wer große Probleme benennt und den falschen Ton trifft, kann Zuhörende frustrieren; die Wehrbeauftragte Eva Högl versuchte am Dienstagvormittag bei ihrem Jahresbericht über den Zustand der Bundeswehr, eine andere Stimmung zu erzeugen: Ärmel hochkrempeln, die Truppe reformieren. “Die Lage erfordert das, wir können nicht so weiter machen, wie es vor dem 24. Februar 2022 vielleicht akzeptabel war, es muss was geändert werden”, betonte Högl ausdrücklich. Die Stimmung war kämpferisch – bis die Nachfragen aufkamen.
Högl nannte altbekannte Probleme: marode Infrastruktur, Personalmangel, zu lange Entscheidungswege, zu viele Entscheider. Vor dem Hintergrund des russischen Krieges gegen die Ukraine unterstrich Högl aber auch, dass andere Probleme offensichtlich geworden seien und drängten: Munitionsbeschaffung und Wiederherstellung oder Neubau von Munitionsdepots. Wir fassen die Baustellen der Bundeswehr in dieser Sonderausgabe zusammen.
Gabriel Bub sprach außerdem mit der Oppositionspolitikerin Serap Güler, die für die CDU im Verteidigungsausschuss sitzt. Sie lobt einerseits den kritischen Bericht Högls, sie gibt allerdings auch der SPD die Schuld für mangelnde Ausstattung der Bundeswehr. Mit dem ehemaligen Koalitionspartner sei es unmöglich gewesen, mehr für die Bundeswehr zu tun.
Die Bundeswehr wird älter, es bewerben sich weniger Interessenten, die Infrastruktur verfällt weiter, Bekleidungskammern und Munitionsdepots werden schneller geleert, als sie wieder aufgefüllt werden können. Und das alles, während unweit von Deutschland ein Krieg geführt wird.
Die Wehrbeauftragte des Bundestages, Eva Högl, hat am Dienstagvormittag in ihrem Jahresbericht altbekannte und neue Probleme der Truppe aufgezählt. Högl kritisiert das langsame Tempo hin zu einer vollständigen Einsatzbereitschaft der Bundeswehr. “Zwar sind die ersten Projekte auf dem Weg. Doch ist bei unseren Soldatinnen und Soldaten 2022 noch kein Cent aus dem Sondervermögen angekommen. Zu behäbig ist das Beschaffungswesen.”
Zu Eva Högls Job als Wehrberichterstatterin gehört es, einmal im Jahr vor allem schlechte Nachrichten zu überbringen. Sie wollte aber auch Positives sagen: Das europäische Vergaberecht werde flexibler genutzt und die Schwellenwerte für Vergaben wurden angehoben. Die großen Beschaffungsprobleme der Bundeswehr sollten damit zumindest verkleinert werden. Die SPD-Politikerin betont dennoch: “Die Lastenbücher der Truppe sind voller geworden, die Bekleidungskammern, Munitionsdepots und Ersatzteillager hingegen nicht.”
Dabei habe es selten einen so großen gesellschaftlichen Konsens gegeben, wie nach der von Kanzler Olaf Scholz (SPD) als Reaktion auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine ausgerufenen Zeitenwende, so Högl. Sie plädiert mit Hinweis auf Expertenstimmen auf einen Finanzierungsrahmen, der deutlich über die 100 Milliarden aus dem Sondertopf hinausgeht. “Die 100 Milliarden Euro allein werden nicht ausreichen, sämtliche Fehlbestände auszugleichen, dafür bedürfte es nach Einschätzung militärischer Expertinnen und Experten einer Summe von insgesamt 300 Milliarden Euro.” Högl unterstützt die Forderung des Verteidigungsministers und Parteifreundes Boris Pistorius, den Wehretat um zehn Milliarden Euro zu erhöhen: “Ich drücke die Daumen, dass er sich durchsetzt.”
Mit Sorge blickt die Wehrbeauftragte auf das Alter der Bundeswehrangehörigen (im Durchschnitt 33,5 Jahre alt) und die Personalstärke. Sie zweifelt daran, dass bis zum Jahr 2031 die Zielstärke von 203.000 Soldatinnen und Soldaten erreicht werden könne. Ende vergangenen Jahres waren es 183.049, ein leichtes Minus im Vergleich zu 2021 (183.969 Soldatinnen und Soldaten), wie im Bericht steht. Beim Bewerberaufkommen sei ein Minus von elf Prozent zu verzeichnen. Zudem würden das Potenzial und der Nachholbedarf bei der Einstellung von Frauen nicht ausgeschöpft. Högl: “Selbst inklusive des Sanitätsdienstes liegt der Anteil der Soldatinnen erst bei 13,21 Prozent.”
Auf den Punkt gebracht, fasst Högl die Probleme so zusammen: “Die Bundeswehr hat von allem zu wenig. Und sie hat seit dem 24. Februar 2022 noch weniger.” Damit meint sie auch beispielsweise Munitionsdepots, die bis zum Ausbruch des Krieges in der Ukraine zurückgebaut wurden. Trotzdem sei bei den Soldatinnen und Soldaten Solidarität für die Ukraine da.
Bei der Infrastruktur insgesamt – darunter schlecht ausgestattete Standorte ohne WLAN und mit maroden Sanitäreinrichtungen – sei nicht unbedingt fehlendes Geld das Haupthindernis. Vielmehr müssten die Prozesse zur Erneuerung und Modernisierung beschleunigt werden. “Wenn alles so bleibt wie bisher, würde es etwa ein halbes Jahrhundert dauern, bis die Infrastruktur der Bundeswehr komplett modernisiert wäre”, sagte Högl. Generell sei die Bundeswehr aber einsatzbereit und in der Lage, ihre Bündnisverpflichtungen einzuhalten.
Die Zahl der gemeldeten Fälle von Rechtsextremismus in der Bundeswehr ging laut Högl im vergangenen Jahr leicht zurück. Dennoch bleibe das Thema “ein Problem, dem die Bundeswehr aktiv entgegentreten muss”. Es lasse sich noch nicht sagen, wie der Rückgang begründet sei, betonte Högl. Die Entwicklung müsse “noch weiter verfolgt werden”. dpa/rtr/vf/bub
Alle Berichte der Wehrbeauftragten finden Sie hier, eine Audioaufnahme der Pressekonferenz hier.
Frau Güler, Eva Högl hat zwar viele Mängel, aber auch Positives angesprochen. Die gemeinsame Beschaffung sei auf einem guten Weg. Wie bewerten Sie das?
Dass dies bereits auf einem guten Weg sei, kann ich leider noch nicht erkennen: FCAS und MGCS, die beiden größten multinationalen Rüstungsprojekte in Europa, stehen immer wieder knapp vor dem Aus. Und ob der Plan der EU, nun gemeinsam Munition für die Ukraine und für die Streitkräfte der Mitgliedstaaten zu beschaffen, aufgeht und in großem Stil Munition auch in Deutschland ankommt, nachdem die Bundesregierung keinen einzigen Schuss in einem Jahr Zeitenwende bestellt hat, kann man nur hoffen.
2030 oder 2031 sollte die volle Einsatzbereitschaft erreicht sein. Für wie realistisch halten Sie das?
Zur Einsatzbereitschaft der Bundeswehr gehören zwei Hauptkomponenten: Die materielle und die personelle Einsatzbereitschaft. Materiell soll nun durch das Sondervermögen Bundeswehr viel beschafft werden, um die nötigsten Lücken zu schließen. Aber auch hier muss der Einzelplan 14 in den nächsten Jahren massiv aufwachsen, um weitere Waffensysteme zu beschaffen und die Folgekosten stemmen zu können. Was mir am meisten Sorgen bereitet, ist aber die personelle Einsatzbereitschaft: Im ersten vollen Jahr der Ampelregierung, im Jahr der Zeitenwende, hat die Bundeswehr unter dem Strich mehrere hundert Soldatinnen und Soldaten verloren. Und die Bundesregierung bleibt uns jegliche Antworten schuldig, wie man bis 2031 auf 203.000 Soldatinnen und Soldaten – also 20.000 mehr als heute – kommen will, wenn nicht einmal in einer Zeitenwende ein Bestandserhalt erreicht wird.
Die Kasernen sind laut Bericht in einem miserablen Zustand. Wer trägt dafür die Verantwortung?
Wir alle. Aus meinen eigenen Truppenbesuchen im letzten Jahr kann ich sagen, dass sich mir ein gemischtes Bild gezeigt hat. Manche Kasernen haben tatsächlich eine Infrastruktur, die dringend renoviert werden muss, andere sind sehr zeitgemäß aufgestellt und instand gehalten. Auch in diesem Bereich muss Bürokratie abgebaut werden, müssen Prozesse verschlankt und flexibilisiert werden, um neue Infrastruktur schneller zu bauen und die Bestandsimmobilien zu modernisieren. Unsere Soldatinnen und Soldaten haben eine zeitgemäße Unterbringung und Infrastruktur verdient.
Das Bundesverteidigungsministerium war lange Zeit in der Hand von Unionspolitikern. Wie setzt sich die Union mit den eigenen Fehlern im Amt auseinander?
Wir analysieren natürlich auch die Jahre, in denen wir Regierungsverantwortung getragen haben, intensiv. Und aus einer ex post Sicht findet sich selbstverständlich immer wieder die eine oder andere Stellschraube, die man hätte drehen sollen. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass wir beispielsweise einen höheren Verteidigungshaushalt – die Union hat sich immer für das Erreichen des Zwei-Prozent-Ziels der Nato ausgesprochen – nicht gegen unseren Koalitionspartner durchsetzen konnten. Ich will an dieser Stelle auch nur an den letzten Bundestagswahlkampf der SPD erinnern: Das war ein Wahlkampf gegen die bessere Ausrüstung der Bundeswehr.
Ist die Bundeswehr in diesem Zustand ein zuverlässiger Bündnispartner?
Auch wenn die materielle Einsatzbereitschaft zu wünschen lässt und die Bundesregierung kaum Waffensysteme nachbeschafft, die sie an die Ukraine abgibt: Die Soldatinnen und Soldaten unserer Bundeswehr leisten jeden Tag hochmotiviert und professionell ihren Dienst. Wir sehen, dass die Bundeswehr sich im Rahmen der Bündnisverteidigung breit engagiert, sei es mit der Führung der eFP Battle Group in Litauen, der Luftraumüberwachung im Baltikum, PATRIOT-Luftverteidigungssystem in Osteuropa oder durch die Stellung des Kerns der VJTF. Wir versichern unseren Bündnispartnern auf diese Weise, dass wir an ihrer Seite stehen. Dennoch muss die Bundesregierung endlich Material beschaffen und nachbeschaffen, die Munitionsbestände auffüllen, um dauerhaft unseren Verpflichtungen nachkommen zu können.
Thomas Wiegold erhält für seinen Blog “Augen geradeaus!” den Preis der Bundespressekonferenz 2023. Wiegold ist Online-Journalist und hat in den vergangenen Jahren mit seinem Militär-Blog Maßstäbe in der Berichterstattung über die Verteidigungs- und Sicherheitspolitik gesetzt, heißt es in einer Mitteilung der Bundespressekonferenz.
Mathis Feldhoff, Vorsitzender der Bundespressekonferenz (BPK), betont: “Es ist journalistisch beeindruckend, wenn in Pressekonferenzen das Gefühl aufkommt, dass den Fragen von Thomas Wiegold mehr Hintergrundwissen zugrunde liegt als manchen Antworten der Gefragten.”
Wir gratulieren unserem Kollegen Thomas Wiegold!
Ändert sich etwas in Ihrer Organisation? Schicken Sie doch einen Hinweis für unsere Personal-Rubrik an heads@table.media!
wer große Probleme benennt und den falschen Ton trifft, kann Zuhörende frustrieren; die Wehrbeauftragte Eva Högl versuchte am Dienstagvormittag bei ihrem Jahresbericht über den Zustand der Bundeswehr, eine andere Stimmung zu erzeugen: Ärmel hochkrempeln, die Truppe reformieren. “Die Lage erfordert das, wir können nicht so weiter machen, wie es vor dem 24. Februar 2022 vielleicht akzeptabel war, es muss was geändert werden”, betonte Högl ausdrücklich. Die Stimmung war kämpferisch – bis die Nachfragen aufkamen.
Högl nannte altbekannte Probleme: marode Infrastruktur, Personalmangel, zu lange Entscheidungswege, zu viele Entscheider. Vor dem Hintergrund des russischen Krieges gegen die Ukraine unterstrich Högl aber auch, dass andere Probleme offensichtlich geworden seien und drängten: Munitionsbeschaffung und Wiederherstellung oder Neubau von Munitionsdepots. Wir fassen die Baustellen der Bundeswehr in dieser Sonderausgabe zusammen.
Gabriel Bub sprach außerdem mit der Oppositionspolitikerin Serap Güler, die für die CDU im Verteidigungsausschuss sitzt. Sie lobt einerseits den kritischen Bericht Högls, sie gibt allerdings auch der SPD die Schuld für mangelnde Ausstattung der Bundeswehr. Mit dem ehemaligen Koalitionspartner sei es unmöglich gewesen, mehr für die Bundeswehr zu tun.
Die Bundeswehr wird älter, es bewerben sich weniger Interessenten, die Infrastruktur verfällt weiter, Bekleidungskammern und Munitionsdepots werden schneller geleert, als sie wieder aufgefüllt werden können. Und das alles, während unweit von Deutschland ein Krieg geführt wird.
Die Wehrbeauftragte des Bundestages, Eva Högl, hat am Dienstagvormittag in ihrem Jahresbericht altbekannte und neue Probleme der Truppe aufgezählt. Högl kritisiert das langsame Tempo hin zu einer vollständigen Einsatzbereitschaft der Bundeswehr. “Zwar sind die ersten Projekte auf dem Weg. Doch ist bei unseren Soldatinnen und Soldaten 2022 noch kein Cent aus dem Sondervermögen angekommen. Zu behäbig ist das Beschaffungswesen.”
Zu Eva Högls Job als Wehrberichterstatterin gehört es, einmal im Jahr vor allem schlechte Nachrichten zu überbringen. Sie wollte aber auch Positives sagen: Das europäische Vergaberecht werde flexibler genutzt und die Schwellenwerte für Vergaben wurden angehoben. Die großen Beschaffungsprobleme der Bundeswehr sollten damit zumindest verkleinert werden. Die SPD-Politikerin betont dennoch: “Die Lastenbücher der Truppe sind voller geworden, die Bekleidungskammern, Munitionsdepots und Ersatzteillager hingegen nicht.”
Dabei habe es selten einen so großen gesellschaftlichen Konsens gegeben, wie nach der von Kanzler Olaf Scholz (SPD) als Reaktion auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine ausgerufenen Zeitenwende, so Högl. Sie plädiert mit Hinweis auf Expertenstimmen auf einen Finanzierungsrahmen, der deutlich über die 100 Milliarden aus dem Sondertopf hinausgeht. “Die 100 Milliarden Euro allein werden nicht ausreichen, sämtliche Fehlbestände auszugleichen, dafür bedürfte es nach Einschätzung militärischer Expertinnen und Experten einer Summe von insgesamt 300 Milliarden Euro.” Högl unterstützt die Forderung des Verteidigungsministers und Parteifreundes Boris Pistorius, den Wehretat um zehn Milliarden Euro zu erhöhen: “Ich drücke die Daumen, dass er sich durchsetzt.”
Mit Sorge blickt die Wehrbeauftragte auf das Alter der Bundeswehrangehörigen (im Durchschnitt 33,5 Jahre alt) und die Personalstärke. Sie zweifelt daran, dass bis zum Jahr 2031 die Zielstärke von 203.000 Soldatinnen und Soldaten erreicht werden könne. Ende vergangenen Jahres waren es 183.049, ein leichtes Minus im Vergleich zu 2021 (183.969 Soldatinnen und Soldaten), wie im Bericht steht. Beim Bewerberaufkommen sei ein Minus von elf Prozent zu verzeichnen. Zudem würden das Potenzial und der Nachholbedarf bei der Einstellung von Frauen nicht ausgeschöpft. Högl: “Selbst inklusive des Sanitätsdienstes liegt der Anteil der Soldatinnen erst bei 13,21 Prozent.”
Auf den Punkt gebracht, fasst Högl die Probleme so zusammen: “Die Bundeswehr hat von allem zu wenig. Und sie hat seit dem 24. Februar 2022 noch weniger.” Damit meint sie auch beispielsweise Munitionsdepots, die bis zum Ausbruch des Krieges in der Ukraine zurückgebaut wurden. Trotzdem sei bei den Soldatinnen und Soldaten Solidarität für die Ukraine da.
Bei der Infrastruktur insgesamt – darunter schlecht ausgestattete Standorte ohne WLAN und mit maroden Sanitäreinrichtungen – sei nicht unbedingt fehlendes Geld das Haupthindernis. Vielmehr müssten die Prozesse zur Erneuerung und Modernisierung beschleunigt werden. “Wenn alles so bleibt wie bisher, würde es etwa ein halbes Jahrhundert dauern, bis die Infrastruktur der Bundeswehr komplett modernisiert wäre”, sagte Högl. Generell sei die Bundeswehr aber einsatzbereit und in der Lage, ihre Bündnisverpflichtungen einzuhalten.
Die Zahl der gemeldeten Fälle von Rechtsextremismus in der Bundeswehr ging laut Högl im vergangenen Jahr leicht zurück. Dennoch bleibe das Thema “ein Problem, dem die Bundeswehr aktiv entgegentreten muss”. Es lasse sich noch nicht sagen, wie der Rückgang begründet sei, betonte Högl. Die Entwicklung müsse “noch weiter verfolgt werden”. dpa/rtr/vf/bub
Alle Berichte der Wehrbeauftragten finden Sie hier, eine Audioaufnahme der Pressekonferenz hier.
Frau Güler, Eva Högl hat zwar viele Mängel, aber auch Positives angesprochen. Die gemeinsame Beschaffung sei auf einem guten Weg. Wie bewerten Sie das?
Dass dies bereits auf einem guten Weg sei, kann ich leider noch nicht erkennen: FCAS und MGCS, die beiden größten multinationalen Rüstungsprojekte in Europa, stehen immer wieder knapp vor dem Aus. Und ob der Plan der EU, nun gemeinsam Munition für die Ukraine und für die Streitkräfte der Mitgliedstaaten zu beschaffen, aufgeht und in großem Stil Munition auch in Deutschland ankommt, nachdem die Bundesregierung keinen einzigen Schuss in einem Jahr Zeitenwende bestellt hat, kann man nur hoffen.
2030 oder 2031 sollte die volle Einsatzbereitschaft erreicht sein. Für wie realistisch halten Sie das?
Zur Einsatzbereitschaft der Bundeswehr gehören zwei Hauptkomponenten: Die materielle und die personelle Einsatzbereitschaft. Materiell soll nun durch das Sondervermögen Bundeswehr viel beschafft werden, um die nötigsten Lücken zu schließen. Aber auch hier muss der Einzelplan 14 in den nächsten Jahren massiv aufwachsen, um weitere Waffensysteme zu beschaffen und die Folgekosten stemmen zu können. Was mir am meisten Sorgen bereitet, ist aber die personelle Einsatzbereitschaft: Im ersten vollen Jahr der Ampelregierung, im Jahr der Zeitenwende, hat die Bundeswehr unter dem Strich mehrere hundert Soldatinnen und Soldaten verloren. Und die Bundesregierung bleibt uns jegliche Antworten schuldig, wie man bis 2031 auf 203.000 Soldatinnen und Soldaten – also 20.000 mehr als heute – kommen will, wenn nicht einmal in einer Zeitenwende ein Bestandserhalt erreicht wird.
Die Kasernen sind laut Bericht in einem miserablen Zustand. Wer trägt dafür die Verantwortung?
Wir alle. Aus meinen eigenen Truppenbesuchen im letzten Jahr kann ich sagen, dass sich mir ein gemischtes Bild gezeigt hat. Manche Kasernen haben tatsächlich eine Infrastruktur, die dringend renoviert werden muss, andere sind sehr zeitgemäß aufgestellt und instand gehalten. Auch in diesem Bereich muss Bürokratie abgebaut werden, müssen Prozesse verschlankt und flexibilisiert werden, um neue Infrastruktur schneller zu bauen und die Bestandsimmobilien zu modernisieren. Unsere Soldatinnen und Soldaten haben eine zeitgemäße Unterbringung und Infrastruktur verdient.
Das Bundesverteidigungsministerium war lange Zeit in der Hand von Unionspolitikern. Wie setzt sich die Union mit den eigenen Fehlern im Amt auseinander?
Wir analysieren natürlich auch die Jahre, in denen wir Regierungsverantwortung getragen haben, intensiv. Und aus einer ex post Sicht findet sich selbstverständlich immer wieder die eine oder andere Stellschraube, die man hätte drehen sollen. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass wir beispielsweise einen höheren Verteidigungshaushalt – die Union hat sich immer für das Erreichen des Zwei-Prozent-Ziels der Nato ausgesprochen – nicht gegen unseren Koalitionspartner durchsetzen konnten. Ich will an dieser Stelle auch nur an den letzten Bundestagswahlkampf der SPD erinnern: Das war ein Wahlkampf gegen die bessere Ausrüstung der Bundeswehr.
Ist die Bundeswehr in diesem Zustand ein zuverlässiger Bündnispartner?
Auch wenn die materielle Einsatzbereitschaft zu wünschen lässt und die Bundesregierung kaum Waffensysteme nachbeschafft, die sie an die Ukraine abgibt: Die Soldatinnen und Soldaten unserer Bundeswehr leisten jeden Tag hochmotiviert und professionell ihren Dienst. Wir sehen, dass die Bundeswehr sich im Rahmen der Bündnisverteidigung breit engagiert, sei es mit der Führung der eFP Battle Group in Litauen, der Luftraumüberwachung im Baltikum, PATRIOT-Luftverteidigungssystem in Osteuropa oder durch die Stellung des Kerns der VJTF. Wir versichern unseren Bündnispartnern auf diese Weise, dass wir an ihrer Seite stehen. Dennoch muss die Bundesregierung endlich Material beschaffen und nachbeschaffen, die Munitionsbestände auffüllen, um dauerhaft unseren Verpflichtungen nachkommen zu können.
Thomas Wiegold erhält für seinen Blog “Augen geradeaus!” den Preis der Bundespressekonferenz 2023. Wiegold ist Online-Journalist und hat in den vergangenen Jahren mit seinem Militär-Blog Maßstäbe in der Berichterstattung über die Verteidigungs- und Sicherheitspolitik gesetzt, heißt es in einer Mitteilung der Bundespressekonferenz.
Mathis Feldhoff, Vorsitzender der Bundespressekonferenz (BPK), betont: “Es ist journalistisch beeindruckend, wenn in Pressekonferenzen das Gefühl aufkommt, dass den Fragen von Thomas Wiegold mehr Hintergrundwissen zugrunde liegt als manchen Antworten der Gefragten.”
Wir gratulieren unserem Kollegen Thomas Wiegold!
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