der Regierung in Kiew gelingt es – zumindest nach außen – eine konstruktive Einigung im Streit um die Befehlsführung der Armee zu präsentieren: Walerij Saluschnyj muss gehen, auf ihn folgt Generaloberst Oleksandr Syrskyj. Was über ihn bekannt ist, weiß Denis Trubetskoy.
Zum “ernsthaftesten Einsatz einer Marineeinheit seit Jahrzehnten” ist die Crew der Fregatte “Hessen” gestern aufgebrochen. “Es gibt, wenn man Menschen in einen solchen Einsatz schickt, keinen Alltag, die Gefährdung ist ja auch kein Alltag”, sagte Marineinspekteur, Vizeadmiral Jan Christian Kaack am gestrigen Donnerstag in Berlin. Mehr dazu lesen Sie in den News.
Mit der Fregatte im Roten Meer, dem bevorstehenden Indo-Pazifik-Deployment zweier Marine-Schiffe, den ständigen Nato-Verpflichtungen und der Daueraufgabe der Abschreckung in Nord- und Ostsee muss die Marine zunehmend priorisieren. Die Nato, und damit auch Deutschland, muss allerdings auch den Hohen Norden stärker in den Blick nehmen, denn Russland tritt in der Arktis immer aggressiver auf. Wie das westliche Bündnis darauf reagiert, erklärt Nana Brink.
Gen Norden sind vor einem Monat, weitestgehend unbeachtet von der Öffentlichkeit, Soldatinnen und Soldaten der Gebirgsjägerbrigade 23 der Bundeswehr in Bad Reichenhall aufgebrochen. Die größte Übung der Nato in Europa, die “Steadfast Defender 24” hat begonnen. Thomas Wiegold erläutert die Bedeutung der Übung.
Riad will nicht mehr abhängig sein von den moralischen Ansprüchen ausländischer Regierungen und wirbt für Investitionen in seine Rüstungsindustrie – auch beim ausländischen Publikum. Gabriel Bub analysiert, wer in Saudi-Arabien investieren will.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj mag es nicht, seine Untergebenen mit einem Knall zu entlassen – es sei denn, diese seien komplett gescheitert oder waren in einen zu großen Skandal verwickelt. Sonst bemüht sich das Präsidentenbüro stets, das gegenseitige Einvernehmen zu signalisieren und am besten eine andere Position im Team um Selenskyj anzubieten. Der beliebte ukrainische Armee-Befehlshaber Walerij ist kein Gescheiterter, auch wenn seine Truppe den letzten großen Sieg im Abwehrkrieg gegen Russland im Herbst 2022 mit der Befreiung der Stadt Charkiw feierte.
So bemühten sich Selenskyj und sein Verteidigungsminister Rustem Umerow in den letzten eineinhalb Wochen stets darum, die Personalentscheidung nach außen ruhig zu gestalten. Weil Saluschnyj einen freiwilligen Rücktritt zunächst abgelehnt hatte, war dafür Zeit notwendig. Eine gewisse Schadensbegrenzung ist dem Präsidentenbüro letztlich gelungen: Ein freundliches gemeinsames Foto und ebenfalls freundliche gegenseitige Statements dürften nicht alle kritischen Stimmen in Bezug auf die in der Gesellschaft eher umstrittene Entscheidung beruhigen. Doch sie waren notwendig.
Dass Saluschnyj das ausgesprochene Angebot, im Team um Selenskyj zu bleiben, annimmt, ist unwahrscheinlich. Dass er gleich politisch aktiv wird, ist es aber auch – und das ist im ersten Schritt vor allem für das Land mitten im schweren Überlebenskrieg gut.
Selenskyj ist eigentlich aber auch niemand, dessen Entscheidungen leicht vorhersehbar sind. Das zeigte er schon mit der Ernennung von Saluschnyj im Juli 2021: Der heute 50-Jährige war der inoffiziellen Hierarchie zufolge nicht zwingend als Nächster für die Position des Befehlshabers vorgesehen. Und das war ebenso mit dem Verteidigungsminister Rustem Umerow im vergangenen September der Fall: Auch ihn hatte für die Position sehr lange niemand auf dem Zettel.
Dieses Mal aber hat sich Selenskyj nicht etwa für den Chef des Militärgeheimdienstes Kyrylo Budanow entschieden, worüber viel spekuliert wurde und was ein sehr ungewöhnlicher Schritt gewesen wäre, und auch für niemand ganz Überraschendes.
Die Ernennung des 58-jährigen Generalobersten (Drei-Sterne-General, im Nato-System Generalleutnant) Oleksandr Syrskyj, der seit 2019 Kommandeur der Landstreitkräfte war, lag dagegen auf der Hand und ist ganz logisch – nicht nur deswegen, weil er ähnlich wie Budanow gute Beziehungen zum Präsidenten pflegt. Und eigentlich ist er eben jemand, der im Juli 2021 eher als Saluschnyj an der Reihe gewesen wäre. Syrskyj, Spitzname Bars (“Schneeleopard”), ist zumindest auf dem Papier der erfolgreichste General dieses Krieges.
Einerseits war er für die Verteidigung von Kiew zu Beginn der vollumfänglichen Invasion verantwortlich. Er organisierte die Stationierung von Flugabwehr und Flugzeugen, plante die Verteidigungslinien und traf zum Beispiel Mitte März 2022 die Entscheidung zur Sprengung eines Damms im Dorf Moschtschun, die das Eindringen der Russen in die Hauptstadt in einem kritischen Moment verhinderte. Damit war die Schlacht um Kiew entschieden.
Im September 2022 organisierte er schließlich die kreative und blitzartige Offensive im Bezirk Charkiw, von der er unter anderem Saluschnyj überzeugen musste, der sich Gerüchten zufolge vorerst ganz auf Cherson konzentrieren wollte. Diese Operation hat nur zu sehr wenigen Verlusten auf ukrainischer Seite geführt und gilt insgesamt als die erfolgreichste in diesen fast zwei Jahren. Auf der anderen Seite war er auch maßgeblich für die Verteidigung von Bachmut, die sehr viele Opfer gekostet hat und an deren Sinn ab einem gewissen Zeitpunkt einige sowohl in der Ukraine als auch im Ausland nicht mehr glaubten.
Deswegen gibt es bei der Armee zwei ganz unterschiedliche Meinungen über Syrskyj. Die einen schätzen ihn sehr und halten Syrskyj für deutlich näher an der Truppe als Saluschnyj, der recht selten in die Nähe der Front kam. Die anderen halten den 58-Jährigen für den General, dem menschliche Verluste wenig bedeuten. Abgesehen davon, dass er seine Operationen sehr akribisch bis ins Detail plant, ist aufgrund der völlig unterschiedlichen Erfahrungen von Charkiw und Bachmut schwer bis unmöglich zu sagen, was näher an der Wahrheit ist.
Was allerdings sicher der Fall ist: Als gebürtiger und ethnischer Russe, der seine militärische Ausbildung in Moskau absolvierte und Ukrainisch noch immer mit russischem Akzent spricht, wird Syrskyj immer die Vorurteile etwa über die “alte sowjetische Schule” zu hören bekommen, wie erfolgreich er auch an der Front sein mag. Vieles wird auch davon abhängen, welche Generale die wichtigsten Positionen in seinem Stab übernehmen werden, denn das Team um Saluschnyj geht komplett.
Nur der größere Kreis der Kandidaten steht bereits fest. An der Front, wo sowieso vorerst aktive Defensive ansteht, sind große Veränderungen vorerst nicht zu erwarten. Doch Selenskyj erhofft von Syrskyj, dem er vertraut, frischen Wind und einen klaren, realistischen Plan für 2024 – etwas, was er offenbar von Saluschnyj erfolglos verlangte.
Das Abkommen bot auf den ersten Blick nichts Überraschendes: Norwegens US-Botschafter Marc Nathason unterzeichnete Anfang Februar das Supplementary Defense Cooperation Agreement mit dem nordischen Nato-Partner. Die US-Streitkräfte erhalten zusätzlich zu den schon seit 2021 genutzten vier militärischen Einrichtungen der Norweger Zugang zu weiteren acht. Bei genauerer Betrachtung wird die Eile sichtbar, mit der die USA ein strategisches Defizit im hohen Norden kompensieren wollen. Anders als im Rest von Europa ist die stärkste Militärmacht der Welt seit dem Kalten Krieg vom Polarkreis fast verschwunden.
Ohne die Fähigkeiten des US-Militärs geht normalerweise wenig, wie man an der derzeitigen Nato-Übung sieht. Bei “Steadfast Defender” operieren so viele US-Truppen auf dem europäischen Festland wie seit dem Fall des Eisernen Vorhangs nicht mehr. In der Arktis allerdings sind die USA auf ihre Verbündeten angewiesen.
Bereits im Dezember 2023 haben das neue Nato-Mitglied Finnland und Schweden, das demnächst zur Nato gehören soll, in Washington ähnliche Abkommen wie Norwegen unterzeichnet. Lappland, Finnlands nördlichste Region, ist mit dem größten Truppenübungsplatz Europas in Rovajärvi, seinem Luftwaffenstützpunkt Rovaniemi und dem Grenzschutzstützpunkt Ivalo ein strategisch wichtiger Drehpunkt für militärische Operationen der USA. “Die Arktis rückt immer mehr in den Vordergrund, auch für die USA und die Nato. Die reaktiven Abschreckungsmaßnahmen, die sie jetzt ergreifen, sind nur folgerichtig”, erklärt Michael Paul, Arktis-Experte der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP).
Die Antwort aus Moskau ließ denn auch nicht lange auf sich warten. “Dies steht voll und ganz im Einklang mit der Politik der militärischen Aufrüstung und des aktiven Engagements der Nato in der Arktis”, verlautete Maria Sacharowa, Sprecherin des russischen Außenministeriums. Die idyllischen Zeiten, in denen die Nordpolar-Region als Hort friedlicher Koexistenz galt, sind vorbei.
Der Arktische Rat, dem die acht Anrainerstaaten angehören, hat seine Konsultationen seit dem russischen Angriff auf die Ukraine eingestellt, auch weil Russland von 2021 bis 2023 offiziell den Vorsitz führte. Zwar war der Rat, eine Art zwischenstaatliches Gremium, nie für Sicherheitsfragen zuständig, diente aber der Kommunikation. Vor allem der Gesprächsfaden zu Russland ist gerissen.
“Der kooperative Ansatz von früher existiert nicht mehr”, sagt Carlo Masala, Politikprofessor an der Universität der Bundeswehr in München. Er hält die momentane Situation für gefährlich, beschreibt sie zwischen den USA und Russland als zunehmend “kompetitiv”: “Der Weg für eine Konfrontation ist geebnet, ähnlich wie in den 1960er- und 1970er-Jahren.”
Russlands Präsident Wladimir Putin machte Ende Dezember klar: Eine erhöhte Präsenz in der Arktis habe für Russland “unbestreitbare Priorität”. Die neue Marinestrategie aus dem Jahr 2022 erklärt, warum. Russland hat eine 25.000 Kilometer lange, fast unbewohnte Küste am Arktischen Ozean, die durch einen Eispanzer weitgehend geschützt ist. Noch, müsste man sagen. Durch den Klimawandel, so schätzen Experten, könnte schon 2035 ein weitgehend eisfreier Arktischer Ozean Realität sein. Dies macht Schiffspassagen einfacher und ermöglicht einen größeren Zugang zu den Öl- und Gasreserven.
“Die Nordpolar-Region war für Russland immer von großer strategischer Bedeutung, das ist nichts Neues. Annähernd 50 Prozent der Arktis ist russisch. Schon Putins Rede 2007 auf der Münchner Sicherheitskonferenz markiert den Beginn einer Remilitarisierung der Arktis“, sagt SWP-Experte Paul. Wie abgestimmt, hissten russische Meeresforscher einige Monate später spektakulär eine Flagge auf dem Meeresboden am Nordpol – in mehr als vier Kilometer Tiefe.
Neu ist allerdings, dass Russland auf immer weitere Gebiete Ansprüche erhebt. Auf einem der letzten Treffen des Arktischen Rates im Mai 2021 erklärte Außenminister Sergej Lawrow, die gesamte Arktis sei “unser Territorium”. Seit Jahren reaktiviert Russland bereits stillgelegte militärische Stützpunkte. Im Dezember weihte Putin in Sewerodwinsk am Weißen Meer zwei neue Atom-U-Boote ein, von denen Interkontinentalraketen mit einer Reichweite von bis zu 8.000 Kilometern abgeschossen werden können. Sie sind ein Herzstück der russischen Nuklearstrategie. Überdies kündigte der Präsident Ende Januar den Bau zweier atomar betriebener Eisbrecher an.
“Die militärischen Fähigkeiten Russlands in der Arktis sind denen der USA – und auch der Nato insgesamt – in bestimmten Bereichen überlegen, was besonders das Zusammenwirken von arktisspezifischen militärischen und zivilen Fähigkeiten betrifft, wie das Beispiel von Eisbrechern illustriert”, analysiert der Arktis-Kenner Paul.
Dieses Manko will man nun beseitigen. “Die Nato muss ihre Präsenz in der Arktis erhöhen”, erklärte Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg im August 2022. Die Nordpol-Region sei “die entscheidende Verbindung zwischen Nordamerika und Europa”. Für die strategischen Planungen der Nato ist deshalb wieder die sogenannte GIUK-Lücke in den Fokus gerückt, eine gedachte Verbindungslinie zwischen Grönland, Island und Großbritannien. Im Kalten Krieg wurde diese Durchfahrt, die jedes sowjetische Kriegsschiff nehmen musste, um in den Atlantik zu kommen, permanent überwacht. Gleiches gilt für die Bären-Lücke zwischen Spitzbergen und dem norwegischen Festland.
“Die Signalketten aus dieser Zeit, die unter anderem russische U-Boote gesichtet haben, sind noch vorhanden, aber nicht mehr von entscheidender Bedeutung. Sie sind zwar durch andere Maßnahmen ergänzt worden, habe ich erfahren. Wie diese funktionieren, ist aber geheim”, erklärt Militärexperte Masala. Er vermutet: “Russland setzt seine militärischen Fähigkeiten vielleicht jetzt nicht ein, das heißt aber nicht, dass es seine Ansprüche in der Arktis aufgibt.”
Für den SWP-Experten Paul gibt es in naher Zukunft keinen Hinweis auf ein Tauwetter zwischen Nato und Russland: “Solange der Krieg in der Ukraine andauert, wird es keine offiziellen Verhandlungen geben.”
Die größte Übung der Nato in Europa läuft seit Wochen, und bislang hat die Öffentlichkeit noch wenig davon mitbekommen. Bereits am 8. Januar ging bei der Gebirgsjägerbrigade 23 der Bundeswehr in Bad Reichenhall der Alarm ein, und am 9. Januar begannen die Soldaten und Soldatinnen, ihre Schnee-Kettenfahrzeuge auf Bahnwaggons zu verladen. Ihr Ziel: Norwegen.
Was unter dem Namen “Steadfast Defender 24” und, für die Bundeswehr, unter dem Begriff “Quadriga” läuft, ist zusammengenommen die größte Manöveraktivität des Bündnisses seit den großen Übungen in den 1980er Jahren. Insgesamt rund 90.000 Soldaten und Soldatinnen, so verkündete der US-General Christopher Cavoli, Oberbefehlshaber der Nato in Europa, sollen bis zum Juni demonstrieren, dass die Allianz zur Abwehr eines russischen Angriffs auf ihre Mitgliedstaaten bereitsteht.
Dass immer wieder andere Termine für den Start von Steadfast Defender genannt werden, sei es das Auslaufen eines US-Kriegsschiffes aus der Marinebasis Norfolk in den USA oder der Beginn der US-geführten Übung “Saber Strike”, hat vor allem mit der von der Nato erhofften Öffentlichkeitswirkung zu tun. Das “Strategic Messaging”, die Nachricht, die an die eigene Bevölkerung wie an Russland gesendet werden soll, ist ein wesentlicher Teil der Übungsserie. Und so seit Jahren auch geplant.
Denn die vielen verschiedenen Übungen “haben nichts miteinander zu tun”, sagt Oberst Dirk Hamann, zuständiger Referatsleiter im Kommando Heer der Bundeswehr. Tatsächlich trainieren die Alliierten und die Bundeswehr an verschiedenen Orten in Europa verschiedene Dinge – ein groß angelegter Übungsplan und die verkündete Absicht, eine glaubhafte Verteidigungsmöglichkeit für Europa zu demonstrieren, wurde sozusagen erst anschließend über die vielen kleineren und größeren Einzelübungen gelegt.
Den Auftakt an Land macht die Übung “Nordic Response” in Norwegen, zu der die Gebirgsjäger aus Bayern anreisen: Unter norwegischer Führung und erstmals gemeinsam mit dem neuen Nato-Mitglied Finnland und dem erhofften baldigen Mitglied Schweden trainieren die Soldaten unter arktischen Bedingungen das Zurückschlagen eines Angriffs im Norden. Unter dem Namen “Cold Response” gab es diese Übungsserie schon seit Jahren, neu ist das offene Benennen einer befürchteten konkreten russischen Bedrohung.
Während die deutsche Beteiligung an diesem Manöver damit schon Routine ist, bereitet sich die Bundeswehr vor allem auf die Übungen in Mitteleuropa vor, die als Teil der “Quadriga”-Serie die deutschen Landstreitkräfte viel mehr fordern als in den vergangenen Jahren. Der ganze Ablauf, von der Alarmierung über den Transport per Schiene und Straße aus deutschen Kasernen bis nach Polen und vor allem bis ins Baltikum wird in weit größerem Umfang geübt als je zuvor seit Ende des Kalten Krieges. “Das konnten wir in den 1980er Jahren aus dem Effeff”, sagt Oberst Hamann. “Jetzt wollen wir real üben, was wir können müssen.”
Auch wenn es paradox klingt: Der eigentliche Kampf, das Gefecht, steht dabei noch nicht mal im Vordergrund. Was im Militärjargon als “Verlegeübung” bezeichnet wird, stellt die Hauptaufgabe für die Bundeswehr dar: Wie bekommt man Tausende von Soldaten, mit Kampf- und Schützenpanzern, mit ihren Nachschub-Lkws und dem ganzen anderen Gerät über Landesgrenzen hinweg schnell an die Ostflanke der Nato, wo sie gebraucht werden? Funktioniert der Plan, die vorgesehenen – und für die Bundeswehr neuen – “Mittleren Kräfte”, gepanzerte Fahrzeuge, mit Rad- statt Kettenantrieb, auf den eigenen Rädern und nicht auf Bahn oder Lkw problemlos nach Polen zu bringen? Wie schnell geht es, Kampfpanzer nach Litauen zu verlegen – nicht nur einzelne, sondern gleich eine Vielzahl?
Das alles muss auch unter Friedensbedingungen funktionieren. Denn es herrscht nicht Krieg in Deutschland und in der EU – also gelten die ganz normalen Vorschriften für Schwerlasttransporte auf den Straßen oder auch die Zollbestimmungen für Militärgerät, selbst innerhalb von Nato und EU. “Das ist nach wie vor eine große Herausforderung”, sagt Organisator Hamann. Werden kurzfristig in Litauen Ersatzteile für einen Panzer benötigt, kann es mehrere Tage dauern, bis die Genehmigung für diesen Militärtransport vorliegt – und da geht es noch nicht einmal um Gefahrgut wie Munition. “Da ist Handlungsbedarf.”
Die Nato und die Bundeswehr versuchen, das Beste daraus zu machen – und nicht zuletzt, die Bilder für die öffentliche Wahrnehmung eines verteidigungsbereiten Bündnisses zu schaffen. Wie der Gewässerübergang über die Weichsel in Polen Anfang März. Die dafür nötige Schwimmbrücke stellt das deutsch-britische Pionierbrückenbataillon 130 aus Minden bereit. Ihr Gerät, die Amphibienbrücke M3, ist das einzige dieser Art im Bündnis. Die Mindener Pioniere haben sie schon überall in der Nato aufgebaut, und nicht zum ersten Mal an der Weichsel.
“Wir sind längst noch nicht da, wo wir vor 40 Jahren bei den Übungen Reforger oder ‘Kecker Spatz’ waren”, erinnert Oberst Hamann an die großen Manöver zu Zeiten der Blockkonfrontation in der damaligen Bundesrepublik. “Was wir wirklich können, müssen wir bei den nächsten Steadfast Defender-Übungen 2027 und 2030 nachweisen.”
“Große Leistungen beginnen mit einer Vision”, sagt der stellvertretende saudische Verteidigungsminister Khaled Al-Biyari, nachdem er dem investitionsfreudigen Publikum bei der World Defense Show (WDS) die Pläne für die “Vision 2030” vorgestellt hat. Mehr als 50 Prozent seiner Rüstungsgüter will das Königreich bis 2030 im eigenen Land produzieren. Nach Angaben der staatlichen General Authority for Military Industries (Gami) wurden 2022 bereits 13,7 Prozent der Militärausgaben im eigenen Land investiert. 2018 seien es noch vier Prozent gewesen. Riad will nicht mehr von Menschenrechtsansprüchen ausländischer Regierungen abhängig sein.
Bei der Rüstungsmesse nahe Riad zeigt die Monarchie, mit welchen Behörden sie das schaffen will. Die Gami versteht sich als regulierende Kraft und lizenziert Rüstungsunternehmen, die in Saudi-Arabien produzieren wollen. 2019 waren es noch fünf internationale Unternehmen, sagt Turki Alothman, der bei der Gami die industrielle Versorgung plant. Im Dezember 2023 dann schon 262. Ausländische Unternehmen sollen mit Geld und langfristigen Aufträgen gelockt werden. Eine Aufgabe wird sein, das Personal für den sicherheitspolitischen Kraftakt auszubilden. Dafür hat die Gami 2022 die National Academy of Military Industries ins Leben gerufen.
Als regulierende Kraft wolle die Gami “ethische Fragen” berücksichtigen, um “das Vertrauen unserer Bevölkerung und der Weltgemeinschaft zu behalten”, sagt der stellvertretende Strategiebeauftragte Abdullah Abdulaziz Alhammad. Aufholbedarf gibt es, immer wieder sind Verstöße gegen Menschenrechte in Saudi-Arabien international ein Thema. 2023 ließ Saudi-Arabien laut einem Bericht der Nachrichtenagentur AFP 170 Menschen hinrichten. Trotz der begangenen Menschenrechtsverletzungen im Jemen-Krieg nähern sich das Königreich und westliche Staaten wieder an.
Die Lampen und Bildschirme in Halle 2 bei der World Defense Show leuchten in saudischem Dunkelgrün. Der Saal steht im Zeichen der Vision 2030. Ein US-amerikanischer Händler bedauert, seinen Stand nicht dort zu haben. Die Geschäfte seien dort leichter.
Neben der Gami spielt auch die Sami eine wichtige Rolle: Die 2017 gegründete Saudi Arabian Military Industries (Sami) wird komplett aus einem Staatsfonds finanziert. Unternehmen, die mit dieser Holding zusammenarbeiten wollen, werden von der Gami geprüft. Die Holding soll über Partnerschaftsprojekte ausländische Unternehmen ins Land holen und bis 2030 zu einem der Top 25-Rüstungsunternehmen der Welt werden. Im Ranking des US-amerikanischen Magazins Defense News belegte das Konglomerat 2023 Platz 79.
Sami stellt bei der World Defense Show einige Koproduktionen aus: Die mit dem europäischen MBDA-Konzern produzierten Raketen Mistral 3 und die VL Mica oder mit Thales gefertigte leichte Mehrzweckraketen (LMM). Im Innenhof präsentiert es mit General Dynamics Land Systems (GDLS) hergestellte gepanzerte Fahrzeuge. Und gibt an, dass 60 Prozent davon im eigenen Land gefertigt worden seien.
“Diese Transformation ist wahrscheinlich die schnellste von einer Regierung durchgeführte der Geschichte”, sagt Sami-CEO Walid Abukhaled auf der Messe. “Ich kann versichern, Sami hatte schon gute Möglichkeiten, was den Export betrifft.” Mittelfristig soll die saudische Rüstungsindustrie helfen, den Wohlstand im Land zu sichern, wenn die Öleinnahmen versiegen. Doch einen Markt gibt es auch vor der Haustür. 2022 hat Saudi-Arabien 7,4 Prozent seines BIPs für Verteidigung ausgegeben.
Konzerne aus Europa handhaben die Zusammenarbeit mit Riad unterschiedlich: Die niederländische Holding KNDS, die den französischen Panzerbauer Nexter und den deutschen Krauss-Maffei Wegmann (KMW) vereint, zeigt das exemplarisch. KNDS stellt nur französische Produkte aus und Nexter bezeichnet sich als “fully committed”, die Zusammenarbeit mit den saudischen Unternehmen zu vertiefen.
Am Mittwoch verkündeten die Franzosen bei der Show, dass sie mit dem saudischen Unternehmen Wahaj ein Joint Venture eingegangen seien, um 155 Millimeter-Munition zu produzieren. Außerdem kündigt der Konzern an, weitere Produktions-, Entwicklungs- und Wartungskapazitäten nach Saudi-Arabien zu bringen. Letztere sind in dem Wüstenstaat gerade für Panzer kaum vorhanden. Der Name des deutschen Partnerunternehmens KMW kommt in den KNDS-Erklärungen nicht vor.
Der türkische Drohnenhersteller Baykar, dessen Bayraktar-Drohne durch den Krieg in der Ukraine bekannt geworden und jetzt stark nachgefragt ist, wird innerhalb der kommenden zwei Jahre Teile der Bayraktar Akinci-Drohne in Saudi-Arabien produzieren. Dazu sollen auch saudische Ingenieure in der Türkei weitergebildet werden. Der US-amerikanische Kampfjet- und Raketenhersteller Lockheed Martin hat bei der WDS einen Vertrag mit Saudi-Arabien unterschrieben, Teile des THAAD-Luftverteidigungssystems (Terminal High Altitude Area Defense) im Königreich zu produzieren.
Saudi-Arabien vertieft damit die Beziehungen zum langjährigen Partner USA. Saudische Staatsmedien hatten zunächst berichtet, dass Saudi-Arabien dem Brics-Bündnis, ursprünglich bestehend aus Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika, beigetreten sei. Nach längerem Hin und Her hatte die südafrikanische Außenministerin Naledi Pandor die Mitgliedschaft Ende Januar bestätigt.
Eine offizielle Bestätigung Saudi-Arabiens steht aber noch aus. Aus gut informierten Kreisen heißt es, dass ein Grund für das Lavieren die Bindung der saudischen Währung an den US-Dollar sein dürfte, den das Staatenbündnis als Leitwährung ablösen will. Für das Land, das seinen Reichtum noch aus Ölexporten finanziert und das nach Unabhängigkeit strebt, wäre das ein Eigentor.
Die EU-Staaten haben die geplante Marinemission “EUNAVFOR Aspides” im Roten Meer am Donnerstag beschlossen. Mit der Entscheidung werden unter anderem der Auftrag und der Sitz des Hauptquartiers für die Operation zum Schutz der Handelsschifffahrt im Roten Meer festgelegt, wie die Deutsche Presse-Agentur von Diplomaten erfuhr.
Das operative Hauptquartier wird in der griechischen Stadt Larisa eingerichtet. Das Force Headquarters, also die taktische Befehlszentrale, könnte Italien auf einem Kriegsschiff einrichten. Ein entsprechendes Angebot der Italiener liege vor, sagte Marineinspekteur Jan Christian Kaack am Donnerstag in Berlin. Der formale Beschluss des EU-Mandats wird für den 19. Februar erwartet, der Bundestag könnte am 23. Februar über das Mandat abstimmen. Eine Zustimmung der Abgeordneten gilt als sicher.
Die deutsche Fregatte “Hessen” ist seit Donnerstag von Wilhelmshaven aus mit 250 Soldatinnen und Soldaten unterwegs in die Region. Eine Rückkehr wird für Ende April erwartet. Der Einsatz eines weiteren deutschen Kriegsschiffs, ebenfalls eine Luftverteidigungsfregatte der Sachsen-Klasse, ist für die zweite Jahreshälfte vorgesehen. Zunächst soll die EU-Mission auf ein Jahr angelegt sein.
Kaack sieht den Einsatz als “erweiterte Landes- und Bündnisverteidigung” an. “Die Grundlage unserer Industrie, aber auch unsere Verteidigungsfähigkeit, sind unter anderem die freien Seehandelswege durch das Rote Meer.” Die Einsatzregeln, also mit welchen Wirkmitteln die Marine den Bedrohungen begegnen darf, seien ausreichend weit gefasst. “Wir haben keine Einschränkung für unsere Auftragserfüllung”, so Kaack. Grundsätzlich ist die EU-Mission defensiv angelegt. Ein Angriff auf Ziele an Land, wie sie die USA und die Briten durchführen, ist nicht vorgesehen.
Insgesamt drei Schiffe aus EU-Ländern – neben Deutschland zunächst Italien, Griechenland und Frankreich – sollen zeitgleich vor Ort sein und im Verbund Frachtschiffe vor Angriffen der Huthi-Rebellen aus dem Jemen im Roten Meer schützen. Die Miliz will mit dem Beschuss von Schiffen ein Ende der israelischen Angriffe im Gazastreifen erzwingen, die auf das beispiellose Massaker der islamistischen Hamas in Israel am 7. Oktober folgten.
“Es ist der ernsthafteste Einsatz der Deutschen Marine seit Jahrzehnten”, sagte Kaack beim Pressetermin in Berlin. “Wir rechnen mit dem gesamten Spektrum von direkten und indirekten Angriffen. Das reicht von ballistischen Flugkörper mit großer Reichweite bis hin zu Drohnen und auch Kleinstdrohnen, aber auch ferngesteuerten Überwasser-Einheiten und Kamikazedrohnen.”
Die Fregatte sei dafür bestens ausgestattet, jede Munitionskammer sei “zum Bersten” voll, so Kaack. Die Nachversorgung mit Lenkflugkörper-Munition soll aus eigener Kraft geschehen. Ein Stützpunkt in Dschibuti und weitere Häfen seien für die Versorgung im Gespräch. Seit November sei die Besatzung auch in der Lage, kleine Drohnen per Störgewehr abzuwehren, gegen feindliche Speedboote und Kamikazeboote seien Hubschrauber im Einsatz.
Außerdem sei die Fregatte, wie die EU-Mission insgesamt, nicht allein im Roten Meer unterwegs: “Wir haben eine große Anzahl amerikanischer Schiffe, auch Versorgungsschiffe vor Ort. Wir haben eine italienische Einheit vor Ort, sowie britische und französische Einheiten. Eine spanische Einheit ist noch in der Operation Atalanta. Eine dänische Einheit ist auf dem Weg. Andere Länder sind dabei zu bewerten, ob sie sich beteiligen können.”
Seit Ende Dezember agiert die US-geführte Mission Prosperity Guardian bereits im Roten Meer. Man könne davon ausgehen, so Kaack, dass zwischen den beiden Missionen Lagebilder ausgetauscht würden. “Man hat ja das gemeinsame Ziel, den Schutz der Handelsschifffahrt”. Die deutsche Fregatte bringt für diese Aufgabe Radargeräte mit, die den Luftraum in bis zu 400 Kilometern Entfernung überwachen können. klm
Der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu reagierte empört auf die weitreichenden Forderungen der Hamas für ein Geiselabkommen mit Israel. Aber dass die palästinensischen Islamisten überhaupt mit einer Liste von konkreten Forderungen auf den letzten Entwurf für ein neues Abkommen reagiert haben, wird als gutes Zeichen gewertet.
Katars Ministerpräsident Muhammad bin Abdulrahman Al Thani bezeichnete den Hamas-Vorschlag als “generell positiv”, der amerikanische Präsident Joe Biden sprach davon, dass “etwas Bewegung” in die Sache komme.
Der gut vernetzte israelische Journalist Barak Ravid erklärte gegenüber CNN, dass die israelische Regierung “überrascht” gewesen sei, als sie die Antwort der Hamas erhalten hätten. Erwartet wurde, dass diese zunächst nur auf die Rahmenbedingungen der Verhandlungen eingehen würde. Stattdessen enthielt die Antwort konkrete inhaltliche Details. Jetzt komme es darauf an, ob es demnächst zu Annäherungsgespräche in Kairo unter Vermittlung von Ägypten und Katar kommt.
Der Hamas-Vorschlag sieht drei Phasen vor von je 45 Tagen: In jeder Phase sollen verschiedene Geiselgruppen freikommen, angefangen mit Frauen, älteren Menschen, Kranken und Männern unter 19 Jahren. Im Gegenzug sollen unter anderem 1.500 palästinensischen Häftlinge freikommen, die israelische Armee soll sich aus dem Gazastreifen zurückziehen und die Hamas verlangt eine permanente Waffenruhe. Vor allem Letzteres ist für die israelische Regierung inakzeptabel.
Am Donnerstag kursierten wiederum Berichte zu israelischen Ideen für ein Abkommen. Demnach soll die Regierung in Erwägung ziehen, den Hamas-Anführer Yahya Sinwar, der sich im Gazastreifen befindet, im Austausch für die Freilassung der verbliebenden 136 Geiseln ins Exil zu schicken. Gleichzeitig arbeiten internationale Vermittler unter der Beteiligung Deutschlands an einem Abkommen zur Beendigung der Kampfhandlungen mit der Hisbollah an der Grenze zum Libanon. wp
Table.Today: Was braucht die Ukraine jetzt, Frau Beck? Marieluise Beck, Senior Fellow am Zentrum Liberale Moderne, macht im Gespräch klar, dass Deutschland und die Alliierten mitverantwortlich sind für den kaum messbaren Erfolg der ukrainischen Offensive im vergangenen Jahr. Wladimir Putin, davon ist Beck überzeugt, will nicht nur die Ukraine annektieren. Er will weite Teile Osteuropas unter seine Kontrolle bringen.
Georgetown Journal of International Affairs: The Information War: Russia-Ukraine Conflict Through the Eyes Of Social Media. Einige Monate nach der russischen Vollinvasion in die Ukraine konnten ukrainische Kanäle auf Sozialen Medien viel Unterstützung erfahren und Sympathien wecken. Das ändert sich jetzt. Russland setzt auf eine ausgeklügelte Kommunikationsstrategie in den Sozialen Medien – durchaus mit Erfolg.
The New York Times: Iraq Hosts Both U.S. and Iranian-Backed Forces. It’s Getting Tense. Im Iraq sind sowohl amerikanische Truppen als auch pro-iranische Gruppierungen präsent und bringen Bagdad in eine schwierige Lage. Während Teheran auf einen Rückzug der Amerikaner drängt, sehen Teile des irakischen Militärs auch die Vorteile einer amerikanischen Präsenz im gemeinsamen Kampf gegen den IS.
ZEIT: Wladimir Putin – Er hört eh nicht zu. Verhandlungen zwischen Ukraine und Russland jetzt zu beginnen, wäre ein Fehler, findet Journalistin Alice Bota. Diese würden keinen Frieden, sondern noch mehr Krieg bringen. Die Ukraine müsse militärisch stark bleiben, nur dann höre Putin zu. “Dieser Krieg wird irgendwann enden. Vermutlich durch Gespräche. Aber erst, wenn Moskau zuhört, weil es zuhören muss.”
Spätestens mit dem Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine im Februar 2022 ist die Zeit der sicherheitspolitischen Sorglosigkeit in Deutschland zu Ende gegangen. An deren Ende steht ein verteidigungspolitischer Strategiewechsel – die Zeitenwende. Ich vertrete im Folgenden den Standpunkt: Neben der notwendigen Modernisierung und Aufrüstung der Streitkräfte sollten wir im öffentlichen und politischen Diskurs die Befähigung auf der zivilen Seite nicht aus den Augen verlieren – auch der Zivilschutz benötigt eine Zeitenwende.
Es ist deshalb begrüßenswert und an der Zeit, dass aktuell die erstmals 1989 veröffentlichte Rahmenrichtlinie Gesamtverteidigung unter gemeinsamer Federführung von BMI und BMVg neu gefasst wird. Jetzt muss die Chance genutzt werden, um planerische Vorgaben für die zivile und militärische Verteidigung Deutschlands an die hybriden Bedrohungen des fortgeschrittenen 21. Jahrhunderts als auch Deutschlands veränderte Rolle in der geopolitischen Lage in Europa anzupassen. Dazu zählen sowohl die Prüfung und Überarbeitung von Ausbildungskonzepten für Einsatzbehörden, als auch die Etablierung und Einübung der behördlichen Kommunikations- und Meldestrukturen, die im Falle der Gesamtverteidigung von entscheidender Bedeutung sind.
Neben den notwendigen Reformen auf bundesbehördlicher Seite plädiere ich zugleich dafür, bei der Frage “Was bedroht uns?” nicht allein militärische Bedrohungen ins Auge zu fassen. Schon heute zeigt sich, dass die Gefahren für das öffentliche Leben und die Sicherheit in Deutschland vielfältiger geworden sind. Neben (mutmaßlichen) Sabotageakten auf Kritische Infrastrukturen, wie die Nord-Stream-2-Pipelines oder die LNG-Terminals in Brunsbüttel, häufen sich Hackerangriffe auf Kommunen und Desinformationskampagnen in sozialen Medien.
Zugleich warnen uns Expertinnen und Experten regelmäßig und in aller Deutlichkeit vor dem Anstieg an Extremwetterereignissen, die uns schon heute in Form von Waldbränden oder Hochwassern häufiger und intensiver bedrohen. Die zunehmende Entgrenzung und Allgegenwart von Gefahren deuten darauf hin, dass es entsprechend eine gesamtstaatliche Reaktionsfähigkeit benötigt. Kurz gesagt: Wir müssen auf allen gesellschaftlichen Ebenen resilient werden.
Was genau folgt aus einer solchen Forderung? Gesamtgesellschaftliche Resilienz zu stärken, heißt neben der Befähigung von Einsatzorganisationen oder dem Schutz von Kritischen Infrastrukturen auch, Zeit und Ressourcen zu verwenden, um zivilgesellschaftliche Akteure wieder stärker mit Inhalten des Selbstschutzes und der Eigenvorsorge zu schulen.
Diese Selbsthilfebildung, die derzeit durch das Zivilschutzgesetz (ZSKG) bei den Kommunen liegt, dort aber durch ihre Freiwilligkeit stark vom örtlichen Engagement einzelner abhängt, sollte zur kommunalen Pflichtaufgabe werden. Vor Ort kann am besten über die örtlichen Besonderheiten erwartbarer Gefahren aufgeklärt werden und mit den Ehrenamtlichen in den verschiedenen Einsatzorganisationen stehen viele Multiplikatoren zur Verfügung.
Eine klare und offene Kommunikation mit den Bürgerinnen und Bürgern über existierende Gefahren und Wege zum Selbstschutz kann für Risiken sensibilisieren und das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten stärken. Hier müssen Verantwortungstragende auf allen Ebenen lernen, eine Kommunikation zu finden, die die Bürgerinnen und Bürger bestärkt. Die Vorbereitung auf den Zivilschutzfall braucht zugleich intensive Austragungen.
Dazu sind regelmäßige und mit Zivilschutzszenarien bespielte Übungen notwendig, an denen Landräte und (Ober-) Bürgermeister und -meisterinnen, die auch im Katastrophenfall als politisch Gesamtverantwortliche der unteren Katastrophenschutzbehörden agieren, verpflichtend teilnehmen. Nach einer Wahl muss die Zivilschutzbildung insbesondere für das Krisenmanagement ein zentraler Bestandteil für die gewählten obersten Kommunalbeamtinnen und -beamten sein.
Eine verpflichtende Ausbildung ist aus meiner Sicht die richtige Antwort auf die bestehende breite Fähigkeitslücke der gewählten Wahlbeamten und -beamtinnen in der Bundesrepublik. Schließlich braucht es eine Debatte, ob die bisherige Trennung von Zivil- und Katastrophenschutz den neuen Herausforderungen noch gerecht wird. Dies muss ergebnisoffen diskutiert werden, um auf dem Weg zu einer wirklichen Zeitenwende im Zivilschutz auch diejenigen zu erreichen, um die es geht: die Menschen vor Ort.
Leon Eckert ist Mitglied der Grünen und seit 2021 im Deutschen Bundestag. Er bearbeitet unter anderem die Themen Zivilschutz, Katastrophenschutz, Gefahrenabwehr und Ehrenamt und ist Vorsitzender des Deutschen Komitees Katastrophenvorsorge (DKKV).
der Regierung in Kiew gelingt es – zumindest nach außen – eine konstruktive Einigung im Streit um die Befehlsführung der Armee zu präsentieren: Walerij Saluschnyj muss gehen, auf ihn folgt Generaloberst Oleksandr Syrskyj. Was über ihn bekannt ist, weiß Denis Trubetskoy.
Zum “ernsthaftesten Einsatz einer Marineeinheit seit Jahrzehnten” ist die Crew der Fregatte “Hessen” gestern aufgebrochen. “Es gibt, wenn man Menschen in einen solchen Einsatz schickt, keinen Alltag, die Gefährdung ist ja auch kein Alltag”, sagte Marineinspekteur, Vizeadmiral Jan Christian Kaack am gestrigen Donnerstag in Berlin. Mehr dazu lesen Sie in den News.
Mit der Fregatte im Roten Meer, dem bevorstehenden Indo-Pazifik-Deployment zweier Marine-Schiffe, den ständigen Nato-Verpflichtungen und der Daueraufgabe der Abschreckung in Nord- und Ostsee muss die Marine zunehmend priorisieren. Die Nato, und damit auch Deutschland, muss allerdings auch den Hohen Norden stärker in den Blick nehmen, denn Russland tritt in der Arktis immer aggressiver auf. Wie das westliche Bündnis darauf reagiert, erklärt Nana Brink.
Gen Norden sind vor einem Monat, weitestgehend unbeachtet von der Öffentlichkeit, Soldatinnen und Soldaten der Gebirgsjägerbrigade 23 der Bundeswehr in Bad Reichenhall aufgebrochen. Die größte Übung der Nato in Europa, die “Steadfast Defender 24” hat begonnen. Thomas Wiegold erläutert die Bedeutung der Übung.
Riad will nicht mehr abhängig sein von den moralischen Ansprüchen ausländischer Regierungen und wirbt für Investitionen in seine Rüstungsindustrie – auch beim ausländischen Publikum. Gabriel Bub analysiert, wer in Saudi-Arabien investieren will.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj mag es nicht, seine Untergebenen mit einem Knall zu entlassen – es sei denn, diese seien komplett gescheitert oder waren in einen zu großen Skandal verwickelt. Sonst bemüht sich das Präsidentenbüro stets, das gegenseitige Einvernehmen zu signalisieren und am besten eine andere Position im Team um Selenskyj anzubieten. Der beliebte ukrainische Armee-Befehlshaber Walerij ist kein Gescheiterter, auch wenn seine Truppe den letzten großen Sieg im Abwehrkrieg gegen Russland im Herbst 2022 mit der Befreiung der Stadt Charkiw feierte.
So bemühten sich Selenskyj und sein Verteidigungsminister Rustem Umerow in den letzten eineinhalb Wochen stets darum, die Personalentscheidung nach außen ruhig zu gestalten. Weil Saluschnyj einen freiwilligen Rücktritt zunächst abgelehnt hatte, war dafür Zeit notwendig. Eine gewisse Schadensbegrenzung ist dem Präsidentenbüro letztlich gelungen: Ein freundliches gemeinsames Foto und ebenfalls freundliche gegenseitige Statements dürften nicht alle kritischen Stimmen in Bezug auf die in der Gesellschaft eher umstrittene Entscheidung beruhigen. Doch sie waren notwendig.
Dass Saluschnyj das ausgesprochene Angebot, im Team um Selenskyj zu bleiben, annimmt, ist unwahrscheinlich. Dass er gleich politisch aktiv wird, ist es aber auch – und das ist im ersten Schritt vor allem für das Land mitten im schweren Überlebenskrieg gut.
Selenskyj ist eigentlich aber auch niemand, dessen Entscheidungen leicht vorhersehbar sind. Das zeigte er schon mit der Ernennung von Saluschnyj im Juli 2021: Der heute 50-Jährige war der inoffiziellen Hierarchie zufolge nicht zwingend als Nächster für die Position des Befehlshabers vorgesehen. Und das war ebenso mit dem Verteidigungsminister Rustem Umerow im vergangenen September der Fall: Auch ihn hatte für die Position sehr lange niemand auf dem Zettel.
Dieses Mal aber hat sich Selenskyj nicht etwa für den Chef des Militärgeheimdienstes Kyrylo Budanow entschieden, worüber viel spekuliert wurde und was ein sehr ungewöhnlicher Schritt gewesen wäre, und auch für niemand ganz Überraschendes.
Die Ernennung des 58-jährigen Generalobersten (Drei-Sterne-General, im Nato-System Generalleutnant) Oleksandr Syrskyj, der seit 2019 Kommandeur der Landstreitkräfte war, lag dagegen auf der Hand und ist ganz logisch – nicht nur deswegen, weil er ähnlich wie Budanow gute Beziehungen zum Präsidenten pflegt. Und eigentlich ist er eben jemand, der im Juli 2021 eher als Saluschnyj an der Reihe gewesen wäre. Syrskyj, Spitzname Bars (“Schneeleopard”), ist zumindest auf dem Papier der erfolgreichste General dieses Krieges.
Einerseits war er für die Verteidigung von Kiew zu Beginn der vollumfänglichen Invasion verantwortlich. Er organisierte die Stationierung von Flugabwehr und Flugzeugen, plante die Verteidigungslinien und traf zum Beispiel Mitte März 2022 die Entscheidung zur Sprengung eines Damms im Dorf Moschtschun, die das Eindringen der Russen in die Hauptstadt in einem kritischen Moment verhinderte. Damit war die Schlacht um Kiew entschieden.
Im September 2022 organisierte er schließlich die kreative und blitzartige Offensive im Bezirk Charkiw, von der er unter anderem Saluschnyj überzeugen musste, der sich Gerüchten zufolge vorerst ganz auf Cherson konzentrieren wollte. Diese Operation hat nur zu sehr wenigen Verlusten auf ukrainischer Seite geführt und gilt insgesamt als die erfolgreichste in diesen fast zwei Jahren. Auf der anderen Seite war er auch maßgeblich für die Verteidigung von Bachmut, die sehr viele Opfer gekostet hat und an deren Sinn ab einem gewissen Zeitpunkt einige sowohl in der Ukraine als auch im Ausland nicht mehr glaubten.
Deswegen gibt es bei der Armee zwei ganz unterschiedliche Meinungen über Syrskyj. Die einen schätzen ihn sehr und halten Syrskyj für deutlich näher an der Truppe als Saluschnyj, der recht selten in die Nähe der Front kam. Die anderen halten den 58-Jährigen für den General, dem menschliche Verluste wenig bedeuten. Abgesehen davon, dass er seine Operationen sehr akribisch bis ins Detail plant, ist aufgrund der völlig unterschiedlichen Erfahrungen von Charkiw und Bachmut schwer bis unmöglich zu sagen, was näher an der Wahrheit ist.
Was allerdings sicher der Fall ist: Als gebürtiger und ethnischer Russe, der seine militärische Ausbildung in Moskau absolvierte und Ukrainisch noch immer mit russischem Akzent spricht, wird Syrskyj immer die Vorurteile etwa über die “alte sowjetische Schule” zu hören bekommen, wie erfolgreich er auch an der Front sein mag. Vieles wird auch davon abhängen, welche Generale die wichtigsten Positionen in seinem Stab übernehmen werden, denn das Team um Saluschnyj geht komplett.
Nur der größere Kreis der Kandidaten steht bereits fest. An der Front, wo sowieso vorerst aktive Defensive ansteht, sind große Veränderungen vorerst nicht zu erwarten. Doch Selenskyj erhofft von Syrskyj, dem er vertraut, frischen Wind und einen klaren, realistischen Plan für 2024 – etwas, was er offenbar von Saluschnyj erfolglos verlangte.
Das Abkommen bot auf den ersten Blick nichts Überraschendes: Norwegens US-Botschafter Marc Nathason unterzeichnete Anfang Februar das Supplementary Defense Cooperation Agreement mit dem nordischen Nato-Partner. Die US-Streitkräfte erhalten zusätzlich zu den schon seit 2021 genutzten vier militärischen Einrichtungen der Norweger Zugang zu weiteren acht. Bei genauerer Betrachtung wird die Eile sichtbar, mit der die USA ein strategisches Defizit im hohen Norden kompensieren wollen. Anders als im Rest von Europa ist die stärkste Militärmacht der Welt seit dem Kalten Krieg vom Polarkreis fast verschwunden.
Ohne die Fähigkeiten des US-Militärs geht normalerweise wenig, wie man an der derzeitigen Nato-Übung sieht. Bei “Steadfast Defender” operieren so viele US-Truppen auf dem europäischen Festland wie seit dem Fall des Eisernen Vorhangs nicht mehr. In der Arktis allerdings sind die USA auf ihre Verbündeten angewiesen.
Bereits im Dezember 2023 haben das neue Nato-Mitglied Finnland und Schweden, das demnächst zur Nato gehören soll, in Washington ähnliche Abkommen wie Norwegen unterzeichnet. Lappland, Finnlands nördlichste Region, ist mit dem größten Truppenübungsplatz Europas in Rovajärvi, seinem Luftwaffenstützpunkt Rovaniemi und dem Grenzschutzstützpunkt Ivalo ein strategisch wichtiger Drehpunkt für militärische Operationen der USA. “Die Arktis rückt immer mehr in den Vordergrund, auch für die USA und die Nato. Die reaktiven Abschreckungsmaßnahmen, die sie jetzt ergreifen, sind nur folgerichtig”, erklärt Michael Paul, Arktis-Experte der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP).
Die Antwort aus Moskau ließ denn auch nicht lange auf sich warten. “Dies steht voll und ganz im Einklang mit der Politik der militärischen Aufrüstung und des aktiven Engagements der Nato in der Arktis”, verlautete Maria Sacharowa, Sprecherin des russischen Außenministeriums. Die idyllischen Zeiten, in denen die Nordpolar-Region als Hort friedlicher Koexistenz galt, sind vorbei.
Der Arktische Rat, dem die acht Anrainerstaaten angehören, hat seine Konsultationen seit dem russischen Angriff auf die Ukraine eingestellt, auch weil Russland von 2021 bis 2023 offiziell den Vorsitz führte. Zwar war der Rat, eine Art zwischenstaatliches Gremium, nie für Sicherheitsfragen zuständig, diente aber der Kommunikation. Vor allem der Gesprächsfaden zu Russland ist gerissen.
“Der kooperative Ansatz von früher existiert nicht mehr”, sagt Carlo Masala, Politikprofessor an der Universität der Bundeswehr in München. Er hält die momentane Situation für gefährlich, beschreibt sie zwischen den USA und Russland als zunehmend “kompetitiv”: “Der Weg für eine Konfrontation ist geebnet, ähnlich wie in den 1960er- und 1970er-Jahren.”
Russlands Präsident Wladimir Putin machte Ende Dezember klar: Eine erhöhte Präsenz in der Arktis habe für Russland “unbestreitbare Priorität”. Die neue Marinestrategie aus dem Jahr 2022 erklärt, warum. Russland hat eine 25.000 Kilometer lange, fast unbewohnte Küste am Arktischen Ozean, die durch einen Eispanzer weitgehend geschützt ist. Noch, müsste man sagen. Durch den Klimawandel, so schätzen Experten, könnte schon 2035 ein weitgehend eisfreier Arktischer Ozean Realität sein. Dies macht Schiffspassagen einfacher und ermöglicht einen größeren Zugang zu den Öl- und Gasreserven.
“Die Nordpolar-Region war für Russland immer von großer strategischer Bedeutung, das ist nichts Neues. Annähernd 50 Prozent der Arktis ist russisch. Schon Putins Rede 2007 auf der Münchner Sicherheitskonferenz markiert den Beginn einer Remilitarisierung der Arktis“, sagt SWP-Experte Paul. Wie abgestimmt, hissten russische Meeresforscher einige Monate später spektakulär eine Flagge auf dem Meeresboden am Nordpol – in mehr als vier Kilometer Tiefe.
Neu ist allerdings, dass Russland auf immer weitere Gebiete Ansprüche erhebt. Auf einem der letzten Treffen des Arktischen Rates im Mai 2021 erklärte Außenminister Sergej Lawrow, die gesamte Arktis sei “unser Territorium”. Seit Jahren reaktiviert Russland bereits stillgelegte militärische Stützpunkte. Im Dezember weihte Putin in Sewerodwinsk am Weißen Meer zwei neue Atom-U-Boote ein, von denen Interkontinentalraketen mit einer Reichweite von bis zu 8.000 Kilometern abgeschossen werden können. Sie sind ein Herzstück der russischen Nuklearstrategie. Überdies kündigte der Präsident Ende Januar den Bau zweier atomar betriebener Eisbrecher an.
“Die militärischen Fähigkeiten Russlands in der Arktis sind denen der USA – und auch der Nato insgesamt – in bestimmten Bereichen überlegen, was besonders das Zusammenwirken von arktisspezifischen militärischen und zivilen Fähigkeiten betrifft, wie das Beispiel von Eisbrechern illustriert”, analysiert der Arktis-Kenner Paul.
Dieses Manko will man nun beseitigen. “Die Nato muss ihre Präsenz in der Arktis erhöhen”, erklärte Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg im August 2022. Die Nordpol-Region sei “die entscheidende Verbindung zwischen Nordamerika und Europa”. Für die strategischen Planungen der Nato ist deshalb wieder die sogenannte GIUK-Lücke in den Fokus gerückt, eine gedachte Verbindungslinie zwischen Grönland, Island und Großbritannien. Im Kalten Krieg wurde diese Durchfahrt, die jedes sowjetische Kriegsschiff nehmen musste, um in den Atlantik zu kommen, permanent überwacht. Gleiches gilt für die Bären-Lücke zwischen Spitzbergen und dem norwegischen Festland.
“Die Signalketten aus dieser Zeit, die unter anderem russische U-Boote gesichtet haben, sind noch vorhanden, aber nicht mehr von entscheidender Bedeutung. Sie sind zwar durch andere Maßnahmen ergänzt worden, habe ich erfahren. Wie diese funktionieren, ist aber geheim”, erklärt Militärexperte Masala. Er vermutet: “Russland setzt seine militärischen Fähigkeiten vielleicht jetzt nicht ein, das heißt aber nicht, dass es seine Ansprüche in der Arktis aufgibt.”
Für den SWP-Experten Paul gibt es in naher Zukunft keinen Hinweis auf ein Tauwetter zwischen Nato und Russland: “Solange der Krieg in der Ukraine andauert, wird es keine offiziellen Verhandlungen geben.”
Die größte Übung der Nato in Europa läuft seit Wochen, und bislang hat die Öffentlichkeit noch wenig davon mitbekommen. Bereits am 8. Januar ging bei der Gebirgsjägerbrigade 23 der Bundeswehr in Bad Reichenhall der Alarm ein, und am 9. Januar begannen die Soldaten und Soldatinnen, ihre Schnee-Kettenfahrzeuge auf Bahnwaggons zu verladen. Ihr Ziel: Norwegen.
Was unter dem Namen “Steadfast Defender 24” und, für die Bundeswehr, unter dem Begriff “Quadriga” läuft, ist zusammengenommen die größte Manöveraktivität des Bündnisses seit den großen Übungen in den 1980er Jahren. Insgesamt rund 90.000 Soldaten und Soldatinnen, so verkündete der US-General Christopher Cavoli, Oberbefehlshaber der Nato in Europa, sollen bis zum Juni demonstrieren, dass die Allianz zur Abwehr eines russischen Angriffs auf ihre Mitgliedstaaten bereitsteht.
Dass immer wieder andere Termine für den Start von Steadfast Defender genannt werden, sei es das Auslaufen eines US-Kriegsschiffes aus der Marinebasis Norfolk in den USA oder der Beginn der US-geführten Übung “Saber Strike”, hat vor allem mit der von der Nato erhofften Öffentlichkeitswirkung zu tun. Das “Strategic Messaging”, die Nachricht, die an die eigene Bevölkerung wie an Russland gesendet werden soll, ist ein wesentlicher Teil der Übungsserie. Und so seit Jahren auch geplant.
Denn die vielen verschiedenen Übungen “haben nichts miteinander zu tun”, sagt Oberst Dirk Hamann, zuständiger Referatsleiter im Kommando Heer der Bundeswehr. Tatsächlich trainieren die Alliierten und die Bundeswehr an verschiedenen Orten in Europa verschiedene Dinge – ein groß angelegter Übungsplan und die verkündete Absicht, eine glaubhafte Verteidigungsmöglichkeit für Europa zu demonstrieren, wurde sozusagen erst anschließend über die vielen kleineren und größeren Einzelübungen gelegt.
Den Auftakt an Land macht die Übung “Nordic Response” in Norwegen, zu der die Gebirgsjäger aus Bayern anreisen: Unter norwegischer Führung und erstmals gemeinsam mit dem neuen Nato-Mitglied Finnland und dem erhofften baldigen Mitglied Schweden trainieren die Soldaten unter arktischen Bedingungen das Zurückschlagen eines Angriffs im Norden. Unter dem Namen “Cold Response” gab es diese Übungsserie schon seit Jahren, neu ist das offene Benennen einer befürchteten konkreten russischen Bedrohung.
Während die deutsche Beteiligung an diesem Manöver damit schon Routine ist, bereitet sich die Bundeswehr vor allem auf die Übungen in Mitteleuropa vor, die als Teil der “Quadriga”-Serie die deutschen Landstreitkräfte viel mehr fordern als in den vergangenen Jahren. Der ganze Ablauf, von der Alarmierung über den Transport per Schiene und Straße aus deutschen Kasernen bis nach Polen und vor allem bis ins Baltikum wird in weit größerem Umfang geübt als je zuvor seit Ende des Kalten Krieges. “Das konnten wir in den 1980er Jahren aus dem Effeff”, sagt Oberst Hamann. “Jetzt wollen wir real üben, was wir können müssen.”
Auch wenn es paradox klingt: Der eigentliche Kampf, das Gefecht, steht dabei noch nicht mal im Vordergrund. Was im Militärjargon als “Verlegeübung” bezeichnet wird, stellt die Hauptaufgabe für die Bundeswehr dar: Wie bekommt man Tausende von Soldaten, mit Kampf- und Schützenpanzern, mit ihren Nachschub-Lkws und dem ganzen anderen Gerät über Landesgrenzen hinweg schnell an die Ostflanke der Nato, wo sie gebraucht werden? Funktioniert der Plan, die vorgesehenen – und für die Bundeswehr neuen – “Mittleren Kräfte”, gepanzerte Fahrzeuge, mit Rad- statt Kettenantrieb, auf den eigenen Rädern und nicht auf Bahn oder Lkw problemlos nach Polen zu bringen? Wie schnell geht es, Kampfpanzer nach Litauen zu verlegen – nicht nur einzelne, sondern gleich eine Vielzahl?
Das alles muss auch unter Friedensbedingungen funktionieren. Denn es herrscht nicht Krieg in Deutschland und in der EU – also gelten die ganz normalen Vorschriften für Schwerlasttransporte auf den Straßen oder auch die Zollbestimmungen für Militärgerät, selbst innerhalb von Nato und EU. “Das ist nach wie vor eine große Herausforderung”, sagt Organisator Hamann. Werden kurzfristig in Litauen Ersatzteile für einen Panzer benötigt, kann es mehrere Tage dauern, bis die Genehmigung für diesen Militärtransport vorliegt – und da geht es noch nicht einmal um Gefahrgut wie Munition. “Da ist Handlungsbedarf.”
Die Nato und die Bundeswehr versuchen, das Beste daraus zu machen – und nicht zuletzt, die Bilder für die öffentliche Wahrnehmung eines verteidigungsbereiten Bündnisses zu schaffen. Wie der Gewässerübergang über die Weichsel in Polen Anfang März. Die dafür nötige Schwimmbrücke stellt das deutsch-britische Pionierbrückenbataillon 130 aus Minden bereit. Ihr Gerät, die Amphibienbrücke M3, ist das einzige dieser Art im Bündnis. Die Mindener Pioniere haben sie schon überall in der Nato aufgebaut, und nicht zum ersten Mal an der Weichsel.
“Wir sind längst noch nicht da, wo wir vor 40 Jahren bei den Übungen Reforger oder ‘Kecker Spatz’ waren”, erinnert Oberst Hamann an die großen Manöver zu Zeiten der Blockkonfrontation in der damaligen Bundesrepublik. “Was wir wirklich können, müssen wir bei den nächsten Steadfast Defender-Übungen 2027 und 2030 nachweisen.”
“Große Leistungen beginnen mit einer Vision”, sagt der stellvertretende saudische Verteidigungsminister Khaled Al-Biyari, nachdem er dem investitionsfreudigen Publikum bei der World Defense Show (WDS) die Pläne für die “Vision 2030” vorgestellt hat. Mehr als 50 Prozent seiner Rüstungsgüter will das Königreich bis 2030 im eigenen Land produzieren. Nach Angaben der staatlichen General Authority for Military Industries (Gami) wurden 2022 bereits 13,7 Prozent der Militärausgaben im eigenen Land investiert. 2018 seien es noch vier Prozent gewesen. Riad will nicht mehr von Menschenrechtsansprüchen ausländischer Regierungen abhängig sein.
Bei der Rüstungsmesse nahe Riad zeigt die Monarchie, mit welchen Behörden sie das schaffen will. Die Gami versteht sich als regulierende Kraft und lizenziert Rüstungsunternehmen, die in Saudi-Arabien produzieren wollen. 2019 waren es noch fünf internationale Unternehmen, sagt Turki Alothman, der bei der Gami die industrielle Versorgung plant. Im Dezember 2023 dann schon 262. Ausländische Unternehmen sollen mit Geld und langfristigen Aufträgen gelockt werden. Eine Aufgabe wird sein, das Personal für den sicherheitspolitischen Kraftakt auszubilden. Dafür hat die Gami 2022 die National Academy of Military Industries ins Leben gerufen.
Als regulierende Kraft wolle die Gami “ethische Fragen” berücksichtigen, um “das Vertrauen unserer Bevölkerung und der Weltgemeinschaft zu behalten”, sagt der stellvertretende Strategiebeauftragte Abdullah Abdulaziz Alhammad. Aufholbedarf gibt es, immer wieder sind Verstöße gegen Menschenrechte in Saudi-Arabien international ein Thema. 2023 ließ Saudi-Arabien laut einem Bericht der Nachrichtenagentur AFP 170 Menschen hinrichten. Trotz der begangenen Menschenrechtsverletzungen im Jemen-Krieg nähern sich das Königreich und westliche Staaten wieder an.
Die Lampen und Bildschirme in Halle 2 bei der World Defense Show leuchten in saudischem Dunkelgrün. Der Saal steht im Zeichen der Vision 2030. Ein US-amerikanischer Händler bedauert, seinen Stand nicht dort zu haben. Die Geschäfte seien dort leichter.
Neben der Gami spielt auch die Sami eine wichtige Rolle: Die 2017 gegründete Saudi Arabian Military Industries (Sami) wird komplett aus einem Staatsfonds finanziert. Unternehmen, die mit dieser Holding zusammenarbeiten wollen, werden von der Gami geprüft. Die Holding soll über Partnerschaftsprojekte ausländische Unternehmen ins Land holen und bis 2030 zu einem der Top 25-Rüstungsunternehmen der Welt werden. Im Ranking des US-amerikanischen Magazins Defense News belegte das Konglomerat 2023 Platz 79.
Sami stellt bei der World Defense Show einige Koproduktionen aus: Die mit dem europäischen MBDA-Konzern produzierten Raketen Mistral 3 und die VL Mica oder mit Thales gefertigte leichte Mehrzweckraketen (LMM). Im Innenhof präsentiert es mit General Dynamics Land Systems (GDLS) hergestellte gepanzerte Fahrzeuge. Und gibt an, dass 60 Prozent davon im eigenen Land gefertigt worden seien.
“Diese Transformation ist wahrscheinlich die schnellste von einer Regierung durchgeführte der Geschichte”, sagt Sami-CEO Walid Abukhaled auf der Messe. “Ich kann versichern, Sami hatte schon gute Möglichkeiten, was den Export betrifft.” Mittelfristig soll die saudische Rüstungsindustrie helfen, den Wohlstand im Land zu sichern, wenn die Öleinnahmen versiegen. Doch einen Markt gibt es auch vor der Haustür. 2022 hat Saudi-Arabien 7,4 Prozent seines BIPs für Verteidigung ausgegeben.
Konzerne aus Europa handhaben die Zusammenarbeit mit Riad unterschiedlich: Die niederländische Holding KNDS, die den französischen Panzerbauer Nexter und den deutschen Krauss-Maffei Wegmann (KMW) vereint, zeigt das exemplarisch. KNDS stellt nur französische Produkte aus und Nexter bezeichnet sich als “fully committed”, die Zusammenarbeit mit den saudischen Unternehmen zu vertiefen.
Am Mittwoch verkündeten die Franzosen bei der Show, dass sie mit dem saudischen Unternehmen Wahaj ein Joint Venture eingegangen seien, um 155 Millimeter-Munition zu produzieren. Außerdem kündigt der Konzern an, weitere Produktions-, Entwicklungs- und Wartungskapazitäten nach Saudi-Arabien zu bringen. Letztere sind in dem Wüstenstaat gerade für Panzer kaum vorhanden. Der Name des deutschen Partnerunternehmens KMW kommt in den KNDS-Erklärungen nicht vor.
Der türkische Drohnenhersteller Baykar, dessen Bayraktar-Drohne durch den Krieg in der Ukraine bekannt geworden und jetzt stark nachgefragt ist, wird innerhalb der kommenden zwei Jahre Teile der Bayraktar Akinci-Drohne in Saudi-Arabien produzieren. Dazu sollen auch saudische Ingenieure in der Türkei weitergebildet werden. Der US-amerikanische Kampfjet- und Raketenhersteller Lockheed Martin hat bei der WDS einen Vertrag mit Saudi-Arabien unterschrieben, Teile des THAAD-Luftverteidigungssystems (Terminal High Altitude Area Defense) im Königreich zu produzieren.
Saudi-Arabien vertieft damit die Beziehungen zum langjährigen Partner USA. Saudische Staatsmedien hatten zunächst berichtet, dass Saudi-Arabien dem Brics-Bündnis, ursprünglich bestehend aus Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika, beigetreten sei. Nach längerem Hin und Her hatte die südafrikanische Außenministerin Naledi Pandor die Mitgliedschaft Ende Januar bestätigt.
Eine offizielle Bestätigung Saudi-Arabiens steht aber noch aus. Aus gut informierten Kreisen heißt es, dass ein Grund für das Lavieren die Bindung der saudischen Währung an den US-Dollar sein dürfte, den das Staatenbündnis als Leitwährung ablösen will. Für das Land, das seinen Reichtum noch aus Ölexporten finanziert und das nach Unabhängigkeit strebt, wäre das ein Eigentor.
Die EU-Staaten haben die geplante Marinemission “EUNAVFOR Aspides” im Roten Meer am Donnerstag beschlossen. Mit der Entscheidung werden unter anderem der Auftrag und der Sitz des Hauptquartiers für die Operation zum Schutz der Handelsschifffahrt im Roten Meer festgelegt, wie die Deutsche Presse-Agentur von Diplomaten erfuhr.
Das operative Hauptquartier wird in der griechischen Stadt Larisa eingerichtet. Das Force Headquarters, also die taktische Befehlszentrale, könnte Italien auf einem Kriegsschiff einrichten. Ein entsprechendes Angebot der Italiener liege vor, sagte Marineinspekteur Jan Christian Kaack am Donnerstag in Berlin. Der formale Beschluss des EU-Mandats wird für den 19. Februar erwartet, der Bundestag könnte am 23. Februar über das Mandat abstimmen. Eine Zustimmung der Abgeordneten gilt als sicher.
Die deutsche Fregatte “Hessen” ist seit Donnerstag von Wilhelmshaven aus mit 250 Soldatinnen und Soldaten unterwegs in die Region. Eine Rückkehr wird für Ende April erwartet. Der Einsatz eines weiteren deutschen Kriegsschiffs, ebenfalls eine Luftverteidigungsfregatte der Sachsen-Klasse, ist für die zweite Jahreshälfte vorgesehen. Zunächst soll die EU-Mission auf ein Jahr angelegt sein.
Kaack sieht den Einsatz als “erweiterte Landes- und Bündnisverteidigung” an. “Die Grundlage unserer Industrie, aber auch unsere Verteidigungsfähigkeit, sind unter anderem die freien Seehandelswege durch das Rote Meer.” Die Einsatzregeln, also mit welchen Wirkmitteln die Marine den Bedrohungen begegnen darf, seien ausreichend weit gefasst. “Wir haben keine Einschränkung für unsere Auftragserfüllung”, so Kaack. Grundsätzlich ist die EU-Mission defensiv angelegt. Ein Angriff auf Ziele an Land, wie sie die USA und die Briten durchführen, ist nicht vorgesehen.
Insgesamt drei Schiffe aus EU-Ländern – neben Deutschland zunächst Italien, Griechenland und Frankreich – sollen zeitgleich vor Ort sein und im Verbund Frachtschiffe vor Angriffen der Huthi-Rebellen aus dem Jemen im Roten Meer schützen. Die Miliz will mit dem Beschuss von Schiffen ein Ende der israelischen Angriffe im Gazastreifen erzwingen, die auf das beispiellose Massaker der islamistischen Hamas in Israel am 7. Oktober folgten.
“Es ist der ernsthafteste Einsatz der Deutschen Marine seit Jahrzehnten”, sagte Kaack beim Pressetermin in Berlin. “Wir rechnen mit dem gesamten Spektrum von direkten und indirekten Angriffen. Das reicht von ballistischen Flugkörper mit großer Reichweite bis hin zu Drohnen und auch Kleinstdrohnen, aber auch ferngesteuerten Überwasser-Einheiten und Kamikazedrohnen.”
Die Fregatte sei dafür bestens ausgestattet, jede Munitionskammer sei “zum Bersten” voll, so Kaack. Die Nachversorgung mit Lenkflugkörper-Munition soll aus eigener Kraft geschehen. Ein Stützpunkt in Dschibuti und weitere Häfen seien für die Versorgung im Gespräch. Seit November sei die Besatzung auch in der Lage, kleine Drohnen per Störgewehr abzuwehren, gegen feindliche Speedboote und Kamikazeboote seien Hubschrauber im Einsatz.
Außerdem sei die Fregatte, wie die EU-Mission insgesamt, nicht allein im Roten Meer unterwegs: “Wir haben eine große Anzahl amerikanischer Schiffe, auch Versorgungsschiffe vor Ort. Wir haben eine italienische Einheit vor Ort, sowie britische und französische Einheiten. Eine spanische Einheit ist noch in der Operation Atalanta. Eine dänische Einheit ist auf dem Weg. Andere Länder sind dabei zu bewerten, ob sie sich beteiligen können.”
Seit Ende Dezember agiert die US-geführte Mission Prosperity Guardian bereits im Roten Meer. Man könne davon ausgehen, so Kaack, dass zwischen den beiden Missionen Lagebilder ausgetauscht würden. “Man hat ja das gemeinsame Ziel, den Schutz der Handelsschifffahrt”. Die deutsche Fregatte bringt für diese Aufgabe Radargeräte mit, die den Luftraum in bis zu 400 Kilometern Entfernung überwachen können. klm
Der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu reagierte empört auf die weitreichenden Forderungen der Hamas für ein Geiselabkommen mit Israel. Aber dass die palästinensischen Islamisten überhaupt mit einer Liste von konkreten Forderungen auf den letzten Entwurf für ein neues Abkommen reagiert haben, wird als gutes Zeichen gewertet.
Katars Ministerpräsident Muhammad bin Abdulrahman Al Thani bezeichnete den Hamas-Vorschlag als “generell positiv”, der amerikanische Präsident Joe Biden sprach davon, dass “etwas Bewegung” in die Sache komme.
Der gut vernetzte israelische Journalist Barak Ravid erklärte gegenüber CNN, dass die israelische Regierung “überrascht” gewesen sei, als sie die Antwort der Hamas erhalten hätten. Erwartet wurde, dass diese zunächst nur auf die Rahmenbedingungen der Verhandlungen eingehen würde. Stattdessen enthielt die Antwort konkrete inhaltliche Details. Jetzt komme es darauf an, ob es demnächst zu Annäherungsgespräche in Kairo unter Vermittlung von Ägypten und Katar kommt.
Der Hamas-Vorschlag sieht drei Phasen vor von je 45 Tagen: In jeder Phase sollen verschiedene Geiselgruppen freikommen, angefangen mit Frauen, älteren Menschen, Kranken und Männern unter 19 Jahren. Im Gegenzug sollen unter anderem 1.500 palästinensischen Häftlinge freikommen, die israelische Armee soll sich aus dem Gazastreifen zurückziehen und die Hamas verlangt eine permanente Waffenruhe. Vor allem Letzteres ist für die israelische Regierung inakzeptabel.
Am Donnerstag kursierten wiederum Berichte zu israelischen Ideen für ein Abkommen. Demnach soll die Regierung in Erwägung ziehen, den Hamas-Anführer Yahya Sinwar, der sich im Gazastreifen befindet, im Austausch für die Freilassung der verbliebenden 136 Geiseln ins Exil zu schicken. Gleichzeitig arbeiten internationale Vermittler unter der Beteiligung Deutschlands an einem Abkommen zur Beendigung der Kampfhandlungen mit der Hisbollah an der Grenze zum Libanon. wp
Table.Today: Was braucht die Ukraine jetzt, Frau Beck? Marieluise Beck, Senior Fellow am Zentrum Liberale Moderne, macht im Gespräch klar, dass Deutschland und die Alliierten mitverantwortlich sind für den kaum messbaren Erfolg der ukrainischen Offensive im vergangenen Jahr. Wladimir Putin, davon ist Beck überzeugt, will nicht nur die Ukraine annektieren. Er will weite Teile Osteuropas unter seine Kontrolle bringen.
Georgetown Journal of International Affairs: The Information War: Russia-Ukraine Conflict Through the Eyes Of Social Media. Einige Monate nach der russischen Vollinvasion in die Ukraine konnten ukrainische Kanäle auf Sozialen Medien viel Unterstützung erfahren und Sympathien wecken. Das ändert sich jetzt. Russland setzt auf eine ausgeklügelte Kommunikationsstrategie in den Sozialen Medien – durchaus mit Erfolg.
The New York Times: Iraq Hosts Both U.S. and Iranian-Backed Forces. It’s Getting Tense. Im Iraq sind sowohl amerikanische Truppen als auch pro-iranische Gruppierungen präsent und bringen Bagdad in eine schwierige Lage. Während Teheran auf einen Rückzug der Amerikaner drängt, sehen Teile des irakischen Militärs auch die Vorteile einer amerikanischen Präsenz im gemeinsamen Kampf gegen den IS.
ZEIT: Wladimir Putin – Er hört eh nicht zu. Verhandlungen zwischen Ukraine und Russland jetzt zu beginnen, wäre ein Fehler, findet Journalistin Alice Bota. Diese würden keinen Frieden, sondern noch mehr Krieg bringen. Die Ukraine müsse militärisch stark bleiben, nur dann höre Putin zu. “Dieser Krieg wird irgendwann enden. Vermutlich durch Gespräche. Aber erst, wenn Moskau zuhört, weil es zuhören muss.”
Spätestens mit dem Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine im Februar 2022 ist die Zeit der sicherheitspolitischen Sorglosigkeit in Deutschland zu Ende gegangen. An deren Ende steht ein verteidigungspolitischer Strategiewechsel – die Zeitenwende. Ich vertrete im Folgenden den Standpunkt: Neben der notwendigen Modernisierung und Aufrüstung der Streitkräfte sollten wir im öffentlichen und politischen Diskurs die Befähigung auf der zivilen Seite nicht aus den Augen verlieren – auch der Zivilschutz benötigt eine Zeitenwende.
Es ist deshalb begrüßenswert und an der Zeit, dass aktuell die erstmals 1989 veröffentlichte Rahmenrichtlinie Gesamtverteidigung unter gemeinsamer Federführung von BMI und BMVg neu gefasst wird. Jetzt muss die Chance genutzt werden, um planerische Vorgaben für die zivile und militärische Verteidigung Deutschlands an die hybriden Bedrohungen des fortgeschrittenen 21. Jahrhunderts als auch Deutschlands veränderte Rolle in der geopolitischen Lage in Europa anzupassen. Dazu zählen sowohl die Prüfung und Überarbeitung von Ausbildungskonzepten für Einsatzbehörden, als auch die Etablierung und Einübung der behördlichen Kommunikations- und Meldestrukturen, die im Falle der Gesamtverteidigung von entscheidender Bedeutung sind.
Neben den notwendigen Reformen auf bundesbehördlicher Seite plädiere ich zugleich dafür, bei der Frage “Was bedroht uns?” nicht allein militärische Bedrohungen ins Auge zu fassen. Schon heute zeigt sich, dass die Gefahren für das öffentliche Leben und die Sicherheit in Deutschland vielfältiger geworden sind. Neben (mutmaßlichen) Sabotageakten auf Kritische Infrastrukturen, wie die Nord-Stream-2-Pipelines oder die LNG-Terminals in Brunsbüttel, häufen sich Hackerangriffe auf Kommunen und Desinformationskampagnen in sozialen Medien.
Zugleich warnen uns Expertinnen und Experten regelmäßig und in aller Deutlichkeit vor dem Anstieg an Extremwetterereignissen, die uns schon heute in Form von Waldbränden oder Hochwassern häufiger und intensiver bedrohen. Die zunehmende Entgrenzung und Allgegenwart von Gefahren deuten darauf hin, dass es entsprechend eine gesamtstaatliche Reaktionsfähigkeit benötigt. Kurz gesagt: Wir müssen auf allen gesellschaftlichen Ebenen resilient werden.
Was genau folgt aus einer solchen Forderung? Gesamtgesellschaftliche Resilienz zu stärken, heißt neben der Befähigung von Einsatzorganisationen oder dem Schutz von Kritischen Infrastrukturen auch, Zeit und Ressourcen zu verwenden, um zivilgesellschaftliche Akteure wieder stärker mit Inhalten des Selbstschutzes und der Eigenvorsorge zu schulen.
Diese Selbsthilfebildung, die derzeit durch das Zivilschutzgesetz (ZSKG) bei den Kommunen liegt, dort aber durch ihre Freiwilligkeit stark vom örtlichen Engagement einzelner abhängt, sollte zur kommunalen Pflichtaufgabe werden. Vor Ort kann am besten über die örtlichen Besonderheiten erwartbarer Gefahren aufgeklärt werden und mit den Ehrenamtlichen in den verschiedenen Einsatzorganisationen stehen viele Multiplikatoren zur Verfügung.
Eine klare und offene Kommunikation mit den Bürgerinnen und Bürgern über existierende Gefahren und Wege zum Selbstschutz kann für Risiken sensibilisieren und das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten stärken. Hier müssen Verantwortungstragende auf allen Ebenen lernen, eine Kommunikation zu finden, die die Bürgerinnen und Bürger bestärkt. Die Vorbereitung auf den Zivilschutzfall braucht zugleich intensive Austragungen.
Dazu sind regelmäßige und mit Zivilschutzszenarien bespielte Übungen notwendig, an denen Landräte und (Ober-) Bürgermeister und -meisterinnen, die auch im Katastrophenfall als politisch Gesamtverantwortliche der unteren Katastrophenschutzbehörden agieren, verpflichtend teilnehmen. Nach einer Wahl muss die Zivilschutzbildung insbesondere für das Krisenmanagement ein zentraler Bestandteil für die gewählten obersten Kommunalbeamtinnen und -beamten sein.
Eine verpflichtende Ausbildung ist aus meiner Sicht die richtige Antwort auf die bestehende breite Fähigkeitslücke der gewählten Wahlbeamten und -beamtinnen in der Bundesrepublik. Schließlich braucht es eine Debatte, ob die bisherige Trennung von Zivil- und Katastrophenschutz den neuen Herausforderungen noch gerecht wird. Dies muss ergebnisoffen diskutiert werden, um auf dem Weg zu einer wirklichen Zeitenwende im Zivilschutz auch diejenigen zu erreichen, um die es geht: die Menschen vor Ort.
Leon Eckert ist Mitglied der Grünen und seit 2021 im Deutschen Bundestag. Er bearbeitet unter anderem die Themen Zivilschutz, Katastrophenschutz, Gefahrenabwehr und Ehrenamt und ist Vorsitzender des Deutschen Komitees Katastrophenvorsorge (DKKV).