkommen mit Kiew.
Verhalten optimistisch, dass das US-Repräsentantenhaus ein 60-Milliarden-Hilfspaket doch noch genehmigen werde, äußerte sich der Spitzenkandidat für die Nachfolge von Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg, Mark Rutte. Und gab den europäischen Nato-Partnern noch einen mit: “Wir sollten aufhören, über Trump zu jammern, zu winseln und zu nörgeln”, sagte der scheidende niederländische Ministerpräsident. Ihre sicherheitspolitischen Hausaufgaben müssten die Europäer schon selbst machen.
Vielen Dank für Ihr Interesse an unseren Table.Spezials zur 60. MSC, den regulären Security.Tabe lesen Sie wie gewohnt am Dienstagmorgen
Am letzten Konferenztag stand das Thema nicht noch einmal auf der Tagesordnung: Ernährungssicherheit. Auch der Klimawandel als Treiber globaler und lokaler Krisen schaffte es am Sonntag nicht, als Diskussionsthema auf die Hauptbühne im Bayerischen Hof zu gelangen, selbst wenn er im Abschlusspanel “Keine Zeit zu verlieren: ein geopolitischer Ausblick voraus in 60 Jahren” zumindest erwähnt wurde. Stattdessen legten die Konferenzplaner den Schwerpunkt auf die Zukunft der Europäischen Union – und das in gleich vier Panels.
Dass auch das israelisch-palästinensische Verhältnis am Abschlusstag noch einmal prominent verhandelt wurde, findet Agnieszka Brugger richtig. “Von Sicherheitskonferenz zu Sicherheitskonferenz wird die Lage ernster”, sagte die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, Agnieszka Brugger, Table.Media. Zugleich betonte sie: “Sicherheit ist mehr als nur Militär”, sondern sie umfasse auch “viele Bereiche, angefangen bei neuen Technologien wie Künstlicher Intelligenz über Desinformation, Ernährungs- und Klimasicherheit bis hin zu Entwicklungszusammenarbeit.”
Dass diese Themen auf der 60. Münchner Sicherheitskonferenz nicht genügend thematisiert werden, kritisiert auch die norwegische Entwicklungshilfeministerin Anne Beathe Tvinvereim. Direkt vom Gipfel der Afrikanischen Union (AU) in Adis Adeba reiste sie am Wochenende in die bayerische Landeshauptstadt – und war erstaunt darüber, wie die Diskussionen der Vertreter westlicher Industriemächte denen in vielen afrikanischen Staaten hinterherhinkten. “Ernährungssicherheit ist für uns eine Frage nationaler Sicherheit”, habe ihr ein Landwirtschaftsminister in Äthiopien gesagt, das sei für sie ein Augenöffner gewesen.
Doch Tvinnereim sieht auch Fortschritte. Noch vor einem Jahr habe etwa Ernährungssicherheit auf der MSC weitaus weniger Aufmerksamkeit erlangt als auf der Jubiläumskonferenz. So schafften es am ersten Tag die Panels “Ernährungsintelligenz: Lebensmittelunsicherheit als Vorhersageindikator” und “High von ihrem eigenen Angebot: Großmächtewettbewerb und Lieferkettenabhängigkeiten” ins Hauptprogramm.
Und weitaus mehr Vertreter von Hilfs- und Nichtregierungsorganisationen, von UN-Unterorganisationen und aus dem sogenannten globalen Süden seien heute in München präsent als in der Vergangenheit. Dadurch habe sich der stark militärisch geprägte Charakter der 1964 als Wehrkundetagung gegründeten Zusammenkunft deutlich geändert.
Die Staaten des globalen Südens einzubeziehen und über das transatlantische Verhältnis hinauszuschauen, das noch die letzten Jahrzehnte in München geprägt hat, sei den Veranstaltern gelungen, sagen Vertreter von Weltbank und Welternährungsprogramm, mit denen Table.Media auf der Konferenz sprach. Mads Christensen, Generalsekretär von Greenpeace sieht es kritischer: “Es wird viel über klassische Themen geredet, und wenig über Ernährungs- und andere Formen menschlicher Sicherheit. Dabei müsste inzwischen doch allen klar sein, dass der Klimawandel eine Sicherheitsfrage ist.”
Nur in Zusammenarbeit mit unterschiedlichsten Akteuren aus der Zivilgesellschaft, dem globalem Süden und fortschrittlichen Kräften in Wirtschaft und Politik könne es gelingen, ein gemeinsames Verständnis davon zu entwickeln, “was die Menschen tatsächlich brauchen, um sich sicher zu fühlen. Es geht nicht nur um die Abwesenheit von bewaffneten Konflikten”, erläuterte Christensen.
Achim Steiner, Untergeneralsekretär der Vereinten Nationen und Leiter des UN-Entwicklungsprogramms (UNDP) bekräftigt, dass angesichts weltweiter Militärausgaben von mehr als zwei Billionen Dollar die Frage erlaubt sein müsse, wie diese Kosten eigentlich zur Risikominimierung beigetragen hätten. “Eine Diskussion über mehr Entwicklungszusammenarbeit zur Minderung von Risiken ist genauso legitim wie die Diskussion, ob wir mehr Finanzen für Verteidigung brauchen”, sagt er im Gespräch mit Table.Media.
Eine Frage, die auch Norwegens Entwicklungshilfeminister Tvinnereim umtreibt – und das, obwohl es der Regierung in Oslo anders als vielen reichen Staaten der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) gelingt, das Ziel von 0,7 Prozent öffentlicher Entwicklungsleistungen am Bruttonationaleinkommen zu erreichen; das Zweiprozentziel der Nato hingegen wird erst 2026 erfüllt. Für Tvinnereim kein Widerspruch, sondern Ausdruck einer vielleicht zukunftsweisenderen Vorstellung globaler Lastenteilung: “Verteidigung plus Entwicklung gleich Sicherheit”, bringt sie es als Formel auf den Punkt.
Für den Schutz Deutschlands und seiner Bevölkerung beklagt Verteidigungsminister Boris Pistorius Defizite nicht nur bei den Streitkräften, sondern auch bei der zivilen Vorsorge. Schon die Aufteilung in einen Katastrophenschutz mit Zuständigkeit von Kommunen und Ländern einerseits und den Zivilschutz im Kriegsfall als Bundesaufgabe halte er für überholt, sagte Pistorius am Samstag auf der Münchner Sicherheitskonferenz. “Den Menschen ist egal, ob eine zivile Katastrophe, ein militärischer Angriff oder ein Unfall zu einem Ausfall führt.”
Der frühere niedersächsische Innenminister erneuerte seine Forderung nach der “Kriegstüchtigkeit” Deutschlands. “Den Begriff habe ich gebraucht, um der Diskussion eine Note Chili zu geben”, als Erinnerung daran, dass bei einem wieder denkbaren Angriff nicht nur die Streitkräfte vorbereitet sein müssten. Als Kind des Kalten Krieges erinnere er sich noch gut an die regelmäßigen Probealarme der Sirenen, die es damals gab – “heute werden die nur noch benutzt, um die Feuerwehr zu alarmieren”.
Für den zivilen Katastrophenschutz werde auch “viel zu wenig geübt”: Als zuständiger Minister in Hannover habe er eingeführt, dass die verschiedenen Hilfsorganisationen und Feuerwehren wie Polizei in einem Katastrophenschutzbeirat zusammenkämen – “nicht damit sie Kaffee trinken und Besprechungskekse essen, sondern damit jeder die Telefonnummer des anderen hat”.
In der Frage nach einem möglichen Wehrpflichtmodell wünscht sich Pistorius noch in dieser Legislaturperiode zumindest eine Richtungsentscheidung. Auch wenn diese von einer neuen Regierung kassiert werden könnte, “hätte man dann schon mal einen Planungshorizont”. Zuerst müsste hier aber die Frage geklärt werden, wofür genau Wehrpflichtige gebraucht würden, welchen Auftrag sie haben sollten.
Welche Bedeutung die Reserve habe, sehe man in der Ukraine. “Ohne Reserve, glaube ich, wird es schwierig, wenn man den Anspruch erfüllen will, nicht nur kaltstart-, sondern auch durchhaltefähig zu sein”, sagte Pistorius. Das schwedische Wehrpflichtmodell, nach dem alle jungen Männer und Frauen gemustert, aber der Teil eingezogen würde, der gebraucht würde, stünde als Beispiel bereits in der Task Force Personal der Bundeswehr.
Der Verteidigungsminister hofft darüber hinaus auf die weitere Klärung gesetzlicher Grundlagen für die Streitkräfte schon im – gesetzlichen – Frieden. Manche Dinge müssten bereits jetzt geregelt werden, “nicht erst im Kriegsfall oder im Verteidigungsfall”: Wenn Nato-Truppen durch Deutschland verlegt werden auf dem Weg an die Ostflanke der Allianz, gebe es dann im Notfall auch die Möglichkeit “eine Ostseefähre zu beschlagnahmen, oder fragen alle: Ist der verrückt geworden?”, schilderte Pistorius das grundsätzliche Problem. Viele vorbeugende Regelungen im Krisenfall, die auch andere wichtige Infrastruktur wie das Gesundheitssystem schützen könnten, müssten erst noch geschaffen werden.
Allerdings: Konkret passiert ist bis auf die Herausgabe von Strategien und Richtlinien auf nationaler Ebene bisher wenig. Die Nationale Sicherheitsstrategie aus dem vergangenen Jahr soll hauptsächlich als Dachdokument für weitere Strategien gelten. Die Verteidigungspolitischen Richtlinien des Verteidigungsministeriums legen als Grundsatzdokument strategische Prioritäten und den Kernauftrag der Bundeswehr fest, sind aber wenig konkret, wenn es um die territoriale Verteidigung geht.
Als “umsetzbaren Plan” hatte Generalleutnant André Bodemann vom Territorialen Führungskommando den Operationsplan Deutschland vorgestellt, der erste Entwurf soll im März vorliegen. Darin hält die Bundeswehr fest, was sie zur Aufgabenerfüllung als “Enabler”, also Transit- und Gastnation für Alliierte braucht. Dazu gehören etwa tragfähige Brücken, ein gutes Straßen- und Schienennetz, genug Kapazitäten bei der DB Caro oder Logistikhubs.
Was davon tatsächlich künftig von den Ressorts mit Haushaltsmitteln hinterlegt wird, darauf hat die Bundeswehr keinen Einfluss. Allerdings, so Pistorius, sei Zivilschutz und äußere Verteidigung Sache des Bundes. “Und das fällt unter das Zwei-Prozent-Ziel. Das Zwei-Prozent-Ziel ist nicht nur Bundeswehr, nicht nur im engeren Sinne Rüstung, sondern auch Verteidigung und Infrastruktur dafür.”
Bis Anfang 2024 wollte das Bundesinnenministerium zudem eine Überarbeitung der aus dem Kalten Krieg stammenden “Rahmenrichtlinien für die Gesamtverteidigung” vorlegen. Bislang gibt es allerdings noch nicht einmal eine Diskussion über mögliche nötige Anpassungen. In der “Konzeption Zivile Verteidigung” aus dem Jahr 2016, ebenfalls aus dem Innenministerium, ist unter anderem ein besserer physischer Schutz Kritischer Anlagen festgehalten. Vom entsprechenden Kritis-Dachgesetz, das die Umsetzung der europäischen Richtlinie zur Resilienz kritischer Einrichtungen regeln soll, liegt der zweite Referentenentwurf vor, wann es zur Abstimmung in das Kabinett geht, steht aber noch nicht fest. Bundesinnenministerin Nancy Faeser selbst war aus “persönlichen Gründen” nicht auf der Münchner Sicherheitskonferenz anwesend.
Herr Minister, die Deutschen sollen aus ihrer Komfortzone raus, fordern sie. Was heißt das genau?
Ich meine damit, dass die Menschen nicht nur in Deutschland, sondern auch in Europa 30 Jahre in Frieden gelebt haben und dies für selbstverständlich gehalten haben. Das ist jetzt nicht mehr. Wir müssen uns mit anderen Dingen beschäftigen, etwa einer abstrakten, irgendwann vielleicht konkreten Gefahr einer militärischen Bedrohung durch Russland. Darauf müssen wir uns vorbereiten. Als Bundeswehr, als Gesellschaft. Wir müssen Ausgaben tätigen dafür, das treibt uns aus der Zone heraus, in der wir leben durften.
Ohne Sicherheit ist alles nichts, sagt der Kanzler. Das bedeutet eine finanzpolitische Zeitenwende auf Jahre hinaus, richtig?
Ja, das ist so. Sicherheit ist nicht selbstverständlich. Wir müssen mehr Geld ausgeben, und wir können nicht alles gleichzeitig machen. Wir müssen Prioritäten setzen. Das wissen auch alle, aber gleichzeitig dürfen wir den Zusammenhalt der Gesellschaft nicht aus den Augen verlieren.
Sind wir Deutsche darauf eingestellt?
Wir sind dabei, das zu werden. Ja.
Zwar stehen auf der Münchner Sicherheitskonferenz die aktuellen großen Krisen im Fokus: der Krieg in der Ukraine, der Konflikt im Nahen Osten und die ungewisse Zukunft der Nato. Doch an diesem Wochenende wurde auch erkennbar, wie sich die internationale Politik in den kommenden Jahren neu ordnen könnte.
Die Reden von US-Vizepräsidentin Kamala Harris und Chinas oberstem Außenpolitiker Wang Yi hätten unterschiedlicher kaum sein können. Gerade dadurch gewähren sie einen tiefen Einblick in den politischen Gemütszustand ihres jeweiligen Landes – und damit auch einen Ausblick auf die mögliche geopolitische Zukunft des 21. Jahrhunderts.
Kamala Harris reiste als höchste Vertreterin der noch immer führenden Weltmacht nach München. Doch statt internationale Führung in unsicheren Zeiten zu zeigen, hielt die US-Vizepräsidentin eine geradezu innenpolitische Rede. Getrieben von amerikanischen Rückzugstendenzen beschwor Harris förmlich, dass es doch im ureigenen amerikanischen Interesse sei, sich international zu engagieren und die jahrelange Führungsrolle auszufüllen. Im Gegensatz dazu präsentierte Chinas Außenminister Wang Yi den Anwesenden im Bayrischen Hof sein Land als Macht des globalen Friedens und der weltweiten Stabilität.
Als Wang am Samstag auf die Bühne im Kaisersaal trat, stellte er zunächst eine ernüchternde Diagnose. Die Welt durchlebe turbulente Zeiten, geprägt von Krisen, Konflikten und der Verletzung des Sicherheitskonzepts. Unilateralismus, Blockbildung und Protektionismus hätten die Oberhand gewonnen, die internationale Ordnung massiven Schaden genommen. Doch Wang versicherte den Zuhörern: Diesen Unsicherheiten trotzend, werde China auch weiterhin ein verantwortungsvoller Akteur bleiben, der sich für Frieden und Stabilität auf der ganzen Welt einsetze.
So ging Wang in seiner Rede auf nahezu alle wichtigen Themen und Krisen ein – und versuchte dabei den Eindruck zu vermitteln, dass China jeweils die passende Lösung parat habe.
Im Gegensatz dazu präsentierte Kamala Harris in ihrer Rede Vereinigte Staaten, die vor allem mit sich selbst ringen, die fast vollständig beschäftigt sind mit nationalen Rückzugstendenzen. Während Wang gezielt die internationale Gemeinschaft ansprach, hatte es den Anschein, als würde Harris ihre Rede eher an die amerikanische Bevölkerung richten.
Die US-Vizepräsidentin beschwor förmlich, dass es doch im ureigenen amerikanischen Interesse sei, sich international zu engagieren und die jahrelange Führungsrolle auszufüllen. Dieses Engagement schaffe amerikanische Jobs, sichere Lieferketten und öffne neue Absatzmärkte für amerikanische Waren. “Das macht Amerika stark, und das hält Amerika sicher.”
Pläne der republikanischen Konkurrenz, sich zurückzuziehen, nannte Harris hingegen “gefährlich, destabilisierend und vollkommen kurzsichtig”. Es würde eine Schwächung Amerikas bedeuten. Harris lobte die riesigen Investitionen in heimische Infrastruktur, in Straßen, Schienen und Häfen.
Auch ihre vorgetragene Unterstützung für das Nato-Bündnis war geprägt vom Bemühen, vor allem die eigene Bevölkerung von diesem Engagement zu überzeugen. So erinnerte Harris daran, dass die Nato-Beistandspflicht durch Artikel 5 bislang nur ein einziges Mal abgerufen wurde – und für die USA, nach den Anschlägen am 11. September 2001.
Es war auch nicht gerade Ausdruck von Energie und innerer Überzeugung, als Harris ihre Rede beendete mit den Worten: In diesen unruhigen Zeiten, kann Amerika sich nicht zurückziehen. Amerika muss stark sein für Demokratie. Wir müssen die internationalen Regeln und Normen verteidigen. Und wir müssen an der Seite unserer Verbündeten stehen. In völligem Gegensatz dazu steht Wangs Ankündigung: In turbulenten Zeiten könne die Welt weiterhin auf China zählen als Macht des Friedens und der Stabilität.
Ob Wangs Ankündigung in Zukunft tatsächlich mit der nötigen Substanz unterfüttert wird, bleibt abzuwarten. Muss aber bezweifelt werden. Denn Chinas derzeitiges Engagement in den aktuellen Konflikten geht kaum über geduldige Papiere und blumige Ankündigungen hinaus. Allerdings könnte es durchaus sein, dass die bisherige Führung aus Washington in nicht allzu ferner Zukunft ausfallen wird.
Und an dieser Stelle droht den Europäern ein böses Erwachen. Sie sollten sich deshalb dringend Gedanken machen, über eigene Ambitionen und Gestaltungsmöglichkeiten in der internationalen Politik. Es ist höchste Zeit – und ohne Alternative. Denn eines wurde klar in München: China macht sich bereit für den Fall eines amerikanischen Rückzugs.
Bis zum 1. April will sich Verteidigungsminister Boris Pistorius einen Überblick über die europäischen Modelle für eine Wehrpflicht verschafft haben und sich in der Debatte positionieren. Das schwedische Modell wird von den Beamten des Ministeriums als Grundlage für eine weitere Debatte derzeit besonders geprüft, erfuhr Table.Media aus Regierungskreisen am Rande der Sicherheitskonferenz.
Dabei geht es um eine allgemeine Musterungspflicht für alle 18-jährigen Männer und Frauen im Land. So könnte das Potenzial für die Rekrutierung von Bundeswehrsoldaten oder Katastrophenschutz- und Heimatzschutzkräften erkannt und die Attraktivität eines möglichen Dienstes erhöht werden, ohne den Dienst selbst verpflichtend zu machen. Nur ein ausgewählter Teil dieser Gruppe soll später einen Grundwehrdienst absolvieren.
Rechtlich sei eine solche Musterung unproblematisch, heißt es in den Regierungskreisen. Sie müsse aber für Frauen und Männer gelten. Die Bundeswehr hat ein gravierendes Personalproblem, alleine um den Status quo zu erhalten, braucht sie rund 20.000 neue Kräfte pro Jahr. Die Truppe soll aber sogar von 181.000 Männern und Frauen auf über 200.000 im Jahr 2031 wachsen. brö
Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg strebt an, der Ukraine “möglichst bald” eine Einladung in die transatlantische Verteidigungsallianz auszusprechen. Der genaue Zeitpunkt hänge von der Situation auf dem Schlachtfeld und den Diskussionen innerhalb der Nato ab, sagte er Table.Media. “Mein Ziel ist es, die Ukraine in dieselbe Lage zu versetzen wie Finnland und Schweden”, die 2022 nur zwei Monate nach Antragstellung als neue Mitglieder akzeptiert wurden. “Wenn die politischen Bedingungen erfüllt sind, sollten wir sie einladen – sehr kurzfristig”, so Stoltenberg.
Durch die Grundsatzentscheidung der Nato auf ihrem Gipfel im Juli vergangenen Jahres in Vilnius, die Ukraine eines Tages aufzunehmen, sei das Land schon heute “näher an der Nato-Mitgliedschaft als je zuvor”. Auf Aussichten für ein Ende des Krieges angesprochen, sagte Stoltenberg: “Waffen an die Ukraine sind der einzige Weg zum Frieden.”
Der scheidende niederländische Ministerpräsident Mark Rutte sagte am Samstag in München, dass er nicht davon wisse, als Favorit für die Nachfolge Stoltenbergs gehandelt zu werden. Die Amtszeit des Norwegers, der seit 2014 an der Spitze der Nato steht, läuft im Oktober aus. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat mehrfach betont, dass sie nicht für das Amt zur Verfügung stehe. Die Welt am Sonntag berichtete, Bundeskanzler Olaf Scholz habe die CDU-Politikerin verhindert, weil er mit ihrem Russland-Kurs nicht einverstanden sei.
Rutte wandte sich in München dagegen, dass Europa über den früheren US-Präsidenten Donald Trump klage, statt selbst mehr für die Ukraine zu tun. “Wir sollten aufhören, über Trump zu jammern, zu winseln und zu nörgeln”, sagte Rutte. Nach Gesprächen mit US-Politikern in München sei er optimistisch, dass das Repräsentantenhaus in Washington einem seit Wochen blockierten Milliardenpaket doch noch die Zustimmung erteile. mrb
Drei Wochen vor Beginn des muslimischen Fastenmonats Ramadan äußern sich Diplomaten aus der Region vorsichtig optimistisch, dass im März eine humanitäre Feuerpause zwischen Israel und der Hamas erzielt werden könnte. “Wir konzentrieren uns auf einen Waffenstillstand und einen israelischen Rückzug aus dem Gazastreifen, und wir konzentrieren uns auf den humanitären Zugang für die Menschen in Gaza”, sagte Saudi-Arabiens Außenminister Faisal bin Farhan Al Saud am Samstag in München.
Die von seinem Land angestrebte Normalisierung des Verhältnisses zu Israel könne allerdings erst nach einem Waffenstillstand erfolgen – unter der Voraussetzung, dass Palästina als Staat anerkannt werde. Diesen Schritt bezeichnete bin Farhan als “einzigen Weg zu Sicherheit und Stabilität im Nahen Osten”. Unmittelbar nach dem Plädoyer des saudischen Außenministers für eine Zweistaatenlösung bezeichnete Israels Präsident Izchak Herzog die mögliche Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit Riad als “Game-Changer von höchster Bedeutung, der die Entwicklung der ganzen Region verändern kann”.
Mit US-amerikanischer Unterstützung hatten Israel und Saudi-Arabien bis zum Terrorangriff der Hamas im Oktober vergangenen Jahres über die Normalisierung ihrer Beziehungen verhandelt, diese Gespräche dann aber ausgesetzt. Zuletzt nahmen Bahrein, Marokko, Sudan und die Vereinigten Arabischen Emirate diplomatische Beziehungen zu Israel auf; Frieden mit Ägypten schloss Israel 1979, mit Jordanien 1994.
Für Aufsehen in München sorgte die Begegnung Herzogs mit Katars Premierminister Mohammed Bin Abdulrahman Al Thani am Freitag. Die beiden Staaten unterhalten keine offiziellen diplomatischen Kontakte, pflegen auf Geheimdienstebene seit Beginn des Gazakrieges aber enge Kontakte, um Fortschritte bei der Freilassung der im Gazastreifen von der Hamas festgehaltenen Geiseln zu erzielen. Die politische Führung der Hamas um Khaled Meshal und Ismail Haniyeh hat ihren Sitz in der katarischen Hauptstadt Doha. Er sei “beeindruckt” davon, wie tief der katarische Regierungschef in die Verhandlungen involviert sei, so Herzog. mrb
die 60. Münchner Sicherheitskonferenz ist vorbei, um 13.18 beendete Christoph Heusgen die Jubiläumszusammenkunft mit den Worten: “Ich habe einen Silberstreifen gefunden darin, wofür München steht: Frieden durch Dialog.”
Krisen, Kriege und Konflikte zumindest im Ansatz zu entschärfen, hatte der MSC-Vorsitzende zum Konferenzauftakt am Freitag als Ziel genannt. Heusgens Wendung vom “Silberstreif am Horizont” griff am Samstag auch Bundeskanzler Olaf Scholz auf, als er nicht ganz ohne Hoffnung auf die Ukraine blickte – angesichts der tags zuvor in Paris und Berlin unterzeichneten Sicherheitsabkommen mit Kiew.
Verhalten optimistisch, dass das US-Repräsentantenhaus ein 60-Milliarden-Hilfspaket doch noch genehmigen werde, äußerte sich der Spitzenkandidat für die Nachfolge von Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg, Mark Rutte. Und gab den europäischen Nato-Partnern noch einen mit: “Wir sollten aufhören, über Trump zu jammern, zu winseln und zu nörgeln”, sagte der scheidende niederländische Ministerpräsident. Ihre sicherheitspolitischen Hausaufgaben müssten die Europäer schon selbst machen.
Vielen Dank für Ihr Interesse an unseren Table.Spezials zur 60. MSC, den regulären Security.Tabe lesen Sie wie gewohnt am Dienstagmorgen
Am letzten Konferenztag stand das Thema nicht noch einmal auf der Tagesordnung: Ernährungssicherheit. Auch der Klimawandel als Treiber globaler und lokaler Krisen schaffte es am Sonntag nicht, als Diskussionsthema auf die Hauptbühne im Bayerischen Hof zu gelangen, selbst wenn er im Abschlusspanel “Keine Zeit zu verlieren: ein geopolitischer Ausblick voraus in 60 Jahren” zumindest erwähnt wurde. Stattdessen legten die Konferenzplaner den Schwerpunkt auf die Zukunft der Europäischen Union – und das in gleich vier Panels.
Dass auch das israelisch-palästinensische Verhältnis am Abschlusstag noch einmal prominent verhandelt wurde, findet Agnieszka Brugger richtig. “Von Sicherheitskonferenz zu Sicherheitskonferenz wird die Lage ernster”, sagte die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, Agnieszka Brugger, Table.Media. Zugleich betonte sie: “Sicherheit ist mehr als nur Militär”, sondern sie umfasse auch “viele Bereiche, angefangen bei neuen Technologien wie Künstlicher Intelligenz über Desinformation, Ernährungs- und Klimasicherheit bis hin zu Entwicklungszusammenarbeit.”
Dass diese Themen auf der 60. Münchner Sicherheitskonferenz nicht genügend thematisiert werden, kritisiert auch die norwegische Entwicklungshilfeministerin Anne Beathe Tvinvereim. Direkt vom Gipfel der Afrikanischen Union (AU) in Adis Adeba reiste sie am Wochenende in die bayerische Landeshauptstadt – und war erstaunt darüber, wie die Diskussionen der Vertreter westlicher Industriemächte denen in vielen afrikanischen Staaten hinterherhinkten. “Ernährungssicherheit ist für uns eine Frage nationaler Sicherheit”, habe ihr ein Landwirtschaftsminister in Äthiopien gesagt, das sei für sie ein Augenöffner gewesen.
Doch Tvinnereim sieht auch Fortschritte. Noch vor einem Jahr habe etwa Ernährungssicherheit auf der MSC weitaus weniger Aufmerksamkeit erlangt als auf der Jubiläumskonferenz. So schafften es am ersten Tag die Panels “Ernährungsintelligenz: Lebensmittelunsicherheit als Vorhersageindikator” und “High von ihrem eigenen Angebot: Großmächtewettbewerb und Lieferkettenabhängigkeiten” ins Hauptprogramm.
Und weitaus mehr Vertreter von Hilfs- und Nichtregierungsorganisationen, von UN-Unterorganisationen und aus dem sogenannten globalen Süden seien heute in München präsent als in der Vergangenheit. Dadurch habe sich der stark militärisch geprägte Charakter der 1964 als Wehrkundetagung gegründeten Zusammenkunft deutlich geändert.
Die Staaten des globalen Südens einzubeziehen und über das transatlantische Verhältnis hinauszuschauen, das noch die letzten Jahrzehnte in München geprägt hat, sei den Veranstaltern gelungen, sagen Vertreter von Weltbank und Welternährungsprogramm, mit denen Table.Media auf der Konferenz sprach. Mads Christensen, Generalsekretär von Greenpeace sieht es kritischer: “Es wird viel über klassische Themen geredet, und wenig über Ernährungs- und andere Formen menschlicher Sicherheit. Dabei müsste inzwischen doch allen klar sein, dass der Klimawandel eine Sicherheitsfrage ist.”
Nur in Zusammenarbeit mit unterschiedlichsten Akteuren aus der Zivilgesellschaft, dem globalem Süden und fortschrittlichen Kräften in Wirtschaft und Politik könne es gelingen, ein gemeinsames Verständnis davon zu entwickeln, “was die Menschen tatsächlich brauchen, um sich sicher zu fühlen. Es geht nicht nur um die Abwesenheit von bewaffneten Konflikten”, erläuterte Christensen.
Achim Steiner, Untergeneralsekretär der Vereinten Nationen und Leiter des UN-Entwicklungsprogramms (UNDP) bekräftigt, dass angesichts weltweiter Militärausgaben von mehr als zwei Billionen Dollar die Frage erlaubt sein müsse, wie diese Kosten eigentlich zur Risikominimierung beigetragen hätten. “Eine Diskussion über mehr Entwicklungszusammenarbeit zur Minderung von Risiken ist genauso legitim wie die Diskussion, ob wir mehr Finanzen für Verteidigung brauchen”, sagt er im Gespräch mit Table.Media.
Eine Frage, die auch Norwegens Entwicklungshilfeminister Tvinnereim umtreibt – und das, obwohl es der Regierung in Oslo anders als vielen reichen Staaten der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) gelingt, das Ziel von 0,7 Prozent öffentlicher Entwicklungsleistungen am Bruttonationaleinkommen zu erreichen; das Zweiprozentziel der Nato hingegen wird erst 2026 erfüllt. Für Tvinnereim kein Widerspruch, sondern Ausdruck einer vielleicht zukunftsweisenderen Vorstellung globaler Lastenteilung: “Verteidigung plus Entwicklung gleich Sicherheit”, bringt sie es als Formel auf den Punkt.
Für den Schutz Deutschlands und seiner Bevölkerung beklagt Verteidigungsminister Boris Pistorius Defizite nicht nur bei den Streitkräften, sondern auch bei der zivilen Vorsorge. Schon die Aufteilung in einen Katastrophenschutz mit Zuständigkeit von Kommunen und Ländern einerseits und den Zivilschutz im Kriegsfall als Bundesaufgabe halte er für überholt, sagte Pistorius am Samstag auf der Münchner Sicherheitskonferenz. “Den Menschen ist egal, ob eine zivile Katastrophe, ein militärischer Angriff oder ein Unfall zu einem Ausfall führt.”
Der frühere niedersächsische Innenminister erneuerte seine Forderung nach der “Kriegstüchtigkeit” Deutschlands. “Den Begriff habe ich gebraucht, um der Diskussion eine Note Chili zu geben”, als Erinnerung daran, dass bei einem wieder denkbaren Angriff nicht nur die Streitkräfte vorbereitet sein müssten. Als Kind des Kalten Krieges erinnere er sich noch gut an die regelmäßigen Probealarme der Sirenen, die es damals gab – “heute werden die nur noch benutzt, um die Feuerwehr zu alarmieren”.
Für den zivilen Katastrophenschutz werde auch “viel zu wenig geübt”: Als zuständiger Minister in Hannover habe er eingeführt, dass die verschiedenen Hilfsorganisationen und Feuerwehren wie Polizei in einem Katastrophenschutzbeirat zusammenkämen – “nicht damit sie Kaffee trinken und Besprechungskekse essen, sondern damit jeder die Telefonnummer des anderen hat”.
In der Frage nach einem möglichen Wehrpflichtmodell wünscht sich Pistorius noch in dieser Legislaturperiode zumindest eine Richtungsentscheidung. Auch wenn diese von einer neuen Regierung kassiert werden könnte, “hätte man dann schon mal einen Planungshorizont”. Zuerst müsste hier aber die Frage geklärt werden, wofür genau Wehrpflichtige gebraucht würden, welchen Auftrag sie haben sollten.
Welche Bedeutung die Reserve habe, sehe man in der Ukraine. “Ohne Reserve, glaube ich, wird es schwierig, wenn man den Anspruch erfüllen will, nicht nur kaltstart-, sondern auch durchhaltefähig zu sein”, sagte Pistorius. Das schwedische Wehrpflichtmodell, nach dem alle jungen Männer und Frauen gemustert, aber der Teil eingezogen würde, der gebraucht würde, stünde als Beispiel bereits in der Task Force Personal der Bundeswehr.
Der Verteidigungsminister hofft darüber hinaus auf die weitere Klärung gesetzlicher Grundlagen für die Streitkräfte schon im – gesetzlichen – Frieden. Manche Dinge müssten bereits jetzt geregelt werden, “nicht erst im Kriegsfall oder im Verteidigungsfall”: Wenn Nato-Truppen durch Deutschland verlegt werden auf dem Weg an die Ostflanke der Allianz, gebe es dann im Notfall auch die Möglichkeit “eine Ostseefähre zu beschlagnahmen, oder fragen alle: Ist der verrückt geworden?”, schilderte Pistorius das grundsätzliche Problem. Viele vorbeugende Regelungen im Krisenfall, die auch andere wichtige Infrastruktur wie das Gesundheitssystem schützen könnten, müssten erst noch geschaffen werden.
Allerdings: Konkret passiert ist bis auf die Herausgabe von Strategien und Richtlinien auf nationaler Ebene bisher wenig. Die Nationale Sicherheitsstrategie aus dem vergangenen Jahr soll hauptsächlich als Dachdokument für weitere Strategien gelten. Die Verteidigungspolitischen Richtlinien des Verteidigungsministeriums legen als Grundsatzdokument strategische Prioritäten und den Kernauftrag der Bundeswehr fest, sind aber wenig konkret, wenn es um die territoriale Verteidigung geht.
Als “umsetzbaren Plan” hatte Generalleutnant André Bodemann vom Territorialen Führungskommando den Operationsplan Deutschland vorgestellt, der erste Entwurf soll im März vorliegen. Darin hält die Bundeswehr fest, was sie zur Aufgabenerfüllung als “Enabler”, also Transit- und Gastnation für Alliierte braucht. Dazu gehören etwa tragfähige Brücken, ein gutes Straßen- und Schienennetz, genug Kapazitäten bei der DB Caro oder Logistikhubs.
Was davon tatsächlich künftig von den Ressorts mit Haushaltsmitteln hinterlegt wird, darauf hat die Bundeswehr keinen Einfluss. Allerdings, so Pistorius, sei Zivilschutz und äußere Verteidigung Sache des Bundes. “Und das fällt unter das Zwei-Prozent-Ziel. Das Zwei-Prozent-Ziel ist nicht nur Bundeswehr, nicht nur im engeren Sinne Rüstung, sondern auch Verteidigung und Infrastruktur dafür.”
Bis Anfang 2024 wollte das Bundesinnenministerium zudem eine Überarbeitung der aus dem Kalten Krieg stammenden “Rahmenrichtlinien für die Gesamtverteidigung” vorlegen. Bislang gibt es allerdings noch nicht einmal eine Diskussion über mögliche nötige Anpassungen. In der “Konzeption Zivile Verteidigung” aus dem Jahr 2016, ebenfalls aus dem Innenministerium, ist unter anderem ein besserer physischer Schutz Kritischer Anlagen festgehalten. Vom entsprechenden Kritis-Dachgesetz, das die Umsetzung der europäischen Richtlinie zur Resilienz kritischer Einrichtungen regeln soll, liegt der zweite Referentenentwurf vor, wann es zur Abstimmung in das Kabinett geht, steht aber noch nicht fest. Bundesinnenministerin Nancy Faeser selbst war aus “persönlichen Gründen” nicht auf der Münchner Sicherheitskonferenz anwesend.
Herr Minister, die Deutschen sollen aus ihrer Komfortzone raus, fordern sie. Was heißt das genau?
Ich meine damit, dass die Menschen nicht nur in Deutschland, sondern auch in Europa 30 Jahre in Frieden gelebt haben und dies für selbstverständlich gehalten haben. Das ist jetzt nicht mehr. Wir müssen uns mit anderen Dingen beschäftigen, etwa einer abstrakten, irgendwann vielleicht konkreten Gefahr einer militärischen Bedrohung durch Russland. Darauf müssen wir uns vorbereiten. Als Bundeswehr, als Gesellschaft. Wir müssen Ausgaben tätigen dafür, das treibt uns aus der Zone heraus, in der wir leben durften.
Ohne Sicherheit ist alles nichts, sagt der Kanzler. Das bedeutet eine finanzpolitische Zeitenwende auf Jahre hinaus, richtig?
Ja, das ist so. Sicherheit ist nicht selbstverständlich. Wir müssen mehr Geld ausgeben, und wir können nicht alles gleichzeitig machen. Wir müssen Prioritäten setzen. Das wissen auch alle, aber gleichzeitig dürfen wir den Zusammenhalt der Gesellschaft nicht aus den Augen verlieren.
Sind wir Deutsche darauf eingestellt?
Wir sind dabei, das zu werden. Ja.
Zwar stehen auf der Münchner Sicherheitskonferenz die aktuellen großen Krisen im Fokus: der Krieg in der Ukraine, der Konflikt im Nahen Osten und die ungewisse Zukunft der Nato. Doch an diesem Wochenende wurde auch erkennbar, wie sich die internationale Politik in den kommenden Jahren neu ordnen könnte.
Die Reden von US-Vizepräsidentin Kamala Harris und Chinas oberstem Außenpolitiker Wang Yi hätten unterschiedlicher kaum sein können. Gerade dadurch gewähren sie einen tiefen Einblick in den politischen Gemütszustand ihres jeweiligen Landes – und damit auch einen Ausblick auf die mögliche geopolitische Zukunft des 21. Jahrhunderts.
Kamala Harris reiste als höchste Vertreterin der noch immer führenden Weltmacht nach München. Doch statt internationale Führung in unsicheren Zeiten zu zeigen, hielt die US-Vizepräsidentin eine geradezu innenpolitische Rede. Getrieben von amerikanischen Rückzugstendenzen beschwor Harris förmlich, dass es doch im ureigenen amerikanischen Interesse sei, sich international zu engagieren und die jahrelange Führungsrolle auszufüllen. Im Gegensatz dazu präsentierte Chinas Außenminister Wang Yi den Anwesenden im Bayrischen Hof sein Land als Macht des globalen Friedens und der weltweiten Stabilität.
Als Wang am Samstag auf die Bühne im Kaisersaal trat, stellte er zunächst eine ernüchternde Diagnose. Die Welt durchlebe turbulente Zeiten, geprägt von Krisen, Konflikten und der Verletzung des Sicherheitskonzepts. Unilateralismus, Blockbildung und Protektionismus hätten die Oberhand gewonnen, die internationale Ordnung massiven Schaden genommen. Doch Wang versicherte den Zuhörern: Diesen Unsicherheiten trotzend, werde China auch weiterhin ein verantwortungsvoller Akteur bleiben, der sich für Frieden und Stabilität auf der ganzen Welt einsetze.
So ging Wang in seiner Rede auf nahezu alle wichtigen Themen und Krisen ein – und versuchte dabei den Eindruck zu vermitteln, dass China jeweils die passende Lösung parat habe.
Im Gegensatz dazu präsentierte Kamala Harris in ihrer Rede Vereinigte Staaten, die vor allem mit sich selbst ringen, die fast vollständig beschäftigt sind mit nationalen Rückzugstendenzen. Während Wang gezielt die internationale Gemeinschaft ansprach, hatte es den Anschein, als würde Harris ihre Rede eher an die amerikanische Bevölkerung richten.
Die US-Vizepräsidentin beschwor förmlich, dass es doch im ureigenen amerikanischen Interesse sei, sich international zu engagieren und die jahrelange Führungsrolle auszufüllen. Dieses Engagement schaffe amerikanische Jobs, sichere Lieferketten und öffne neue Absatzmärkte für amerikanische Waren. “Das macht Amerika stark, und das hält Amerika sicher.”
Pläne der republikanischen Konkurrenz, sich zurückzuziehen, nannte Harris hingegen “gefährlich, destabilisierend und vollkommen kurzsichtig”. Es würde eine Schwächung Amerikas bedeuten. Harris lobte die riesigen Investitionen in heimische Infrastruktur, in Straßen, Schienen und Häfen.
Auch ihre vorgetragene Unterstützung für das Nato-Bündnis war geprägt vom Bemühen, vor allem die eigene Bevölkerung von diesem Engagement zu überzeugen. So erinnerte Harris daran, dass die Nato-Beistandspflicht durch Artikel 5 bislang nur ein einziges Mal abgerufen wurde – und für die USA, nach den Anschlägen am 11. September 2001.
Es war auch nicht gerade Ausdruck von Energie und innerer Überzeugung, als Harris ihre Rede beendete mit den Worten: In diesen unruhigen Zeiten, kann Amerika sich nicht zurückziehen. Amerika muss stark sein für Demokratie. Wir müssen die internationalen Regeln und Normen verteidigen. Und wir müssen an der Seite unserer Verbündeten stehen. In völligem Gegensatz dazu steht Wangs Ankündigung: In turbulenten Zeiten könne die Welt weiterhin auf China zählen als Macht des Friedens und der Stabilität.
Ob Wangs Ankündigung in Zukunft tatsächlich mit der nötigen Substanz unterfüttert wird, bleibt abzuwarten. Muss aber bezweifelt werden. Denn Chinas derzeitiges Engagement in den aktuellen Konflikten geht kaum über geduldige Papiere und blumige Ankündigungen hinaus. Allerdings könnte es durchaus sein, dass die bisherige Führung aus Washington in nicht allzu ferner Zukunft ausfallen wird.
Und an dieser Stelle droht den Europäern ein böses Erwachen. Sie sollten sich deshalb dringend Gedanken machen, über eigene Ambitionen und Gestaltungsmöglichkeiten in der internationalen Politik. Es ist höchste Zeit – und ohne Alternative. Denn eines wurde klar in München: China macht sich bereit für den Fall eines amerikanischen Rückzugs.
Bis zum 1. April will sich Verteidigungsminister Boris Pistorius einen Überblick über die europäischen Modelle für eine Wehrpflicht verschafft haben und sich in der Debatte positionieren. Das schwedische Modell wird von den Beamten des Ministeriums als Grundlage für eine weitere Debatte derzeit besonders geprüft, erfuhr Table.Media aus Regierungskreisen am Rande der Sicherheitskonferenz.
Dabei geht es um eine allgemeine Musterungspflicht für alle 18-jährigen Männer und Frauen im Land. So könnte das Potenzial für die Rekrutierung von Bundeswehrsoldaten oder Katastrophenschutz- und Heimatzschutzkräften erkannt und die Attraktivität eines möglichen Dienstes erhöht werden, ohne den Dienst selbst verpflichtend zu machen. Nur ein ausgewählter Teil dieser Gruppe soll später einen Grundwehrdienst absolvieren.
Rechtlich sei eine solche Musterung unproblematisch, heißt es in den Regierungskreisen. Sie müsse aber für Frauen und Männer gelten. Die Bundeswehr hat ein gravierendes Personalproblem, alleine um den Status quo zu erhalten, braucht sie rund 20.000 neue Kräfte pro Jahr. Die Truppe soll aber sogar von 181.000 Männern und Frauen auf über 200.000 im Jahr 2031 wachsen. brö
Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg strebt an, der Ukraine “möglichst bald” eine Einladung in die transatlantische Verteidigungsallianz auszusprechen. Der genaue Zeitpunkt hänge von der Situation auf dem Schlachtfeld und den Diskussionen innerhalb der Nato ab, sagte er Table.Media. “Mein Ziel ist es, die Ukraine in dieselbe Lage zu versetzen wie Finnland und Schweden”, die 2022 nur zwei Monate nach Antragstellung als neue Mitglieder akzeptiert wurden. “Wenn die politischen Bedingungen erfüllt sind, sollten wir sie einladen – sehr kurzfristig”, so Stoltenberg.
Durch die Grundsatzentscheidung der Nato auf ihrem Gipfel im Juli vergangenen Jahres in Vilnius, die Ukraine eines Tages aufzunehmen, sei das Land schon heute “näher an der Nato-Mitgliedschaft als je zuvor”. Auf Aussichten für ein Ende des Krieges angesprochen, sagte Stoltenberg: “Waffen an die Ukraine sind der einzige Weg zum Frieden.”
Der scheidende niederländische Ministerpräsident Mark Rutte sagte am Samstag in München, dass er nicht davon wisse, als Favorit für die Nachfolge Stoltenbergs gehandelt zu werden. Die Amtszeit des Norwegers, der seit 2014 an der Spitze der Nato steht, läuft im Oktober aus. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat mehrfach betont, dass sie nicht für das Amt zur Verfügung stehe. Die Welt am Sonntag berichtete, Bundeskanzler Olaf Scholz habe die CDU-Politikerin verhindert, weil er mit ihrem Russland-Kurs nicht einverstanden sei.
Rutte wandte sich in München dagegen, dass Europa über den früheren US-Präsidenten Donald Trump klage, statt selbst mehr für die Ukraine zu tun. “Wir sollten aufhören, über Trump zu jammern, zu winseln und zu nörgeln”, sagte Rutte. Nach Gesprächen mit US-Politikern in München sei er optimistisch, dass das Repräsentantenhaus in Washington einem seit Wochen blockierten Milliardenpaket doch noch die Zustimmung erteile. mrb
Drei Wochen vor Beginn des muslimischen Fastenmonats Ramadan äußern sich Diplomaten aus der Region vorsichtig optimistisch, dass im März eine humanitäre Feuerpause zwischen Israel und der Hamas erzielt werden könnte. “Wir konzentrieren uns auf einen Waffenstillstand und einen israelischen Rückzug aus dem Gazastreifen, und wir konzentrieren uns auf den humanitären Zugang für die Menschen in Gaza”, sagte Saudi-Arabiens Außenminister Faisal bin Farhan Al Saud am Samstag in München.
Die von seinem Land angestrebte Normalisierung des Verhältnisses zu Israel könne allerdings erst nach einem Waffenstillstand erfolgen – unter der Voraussetzung, dass Palästina als Staat anerkannt werde. Diesen Schritt bezeichnete bin Farhan als “einzigen Weg zu Sicherheit und Stabilität im Nahen Osten”. Unmittelbar nach dem Plädoyer des saudischen Außenministers für eine Zweistaatenlösung bezeichnete Israels Präsident Izchak Herzog die mögliche Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit Riad als “Game-Changer von höchster Bedeutung, der die Entwicklung der ganzen Region verändern kann”.
Mit US-amerikanischer Unterstützung hatten Israel und Saudi-Arabien bis zum Terrorangriff der Hamas im Oktober vergangenen Jahres über die Normalisierung ihrer Beziehungen verhandelt, diese Gespräche dann aber ausgesetzt. Zuletzt nahmen Bahrein, Marokko, Sudan und die Vereinigten Arabischen Emirate diplomatische Beziehungen zu Israel auf; Frieden mit Ägypten schloss Israel 1979, mit Jordanien 1994.
Für Aufsehen in München sorgte die Begegnung Herzogs mit Katars Premierminister Mohammed Bin Abdulrahman Al Thani am Freitag. Die beiden Staaten unterhalten keine offiziellen diplomatischen Kontakte, pflegen auf Geheimdienstebene seit Beginn des Gazakrieges aber enge Kontakte, um Fortschritte bei der Freilassung der im Gazastreifen von der Hamas festgehaltenen Geiseln zu erzielen. Die politische Führung der Hamas um Khaled Meshal und Ismail Haniyeh hat ihren Sitz in der katarischen Hauptstadt Doha. Er sei “beeindruckt” davon, wie tief der katarische Regierungschef in die Verhandlungen involviert sei, so Herzog. mrb