das Wesentliche an seiner Rede hätte der russische Präsident Waldimir Putin in wenigen Worten verkünden können: Russland beteiligt sich nicht mehr am Atomwaffen-Abrüstungsvertrag (New Start) und die Entwicklung der russischen Gesellschaft wird dem nationalistischen Kriegskurs untergeordnet.
So deutlich konnte Putin das natürlich nicht kundtun. Und so hüllte er diese wichtigsten Aussagen in eine lange, eine Stunde und 41 Minuten dauernde Rede voller Schuldzuschreibungen und Angriffe gegen den Westen. Putin bedient sich dabei altbekannter Narrative, wonach Moskau das eigentliche Opfer sei und der Westen die Menschen in der Ukraine im Kampf gegen Russland benutze. Was Putin mit seiner Vernebelungsrede beabsichtigt, habe ich für Sie analysiert.
Kurz nachdem Putin seine Rede beendet hatte, traten in Brüssel der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba, EU-Chefdiplomat Josep Borrell und Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg vor die Kameras. Gemeinsam. Auch der Auftritt des US-Präsidenten Joe Biden in Warschau am frühen Abend hatte dieselbe Botschaft: Wir stehen zur Ukraine. Gabriel Bub und Nana Brink haben die Auftritte verfolgt und erläutern, warum Bidens Rede auch für die US-Innenpolitik eine große Rolle spielt.
Am Freitag jährt sich der Angriff Russlands auf die Ukraine. Aus China heißt es, Staatschef Xi Jinping will dann einen Friedensplan für die Ukraine vorlegen. Sein wichtigster Außenpolitiker, Wang Yi, hat der Ukraine einige Punkte daraus präsentiert, wie Dmytro Kuleba berichtete. Das gesamte Papier ist noch geheim. Wang Yi hält sich seit Dienstag in Moskau auf. Gut möglich, dass er am Mittwoch Präsident Putin trifft. Nach dessen Rede zu urteilen, ist seine Bereitschaft, sich auf konstruktive Gespräche einzulassen, jedoch gering.
Ganz am Ende, nach einer Stunde und 41 Minuten, wurde die Rede des russischen Präsidenten Wladimir Putin kurz interessant: Russland setzt seine Beteiligung am letzten verbliebenen Atomwaffen-Abrüstungsvertrag mit den USA aus. “Ich wiederhole: Wir kündigen den Vertrag nicht auf, wir stoppen nur unsere Beteiligung”, betonte Putin.
Gegenseitige Kontrollen im Rahmen des New-Start-Vertrages vom April 2010 gibt es bereits seit 2020 nicht mehr, offiziell wegen Corona. Für den vergangenen November angesetzte Gespräche über eine Verlängerung des bis 2026 geltenden Abkommens wurden ebenfalls verschoben. Was ist der Vertrag noch wert, wenn ein Vertragspartner sagt, dass er nicht mehr mitmacht?
Putin ging aber noch weiter: Er forderte das russische Verteidigungsministerium und die staatliche Atomaufsichtsbehörde Rosatom auf, sich auf neue Atomwaffentests vorzubereiten. Er rechtfertigte das mit den Plänen der USA, neue nukleare Waffen testen zu wollen – zumindest will Moskau über entsprechende Informationen verfügen. 1990 hatte die Sowjetunion und 1992 hatten die USA nach Angaben der Vereinten Nationen die letzten Atomwaffentests vorgenommen.
Wenn das atomare Hochrüsten der USA und der Sowjetunion im 20. Jahrhundert eines der wesentlichen Merkmale des Kalten Krieges ausmachte, dann ist spätestens mit Putins Rede vom 21. Februar 2023 klar, dass der russische Präsident sich mental längst wieder im Kalten Krieg mit dem Westen befindet.
Seine Rede war insgesamt einerseits weitgehend eine Wiederholung von Aussagen, die Putin seit der Maidan-Revolution 2014 äußert:
Andererseits machte der russische Präsident damit auch deutlich, dass er keinerlei Kurskorrekturen in Bezug auf den Krieg gegen die Ukraine vornehmen wird. Ganz im Gegenteil: Je länger der Krieg dauert, und je besser sich Russland auf Sanktionen und an den Verlauf des Krieges anpasst, desto stärker scheint sich Putin in seinem Vorgehen bestätigt zu fühlen.
Dass die westlichen Reaktionen auf den Krieg, den er so kein einziges Mal bezeichnete, dem Land nicht so stark schadeten wie befürchtet, betonte Putin mehrfach. Er präsentierte eine ganze Reihe von Zahlen und sozialen Programmen, die verschiedenen Bevölkerungsgruppen helfen sollten.
Auffallend viel Zeit verwendete er darauf, einen neuen Sonderfonds anzukündigen – den für die Kriegsteilnehmer. “Hinter jedem Veteranen muss ein Sachbearbeiter aus diesem Fonds stehen, der ihm hilft.” Anlass für dieses Versprechen ist der Unmut über ausbleibende Gehaltszahlungen, Entschädigungen und die oftmals miserable medizinische Versorgung für Soldaten. Dieser Unmut äußert sich nicht nur direkt an der Front, sondern auch zu Hause in den Familien.
Mit solchen Sozialprogrammen will sich Putin die Loyalität seiner Bevölkerung sichern. Und sie ist seit dem Beginn des Krieges weiterhin sehr hoch: 82 Prozent der Russinnen und Russen unterstützen Putins Vorgehen, hat das Meinungsforschungszentrum Levada in seiner jüngsten Umfrage ermittelt. Levada wird von russischen Behörden als “ausländischer Agent” diffamiert.
Der langjährige leitende Redakteur der einst renommierten russischen Wirtschaftszeitung Wedomosti, Maxim Trudolyubov, fasst auf seinem Telegram-Kanal den Kern der Rede Putins in wenig Worten klar zusammen “Der Krieg ist das neue Normal.” Der Krieg sei einfach wie eine Arbeit, wie eine ökonomische Chance, wie ein gewöhnlicher Zustand, um den herum sich alles andere entwickeln werde. “Das ist leider nicht einfach nur Rhetorik”, erläutert Trudolybov, der heute für das Oppositionsmedium Meduza arbeitet. Die Rede Putins sei “ein Versuch, der Gesellschaft jegliche Stütze und Orientierung zu nehmen”.
Kein einziges Mal sprach Putin über die Verluste im Krieg. Stattdessen betonte er, wie der Krieg der russischen Wirtschaft helfen könnte. Er mahnte die ökonomische Elite zudem, in der Heimat zu investieren. Ziel sei es, sich nicht nur an die jetzigen Bedingungen anzupassen, sondern die Wirtschaft auf eine höhere Entwicklungsstufe zu stellen, so Putin. Obwohl er erneut versicherte, dass die Fehler der sowjetischen Vergangenheit nicht wiederholt werden sollten, müsse die Verteidigungsindustrie Priorität bekommen.
Die bemerkenswerte Leere und Ruhe der Rede wirkt wie ein Nebel, in den das ganze Land eingehüllt wird. Lediglich am Anfang, als Putin seinen Krieg rechtfertigte, und am Ende, als es wieder um das Durchhaltevermögen ging, wurde er emotional. Mit “Die Wahrheit ist mit uns”, schloss er seine eine Stunde und 41 Minuten dauernde Rede.
Die langjährige Kreml-Beobachterin Farida Rustamova schrieb anschließend auf ihrem Telegram-Kanal: “Fast zwei Stunden hat Putin seine erste militärische Botschaft vorgetragen, die er fast ein Jahr lang immer wieder verschoben hatte. Und dennoch hat er keine Schlüsselfragen beantwortet: Welche Ziele hat dieser Krieg? Wann endet er? Und was bedeutet ‘Sieg’?”
Die Transkription Rede Putins auf Russisch und Englisch.
Schon mit seiner Begrüßung, zeigte Biden die Stoßrichtung an: “Hello Poland, one of our great allies!”, rief der US-Präsident in Warschau den Menschen zu, die sich am Warschauer Königsschloss versammelt hatten. Putin habe mit seinem Angriff auf die Ukraine Europa, die USA, die Nato, alle Demokratien getestet. “Ein Jahr später gaben wir die Antwort. Wir halten zusammen.” 20 Minuten rief der US-Präsident den Warschauern entgegen, dass Putin den Westen vereint und nicht geschwächt habe, alle seine Pläne das Gegenteil bewirkt hätten. “Er dachte, er bekäme die Finnlandisierung der Nato. Stattdessen bekam er die Natoisierung Finnlands.”
Gegen Ende zweier Tage, an denen immer wieder auf die Historizität seines Handelns verwiesen wurde, hatte Biden künftig geschriebene Geschichtsbücher im Kopf. “Die Entscheidungen, die wir in den nächsten fünf Jahren treffen, haben Auswirkungen auf die nächsten Jahrzehnte“, rief er. Für das, was die westlichen Alliierten jetzt im Namen der Freiheit täten, seien auch die Enkelkinder der Anwesenden irgendwann dankbar. “Die Nato ist die stärkste Allianz in der Geschichte der Menschheit.” Das “stärkste Sanktionssystem”, das jemals gegen ein Land gerichtet wurde, solle ausgebaut werden. Neue Sanktionen, gemeinsam mit den Partnern, kämen noch diese Woche, sagte er.
Bei der Unterstützung der Ukraine gehe es um den Kampf Demokratie gegen Autokratie. “Das ist es, was hier auf dem Spiel steht: Freiheit.” Das Bekenntnis der USA zur Nato und zu Artikel 5 sei “felsenfest”. “Und jedes Mitglied der Nato weiß das und Russland weiß es auch.” Ein Angriff auf ein Nato-Land sei ein Angriff auf alle.
Dass Biden diese Rede in Polen hält, passt zum Selbstverständnis Warschaus, das in der Nato eine immer stärkere Rolle einnimmt. Der Flughafen Rzeszów, über den auch Biden anreiste, dient als Drehscheibe für Waffenlieferungen in die Ukraine. Biden betonte, wie wichtig die Aufnahme ukrainischer Geflüchteter in Polen sei. “In den dunkelsten Stunden ihres Lebens habt ihr Menschen in Polen ihnen Sicherheit gegeben.” 1,5 Millionen Menschen aus der Ukraine haben in Polen Zuflucht gefunden, rund 11.000 amerikanische Soldaten sind laut US-Verteidigungsministerium in Polen stationiert.
Auch in Brüssel wollten der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba, der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell und Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg Einigkeit zeigen. Die bekam vor ihrer Pressekonferenz am Mittag in Brüssel noch einen Schub aus Moskau. “Was wir heute gesehen haben, ist, dass Präsident Putin keinen Frieden vorbereitet, sondern mehr Krieg. Er bereitet neue Offensiven vor. Er mobilisiert mehr Truppen. Er sendet mehr Waffen. Und genau deshalb müssen wir die Unterstützung für die Ukraine erhöhen”, sagte Stoltenberg.
Zur Unterstützung der Ukraine verkündete der Nato-Generalsekretär die Einrichtung eines neuen Beschaffungssystems. Es soll die Koordinierung für Rüstungslieferungen in die Ukraine verbessern und die Produktionskapazitäten erhöhen. Die Munitionsbestände der Ukraine gehen zurück, die drei Vertreter von Nato, EU und Ukraine, die zum ersten Mal in diesem Format zusammenkamen, betonten, dass die Koordinierung von Produktion, Beschaffung und Lieferung essenziell für die Ukraine seien.
Nachdem er die letzte Frage beantwortet hatte, fasste Stoltenberg Kuleba und Borrell (der sich schon auf den Weg machen wollte) und formte ein sechshändiges Knäuel für die Fotografen. Das Zeichen: Einigkeit.
Joe Biden, der am Montag zehn Stunden Zugfahrt für einen Besuch mit historischer Bedeutung in Kiew auf sich genommen hatte, sendete einerseits ein Zeichen an die Partner, aber wahrscheinlich wollte er mit seinem Besuch in Kiew auch eine Botschaft in die USA schicken.
Auch wenn die Einigkeit auf oberster Ebene beschworen wird, könnte sie in den USA bröckeln. Im Laufe des vergangenen Jahres hat sich die Anzahl der Amerikaner, die denken, die USA tue zu viel für die Ukraine fast vervierfacht: von sieben auf 26 Prozent. Bruce Stokes, Associate Fellow beim renommierten Londoner Thinktank Chatham House, kommt in seinem kürzlich veröffentlichten Essay zu dem Schluss: “Da keine amerikanischen Leben in der Ukraine auf dem Spiel stehen, nur finanzielle und militärische Ressourcen, gibt es eine wachsende Skepsis, gutes Geld schlechtem hinterherzuwerfen.”
Für die schwindende Unterstützung macht Stokes ein typisch amerikanisches Phänomen aus: “Die Leute mögen Gewinner. Wenn die erwartete russische Frühjahrsoffensive erfolgreich oder die ukrainische Gegenoffensive nicht so erfolgreich ist, werden die Stimmen laut, die eine Verhandlungslösung fordern. Die Warnzeichen sind bereits da.” Umfragedaten belegen das: Ungefähr die Hälfte der Amerikaner sind der Meinung, die US-Regierung solle die Führung in Kiew davon überzeugen, Verhandlungen aufzunehmen.
Die schwindende Unterstützung zeigt sich auch anhand von Parteilinien. Mehr als doppelt so viele Demokraten wie Republikaner (61 Prozent versus 27 Prozent) finden, die Biden-Administration handele richtig. Die öffentliche Meinung bei diesem Thema wird eine große Rolle im US-Wahlkampf 2024 spielen.
das Wesentliche an seiner Rede hätte der russische Präsident Waldimir Putin in wenigen Worten verkünden können: Russland beteiligt sich nicht mehr am Atomwaffen-Abrüstungsvertrag (New Start) und die Entwicklung der russischen Gesellschaft wird dem nationalistischen Kriegskurs untergeordnet.
So deutlich konnte Putin das natürlich nicht kundtun. Und so hüllte er diese wichtigsten Aussagen in eine lange, eine Stunde und 41 Minuten dauernde Rede voller Schuldzuschreibungen und Angriffe gegen den Westen. Putin bedient sich dabei altbekannter Narrative, wonach Moskau das eigentliche Opfer sei und der Westen die Menschen in der Ukraine im Kampf gegen Russland benutze. Was Putin mit seiner Vernebelungsrede beabsichtigt, habe ich für Sie analysiert.
Kurz nachdem Putin seine Rede beendet hatte, traten in Brüssel der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba, EU-Chefdiplomat Josep Borrell und Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg vor die Kameras. Gemeinsam. Auch der Auftritt des US-Präsidenten Joe Biden in Warschau am frühen Abend hatte dieselbe Botschaft: Wir stehen zur Ukraine. Gabriel Bub und Nana Brink haben die Auftritte verfolgt und erläutern, warum Bidens Rede auch für die US-Innenpolitik eine große Rolle spielt.
Am Freitag jährt sich der Angriff Russlands auf die Ukraine. Aus China heißt es, Staatschef Xi Jinping will dann einen Friedensplan für die Ukraine vorlegen. Sein wichtigster Außenpolitiker, Wang Yi, hat der Ukraine einige Punkte daraus präsentiert, wie Dmytro Kuleba berichtete. Das gesamte Papier ist noch geheim. Wang Yi hält sich seit Dienstag in Moskau auf. Gut möglich, dass er am Mittwoch Präsident Putin trifft. Nach dessen Rede zu urteilen, ist seine Bereitschaft, sich auf konstruktive Gespräche einzulassen, jedoch gering.
Ganz am Ende, nach einer Stunde und 41 Minuten, wurde die Rede des russischen Präsidenten Wladimir Putin kurz interessant: Russland setzt seine Beteiligung am letzten verbliebenen Atomwaffen-Abrüstungsvertrag mit den USA aus. “Ich wiederhole: Wir kündigen den Vertrag nicht auf, wir stoppen nur unsere Beteiligung”, betonte Putin.
Gegenseitige Kontrollen im Rahmen des New-Start-Vertrages vom April 2010 gibt es bereits seit 2020 nicht mehr, offiziell wegen Corona. Für den vergangenen November angesetzte Gespräche über eine Verlängerung des bis 2026 geltenden Abkommens wurden ebenfalls verschoben. Was ist der Vertrag noch wert, wenn ein Vertragspartner sagt, dass er nicht mehr mitmacht?
Putin ging aber noch weiter: Er forderte das russische Verteidigungsministerium und die staatliche Atomaufsichtsbehörde Rosatom auf, sich auf neue Atomwaffentests vorzubereiten. Er rechtfertigte das mit den Plänen der USA, neue nukleare Waffen testen zu wollen – zumindest will Moskau über entsprechende Informationen verfügen. 1990 hatte die Sowjetunion und 1992 hatten die USA nach Angaben der Vereinten Nationen die letzten Atomwaffentests vorgenommen.
Wenn das atomare Hochrüsten der USA und der Sowjetunion im 20. Jahrhundert eines der wesentlichen Merkmale des Kalten Krieges ausmachte, dann ist spätestens mit Putins Rede vom 21. Februar 2023 klar, dass der russische Präsident sich mental längst wieder im Kalten Krieg mit dem Westen befindet.
Seine Rede war insgesamt einerseits weitgehend eine Wiederholung von Aussagen, die Putin seit der Maidan-Revolution 2014 äußert:
Andererseits machte der russische Präsident damit auch deutlich, dass er keinerlei Kurskorrekturen in Bezug auf den Krieg gegen die Ukraine vornehmen wird. Ganz im Gegenteil: Je länger der Krieg dauert, und je besser sich Russland auf Sanktionen und an den Verlauf des Krieges anpasst, desto stärker scheint sich Putin in seinem Vorgehen bestätigt zu fühlen.
Dass die westlichen Reaktionen auf den Krieg, den er so kein einziges Mal bezeichnete, dem Land nicht so stark schadeten wie befürchtet, betonte Putin mehrfach. Er präsentierte eine ganze Reihe von Zahlen und sozialen Programmen, die verschiedenen Bevölkerungsgruppen helfen sollten.
Auffallend viel Zeit verwendete er darauf, einen neuen Sonderfonds anzukündigen – den für die Kriegsteilnehmer. “Hinter jedem Veteranen muss ein Sachbearbeiter aus diesem Fonds stehen, der ihm hilft.” Anlass für dieses Versprechen ist der Unmut über ausbleibende Gehaltszahlungen, Entschädigungen und die oftmals miserable medizinische Versorgung für Soldaten. Dieser Unmut äußert sich nicht nur direkt an der Front, sondern auch zu Hause in den Familien.
Mit solchen Sozialprogrammen will sich Putin die Loyalität seiner Bevölkerung sichern. Und sie ist seit dem Beginn des Krieges weiterhin sehr hoch: 82 Prozent der Russinnen und Russen unterstützen Putins Vorgehen, hat das Meinungsforschungszentrum Levada in seiner jüngsten Umfrage ermittelt. Levada wird von russischen Behörden als “ausländischer Agent” diffamiert.
Der langjährige leitende Redakteur der einst renommierten russischen Wirtschaftszeitung Wedomosti, Maxim Trudolyubov, fasst auf seinem Telegram-Kanal den Kern der Rede Putins in wenig Worten klar zusammen “Der Krieg ist das neue Normal.” Der Krieg sei einfach wie eine Arbeit, wie eine ökonomische Chance, wie ein gewöhnlicher Zustand, um den herum sich alles andere entwickeln werde. “Das ist leider nicht einfach nur Rhetorik”, erläutert Trudolybov, der heute für das Oppositionsmedium Meduza arbeitet. Die Rede Putins sei “ein Versuch, der Gesellschaft jegliche Stütze und Orientierung zu nehmen”.
Kein einziges Mal sprach Putin über die Verluste im Krieg. Stattdessen betonte er, wie der Krieg der russischen Wirtschaft helfen könnte. Er mahnte die ökonomische Elite zudem, in der Heimat zu investieren. Ziel sei es, sich nicht nur an die jetzigen Bedingungen anzupassen, sondern die Wirtschaft auf eine höhere Entwicklungsstufe zu stellen, so Putin. Obwohl er erneut versicherte, dass die Fehler der sowjetischen Vergangenheit nicht wiederholt werden sollten, müsse die Verteidigungsindustrie Priorität bekommen.
Die bemerkenswerte Leere und Ruhe der Rede wirkt wie ein Nebel, in den das ganze Land eingehüllt wird. Lediglich am Anfang, als Putin seinen Krieg rechtfertigte, und am Ende, als es wieder um das Durchhaltevermögen ging, wurde er emotional. Mit “Die Wahrheit ist mit uns”, schloss er seine eine Stunde und 41 Minuten dauernde Rede.
Die langjährige Kreml-Beobachterin Farida Rustamova schrieb anschließend auf ihrem Telegram-Kanal: “Fast zwei Stunden hat Putin seine erste militärische Botschaft vorgetragen, die er fast ein Jahr lang immer wieder verschoben hatte. Und dennoch hat er keine Schlüsselfragen beantwortet: Welche Ziele hat dieser Krieg? Wann endet er? Und was bedeutet ‘Sieg’?”
Die Transkription Rede Putins auf Russisch und Englisch.
Schon mit seiner Begrüßung, zeigte Biden die Stoßrichtung an: “Hello Poland, one of our great allies!”, rief der US-Präsident in Warschau den Menschen zu, die sich am Warschauer Königsschloss versammelt hatten. Putin habe mit seinem Angriff auf die Ukraine Europa, die USA, die Nato, alle Demokratien getestet. “Ein Jahr später gaben wir die Antwort. Wir halten zusammen.” 20 Minuten rief der US-Präsident den Warschauern entgegen, dass Putin den Westen vereint und nicht geschwächt habe, alle seine Pläne das Gegenteil bewirkt hätten. “Er dachte, er bekäme die Finnlandisierung der Nato. Stattdessen bekam er die Natoisierung Finnlands.”
Gegen Ende zweier Tage, an denen immer wieder auf die Historizität seines Handelns verwiesen wurde, hatte Biden künftig geschriebene Geschichtsbücher im Kopf. “Die Entscheidungen, die wir in den nächsten fünf Jahren treffen, haben Auswirkungen auf die nächsten Jahrzehnte“, rief er. Für das, was die westlichen Alliierten jetzt im Namen der Freiheit täten, seien auch die Enkelkinder der Anwesenden irgendwann dankbar. “Die Nato ist die stärkste Allianz in der Geschichte der Menschheit.” Das “stärkste Sanktionssystem”, das jemals gegen ein Land gerichtet wurde, solle ausgebaut werden. Neue Sanktionen, gemeinsam mit den Partnern, kämen noch diese Woche, sagte er.
Bei der Unterstützung der Ukraine gehe es um den Kampf Demokratie gegen Autokratie. “Das ist es, was hier auf dem Spiel steht: Freiheit.” Das Bekenntnis der USA zur Nato und zu Artikel 5 sei “felsenfest”. “Und jedes Mitglied der Nato weiß das und Russland weiß es auch.” Ein Angriff auf ein Nato-Land sei ein Angriff auf alle.
Dass Biden diese Rede in Polen hält, passt zum Selbstverständnis Warschaus, das in der Nato eine immer stärkere Rolle einnimmt. Der Flughafen Rzeszów, über den auch Biden anreiste, dient als Drehscheibe für Waffenlieferungen in die Ukraine. Biden betonte, wie wichtig die Aufnahme ukrainischer Geflüchteter in Polen sei. “In den dunkelsten Stunden ihres Lebens habt ihr Menschen in Polen ihnen Sicherheit gegeben.” 1,5 Millionen Menschen aus der Ukraine haben in Polen Zuflucht gefunden, rund 11.000 amerikanische Soldaten sind laut US-Verteidigungsministerium in Polen stationiert.
Auch in Brüssel wollten der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba, der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell und Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg Einigkeit zeigen. Die bekam vor ihrer Pressekonferenz am Mittag in Brüssel noch einen Schub aus Moskau. “Was wir heute gesehen haben, ist, dass Präsident Putin keinen Frieden vorbereitet, sondern mehr Krieg. Er bereitet neue Offensiven vor. Er mobilisiert mehr Truppen. Er sendet mehr Waffen. Und genau deshalb müssen wir die Unterstützung für die Ukraine erhöhen”, sagte Stoltenberg.
Zur Unterstützung der Ukraine verkündete der Nato-Generalsekretär die Einrichtung eines neuen Beschaffungssystems. Es soll die Koordinierung für Rüstungslieferungen in die Ukraine verbessern und die Produktionskapazitäten erhöhen. Die Munitionsbestände der Ukraine gehen zurück, die drei Vertreter von Nato, EU und Ukraine, die zum ersten Mal in diesem Format zusammenkamen, betonten, dass die Koordinierung von Produktion, Beschaffung und Lieferung essenziell für die Ukraine seien.
Nachdem er die letzte Frage beantwortet hatte, fasste Stoltenberg Kuleba und Borrell (der sich schon auf den Weg machen wollte) und formte ein sechshändiges Knäuel für die Fotografen. Das Zeichen: Einigkeit.
Joe Biden, der am Montag zehn Stunden Zugfahrt für einen Besuch mit historischer Bedeutung in Kiew auf sich genommen hatte, sendete einerseits ein Zeichen an die Partner, aber wahrscheinlich wollte er mit seinem Besuch in Kiew auch eine Botschaft in die USA schicken.
Auch wenn die Einigkeit auf oberster Ebene beschworen wird, könnte sie in den USA bröckeln. Im Laufe des vergangenen Jahres hat sich die Anzahl der Amerikaner, die denken, die USA tue zu viel für die Ukraine fast vervierfacht: von sieben auf 26 Prozent. Bruce Stokes, Associate Fellow beim renommierten Londoner Thinktank Chatham House, kommt in seinem kürzlich veröffentlichten Essay zu dem Schluss: “Da keine amerikanischen Leben in der Ukraine auf dem Spiel stehen, nur finanzielle und militärische Ressourcen, gibt es eine wachsende Skepsis, gutes Geld schlechtem hinterherzuwerfen.”
Für die schwindende Unterstützung macht Stokes ein typisch amerikanisches Phänomen aus: “Die Leute mögen Gewinner. Wenn die erwartete russische Frühjahrsoffensive erfolgreich oder die ukrainische Gegenoffensive nicht so erfolgreich ist, werden die Stimmen laut, die eine Verhandlungslösung fordern. Die Warnzeichen sind bereits da.” Umfragedaten belegen das: Ungefähr die Hälfte der Amerikaner sind der Meinung, die US-Regierung solle die Führung in Kiew davon überzeugen, Verhandlungen aufzunehmen.
Die schwindende Unterstützung zeigt sich auch anhand von Parteilinien. Mehr als doppelt so viele Demokraten wie Republikaner (61 Prozent versus 27 Prozent) finden, die Biden-Administration handele richtig. Die öffentliche Meinung bei diesem Thema wird eine große Rolle im US-Wahlkampf 2024 spielen.