Table.Briefing: Security

+++ Table.Alert: Kabinett in Israel stimmt Geiseldeal zu +++

Liebe Leserin, lieber Leser,

gut sechs Wochen nach ihrer Entführung hat die israelische Regierung am frühen Mittwochmorgen einem von Katar vermittelten Abkommen zugestimmt, das die Freilassung von 50 israelischen Geiseln vorsieht. Diese waren am 7. Oktober von der Hamas in den Gazastreifen verschleppt worden – gemeinsam mit Dutzenden weiteren Israelis und 40 Ausländern, die sich nach wie vor in den Händen der Terrororganisation, des Islamischen Dschihads oder anderer palästinensischer Gruppen befinden.

Dem Büro von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu zufolge handelt es sich bei den vor der Freilassung stehenden Geiseln um 30 Kinder, zwölf Mütter und acht weitere Frauen. Im Gegenzug habe die Regierung in Jerusalem einer Feuerpause zugestimmt, die 96 Stunden dauern solle, berichteten in der Nacht auf Mittwoch israelische Medien. Bis zu 150 palästinensische Frauen und Kinder, die in israelischen Gefängnissen einsitzen, sollten dafür in den kommenden Tagen auf freien Fuß kommen.

Die ersten Geiselfreilassungen werden nicht vor Donnerstag erwartet. Um israelischen Bürgern die Möglichkeit zu geben, den Obersten Gerichtshof anzurufen, um die Freilassung der palästinensischen Gefangenen zu blockieren, müsse das Kabinett 24 Stunden mit der Umsetzung warten, so unter anderem Channel 12 News. Die Geiseln sollen in kleinen Gruppen freikommen. Sollten sich innerhalb der 96 Stunden Feuerpause weitere, auch ausländische, Geiseln finden, könnten diese ebenfalls freigelassen werden.

Netanjahu hatte am Dienstagabend zunächst sein Kriegskabinett einberufen, dem neben Verteidigungsminister Yoav Gallant auch Oppositionsführer Benny Gantz angehört. Dieser hatte 2014 als Generalstabschef die Operation Protective Edge im Gazastreifen angeführt. In Doha hatte zuvor ein Sprecher des Ministerpräsidenten des Emirats Katar, Mohammed bin Abdulrahman Al Thani, gesagt, dass es an der israelischen Seite liege, der Übereinkunft zuzustimmen. Diese erlaubt es zum ersten Mal seit dem Terrorüberfall der Hamas vor 47 Tagen, größere Mengen an humanitärer Hilfe in den Gazastreifen zu bringen.

Wer von dem Deal politisch profitiert, für wen er eine Niederlage bedeutet, habe ich für Sie analysiert,

Ihr
Markus Bickel
Bild von Markus  Bickel

Analyse

Atempause für Gaza, Erfolg für die Hamas

Am Ende waren es vor allem die israelischen Sicherheitsdienste, die auf den Deal drängten: Sowohl die Spitzen der Israel Defence Forces (IDF), des Auslandsgeheimdienstes Mossad und des Inlandsgeheimdienstes Shin Bet wollten eine Freilassung zumindest eines Teils der seit 7. Oktober im Gazastreifen festgehaltenen israelischen Geiseln nicht länger hinausschieben. Zu groß war zuletzt der Druck aus der israelischen Bevölkerung geworden, sechs Wochen nach dem Terrorüberfall endlich Erfolge für die Angehörigen der von der Terrororganisation verschleppten Israelis zu erreichen.

Doch so groß die Freude über die Freilassung von fünfzig der 240 in den Gazastreifen entführten Menschen ist, so gering ist die Aussicht, dass damit ein Ende des Kriegs zwischen Israel und der Hamas näher rückt. “Ein gewiss frommer Wunsch, für dessen Realisierung jedoch bis auf Weiteres keine Ansatzpunkte erkennbar sind”, sagt der frühere Planungsstabschef des Bundesnachrichtendienstes (BND), Gerhard Conrad. Er hatte zwischen Israel und der Hamas vermittelt, um die Freilassung des 2006 im Gazastreifen entführten israelischen Soldaten Gilad Shalit zu erreichen. 1027 palästinensische Gefangene kamen im Oktober 2011 im Gegenzug frei –  fünf Jahre nach Shalits Entführung.

Feuerpause verschafft Hamas Zeit

Ein Szenario, das viele in Israel unbedingt vermeiden wollten – nicht zuletzt, um zu verhindern, dass die Hamas für ihren mörderischen Feldzug am 7. Oktober auch noch belohnt werde. So sollen sich unter den vor der Freilassung stehenden Palästinensern keine Gefangenen befinden, die wegen Mordes verurteilt wurden. Und anders als 2011 steht nicht der Gefangenenaustausch im Mittelpunkt des Deals mit der Hamas, sondern die Feuerpause. Auch die Überwachung des Gazastreifens durch israelische Drohnen soll mit Inkrafttreten des Deals für sechs Stunden am Tag ausgesetzt werden.

Das wird die Hamas als Erfolg verkaufen können. Denn 47 Tage nach ihrem Überfall auf mehr als dreißig Gemeinden, Kibbuzim und Armeestützpunkte am Rande des Gazastreifens verschafft der von Katar vermittelte Deal der Bevölkerung zumindest eine kurze Atempause. Hilfsorganisationen gibt das Abkommen Gelegenheit, dringend benötigte Lebens- und Arzneimittel, Treibstoff und Wasser in das Kriegsgebiet zu bringen. Einer der politischen Anführer der Terrororganisation, Ismail Haniyya, ließ das bereits am Dienstag durchblicken.

Netanjahu intern weiter unter Druck

Den Druck auf Israels Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu, seine Kriegsversprechen zu erfüllen, wird der Deal kaum lindern. Seine zwei wichtigsten Koalitionspartner – die rechtsextremen Minister für Nationale Sicherheit, Itamar Ben Gvir, sowie Finanzen, Bezalel  Smotrich – hatten im Vorfeld der Abstimmung im Kabinett gegen die Vereinbarung mit der Hamas mobil gemacht. Ben-Gvir forderte am Dienstagabend, dass die Armee so lange kämpfen müsse, bis sich die Terrororganisation “unseren Bedingungen” unterwerfe.

Aber auch die Angehörigen jener Geiseln, über deren Verbleib im Gazastreifen bis heute keine genaueren Details vorliegen, werden weiter darauf drängen, dass diese freikommen. Israelische Militärführer haben immer wieder eingeräumt, dass die Bedingungen zur Befreiung der Geiseln durch den anhaltenden Krieg nicht besser würden. Seit dem Terrorüberfall am 7. Oktober ist es der IDF erst gelungen, lediglich eine Geisel selbst zu befreien. Vier waren noch im Oktober auf Vermittlung durch Katar freigekommen. Die daraus entstandene Hoffnung auf einen baldigen größeren Gefangenenaustausch hatte sich dann jedoch wochenlang nicht erfüllt.

Die Risse, die die israelische Gesellschaft seit Jahren durchziehen, werden durch den Deal eher größer als kleiner werden. Unter anderem zwischen jenen, für die die Freilassung aller Geiseln Priorität hat – und jenen, die mit der Hamas-Herrschaft ein- für allemal aufräumen wollen. Die Militärs sind das nicht unbedingt, sondern vor allem ein Mann, der bis heute versäumt hat, die Verantwortung für das größte Sicherheitsversagen seit dem Oktober-Krieg 1973 zu übernehmen:  Ministerpräsident Netanjahu. Der verwies am Rande der Abstimmung im Kabinett am Dienstagabend darauf, dass das Komitee vom Internationalen Roten Kreuz die in Gaza verbleibenden Geiseln untersuchen werde. Ein schwacher Trost – vor allem für die, die die Verhandlungen mit der Hamas aus Prinzip ablehnen.

  • Gaza
  • Hamas
  • Israel

Security.Table Redaktion

SECURITY.TABLE REDAKTION

Licenses:
    Liebe Leserin, lieber Leser,

    gut sechs Wochen nach ihrer Entführung hat die israelische Regierung am frühen Mittwochmorgen einem von Katar vermittelten Abkommen zugestimmt, das die Freilassung von 50 israelischen Geiseln vorsieht. Diese waren am 7. Oktober von der Hamas in den Gazastreifen verschleppt worden – gemeinsam mit Dutzenden weiteren Israelis und 40 Ausländern, die sich nach wie vor in den Händen der Terrororganisation, des Islamischen Dschihads oder anderer palästinensischer Gruppen befinden.

    Dem Büro von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu zufolge handelt es sich bei den vor der Freilassung stehenden Geiseln um 30 Kinder, zwölf Mütter und acht weitere Frauen. Im Gegenzug habe die Regierung in Jerusalem einer Feuerpause zugestimmt, die 96 Stunden dauern solle, berichteten in der Nacht auf Mittwoch israelische Medien. Bis zu 150 palästinensische Frauen und Kinder, die in israelischen Gefängnissen einsitzen, sollten dafür in den kommenden Tagen auf freien Fuß kommen.

    Die ersten Geiselfreilassungen werden nicht vor Donnerstag erwartet. Um israelischen Bürgern die Möglichkeit zu geben, den Obersten Gerichtshof anzurufen, um die Freilassung der palästinensischen Gefangenen zu blockieren, müsse das Kabinett 24 Stunden mit der Umsetzung warten, so unter anderem Channel 12 News. Die Geiseln sollen in kleinen Gruppen freikommen. Sollten sich innerhalb der 96 Stunden Feuerpause weitere, auch ausländische, Geiseln finden, könnten diese ebenfalls freigelassen werden.

    Netanjahu hatte am Dienstagabend zunächst sein Kriegskabinett einberufen, dem neben Verteidigungsminister Yoav Gallant auch Oppositionsführer Benny Gantz angehört. Dieser hatte 2014 als Generalstabschef die Operation Protective Edge im Gazastreifen angeführt. In Doha hatte zuvor ein Sprecher des Ministerpräsidenten des Emirats Katar, Mohammed bin Abdulrahman Al Thani, gesagt, dass es an der israelischen Seite liege, der Übereinkunft zuzustimmen. Diese erlaubt es zum ersten Mal seit dem Terrorüberfall der Hamas vor 47 Tagen, größere Mengen an humanitärer Hilfe in den Gazastreifen zu bringen.

    Wer von dem Deal politisch profitiert, für wen er eine Niederlage bedeutet, habe ich für Sie analysiert,

    Ihr
    Markus Bickel
    Bild von Markus  Bickel

    Analyse

    Atempause für Gaza, Erfolg für die Hamas

    Am Ende waren es vor allem die israelischen Sicherheitsdienste, die auf den Deal drängten: Sowohl die Spitzen der Israel Defence Forces (IDF), des Auslandsgeheimdienstes Mossad und des Inlandsgeheimdienstes Shin Bet wollten eine Freilassung zumindest eines Teils der seit 7. Oktober im Gazastreifen festgehaltenen israelischen Geiseln nicht länger hinausschieben. Zu groß war zuletzt der Druck aus der israelischen Bevölkerung geworden, sechs Wochen nach dem Terrorüberfall endlich Erfolge für die Angehörigen der von der Terrororganisation verschleppten Israelis zu erreichen.

    Doch so groß die Freude über die Freilassung von fünfzig der 240 in den Gazastreifen entführten Menschen ist, so gering ist die Aussicht, dass damit ein Ende des Kriegs zwischen Israel und der Hamas näher rückt. “Ein gewiss frommer Wunsch, für dessen Realisierung jedoch bis auf Weiteres keine Ansatzpunkte erkennbar sind”, sagt der frühere Planungsstabschef des Bundesnachrichtendienstes (BND), Gerhard Conrad. Er hatte zwischen Israel und der Hamas vermittelt, um die Freilassung des 2006 im Gazastreifen entführten israelischen Soldaten Gilad Shalit zu erreichen. 1027 palästinensische Gefangene kamen im Oktober 2011 im Gegenzug frei –  fünf Jahre nach Shalits Entführung.

    Feuerpause verschafft Hamas Zeit

    Ein Szenario, das viele in Israel unbedingt vermeiden wollten – nicht zuletzt, um zu verhindern, dass die Hamas für ihren mörderischen Feldzug am 7. Oktober auch noch belohnt werde. So sollen sich unter den vor der Freilassung stehenden Palästinensern keine Gefangenen befinden, die wegen Mordes verurteilt wurden. Und anders als 2011 steht nicht der Gefangenenaustausch im Mittelpunkt des Deals mit der Hamas, sondern die Feuerpause. Auch die Überwachung des Gazastreifens durch israelische Drohnen soll mit Inkrafttreten des Deals für sechs Stunden am Tag ausgesetzt werden.

    Das wird die Hamas als Erfolg verkaufen können. Denn 47 Tage nach ihrem Überfall auf mehr als dreißig Gemeinden, Kibbuzim und Armeestützpunkte am Rande des Gazastreifens verschafft der von Katar vermittelte Deal der Bevölkerung zumindest eine kurze Atempause. Hilfsorganisationen gibt das Abkommen Gelegenheit, dringend benötigte Lebens- und Arzneimittel, Treibstoff und Wasser in das Kriegsgebiet zu bringen. Einer der politischen Anführer der Terrororganisation, Ismail Haniyya, ließ das bereits am Dienstag durchblicken.

    Netanjahu intern weiter unter Druck

    Den Druck auf Israels Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu, seine Kriegsversprechen zu erfüllen, wird der Deal kaum lindern. Seine zwei wichtigsten Koalitionspartner – die rechtsextremen Minister für Nationale Sicherheit, Itamar Ben Gvir, sowie Finanzen, Bezalel  Smotrich – hatten im Vorfeld der Abstimmung im Kabinett gegen die Vereinbarung mit der Hamas mobil gemacht. Ben-Gvir forderte am Dienstagabend, dass die Armee so lange kämpfen müsse, bis sich die Terrororganisation “unseren Bedingungen” unterwerfe.

    Aber auch die Angehörigen jener Geiseln, über deren Verbleib im Gazastreifen bis heute keine genaueren Details vorliegen, werden weiter darauf drängen, dass diese freikommen. Israelische Militärführer haben immer wieder eingeräumt, dass die Bedingungen zur Befreiung der Geiseln durch den anhaltenden Krieg nicht besser würden. Seit dem Terrorüberfall am 7. Oktober ist es der IDF erst gelungen, lediglich eine Geisel selbst zu befreien. Vier waren noch im Oktober auf Vermittlung durch Katar freigekommen. Die daraus entstandene Hoffnung auf einen baldigen größeren Gefangenenaustausch hatte sich dann jedoch wochenlang nicht erfüllt.

    Die Risse, die die israelische Gesellschaft seit Jahren durchziehen, werden durch den Deal eher größer als kleiner werden. Unter anderem zwischen jenen, für die die Freilassung aller Geiseln Priorität hat – und jenen, die mit der Hamas-Herrschaft ein- für allemal aufräumen wollen. Die Militärs sind das nicht unbedingt, sondern vor allem ein Mann, der bis heute versäumt hat, die Verantwortung für das größte Sicherheitsversagen seit dem Oktober-Krieg 1973 zu übernehmen:  Ministerpräsident Netanjahu. Der verwies am Rande der Abstimmung im Kabinett am Dienstagabend darauf, dass das Komitee vom Internationalen Roten Kreuz die in Gaza verbleibenden Geiseln untersuchen werde. Ein schwacher Trost – vor allem für die, die die Verhandlungen mit der Hamas aus Prinzip ablehnen.

    • Gaza
    • Hamas
    • Israel

    Security.Table Redaktion

    SECURITY.TABLE REDAKTION

    Licenses:

      Jetzt kostenlos anmelden und sofort weiterlesen

      Keine Bankdaten. Keine automatische Verlängerung.

      Sie haben bereits das Table.Briefing Abonnement?

      Anmelden und weiterlesen