er wäre der erste Nichtdeutsche an der Spitze der Münchner Sicherheitskonferenz: Jens Stoltenberg. Der scheidende Nato-Generalsekretär soll auf den amtierenden MSC-Vorsitzenden Christoph Heusgen folgen. Der hatte den Posten erst 2022 von Wolfgang Ischinger übernommen – und will ihn nach Table.Briefings-Informationen nicht freiwillig für den 65-jährigen Norweger räumen. Die Einzelheiten zum Machtkampf an der Spitze der MSC hat unser Chefredakteur Michael Bröcker.
Am Sonntag bricht Bundeskanzler Olaf Scholz nach Usbekistan auf, wo er unter anderem ein Migrationsabkommen mit der Regierung in Taschkent unterzeichnen will. Weshalb die an Afghanistan angrenzende zentralasiatische Republik geostrategisch nicht nur für Deutschland eine immer wichtigere Rolle spielt, erläutert Philipp Jahn von der Friedrich-Ebert-Stiftung im Interview mit meinem Kollegen Viktor Funk.
219 Tote hat das UN-Hilfswerk für palästinensische Flüchtlinge im Nahen Osten (Unrwa) seit dem Terrorüberfall der Hamas auf Israel vor elf Monaten zu beklagen. Warum die Angriffe auf humanitäre Helfer Israels wichtigste Verbündete in den USA, Großbritannien und Deutschland immer mehr empören, weiß Markus Bickel.
Ihnen eine aufschlussreiche Lektüre,
Nach dem Tod von sechs Mitarbeitern des Hilfswerks der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge (Unrwa) bei einem israelischen Luftangriff im Gazastreifen am Mittwoch wächst die Kritik an der israelischen Kriegsführung. “Humanitäre Helfer dürfen niemals Opfer von Raketen werden”, schrieb das Auswärtige Amt am Donnerstag auf der Plattform X. “Israels Armee hat die Verantwortung, UN-Mitarbeiter und Helfer zu schützen.” Die Unrwa leiste “lebenswichtige Hilfe”, der Tod ihrer “Mitarbeiter in einer Schule in Nuseirat ist völlig inakzeptabel.”
Zuvor hatte bereits UN-Generalsekretär António Guterres den Beschuss der Schule als “völlig inakzeptabel” bezeichnet; die Vereinten Nationen verlangten eine unabhängige Untersuchung des Angriffs. Am Donnerstag erklärte US-Außenminister Antony Blinken; “Wir müssen dafür sorgen, dass die humanitären Stätten geschützt werden, und das ist ein Thema, das wir gegenüber Israel immer wieder ansprechen.” Der britische Außenminister David Lammy bezeichnete den Vorfall als “entsetzlich” und forderte eine Waffenruhe im Gazastreifen. Die israelischen Streitkräfte gaben an, dass drei der getöteten Unwra-Mitarbeiter Angehörige der Terrororganisation Hamas gewesen seien,
Neben den Unrwa-Mitarbeitern kamen zwölf weitere Menschen auf dem Gelände der al-Jaouni-Schuli in Nuseirat ums Leben. 12.000 Menschen sollen sich auf dem Gelände aufgehalten haben, das seit Beginn des Gaza-Kriegs am 7. Oktober vergangenen Jahres wiederholt Ziel israelischer Luftangriffe geworden war. Im Juni befreiten die Israel Defense Forces (IDF) hier vier von der Hamas festgehaltene israelische Geiseln – nach Angaben des von der islamistischen Terrororganisation kontrollierten Gesundheitsministeriums kamen dabei 274 Menschen ums Leben, die israelische Armee sprach von 100.
Außenminister Annalena Baerbock hatte bereits bei ihrem Besuch in Israel vergangene Woche das Vorgehen der israelischen Streitkräfte scharf kritisiert. “Gerade weil wir das Kalkül der Hamas durchbrechen müssen, irritiert es mich, wenn Mitglieder der israelischen Regierung selbst fordern, im Westjordanland genauso vorzugehen wie in Gaza”, sagte sie nach einem Treffen mit ihrem Amtskollegen Israel Katz. “Genau das gefährdet die Sicherheit Israels.”
Seit dem Terrorüberfall der Hamas auf Gemeinden rund um den Gazastreifen im vergangenen Oktober sind im Westjordanland mehr als 650 Palästinenser getötet worden, durch israelische Streitkräfte oder militante Siedler. Zudem hat das israelische Militär nach Angaben der Vereinten Nationen seitdem 55 Luftangriffe auf das seit 1967 von Israel besetzte Gebiet durchgeführt.
In den vergangenen Wochen hat Israel seine Angriffe gegen Hamas und Islamischen Dschihad im Norden des besetzten Westjordanland ausgeweitet. “Terror bekämpft man nicht, indem Straßen aufgerissen und Wasserleitungen zerstört werden”, kritisierte Baerbock bei ihrem Israel-Besuch. “Nichts ist gewonnen, wenn sich eine neue Generation radikalisiert, weil sie der Zerstörung vor ihrer Haustür zuschauen muss.”
Doch nicht nur die Bundesregierung drängt auf mehr Zurückhaltung seitens der israelischen Armee im Westjordanland. Auch der wichtigste Unterstützer der Regierung Ministerpräsident Benjamin Netanjahus, die USA, hat ihren Ton verschärft nachdem die US-amerikanischen Friedensaktivistin Aysenur Eygi vergangene Woche am Rande einer Demonstration im Westjordanland durch israelische Soldaten getötet wurde. Am Mittwoch forderte Präsident Joe Biden “volle Rechenschaftspflicht” seitens Israels; die Erklärungen der IDF zum Tathergang würfen “berechtigte Fragen auf”.
Das UN-Hilfswerk für die palästinensischen Flüchtlinge im Nahen Osten sieht sich immer wieder scharfer Kritik ausgesetzt; Ende Januar entließ Unrwa-Generalkommissar Philippe Lazzarini neun Mitarbeiter, denen Unterstützung bei den Vorbereitungen des Terrorangriffs der Hamas auf Israel vorgeworfen worden war. Deutschland und 15 weitere Staaten hatten daraufhin ihre Zahlungen an die Unrwa ganz oder teilweise ausgesetzt.
Nach Vorlage zweier Prüfungsberichte, die die Arbeit der in Gaza 13.000 Mitarbeiter zählenden Organisation untersuchten, nahm die Bundesregierung im April die Finanzierung wieder auf. Sie beträgt in diesem Jahr 110 Millionen Euro und kommt nicht nur palästinensischen Flüchtlingen in Westjordanland und Gazastreifen, sondern auch im Libanon, Syrien und Jordanien zugute. 2023 waren es noch 190 Millionen, davon 81 Millionen für Lebensmittel im Gazastreifen. Der größte Geber, die USA, planen erst im März 2025 ihre Zahlungen wieder aufzunehmen.
Herr Jahn, ist die erste Reise des Bundeskanzlers Olaf Scholz nach Zentralasien ein Zeichen dafür, dass diese Region nun in den geopolitischen Fokus Deutschlands und der EU gerät?
Vor Februar 2022, bevor Russland die Ukraine vollständig angegriffen hatte, war Zentralasien selten ein Thema in der Außenpolitik Deutschlands. Das ist jetzt anders, es ist in die Nähe Europas gerückt und das hat nicht nur mit dem russisch-ukrainischen Krieg zu tun.
Er spielt aber eine wichtige Rolle, wenn es um Kirgistan, Usbekistan, Kasachstan geht. In die Länder sind ja viele Menschen aus Russland geflohen, die entweder aus Überzeugung den Krieg ablehnen oder zumindest nicht aktiv daran beteiligt sein wollen. Wie blicken denn die Menschen in den Ländern selbst auf den Krieg?
Der Blick ist vielschichtiger. Es gibt viele Themen, die dabei eine Rolle spielen, etwa die eigene Geschichte der Kolonisierung durch Russland, das Alter der Menschen, alte Banden etwa von sowjetisch geprägten politischen Eliten, der Handel nach Russland, Arbeitsmigration und viele mehr. Nicht repräsentativ, aber interessant: Manche Taxifahrer werfen mir vor, der Westen habe den Krieg angefangen, andere sind deutlich Moskau-kritischer.
Weil Sie die Kolonialgeschichte ansprechen: Gibt es die Sorge vor Ort, dass Russland wieder mehr Einfluss auf die Region nimmt?
In Kirgistan und Usbekistan weniger, da gibt es ja keine direkte Nachbarschaft. Zudem scheint etwa Kirgistan einen eher positiven Blick auf Moskau zu haben. In Kasachstan mit einer langen Grenze zu Russland ist die Sensibilität größer. Grundsätzlich muss man in Europa aber erkennen, dass jeder Staat hier in der Region seine eigenen Interessen verfolgt. Sie versuchen nicht in starke Abhängigkeiten von einem großen Nachbarn zu geraten, verfolgen eine sogenannten multivektorale Außenpolitik. Trotzdem sind China und Russland durch die Lage und durch die Größe und Handelsmacht für die zentralasiatischen Staaten sehr wichtige Partner.
Für Deutschland ist Usbekistan wichtig, weil das Land eine direkte Grenze zu Afghanistan hat und die Bundeswehr dort 13 Jahre lang den Lufttransportstützpunkt in Termez benutzt hat. Wie sind die Beziehungen zwischen Taschkent und Kabul?
Die Geografie hat hier viel Einfluss darauf. Unabhängig davon, wer in Kabul regiert, muss sich Usbekistan mit dem Nachbarn beschäftigen. Ein wichtiges Thema ist die Wasserdiplomatie, die Taliban wollen mit einem Kanal vom Grenzfluss Amudarja Wasser entnehmen, das birgt Konfliktpotenzial. Islamischer Extremismus ist ein Thema, das hier in der Region viele beschäftigt, Migration, Transport von Waren – die Macht des Faktischen wirkt hier so, dass irgendeine Art von Zusammenarbeit mit den Taliban nötig ist für Usbekistan.
Können Sie erläutern, wie sich das bei Ihnen direkt zeigt?
Zwei Beispiele kann ich geben: Wenn Sie mit Logistikern etwa in Taschkent sprechen, dann sagen sie Ihnen, dass sie ihre Ware durch Afghanistan gerade schneller transportieren können als durch andere Staaten in der Region. Sie müssen nur einen gewissen Aufpreis zahlen. Das andere Beispiel ist, dass wir als Friedrich-Ebert-Stiftung hier vor Ort von den lokalen Partnern viele Anfragen zu Programmen in Bezug auf Afghanistan erhalten. Es gibt hier an privaten westlichen Universitäten zudem viele Afghanen, die mit westlichen Stipendien aus den USA oder Europa studieren. Afghanistan ist hier ein Dauerthema und wird immer größer.
Wenn Bundeskanzler Scholz nach Usbekistan kommt, wird Afghanistan eine Rolle spielen, etwa für Abschiebungen von Afghanen aus Deutschland?
Dass Afghanistan eine Rolle spielen wird, da bin ich mir sicher. Nur das Thema Abschiebungen – dazu weiß ich nichts. Es gibt zahlreiche zwischenstaatliche Beziehungen zwischen Usbekistan und Afghanistan, wie schon gesagt, da zwingt die Lage beiden Staaten irgendeine Art von Zusammenarbeit auf. Außerdem haben Kasachstan und Kirgistan die Taliban gerade erst von der Liste verbotener Organisationen gestrichen, nachdem das auch schon Moskau Anfang des Sommers getan hat.
Für viele Usbeken und Kirgisen war Russland lange ein wichtiges Ziel, um Arbeit zu finden. Wie ist es jetzt, da Russland auch eine immer restriktivere Politik gegen Migranten aus Zentralasien verfolgt?
Wir kriegen immer mehr mit, dass auch in Europa die Nachfrage nach Arbeitskräften aus der Region steigt, nach Lastwagenfahrern etwa. Aber auch die Golfstaaten werben hier. Interessanterweise kommen aber auch Menschen aus noch ärmeren Gegenden als Arbeitskräfte, etwa aus Bangladesch. Sehr zugespitzt könnte man sagen, dass Polen nach Großbritannien gehen, Usbeken nach Polen und Bangladeschi nach Usbekistan. Insofern dürfte das Thema Migration sicherlich auch eine Rolle beim Besuch des Kanzlers spielen. Und immerhin ist Deutschland der zweitgrößte bilateraler Geldgeber von Zentralasien, nach den USA.
Philipp Jahn (45) ist Leiter des FES-Büros für Kirgistan und Usbekistan mit Sitz in Bischkek. Zuvor leitete er das FES-Büro in Khartum, Sudan.
Der scheidende Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg soll neuer Vorsitzende der Münchner Sicherheitskonferenz (MSC) werden. Das berichteten am Donnerstag zunächst das Nachrichtenportal Politico und das Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND); auch Table.Briefings gegenüber wurde die Personalie bestätigt. Demnach soll der amtierende MSC-Vorsitzende Christoph Heusgen die Konferenz kommenden Februar zum letzten Mal leiten.
Auf X schrieb die MSC am Donnerstagabend: “Bezüglich der aktuellen Medienberichterstattung über die Position des MSC-Vorsitzenden möchten wir Sie darauf hinweisen, dass die Münchner Sicherheitskonferenz Entscheidungen über Personal- und Vorstandsangelegenheiten erst dann öffentlich kommentiert, wenn wir etwas zu verkünden haben. Bitte bleiben Sie auf dem Laufenden.”
Christoph Heusgen, früherer Spitzendiplomat und langjähriger Berater von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), hat den Posten an der Spitze der MSC erst 2022 von Wolfgang Ischinger übernommen. Mit dem Norweger Stoltenberg hätte erstmals kein Deutscher den Vorsitz der wichtigsten sicherheitspolitischen Konferenz in Europa inne, die 1963 als Internationale Wehrkunde-Begegnung gegründet und bis 1993 als Münchner Wehrkunde-Tagung fortgeführt worden war. “Fehlendes Charisma”, um die Konferenz nach Außen zu vertreten, sollen mit dem Machtkampf an der Spitze der MSC Vertraute als entscheidenden Grund für die bevorstehende Ablösung Heusgens genannt haben.
Freiwillig will Heusgen seinen Posten allerdings nicht räumen, wie Table.Briefings aus MSC-Kreisen erfuhr. Nach Informationen der Süddeutschen Zeitung soll der Stiftungsrat nun in einer Sitzung am 25. September über den MSC-Chefposten entscheiden, nachdem Heusgen Widerspruch gegen eine von Ischinger bereits am Samstag geplante Abstimmung eingelegt hatte. Im Umlaufverfahren hatte sich bereits eine Mehrheit des achtköpfigen Sitzungsrats für Stoltenberg ausgesprochen.
Der ehemalige Merkel-Berater sei unter anderem mit Interviews “angeeckt” und “einigen Leuten auf die Nerven gegangen”, heißt es. So hatte Heusgen das israelische Vorgehen im Gazastreifen kritisiert und sich in einem ZDF-Interview hinter UN-Generalsekretär António Guterres gestellt, der Israel eine “erdrückende Besatzung” vorgeworfen und gesagt hatte, die blutigen Angriffe der Terrormiliz Hamas auf Israel am 7. Oktober hätten “nicht im luftleeren Raum” stattgefunden.
Israels Regierung zeigte sich daraufhin empört. Intern sollen führende Vertreter der israelischen Regierung die Ablösung Heusgens gefordert haben. Die Bundesregierung unterstützt die Konferenz mit jährlich mehr als einer Million Euro. Im Stiftungsrat, in dem die Bundesregierung durch Kanzleramts-Chef Wolfgang Schmidt vertreten wird, wuchs der Widerstand. Präsident des Gremiums ist der langjährige Vorsitzende Ischinger. Auch die Bundesregierung wurde von Heusgen wegen ihrer angeblich zu geringen Verteidigungsausgaben immer wieder öffentlich kritisiert. Gegenüber Mitgliedern des Gremiums soll der scheidende Nato-Chef Stoltenberg im Sommer am Rande des Nato-Gipfels angedeutet haben, dass er sich ein Engagement bei der MSC vorstellen könne. Diese Chance, einen früheren Regierungschef und Nato-Generalsekretär zu holen, dürfe man sich nicht entgehen lassen, hieß es.
Nur Helga Maria Schmid soll sich im achtköpfigen Stiftungsrat nach Table.Briefings-Informationen enthalten haben, als es um den Personalwechsel ging; die Generalsekretärin der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) gilt als Vertraute Heusgens. Das Angebot Ischingers, in den prominent besetzten Beraterkreis der MSC, das Advisory Council, zu wechseln, soll Heusgen abgelehnt haben.
Auch CDU-Chef Friedrich Merz, zu dem der Merkel-Mann Heusgen nicht gerade das beste Verhältnis hat, soll in den Personalwechsel eingebunden gewesen sein. Heusgen hatte bei der vergangenen Konferenz den globalen Süden in den Fokus gerückt, aber auch US-Vizepräsidentin Kamala Harris geholt. Mit Stoltenberg dürfte der transatlantische Fokus der Konferenz noch stärker werden. Heusgen und Ischinger wollten keinen Kommentar abgeben.
Der 69 Jahre alte Heusgen pochte im Krieg Russlands gegen die Ukraine früh darauf, Verhandlungen zu führen und zu einer Lösung nach dem Vorbild des Minsker Abkommens zu kommen. Vor allem in US-amerikanischen Kreisen galt Heusgen unter anderem aufgrund dieser Herangehensweise nicht als ideale Besetzung. Mit Stoltenberg, so die Hoffnung, bekäme die Münchner Sicherheitskonferenz jemanden, der die Dringlichkeit und das Verständnis für den Konflikt mitbrächte, und die MSC zu einem Forum ausbauen könnte, auf dem verbindliche Abkommen geschlossen werden könnten. Bislang dient die MSC als Dialogplattform für informelle Gespräche von hochrangigen Politikern und Experten.
Stoltenberg übergibt sein Amt als Nato-Generalsekretär am 1. Oktober an den früheren niederländischen Regierungschef Mark Rutte. Der Norweger steht seit zehn Jahren an der Spitze des westlichen Verteidigungsbündnisses; von 2000 bis 2001 sowie von 2005 bis 2013 war norwegischer Ministerpräsident. Dabei hatte er sein Land 2011 auch durch die schwierige Zeit nach den Anschlägen im Osloer Regierungsviertel und auf der Insel Utøya geführt, bei denen der Rechtsterrorist Anders Behring Breivik insgesamt 77 Menschen tötete. brö/tw
Rumänien und Lettland wollen weiterhin zurückhaltend auf russische Drohnen im eigenen Luftraum reagieren. Die Drohnen abschießen wolle Rumänien nicht, erklärte Außenministerin Luminița Odobescu im Gespräch mit Table.Briefings. “Wir reagieren auf diese Provokation auf ganz ruhige Weise, aber zeigen trotzdem, dass wir vorbereitet sind. Grund zu glauben, dass wir explizites Ziel der Angriffe sind, gibt es nicht.”
Auch Moldaus Premierminister Dorin Recean sagte, dass Vorfälle mit russischen Drohnen an der Grenze zur Ukraine zugenommen hätten. Er betonte, Moldau sei sicher, “wichtig ist aber, dass Deutschlands Unterstützung für die Ukraine nicht abbricht, denn dies bestimmt auch die Sicherheit Moldaus. Die Ukraine verteidigt nicht sich selbst allein, sondern die Zukunft der gesamteuropäischen Sicherheit.”
In der Nacht zu Sonntag hatte eine russische Drohne den Süden Rumäniens überflogen, woraufhin die rumänische Luftwaffe zwei ihrer F-16-Kampfjets losgeschickt hatte. Am Dienstag wurde bekannt, dass die Drohne, die am Montag über Belarus in den lettischen Luftraum eingedrungen und über der Stadt Rezekne abgestürzt war, mit Sprengstoff versehen war.
Lettlands Verteidigungsminister Andris Sprūds hatte die Nato am Mittwoch aufgefordert, die Sicherheit des lettischen Luftraums zu stärken. Das Bündnis solle seine Präsenz im Land sowohl durch verstärkte Abschreckungsmaßnahmen als auch durch die Einführung eines aktiven Nato-Luftverteidigungsmodells aufstocken. Dies hatten die Bündnispartner auf dem Nato-Gipfel in Washington im Juli vereinbart.
Die Umsetzung der Vorhaben aus dem Sommer und die Sicherung des Luftraums der Nato-Partner wird die am Freitag beginnende Klausurtagung des Nato-Militärausschusses in Prag prägen. Seit Russlands Vollinvasion in der Ukraine wurden mehrfach russische Drohnensplitter und Raketen auf dem Gebiet der Alliierten gefunden.
“Diese Handlungen sind unverantwortlich und potenziell gefährlich”, teilte eine Nato-Beamtin mit. “Die Bündnispartner werden sich weiterhin über weitere Schritte zum Schutz und zur Verteidigung des Bündnisgebiets beraten. Wir werden die Situation an der Seite der nationalen Behörden des Bündnisses weiterhin genau beobachten.” asc
Die Recherchen zu diesem Bericht fanden im Rahmen einer von der Europäischen Kommission geförderten Journalistenreise nach Moldau und Rumänien statt.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat während seiner Reise nach Ägypten die Rolle des Landes als Vermittler und Partner in den verschiedenen Konflikten in der Region hervorgehoben. “Ägypten ist ein wichtiger Partner, ein Vermittler, auch in Nahost”, sagte Steinmeier in einer Rede zur Eröffnung der German International University (GIU) am Donnerstag in der neuen ägyptischen Verwaltungshauptstadt Neu-Kairo. “Dabei verfolgen wir gemeinsame Ziele: das Leiden in Gaza endlich zu beenden, ein Abkommen über einen Waffenstillstand und die Freilassung der Geiseln zu erreichen und mit allen Kräften eine regionale Eskalation des Krieges zu verhindern”, sagte Steinmeier weiter.
Bereits bei einem gemeinsamen Statement am Mittwoch hatte Ägyptens Präsident Abdel Fattah Al-Sisi neben dem Gaza-Konflikt auf die Rolle Ägyptens beim Thema Migration hingewiesen: “In Ägypten leben neun Millionen Flüchtlinge, wir nennen sie nicht so, wir nennen sie Gäste.” Gleichzeitig habe Ägypten dafür gesorgt, dass “kein einziges Boot Ägypten in Richtung Europa” verlassen habe. Erst im Frühjahr hatte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ein Migrationsabkommen mit Ägypten geschlossen.
Ägypten ist einer der zentralen Vermittler im Gaza-Krieg zwischen Israel und der Hamas. Neben Katar haben die Ägypter Kontakte zur Hamas. Gleichzeitig ist Ägyptens Rolle bei der Kontrolle des Philadelphi-Korridors an der Südgrenze des Gazastreifens umstritten. Israel kontrolliert den Streifen seit diesem Frühjahr und will die Kontrolle auch nach den Kämpfen behalten. Ägypten wird vorgeworfen, den Schmuggel an der Grenze vor dem 7. Oktober nicht unterbunden zu haben.
Auch wenn Steinmeier in Ägypten bemüht war, freundliche Worte zu finden, so kann dies nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Beziehungen zwischen den beiden Ländern einige Brisanz bergen. So hat in Ägypten das Deutschlandbild infolge der Unterstützung für Israel gelitten. Sowohl al-Sisi wie auch Steinmeier hielten sich zumindest öffentlich mit Kritik an der Gaza-Politik der jeweils anderen Seite auffallend zurück. dre
Die Lage sei “dramatisch”: So formuliert es der Bundeswehrverband in einem Schreiben an Abgeordnete, das Table.Briefings vorliegt. Hunderte Offizieranwärter, die nicht befördert werden könnten und lange Wartezeiten bei Einweisungen demotivierten das Personal der Bundeswehr so sehr, dass sogar Kündigungen drohten, heißt es in dem Schreiben. Und das in einer Zeit, in der die Bundeswehr händeringend nach Nachwuchs sucht, um die Zielmarke von 203.300 aktiven Soldatinnen und Soldaten bis 2031 zu erreichen. Mit dieser Warnung fordert der Verband zu Beginn der parlamentarischen Beratungen des Bundeshaushalts mehr Geld für das Personal. Der Haushalt soll am 23. November vom Bundestag verabschiedet werden.
Der Haushalt 2025 müsse deswegen aus Sicht des Bundeswehrverbandes im Verteidigungsetat um den Betrag von etwa 165 Millionen Euro gesteigert werden. Es brauche mindestens 2.304 zusätzliche Planstellen und 4.450 Planstellenhebungen, also Beförderungen mit einem höheren Gehalt. Stattdessen sei der Stellenumfang im Vergleich zu 2024 sogar um 45 Planstellen reduziert worden.
Dass die Bundeswehr ein Personalproblem hat, ist kein Geheimnis. Richten soll es jetzt Oda Döring, seit April dieses Jahres Abteilungsleiterin für Personal im Verteidigungsministerium. Am Dienstag äußerte sie sich bei einer Veranstaltung der FDP-Bundestagsfraktion erstmals öffentlich zu ihren Plänen und präsentierte genaue Zahlen und bestätigte, was der Bundeswehrverband in seinem Schreiben behauptet: Nicht bei allen Offizieranwärtern sei die Beförderung zum Leutnant gesichert.
“Wenn die Lage so bleibt, wird man nicht weiter wachsen können aufgrund der haushälterischen Situation”, sagte Döring. Um wie viel mehr der Verteidigungshaushalt dafür aufwachsen müsse, wollte sie allerdings nicht genau beziffern, auch, um die laufenden Haushaltsberatungen nicht zu gefährden.
Derzeit hat die Bundeswehr rund 171.000 Berufs- und Zeitsoldaten, also für die Planung bis 2031 einen Bedarf von 23.000 zusätzlichen Männern und Frauen. Aber es gibt nicht mehr als 20.000 vakante Dienstposten. “Die könnten wir aktuell nicht bezahlen”, sagt Döring. wp
Für die geplante Stationierung einer deutschen Kampfbrigade in Litauen werden nun auch die nötigen verwaltungstechnischen Vorkehrungen getroffen: Verteidigungsminister Boris Pistorius und sein litauischer Kollege Laurynas Kasčiūnas wollen am Freitag in Berlin ein Regierungsabkommen “über die Zusammenarbeit im Verteidigungsbereich” unterzeichnen.
Darin werden auf fast 50 Seiten Details von der deutschen Hoheit über die geplanten Bundeswehr-Liegenschaften in dem baltischen Land über zoll- und steuerrechtliche Bestimmungen bis zu Schulen für die Kinder von Bundeswehrangehörigen geregelt.
Das Abkommen ergänzt die Vorschriften im Nato-Truppenstatut, das für beide Länder als Mitglieder des Bündnisses gilt, um umfangreiche Einzelregelungen. Der Bundeswehr wird unter anderem das Hausrecht in den von ihnen exklusiv genutzten Bereichen übertragen. Zudem verzichtet Litauen auf Miet- oder Pachtkosten für das Gelände, das den deutschen Streitkräften zur Verfügung gestellt wird, und will im Wesentlichen die Bau-, Entwicklungs- und Sanierungskosten übernehmen. Für dienstliche Beschaffungen wird die Bundeswehr von der litauischen Mehrwertsteuer befreit.
Die litauische Regierung wird zudem, wie zuvor bereits angekündigt, die Kosten für deutschsprachige Kindergärten und Schulen übernehmen. In den beiden Großstädten Vilnius und Kaunas sollen dafür Einrichtungen zur Verfügung gestellt und gegebenenfalls auch gebaut werden. Ein deutscher Radiosender wird ebenfalls zugelassen: Der Bundeswehr-Betreuungssender Radio Andernach kann eine Sendestation “mit begrenzter terrestrischer Reichweite” nutzen.
Das Abkommen enthält auch eine Regelung, die Litauen zwar nichts kostet, aber eine sichtbare Ausnahme von der Regierungspolitik bedeutet: In deutschen Einrichtungen im Land, “die ausschließlich für die deutsche Nutzung bestimmt sind, gelten für den Verkauf, Erwerb und Genuss von alkoholischen Getränken deutsche Rechtsvorschriften und militärische Vorschriften”, heißt es in der Vereinbarung. Im Land gelten sonst strenge Regelungen, die vor allem den Verkauf alkoholischer Getränke wochentags nach 20 Uhr und am Wochenende nach 15 Uhr untersagen. Die Regelung, auch das vermerkt die Vereinbarung, ist “jedoch beschränkt auf deutsche Staatsangehörige.”
Die geplante Panzerbrigade 45 soll ab 2027 in Litauen einsatzbereit sein und die Verstärkung für den Nato-Partner an der Ostflanke des Bündnisses demonstrieren. Dafür werden rund 5.000 Soldaten und Soldatinnen dauerhaft in dem baltischen Land stationiert und sollen für den mehrjährigen Einsatz auch ihre Angehörigen mitnehmen können. tw
New Yorker: Russia’s Espionage in the Arctic. Seit Jahren nutzt Moskau die norwegische Stadt Kirkenes, die nahe der im Nordwesten Russlands stationierten Marineeinheiten mit Nuklearwaffen liegt, als Labor, um dort nachrichtendienstliche Operationen zu testen, bevor es sie in anderen Teilen Europas nachahmt.
European Union Institute for Security Studies: How the EU can navigate a power political world. Kurz bevor Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ihre neue Kommission vorstellt, veröffentlicht das EU Institute for Security Studies zehn Ideen, wie die EU ihr Denken, Arbeiten und Handeln verändern kann. Dazu zählt eine veränderte Europäische Nachbarschaftspolitik genauso wie ein Umdenken mit Blick auf China. Die Ideen bezeichnet das Institut als “ehrgeizig, aber umsetzbar”.
Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik: Das Ende der Wende? Ein Replik auf Benjamin Tallis. Karl-Heinz Kamp, Associate Fellow bei der DGAP, stellt die These von Benjamin Tallis, Senior Research Fellow und Leiter des zweijährigen Projekts “Aktionswerkstatt Zeitenwende” bei der DGAP, infrage, dass die Zeitenwende gescheitert sei. Kamp argumentiert, dass seit Februar 2022 sicherheitspolitische Veränderungsprozesse in Gang gesetzt wurden, die sich zuvor keiner vorstellen konnte.
Stellen Sie sich vor, Sie wollen Geld anlegen und lassen sich dazu bei Ihrer Bank beraten. Sie entscheiden sich für einen Fonds mit Nachhaltigkeitszertifikat. Später stellen Sie fest, dass dieser nachhaltige Fonds nicht nur Aktien von Gas- und Atom-Konzernen enthält, sondern auch von Waffenherstellern. Und das ganz legal.
Verkehrte Welt? Wenn es nach der Bundesregierung geht, könnte dies bald Normalität sein. Im Entwurf ihres Strategiepapiers zur Stärkung der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie (SVI) heißt es: “Die Anforderungen der Zeitenwende einerseits und die Signalwirkung von Environmental, Social and Corporate Governance (ESG)-Kriterien auf den Zugang der SVI zum Finanzmarkt andererseits müssen in Einklang gebracht werden.” Soll wohl heißen: Das ESG-Label soll helfen, mehr Anleger für die militärische Zeitenwende zu finden.
Durch diese Entwicklung wird Nachhaltigkeit ein Buzzword der Beliebigkeit. Als Vorständin der GLS Bank kann ich nur davor warnen. Mit meinem Verständnis von Nachhaltigkeit im Sinne einer ökologischen und sozialen, generationengerechten Zukunftsfähigkeit hat das nichts mehr zu tun. Die Produktion von Waffen, ihr Export und ihr Einsatz sind nicht nachhaltig! Krieg ist nicht nachhaltig. Und Dividenden aus zur Kriegsführung hergestellten Gütern können nicht nachhaltig sein.
Sie generieren ein wirtschaftliches Interesse, den Umsatz von Rüstungsgütern zu erhöhen. Die Idee, dass nur so viele Waffen produziert werden, wie es zur Verteidigung braucht, wird ad absurdum geführt. Dieses System wollen wir nicht unterstützen. Deswegen schließt die GLS Bank Investitionen in Rüstung in ihrem sozial-ökologischen Bankgeschäft konsequent aus.
Infolge der russischen Aggression gilt ein neues Paradigma in der Sicherheitspolitik, das da heißt: Aufrüstung bringt Sicherheit. Um die vielen Milliarden Euro für Rüstungsgüter aufzubringen, forderte EU-Kommissarin Mairead McGuinness deshalb schon vergangenes Jahr, nachhaltige Finanzen sollten im Einklang mit erleichtertem Kapitalzugang für die europäische Verteidigungsindustrie stehen. Ein Beispiel von vielen, das den Paradigmenwechsel deutlich macht.
Die Europäische Investitionsbank (EIB), die einen Großteil ihrer Investitionen in die grüne Transformation steckt, revidierte im Mai dieses Jahres ihre Vorgaben zu sogenannten Dual-Use-Gütern. Diese können sowohl militärisch als auch zivil genutzt werden. Die EIB plant jährlich sechs Milliarden Euro für den Bereich Sicherheit und Verteidigung bereitzustellen. Das verlautete im Juni aus dem Finanzausschuss des Bundestages. Die bisherige Vorgabe, dass EIB-finanzierte Projekte nur zur zivilen Nutzung bestimmt sein sollen, entfällt.
Ich möchte betonen: Wenn Regierungen in Sicherheit und Verteidigung ihres Territoriums und ihrer Bürger investieren, erfüllen sie ihre ureigene Aufgabe. Laut Grundgesetz hat der deutsche Staat in Form von Polizei und Bundeswehr das Macht- und Gewaltmonopol inne. Der Export von “zur Kriegsführung bestimmter Waffen” ist dabei verboten (Artikel 26). Unter strengen gesetzlichen Regelungen sind Exporte durch den Staat dennoch möglich, nachdem er die militärische Ausrüstung selbst eingekauft hat. Private Rüstungsunternehmen handeln also immer in staatlichem Auftrag. Sie tragen dadurch nicht das übliche unternehmerische Risiko wie etwa Konsumunternehmen.
Vor diesem Hintergrund ist es absurd, wenn über eine Nachhaltigkeitskennzeichnung privates Kapital für die Waffenindustrie gesammelt wird, die am Ende dieses staatlich abgesicherten Handels privatwirtschaftliche Gewinne abschreibt. Und das in großem Stil: Deutschland gehört zu den fünf größten Rüstungsexporteuren. Sowohl Privatpersonen als auch institutionelle Investoren können Aktien börsennotierter Rüstungsunternehmen kaufen. Sie profitieren von steigenden Kursen und Dividenden. Sie bereichern sich also über ein Finanzprodukt am Krieg. Das ist schon jetzt möglich und muss nicht auch noch durch ein ESG-Label aufgewertet werden.
Wenn unsere Nachhaltigkeitskriterien im Interesse einer neuen Verteidigungspolitik umgestaltet werden, hat das große Auswirkungen auf den Schutz von Anlegern. Mir fehlt ein kritischer Diskurs darüber, dass hier eine Marktstruktur geschaffen werden soll, in der ich als Privatperson Renditen aus Investitionen in Munition oder Panzer erhalte und dies im gleichen Sinne nachhaltig sein soll wie eine Investition in einen Windpark oder Biolandwirtschaft.
Es geht aber noch weiter. Bei einem Panzer mag es offensichtlich sein, aber es gibt auch die Dual-Use-Güter. Das sind Produkte, die sowohl militärisch als auch zivil verwendet werden können. Spätestens hier wird es für Anlegende nahezu unmöglich einzuschätzen, wie ihr Geld wirkt.
Wir orientieren uns in unserem Handeln an der Friedenslogik: Frieden entsteht niemals durch Krieg. Unseren Beitrag als GLS Bank sehen wir in dieser Situation in Investitionen in eine Friedenswirtschaft. Eine Wirtschaft also, die sich an den Grundbedürfnissen von Menschen ausrichtet wie: bezahlbarer Wohnraum, erneuerbare Energien, kultureller Austausch und Bildung.
Statt privater Investitionen in Rüstungsgüter braucht es klare Signale für mehr private Investitionen in diese Wirtschaftszweige, die unser aller Zukunft mitgestalten. Immerhin benötigen wir hier, je nach Einschätzung, 50 bis 70 Milliarden Euro. Pro Jahr. Ein Nachhaltigkeitsbegriff, der mit Waffen aufgeweicht wird, untergräbt nicht nur den Verbraucherschutz, sondern gefährdet im Zweifel auch dringende Kapitalströme in eine zukunftsfähige Wirtschaftsstruktur. Darum mein Appell der Aufgabenteilung: Der Staat kümmert sich um Verteidigung, und wir finanzieren die Privatwirtschaft der Zukunft.
Aysel Osmanoglu ist Vorstandsprecherin der GLS Bank und verantwortet die Ressorts Strategie und Entwicklung, Menschen und Wertekultur, Kommunikation, Gesamtbanksteuerung und die Kreditsicherung. Sie hat Volks- und Betriebswirtschaftslehre in Heidelberg und Frankfurt am Main studiert und ist diplomierte Bankbetriebswirtin.
Michael Ohnmacht, bislang Deutschlands Botschafter in Libyen, ist neuer Leiter der Delegation der Europäischen Union in Syrien. Der 54 Jahre alte Diplomat tritt die Nachfolge des Rumänen Dan Stoinescu an, der das EU-Syrien-Büro seit 2021 geleitet hatte. Ohnmacht steht seit 1998 in Diensten des Auswärtigen Amts und bekleidete Posten unter anderem in Ramallah, Beirut, Paris, Riad und Tripolis. Da es unter dem Regime Baschar al-Assads seit 2012 keinen akkreditierten EU-Missionsleiter in Damaskus mehr gibt, wird die Delegation von einem Chargé d’Affaires geleitet, mit Büros in Beirut, Amman und Brüssel. Die EU hat ihre bilaterale Zusammenarbeit mit Syrien wegen des Vorgehens der Armee Assads im Mai 2011 abgebrochen, Deutschland und andere Staaten ihre diplomatischen Beziehungen zu der Diktatur in Damaskus ein Jahr später beendet. Diesen Juli jedoch beschloss die italienische Regierung Giorgia Melonis, wieder einen Botschafter nach Syrien zu entsenden. mrb
Als erster Krieg des 21. Jahrhunderts wurde der Kosovo-Krieg vor einem Vierteljahrhundert bezeichnet. Und das, obwohl prägende Merkmale wie hybride Kriegsführung, Einsatz bewaffneter Drohnen und Cyber-Attacken beim Angriff der Nato auf Ziele in Serbien und der nach Unabhängigkeit von Belgrad strebenden Provinz keine Rolle spielten. Wilfried von Bredow konstatiert in seinem instruktiven Band denn auch: “Die Wende vom 20. zum 21. Jahrhundert bedeutet also keine tiefe Zäsur in der Geschichte von Kriegen.”
Prägender für die ersten beiden Jahrzehnte des neuen Jahrhunderts seien die Terroranschläge des 11. September in den USA gewesen, weil in deren Folge weitere Kriege begannen – und mit George W. Bushs “Kampf gegen den Terror” deren Deterritorialisierung begann. Der Politologe von Bredow spannt historisch einen weiten Bogen vom Ersten Weltkrieg bis zu Russlands Kriegen in Tschetschenien, Georgien und der Ukraine.
Thematisch fächert er auf, welche rüstungstechnologischen Neuerungen die neuen Kriege von denen vergangener Jahrhunderte unterscheiden – und wie Terrorismus und private Militärfirmen dafür gesorgt haben, dass Krieg mehr denn je als Geschäftsmodell für sinistre Machthaber dient, staatliche wie nichtstaatliche. mrb
Wilfried von Bredow: Kriege im 21. Jahrhundert – Wie heute Kriege geführt werden, Bebra Verlag, Berlin, 2024, 280 Seiten, 28 Euro.
er wäre der erste Nichtdeutsche an der Spitze der Münchner Sicherheitskonferenz: Jens Stoltenberg. Der scheidende Nato-Generalsekretär soll auf den amtierenden MSC-Vorsitzenden Christoph Heusgen folgen. Der hatte den Posten erst 2022 von Wolfgang Ischinger übernommen – und will ihn nach Table.Briefings-Informationen nicht freiwillig für den 65-jährigen Norweger räumen. Die Einzelheiten zum Machtkampf an der Spitze der MSC hat unser Chefredakteur Michael Bröcker.
Am Sonntag bricht Bundeskanzler Olaf Scholz nach Usbekistan auf, wo er unter anderem ein Migrationsabkommen mit der Regierung in Taschkent unterzeichnen will. Weshalb die an Afghanistan angrenzende zentralasiatische Republik geostrategisch nicht nur für Deutschland eine immer wichtigere Rolle spielt, erläutert Philipp Jahn von der Friedrich-Ebert-Stiftung im Interview mit meinem Kollegen Viktor Funk.
219 Tote hat das UN-Hilfswerk für palästinensische Flüchtlinge im Nahen Osten (Unrwa) seit dem Terrorüberfall der Hamas auf Israel vor elf Monaten zu beklagen. Warum die Angriffe auf humanitäre Helfer Israels wichtigste Verbündete in den USA, Großbritannien und Deutschland immer mehr empören, weiß Markus Bickel.
Ihnen eine aufschlussreiche Lektüre,
Nach dem Tod von sechs Mitarbeitern des Hilfswerks der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge (Unrwa) bei einem israelischen Luftangriff im Gazastreifen am Mittwoch wächst die Kritik an der israelischen Kriegsführung. “Humanitäre Helfer dürfen niemals Opfer von Raketen werden”, schrieb das Auswärtige Amt am Donnerstag auf der Plattform X. “Israels Armee hat die Verantwortung, UN-Mitarbeiter und Helfer zu schützen.” Die Unrwa leiste “lebenswichtige Hilfe”, der Tod ihrer “Mitarbeiter in einer Schule in Nuseirat ist völlig inakzeptabel.”
Zuvor hatte bereits UN-Generalsekretär António Guterres den Beschuss der Schule als “völlig inakzeptabel” bezeichnet; die Vereinten Nationen verlangten eine unabhängige Untersuchung des Angriffs. Am Donnerstag erklärte US-Außenminister Antony Blinken; “Wir müssen dafür sorgen, dass die humanitären Stätten geschützt werden, und das ist ein Thema, das wir gegenüber Israel immer wieder ansprechen.” Der britische Außenminister David Lammy bezeichnete den Vorfall als “entsetzlich” und forderte eine Waffenruhe im Gazastreifen. Die israelischen Streitkräfte gaben an, dass drei der getöteten Unwra-Mitarbeiter Angehörige der Terrororganisation Hamas gewesen seien,
Neben den Unrwa-Mitarbeitern kamen zwölf weitere Menschen auf dem Gelände der al-Jaouni-Schuli in Nuseirat ums Leben. 12.000 Menschen sollen sich auf dem Gelände aufgehalten haben, das seit Beginn des Gaza-Kriegs am 7. Oktober vergangenen Jahres wiederholt Ziel israelischer Luftangriffe geworden war. Im Juni befreiten die Israel Defense Forces (IDF) hier vier von der Hamas festgehaltene israelische Geiseln – nach Angaben des von der islamistischen Terrororganisation kontrollierten Gesundheitsministeriums kamen dabei 274 Menschen ums Leben, die israelische Armee sprach von 100.
Außenminister Annalena Baerbock hatte bereits bei ihrem Besuch in Israel vergangene Woche das Vorgehen der israelischen Streitkräfte scharf kritisiert. “Gerade weil wir das Kalkül der Hamas durchbrechen müssen, irritiert es mich, wenn Mitglieder der israelischen Regierung selbst fordern, im Westjordanland genauso vorzugehen wie in Gaza”, sagte sie nach einem Treffen mit ihrem Amtskollegen Israel Katz. “Genau das gefährdet die Sicherheit Israels.”
Seit dem Terrorüberfall der Hamas auf Gemeinden rund um den Gazastreifen im vergangenen Oktober sind im Westjordanland mehr als 650 Palästinenser getötet worden, durch israelische Streitkräfte oder militante Siedler. Zudem hat das israelische Militär nach Angaben der Vereinten Nationen seitdem 55 Luftangriffe auf das seit 1967 von Israel besetzte Gebiet durchgeführt.
In den vergangenen Wochen hat Israel seine Angriffe gegen Hamas und Islamischen Dschihad im Norden des besetzten Westjordanland ausgeweitet. “Terror bekämpft man nicht, indem Straßen aufgerissen und Wasserleitungen zerstört werden”, kritisierte Baerbock bei ihrem Israel-Besuch. “Nichts ist gewonnen, wenn sich eine neue Generation radikalisiert, weil sie der Zerstörung vor ihrer Haustür zuschauen muss.”
Doch nicht nur die Bundesregierung drängt auf mehr Zurückhaltung seitens der israelischen Armee im Westjordanland. Auch der wichtigste Unterstützer der Regierung Ministerpräsident Benjamin Netanjahus, die USA, hat ihren Ton verschärft nachdem die US-amerikanischen Friedensaktivistin Aysenur Eygi vergangene Woche am Rande einer Demonstration im Westjordanland durch israelische Soldaten getötet wurde. Am Mittwoch forderte Präsident Joe Biden “volle Rechenschaftspflicht” seitens Israels; die Erklärungen der IDF zum Tathergang würfen “berechtigte Fragen auf”.
Das UN-Hilfswerk für die palästinensischen Flüchtlinge im Nahen Osten sieht sich immer wieder scharfer Kritik ausgesetzt; Ende Januar entließ Unrwa-Generalkommissar Philippe Lazzarini neun Mitarbeiter, denen Unterstützung bei den Vorbereitungen des Terrorangriffs der Hamas auf Israel vorgeworfen worden war. Deutschland und 15 weitere Staaten hatten daraufhin ihre Zahlungen an die Unrwa ganz oder teilweise ausgesetzt.
Nach Vorlage zweier Prüfungsberichte, die die Arbeit der in Gaza 13.000 Mitarbeiter zählenden Organisation untersuchten, nahm die Bundesregierung im April die Finanzierung wieder auf. Sie beträgt in diesem Jahr 110 Millionen Euro und kommt nicht nur palästinensischen Flüchtlingen in Westjordanland und Gazastreifen, sondern auch im Libanon, Syrien und Jordanien zugute. 2023 waren es noch 190 Millionen, davon 81 Millionen für Lebensmittel im Gazastreifen. Der größte Geber, die USA, planen erst im März 2025 ihre Zahlungen wieder aufzunehmen.
Herr Jahn, ist die erste Reise des Bundeskanzlers Olaf Scholz nach Zentralasien ein Zeichen dafür, dass diese Region nun in den geopolitischen Fokus Deutschlands und der EU gerät?
Vor Februar 2022, bevor Russland die Ukraine vollständig angegriffen hatte, war Zentralasien selten ein Thema in der Außenpolitik Deutschlands. Das ist jetzt anders, es ist in die Nähe Europas gerückt und das hat nicht nur mit dem russisch-ukrainischen Krieg zu tun.
Er spielt aber eine wichtige Rolle, wenn es um Kirgistan, Usbekistan, Kasachstan geht. In die Länder sind ja viele Menschen aus Russland geflohen, die entweder aus Überzeugung den Krieg ablehnen oder zumindest nicht aktiv daran beteiligt sein wollen. Wie blicken denn die Menschen in den Ländern selbst auf den Krieg?
Der Blick ist vielschichtiger. Es gibt viele Themen, die dabei eine Rolle spielen, etwa die eigene Geschichte der Kolonisierung durch Russland, das Alter der Menschen, alte Banden etwa von sowjetisch geprägten politischen Eliten, der Handel nach Russland, Arbeitsmigration und viele mehr. Nicht repräsentativ, aber interessant: Manche Taxifahrer werfen mir vor, der Westen habe den Krieg angefangen, andere sind deutlich Moskau-kritischer.
Weil Sie die Kolonialgeschichte ansprechen: Gibt es die Sorge vor Ort, dass Russland wieder mehr Einfluss auf die Region nimmt?
In Kirgistan und Usbekistan weniger, da gibt es ja keine direkte Nachbarschaft. Zudem scheint etwa Kirgistan einen eher positiven Blick auf Moskau zu haben. In Kasachstan mit einer langen Grenze zu Russland ist die Sensibilität größer. Grundsätzlich muss man in Europa aber erkennen, dass jeder Staat hier in der Region seine eigenen Interessen verfolgt. Sie versuchen nicht in starke Abhängigkeiten von einem großen Nachbarn zu geraten, verfolgen eine sogenannten multivektorale Außenpolitik. Trotzdem sind China und Russland durch die Lage und durch die Größe und Handelsmacht für die zentralasiatischen Staaten sehr wichtige Partner.
Für Deutschland ist Usbekistan wichtig, weil das Land eine direkte Grenze zu Afghanistan hat und die Bundeswehr dort 13 Jahre lang den Lufttransportstützpunkt in Termez benutzt hat. Wie sind die Beziehungen zwischen Taschkent und Kabul?
Die Geografie hat hier viel Einfluss darauf. Unabhängig davon, wer in Kabul regiert, muss sich Usbekistan mit dem Nachbarn beschäftigen. Ein wichtiges Thema ist die Wasserdiplomatie, die Taliban wollen mit einem Kanal vom Grenzfluss Amudarja Wasser entnehmen, das birgt Konfliktpotenzial. Islamischer Extremismus ist ein Thema, das hier in der Region viele beschäftigt, Migration, Transport von Waren – die Macht des Faktischen wirkt hier so, dass irgendeine Art von Zusammenarbeit mit den Taliban nötig ist für Usbekistan.
Können Sie erläutern, wie sich das bei Ihnen direkt zeigt?
Zwei Beispiele kann ich geben: Wenn Sie mit Logistikern etwa in Taschkent sprechen, dann sagen sie Ihnen, dass sie ihre Ware durch Afghanistan gerade schneller transportieren können als durch andere Staaten in der Region. Sie müssen nur einen gewissen Aufpreis zahlen. Das andere Beispiel ist, dass wir als Friedrich-Ebert-Stiftung hier vor Ort von den lokalen Partnern viele Anfragen zu Programmen in Bezug auf Afghanistan erhalten. Es gibt hier an privaten westlichen Universitäten zudem viele Afghanen, die mit westlichen Stipendien aus den USA oder Europa studieren. Afghanistan ist hier ein Dauerthema und wird immer größer.
Wenn Bundeskanzler Scholz nach Usbekistan kommt, wird Afghanistan eine Rolle spielen, etwa für Abschiebungen von Afghanen aus Deutschland?
Dass Afghanistan eine Rolle spielen wird, da bin ich mir sicher. Nur das Thema Abschiebungen – dazu weiß ich nichts. Es gibt zahlreiche zwischenstaatliche Beziehungen zwischen Usbekistan und Afghanistan, wie schon gesagt, da zwingt die Lage beiden Staaten irgendeine Art von Zusammenarbeit auf. Außerdem haben Kasachstan und Kirgistan die Taliban gerade erst von der Liste verbotener Organisationen gestrichen, nachdem das auch schon Moskau Anfang des Sommers getan hat.
Für viele Usbeken und Kirgisen war Russland lange ein wichtiges Ziel, um Arbeit zu finden. Wie ist es jetzt, da Russland auch eine immer restriktivere Politik gegen Migranten aus Zentralasien verfolgt?
Wir kriegen immer mehr mit, dass auch in Europa die Nachfrage nach Arbeitskräften aus der Region steigt, nach Lastwagenfahrern etwa. Aber auch die Golfstaaten werben hier. Interessanterweise kommen aber auch Menschen aus noch ärmeren Gegenden als Arbeitskräfte, etwa aus Bangladesch. Sehr zugespitzt könnte man sagen, dass Polen nach Großbritannien gehen, Usbeken nach Polen und Bangladeschi nach Usbekistan. Insofern dürfte das Thema Migration sicherlich auch eine Rolle beim Besuch des Kanzlers spielen. Und immerhin ist Deutschland der zweitgrößte bilateraler Geldgeber von Zentralasien, nach den USA.
Philipp Jahn (45) ist Leiter des FES-Büros für Kirgistan und Usbekistan mit Sitz in Bischkek. Zuvor leitete er das FES-Büro in Khartum, Sudan.
Der scheidende Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg soll neuer Vorsitzende der Münchner Sicherheitskonferenz (MSC) werden. Das berichteten am Donnerstag zunächst das Nachrichtenportal Politico und das Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND); auch Table.Briefings gegenüber wurde die Personalie bestätigt. Demnach soll der amtierende MSC-Vorsitzende Christoph Heusgen die Konferenz kommenden Februar zum letzten Mal leiten.
Auf X schrieb die MSC am Donnerstagabend: “Bezüglich der aktuellen Medienberichterstattung über die Position des MSC-Vorsitzenden möchten wir Sie darauf hinweisen, dass die Münchner Sicherheitskonferenz Entscheidungen über Personal- und Vorstandsangelegenheiten erst dann öffentlich kommentiert, wenn wir etwas zu verkünden haben. Bitte bleiben Sie auf dem Laufenden.”
Christoph Heusgen, früherer Spitzendiplomat und langjähriger Berater von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), hat den Posten an der Spitze der MSC erst 2022 von Wolfgang Ischinger übernommen. Mit dem Norweger Stoltenberg hätte erstmals kein Deutscher den Vorsitz der wichtigsten sicherheitspolitischen Konferenz in Europa inne, die 1963 als Internationale Wehrkunde-Begegnung gegründet und bis 1993 als Münchner Wehrkunde-Tagung fortgeführt worden war. “Fehlendes Charisma”, um die Konferenz nach Außen zu vertreten, sollen mit dem Machtkampf an der Spitze der MSC Vertraute als entscheidenden Grund für die bevorstehende Ablösung Heusgens genannt haben.
Freiwillig will Heusgen seinen Posten allerdings nicht räumen, wie Table.Briefings aus MSC-Kreisen erfuhr. Nach Informationen der Süddeutschen Zeitung soll der Stiftungsrat nun in einer Sitzung am 25. September über den MSC-Chefposten entscheiden, nachdem Heusgen Widerspruch gegen eine von Ischinger bereits am Samstag geplante Abstimmung eingelegt hatte. Im Umlaufverfahren hatte sich bereits eine Mehrheit des achtköpfigen Sitzungsrats für Stoltenberg ausgesprochen.
Der ehemalige Merkel-Berater sei unter anderem mit Interviews “angeeckt” und “einigen Leuten auf die Nerven gegangen”, heißt es. So hatte Heusgen das israelische Vorgehen im Gazastreifen kritisiert und sich in einem ZDF-Interview hinter UN-Generalsekretär António Guterres gestellt, der Israel eine “erdrückende Besatzung” vorgeworfen und gesagt hatte, die blutigen Angriffe der Terrormiliz Hamas auf Israel am 7. Oktober hätten “nicht im luftleeren Raum” stattgefunden.
Israels Regierung zeigte sich daraufhin empört. Intern sollen führende Vertreter der israelischen Regierung die Ablösung Heusgens gefordert haben. Die Bundesregierung unterstützt die Konferenz mit jährlich mehr als einer Million Euro. Im Stiftungsrat, in dem die Bundesregierung durch Kanzleramts-Chef Wolfgang Schmidt vertreten wird, wuchs der Widerstand. Präsident des Gremiums ist der langjährige Vorsitzende Ischinger. Auch die Bundesregierung wurde von Heusgen wegen ihrer angeblich zu geringen Verteidigungsausgaben immer wieder öffentlich kritisiert. Gegenüber Mitgliedern des Gremiums soll der scheidende Nato-Chef Stoltenberg im Sommer am Rande des Nato-Gipfels angedeutet haben, dass er sich ein Engagement bei der MSC vorstellen könne. Diese Chance, einen früheren Regierungschef und Nato-Generalsekretär zu holen, dürfe man sich nicht entgehen lassen, hieß es.
Nur Helga Maria Schmid soll sich im achtköpfigen Stiftungsrat nach Table.Briefings-Informationen enthalten haben, als es um den Personalwechsel ging; die Generalsekretärin der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) gilt als Vertraute Heusgens. Das Angebot Ischingers, in den prominent besetzten Beraterkreis der MSC, das Advisory Council, zu wechseln, soll Heusgen abgelehnt haben.
Auch CDU-Chef Friedrich Merz, zu dem der Merkel-Mann Heusgen nicht gerade das beste Verhältnis hat, soll in den Personalwechsel eingebunden gewesen sein. Heusgen hatte bei der vergangenen Konferenz den globalen Süden in den Fokus gerückt, aber auch US-Vizepräsidentin Kamala Harris geholt. Mit Stoltenberg dürfte der transatlantische Fokus der Konferenz noch stärker werden. Heusgen und Ischinger wollten keinen Kommentar abgeben.
Der 69 Jahre alte Heusgen pochte im Krieg Russlands gegen die Ukraine früh darauf, Verhandlungen zu führen und zu einer Lösung nach dem Vorbild des Minsker Abkommens zu kommen. Vor allem in US-amerikanischen Kreisen galt Heusgen unter anderem aufgrund dieser Herangehensweise nicht als ideale Besetzung. Mit Stoltenberg, so die Hoffnung, bekäme die Münchner Sicherheitskonferenz jemanden, der die Dringlichkeit und das Verständnis für den Konflikt mitbrächte, und die MSC zu einem Forum ausbauen könnte, auf dem verbindliche Abkommen geschlossen werden könnten. Bislang dient die MSC als Dialogplattform für informelle Gespräche von hochrangigen Politikern und Experten.
Stoltenberg übergibt sein Amt als Nato-Generalsekretär am 1. Oktober an den früheren niederländischen Regierungschef Mark Rutte. Der Norweger steht seit zehn Jahren an der Spitze des westlichen Verteidigungsbündnisses; von 2000 bis 2001 sowie von 2005 bis 2013 war norwegischer Ministerpräsident. Dabei hatte er sein Land 2011 auch durch die schwierige Zeit nach den Anschlägen im Osloer Regierungsviertel und auf der Insel Utøya geführt, bei denen der Rechtsterrorist Anders Behring Breivik insgesamt 77 Menschen tötete. brö/tw
Rumänien und Lettland wollen weiterhin zurückhaltend auf russische Drohnen im eigenen Luftraum reagieren. Die Drohnen abschießen wolle Rumänien nicht, erklärte Außenministerin Luminița Odobescu im Gespräch mit Table.Briefings. “Wir reagieren auf diese Provokation auf ganz ruhige Weise, aber zeigen trotzdem, dass wir vorbereitet sind. Grund zu glauben, dass wir explizites Ziel der Angriffe sind, gibt es nicht.”
Auch Moldaus Premierminister Dorin Recean sagte, dass Vorfälle mit russischen Drohnen an der Grenze zur Ukraine zugenommen hätten. Er betonte, Moldau sei sicher, “wichtig ist aber, dass Deutschlands Unterstützung für die Ukraine nicht abbricht, denn dies bestimmt auch die Sicherheit Moldaus. Die Ukraine verteidigt nicht sich selbst allein, sondern die Zukunft der gesamteuropäischen Sicherheit.”
In der Nacht zu Sonntag hatte eine russische Drohne den Süden Rumäniens überflogen, woraufhin die rumänische Luftwaffe zwei ihrer F-16-Kampfjets losgeschickt hatte. Am Dienstag wurde bekannt, dass die Drohne, die am Montag über Belarus in den lettischen Luftraum eingedrungen und über der Stadt Rezekne abgestürzt war, mit Sprengstoff versehen war.
Lettlands Verteidigungsminister Andris Sprūds hatte die Nato am Mittwoch aufgefordert, die Sicherheit des lettischen Luftraums zu stärken. Das Bündnis solle seine Präsenz im Land sowohl durch verstärkte Abschreckungsmaßnahmen als auch durch die Einführung eines aktiven Nato-Luftverteidigungsmodells aufstocken. Dies hatten die Bündnispartner auf dem Nato-Gipfel in Washington im Juli vereinbart.
Die Umsetzung der Vorhaben aus dem Sommer und die Sicherung des Luftraums der Nato-Partner wird die am Freitag beginnende Klausurtagung des Nato-Militärausschusses in Prag prägen. Seit Russlands Vollinvasion in der Ukraine wurden mehrfach russische Drohnensplitter und Raketen auf dem Gebiet der Alliierten gefunden.
“Diese Handlungen sind unverantwortlich und potenziell gefährlich”, teilte eine Nato-Beamtin mit. “Die Bündnispartner werden sich weiterhin über weitere Schritte zum Schutz und zur Verteidigung des Bündnisgebiets beraten. Wir werden die Situation an der Seite der nationalen Behörden des Bündnisses weiterhin genau beobachten.” asc
Die Recherchen zu diesem Bericht fanden im Rahmen einer von der Europäischen Kommission geförderten Journalistenreise nach Moldau und Rumänien statt.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat während seiner Reise nach Ägypten die Rolle des Landes als Vermittler und Partner in den verschiedenen Konflikten in der Region hervorgehoben. “Ägypten ist ein wichtiger Partner, ein Vermittler, auch in Nahost”, sagte Steinmeier in einer Rede zur Eröffnung der German International University (GIU) am Donnerstag in der neuen ägyptischen Verwaltungshauptstadt Neu-Kairo. “Dabei verfolgen wir gemeinsame Ziele: das Leiden in Gaza endlich zu beenden, ein Abkommen über einen Waffenstillstand und die Freilassung der Geiseln zu erreichen und mit allen Kräften eine regionale Eskalation des Krieges zu verhindern”, sagte Steinmeier weiter.
Bereits bei einem gemeinsamen Statement am Mittwoch hatte Ägyptens Präsident Abdel Fattah Al-Sisi neben dem Gaza-Konflikt auf die Rolle Ägyptens beim Thema Migration hingewiesen: “In Ägypten leben neun Millionen Flüchtlinge, wir nennen sie nicht so, wir nennen sie Gäste.” Gleichzeitig habe Ägypten dafür gesorgt, dass “kein einziges Boot Ägypten in Richtung Europa” verlassen habe. Erst im Frühjahr hatte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ein Migrationsabkommen mit Ägypten geschlossen.
Ägypten ist einer der zentralen Vermittler im Gaza-Krieg zwischen Israel und der Hamas. Neben Katar haben die Ägypter Kontakte zur Hamas. Gleichzeitig ist Ägyptens Rolle bei der Kontrolle des Philadelphi-Korridors an der Südgrenze des Gazastreifens umstritten. Israel kontrolliert den Streifen seit diesem Frühjahr und will die Kontrolle auch nach den Kämpfen behalten. Ägypten wird vorgeworfen, den Schmuggel an der Grenze vor dem 7. Oktober nicht unterbunden zu haben.
Auch wenn Steinmeier in Ägypten bemüht war, freundliche Worte zu finden, so kann dies nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Beziehungen zwischen den beiden Ländern einige Brisanz bergen. So hat in Ägypten das Deutschlandbild infolge der Unterstützung für Israel gelitten. Sowohl al-Sisi wie auch Steinmeier hielten sich zumindest öffentlich mit Kritik an der Gaza-Politik der jeweils anderen Seite auffallend zurück. dre
Die Lage sei “dramatisch”: So formuliert es der Bundeswehrverband in einem Schreiben an Abgeordnete, das Table.Briefings vorliegt. Hunderte Offizieranwärter, die nicht befördert werden könnten und lange Wartezeiten bei Einweisungen demotivierten das Personal der Bundeswehr so sehr, dass sogar Kündigungen drohten, heißt es in dem Schreiben. Und das in einer Zeit, in der die Bundeswehr händeringend nach Nachwuchs sucht, um die Zielmarke von 203.300 aktiven Soldatinnen und Soldaten bis 2031 zu erreichen. Mit dieser Warnung fordert der Verband zu Beginn der parlamentarischen Beratungen des Bundeshaushalts mehr Geld für das Personal. Der Haushalt soll am 23. November vom Bundestag verabschiedet werden.
Der Haushalt 2025 müsse deswegen aus Sicht des Bundeswehrverbandes im Verteidigungsetat um den Betrag von etwa 165 Millionen Euro gesteigert werden. Es brauche mindestens 2.304 zusätzliche Planstellen und 4.450 Planstellenhebungen, also Beförderungen mit einem höheren Gehalt. Stattdessen sei der Stellenumfang im Vergleich zu 2024 sogar um 45 Planstellen reduziert worden.
Dass die Bundeswehr ein Personalproblem hat, ist kein Geheimnis. Richten soll es jetzt Oda Döring, seit April dieses Jahres Abteilungsleiterin für Personal im Verteidigungsministerium. Am Dienstag äußerte sie sich bei einer Veranstaltung der FDP-Bundestagsfraktion erstmals öffentlich zu ihren Plänen und präsentierte genaue Zahlen und bestätigte, was der Bundeswehrverband in seinem Schreiben behauptet: Nicht bei allen Offizieranwärtern sei die Beförderung zum Leutnant gesichert.
“Wenn die Lage so bleibt, wird man nicht weiter wachsen können aufgrund der haushälterischen Situation”, sagte Döring. Um wie viel mehr der Verteidigungshaushalt dafür aufwachsen müsse, wollte sie allerdings nicht genau beziffern, auch, um die laufenden Haushaltsberatungen nicht zu gefährden.
Derzeit hat die Bundeswehr rund 171.000 Berufs- und Zeitsoldaten, also für die Planung bis 2031 einen Bedarf von 23.000 zusätzlichen Männern und Frauen. Aber es gibt nicht mehr als 20.000 vakante Dienstposten. “Die könnten wir aktuell nicht bezahlen”, sagt Döring. wp
Für die geplante Stationierung einer deutschen Kampfbrigade in Litauen werden nun auch die nötigen verwaltungstechnischen Vorkehrungen getroffen: Verteidigungsminister Boris Pistorius und sein litauischer Kollege Laurynas Kasčiūnas wollen am Freitag in Berlin ein Regierungsabkommen “über die Zusammenarbeit im Verteidigungsbereich” unterzeichnen.
Darin werden auf fast 50 Seiten Details von der deutschen Hoheit über die geplanten Bundeswehr-Liegenschaften in dem baltischen Land über zoll- und steuerrechtliche Bestimmungen bis zu Schulen für die Kinder von Bundeswehrangehörigen geregelt.
Das Abkommen ergänzt die Vorschriften im Nato-Truppenstatut, das für beide Länder als Mitglieder des Bündnisses gilt, um umfangreiche Einzelregelungen. Der Bundeswehr wird unter anderem das Hausrecht in den von ihnen exklusiv genutzten Bereichen übertragen. Zudem verzichtet Litauen auf Miet- oder Pachtkosten für das Gelände, das den deutschen Streitkräften zur Verfügung gestellt wird, und will im Wesentlichen die Bau-, Entwicklungs- und Sanierungskosten übernehmen. Für dienstliche Beschaffungen wird die Bundeswehr von der litauischen Mehrwertsteuer befreit.
Die litauische Regierung wird zudem, wie zuvor bereits angekündigt, die Kosten für deutschsprachige Kindergärten und Schulen übernehmen. In den beiden Großstädten Vilnius und Kaunas sollen dafür Einrichtungen zur Verfügung gestellt und gegebenenfalls auch gebaut werden. Ein deutscher Radiosender wird ebenfalls zugelassen: Der Bundeswehr-Betreuungssender Radio Andernach kann eine Sendestation “mit begrenzter terrestrischer Reichweite” nutzen.
Das Abkommen enthält auch eine Regelung, die Litauen zwar nichts kostet, aber eine sichtbare Ausnahme von der Regierungspolitik bedeutet: In deutschen Einrichtungen im Land, “die ausschließlich für die deutsche Nutzung bestimmt sind, gelten für den Verkauf, Erwerb und Genuss von alkoholischen Getränken deutsche Rechtsvorschriften und militärische Vorschriften”, heißt es in der Vereinbarung. Im Land gelten sonst strenge Regelungen, die vor allem den Verkauf alkoholischer Getränke wochentags nach 20 Uhr und am Wochenende nach 15 Uhr untersagen. Die Regelung, auch das vermerkt die Vereinbarung, ist “jedoch beschränkt auf deutsche Staatsangehörige.”
Die geplante Panzerbrigade 45 soll ab 2027 in Litauen einsatzbereit sein und die Verstärkung für den Nato-Partner an der Ostflanke des Bündnisses demonstrieren. Dafür werden rund 5.000 Soldaten und Soldatinnen dauerhaft in dem baltischen Land stationiert und sollen für den mehrjährigen Einsatz auch ihre Angehörigen mitnehmen können. tw
New Yorker: Russia’s Espionage in the Arctic. Seit Jahren nutzt Moskau die norwegische Stadt Kirkenes, die nahe der im Nordwesten Russlands stationierten Marineeinheiten mit Nuklearwaffen liegt, als Labor, um dort nachrichtendienstliche Operationen zu testen, bevor es sie in anderen Teilen Europas nachahmt.
European Union Institute for Security Studies: How the EU can navigate a power political world. Kurz bevor Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ihre neue Kommission vorstellt, veröffentlicht das EU Institute for Security Studies zehn Ideen, wie die EU ihr Denken, Arbeiten und Handeln verändern kann. Dazu zählt eine veränderte Europäische Nachbarschaftspolitik genauso wie ein Umdenken mit Blick auf China. Die Ideen bezeichnet das Institut als “ehrgeizig, aber umsetzbar”.
Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik: Das Ende der Wende? Ein Replik auf Benjamin Tallis. Karl-Heinz Kamp, Associate Fellow bei der DGAP, stellt die These von Benjamin Tallis, Senior Research Fellow und Leiter des zweijährigen Projekts “Aktionswerkstatt Zeitenwende” bei der DGAP, infrage, dass die Zeitenwende gescheitert sei. Kamp argumentiert, dass seit Februar 2022 sicherheitspolitische Veränderungsprozesse in Gang gesetzt wurden, die sich zuvor keiner vorstellen konnte.
Stellen Sie sich vor, Sie wollen Geld anlegen und lassen sich dazu bei Ihrer Bank beraten. Sie entscheiden sich für einen Fonds mit Nachhaltigkeitszertifikat. Später stellen Sie fest, dass dieser nachhaltige Fonds nicht nur Aktien von Gas- und Atom-Konzernen enthält, sondern auch von Waffenherstellern. Und das ganz legal.
Verkehrte Welt? Wenn es nach der Bundesregierung geht, könnte dies bald Normalität sein. Im Entwurf ihres Strategiepapiers zur Stärkung der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie (SVI) heißt es: “Die Anforderungen der Zeitenwende einerseits und die Signalwirkung von Environmental, Social and Corporate Governance (ESG)-Kriterien auf den Zugang der SVI zum Finanzmarkt andererseits müssen in Einklang gebracht werden.” Soll wohl heißen: Das ESG-Label soll helfen, mehr Anleger für die militärische Zeitenwende zu finden.
Durch diese Entwicklung wird Nachhaltigkeit ein Buzzword der Beliebigkeit. Als Vorständin der GLS Bank kann ich nur davor warnen. Mit meinem Verständnis von Nachhaltigkeit im Sinne einer ökologischen und sozialen, generationengerechten Zukunftsfähigkeit hat das nichts mehr zu tun. Die Produktion von Waffen, ihr Export und ihr Einsatz sind nicht nachhaltig! Krieg ist nicht nachhaltig. Und Dividenden aus zur Kriegsführung hergestellten Gütern können nicht nachhaltig sein.
Sie generieren ein wirtschaftliches Interesse, den Umsatz von Rüstungsgütern zu erhöhen. Die Idee, dass nur so viele Waffen produziert werden, wie es zur Verteidigung braucht, wird ad absurdum geführt. Dieses System wollen wir nicht unterstützen. Deswegen schließt die GLS Bank Investitionen in Rüstung in ihrem sozial-ökologischen Bankgeschäft konsequent aus.
Infolge der russischen Aggression gilt ein neues Paradigma in der Sicherheitspolitik, das da heißt: Aufrüstung bringt Sicherheit. Um die vielen Milliarden Euro für Rüstungsgüter aufzubringen, forderte EU-Kommissarin Mairead McGuinness deshalb schon vergangenes Jahr, nachhaltige Finanzen sollten im Einklang mit erleichtertem Kapitalzugang für die europäische Verteidigungsindustrie stehen. Ein Beispiel von vielen, das den Paradigmenwechsel deutlich macht.
Die Europäische Investitionsbank (EIB), die einen Großteil ihrer Investitionen in die grüne Transformation steckt, revidierte im Mai dieses Jahres ihre Vorgaben zu sogenannten Dual-Use-Gütern. Diese können sowohl militärisch als auch zivil genutzt werden. Die EIB plant jährlich sechs Milliarden Euro für den Bereich Sicherheit und Verteidigung bereitzustellen. Das verlautete im Juni aus dem Finanzausschuss des Bundestages. Die bisherige Vorgabe, dass EIB-finanzierte Projekte nur zur zivilen Nutzung bestimmt sein sollen, entfällt.
Ich möchte betonen: Wenn Regierungen in Sicherheit und Verteidigung ihres Territoriums und ihrer Bürger investieren, erfüllen sie ihre ureigene Aufgabe. Laut Grundgesetz hat der deutsche Staat in Form von Polizei und Bundeswehr das Macht- und Gewaltmonopol inne. Der Export von “zur Kriegsführung bestimmter Waffen” ist dabei verboten (Artikel 26). Unter strengen gesetzlichen Regelungen sind Exporte durch den Staat dennoch möglich, nachdem er die militärische Ausrüstung selbst eingekauft hat. Private Rüstungsunternehmen handeln also immer in staatlichem Auftrag. Sie tragen dadurch nicht das übliche unternehmerische Risiko wie etwa Konsumunternehmen.
Vor diesem Hintergrund ist es absurd, wenn über eine Nachhaltigkeitskennzeichnung privates Kapital für die Waffenindustrie gesammelt wird, die am Ende dieses staatlich abgesicherten Handels privatwirtschaftliche Gewinne abschreibt. Und das in großem Stil: Deutschland gehört zu den fünf größten Rüstungsexporteuren. Sowohl Privatpersonen als auch institutionelle Investoren können Aktien börsennotierter Rüstungsunternehmen kaufen. Sie profitieren von steigenden Kursen und Dividenden. Sie bereichern sich also über ein Finanzprodukt am Krieg. Das ist schon jetzt möglich und muss nicht auch noch durch ein ESG-Label aufgewertet werden.
Wenn unsere Nachhaltigkeitskriterien im Interesse einer neuen Verteidigungspolitik umgestaltet werden, hat das große Auswirkungen auf den Schutz von Anlegern. Mir fehlt ein kritischer Diskurs darüber, dass hier eine Marktstruktur geschaffen werden soll, in der ich als Privatperson Renditen aus Investitionen in Munition oder Panzer erhalte und dies im gleichen Sinne nachhaltig sein soll wie eine Investition in einen Windpark oder Biolandwirtschaft.
Es geht aber noch weiter. Bei einem Panzer mag es offensichtlich sein, aber es gibt auch die Dual-Use-Güter. Das sind Produkte, die sowohl militärisch als auch zivil verwendet werden können. Spätestens hier wird es für Anlegende nahezu unmöglich einzuschätzen, wie ihr Geld wirkt.
Wir orientieren uns in unserem Handeln an der Friedenslogik: Frieden entsteht niemals durch Krieg. Unseren Beitrag als GLS Bank sehen wir in dieser Situation in Investitionen in eine Friedenswirtschaft. Eine Wirtschaft also, die sich an den Grundbedürfnissen von Menschen ausrichtet wie: bezahlbarer Wohnraum, erneuerbare Energien, kultureller Austausch und Bildung.
Statt privater Investitionen in Rüstungsgüter braucht es klare Signale für mehr private Investitionen in diese Wirtschaftszweige, die unser aller Zukunft mitgestalten. Immerhin benötigen wir hier, je nach Einschätzung, 50 bis 70 Milliarden Euro. Pro Jahr. Ein Nachhaltigkeitsbegriff, der mit Waffen aufgeweicht wird, untergräbt nicht nur den Verbraucherschutz, sondern gefährdet im Zweifel auch dringende Kapitalströme in eine zukunftsfähige Wirtschaftsstruktur. Darum mein Appell der Aufgabenteilung: Der Staat kümmert sich um Verteidigung, und wir finanzieren die Privatwirtschaft der Zukunft.
Aysel Osmanoglu ist Vorstandsprecherin der GLS Bank und verantwortet die Ressorts Strategie und Entwicklung, Menschen und Wertekultur, Kommunikation, Gesamtbanksteuerung und die Kreditsicherung. Sie hat Volks- und Betriebswirtschaftslehre in Heidelberg und Frankfurt am Main studiert und ist diplomierte Bankbetriebswirtin.
Michael Ohnmacht, bislang Deutschlands Botschafter in Libyen, ist neuer Leiter der Delegation der Europäischen Union in Syrien. Der 54 Jahre alte Diplomat tritt die Nachfolge des Rumänen Dan Stoinescu an, der das EU-Syrien-Büro seit 2021 geleitet hatte. Ohnmacht steht seit 1998 in Diensten des Auswärtigen Amts und bekleidete Posten unter anderem in Ramallah, Beirut, Paris, Riad und Tripolis. Da es unter dem Regime Baschar al-Assads seit 2012 keinen akkreditierten EU-Missionsleiter in Damaskus mehr gibt, wird die Delegation von einem Chargé d’Affaires geleitet, mit Büros in Beirut, Amman und Brüssel. Die EU hat ihre bilaterale Zusammenarbeit mit Syrien wegen des Vorgehens der Armee Assads im Mai 2011 abgebrochen, Deutschland und andere Staaten ihre diplomatischen Beziehungen zu der Diktatur in Damaskus ein Jahr später beendet. Diesen Juli jedoch beschloss die italienische Regierung Giorgia Melonis, wieder einen Botschafter nach Syrien zu entsenden. mrb
Als erster Krieg des 21. Jahrhunderts wurde der Kosovo-Krieg vor einem Vierteljahrhundert bezeichnet. Und das, obwohl prägende Merkmale wie hybride Kriegsführung, Einsatz bewaffneter Drohnen und Cyber-Attacken beim Angriff der Nato auf Ziele in Serbien und der nach Unabhängigkeit von Belgrad strebenden Provinz keine Rolle spielten. Wilfried von Bredow konstatiert in seinem instruktiven Band denn auch: “Die Wende vom 20. zum 21. Jahrhundert bedeutet also keine tiefe Zäsur in der Geschichte von Kriegen.”
Prägender für die ersten beiden Jahrzehnte des neuen Jahrhunderts seien die Terroranschläge des 11. September in den USA gewesen, weil in deren Folge weitere Kriege begannen – und mit George W. Bushs “Kampf gegen den Terror” deren Deterritorialisierung begann. Der Politologe von Bredow spannt historisch einen weiten Bogen vom Ersten Weltkrieg bis zu Russlands Kriegen in Tschetschenien, Georgien und der Ukraine.
Thematisch fächert er auf, welche rüstungstechnologischen Neuerungen die neuen Kriege von denen vergangener Jahrhunderte unterscheiden – und wie Terrorismus und private Militärfirmen dafür gesorgt haben, dass Krieg mehr denn je als Geschäftsmodell für sinistre Machthaber dient, staatliche wie nichtstaatliche. mrb
Wilfried von Bredow: Kriege im 21. Jahrhundert – Wie heute Kriege geführt werden, Bebra Verlag, Berlin, 2024, 280 Seiten, 28 Euro.