Table.Briefing: Security

+++ Table.Alert: Zum mutmaßlichen Tod Prigoschins +++

Liebe Leserin, lieber Leser,

es gibt Ereignisse, die erscheinen unausweichlich und wenn sie eintreten, überraschen sie trotzdem. Die russische Nachrichtenagentur Tass meldet den Tod von Jewgenij Prigoschin, dem Chef der Söldner-Gruppe Wagner. Prigoschin soll in einem Privatjet mit sechs anderen Passagieren und drei Besatzungsmitgliedern nordwestlich von Moskau abgestürzt sein. Über Ursachen gibt es bisher nur Spekulationen, die auch einen Abschuss thematisieren.

Doch das Zeichen, das Russlands Präsident Wladimir Putin über die staatlich gesteuerte Nachrichtenagentur sendet, kommt in jedem Fall an. Verrat ist unverzeihlich. Dass Prigoschin mit seiner Wagner-Gruppe vor gut zwei Monaten den Marsch auf Moskau gestartet hatte, war – wenn sich bestätigt, dass er an Bord des abgestürzten Fliegers war – sein Todesurteil. Und das sollten auch alle mitbekommen.

Mein Kollege Viktor Funk analysiert in diesem Table.Alert, was bisher bekannt ist.

Ihr
Gabriel Bub
Bild von Gabriel  Bub

Analyse

Flugzeugabsturz: Wagner-Gründer Prigoschin mutmaßlich tot

Jewgenij Prigoschin kritisierte oft und hart die russische Armeeführung.

Jewgenij Prigoschin, rechte Hand des russischen Präsidenten für besonders schmutzige militärische Einsätze, galt schon einmal als tot: Im Oktober 2019 soll er bei einem Flugzeugabsturz in der Demokratischen Republik Kongo ums Leben gekommen sein. Das war eine Ente.

Am Abend des 23. August 2023 stürzt erneut ein Flugzeug ab, nordwestlich von Moskau. An Bord soll laut der Namensliste nicht nur der Gründer der russischen Privatmiliz Wagner, Prigoschin selbst gewesen sein, sondern auch einer seiner wichtigsten Vertrauten, Dmitri Utkin.

Bei dem Flugzeug soll es sich laut Moscow Times und Wagner-nahen Telegram-Kanälen um die Embraer Maschine mit der Registrierungsnummer RA-02795 handeln – Prigoschins Flugzeug. Das russische Katastrophenschutz-Ministerium bestätigte den Absturz eines Embraer Jets bei Twer mit zehn Personen an Bord, drei davon Besatzung, nannte aber weiter keine Details.

Dass Prigoschin und das Führungsteam seiner Miliz an Bord waren, darüber berichtete die russische Agentur Tass mit Verweis auf die russische Flugaufsichtsbehörde. Am Abend schrieb Xenija Sobtschak, Putins Patentochter, auf ihrem Telegram-Kanal: “Laut meinen Quellen war Prigoschin an Bord.” Unter ihrem Vater, Anatoli Sobtschak, hatte Putin in St. Petersburg in den 1990er Jahren Karriere gemacht. Seit jener Zeit war er eng mit Prigoschin verbunden. Sobtschak merkte an: “Das ist ein absolut deutliches Signal an alle Eliten, an alle, die irgendwelche aufrührerische Gedanken hatten, etwa über die Militärspezialoperation.”

Der Wagner-nahe Telegram-Kanal Grey Zone vermeldete mit Gewissheit den Tod Prigoschins und schrieb, dass er “infolge der Tat von Verrätern” starb.

Offizielle Bestätigungen für Namen der Opfer gab es bis zum Redaktionsschluss dieser Ausgabe nicht. Ein zweites Flugzeug, das ebenfalls Prigoschin gehören soll, kreist nach dem Vorfall über Moskau und konnte anschließend landen.

Nach dem Putschversuch geschwächt

Vor genau zwei Monaten hatte die Wagner-Gruppe einen Aufstand gegen die Führung der russischen Armee begonnen, der zwei Tage lang dauerte. Unter Vermittlung des belarussischen Diktators Alexander Lukaschenko hatte Prigoschin den Aufstand beendet. Der Kreml nutzte die Gelegenheit und schwächte Wagner erheblich. Sowohl öffentlich im Ansehen als auch durch die Aufforderung an das Personal, sich regulären Streitkräften anzuschließen, die Miliz ganz zu verlassen oder ins Ausland zu gehen.

Erst vor wenigen Tagen veröffentlichten Prigoschin-nahe Telegram-Kanäle ein Video, in dem der Wagner-Chef angeblich aus Mali eine Video-Botschaft verschickte und die Befreiung afrikanischer Staaten von westlichen Einflüssen versprach. Wo und wann genau das Video aufgenommen worden war, blieb unklar.

Unabhängige Kreml-Beobachter verweisen am Abend nach den Absturzmeldungen darauf, dass die Führungselite im Land bereits nach dem Putschversuch Prigoschins davon sprach, er habe sein Todesurteil unterschrieben.  

Unter den vielen Spekulationen über die Ursache des Absturzes gab es Vermutungen über den Technikausfall und Abschuss durch ein Luftverteidigungssystem. Auch dazu gab es bis Redaktionsschluss keine offiziellen Aussagen russischer Behörden.

Erst in dieser Woche wurde bekannt, dass der russische General Sergej Surowikin von seinem Amt als Chef der Luft und Raumfahrttruppen abgelöst worden sein soll. Surowikin war ebenfalls im Zusammenhang mit dem Putschversuch in Ungnade gefallen. Er soll sich anschließend unter Hausarrest befunden haben, gegen ihn liefen Untersuchungen.

Gegen Verteidigungsminister Schoigu gehetzt

Sollte Prigoschin tatsächlich tot sein und weitere Säuberungen im russischen Militär erfolgen, spricht das dafür, dass sich Putins Vertrauter und Verteidigungsminister, Sergej Schoigu, durchgesetzt hat. Prigoschin hat ihn nicht nur öffentlich kritisiert, sondern auch beleidigt. Immer wieder forderte er eine Generalmobilmachung, einen schnelleren Umstieg auf die Kriegswirtschaft und noch aggressiveres Vorgehen gegen die Ukraine.

Nach dem Putsch veröffentlichte Prigoschin Berichte, die Schoigu für den Tod vieler Wagner-Milizen verantwortliche machten, und zwar bereits in Syrien. Dort half Wagner dem Diktator Baschar Al-Assad bei der Bekämpfung von IS-Gruppen und anderen Gegnern sowie bei der Sicherung von Öl-Anlagen.

Der russische Präsident Wladimir Putin selbst nahm am Mittwochabend an Feierlichkeiten zum Gedenken an die Schlacht von Kursk im Zweiten Weltkrieg vor 80 Jahren teil. Dort zeichnete er Soldaten, die im aktuellen Krieg in der Ukraine gekämpft haben, mit Medaillen für Heldentum aus.

  • Russland
  • Ukraine-Krieg

Presseschau

Security.Table – Putschversuch in Russland – “Es ist die tiefste politische Krise seit den 90er Jahren”. Alexey Yusupov, Leiter des Russland-Programms der Friedrich-Ebert-Stiftung, erklärt im Interview mit Table.Media, wie sich der Putschversuch auf die russische Gesellschaft auswirkt. Prigoschin stellt den russischen Staatsapparat als korrupte Bürokratie dar – eine Erzählung, die in der Bevölkerung Unterstützung findet.

New York Times – Timeline: What Led to the Standoff Between Russia and Prigozhin (Paywall). Jewgenij Prigoschin war putintreu, jahrelang. Doch dann die Kehrtwende: Im Juni marschiert Prigoschin Richtung Moskau. Die New York Times zeigt in dieser Zeitleiste von 2016 bis heute die Entwicklung Prigoschins und der Wagner-Gruppe.

Spiegel – So weitet die Wagner-Gruppe ihren Einfluss aus. In diesem Stück von April zeigt der Spiegel grafisch detailliert auf, in welchen Ländern Afrikas sich die Wagner-Gruppe wirtschaftlich und militärisch positioniert hat.

Security.Table Redaktion

SECURITY.TABLE REDAKTION

Licenses:
    Liebe Leserin, lieber Leser,

    es gibt Ereignisse, die erscheinen unausweichlich und wenn sie eintreten, überraschen sie trotzdem. Die russische Nachrichtenagentur Tass meldet den Tod von Jewgenij Prigoschin, dem Chef der Söldner-Gruppe Wagner. Prigoschin soll in einem Privatjet mit sechs anderen Passagieren und drei Besatzungsmitgliedern nordwestlich von Moskau abgestürzt sein. Über Ursachen gibt es bisher nur Spekulationen, die auch einen Abschuss thematisieren.

    Doch das Zeichen, das Russlands Präsident Wladimir Putin über die staatlich gesteuerte Nachrichtenagentur sendet, kommt in jedem Fall an. Verrat ist unverzeihlich. Dass Prigoschin mit seiner Wagner-Gruppe vor gut zwei Monaten den Marsch auf Moskau gestartet hatte, war – wenn sich bestätigt, dass er an Bord des abgestürzten Fliegers war – sein Todesurteil. Und das sollten auch alle mitbekommen.

    Mein Kollege Viktor Funk analysiert in diesem Table.Alert, was bisher bekannt ist.

    Ihr
    Gabriel Bub
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    Flugzeugabsturz: Wagner-Gründer Prigoschin mutmaßlich tot

    Jewgenij Prigoschin kritisierte oft und hart die russische Armeeführung.

    Jewgenij Prigoschin, rechte Hand des russischen Präsidenten für besonders schmutzige militärische Einsätze, galt schon einmal als tot: Im Oktober 2019 soll er bei einem Flugzeugabsturz in der Demokratischen Republik Kongo ums Leben gekommen sein. Das war eine Ente.

    Am Abend des 23. August 2023 stürzt erneut ein Flugzeug ab, nordwestlich von Moskau. An Bord soll laut der Namensliste nicht nur der Gründer der russischen Privatmiliz Wagner, Prigoschin selbst gewesen sein, sondern auch einer seiner wichtigsten Vertrauten, Dmitri Utkin.

    Bei dem Flugzeug soll es sich laut Moscow Times und Wagner-nahen Telegram-Kanälen um die Embraer Maschine mit der Registrierungsnummer RA-02795 handeln – Prigoschins Flugzeug. Das russische Katastrophenschutz-Ministerium bestätigte den Absturz eines Embraer Jets bei Twer mit zehn Personen an Bord, drei davon Besatzung, nannte aber weiter keine Details.

    Dass Prigoschin und das Führungsteam seiner Miliz an Bord waren, darüber berichtete die russische Agentur Tass mit Verweis auf die russische Flugaufsichtsbehörde. Am Abend schrieb Xenija Sobtschak, Putins Patentochter, auf ihrem Telegram-Kanal: “Laut meinen Quellen war Prigoschin an Bord.” Unter ihrem Vater, Anatoli Sobtschak, hatte Putin in St. Petersburg in den 1990er Jahren Karriere gemacht. Seit jener Zeit war er eng mit Prigoschin verbunden. Sobtschak merkte an: “Das ist ein absolut deutliches Signal an alle Eliten, an alle, die irgendwelche aufrührerische Gedanken hatten, etwa über die Militärspezialoperation.”

    Der Wagner-nahe Telegram-Kanal Grey Zone vermeldete mit Gewissheit den Tod Prigoschins und schrieb, dass er “infolge der Tat von Verrätern” starb.

    Offizielle Bestätigungen für Namen der Opfer gab es bis zum Redaktionsschluss dieser Ausgabe nicht. Ein zweites Flugzeug, das ebenfalls Prigoschin gehören soll, kreist nach dem Vorfall über Moskau und konnte anschließend landen.

    Nach dem Putschversuch geschwächt

    Vor genau zwei Monaten hatte die Wagner-Gruppe einen Aufstand gegen die Führung der russischen Armee begonnen, der zwei Tage lang dauerte. Unter Vermittlung des belarussischen Diktators Alexander Lukaschenko hatte Prigoschin den Aufstand beendet. Der Kreml nutzte die Gelegenheit und schwächte Wagner erheblich. Sowohl öffentlich im Ansehen als auch durch die Aufforderung an das Personal, sich regulären Streitkräften anzuschließen, die Miliz ganz zu verlassen oder ins Ausland zu gehen.

    Erst vor wenigen Tagen veröffentlichten Prigoschin-nahe Telegram-Kanäle ein Video, in dem der Wagner-Chef angeblich aus Mali eine Video-Botschaft verschickte und die Befreiung afrikanischer Staaten von westlichen Einflüssen versprach. Wo und wann genau das Video aufgenommen worden war, blieb unklar.

    Unabhängige Kreml-Beobachter verweisen am Abend nach den Absturzmeldungen darauf, dass die Führungselite im Land bereits nach dem Putschversuch Prigoschins davon sprach, er habe sein Todesurteil unterschrieben.  

    Unter den vielen Spekulationen über die Ursache des Absturzes gab es Vermutungen über den Technikausfall und Abschuss durch ein Luftverteidigungssystem. Auch dazu gab es bis Redaktionsschluss keine offiziellen Aussagen russischer Behörden.

    Erst in dieser Woche wurde bekannt, dass der russische General Sergej Surowikin von seinem Amt als Chef der Luft und Raumfahrttruppen abgelöst worden sein soll. Surowikin war ebenfalls im Zusammenhang mit dem Putschversuch in Ungnade gefallen. Er soll sich anschließend unter Hausarrest befunden haben, gegen ihn liefen Untersuchungen.

    Gegen Verteidigungsminister Schoigu gehetzt

    Sollte Prigoschin tatsächlich tot sein und weitere Säuberungen im russischen Militär erfolgen, spricht das dafür, dass sich Putins Vertrauter und Verteidigungsminister, Sergej Schoigu, durchgesetzt hat. Prigoschin hat ihn nicht nur öffentlich kritisiert, sondern auch beleidigt. Immer wieder forderte er eine Generalmobilmachung, einen schnelleren Umstieg auf die Kriegswirtschaft und noch aggressiveres Vorgehen gegen die Ukraine.

    Nach dem Putsch veröffentlichte Prigoschin Berichte, die Schoigu für den Tod vieler Wagner-Milizen verantwortliche machten, und zwar bereits in Syrien. Dort half Wagner dem Diktator Baschar Al-Assad bei der Bekämpfung von IS-Gruppen und anderen Gegnern sowie bei der Sicherung von Öl-Anlagen.

    Der russische Präsident Wladimir Putin selbst nahm am Mittwochabend an Feierlichkeiten zum Gedenken an die Schlacht von Kursk im Zweiten Weltkrieg vor 80 Jahren teil. Dort zeichnete er Soldaten, die im aktuellen Krieg in der Ukraine gekämpft haben, mit Medaillen für Heldentum aus.

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    Presseschau

    Security.Table – Putschversuch in Russland – “Es ist die tiefste politische Krise seit den 90er Jahren”. Alexey Yusupov, Leiter des Russland-Programms der Friedrich-Ebert-Stiftung, erklärt im Interview mit Table.Media, wie sich der Putschversuch auf die russische Gesellschaft auswirkt. Prigoschin stellt den russischen Staatsapparat als korrupte Bürokratie dar – eine Erzählung, die in der Bevölkerung Unterstützung findet.

    New York Times – Timeline: What Led to the Standoff Between Russia and Prigozhin (Paywall). Jewgenij Prigoschin war putintreu, jahrelang. Doch dann die Kehrtwende: Im Juni marschiert Prigoschin Richtung Moskau. Die New York Times zeigt in dieser Zeitleiste von 2016 bis heute die Entwicklung Prigoschins und der Wagner-Gruppe.

    Spiegel – So weitet die Wagner-Gruppe ihren Einfluss aus. In diesem Stück von April zeigt der Spiegel grafisch detailliert auf, in welchen Ländern Afrikas sich die Wagner-Gruppe wirtschaftlich und militärisch positioniert hat.

    Security.Table Redaktion

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