der Nahe Osten steht am Rande eines Regionalkriegs. In Israel tagt zur Stunde das Sicherheitskabinett, später kommt US-Präsident Joe Biden mit den G7-Staats-und Regierungschefs zu einer Videoschalte zusammen, und um 22.00 Uhr deutscher Zeit berät in New York der UN-Sicherheitsrat. Das einzige Thema: der Angriff Irans auf Ziele in Israel.
300 Drohnen und Marschflugkörper schoss Iran in der Nacht auf Sonntag auf Israel ab – Außenminister Israel Katz droht mit einem harten Gegenschlag: “Wir haben gesagt: Wenn der Iran Israel angreift, werden wir im Iran angreifen. Und dieses Bekenntnis ist immer noch gültig.”
Wie Israel auf den beispiellosen Angriff aus dem Iran militärisch reagiert, entscheidet über den Fortgang des Konflikts, der in seiner Tragweite an die Kuba-Krise 1962 erinnert. Ich habe in meiner Analyse besonderes Augenmerk auf die Annäherung zwischen Saudi-Arabien und Iran vor einem Jahr gelegt. Vielleicht birgt das von China 2023 initiierte Tauwetter zwischen Teheran und Riad ja das diplomatische Potenzial, damit Deeskalation an diesem Wendepunkt des Nahostkonflikts am Ende die Oberhand behält.
Ihr Markus Bickel
Analyse
Militärisch kann Iran diesen Krieg nicht gewinnen – er passt auch nicht in Chameneis Konzept der “strategischen Geduld”
Raketen des israelischen Flugabwehrsystems Iron Dome im April 2023 an der Grenze zum Libanon.
Irans beispielloser Angriff auf Israel macht die Gefahr eines direkten israelisch-iranischen Kriegs so groß wie nie seit Gründung der Islamischen Republik 1979. Zentral gesteuert wurde die komplexe Militäroperation in der Nacht auf Sonntag von Stützpunkten der Revolutionsgarden in Iran, unterstützt von proiranischen Milizen im Jemen, Libanon und Irak. Hisbollah, Hamas und Huthi-Rebellen bilden die regionale Achse des Widerstands, die Israel in Stellvertreterkriegen seit dem 7. Oktober 2023 bekämpft.
Die Zäsur dieses Wochenendes besteht darin, dass Iran nun mit direkter Vergeltung Israels auf eigenes Territorium rechnen muss. Am Nachmittag tagt in New York der Weltsicherheitsrat. Die Vetomächte China und Russland stehen auf Seiten Irans, doch schützen kann das Teheran nicht; dazu sind die militärischen Gleichgewichte zu ungleich. In welcher Weise Israel auf den Angriff reagiert, entscheidet über den Ausgang dieses Wendepunkts, in seiner geopolitischen Bedeutung vergleichbar vielleicht mit der Kuba-Krise 1962.
Eskalation nach Angriff auf Generäle in Damaskus
Keine direkte militärische Konfrontation mit Israel einzugehen, lag deshalb seit Beginn des Gazakriegs im strategischen Interesse Irans. Erforderlich wurde die Eskalation aus Sicht Teherans durch den israelischen Angriff auf ein iranisches Botschaftsgebäude in Damaskus, bei dem am 1. April zwei hohe Generäle der Revolutionsgarden getötet wurden.
Anders als im Januar 2020, als die gezielte Tötung des Kommandeurs der Al-Quds-Kräfte, Mohamed Suleimani durch eine US-Drohne ohne militärisch nennenswerte Konsequenzen blieb, wählte Revolutionsführer Ali Chameni nun die denkbar schärfste Waffe – einen direkten Angriff auf israelisches Territorium.
Chamenei setzt auf “strategische Geduld”
Militärisch kann Iran diesen Krieg nicht gewinnen, zudem passt er langfristig nicht in Chameneis Konzept “strategischer Geduld”, das auf die Stellvertreterkriege zwischen Hisbollah, Huthi und Israel vertraut, um regional Abschreckungsfähigkeit zu projizieren.
Israel wiederum kann sich militärisch auf USA, Großbritannien und Frankreich verlassen. Dass Hunderte iranische Drohnen, Marschflugkörper und ballistische Raketen in der Nacht auf Sonntag abgewehrt werden konnten, lag neben der Unterstützung der US-Streitkräfte auch an britischer, französischer und jordanischer Hilfe. Saudi-Arabien soll ebenfalls iranische Flugkörper abgewehrt haben.
Geopolitische Zäsur wie 1967 und 1973
Dass bei dem iranischen Angriff kein Mensch ums Leben kam, macht kurzfristig eine Deeskalation vielleicht einfacher, auch wenn in Israel zur Stunde über Luftschläge auf iranische Ziele beraten wird. Der Angriff auf das Land stellt abermals eine Zäsur dar – die zweite nach dem 7. Oktober, er dürfte die Koordinaten des Nahostkonflikts wie die Kriege von 1967 und 1973 weiter verschieben.
Die gesellschaftlichen und politischen Tiefenströmungen, die den Nahen Osten seit den arabischen Revolutionen von 2011 verändern, sprechen mittelfristig jedoch eher für Entspannung als für weitere Eskalation. So zeigt ein Blick hinter die Schlagzeilen des Schattenkriegs zwischen Israel und Iran, der seit Gründung der Islamischen Republik 1979 mit Spionage, Cyberattacken und gezielten Tötungen erfolgt, dass die Matrix des Konflikts eine fundamental andere ist als noch vor einem halben Jahrhundert.
Ende der Eiszeit zwischen Iran und Saudi-Arabien
2023 eröffneten Saudi-Arabien und Iran nach sieben Jahren diplomatischer Eiszeit wieder Botschaften in Teheran und Riad. Die Kommunikationskanäle zwischen beiden Hauptstädten laufen – strategisch strebt Kronprinz Mohammed bin Salman außerdem diplomatische Beziehungen mit Israel an.
Über Nacht wird das die Eskalation in Nahost nicht beenden. Doch dass die diplomatischen Kontakte zwischen bin Salmans und Chameneis Leuten dieser Tage funktionieren, ist beruhigend. Ebenso wie der direkte Draht zwischen israelischem Außenministerium in Jerusalem und dem der Vereinigten Arabischen Emirate in Abu Dhabi. Das ersetzt nicht politische Bemühungen auf Ebene der Vereinten Nationen, endlich auch den Gazakrieg zu beenden. Ein Schritt hin zu einer globalen Aufgabenteilung, in der regionale Mächte die Konflikte in ihrem Raum selbst lösen, ist es dennoch. So könnte sich die von China bewerkstelligte iranisch-saudi-arabische Detente von 2023 noch als Glücksgriff erweisen.
der Nahe Osten steht am Rande eines Regionalkriegs. In Israel tagt zur Stunde das Sicherheitskabinett, später kommt US-Präsident Joe Biden mit den G7-Staats-und Regierungschefs zu einer Videoschalte zusammen, und um 22.00 Uhr deutscher Zeit berät in New York der UN-Sicherheitsrat. Das einzige Thema: der Angriff Irans auf Ziele in Israel.
300 Drohnen und Marschflugkörper schoss Iran in der Nacht auf Sonntag auf Israel ab – Außenminister Israel Katz droht mit einem harten Gegenschlag: “Wir haben gesagt: Wenn der Iran Israel angreift, werden wir im Iran angreifen. Und dieses Bekenntnis ist immer noch gültig.”
Wie Israel auf den beispiellosen Angriff aus dem Iran militärisch reagiert, entscheidet über den Fortgang des Konflikts, der in seiner Tragweite an die Kuba-Krise 1962 erinnert. Ich habe in meiner Analyse besonderes Augenmerk auf die Annäherung zwischen Saudi-Arabien und Iran vor einem Jahr gelegt. Vielleicht birgt das von China 2023 initiierte Tauwetter zwischen Teheran und Riad ja das diplomatische Potenzial, damit Deeskalation an diesem Wendepunkt des Nahostkonflikts am Ende die Oberhand behält.
Ihr Markus Bickel
Analyse
Militärisch kann Iran diesen Krieg nicht gewinnen – er passt auch nicht in Chameneis Konzept der “strategischen Geduld”
Raketen des israelischen Flugabwehrsystems Iron Dome im April 2023 an der Grenze zum Libanon.
Irans beispielloser Angriff auf Israel macht die Gefahr eines direkten israelisch-iranischen Kriegs so groß wie nie seit Gründung der Islamischen Republik 1979. Zentral gesteuert wurde die komplexe Militäroperation in der Nacht auf Sonntag von Stützpunkten der Revolutionsgarden in Iran, unterstützt von proiranischen Milizen im Jemen, Libanon und Irak. Hisbollah, Hamas und Huthi-Rebellen bilden die regionale Achse des Widerstands, die Israel in Stellvertreterkriegen seit dem 7. Oktober 2023 bekämpft.
Die Zäsur dieses Wochenendes besteht darin, dass Iran nun mit direkter Vergeltung Israels auf eigenes Territorium rechnen muss. Am Nachmittag tagt in New York der Weltsicherheitsrat. Die Vetomächte China und Russland stehen auf Seiten Irans, doch schützen kann das Teheran nicht; dazu sind die militärischen Gleichgewichte zu ungleich. In welcher Weise Israel auf den Angriff reagiert, entscheidet über den Ausgang dieses Wendepunkts, in seiner geopolitischen Bedeutung vergleichbar vielleicht mit der Kuba-Krise 1962.
Eskalation nach Angriff auf Generäle in Damaskus
Keine direkte militärische Konfrontation mit Israel einzugehen, lag deshalb seit Beginn des Gazakriegs im strategischen Interesse Irans. Erforderlich wurde die Eskalation aus Sicht Teherans durch den israelischen Angriff auf ein iranisches Botschaftsgebäude in Damaskus, bei dem am 1. April zwei hohe Generäle der Revolutionsgarden getötet wurden.
Anders als im Januar 2020, als die gezielte Tötung des Kommandeurs der Al-Quds-Kräfte, Mohamed Suleimani durch eine US-Drohne ohne militärisch nennenswerte Konsequenzen blieb, wählte Revolutionsführer Ali Chameni nun die denkbar schärfste Waffe – einen direkten Angriff auf israelisches Territorium.
Chamenei setzt auf “strategische Geduld”
Militärisch kann Iran diesen Krieg nicht gewinnen, zudem passt er langfristig nicht in Chameneis Konzept “strategischer Geduld”, das auf die Stellvertreterkriege zwischen Hisbollah, Huthi und Israel vertraut, um regional Abschreckungsfähigkeit zu projizieren.
Israel wiederum kann sich militärisch auf USA, Großbritannien und Frankreich verlassen. Dass Hunderte iranische Drohnen, Marschflugkörper und ballistische Raketen in der Nacht auf Sonntag abgewehrt werden konnten, lag neben der Unterstützung der US-Streitkräfte auch an britischer, französischer und jordanischer Hilfe. Saudi-Arabien soll ebenfalls iranische Flugkörper abgewehrt haben.
Geopolitische Zäsur wie 1967 und 1973
Dass bei dem iranischen Angriff kein Mensch ums Leben kam, macht kurzfristig eine Deeskalation vielleicht einfacher, auch wenn in Israel zur Stunde über Luftschläge auf iranische Ziele beraten wird. Der Angriff auf das Land stellt abermals eine Zäsur dar – die zweite nach dem 7. Oktober, er dürfte die Koordinaten des Nahostkonflikts wie die Kriege von 1967 und 1973 weiter verschieben.
Die gesellschaftlichen und politischen Tiefenströmungen, die den Nahen Osten seit den arabischen Revolutionen von 2011 verändern, sprechen mittelfristig jedoch eher für Entspannung als für weitere Eskalation. So zeigt ein Blick hinter die Schlagzeilen des Schattenkriegs zwischen Israel und Iran, der seit Gründung der Islamischen Republik 1979 mit Spionage, Cyberattacken und gezielten Tötungen erfolgt, dass die Matrix des Konflikts eine fundamental andere ist als noch vor einem halben Jahrhundert.
Ende der Eiszeit zwischen Iran und Saudi-Arabien
2023 eröffneten Saudi-Arabien und Iran nach sieben Jahren diplomatischer Eiszeit wieder Botschaften in Teheran und Riad. Die Kommunikationskanäle zwischen beiden Hauptstädten laufen – strategisch strebt Kronprinz Mohammed bin Salman außerdem diplomatische Beziehungen mit Israel an.
Über Nacht wird das die Eskalation in Nahost nicht beenden. Doch dass die diplomatischen Kontakte zwischen bin Salmans und Chameneis Leuten dieser Tage funktionieren, ist beruhigend. Ebenso wie der direkte Draht zwischen israelischem Außenministerium in Jerusalem und dem der Vereinigten Arabischen Emirate in Abu Dhabi. Das ersetzt nicht politische Bemühungen auf Ebene der Vereinten Nationen, endlich auch den Gazakrieg zu beenden. Ein Schritt hin zu einer globalen Aufgabenteilung, in der regionale Mächte die Konflikte in ihrem Raum selbst lösen, ist es dennoch. So könnte sich die von China bewerkstelligte iranisch-saudi-arabische Detente von 2023 noch als Glücksgriff erweisen.