der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sagte heute Mittag in Vilnius oft Danke, als er neben Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg die Ergebnisse des Nato-Gipfels bewertete. Danke für die Aufmerksamkeit, die sein Land bekäme, Danke für die beschleunigte Beitrittsperspektive, Danke für die militärische Unterstützung, die Frankreich, die USA und Deutschland angekündigt haben.
Gestern hatte Selenskyj noch über soziale Medien geklagt: “Die Signale, die wir auf dem Weg nach Vilnius erhalten, sind enttäuschend.” Was es mit dem Gemütswechsel des ukrainischen Präsidenten auf sich hat, erläutert Stephan Israel, der den Gipfel in Vilnius beobachtet. Für welche Waffensysteme und Unterstützungen sich Selenskyj genau bedankt, fasst Thomas Wiegold zusammen.
Ein Gewinner des Nato-Gipfels ist ganz sicher der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan. Nach seinem OK zum schwedischen Nato-Beitritt dürfte er einige Zuwendungen erhalten. Welche das sind, schreiben Nana Brink und Frank Nordhausen auf. Und Viktor Funk notiert die russischen Reaktionen auf das Treffen in Vilnius.
Ich wünsche eine gute Lektüre
Der angekündigte Streit auf offener Bühne hat nicht stattgefunden. Der Nato-Gipfel in Vilnius ist am Mittwoch recht harmonisch zu Ende gegangen. Die Ukraine rücke näher an die Militärallianz denn je zuvor, sagte Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg beim gemeinsamen Auftritt mit Wolodymyr Selenskyj. Beide waren dabei im Einklang bemüht, die Meinungsverschiedenheiten im Bündnis zum Fahrplan für die Ukraine in die Nato vergessen zu machen.
Der Präsident der Ukraine habe seine Forderung nach einem Datum im Raum mit den Staats- und Regierungschefs nicht wiederholt, sagten Diplomaten. Selenskyj hatte es vor der Ankunft in Vilnius in einem empörten Tweet als “absurd” bezeichnet, dass der Ukraine kein Zeitrahmen für eine Mitgliedschaft zugestanden werde. Diplomaten rätselten, ob der ukrainische Präsident mit seiner Kritik Änderungen an der vagen Formulierung im Kommuniqué des Gipfels erreichen wollte. Am zweiten Gipfeltag machte die Enttäuschung jedenfalls der Zufriedenheit Platz. Wobei beide Seiten ein Interesse hatten, den Gipfel als Erfolg darstellen zu können.
Der Weg der Ukraine in die Nato werde von einem zweistufigen zu einem einstufigen Verfahren abgekürzt, hob Stoltenberg hervor. Konkret erlassen die Verbündeten der Ukraine den sogenannten “Member Action Plan” (MAP), den Kandidaten sonst in der Regel durchlaufen müssen. Schweden und Finnland mussten allerdings zuletzt das Vorprogramm auch nicht absolvieren, in dem es unter anderem um Interoperabilität der Streitkräfte geht.
Stoltenberg verwies weiter auf umfangreiche neue Zusagen der Verbündeten, die Ukraine mit Munition, Langstreckenraketen und Kampfpanzern zu unterstützen (siehe Bericht unten). Am Gipfeltag fand als Premiere erstmals der neue Nato-Ukraine-Rat statt, der auch von Selenskyj jederzeit einberufen werden kann. Die Verbündeten und die Ukraine kommen hier nach den Worten des Generalsekretärs anders als in einem bisherigen Format auf Augenhöhe “unter Gleichen” zusammen.
“Wir haben positive Nachrichten, was die Unterstützungspakete von einigen unserer Partner betrifft”, hob auch Selenskyj hervor. Es sei zudem wichtig, dass die Ukraine auf dem Weg in die Nato das Vorprogramm des MAP nicht durchlaufen müsse. Der neue Nato-Ukraine-Rat müsse ein “Instrument der Integration” sein, nicht der Partnerschaft. Positiv sei auch, dass eine Rahmenvereinbarung für Sicherheitsgarantien, von den Staats- und Regierungschefs der G7-Staaten am Rande des Gipfels verabschiedet wurde.
Wie genau diese Sicherheitsgarantien nach einem Ende des Krieges aussehen sollen, ist offen. Vorerst geht es darum, die Ukraine “so lange wie nötig” und kontinuierlich mit Kriegsmaterial zu unterstützen, wie US-Präsident Joe Biden betonte. Für Selenskyj haben die Sicherheitsgarantien insbesondere den Zweck, die Zeit bis zu einer Nato-Mitgliedschaft zu überbrücken. “Ich möchte, dass dieser Gipfel ein Erfolg für alle ist, auch für unsere Soldaten, unsere Bürger und Kinder”, betonte der ukrainische Präsident und zog seine persönliche Bilanz: “Die Ergebnisse des Gipfels sind gut, aber hätten wir eine Einladung bekommen, wäre das Resultat optimal gewesen.”
Weshalb konnten sich die Verbündeten nicht zu einem klaren Fahrplan für die Ukraine Richtung Beitritt durchringen? “Die Ukraine jetzt hereinzulassen, hätte bedeutet, dass die Nato im Krieg mit Russland ist”, sagte Jake Sullivan, Sicherheitsberater des US-Präsidenten am Rande des Gipfels. Allerdings war von einem Beitritt vor einem Kriegsende nie die Rede. Und für Moskau gehen die Verbündeten auch mit den Sicherheitsgarantien schon zu weit: “Die Sicherheitsgarantien der G7 für die Ukraine schaden der Sicherheit Russlands”, sagte Kreml-Sprecher Dimitri Peskow.
Neben den USA war auch für Deutschland die Angst vor einer Eskalation bis hin zu einem Weltkrieg der Grund, zu bremsen. Niemand wolle einen Weltkrieg, entgegnete Selenskyj. Ob einige Mitgliedstaaten die Frage der Nato-Mitgliedschaft der Ukraine als Verhandlungsmasse mit Blick auf spätere Friedensverhandlungen mit Moskau offenlassen wollten, wie kolportiert werde, wurde Stoltenberg beim Auftritt vor den Medien gefragt. Die Ukraine werde Mitglied im Bündnis werden, und noch nie hätten die Verbündeten den Weg so klar vorgezeichnet, entgegnete der Nato-Generalsekretär. Im Übrigen werde es keine Friedenslösung gegen den Willen der Ukraine geben.
“Es ist eine verpasste Chance für die europäische Sicherheit, dass es in Vilnius keinen konkreten Fahrplan und keine konkrete Einladung für die Ukraine in die Nato gab”, kritisierte der Verteidigungsexperte und CDU-Bundestagsabgeordnete Roderich Kiesewetter auf Twitter. Russland verstehe das als Schwäche. Auch Reinhard Bütikofer, außenpolitischer Koordinator der Grünen im EU-Parlament, schreibt in einer Mitteilung von einem “Schritt zurück”. Deutschland und die USA hätten leider eine verlässliche Mitgliedschaftsperspektive verhindert. Damit daraus nicht eine Vertrauenskrise zwischen der Ukraine und der Nato erwachse, sei jetzt eine effektivere Waffenunterstützung noch wichtiger.
Was hat Erdoğan für die Zustimmung zum Nato-Beitritt Schwedens bekommen? Diese Frage beschäftigte Türkei-Experten weltweit nach der dramatischen Pirouette des türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan auf dem Nato-Gipfel in Vilnius. Erst stellte er mit der Beschleunigung des EU-Beitritts der Türkei deutlich weitergehende Forderungen für das türkische Okay auf, dann gab er plötzlich grünes Licht für die Nato-Erweiterung. Ungarns Premier Viktor Orbán folgte ihm wie gewohnt auf dem Fuß. Viele Beobachter waren sich einig, dass Erdoğan den Verhandlungsdurchbruch mit einer allgemeinen Normalisierung und Verbesserung der Beziehungen zu den EU-Ländern und den USA verbindet.
“Das Wichtigste für Erdoğan ist aber zweifellos die Zusage Joe Bidens, F-16-Kampfjets an die Türkei zu liefern”, sagt Yavuz Baydar, Chefredakteur des exiltürkischen Nachrichtenportals “Free Turkish Press”. Damit verbunden sei die Aufhebung der persönlichen Erdoğan-Blockade durch den US-Präsidenten. “Für Erdoğan ist das Treffen mit Biden und die Verbreitung des gemeinsamen Fotos äußerst wichtig, um sich selbst und die Türkei seiner eigenen Bedeutung zu vergewissern”, sagt Baydar.
Allerdings kam es zu der Begegnung erst, nachdem Erdoğan grünes Licht für Schweden gegeben hatte. Kurz darauf kündigte die US-Administration an, dass sie den Verkauf von F-16-Kampfflugzeugen an die Türkei in Absprache mit dem US-Kongress “aktiv vorantreiben” werde. Die Türkei braucht diese Technik zur Erneuerung ihrer Flotte dringend, denn Washington hatte sie 2019 aus dem Programm zur Entwicklung und Produktion der neuen F-35-Maschinen ausgeschlossen. Der Grund: Erdoğan hatte entgegen der Warnung der USA russische S-400-Flugabwehrsysteme erworben.
Das Pentagon teilte am Dienstag zudem mit, dass US-Verteidigungsminister Lloyd Austin die Rolle seines Landes bei der militärischen Modernisierung der Türkei mit dem türkischen Verteidigungsminister Yasar Güler telefonisch erörtert habe – ein weiterer Hinweis auf das verteidigungspolitische Junktim für Erdoğan. Ein Unsicherheitsfaktor aber bleibt: Noch ist die Zustimmung des überwiegend Erdoğan-kritischen US-Kongresses nicht gesichert.
Erdoğans erratische Außenpolitik folgt dem Ziel “strategischer Autonomie” zwischen den geopolitischen Blöcken. Zugleich zielen seine außenpolitischen Impulse stets auf die Innenpolitik. In Vilnius konnte er sich dem heimischen Publikum einmal mehr in der Rolle als großer Weltführer präsentieren. Der Westen habe alle Forderungen und Bedingungen der Türkei erfüllt, meldeten die regierungstreuen Medien wie “Sabah” aus Vilnius. Nicht nur sein Treffen mit Biden wurde gefeiert, sondern auch der mit Schweden geschlossene “Sicherheitspakt” zur “Terrorismusbekämpfung”.
In der schwedischen Presse wird die Einigung überwiegend als diplomatische “Meisterleistung” gewertet. Der TV-Kommentator Mats Knutsson erklärte beim öffentlich-rechtlichen Fernsehsender SVT: “Es ist noch zu früh, um eindeutige Schlussfolgerungen darüber zu ziehen, was für Erdoğans Entscheidung ausschlaggebend war. Wir werden wohl nie erfahren, welche Forderungen und Drohungen bei diesen Gesprächen gestellt wurden.” Offensichtlich ist jedoch, dass es nicht nur um die Lieferung von amerikanischen F-16-Kampfjets an die Türkei gegangen sein muss.
In einer gemeinsamen Erklärung von Stoltenberg, Erdoğan und Kristersson ist von einem Abkommen die Rede, die die wirtschaftlichen Beziehungen beider Länder stärken soll. Aber auch dieses Abkommen geht über eine Absichtserklärung nicht hinaus, analysiert Erik Thyselius, Journalist beim schwedischen Fernsehsender Axess. “Das macht es für beide Parteien leichter, bestimmte Teile der Vereinbarung zu betonen oder herunterzuspielen. Zum Thema Handel heißt es, dass beide Parteien bestrebt sein werden, den Handel miteinander zu maximieren. Das Schlüsselwort ist hier ‘bestreben’. Aber natürlich könnte dies sowohl für schwedische Unternehmen als auch für die türkische Wirtschaft, die sich in einer sehr schwierigen Lage befindet, eine gute Nachricht sein.”
Zwar hat Schweden in der gemeinsamen Erklärung auch zugesagt, die Modernisierung der Zollunion zwischen der EU und der Türkei sowie die Visaliberalisierung für türkische Bürger im Schengen-Raum “aktiv zu unterstützen”. Erdoğan bekam sogar ein privates Treffen mit dem EU-Kommissionschef Charles Michel, der ihm Unterstützung für die seit Jahren eingefrorenen EU-Beitrittsgespräche mit der Türkei versprach. Doch eine Wiederbelebung der Verhandlungen hält Yavuz Baydar für ausgeschlossen: “Ankara kann weder die Kopenhagen-Kriterien noch die Anerkennung Zyperns erfüllen. Der Beitrittsprozess ist tot, und das weiß Erdoğan auch.” Allerdings sei es denkbar, dass er finanzielle Zusagen erhalten habe. “Die türkische Wirtschafts- und Finanzkrise ist gewaltig. Erdogan braucht dringend Geld.”
Die Nettodevisenreserven der türkischen Zentralbank waren zum Zeitpunkt der Mai-Wahlen negativ und sind nur geringfügig wieder gewachsen, die türkische Lira verlor zum Dollar seither rund 30 Prozent an Wert. Die offizielle Inflationsrate beträgt rund 40 Prozent, nach Angabe unabhängiger Experten aber 108 Prozent.
Auch deshalb habe Erdoğan in Vilnius die pro-westliche Tendenz seiner Außenpolitik, die er seit den Präsidentschaftswahlen im Mai verfolge, so klar unterstrichen, meint Baydar. “Aber man darf sich keinen Illusionen hingeben. Erdoğan persönlich ist nicht pro-westlich eingestellt. Die EU hat für ihn keinen strategischen Wert, er benutzt sie nur als taktisches Instrument.”
Am Rande des Nato-Gipfels hat die Ukraine umfangreiche Zusagen für neue Waffenlieferungen aus dem Westen erhalten. Am bedeutsamsten ist die Bereitschaft Frankreichs, nun ebenfalls Marschflugkörper zur Verfügung zu stellen. Deutschland sagte Ausrüstung zur Luftverteidigung und gepanzerte Fahrzeuge zu.
Die Ukraine erhält unter anderem:
Gleich zu Beginn des Treffens der Staats- und Regierungschefs in Vilnius kündigte der französische Präsident Emmanuel Macron an, sein Land werde der Ukraine Waffen mit großer Reichweite liefern. Nach Angaben aus Pariser Regierungskreisen handelt es sich dabei um voraussichtlich 50 Marschflugkörper des Typs SCALP. Das Waffensystem ist weitgehend baugleich mit den von den britischen Streitkräften genutzten und bereits an die Ukraine gelieferten Marschflugkörpern vom Typ Storm Shadow. Die Reichweite von – so weit offiziell bekannt – 250 Kilometern ermöglicht es der Ukraine, auch entferntere Ziele in den russisch besetzten Gebieten oder auf der annektierten Krim anzugreifen.
Sowohl Storm Shadow als auch SCALP sind ähnlich dem von der Bundeswehr genutzten Marschflugkörper Taurus, der mit offiziell 350 Kilometern eine noch etwas größere Reichweite hat und wie das britische und das französische System vor allem gegen verbunkerte Kommandostellungen eingesetzt werden kann. Die französische Ankündigung erhöht den Druck auf Deutschland, ebenfalls dieses Waffensystem an die Ukraine zu liefern. Der deutsche Verteidigungsminister Boris Pistorius schloss das allerdings auf dem Gipfel vorerst aus: “Wir haben uns bislang festgelegt – und ich sehe keinen Grund, das zu ändern – keine Taurus-Raketen zu liefern.”
Die deutsche Haltung dürfte, wie bereits frühere Festlegungen zum Beispiel für die Lieferung von Kampfpanzern, dem Blick auf die USA geschuldet sein. Die Ukraine dringt in Washington seit langem auf die Lieferung weit reichender Boden-Boden-Raketen, so genannter Army Tactical Missile Systems (ATACMS). Die USA sind darauf bislang nicht eingegangen, weil sie befürchten, dass damit auch Ziele in Russland angegriffen werden könnten. Allerdings, so berichtet die New York Times, deutet eine Debatte in der US-Hauptstadt darauf hin, dass sich diese Haltung ändern könnte.
Deutschland hat sich dagegen in Vilnius bereit erklärt, weitere Waffen im Wert von knapp 700 Millionen Euro zu liefern. Dazu gehören zwei Startgeräte für das Flugabwehrsystem Patriot, von dem bereits eine Feuereinheit an die Ukraine übergeben wurde. Diese Ausrüstung aus Beständen der Bundeswehr soll offensichtlich die sogenannten Launcher ersetzen, die in der Ukraine durch russische Angriffe zerstört wurden.
Außerdem finanziert die Bundesregierung die Lieferung von 40 weiteren Marder-Schützenpanzern. Mit den bereits gelieferten 40 und 20 zugesagten Gefechtsfahrzeugen dieses Typs erhöht sich damit die Zahl der geplanten Marder-Lieferungen auf 100. Hinzu kommen weitere 25 Kampfpanzer des älteren Typs Leopard 1 aus Industriebeständen, Artilleriemunition und erstmals ein Luna-Drohnensystem der Bundeswehr. Zur besseren militärischen Aufklärung im Feld will auch Norwegen beitragen, Oslo kündigt eine Lieferung von 1.000 Mini-Drohnen vom Tyo Black Hornet an.
Sowohl Großbritannien als auch Australien sagten der Ukraine am Rande des Gipfels weitere geschützte Fahrzeuge zu. Eine Zusicherung der USA, die von der Ukraine gewünschten F-16-Kampfjets freizugeben, gab es dagegen noch nicht – aber die Ausbildung von ukrainischen Piloten auf diesem Flugzeug kann offensichtlich voranschreiten: Elf europäische Länder, angeführt von den Niederlanden und Dänemark, wollen mit dem Pilotentraining auf diesem Typ beginnen. “Wir haben das amerikanische Ja zur Ausbildung”, sagte der niederländische Premierminister Mark Rutte in Vilnius. “Der nächste Schritt ist natürlich das amerikanische Ja zum Kampfeinsatz der F-16 mit ukrainischen Piloten.” tw
Die russischen Reaktionen auf den Nato-Gipfel in Vilnius und besonders auf die unkonkreten Aussagen der Allianz über die Mitgliedschaft der Ukraine lassen sich knapp zusammenfassen: Der Kreml gibt sich unbeeindruckt. Der Vize-Chef des Sicherheitsrates, Dmitri Medwedew, reagierte auf seinem Telegram-Kanal für seine Verhältnisse eher nüchtern, warf der Nato erneut vor, den Dritten Weltkrieg heraufzubeschwören und schrieb: “Die militärische Sonderoperation wird mit den bisherigen Zielen fortgesetzt.”
Die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Marija Sacharowa machte sich gar über die Enttäuschung des ukrainischen Außenministers ob der fehlenden konkreten Nato-Perspektive lustig und empfahl Dmytro Kuleba eine Ausbildung in der russischen Diplomatenakademie. Außenminister Sergej Lawrow unterstrich in einem Interview mit der indonesischen Zeitung Kompas, dass der Krieg so lange dauern werde, bis der Westen seinen Plan, die (globale) Dominanz zu erhalten, aufgebe. Lawrow sagte, Russland verstehe den derzeitigen Zustand internationaler Beziehungen nicht als neuen Kalten Krieg. Es gehe vielmehr um die Entwicklung einer “multipolaren internationalen Ordnung” – der russische Krieg gegen die Ukraine ist demnach nur ein Mittel, eine für Moskau passende Ordnung zu erreichen.
Für das breite Publikum verbreiteten russische Propagandisten wie Wladimir Solowjew am Mittwochmorgen die Erzählung, dass es bei dem Nato-Treffen gar nicht um die Ukraine gehe, sondern “um einen Krieg gegen uns”. Mit diesem Narrativ rechtfertigt der Kreml seinen Krieg, der nun viel länger dauert, als es das Regime von Wladimir Putin geplant hatte. Dieses angebliche Bedrohungsszenario griff auch Kreml-Sprecher Dmitri-Peskow in seinem täglichen Briefing Mittwochmittag auf und mahnte: “Die Sicherheitsgarantien der G7 für die Ukraine schaden der Sicherheit Russlands.”
Der Leiter des russischen Auslandsgeheimdienstes, Sergej Naryschkin, berichtete am heutigen Mittwoch unterdessen, dass er am 30. Juni mit dem CIA-Chef William Burns über die Ukraine gesprochen habe. Anlass des Anrufs von Burns sei der Putsch-Versuch von Wagner gewesen. “Aber ich denke, diese Erklärung war nur ein Vorwand. Wir haben überlegt und darüber gesprochen, was man mit der Ukraine machen soll”, berichtet Naryschkin laut der russischen Agentur Tass. Er schließe ein persönliches Treffen mit Burns nicht aus. Die Bedingungen für Verhandlungen über die Ukraine seien aber noch nicht reif. vf
der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sagte heute Mittag in Vilnius oft Danke, als er neben Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg die Ergebnisse des Nato-Gipfels bewertete. Danke für die Aufmerksamkeit, die sein Land bekäme, Danke für die beschleunigte Beitrittsperspektive, Danke für die militärische Unterstützung, die Frankreich, die USA und Deutschland angekündigt haben.
Gestern hatte Selenskyj noch über soziale Medien geklagt: “Die Signale, die wir auf dem Weg nach Vilnius erhalten, sind enttäuschend.” Was es mit dem Gemütswechsel des ukrainischen Präsidenten auf sich hat, erläutert Stephan Israel, der den Gipfel in Vilnius beobachtet. Für welche Waffensysteme und Unterstützungen sich Selenskyj genau bedankt, fasst Thomas Wiegold zusammen.
Ein Gewinner des Nato-Gipfels ist ganz sicher der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan. Nach seinem OK zum schwedischen Nato-Beitritt dürfte er einige Zuwendungen erhalten. Welche das sind, schreiben Nana Brink und Frank Nordhausen auf. Und Viktor Funk notiert die russischen Reaktionen auf das Treffen in Vilnius.
Ich wünsche eine gute Lektüre
Der angekündigte Streit auf offener Bühne hat nicht stattgefunden. Der Nato-Gipfel in Vilnius ist am Mittwoch recht harmonisch zu Ende gegangen. Die Ukraine rücke näher an die Militärallianz denn je zuvor, sagte Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg beim gemeinsamen Auftritt mit Wolodymyr Selenskyj. Beide waren dabei im Einklang bemüht, die Meinungsverschiedenheiten im Bündnis zum Fahrplan für die Ukraine in die Nato vergessen zu machen.
Der Präsident der Ukraine habe seine Forderung nach einem Datum im Raum mit den Staats- und Regierungschefs nicht wiederholt, sagten Diplomaten. Selenskyj hatte es vor der Ankunft in Vilnius in einem empörten Tweet als “absurd” bezeichnet, dass der Ukraine kein Zeitrahmen für eine Mitgliedschaft zugestanden werde. Diplomaten rätselten, ob der ukrainische Präsident mit seiner Kritik Änderungen an der vagen Formulierung im Kommuniqué des Gipfels erreichen wollte. Am zweiten Gipfeltag machte die Enttäuschung jedenfalls der Zufriedenheit Platz. Wobei beide Seiten ein Interesse hatten, den Gipfel als Erfolg darstellen zu können.
Der Weg der Ukraine in die Nato werde von einem zweistufigen zu einem einstufigen Verfahren abgekürzt, hob Stoltenberg hervor. Konkret erlassen die Verbündeten der Ukraine den sogenannten “Member Action Plan” (MAP), den Kandidaten sonst in der Regel durchlaufen müssen. Schweden und Finnland mussten allerdings zuletzt das Vorprogramm auch nicht absolvieren, in dem es unter anderem um Interoperabilität der Streitkräfte geht.
Stoltenberg verwies weiter auf umfangreiche neue Zusagen der Verbündeten, die Ukraine mit Munition, Langstreckenraketen und Kampfpanzern zu unterstützen (siehe Bericht unten). Am Gipfeltag fand als Premiere erstmals der neue Nato-Ukraine-Rat statt, der auch von Selenskyj jederzeit einberufen werden kann. Die Verbündeten und die Ukraine kommen hier nach den Worten des Generalsekretärs anders als in einem bisherigen Format auf Augenhöhe “unter Gleichen” zusammen.
“Wir haben positive Nachrichten, was die Unterstützungspakete von einigen unserer Partner betrifft”, hob auch Selenskyj hervor. Es sei zudem wichtig, dass die Ukraine auf dem Weg in die Nato das Vorprogramm des MAP nicht durchlaufen müsse. Der neue Nato-Ukraine-Rat müsse ein “Instrument der Integration” sein, nicht der Partnerschaft. Positiv sei auch, dass eine Rahmenvereinbarung für Sicherheitsgarantien, von den Staats- und Regierungschefs der G7-Staaten am Rande des Gipfels verabschiedet wurde.
Wie genau diese Sicherheitsgarantien nach einem Ende des Krieges aussehen sollen, ist offen. Vorerst geht es darum, die Ukraine “so lange wie nötig” und kontinuierlich mit Kriegsmaterial zu unterstützen, wie US-Präsident Joe Biden betonte. Für Selenskyj haben die Sicherheitsgarantien insbesondere den Zweck, die Zeit bis zu einer Nato-Mitgliedschaft zu überbrücken. “Ich möchte, dass dieser Gipfel ein Erfolg für alle ist, auch für unsere Soldaten, unsere Bürger und Kinder”, betonte der ukrainische Präsident und zog seine persönliche Bilanz: “Die Ergebnisse des Gipfels sind gut, aber hätten wir eine Einladung bekommen, wäre das Resultat optimal gewesen.”
Weshalb konnten sich die Verbündeten nicht zu einem klaren Fahrplan für die Ukraine Richtung Beitritt durchringen? “Die Ukraine jetzt hereinzulassen, hätte bedeutet, dass die Nato im Krieg mit Russland ist”, sagte Jake Sullivan, Sicherheitsberater des US-Präsidenten am Rande des Gipfels. Allerdings war von einem Beitritt vor einem Kriegsende nie die Rede. Und für Moskau gehen die Verbündeten auch mit den Sicherheitsgarantien schon zu weit: “Die Sicherheitsgarantien der G7 für die Ukraine schaden der Sicherheit Russlands”, sagte Kreml-Sprecher Dimitri Peskow.
Neben den USA war auch für Deutschland die Angst vor einer Eskalation bis hin zu einem Weltkrieg der Grund, zu bremsen. Niemand wolle einen Weltkrieg, entgegnete Selenskyj. Ob einige Mitgliedstaaten die Frage der Nato-Mitgliedschaft der Ukraine als Verhandlungsmasse mit Blick auf spätere Friedensverhandlungen mit Moskau offenlassen wollten, wie kolportiert werde, wurde Stoltenberg beim Auftritt vor den Medien gefragt. Die Ukraine werde Mitglied im Bündnis werden, und noch nie hätten die Verbündeten den Weg so klar vorgezeichnet, entgegnete der Nato-Generalsekretär. Im Übrigen werde es keine Friedenslösung gegen den Willen der Ukraine geben.
“Es ist eine verpasste Chance für die europäische Sicherheit, dass es in Vilnius keinen konkreten Fahrplan und keine konkrete Einladung für die Ukraine in die Nato gab”, kritisierte der Verteidigungsexperte und CDU-Bundestagsabgeordnete Roderich Kiesewetter auf Twitter. Russland verstehe das als Schwäche. Auch Reinhard Bütikofer, außenpolitischer Koordinator der Grünen im EU-Parlament, schreibt in einer Mitteilung von einem “Schritt zurück”. Deutschland und die USA hätten leider eine verlässliche Mitgliedschaftsperspektive verhindert. Damit daraus nicht eine Vertrauenskrise zwischen der Ukraine und der Nato erwachse, sei jetzt eine effektivere Waffenunterstützung noch wichtiger.
Was hat Erdoğan für die Zustimmung zum Nato-Beitritt Schwedens bekommen? Diese Frage beschäftigte Türkei-Experten weltweit nach der dramatischen Pirouette des türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan auf dem Nato-Gipfel in Vilnius. Erst stellte er mit der Beschleunigung des EU-Beitritts der Türkei deutlich weitergehende Forderungen für das türkische Okay auf, dann gab er plötzlich grünes Licht für die Nato-Erweiterung. Ungarns Premier Viktor Orbán folgte ihm wie gewohnt auf dem Fuß. Viele Beobachter waren sich einig, dass Erdoğan den Verhandlungsdurchbruch mit einer allgemeinen Normalisierung und Verbesserung der Beziehungen zu den EU-Ländern und den USA verbindet.
“Das Wichtigste für Erdoğan ist aber zweifellos die Zusage Joe Bidens, F-16-Kampfjets an die Türkei zu liefern”, sagt Yavuz Baydar, Chefredakteur des exiltürkischen Nachrichtenportals “Free Turkish Press”. Damit verbunden sei die Aufhebung der persönlichen Erdoğan-Blockade durch den US-Präsidenten. “Für Erdoğan ist das Treffen mit Biden und die Verbreitung des gemeinsamen Fotos äußerst wichtig, um sich selbst und die Türkei seiner eigenen Bedeutung zu vergewissern”, sagt Baydar.
Allerdings kam es zu der Begegnung erst, nachdem Erdoğan grünes Licht für Schweden gegeben hatte. Kurz darauf kündigte die US-Administration an, dass sie den Verkauf von F-16-Kampfflugzeugen an die Türkei in Absprache mit dem US-Kongress “aktiv vorantreiben” werde. Die Türkei braucht diese Technik zur Erneuerung ihrer Flotte dringend, denn Washington hatte sie 2019 aus dem Programm zur Entwicklung und Produktion der neuen F-35-Maschinen ausgeschlossen. Der Grund: Erdoğan hatte entgegen der Warnung der USA russische S-400-Flugabwehrsysteme erworben.
Das Pentagon teilte am Dienstag zudem mit, dass US-Verteidigungsminister Lloyd Austin die Rolle seines Landes bei der militärischen Modernisierung der Türkei mit dem türkischen Verteidigungsminister Yasar Güler telefonisch erörtert habe – ein weiterer Hinweis auf das verteidigungspolitische Junktim für Erdoğan. Ein Unsicherheitsfaktor aber bleibt: Noch ist die Zustimmung des überwiegend Erdoğan-kritischen US-Kongresses nicht gesichert.
Erdoğans erratische Außenpolitik folgt dem Ziel “strategischer Autonomie” zwischen den geopolitischen Blöcken. Zugleich zielen seine außenpolitischen Impulse stets auf die Innenpolitik. In Vilnius konnte er sich dem heimischen Publikum einmal mehr in der Rolle als großer Weltführer präsentieren. Der Westen habe alle Forderungen und Bedingungen der Türkei erfüllt, meldeten die regierungstreuen Medien wie “Sabah” aus Vilnius. Nicht nur sein Treffen mit Biden wurde gefeiert, sondern auch der mit Schweden geschlossene “Sicherheitspakt” zur “Terrorismusbekämpfung”.
In der schwedischen Presse wird die Einigung überwiegend als diplomatische “Meisterleistung” gewertet. Der TV-Kommentator Mats Knutsson erklärte beim öffentlich-rechtlichen Fernsehsender SVT: “Es ist noch zu früh, um eindeutige Schlussfolgerungen darüber zu ziehen, was für Erdoğans Entscheidung ausschlaggebend war. Wir werden wohl nie erfahren, welche Forderungen und Drohungen bei diesen Gesprächen gestellt wurden.” Offensichtlich ist jedoch, dass es nicht nur um die Lieferung von amerikanischen F-16-Kampfjets an die Türkei gegangen sein muss.
In einer gemeinsamen Erklärung von Stoltenberg, Erdoğan und Kristersson ist von einem Abkommen die Rede, die die wirtschaftlichen Beziehungen beider Länder stärken soll. Aber auch dieses Abkommen geht über eine Absichtserklärung nicht hinaus, analysiert Erik Thyselius, Journalist beim schwedischen Fernsehsender Axess. “Das macht es für beide Parteien leichter, bestimmte Teile der Vereinbarung zu betonen oder herunterzuspielen. Zum Thema Handel heißt es, dass beide Parteien bestrebt sein werden, den Handel miteinander zu maximieren. Das Schlüsselwort ist hier ‘bestreben’. Aber natürlich könnte dies sowohl für schwedische Unternehmen als auch für die türkische Wirtschaft, die sich in einer sehr schwierigen Lage befindet, eine gute Nachricht sein.”
Zwar hat Schweden in der gemeinsamen Erklärung auch zugesagt, die Modernisierung der Zollunion zwischen der EU und der Türkei sowie die Visaliberalisierung für türkische Bürger im Schengen-Raum “aktiv zu unterstützen”. Erdoğan bekam sogar ein privates Treffen mit dem EU-Kommissionschef Charles Michel, der ihm Unterstützung für die seit Jahren eingefrorenen EU-Beitrittsgespräche mit der Türkei versprach. Doch eine Wiederbelebung der Verhandlungen hält Yavuz Baydar für ausgeschlossen: “Ankara kann weder die Kopenhagen-Kriterien noch die Anerkennung Zyperns erfüllen. Der Beitrittsprozess ist tot, und das weiß Erdoğan auch.” Allerdings sei es denkbar, dass er finanzielle Zusagen erhalten habe. “Die türkische Wirtschafts- und Finanzkrise ist gewaltig. Erdogan braucht dringend Geld.”
Die Nettodevisenreserven der türkischen Zentralbank waren zum Zeitpunkt der Mai-Wahlen negativ und sind nur geringfügig wieder gewachsen, die türkische Lira verlor zum Dollar seither rund 30 Prozent an Wert. Die offizielle Inflationsrate beträgt rund 40 Prozent, nach Angabe unabhängiger Experten aber 108 Prozent.
Auch deshalb habe Erdoğan in Vilnius die pro-westliche Tendenz seiner Außenpolitik, die er seit den Präsidentschaftswahlen im Mai verfolge, so klar unterstrichen, meint Baydar. “Aber man darf sich keinen Illusionen hingeben. Erdoğan persönlich ist nicht pro-westlich eingestellt. Die EU hat für ihn keinen strategischen Wert, er benutzt sie nur als taktisches Instrument.”
Am Rande des Nato-Gipfels hat die Ukraine umfangreiche Zusagen für neue Waffenlieferungen aus dem Westen erhalten. Am bedeutsamsten ist die Bereitschaft Frankreichs, nun ebenfalls Marschflugkörper zur Verfügung zu stellen. Deutschland sagte Ausrüstung zur Luftverteidigung und gepanzerte Fahrzeuge zu.
Die Ukraine erhält unter anderem:
Gleich zu Beginn des Treffens der Staats- und Regierungschefs in Vilnius kündigte der französische Präsident Emmanuel Macron an, sein Land werde der Ukraine Waffen mit großer Reichweite liefern. Nach Angaben aus Pariser Regierungskreisen handelt es sich dabei um voraussichtlich 50 Marschflugkörper des Typs SCALP. Das Waffensystem ist weitgehend baugleich mit den von den britischen Streitkräften genutzten und bereits an die Ukraine gelieferten Marschflugkörpern vom Typ Storm Shadow. Die Reichweite von – so weit offiziell bekannt – 250 Kilometern ermöglicht es der Ukraine, auch entferntere Ziele in den russisch besetzten Gebieten oder auf der annektierten Krim anzugreifen.
Sowohl Storm Shadow als auch SCALP sind ähnlich dem von der Bundeswehr genutzten Marschflugkörper Taurus, der mit offiziell 350 Kilometern eine noch etwas größere Reichweite hat und wie das britische und das französische System vor allem gegen verbunkerte Kommandostellungen eingesetzt werden kann. Die französische Ankündigung erhöht den Druck auf Deutschland, ebenfalls dieses Waffensystem an die Ukraine zu liefern. Der deutsche Verteidigungsminister Boris Pistorius schloss das allerdings auf dem Gipfel vorerst aus: “Wir haben uns bislang festgelegt – und ich sehe keinen Grund, das zu ändern – keine Taurus-Raketen zu liefern.”
Die deutsche Haltung dürfte, wie bereits frühere Festlegungen zum Beispiel für die Lieferung von Kampfpanzern, dem Blick auf die USA geschuldet sein. Die Ukraine dringt in Washington seit langem auf die Lieferung weit reichender Boden-Boden-Raketen, so genannter Army Tactical Missile Systems (ATACMS). Die USA sind darauf bislang nicht eingegangen, weil sie befürchten, dass damit auch Ziele in Russland angegriffen werden könnten. Allerdings, so berichtet die New York Times, deutet eine Debatte in der US-Hauptstadt darauf hin, dass sich diese Haltung ändern könnte.
Deutschland hat sich dagegen in Vilnius bereit erklärt, weitere Waffen im Wert von knapp 700 Millionen Euro zu liefern. Dazu gehören zwei Startgeräte für das Flugabwehrsystem Patriot, von dem bereits eine Feuereinheit an die Ukraine übergeben wurde. Diese Ausrüstung aus Beständen der Bundeswehr soll offensichtlich die sogenannten Launcher ersetzen, die in der Ukraine durch russische Angriffe zerstört wurden.
Außerdem finanziert die Bundesregierung die Lieferung von 40 weiteren Marder-Schützenpanzern. Mit den bereits gelieferten 40 und 20 zugesagten Gefechtsfahrzeugen dieses Typs erhöht sich damit die Zahl der geplanten Marder-Lieferungen auf 100. Hinzu kommen weitere 25 Kampfpanzer des älteren Typs Leopard 1 aus Industriebeständen, Artilleriemunition und erstmals ein Luna-Drohnensystem der Bundeswehr. Zur besseren militärischen Aufklärung im Feld will auch Norwegen beitragen, Oslo kündigt eine Lieferung von 1.000 Mini-Drohnen vom Tyo Black Hornet an.
Sowohl Großbritannien als auch Australien sagten der Ukraine am Rande des Gipfels weitere geschützte Fahrzeuge zu. Eine Zusicherung der USA, die von der Ukraine gewünschten F-16-Kampfjets freizugeben, gab es dagegen noch nicht – aber die Ausbildung von ukrainischen Piloten auf diesem Flugzeug kann offensichtlich voranschreiten: Elf europäische Länder, angeführt von den Niederlanden und Dänemark, wollen mit dem Pilotentraining auf diesem Typ beginnen. “Wir haben das amerikanische Ja zur Ausbildung”, sagte der niederländische Premierminister Mark Rutte in Vilnius. “Der nächste Schritt ist natürlich das amerikanische Ja zum Kampfeinsatz der F-16 mit ukrainischen Piloten.” tw
Die russischen Reaktionen auf den Nato-Gipfel in Vilnius und besonders auf die unkonkreten Aussagen der Allianz über die Mitgliedschaft der Ukraine lassen sich knapp zusammenfassen: Der Kreml gibt sich unbeeindruckt. Der Vize-Chef des Sicherheitsrates, Dmitri Medwedew, reagierte auf seinem Telegram-Kanal für seine Verhältnisse eher nüchtern, warf der Nato erneut vor, den Dritten Weltkrieg heraufzubeschwören und schrieb: “Die militärische Sonderoperation wird mit den bisherigen Zielen fortgesetzt.”
Die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Marija Sacharowa machte sich gar über die Enttäuschung des ukrainischen Außenministers ob der fehlenden konkreten Nato-Perspektive lustig und empfahl Dmytro Kuleba eine Ausbildung in der russischen Diplomatenakademie. Außenminister Sergej Lawrow unterstrich in einem Interview mit der indonesischen Zeitung Kompas, dass der Krieg so lange dauern werde, bis der Westen seinen Plan, die (globale) Dominanz zu erhalten, aufgebe. Lawrow sagte, Russland verstehe den derzeitigen Zustand internationaler Beziehungen nicht als neuen Kalten Krieg. Es gehe vielmehr um die Entwicklung einer “multipolaren internationalen Ordnung” – der russische Krieg gegen die Ukraine ist demnach nur ein Mittel, eine für Moskau passende Ordnung zu erreichen.
Für das breite Publikum verbreiteten russische Propagandisten wie Wladimir Solowjew am Mittwochmorgen die Erzählung, dass es bei dem Nato-Treffen gar nicht um die Ukraine gehe, sondern “um einen Krieg gegen uns”. Mit diesem Narrativ rechtfertigt der Kreml seinen Krieg, der nun viel länger dauert, als es das Regime von Wladimir Putin geplant hatte. Dieses angebliche Bedrohungsszenario griff auch Kreml-Sprecher Dmitri-Peskow in seinem täglichen Briefing Mittwochmittag auf und mahnte: “Die Sicherheitsgarantien der G7 für die Ukraine schaden der Sicherheit Russlands.”
Der Leiter des russischen Auslandsgeheimdienstes, Sergej Naryschkin, berichtete am heutigen Mittwoch unterdessen, dass er am 30. Juni mit dem CIA-Chef William Burns über die Ukraine gesprochen habe. Anlass des Anrufs von Burns sei der Putsch-Versuch von Wagner gewesen. “Aber ich denke, diese Erklärung war nur ein Vorwand. Wir haben überlegt und darüber gesprochen, was man mit der Ukraine machen soll”, berichtet Naryschkin laut der russischen Agentur Tass. Er schließe ein persönliches Treffen mit Burns nicht aus. Die Bedingungen für Verhandlungen über die Ukraine seien aber noch nicht reif. vf