Länder des globalen Südens fordern mehr Mitbestimmung – das wurde auf dem Brics-Gipfel in Johannesburg unmissverständlich klar. Denn viele Institutionen der Nachkriegszeit, etwa die UN oder die Weltbank, spiegeln eine Welt dar, die so nicht mehr existiert, eine Welt, in der viele afrikanische Länder nie einen Platz am Tisch hatten.
Geopolitisch ist die Aufnahme sechs neuer Mitglieder – bis auf zwei alle aus dem globalen Süden – von Brisanz. Die Wirtschaftskraft der Brics wächst erheblich, das wird unvermeidlich Einfluss auf die Weltökonomie haben.
Aber es gibt auch enttäuschte Hoffnungen und Zähneknirschen. Die Mitgliedschaftsanträge von Algerien, Marokko, dem Senegal, Nigeria, und Indonesien lehnten die alten Mitglieder ab. Darüber hinaus dürften die USA über den Beitritt des engen Verbündeten Saudi-Arabiens zur Brics-Gruppe nicht erfreut sein – denn zusammen mit Iran sind nun zwei Extrempole des Nahen Ostens in der Gemeinschaft vertreten.
Andreas Sieren analysiert in diesem Spezial für Sie aus Johannesburg, was die Ergebnisse der Konferenz bedeuten, für die Staaten selbst, aber auch für Europa.
Eine interessante Lektüre wünscht
Als die für Mittwochnachmittag geplante Pressekonferenz kurzfristig verschoben wurde, hat sich schon abgezeichnet, dass sich eine große Überraschung anbahnt. Kurz darauf verkündete die südafrikanische Außenministerin Naledi Pandor, dass sich die Brics-Länder auf Kriterien für die Aufnahme neuer Mitglieder geeinigt hatten. Diese sollten eine große Bevölkerung haben, aus dem globalen Süden stammen und in ihrer Region einen guten Ruf haben. Die Entscheidung sollte am Donnerstag verkündet werden.
“Das Interessante an Brics in diesem Jahr ist, dass jeder dabei sein möchte”, sagte die Ministerin. Ursprünglich hatten sich mehr als 40 Länder für eine Mitgliedschaft interessiert. 23 stellten einen Antrag, darunter auch aufstrebende Mächte wie Indonesien oder Nigeria.
Es folgte ein Paukenschlag, der das Ende der globalen Weltherrschaft des Westens einleiten soll. Brics als die Stimme der Mehrheit der Welt und des globalen Südens ist nun breit aufgestellt: Argentinien ist im Club aufgenommen, auch die Ölstaaten Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE), selbst der Iran. Afrika bekommt mit Ägypten und Äthiopien zwei starke Stimmen.
Die sechs neuen Mitglieder werden offiziell zum 1. Januar 2024 beitreten. Seit 2010, als Südafrika aufgenommen wurde, hatte sich Brics nicht vergrößert. Nun steigert sich noch einmal die Wirtschaftskraft von Brics, die ohnehin schon leicht größer war als die der G7, der Ländergruppe der alten Industriestaaten. Brics kommt nun auf einen Anteil von 37 Prozent an der Weltwirtschaft, ein Zuwachs von rund fünf Prozent. Die G7-Staaten liegen bei weniger als 30 Prozent.
“Diese Mitgliedererweiterung ist historisch”, sagte der chinesische Präsident Xi Jinping. “Es zeigt die Entschlossenheit dieser Länder zur Einheit und Zusammenarbeit mit den größeren Entwicklungsländern.” UN-Generalsekretär Antonio Guterres nahm die Kritik der Brics-Staaten an den Institutionen der Nachkriegsordnung auf und fügte hinzu, dass “die heutigen globalen Governance-Strukturen die Welt von gestern spiegeln”. Reformen seien notwendig. Institutionen wie die UN, IWF und Weltbank “entstanden größtenteils nach dem Zweiten Weltkrieg, als viele afrikanische Länder von Kolonialmächten regiert wurden und nicht einmal mit am Tisch saßen.”
Mit der Aufnahme Argentiniens ist nun auch das zweitwichtigste Land Lateinamerikas dabei. Asien war mit China und Indien schon stark vertreten. Mit Saudi-Arabien, den VAE und dem Iran, um dessen Beitritt hart verhandelt werden musste, bekam der Nahe Osten eine Aufwertung, vor allem, weil sie wichtige Ölexporteure sind. Ihre Aufnahme wird die Brics als Sprachrohr der erdölproduzierenden Länder stärken.
Brics wirkt nun global besser austariert. Das Übergewicht Asiens wurde zurückgenommen, Südamerika gestärkt, Afrika aufgewertet und wichtige Golfstaaten eingegliedert.
Vor allem die Aufnahme seines engen Verbündeten Saudi-Arabien muss die US-Regierung stören. Peking ist ein Coup gelungen, dass die Extrempole des Nahen Ostens – Saudi-Arabien und Iran – gemeinsam zu Brics stoßen. Erst im März war es Peking gelungen, dass beide Seiten wieder diplomatische Beziehungen aufnehmen. Besonders ärgerlich für Washington ist: Den Iran haben die USA mit Sanktionen belegt, an die sich auch die Europäer halten müssten. Die Politik, den Iran zu isolieren, wird nun schwieriger.
Die Aufwertung Afrikas schrieb sich vor allem Südafrikas Cyril Ramaphosa zu. “Wir teilen unsere Vision von Brics als Verfechter der Bedürfnisse und Anliegen der Menschen im globalen Süden”, sagte er im Anschluss an den Gipfel und meinte damit vor allem Afrika.
Das 111 Millionen Menschen starke Ägypten stellte seinen Antrag erst im Juni. Dem Land wird großer Einfluss unter den blockfreien Staaten nachgesagt. Zwischen dem Nahen Osten und Afrika fungiert die drittgrößte Wirtschaft Afrikas als Brücke. Für China ist Ägypten ein zentraler Partner der Belt and Road Initiative. Der Suez-Kanal bildet eine wichtige Wirtschaftsader, die Ostasien mit Europa verbindet.
Auch Äthiopien bat erst im Juni um Aufnahme. Das Land hat nach Nigeria mit 123 Millionen Menschen die zweitgrößte Bevölkerung Afrikas. Äthiopien pflegt enge Verbindungen zu den USA, die etwa in der Nähe von Arba Minch eine wichtige Drohnenbasis betreiben. Dennoch sind die Beziehungen zum Westen angespannt. Im September 2021 haben die USA das Land wegen des Bürgerkriegs in Tigray mit Sanktionen belegt.
Äthiopien hat auch enge Wirtschaftsbeziehungen zu China, an dessen Geldtropf das Land heute hängt. Äthiopien ist auch wichtig, weil in Addis Abeba die Afrikanische Union ihren Sitz hat und die Vereinten Nationen ihre wichtigste Afrika-Präsenz. Auch Russland hofft offenbar darauf, über Äthiopien Einfluss in Ostafrika zu gewinnen.
Aber auch die Liste der Enttäuschten ist lang:
Der Club der Brics-Staaten vereint ganz unterschiedliche Länder. Auf der einen Seite stehen autoritäre Staaten wie Russland und China, auf der anderen Seite die demokratischen Länder Brasilien, Indien und Südafrika. Eines eint sie jedoch: Sie fordern mehr Mitbestimmung in der Welt.
Die Brics-Länder sehen sich weder als anti-amerikanisch noch als anti-westlich. Sie betrachten sich als Beitrag zu größerer globaler Vielfalt, waren es doch nicht zuletzt die Amerikaner, die der Welt erklärt haben, wie wichtig Wettbewerb ist. Noch philosophischer gab sich der chinesische Präsident Xi Jinping in seiner Auftaktrede beim Gipfel, die seltsamerweise sein Handelsminister Wang Wentao verlas: “Veränderung ist die Natur des Universums”, zitierte er einen chinesischen Philosophen.
Tatsächlich brauchte Brics einen langen Anlauf. Der erste Brics-Gipfel auf Präsidentenebene 2009 stand im Schatten der Finanzkrise von 2007/2008. Schon damals forderten die fünf Länder, wenn auch zurückhaltend, ein größeres Mitsprachrecht. Von den G7-Staaten gab es für diese Forderung nur ein müdes Lächeln.
Südafrika kam 2010 auf Betreiben Chinas hinzu, als erstes Land aus Afrika. Aus Bric wurde Brics. Diese Aufnahme wurde argwöhnisch beobachtet. Vor allem afrikanische Staaten waren sich nicht sicher, ob Südafrika ein geeigneter Fürsprecher für den Kontinent ist. Inzwischen stellt das niemand mehr in Frage. Der südafrikanische Präsident Cyril Ramaphosa stieß gar die erste afrikanische Friedensinitiative für einen Konflikt in Europa an. Die wäre ohne den Rückhalt von Brics nicht denkbar gewesen.
Spätestens jetzt in Johannesburg ist klar geworden: An Brics kommt die Welt nicht mehr vorbei. Gleich sechs Länder werden 2024 als Mitglieder aufgenommen. Das Bündnis der aufstrebenden Wirtschaftsmächte wird repräsentativer und soll den Globalen Süden künftig besser vertreten. Weitere Aufnahmen werden folgen.
In einer Grundsatzrede am Sonntag vor dem Gipfel warnte Ramaphosa vor einer Schwächung des Multilateralismus. In der sich verändernden globalen Machtdynamik bestehe das Land am Kap weiter auf die viel kritisierte Neutralität. “Während einige unserer Kritiker eine offene Unterstützung ihrer politischen und ideologischen Entscheidungen bevorzugen, lassen wir uns nicht in einen Wettbewerb zwischen den Weltmächten hineinziehen”, sagte der Präsident, der in diesem Zusammenhang auch einen EU-Südafrika-Gipfel für Ende 2023 ankündigte.
Für Südafrika habe Brics “positive Chancen” gebracht, darunter Finanzspritzen der Neuen Entwicklungsbank (NDB). Zentral ist die für Südafrika und auch Afrika enger werdende Verbindung zu China, das mit enormen Investitionen wahrscheinlich am meisten geholfen hat, Afrika sichtbarer auf der wirtschaftlichen Weltkarte werden zu lassen.
So nutzte Xi Jinping den Morgen vor dem Gipfel für einen Staatsbesuch in Südafrika. Es ist erst seine zweite Auslandsreise in diesem Jahr, nachdem er im März nach Moskau gereist war. Das zeigt, wie wichtig Xi Brics und Afrika sind. Der Besuch kommt Tage, nachdem sich US-Präsident Biden mit seinen Verbündeten Südkorea und Japan getroffen hatte, wo er das “gefährliche und aggressive Verhalten” Chinas kritisierte.
China und Südafrika begehen in diesem Jahr 25 Jahre diplomatische Beziehungen. In dieser Zeit ist der bilaterale Handel auf mehr als 50 Milliarden Euro gewachsen, rund ein Fünftel des Handels Chinas mit Afrika. Seit 2009 ist China Südafrikas wichtigster Handelspartner. Zwei Drittel der südafrikanischen Exporte nach China sind allerdings Rohstoffe. Ramaphosa erhofft sich in Zukunft eine ausgeglichenere Handelsbilanz und den Export von mehr höherwertigen Produkten, die in Südafrika verarbeitet worden sind.
Auch hat sich Ramaphosa in den vergangenen beiden Jahren für China und Russland aus dem Fenster gelehnt und dabei Spannungen mit den westlichen Staaten, vor allem den USA, in Kauf genommen. Xi dankte es damit, dass sein zweiter Staatsbesuch seit Covid nach Pretoria ging. “Eine starke Botschaft für die afrikanischen Nationen”, schrieb die Johannesburger Wochenzeitung Mail & Guardian. “Chinas Wiederaufleben nach einer pandemiebedingten Pause signalisiert auch eine robuste Rückkehr zum Engagement und zur Partnerschaft mit Afrika.”
Ein Blick in die Geschichte verdeutlicht die verschobenen Machtverhältnisse. Nach der europäischen Kolonialzeit und dem Ende des Kalten Krieges teilten sich erst einmal die USA und Europa die Macht auf der Welt. Dann kam China mit einem rasanten Wirtschaftsaufstieg, forderte mehr Mitsprache und scharte die Länder des Globalen Südens um sich. Der Krieg in der Ukraine verdeutlicht die Unterschiede. Während der Westen Russland verurteilt und in die Enge treibt, ist der Globale Süden pragmatischer. Man ist gegen den Krieg, will aber weiter mit Russland kooperieren.
So fasste Gastgeber Ramaphosa in seiner Abschlusserklärung zusammen: “Mit diesem Gipfel haben die Brics-Staaten ein neues Kapitel in ihren Bemühungen aufgeschlagen, eine Welt zu schaffen, die unparteiisch ist, eine Welt, die gerecht ist, eine Welt, die auch integrativ und wohlhabend ist.” Der nächste Brics-Gipfel wird im kommenden Jahr in der russischen Stadt Kasan stattfinden, obwohl Brasilien an der Reihe gewesen wäre. Vielleicht wird sich dann Brics auf ein permanentes Sekretariat einigen. Aber schon jetzt sitzen sie an den Tischen, wo die globale Zukunft gestaltet wird.
Länder des globalen Südens fordern mehr Mitbestimmung – das wurde auf dem Brics-Gipfel in Johannesburg unmissverständlich klar. Denn viele Institutionen der Nachkriegszeit, etwa die UN oder die Weltbank, spiegeln eine Welt dar, die so nicht mehr existiert, eine Welt, in der viele afrikanische Länder nie einen Platz am Tisch hatten.
Geopolitisch ist die Aufnahme sechs neuer Mitglieder – bis auf zwei alle aus dem globalen Süden – von Brisanz. Die Wirtschaftskraft der Brics wächst erheblich, das wird unvermeidlich Einfluss auf die Weltökonomie haben.
Aber es gibt auch enttäuschte Hoffnungen und Zähneknirschen. Die Mitgliedschaftsanträge von Algerien, Marokko, dem Senegal, Nigeria, und Indonesien lehnten die alten Mitglieder ab. Darüber hinaus dürften die USA über den Beitritt des engen Verbündeten Saudi-Arabiens zur Brics-Gruppe nicht erfreut sein – denn zusammen mit Iran sind nun zwei Extrempole des Nahen Ostens in der Gemeinschaft vertreten.
Andreas Sieren analysiert in diesem Spezial für Sie aus Johannesburg, was die Ergebnisse der Konferenz bedeuten, für die Staaten selbst, aber auch für Europa.
Eine interessante Lektüre wünscht
Als die für Mittwochnachmittag geplante Pressekonferenz kurzfristig verschoben wurde, hat sich schon abgezeichnet, dass sich eine große Überraschung anbahnt. Kurz darauf verkündete die südafrikanische Außenministerin Naledi Pandor, dass sich die Brics-Länder auf Kriterien für die Aufnahme neuer Mitglieder geeinigt hatten. Diese sollten eine große Bevölkerung haben, aus dem globalen Süden stammen und in ihrer Region einen guten Ruf haben. Die Entscheidung sollte am Donnerstag verkündet werden.
“Das Interessante an Brics in diesem Jahr ist, dass jeder dabei sein möchte”, sagte die Ministerin. Ursprünglich hatten sich mehr als 40 Länder für eine Mitgliedschaft interessiert. 23 stellten einen Antrag, darunter auch aufstrebende Mächte wie Indonesien oder Nigeria.
Es folgte ein Paukenschlag, der das Ende der globalen Weltherrschaft des Westens einleiten soll. Brics als die Stimme der Mehrheit der Welt und des globalen Südens ist nun breit aufgestellt: Argentinien ist im Club aufgenommen, auch die Ölstaaten Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE), selbst der Iran. Afrika bekommt mit Ägypten und Äthiopien zwei starke Stimmen.
Die sechs neuen Mitglieder werden offiziell zum 1. Januar 2024 beitreten. Seit 2010, als Südafrika aufgenommen wurde, hatte sich Brics nicht vergrößert. Nun steigert sich noch einmal die Wirtschaftskraft von Brics, die ohnehin schon leicht größer war als die der G7, der Ländergruppe der alten Industriestaaten. Brics kommt nun auf einen Anteil von 37 Prozent an der Weltwirtschaft, ein Zuwachs von rund fünf Prozent. Die G7-Staaten liegen bei weniger als 30 Prozent.
“Diese Mitgliedererweiterung ist historisch”, sagte der chinesische Präsident Xi Jinping. “Es zeigt die Entschlossenheit dieser Länder zur Einheit und Zusammenarbeit mit den größeren Entwicklungsländern.” UN-Generalsekretär Antonio Guterres nahm die Kritik der Brics-Staaten an den Institutionen der Nachkriegsordnung auf und fügte hinzu, dass “die heutigen globalen Governance-Strukturen die Welt von gestern spiegeln”. Reformen seien notwendig. Institutionen wie die UN, IWF und Weltbank “entstanden größtenteils nach dem Zweiten Weltkrieg, als viele afrikanische Länder von Kolonialmächten regiert wurden und nicht einmal mit am Tisch saßen.”
Mit der Aufnahme Argentiniens ist nun auch das zweitwichtigste Land Lateinamerikas dabei. Asien war mit China und Indien schon stark vertreten. Mit Saudi-Arabien, den VAE und dem Iran, um dessen Beitritt hart verhandelt werden musste, bekam der Nahe Osten eine Aufwertung, vor allem, weil sie wichtige Ölexporteure sind. Ihre Aufnahme wird die Brics als Sprachrohr der erdölproduzierenden Länder stärken.
Brics wirkt nun global besser austariert. Das Übergewicht Asiens wurde zurückgenommen, Südamerika gestärkt, Afrika aufgewertet und wichtige Golfstaaten eingegliedert.
Vor allem die Aufnahme seines engen Verbündeten Saudi-Arabien muss die US-Regierung stören. Peking ist ein Coup gelungen, dass die Extrempole des Nahen Ostens – Saudi-Arabien und Iran – gemeinsam zu Brics stoßen. Erst im März war es Peking gelungen, dass beide Seiten wieder diplomatische Beziehungen aufnehmen. Besonders ärgerlich für Washington ist: Den Iran haben die USA mit Sanktionen belegt, an die sich auch die Europäer halten müssten. Die Politik, den Iran zu isolieren, wird nun schwieriger.
Die Aufwertung Afrikas schrieb sich vor allem Südafrikas Cyril Ramaphosa zu. “Wir teilen unsere Vision von Brics als Verfechter der Bedürfnisse und Anliegen der Menschen im globalen Süden”, sagte er im Anschluss an den Gipfel und meinte damit vor allem Afrika.
Das 111 Millionen Menschen starke Ägypten stellte seinen Antrag erst im Juni. Dem Land wird großer Einfluss unter den blockfreien Staaten nachgesagt. Zwischen dem Nahen Osten und Afrika fungiert die drittgrößte Wirtschaft Afrikas als Brücke. Für China ist Ägypten ein zentraler Partner der Belt and Road Initiative. Der Suez-Kanal bildet eine wichtige Wirtschaftsader, die Ostasien mit Europa verbindet.
Auch Äthiopien bat erst im Juni um Aufnahme. Das Land hat nach Nigeria mit 123 Millionen Menschen die zweitgrößte Bevölkerung Afrikas. Äthiopien pflegt enge Verbindungen zu den USA, die etwa in der Nähe von Arba Minch eine wichtige Drohnenbasis betreiben. Dennoch sind die Beziehungen zum Westen angespannt. Im September 2021 haben die USA das Land wegen des Bürgerkriegs in Tigray mit Sanktionen belegt.
Äthiopien hat auch enge Wirtschaftsbeziehungen zu China, an dessen Geldtropf das Land heute hängt. Äthiopien ist auch wichtig, weil in Addis Abeba die Afrikanische Union ihren Sitz hat und die Vereinten Nationen ihre wichtigste Afrika-Präsenz. Auch Russland hofft offenbar darauf, über Äthiopien Einfluss in Ostafrika zu gewinnen.
Aber auch die Liste der Enttäuschten ist lang:
Der Club der Brics-Staaten vereint ganz unterschiedliche Länder. Auf der einen Seite stehen autoritäre Staaten wie Russland und China, auf der anderen Seite die demokratischen Länder Brasilien, Indien und Südafrika. Eines eint sie jedoch: Sie fordern mehr Mitbestimmung in der Welt.
Die Brics-Länder sehen sich weder als anti-amerikanisch noch als anti-westlich. Sie betrachten sich als Beitrag zu größerer globaler Vielfalt, waren es doch nicht zuletzt die Amerikaner, die der Welt erklärt haben, wie wichtig Wettbewerb ist. Noch philosophischer gab sich der chinesische Präsident Xi Jinping in seiner Auftaktrede beim Gipfel, die seltsamerweise sein Handelsminister Wang Wentao verlas: “Veränderung ist die Natur des Universums”, zitierte er einen chinesischen Philosophen.
Tatsächlich brauchte Brics einen langen Anlauf. Der erste Brics-Gipfel auf Präsidentenebene 2009 stand im Schatten der Finanzkrise von 2007/2008. Schon damals forderten die fünf Länder, wenn auch zurückhaltend, ein größeres Mitsprachrecht. Von den G7-Staaten gab es für diese Forderung nur ein müdes Lächeln.
Südafrika kam 2010 auf Betreiben Chinas hinzu, als erstes Land aus Afrika. Aus Bric wurde Brics. Diese Aufnahme wurde argwöhnisch beobachtet. Vor allem afrikanische Staaten waren sich nicht sicher, ob Südafrika ein geeigneter Fürsprecher für den Kontinent ist. Inzwischen stellt das niemand mehr in Frage. Der südafrikanische Präsident Cyril Ramaphosa stieß gar die erste afrikanische Friedensinitiative für einen Konflikt in Europa an. Die wäre ohne den Rückhalt von Brics nicht denkbar gewesen.
Spätestens jetzt in Johannesburg ist klar geworden: An Brics kommt die Welt nicht mehr vorbei. Gleich sechs Länder werden 2024 als Mitglieder aufgenommen. Das Bündnis der aufstrebenden Wirtschaftsmächte wird repräsentativer und soll den Globalen Süden künftig besser vertreten. Weitere Aufnahmen werden folgen.
In einer Grundsatzrede am Sonntag vor dem Gipfel warnte Ramaphosa vor einer Schwächung des Multilateralismus. In der sich verändernden globalen Machtdynamik bestehe das Land am Kap weiter auf die viel kritisierte Neutralität. “Während einige unserer Kritiker eine offene Unterstützung ihrer politischen und ideologischen Entscheidungen bevorzugen, lassen wir uns nicht in einen Wettbewerb zwischen den Weltmächten hineinziehen”, sagte der Präsident, der in diesem Zusammenhang auch einen EU-Südafrika-Gipfel für Ende 2023 ankündigte.
Für Südafrika habe Brics “positive Chancen” gebracht, darunter Finanzspritzen der Neuen Entwicklungsbank (NDB). Zentral ist die für Südafrika und auch Afrika enger werdende Verbindung zu China, das mit enormen Investitionen wahrscheinlich am meisten geholfen hat, Afrika sichtbarer auf der wirtschaftlichen Weltkarte werden zu lassen.
So nutzte Xi Jinping den Morgen vor dem Gipfel für einen Staatsbesuch in Südafrika. Es ist erst seine zweite Auslandsreise in diesem Jahr, nachdem er im März nach Moskau gereist war. Das zeigt, wie wichtig Xi Brics und Afrika sind. Der Besuch kommt Tage, nachdem sich US-Präsident Biden mit seinen Verbündeten Südkorea und Japan getroffen hatte, wo er das “gefährliche und aggressive Verhalten” Chinas kritisierte.
China und Südafrika begehen in diesem Jahr 25 Jahre diplomatische Beziehungen. In dieser Zeit ist der bilaterale Handel auf mehr als 50 Milliarden Euro gewachsen, rund ein Fünftel des Handels Chinas mit Afrika. Seit 2009 ist China Südafrikas wichtigster Handelspartner. Zwei Drittel der südafrikanischen Exporte nach China sind allerdings Rohstoffe. Ramaphosa erhofft sich in Zukunft eine ausgeglichenere Handelsbilanz und den Export von mehr höherwertigen Produkten, die in Südafrika verarbeitet worden sind.
Auch hat sich Ramaphosa in den vergangenen beiden Jahren für China und Russland aus dem Fenster gelehnt und dabei Spannungen mit den westlichen Staaten, vor allem den USA, in Kauf genommen. Xi dankte es damit, dass sein zweiter Staatsbesuch seit Covid nach Pretoria ging. “Eine starke Botschaft für die afrikanischen Nationen”, schrieb die Johannesburger Wochenzeitung Mail & Guardian. “Chinas Wiederaufleben nach einer pandemiebedingten Pause signalisiert auch eine robuste Rückkehr zum Engagement und zur Partnerschaft mit Afrika.”
Ein Blick in die Geschichte verdeutlicht die verschobenen Machtverhältnisse. Nach der europäischen Kolonialzeit und dem Ende des Kalten Krieges teilten sich erst einmal die USA und Europa die Macht auf der Welt. Dann kam China mit einem rasanten Wirtschaftsaufstieg, forderte mehr Mitsprache und scharte die Länder des Globalen Südens um sich. Der Krieg in der Ukraine verdeutlicht die Unterschiede. Während der Westen Russland verurteilt und in die Enge treibt, ist der Globale Süden pragmatischer. Man ist gegen den Krieg, will aber weiter mit Russland kooperieren.
So fasste Gastgeber Ramaphosa in seiner Abschlusserklärung zusammen: “Mit diesem Gipfel haben die Brics-Staaten ein neues Kapitel in ihren Bemühungen aufgeschlagen, eine Welt zu schaffen, die unparteiisch ist, eine Welt, die gerecht ist, eine Welt, die auch integrativ und wohlhabend ist.” Der nächste Brics-Gipfel wird im kommenden Jahr in der russischen Stadt Kasan stattfinden, obwohl Brasilien an der Reihe gewesen wäre. Vielleicht wird sich dann Brics auf ein permanentes Sekretariat einigen. Aber schon jetzt sitzen sie an den Tischen, wo die globale Zukunft gestaltet wird.