ein Jahr nach Verabschiedung der Nationalen Sicherheitsstrategie muss die Politik – laut Außenministerin Annalena Baerbock – noch viel Überzeugungsarbeit leisten, um die Bürgerinnen und Bürger für die bevorstehenden Entbehrungen zu gewinnen. Was Claudia Major (SWP), Ulrike Franke (ECFR) und Johann Wadephul (CDU/CSU) an der Umsetzung der Strategie bemängeln, hat Markus Bickel aufgeschrieben.
Die große Zeit der Auslandseinsätze ist nach dem Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan und Mali vorbei. Doch auch heute sind noch knapp 1.000 Soldaten und Soldatinnen in insgesamt neun Auslandseinsätzen außerhalb des Nato-Gebiets im Einsatz. Eine Übersicht, welche das sind, hat Thomas Wiegold zusammengestellt.
Der litauische Verteidigungsminister Laurynas Kasčiūnas hat mit Lisa-Martina Klein darüber gesprochen, wie er sein Land auf die kommenden Monate und Jahre vorbereitet, was er von den anderen Nato-Partnern fordert und unter welchen Bedingungen er litauische Truppen in die Ukraine senden würde.
Außerdem will die SPD-Bundestagsfraktion in dieser Woche ein 10-Punkte-Papier “zur Stärkung der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie in Deutschland und Europa” beschließen. Vor kurzem hat auch die FDP-Bundestagsfraktion ein solches Papier herausgebracht. Wie sich die beiden Strategien unterscheiden, hat Wilhelmine Preußen aufgeschrieben.
Eine erkenntnisreiche Lektüre wünscht
Keines der drei Länder, die in der Nationalen Sicherheitsstrategie (NSS) von Sommer 2023 explizit als Schlüsselstaaten aufgeführt werden, nannte Außenministerin Annalena Baerbock am Montag beim Namen: Frankreich, USA, Israel. Und das, obwohl die inneren Veränderungen von Deutschlands wichtigsten internationalen Partnern dramatisch sind. “Wie langlebig ist eine Strategie, wenn innerhalb eines Jahres drei zentrale Pfeiler in Frage stehen?”, fragte dann auch Claudia Major, Leiterin der Forschungsgruppe Sicherheitspolitik der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) auf der von der Bundesakademie für Sicherheitspolitik (Baks) ausgerichteten Veranstaltung “Nationale Sicherheitsstrategie – Integriert handeln für unsere Sicherheit.”
Zwar lobte Major den grundlegenden Ansatz des im Juni 2023 vorgestellten Papiers, ressortübergreifend, unter Einbeziehung von Bund, Ländern, Kommunen und Wirtschaft, ein System integrierter Sicherheit zu etablieren. Doch kurzfristig helfe das nicht weiter. Nicht nur in Hinblick auf das gerade erst mühsam wiederbelebte Weimarer Dreieck aus Deutschland, Frankreich und Polen, das im Falle einer vom Rassemblement National (RN) geführten Regierung in Paris kaum weiter so funktionieren werde wie bislang. “Man muss sich jetzt zum ersten Mal ehrlich machen, wie viel uns Verteidigung und Sicherheit wert sind”, so Major.
Ein Punkt, der auf den drei Panels im Historischen Saal der Baks immer wieder hervorgehoben wurde: Die Bundesregierung habe es bei der Verabschiedung des Papiers versäumt, die hohen Ansprüche an eine gemeinsame Sicherheitsstrategie finanziell abzusichern. So monierte etwa Ulrike Franke vom European Council on Foreign Relations (ECFR) in Paris. “Ich glaube, wir werden doch nochmal über Geld sprechen müssen”; angesichts begrenzter Haushaltsmittel habe sie “Sorge, dass das nicht reichen könnte”.
Auch Johann Wadephul, stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion für die Bereiche Auswärtiges und Verteidigung, sieht ein Jahr nach Verabschiedung der Strategie “das Glas für mich gerade mal halb voll”: Angesichts der geopolitischen Veränderungen komme die Bevölkerung nicht darum herum, “auch mal Abstriche machen” zu müssen.
Etwas, was der Leiter der finanzpolitischen und wirtschaftspolitischen Grundsatzabteilung im Finanzministerium, Nicolas Heinen, befürwortet, aber für schwer vermittelbar hält: “Ich weiß nicht, ob man zwischen Sicherheit und Wohlstand priorisieren kann”, wand er ein. Und verwies darauf, dass bei der Schaffung wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Resilienz lediglich “die ersten Meter, nicht Kilometer hinter uns” lägen; man stehe vor einem “Marathonlauf”.
Dass man noch weit davon entfernt sei, die Bürgerinnen und Bürger mitzunehmen auf diesem Weg und für die bevorstehenden Entbehrungen zu gewinnen, erkannte nicht nur Baerbock an. Auch Marcus Faber (FDP), Vorsitzender des Verteidigungsausschusses im Bundestag, und Siemtje Möller (SPD), Parlamentarische Staatssekretärin im Verteidigungsministerium, beharrten darauf, dass Überzeugungsarbeit fast so wichtig sei wie die sicherheitspolitischen Umbrüche selbst.
“Sie haben fast alle Angst”, berichtete Möller von Gesprächen mit Menschen in Brandenburg. Gerade deshalb sei es wichtig zu erklären, dass die Bundesregierung so handele, “weil wir den Frieden und die Freiheit in Deutschland und in Europa bewahren müssen”. Und Faber beharrte darauf, dass weitaus “mehr Experten als der Verteidigungsausschuss Mitglieder hat” nötig seien, um die Bevölkerung mitzunehmen: “Wir müssen dahin gehen, wo die Menschen sind.” Das sei der Bundesregierung ein Jahr nach Verabschiedung der Sicherheitsstrategie nicht wirklich gelungen, kritisierte Claudia Major, die der Ampel deshalb eine “ziemlich schlechte Haltungsnote” erteilte.
Ausbaufähig sei auch die Einbindung von Kommunen und Ländern – etwa bei den gesundheits- und verkehrspolitischen Auswirkungen der Strategie. So plädierte Patrick Dahlemann, Chef der Staatskanzlei Mecklenburg-Vorpommerns, für einen “pragmatischen gesetzgeberischen Umgang, der Bund und Länder handlungsfähig lässt”. Die Verabschiedung der Nationalen Sicherheitsstrategie hatte sich auch deshalb bis Sommer 2023 hingezogen, weil Vertreter von Kommunen, Landkreisen und Bundesländern erst spät in die Beratungen von Außen-, Innen- und Verteidigungsministerium einbezogen wurden.
Ein positives Fazit, zumindest was die strategischen Ambitionen der Politik anbelangte, zog hingegen Wolfgang Niedermark, Mitglied der Hauptgeschäftsführung beim Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI). Durch Verabschiedung der NSS sei ein strategischer Dialog in Gang gesetzt worden, der dazu geführt habe, dass die deutsche Sicherheits- und Verteidigungsstrategie wieder als “strategische Industrie” behandelt werde, die nicht mehr der “dunklen Seite” angehöre. Das sei die Voraussetzung dafür, “dass wir auch kriegstüchtig werden in der Industrie”.
Mit der Konzentration auf die Landes- und Bündnisverteidigung und dem Ende der großen Auslandseinsätze in Afghanistan und Mali rücken die Missionen der Bundeswehr im sogenannten internationalen Krisenmanagement in den Hintergrund. Doch die deutschen Streitkräfte schicken weiterhin Soldaten und Soldatinnen in neun solcher Auslandseinsätze, die – mit einer Ausnahme – alle vom Bundestag mandatiert sind.
Im Grundsatz wird sich daran auch nichts ändern. Auch in Zukunft werde die Bundeswehr in solchen internationalen Einsätzen unter anderem zur Unterstützung von Institutionen wie den Vereinten Nationen präsent sein, auch wenn “angesichts wachsender sicherheits- und verteidigungspolitischer Herausforderungen und begrenzter Ressourcen künftig klarer entlang der sicherheitspolitischen Interessen Deutschlands priorisiert werden” müsse, wie es in einem gemeinsamen Bericht von Auswärtigem Amt und Verteidigungsministerium von Ende Juni heißt.
Die inzwischen vergleichsweise geringe Zahl der Soldaten im internationalen Krisenmanagement – insgesamt sind derzeit knapp 1.000 deutsche Soldaten und Soldatinnen in Auslandseinsätzen außerhalb des Nato-Gebiets im Einsatz – darf nicht darüber hinweg täuschen, dass deutlich mehr Bundeswehrangehörige im Ausland im Einsatz sind: Missionen wie die Nato-Battlegroup in Litauen, der Eurofighter-Einsatz in Estland oder die Beteiligung der Marine an den Einsatzverbänden der Nato haben eine andere Rechtsgrundlage, müssen nicht vom Bundestag gebilligt werden und sind darin nicht enthalten.
Die Übersicht über die laufenden Auslandseinsätze:
Der Einsatz im Kosovo, der mit dem Einmarsch der Nato in die damalige serbische Unruheprovinz 1999 begonnen wurde, ist der älteste Auslandseinsatz der Bundeswehr. Nachdem der deutsche Anteil in den vergangenen Jahren auf Anteile am Stab und Beratergruppen heruntergefahren worden war, wurde im Frühjahr wieder eine Kompanie vor allem mit Infanterie in das Land verlegt, um mit Patrouillen und Checkpoints ein mögliches Aufflackern der Gewalt zwischen Serben und Kosovaren einzudämmen. Inzwischen sind an der Nato-geführten Kosovo Force wieder knapp 300 Bundeswehrsoldaten beteiligt.
Das Mandat des Bundestags für diese Mission wurde zuletzt in der vergangenen Woche erneuert (Bundestagsdrucksache 20/11565) und beruht vor allem auf der Resolution 1244 (1999) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 10. Juni 1999.
Die Lage auf dem Balkan nach Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine und zunehmende Besorgnis über einen russischen Einfluss führten auch dazu, dass die Bundeswehr im Sommer 2022 wieder nach Bosnien-Herzegowina zurückkehrte, nachdem Deutschland bereits aus dieser Mission ausgeschieden war: Der Bundestag beschloss die “Wiederaufnahme der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der EU-geführten Sicherheitsoperation in Bosnien und Herzegowina”. Die Bundeswehr soll vor allem einen Beitrag zur Stabilisierung der Strukturen und zum Erhalt des Friedensabkommens von Dayton aus dem Jahr 1995 leisten.
Derzeit sind rund 40 deutsche Soldaten und Soldatinnen in dieser EU-Mission eingesetzt. Der Bundestag hatte das Mandat (Drucksache 20/11413) zuletzt in der vergangenen Woche verlängert.
Die Beteiligung der Bundeswehr an der US-geführten internationalen Koalition für den Kampf gegen die Terrororganisation Islamischer Staat ist der einzige Auslandseinsatz deutscher Streitkräfte in einer Koalition jenseits des Rahmens von UN, Nato oder EU. Über die Jahre wurde das Bundeswehr-Engagement immer wieder verändert: Anfangs flogen auch deutsche Aufklärungsflugzeuge über Syrien, inzwischen findet auch die deutsche Luftbetankung für andere Flugzeuge dieser Koalition nicht mehr über Syrien statt, nur noch über dem Irak. Der Fokus des Einsatzes wechselte vor allem von der Bekämpfung des IS zur Ertüchtigung des Irak.
Aktuell beteiligen sich deutsche Soldaten vor allem mit einem Tankflugzeug, stationiert in Al Azraq/Jordanien, an der internationalen “Operation Inherent Resolve” (OIR) – der A400M betankt die Kampfjets anderer an OIR beteiligter Nationen für Luftangriffe auf den IS in Syrien und im Irak. In Erbil im Nordirak sind weitere deutsche Soldatinnen und Soldaten als Teil einer Beratermission stationiert.
Parallel läuft eine Nato-Mission im Irak (NMI), an der die Bundeswehr bei der Beratung irakischer Institutionen für die Ausbildung von Soldaten beteiligt ist und unter anderem einen Brigadegeneral als Chef der Ausbildungsabteilung stellt.
In beiden Missionen, für die es ein gemeinsames Mandat gibt, sind derzeit rund 300 Soldaten und Soldatinnen eingesetzt, der größte Teil auf der Luftwaffenbasis in Jordanien. Der Bundestag hatte zuletzt im Herbst vergangenen Jahres das Mandat (Bundestagsdrucksache 20/8341) verlängert.
Bereits seit 2006 beteiligt sich die Bundeswehr an der “United Nations Interim Forces in Lebanon” (UNIFIL), die die Grenzlinie zwischen Israel und dem Libanon überwachen soll. Die Deutsche Marine baute damals mit der “Maritime Task Force” (MTF) die erste UN-Mission zur See auf, aktuell wird diese Task Force mit Schiffen aus fünf Nationen auch von einem deutschen Flottillenadmiral geführt.
Der Einsatz der Bundeswehr findet zwar überwiegend auf einem der jeweils vor der Küste eingesetzten Kriegsschiffe statt, mit dem deutschen Personal an Land im UNIFIL-Hauptquartier in Nakura im Libanon ist aber auch die Bundeswehr von den zunehmenden Auseinandersetzungen zwischen Israel und der libanesischen Hizbollah-Miliz betroffen. Aktuell sind rund 250 Soldaten in dieser Mission eingesetzt. Der Bundestag hatte das Mandat (Bundestagsdrucksache 20/11411) in der vergangenen Woche verlängert.
Die von der Europäischen Union geführte “militärische Krisenbewältigungsoperation im Mittelmeer” der European Naval Forces Mediterranean (EUNAVFOR MED) Irini soll in erster Linie das UN-Waffenembargo gegen Libyen überwachen. Irini löste 2020 in dieser Aufgabe die vorherige EU-Mission Sophia ab, die am Streit der Mitgliedsstaaten über den Umgang mit aus Seenot geretteten Migranten und Flüchtlingen zerbrochen war. Als “Nebenaufgabe” sind im Mandat Maßnahmen zur Verhinderung der illegalen Ausfuhr von Erdöl aus Libyen und zur “Zerschlagung des Geschäftsmodells von Schleuser- und Menschenhändlernetzen” genannt.
Militärisch beteiligt sich die Bundeswehr an der Mission aktuell nur mit Stabspersonal; zur Seeraumüberwachung stellt Deutschland ein ziviles Flugzeug zur Verfügung. Das Mandat (Bundestagsdrucksache 20/10508) wurde vom Bundestag zuletzt im März dieses Jahres verlängert.
Die Maritime Sicherheitsoperation Sea Guardian (MSO SG) ist eine umfassende Überwachungsoperation der Nato für das Mittelmeer, mit weitreichenden Befugnissen bis hin zur Beschlagnahme und Umleitung von Schiffen. Sie wurde als Nachfolge der “Operation Active Endeavour” geschaffen, die noch auf den Bündnisfall der Allianz nach den Angriffen von New York und Washington am 11. September 2001 gestützt war, und soll als Frühwarnsystem vor allem gegen Terroraktivitäten dienen. Im Regelfall unterstellt die Bundeswehr Marineeinheiten auf dem Weg durch das Mittelmeer oder in anderen Missionen in der Region dieser Operation, so dass die Zahl der eingesetzten Soldaten ständig schwankt.
Das Bundeswehrmandat (Bundestagsdrucksache 20/10161) wurde zuletzt Anfang des Jahres vom Bundestag verlängert.
Der von der EU geführte Einsatz im Roten Meer ist die jüngste Auslandsmission der Bundeswehr. Zusammen mit Schiffen anderer EU-Staaten und in Zusammenarbeit der von den USA geführten “Operation Prosperity Guardian” sollen Handelsschiffe vor den Angriffen der Huthi-Milizen im Jemen geschützt werden – die hatten im November vergangenen Jahres damit begonnen, als Unterstützung für die Hamas im Krieg mit Israel westliche Handelsschiffe auf dem Seeweg zum für den internationalen Handel wichtigen Suezkanal mit Raketen, Drohnen, Marschflugkörpern und auch Schnellbooten anzugreifen.
Der Bundestag hatte das Mandat für die deutsche Beteiligung an der EU-Mission (Bundestagsdrucksache 20/10347) im Februar beschlossen; unmittelbar danach begann die deutsche Fregatte “Hessen” ihre Beteiligung an dem Einsatz. Seit der Rückkehr des Schiffs Ende April entsendet die Deutsche Marine derzeit kein Schiff in diese Mission, so dass die Bundeswehrbeteiligung aus Stabspersonal besteht. Der Einsatz der Fregatte “Hamburg” ist für die zweite Jahreshälfte vorgesehen.
Die UN-Mission im Südsudan entwickelte sich aus der vorangegangenen UN-Mission für den ganzen Sudan – nach Abspaltung des Südens bauten die Vereinten Nationen eine neue Operation auf, in der unter anderem Militärbeobachter eine friedliche Entwicklung vor dem Hintergrund innerer Spannungen im Land sicherstellen sollen. Derzeit sind zwölf deutsche Soldaten und Soldatinnen in dieser Mission, sowohl im Stab in der Hauptstadt Juba als auch als Beobachter in verschiedenen Teilen des Landes.
Das Mandat des Bundestags (Bundestagsdrucksache 20/10160) wurde zuletzt Anfang dieses Jahres verlängert.
Seit 1991 soll die UN-Mission”Mission des Nations Unies pour l’Organisation d’un Référendum au Sahara Occidental” (MINURSO) ein Referendum zur Zukunft der ehemaligen spanischen Kolonie West-Sahara umsetzen. Spätestens seit der Unterstützung des damaligen US-Präsidenten Donald Trump für Marokkos Gebietsansprüche auf die Westsahara scheint allerdings jegliche Aussicht auf ein solches Referendum unwahrscheinlich.
Anfangs war Deutschland mit Polizisten des Bundesgrenzschutzes beteiligt, ehe 2013 die Bundeswehr diese Aufgabe übernahm. Aktuell beteiligt sie sich mit vier Offizieren an dieser Beobachtermission, sowohl im von der marokkanischen Armee kontrollierten Gebiet als auch im Bereich der Unabhängigkeitsbewegung Frente Polisario. Die Entsendung der deutschen Soldaten gilt nicht als mandatierungspflichtiger Einsatz, so dass er nur vom Bundeskabinett und nicht vom Parlament beschlossen wurde.
Beginnen wir mit einem Blick Richtung Ostsee, einem zunehmenden Hotspot für hybride Angriffe: Welche Gefahren sehen Sie hier für Ihr Land?
Die Ostsee kann ein herausforderndes Gebiet sein. Russland könnte das Baltikum von den Versorgungswegen abschneiden, aber noch viel mehr besteht die Gefahr der hybriden Angriffe auf unsere Infrastruktur, wie das Stromkabel nach Schweden oder unser LNG-Terminal im Hafen von Klaipeda. Nach dem Beitritt Finnlands und Schwedens zur Nato nennen wir die Ostsee auch oft Nato-See, aber das ist nur geografisch so. Wir müssen uns sehr anstrengen, unsere Fähigkeiten in die Praxis umzusetzen. Die deutsche Rolle ist hier übrigens von entscheidender Bedeutung, aber auch die Partnerschaft mit Finnland und Schweden, mit deren Fähigkeiten wir eine Menge erreichen können.
Sie sprachen die Nato an: Schweden und Finnland unterstehen nicht dem gleichen operativen Hauptquartier wie die baltischen Länder, Deutschland und Dänemark, es würde also eine Trennlinie durch die Ostsee gezogen werden. Wirkt sich das aus Ihrer Sicht nachteilig auf die gemeinsame Verteidigung der Ostsee aus?
Wir wollen diese Trennlinie zwar nicht, aber wenn sich die nordischen Staaten für etwas entschieden haben, kann es sehr schwierig sein, zu einer gemeinsamen Lösung zu kommen. Es ist zwar noch alles in der Planung, aber es könnte wie zu Zeiten des Kalten Krieges hin zu einer Aufteilung nach Domänen und weniger nach Territorien gehen. [Das operative Hauptquartier] Norfolk wäre dann vorrangig für den Atlantik und die Kommunikationsverbindungen zur See zuständig, Brunssum für die Landdomäne im Baltikum.
Bereits jetzt sind hybride Bedrohungen zu Land und zu Wasser real. Wie reagieren Sie konkret darauf?
Wir brauchen für Bedrohungen unter Artikel 5 [des Nato-Vertrags] ein sehr flexibles nationales System. Es reicht nicht, eine starke militärische Reaktion zu haben. Wir müssen auch schnell auf Grauzonen-Szenarien reagieren können. Wir denken darüber nach, eine entsprechende Abteilung im Innenministerium als Brücke zwischen den Bemühungen der Unternehmen und der militärischen Verteidigung mit mehr Mandaten und Fähigkeiten auszustatten.
Was sind darüber hinaus Ihre Prioritäten derzeit?
Erstens: Die Nato-Verteidigungspläne müssen jetzt mit Ressourcen hinterlegt werden. Deutschland ist hier ein Vorbild, ich weiß, wie viele Kräfte Deutschland den Verteidigungsplänen widmet, eine der praktischen Umsetzungen dieser Pläne ist die Brigade in Litauen. Aber nicht alle Nato-Länder machen gleich viel. Ich will keine Namen nennen, aber wir brauchen mehr Kräfte.
Zweitens: Wir müssen unsere Fähigkeitslücken, vor allem in der Luftverteidigung, schließen. Das bedeutet langfristige Verträge mit der Industrie, die immer noch denkt, dass irgendeine Art von Frieden kommen und alles wieder normal wird. Wir bauen derzeit zusätzliche Verteidigungslinien auf, aber keine neuen Fabriken. Das heißt auch höhere Verteidigungsausgaben von mindestens zwei Prozent.
Drittens: Wir brauchen mehr Beteiligung am Modell der rotierenden Luftverteidigung in Litauen, auf das wir uns auf dem letzten Nato-Gipfel geeinigt haben. Die Niederlande kommen jetzt zu Trainingszwecken nach Litauen, aber wir brauchen weitere Länder. Wir wenden uns derzeit an alle, die über entsprechende Fähigkeiten verfügen, und laden sie nach Litauen ein. Aber wir bitten auch die Nato-Führung, mehr Anstrengungen zu unternehmen, um uns bei diesem Modell zu unterstützen.
Zur deutschen Brigade in Litauen: Wird der Schutz der Brigade vor Angriffen aus der Luft nur Aufgabe der Alliierten sein?
Eine meiner Prioritäten nach meinem Amtsantritt war die Beschaffung weiterer Flugabwehrsysteme für Raketen mit kurzer und mittlerer Reichweite. Bei Kurzstrecke denken wir in naher Zukunft an ein System wie Skyranger, langfristig soll es wohl Skyranger 2 werden. Bei mittlerer Distanz entscheiden wir uns noch zwischen NASAMS oder IRIS-T. Die kampfbereite Brigade wird auch in der Lage sein, Luftverteidigung zu leisten, außerdem werden andere Nationen Teil der Brigade sein und ebenfalls Fähigkeiten mitbringen, wie eben die Niederlande, aber auch Tschechien und Norwegen.
Die Diskussion um Nato-Truppen in der Ukraine wird auch von den baltischen Staaten vorangetrieben. Unter welchen Umständen würden Sie Truppen in die Ukraine senden?
Es ist eine französische Initiative. Wenn Frankreich die Führung übernimmt, wenn Frankreich eine Koalition aufbaut, wenn Frankreich eine Lösung findet, wie wir Übungen in der Westukraine durchführen können – es geht um Lernen, um Lehren, nicht um Kampfhandlungen -, wenn Frankreich eine Lösung zur Sicherung von Übungszentren per Luftverteidigung findet – wenn diese Modalitäten klar sind, dann wird Litauen in Betracht ziehen, sich anzuschließen.
Viele Länder, auch Deutschland und Litauen, bauen wieder territoriale Verteidigungskräfte auf und investieren in ihre Reserve. Was halten Sie denn vom deutschen Wehrdienstmodell, das jetzt kommen soll?
Es ist interessant. Jedes Land hat seinen eigenen Kontext, seine eigenen Traditionen und Erzählungen, seine eigene Identität. Wenn man einmal beschlossen hat, die Wehrpflicht abzuschaffen, ist es immer sehr schwierig, zu ihr zurückzukehren. Wir werden sehen, ob es funktioniert. Aber Minister Pistorius macht einen großartigen Job. Er hat absolut verstanden, dass es nicht nur eine Berufsarmee mit einer Wehrpflicht braucht, sondern dass man nach der Wehrpflicht auch eine aktive Reserve braucht.
Was erwarten Sie vom Nato-Gipfel in Washington?
Aus unserer Sicht ist es wichtig, alle Fakten über die tatsächliche Durchführbarkeit der regionalen Verteidigungspläne auf dem Tisch zu haben. Und natürlich weitere Verteidigungszusagen zu machen. Ich werde in Washington aufzeigen, wie wir in Litauen künftig auf die drei Prozent Verteidigungsausgaben kommen wollen. Schwieriger wird es, etwas in Richtung Nato-Einladung für die Ukraine zu tun, aber wir brauchen eine viel deutlichere Sprache. Ich erwarte also keine Revolution, aber ich erwarte starke Entscheidungen und praktische Schritte.
Am Dienstag soll in der SPD-Bundestagsfraktion ein 10-Punkte-Papier “zur Stärkung der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie in Deutschland und Europa” beschlossen werden. Unter anderem fordert das Papier, das Table.Briefings vorliegt, eine Steuerung der Industriepolitik durch die Bundesregierung, die sich an den auf Nato-Ebene definierten Fähigkeitsanforderungen orientiert, sowie langfristige Verteidigungsplanung und finanzielle Planungssicherheit für die Verteidigungsindustrie. Im Fraktionsvorstand wurde es bereits mit kleinen Änderungen im Bereich Forschung ohne Gegenstimmen angenommen, heißt es aus der Fraktion.
“Wir brauchen eine zu jedem Zeitpunkt gesicherte und auskömmliche Finanzierung unserer Sicherheit, die nicht am Dogma der schwarzen Null scheitert”, heißt es in dem Papier, das federführend von der Arbeitsgruppe Wirtschaft und der Arbeitsgruppe Sicherheit und Verteidigung ausgearbeitet wurde.
Nur kurz vorher hatte die FDP ebenfalls ein Positionspapier zur Stärkung der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie in der Zeitenwende vorgelegt. Ein Rüstungsvertreter erklärt gegenüber Table.Briefings allerdings, dass das SPD-Papier “deutlich näher an den industriellen Herausforderungen” sei. Die FDP beschäftige sich dagegen mehr mit “Nischen- oder Spezialthemen”, wie einer KI-Strategie.
Bei vielen Themen herrscht allerdings auch Konsens und es geht um etwas unterschiedliche Schwerpunktsetzung. Auch beim Rüstungsexportkontrollgesetz gibt es Übereinstimmungen. Beide sprechen sich dafür aus, dass die Liste der Nato-gleichgestellten Länder, für die vereinfachte Exportbedingungen bestehen, erweitert werden soll. Die FDP will außerdem, dass für diese Länder auch die derzeit existierenden Rüstungsexportkontrollen abgeschwächt werden. Für die SPD-Fraktion, die lange die Verteidigungsindustrie nicht in den Fokus gestellt hat, stellt das Papier dennoch einen großen Schritt dar.
Das SPD-Papier ist laut Entwurf “en détail” mit dem Verteidigungsministerium abgestimmt, mit dem Bundeskanzleramt “in Grundzügen”. Die finanziellen Forderungen werden mit Blick auf die laufenden Haushaltsverhandlungen für den Haushalt 2025 weitestgehend ausgeklammert. wp
Durch die Drohungen Wladimir Putins, Kernwaffen gegen Unterstützer Kiews einzusetzen, muss Deutschland sich erstmals seit dem Kalten Krieg wieder mit der Gefahr einer nuklearen Eskalation beschäftigen, heißt es in einem neuen Arbeitspapier der Bundesakademie für Sicherheitspolitik (Baks), das Table.Briefings vorliegt.
“Damit ist das Konzept der nuklearen Abschreckung mit all seinen Vorteilen, Gefahren und Dilemmata wieder ein Kernelement deutscher, europäischer und transatlantischer Sicherheitspolitik”, schreibt der Autor des Papiers, Karl-Heinz Kamp, ehemaliger Präsident der Bundesakademie für Sicherheitspolitik.
Er attestiert Deutschland allerdings weitestgehend “tiefe Ahnungslosigkeit” mit Blick auf das Thema und nimmt fünf Institutionen in die Pflicht, daran etwas zu ändern:
Die “Träume von einer Welt ohne Atomwaffen” seien der Erkenntnis gewichen, dass Deutschland die nukleare Zukunft mitgestalten muss. Dazu brauche es nukleare Expertise in Politik, Journalismus und interessierter Öffentlichkeit. Politisch geführt wird die Baks durch den Bundessicherheitsrat als Kuratorium. Vorsitzender ist der Bundeskanzler. Organisatorisch gehört die Baks als selbstständige Dienststelle zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung. Am Mittwoch soll es veröffentlicht werden. wp
Um die Partnerschaften der Nato an ihrer Südflanke besser zu koordinieren, soll ein Sonderbeauftragter eingerichtet werden. Die Idee geht auf einen Vorschlag aus der Expertengruppe der Nato zur südlichen Nachbarschaft zurück. Für die Politikwissenschaftlerin Isabelle Werenfels, von Oktober 2023 bis April 2024 Mitglied der Expertengruppe, ist die Nato “zu wenig präsent in dieser Region”.
In diesem Umfeld ginge es darum, “persönliche Beziehungen aufzubauen”. Dies sei zu wenig geschehen in den letzten Jahren. Partnerschaftsangebote an diese Länder, seien “keine Almosen”, sondern ein “sicherheitspolitisches Instrument”, so die Nato-Expertin Claudia Major.
Ein Problem der Nato sind vor allem die unterschiedlichen Interessen der einzelnen Länder. Nato-Partner wie die Staaten auf der arabischen Halbinsel haben zum Teil bereits seit längerem über US-Stützpunkte in ihren Ländern, ein Beispiel ist Kuweit. Nach dem umstrittenen Einsatz der Nato in Libyen sehen aber Länder wie Algerien oder Tunesien eine Zusammenarbeit kritisch.
Die südlichen Länder wie Spanien oder Italien hingegen “fürchten sich weniger vor Russland, als vor den Problemen vor ihrer Haustüre”, analysiert Major in einem Podcast der SWP, der am Montag erschienen ist. Dies seien vor allem zerfallende Staaten in ihren Nachbarschaften, Migration oder Terrorismus. Während Russland eindeutig als Bedrohung für die Ostflanke definiert ist, weiß die Nato im Süden “nicht so richtig, was sie will”.
Der kommende Nato-Gipfel in Washington wird sich vorrangig um die Verteidigungsfähigkeit des Bündnisses und die Frage nach der nachhaltigen Unterstützung der Ukraine drehen. Deshalb sei es wichtig, auch die südlichen Partnerschaften mit ihren Interessen wahrzunehmen. Die Frage sei nicht Süden gegen Osten, so die SWP-Wissenschaftlerin Werenfels. “Wir haben gesehen, wie eng die Nachbarschaften verflochten sind”. Die Folgen des Krieges in der Ukraine zeigen, wie “Getreideengpässe oder hohe Energiepreise vor allem den afrikanischen Bevölkerungen zu schaffen gemacht haben”.
Die Nato hat über 40 Partnerschaften mit einzelnen Staaten und Organisationen wie der Europäischen Union oder der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE). Ein Sonderbeauftragter für die südliche Nachbarschaft könnte vor allem eine bessere Koordination mit schwierigen Partnern organisieren. Als Beispiel für eine erfolgreiche Kooperation nannte Werenfels die Nato-Mission im Irak. Ziel der Mission ist die Stärkung der irakischen Sicherheitsinstitutionen. “Dafür braucht man einen langen Atem”. nana
Russland will seine Arbeit in der Parlamentarischen Versammlung der OSZE sowie die finanziellen Beiträge zum Budget der Versammlung dauerhaft aussetzen. Eine entsprechende Erklärung soll der russische Föderationsrat am morgigen Mittwoch annehmen. Grund für diese Pläne ist höchstwahrscheinlich die Resolution der Parlamentarischen Versammlung der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), die Russlands Krieg gegen die Ukraine als “Genozid am ukrainischen Volk” bezeichnen soll. Laut der Deutschen Welle soll der Resolutionstext am 3. Juli veröffentlicht werden.
Noch bis Mittwoch dauert das Treffen der 250 Parlamentarier aus Nordamerika, Europa und Zentralasien in Bukarest an. Rumänien hat der russischen Delegation keine Visa erteilt, so wie zuvor schon Kanada. Moskau wirft der Parlamentarischen Versammlung der OSZE mit 53 Mitgliedern “Russophobie” vor – ein Vorwurf, den Russland gegen alle internationalen Kritiker erhebt.
Im Gegensatz zur Versammlung der OSZE-Mitgliedstaaten in Wien gilt in der Parlamentarischen Versammlung der OSZE das Mehrheits- und kein Einstimmigkeitsprinzip. Russland könne hier nicht einfach etwas blockieren, erläutert Cornelius Friesendorf, der am Hamburger Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik zur OSZE forscht. Darüber hinaus habe Russland ohnehin schon 2022 und 2023 keine Mitgliedsbeiträge bezahlt und dadurch kein Stimmrecht gehabt.
Zieht sich Russland aus der Arbeit in der Parlamentarischen Versammlung doch zurück, “ist es ein weiteres Forum, in dem kein Austausch mehr stattfinden kann”, sagt Friesendorf. “Man könnte argumentieren, dass Moskau dann auch seine Propaganda nicht verbreiten könnte. Aber wenn sich was in Moskau ändert, dann wären solche Foren wichtig.” vf
War on the Rocks: What France´s Surprise Elections Could Mean for Its Relations with the World. Ulrike Franke vom European Council on Foreign Relations (ECFR) hat aufgeschrieben, welche Konsequenzen es für die Außen- und Sicherheitspolitik Frankreichs haben würde, wenn die links- und rechtsextremen Kräfte in Frankreich die Parlamentswahlen gewinnen. In deren Programmen dominieren antieuropäische, antiamerikanische und auch antideutsche Standpunkte.
SWP: Am Abgrund – Warum der Konflikt zwischen Nord- und Südkorea eskalieren könnte. Während Nordkorea in den vergangenen Jahren die Beziehungen zu Russland und China, die militärische Modernisierung und den Personenkult um Kim Jong-un verstärkte, konzentriert sich Südkorea auf Sicherheitspartnerschaften mit USA und Japan. Derzeit häufen sich die Zwischenfälle an der innerkoreanischen Grenze und die Wahrscheinlichkeit eines offenen Konflikts ist deutlich erhöht, schreibt Korea-Wissenschaftler Eric Ballbach.
DGAP: Stabilisierungspolitik nach den Coups im Sahel. Nach den jüngsten Putschen in der Sahel-Zone stellt sich die Frage, ob und wie die bisherigen Stabilisierungspolitiken fortgeführt werden können. Die DGAP vergleicht an dieser Stelle die Politiken von Deutschland, Großbritannien, den Niederlanden und den USA und fordert, Deutschland müsse klarer definieren, welche Partner als legitim betrachtet werden und welche grundlegenden Prinzipien maßgeblich sein sollten.
SWR: Die Flutkatastrophe im Ahrtal – True Crime. Bei der Flut im Ahrtal im Juli 2021 starben 135 Menschen. Der zuständige Landrat ließ seinen Krisenstab allein – dennoch verzichtet die Staatsanwaltschaft auf eine Anklage wegen fahrlässiger Tötung durch Unterlassen. In diesem Podcast diskutieren der Journalist Holger Schmidt und der frühere Bundesrichter Thomas Fischer über Verantwortung und Strafbarkeit in Krisensituationen.
SWP: Das Vereinigte Königreich und die EU – Neue Möglichkeiten, alte Hindernisse. Welche Perspektiven es in der europäisch-britischen Zusammenarbeit in der Außen- und Sicherheitspolitik nach den Unterhauswahlen gibt, analysiert dieses Papier. “Mittelfristig geht es nicht um eine Rückabwicklung des Brexits, wohl aber um den Aufbau einer Gemeinsamen Strategischen EU-UK-Initiative“, schreibt EU-Forschungsgruppenleiter Nicolai von Ondarza.
Dass Serap Güler (43, CDU) erst seit dieser Legislaturperiode im Verteidigungsausschuss und überhaupt im Bundestag sitzt, kann man schon mal vergessen, so omnipräsent ist die Sicherheitspolitik mit der Rückkehr des Kriegs nach Europa geworden. Und damit auch die Sichtbarkeit der überschaubaren Anzahl von Fachpolitikerinnen und -politikern aus diesem Bereich in den Medien.
Beinahe über Nacht waren Waffenlieferungen in ein Kriegsgebiet, Jugendoffiziere an Schulen und die Öffnung der Bundeswehr für Ausländer keine Tabus mehr. Themen, für die sich Güler einsetzt. Wobei sich letzteres “mit der Zeit von selbst erledigen wird”, wie sie sagt. Viele junge Menschen mit Migrationsgeschichte hätten bereits die deutsche Staatsbürgerschaft, seit diesem Jahr gebe es die Möglichkeit, zwei Pässe zu führen.
Trotzdem sei der Zugang von Ausländern zur Bundeswehr ein Thema, welches es zu diskutieren gelte: “Die Öffnung hätte einen integrativen Charakter, den man mit nichts anderem so stark forcieren kann wie mit einem Einsatz in der Bundeswehr. Es signalisiert: Ich gehöre in dieses Land, ich diene diesem Land, ich verteidige, wenn es darauf ankommt, dieses Land. Das hat man nirgendwo so stark wie bei der Bundeswehr.” Die Truppe selbst, so wisse sie aus Gesprächen mit Soldatinnen und Soldaten, sei darüber geteilter Meinung. Etwa die Hälfte stehe der Öffnung positiv gegenüber. Es dürfe aber nicht der Eindruck einer Fremdenlegion entstehen, sagen andere.
“Weniger problematisch wäre das bei einem verpflichtenden Gesellschaftsjahr, das hätte meiner Meinung nach auch eine sehr integrative Wirkung”, sagt Güler. Wichtig sei hier, dass es nicht nur um die Bundeswehr gehen dürfe: “Die Bundeswehr kann, soll und muss eine Säule eines größeren Systems sein. Wir müssen das große Ganze sehen, wir brauchen eine gesamtgesellschaftliche Resilienz”, sagt Güler. Die auf dem vergangenen Parteitag von der Union beschlossene Position für eine Reaktivierung der Wehrpflicht sei als Zwischenschritt zu verstehen.
Eigentlich hatte die Tochter türkischer Gastarbeiter mit dem Einzug in den Bundestag 2021 die Migrationspolitik hinter sich lassen wollen. Mehr als 20 Jahre hatte sie sich dafür auf Landesebene in ihrer Heimat Nordrhein-Westfalen starkgemacht. Armin Laschet (CDU), ihr politischer Ziehvater und – vor seiner Zeit als Ministerpräsident – Integrationsminister in NRW, habe der Integrationspolitik bundesweit einen hohen Stellenwert verschafft, sagte Güler einmal der Südwest Presse.
2009 entschied sie sich für den Beitritt zu den Christdemokraten, drei Jahre später war sie bereits im Bundesvorstand der CDU angekommen, seit 2013 ist sie stellvertretende Parteivorsitzende der CDU Köln. Und das, obwohl sie sich erst “recht spät” überhaupt für Politik interessierte, wie sie sagt. Nach ihrer Ausbildung zur Hotelfachfrau studierte sie Kommunikationswissenschaften und Germanistik an der Universität Duisburg-Essen, in ihrer Abschlussarbeit lag ihr Fokus auf der Migration.
In ihrer “ersten” Karriere war sie Staatssekretärin im nordrhein-westfälischen Landesministerium für Generationen, Familie, Frauen und Integration. “Aber irgendwann gab es keine Studie mehr, welche ich nicht schon mal gesehen hätte”, erklärt Güler. “Mit großer Freude am Austausch mit der Truppe” mache sie nun die Arbeit im Verteidigungsausschuss. Die Interessen der Truppe und vor allem die der vielen Bundeswehr-Standorte in Köln waren es, für die sie im Wahlkampf für den Einzug in den Bundestag warb.
Künftig wird sie sich auf deutlich kontroversere Debatten einstellen müssen: Güler will deutlich mehr Jugendoffizierinnen und -offiziere in den Schulen sehen. “Ich möchte, dass jede Schulklasse ab der neunten Klasse einmal mit der Bundeswehr, mit Jugendoffizieren, in Verbindung kommt.” Widerstand dagegen kommt nicht nur aus vielen Schulen, sondern auch vor allem von den Grünen. Güler scheut die Debatten nicht: “Wir müssen die Bürger endlich aus der Watte packen. Wir können nicht über Verteidigungsfähigkeit, Sicherheit und den Erhalt von unserem Wohlstand diskutieren, ohne dafür bereit zu sein, bestimmte Schritte zu gehen.” Lisa-Martina Klein
ein Jahr nach Verabschiedung der Nationalen Sicherheitsstrategie muss die Politik – laut Außenministerin Annalena Baerbock – noch viel Überzeugungsarbeit leisten, um die Bürgerinnen und Bürger für die bevorstehenden Entbehrungen zu gewinnen. Was Claudia Major (SWP), Ulrike Franke (ECFR) und Johann Wadephul (CDU/CSU) an der Umsetzung der Strategie bemängeln, hat Markus Bickel aufgeschrieben.
Die große Zeit der Auslandseinsätze ist nach dem Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan und Mali vorbei. Doch auch heute sind noch knapp 1.000 Soldaten und Soldatinnen in insgesamt neun Auslandseinsätzen außerhalb des Nato-Gebiets im Einsatz. Eine Übersicht, welche das sind, hat Thomas Wiegold zusammengestellt.
Der litauische Verteidigungsminister Laurynas Kasčiūnas hat mit Lisa-Martina Klein darüber gesprochen, wie er sein Land auf die kommenden Monate und Jahre vorbereitet, was er von den anderen Nato-Partnern fordert und unter welchen Bedingungen er litauische Truppen in die Ukraine senden würde.
Außerdem will die SPD-Bundestagsfraktion in dieser Woche ein 10-Punkte-Papier “zur Stärkung der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie in Deutschland und Europa” beschließen. Vor kurzem hat auch die FDP-Bundestagsfraktion ein solches Papier herausgebracht. Wie sich die beiden Strategien unterscheiden, hat Wilhelmine Preußen aufgeschrieben.
Eine erkenntnisreiche Lektüre wünscht
Keines der drei Länder, die in der Nationalen Sicherheitsstrategie (NSS) von Sommer 2023 explizit als Schlüsselstaaten aufgeführt werden, nannte Außenministerin Annalena Baerbock am Montag beim Namen: Frankreich, USA, Israel. Und das, obwohl die inneren Veränderungen von Deutschlands wichtigsten internationalen Partnern dramatisch sind. “Wie langlebig ist eine Strategie, wenn innerhalb eines Jahres drei zentrale Pfeiler in Frage stehen?”, fragte dann auch Claudia Major, Leiterin der Forschungsgruppe Sicherheitspolitik der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) auf der von der Bundesakademie für Sicherheitspolitik (Baks) ausgerichteten Veranstaltung “Nationale Sicherheitsstrategie – Integriert handeln für unsere Sicherheit.”
Zwar lobte Major den grundlegenden Ansatz des im Juni 2023 vorgestellten Papiers, ressortübergreifend, unter Einbeziehung von Bund, Ländern, Kommunen und Wirtschaft, ein System integrierter Sicherheit zu etablieren. Doch kurzfristig helfe das nicht weiter. Nicht nur in Hinblick auf das gerade erst mühsam wiederbelebte Weimarer Dreieck aus Deutschland, Frankreich und Polen, das im Falle einer vom Rassemblement National (RN) geführten Regierung in Paris kaum weiter so funktionieren werde wie bislang. “Man muss sich jetzt zum ersten Mal ehrlich machen, wie viel uns Verteidigung und Sicherheit wert sind”, so Major.
Ein Punkt, der auf den drei Panels im Historischen Saal der Baks immer wieder hervorgehoben wurde: Die Bundesregierung habe es bei der Verabschiedung des Papiers versäumt, die hohen Ansprüche an eine gemeinsame Sicherheitsstrategie finanziell abzusichern. So monierte etwa Ulrike Franke vom European Council on Foreign Relations (ECFR) in Paris. “Ich glaube, wir werden doch nochmal über Geld sprechen müssen”; angesichts begrenzter Haushaltsmittel habe sie “Sorge, dass das nicht reichen könnte”.
Auch Johann Wadephul, stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion für die Bereiche Auswärtiges und Verteidigung, sieht ein Jahr nach Verabschiedung der Strategie “das Glas für mich gerade mal halb voll”: Angesichts der geopolitischen Veränderungen komme die Bevölkerung nicht darum herum, “auch mal Abstriche machen” zu müssen.
Etwas, was der Leiter der finanzpolitischen und wirtschaftspolitischen Grundsatzabteilung im Finanzministerium, Nicolas Heinen, befürwortet, aber für schwer vermittelbar hält: “Ich weiß nicht, ob man zwischen Sicherheit und Wohlstand priorisieren kann”, wand er ein. Und verwies darauf, dass bei der Schaffung wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Resilienz lediglich “die ersten Meter, nicht Kilometer hinter uns” lägen; man stehe vor einem “Marathonlauf”.
Dass man noch weit davon entfernt sei, die Bürgerinnen und Bürger mitzunehmen auf diesem Weg und für die bevorstehenden Entbehrungen zu gewinnen, erkannte nicht nur Baerbock an. Auch Marcus Faber (FDP), Vorsitzender des Verteidigungsausschusses im Bundestag, und Siemtje Möller (SPD), Parlamentarische Staatssekretärin im Verteidigungsministerium, beharrten darauf, dass Überzeugungsarbeit fast so wichtig sei wie die sicherheitspolitischen Umbrüche selbst.
“Sie haben fast alle Angst”, berichtete Möller von Gesprächen mit Menschen in Brandenburg. Gerade deshalb sei es wichtig zu erklären, dass die Bundesregierung so handele, “weil wir den Frieden und die Freiheit in Deutschland und in Europa bewahren müssen”. Und Faber beharrte darauf, dass weitaus “mehr Experten als der Verteidigungsausschuss Mitglieder hat” nötig seien, um die Bevölkerung mitzunehmen: “Wir müssen dahin gehen, wo die Menschen sind.” Das sei der Bundesregierung ein Jahr nach Verabschiedung der Sicherheitsstrategie nicht wirklich gelungen, kritisierte Claudia Major, die der Ampel deshalb eine “ziemlich schlechte Haltungsnote” erteilte.
Ausbaufähig sei auch die Einbindung von Kommunen und Ländern – etwa bei den gesundheits- und verkehrspolitischen Auswirkungen der Strategie. So plädierte Patrick Dahlemann, Chef der Staatskanzlei Mecklenburg-Vorpommerns, für einen “pragmatischen gesetzgeberischen Umgang, der Bund und Länder handlungsfähig lässt”. Die Verabschiedung der Nationalen Sicherheitsstrategie hatte sich auch deshalb bis Sommer 2023 hingezogen, weil Vertreter von Kommunen, Landkreisen und Bundesländern erst spät in die Beratungen von Außen-, Innen- und Verteidigungsministerium einbezogen wurden.
Ein positives Fazit, zumindest was die strategischen Ambitionen der Politik anbelangte, zog hingegen Wolfgang Niedermark, Mitglied der Hauptgeschäftsführung beim Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI). Durch Verabschiedung der NSS sei ein strategischer Dialog in Gang gesetzt worden, der dazu geführt habe, dass die deutsche Sicherheits- und Verteidigungsstrategie wieder als “strategische Industrie” behandelt werde, die nicht mehr der “dunklen Seite” angehöre. Das sei die Voraussetzung dafür, “dass wir auch kriegstüchtig werden in der Industrie”.
Mit der Konzentration auf die Landes- und Bündnisverteidigung und dem Ende der großen Auslandseinsätze in Afghanistan und Mali rücken die Missionen der Bundeswehr im sogenannten internationalen Krisenmanagement in den Hintergrund. Doch die deutschen Streitkräfte schicken weiterhin Soldaten und Soldatinnen in neun solcher Auslandseinsätze, die – mit einer Ausnahme – alle vom Bundestag mandatiert sind.
Im Grundsatz wird sich daran auch nichts ändern. Auch in Zukunft werde die Bundeswehr in solchen internationalen Einsätzen unter anderem zur Unterstützung von Institutionen wie den Vereinten Nationen präsent sein, auch wenn “angesichts wachsender sicherheits- und verteidigungspolitischer Herausforderungen und begrenzter Ressourcen künftig klarer entlang der sicherheitspolitischen Interessen Deutschlands priorisiert werden” müsse, wie es in einem gemeinsamen Bericht von Auswärtigem Amt und Verteidigungsministerium von Ende Juni heißt.
Die inzwischen vergleichsweise geringe Zahl der Soldaten im internationalen Krisenmanagement – insgesamt sind derzeit knapp 1.000 deutsche Soldaten und Soldatinnen in Auslandseinsätzen außerhalb des Nato-Gebiets im Einsatz – darf nicht darüber hinweg täuschen, dass deutlich mehr Bundeswehrangehörige im Ausland im Einsatz sind: Missionen wie die Nato-Battlegroup in Litauen, der Eurofighter-Einsatz in Estland oder die Beteiligung der Marine an den Einsatzverbänden der Nato haben eine andere Rechtsgrundlage, müssen nicht vom Bundestag gebilligt werden und sind darin nicht enthalten.
Die Übersicht über die laufenden Auslandseinsätze:
Der Einsatz im Kosovo, der mit dem Einmarsch der Nato in die damalige serbische Unruheprovinz 1999 begonnen wurde, ist der älteste Auslandseinsatz der Bundeswehr. Nachdem der deutsche Anteil in den vergangenen Jahren auf Anteile am Stab und Beratergruppen heruntergefahren worden war, wurde im Frühjahr wieder eine Kompanie vor allem mit Infanterie in das Land verlegt, um mit Patrouillen und Checkpoints ein mögliches Aufflackern der Gewalt zwischen Serben und Kosovaren einzudämmen. Inzwischen sind an der Nato-geführten Kosovo Force wieder knapp 300 Bundeswehrsoldaten beteiligt.
Das Mandat des Bundestags für diese Mission wurde zuletzt in der vergangenen Woche erneuert (Bundestagsdrucksache 20/11565) und beruht vor allem auf der Resolution 1244 (1999) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 10. Juni 1999.
Die Lage auf dem Balkan nach Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine und zunehmende Besorgnis über einen russischen Einfluss führten auch dazu, dass die Bundeswehr im Sommer 2022 wieder nach Bosnien-Herzegowina zurückkehrte, nachdem Deutschland bereits aus dieser Mission ausgeschieden war: Der Bundestag beschloss die “Wiederaufnahme der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der EU-geführten Sicherheitsoperation in Bosnien und Herzegowina”. Die Bundeswehr soll vor allem einen Beitrag zur Stabilisierung der Strukturen und zum Erhalt des Friedensabkommens von Dayton aus dem Jahr 1995 leisten.
Derzeit sind rund 40 deutsche Soldaten und Soldatinnen in dieser EU-Mission eingesetzt. Der Bundestag hatte das Mandat (Drucksache 20/11413) zuletzt in der vergangenen Woche verlängert.
Die Beteiligung der Bundeswehr an der US-geführten internationalen Koalition für den Kampf gegen die Terrororganisation Islamischer Staat ist der einzige Auslandseinsatz deutscher Streitkräfte in einer Koalition jenseits des Rahmens von UN, Nato oder EU. Über die Jahre wurde das Bundeswehr-Engagement immer wieder verändert: Anfangs flogen auch deutsche Aufklärungsflugzeuge über Syrien, inzwischen findet auch die deutsche Luftbetankung für andere Flugzeuge dieser Koalition nicht mehr über Syrien statt, nur noch über dem Irak. Der Fokus des Einsatzes wechselte vor allem von der Bekämpfung des IS zur Ertüchtigung des Irak.
Aktuell beteiligen sich deutsche Soldaten vor allem mit einem Tankflugzeug, stationiert in Al Azraq/Jordanien, an der internationalen “Operation Inherent Resolve” (OIR) – der A400M betankt die Kampfjets anderer an OIR beteiligter Nationen für Luftangriffe auf den IS in Syrien und im Irak. In Erbil im Nordirak sind weitere deutsche Soldatinnen und Soldaten als Teil einer Beratermission stationiert.
Parallel läuft eine Nato-Mission im Irak (NMI), an der die Bundeswehr bei der Beratung irakischer Institutionen für die Ausbildung von Soldaten beteiligt ist und unter anderem einen Brigadegeneral als Chef der Ausbildungsabteilung stellt.
In beiden Missionen, für die es ein gemeinsames Mandat gibt, sind derzeit rund 300 Soldaten und Soldatinnen eingesetzt, der größte Teil auf der Luftwaffenbasis in Jordanien. Der Bundestag hatte zuletzt im Herbst vergangenen Jahres das Mandat (Bundestagsdrucksache 20/8341) verlängert.
Bereits seit 2006 beteiligt sich die Bundeswehr an der “United Nations Interim Forces in Lebanon” (UNIFIL), die die Grenzlinie zwischen Israel und dem Libanon überwachen soll. Die Deutsche Marine baute damals mit der “Maritime Task Force” (MTF) die erste UN-Mission zur See auf, aktuell wird diese Task Force mit Schiffen aus fünf Nationen auch von einem deutschen Flottillenadmiral geführt.
Der Einsatz der Bundeswehr findet zwar überwiegend auf einem der jeweils vor der Küste eingesetzten Kriegsschiffe statt, mit dem deutschen Personal an Land im UNIFIL-Hauptquartier in Nakura im Libanon ist aber auch die Bundeswehr von den zunehmenden Auseinandersetzungen zwischen Israel und der libanesischen Hizbollah-Miliz betroffen. Aktuell sind rund 250 Soldaten in dieser Mission eingesetzt. Der Bundestag hatte das Mandat (Bundestagsdrucksache 20/11411) in der vergangenen Woche verlängert.
Die von der Europäischen Union geführte “militärische Krisenbewältigungsoperation im Mittelmeer” der European Naval Forces Mediterranean (EUNAVFOR MED) Irini soll in erster Linie das UN-Waffenembargo gegen Libyen überwachen. Irini löste 2020 in dieser Aufgabe die vorherige EU-Mission Sophia ab, die am Streit der Mitgliedsstaaten über den Umgang mit aus Seenot geretteten Migranten und Flüchtlingen zerbrochen war. Als “Nebenaufgabe” sind im Mandat Maßnahmen zur Verhinderung der illegalen Ausfuhr von Erdöl aus Libyen und zur “Zerschlagung des Geschäftsmodells von Schleuser- und Menschenhändlernetzen” genannt.
Militärisch beteiligt sich die Bundeswehr an der Mission aktuell nur mit Stabspersonal; zur Seeraumüberwachung stellt Deutschland ein ziviles Flugzeug zur Verfügung. Das Mandat (Bundestagsdrucksache 20/10508) wurde vom Bundestag zuletzt im März dieses Jahres verlängert.
Die Maritime Sicherheitsoperation Sea Guardian (MSO SG) ist eine umfassende Überwachungsoperation der Nato für das Mittelmeer, mit weitreichenden Befugnissen bis hin zur Beschlagnahme und Umleitung von Schiffen. Sie wurde als Nachfolge der “Operation Active Endeavour” geschaffen, die noch auf den Bündnisfall der Allianz nach den Angriffen von New York und Washington am 11. September 2001 gestützt war, und soll als Frühwarnsystem vor allem gegen Terroraktivitäten dienen. Im Regelfall unterstellt die Bundeswehr Marineeinheiten auf dem Weg durch das Mittelmeer oder in anderen Missionen in der Region dieser Operation, so dass die Zahl der eingesetzten Soldaten ständig schwankt.
Das Bundeswehrmandat (Bundestagsdrucksache 20/10161) wurde zuletzt Anfang des Jahres vom Bundestag verlängert.
Der von der EU geführte Einsatz im Roten Meer ist die jüngste Auslandsmission der Bundeswehr. Zusammen mit Schiffen anderer EU-Staaten und in Zusammenarbeit der von den USA geführten “Operation Prosperity Guardian” sollen Handelsschiffe vor den Angriffen der Huthi-Milizen im Jemen geschützt werden – die hatten im November vergangenen Jahres damit begonnen, als Unterstützung für die Hamas im Krieg mit Israel westliche Handelsschiffe auf dem Seeweg zum für den internationalen Handel wichtigen Suezkanal mit Raketen, Drohnen, Marschflugkörpern und auch Schnellbooten anzugreifen.
Der Bundestag hatte das Mandat für die deutsche Beteiligung an der EU-Mission (Bundestagsdrucksache 20/10347) im Februar beschlossen; unmittelbar danach begann die deutsche Fregatte “Hessen” ihre Beteiligung an dem Einsatz. Seit der Rückkehr des Schiffs Ende April entsendet die Deutsche Marine derzeit kein Schiff in diese Mission, so dass die Bundeswehrbeteiligung aus Stabspersonal besteht. Der Einsatz der Fregatte “Hamburg” ist für die zweite Jahreshälfte vorgesehen.
Die UN-Mission im Südsudan entwickelte sich aus der vorangegangenen UN-Mission für den ganzen Sudan – nach Abspaltung des Südens bauten die Vereinten Nationen eine neue Operation auf, in der unter anderem Militärbeobachter eine friedliche Entwicklung vor dem Hintergrund innerer Spannungen im Land sicherstellen sollen. Derzeit sind zwölf deutsche Soldaten und Soldatinnen in dieser Mission, sowohl im Stab in der Hauptstadt Juba als auch als Beobachter in verschiedenen Teilen des Landes.
Das Mandat des Bundestags (Bundestagsdrucksache 20/10160) wurde zuletzt Anfang dieses Jahres verlängert.
Seit 1991 soll die UN-Mission”Mission des Nations Unies pour l’Organisation d’un Référendum au Sahara Occidental” (MINURSO) ein Referendum zur Zukunft der ehemaligen spanischen Kolonie West-Sahara umsetzen. Spätestens seit der Unterstützung des damaligen US-Präsidenten Donald Trump für Marokkos Gebietsansprüche auf die Westsahara scheint allerdings jegliche Aussicht auf ein solches Referendum unwahrscheinlich.
Anfangs war Deutschland mit Polizisten des Bundesgrenzschutzes beteiligt, ehe 2013 die Bundeswehr diese Aufgabe übernahm. Aktuell beteiligt sie sich mit vier Offizieren an dieser Beobachtermission, sowohl im von der marokkanischen Armee kontrollierten Gebiet als auch im Bereich der Unabhängigkeitsbewegung Frente Polisario. Die Entsendung der deutschen Soldaten gilt nicht als mandatierungspflichtiger Einsatz, so dass er nur vom Bundeskabinett und nicht vom Parlament beschlossen wurde.
Beginnen wir mit einem Blick Richtung Ostsee, einem zunehmenden Hotspot für hybride Angriffe: Welche Gefahren sehen Sie hier für Ihr Land?
Die Ostsee kann ein herausforderndes Gebiet sein. Russland könnte das Baltikum von den Versorgungswegen abschneiden, aber noch viel mehr besteht die Gefahr der hybriden Angriffe auf unsere Infrastruktur, wie das Stromkabel nach Schweden oder unser LNG-Terminal im Hafen von Klaipeda. Nach dem Beitritt Finnlands und Schwedens zur Nato nennen wir die Ostsee auch oft Nato-See, aber das ist nur geografisch so. Wir müssen uns sehr anstrengen, unsere Fähigkeiten in die Praxis umzusetzen. Die deutsche Rolle ist hier übrigens von entscheidender Bedeutung, aber auch die Partnerschaft mit Finnland und Schweden, mit deren Fähigkeiten wir eine Menge erreichen können.
Sie sprachen die Nato an: Schweden und Finnland unterstehen nicht dem gleichen operativen Hauptquartier wie die baltischen Länder, Deutschland und Dänemark, es würde also eine Trennlinie durch die Ostsee gezogen werden. Wirkt sich das aus Ihrer Sicht nachteilig auf die gemeinsame Verteidigung der Ostsee aus?
Wir wollen diese Trennlinie zwar nicht, aber wenn sich die nordischen Staaten für etwas entschieden haben, kann es sehr schwierig sein, zu einer gemeinsamen Lösung zu kommen. Es ist zwar noch alles in der Planung, aber es könnte wie zu Zeiten des Kalten Krieges hin zu einer Aufteilung nach Domänen und weniger nach Territorien gehen. [Das operative Hauptquartier] Norfolk wäre dann vorrangig für den Atlantik und die Kommunikationsverbindungen zur See zuständig, Brunssum für die Landdomäne im Baltikum.
Bereits jetzt sind hybride Bedrohungen zu Land und zu Wasser real. Wie reagieren Sie konkret darauf?
Wir brauchen für Bedrohungen unter Artikel 5 [des Nato-Vertrags] ein sehr flexibles nationales System. Es reicht nicht, eine starke militärische Reaktion zu haben. Wir müssen auch schnell auf Grauzonen-Szenarien reagieren können. Wir denken darüber nach, eine entsprechende Abteilung im Innenministerium als Brücke zwischen den Bemühungen der Unternehmen und der militärischen Verteidigung mit mehr Mandaten und Fähigkeiten auszustatten.
Was sind darüber hinaus Ihre Prioritäten derzeit?
Erstens: Die Nato-Verteidigungspläne müssen jetzt mit Ressourcen hinterlegt werden. Deutschland ist hier ein Vorbild, ich weiß, wie viele Kräfte Deutschland den Verteidigungsplänen widmet, eine der praktischen Umsetzungen dieser Pläne ist die Brigade in Litauen. Aber nicht alle Nato-Länder machen gleich viel. Ich will keine Namen nennen, aber wir brauchen mehr Kräfte.
Zweitens: Wir müssen unsere Fähigkeitslücken, vor allem in der Luftverteidigung, schließen. Das bedeutet langfristige Verträge mit der Industrie, die immer noch denkt, dass irgendeine Art von Frieden kommen und alles wieder normal wird. Wir bauen derzeit zusätzliche Verteidigungslinien auf, aber keine neuen Fabriken. Das heißt auch höhere Verteidigungsausgaben von mindestens zwei Prozent.
Drittens: Wir brauchen mehr Beteiligung am Modell der rotierenden Luftverteidigung in Litauen, auf das wir uns auf dem letzten Nato-Gipfel geeinigt haben. Die Niederlande kommen jetzt zu Trainingszwecken nach Litauen, aber wir brauchen weitere Länder. Wir wenden uns derzeit an alle, die über entsprechende Fähigkeiten verfügen, und laden sie nach Litauen ein. Aber wir bitten auch die Nato-Führung, mehr Anstrengungen zu unternehmen, um uns bei diesem Modell zu unterstützen.
Zur deutschen Brigade in Litauen: Wird der Schutz der Brigade vor Angriffen aus der Luft nur Aufgabe der Alliierten sein?
Eine meiner Prioritäten nach meinem Amtsantritt war die Beschaffung weiterer Flugabwehrsysteme für Raketen mit kurzer und mittlerer Reichweite. Bei Kurzstrecke denken wir in naher Zukunft an ein System wie Skyranger, langfristig soll es wohl Skyranger 2 werden. Bei mittlerer Distanz entscheiden wir uns noch zwischen NASAMS oder IRIS-T. Die kampfbereite Brigade wird auch in der Lage sein, Luftverteidigung zu leisten, außerdem werden andere Nationen Teil der Brigade sein und ebenfalls Fähigkeiten mitbringen, wie eben die Niederlande, aber auch Tschechien und Norwegen.
Die Diskussion um Nato-Truppen in der Ukraine wird auch von den baltischen Staaten vorangetrieben. Unter welchen Umständen würden Sie Truppen in die Ukraine senden?
Es ist eine französische Initiative. Wenn Frankreich die Führung übernimmt, wenn Frankreich eine Koalition aufbaut, wenn Frankreich eine Lösung findet, wie wir Übungen in der Westukraine durchführen können – es geht um Lernen, um Lehren, nicht um Kampfhandlungen -, wenn Frankreich eine Lösung zur Sicherung von Übungszentren per Luftverteidigung findet – wenn diese Modalitäten klar sind, dann wird Litauen in Betracht ziehen, sich anzuschließen.
Viele Länder, auch Deutschland und Litauen, bauen wieder territoriale Verteidigungskräfte auf und investieren in ihre Reserve. Was halten Sie denn vom deutschen Wehrdienstmodell, das jetzt kommen soll?
Es ist interessant. Jedes Land hat seinen eigenen Kontext, seine eigenen Traditionen und Erzählungen, seine eigene Identität. Wenn man einmal beschlossen hat, die Wehrpflicht abzuschaffen, ist es immer sehr schwierig, zu ihr zurückzukehren. Wir werden sehen, ob es funktioniert. Aber Minister Pistorius macht einen großartigen Job. Er hat absolut verstanden, dass es nicht nur eine Berufsarmee mit einer Wehrpflicht braucht, sondern dass man nach der Wehrpflicht auch eine aktive Reserve braucht.
Was erwarten Sie vom Nato-Gipfel in Washington?
Aus unserer Sicht ist es wichtig, alle Fakten über die tatsächliche Durchführbarkeit der regionalen Verteidigungspläne auf dem Tisch zu haben. Und natürlich weitere Verteidigungszusagen zu machen. Ich werde in Washington aufzeigen, wie wir in Litauen künftig auf die drei Prozent Verteidigungsausgaben kommen wollen. Schwieriger wird es, etwas in Richtung Nato-Einladung für die Ukraine zu tun, aber wir brauchen eine viel deutlichere Sprache. Ich erwarte also keine Revolution, aber ich erwarte starke Entscheidungen und praktische Schritte.
Am Dienstag soll in der SPD-Bundestagsfraktion ein 10-Punkte-Papier “zur Stärkung der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie in Deutschland und Europa” beschlossen werden. Unter anderem fordert das Papier, das Table.Briefings vorliegt, eine Steuerung der Industriepolitik durch die Bundesregierung, die sich an den auf Nato-Ebene definierten Fähigkeitsanforderungen orientiert, sowie langfristige Verteidigungsplanung und finanzielle Planungssicherheit für die Verteidigungsindustrie. Im Fraktionsvorstand wurde es bereits mit kleinen Änderungen im Bereich Forschung ohne Gegenstimmen angenommen, heißt es aus der Fraktion.
“Wir brauchen eine zu jedem Zeitpunkt gesicherte und auskömmliche Finanzierung unserer Sicherheit, die nicht am Dogma der schwarzen Null scheitert”, heißt es in dem Papier, das federführend von der Arbeitsgruppe Wirtschaft und der Arbeitsgruppe Sicherheit und Verteidigung ausgearbeitet wurde.
Nur kurz vorher hatte die FDP ebenfalls ein Positionspapier zur Stärkung der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie in der Zeitenwende vorgelegt. Ein Rüstungsvertreter erklärt gegenüber Table.Briefings allerdings, dass das SPD-Papier “deutlich näher an den industriellen Herausforderungen” sei. Die FDP beschäftige sich dagegen mehr mit “Nischen- oder Spezialthemen”, wie einer KI-Strategie.
Bei vielen Themen herrscht allerdings auch Konsens und es geht um etwas unterschiedliche Schwerpunktsetzung. Auch beim Rüstungsexportkontrollgesetz gibt es Übereinstimmungen. Beide sprechen sich dafür aus, dass die Liste der Nato-gleichgestellten Länder, für die vereinfachte Exportbedingungen bestehen, erweitert werden soll. Die FDP will außerdem, dass für diese Länder auch die derzeit existierenden Rüstungsexportkontrollen abgeschwächt werden. Für die SPD-Fraktion, die lange die Verteidigungsindustrie nicht in den Fokus gestellt hat, stellt das Papier dennoch einen großen Schritt dar.
Das SPD-Papier ist laut Entwurf “en détail” mit dem Verteidigungsministerium abgestimmt, mit dem Bundeskanzleramt “in Grundzügen”. Die finanziellen Forderungen werden mit Blick auf die laufenden Haushaltsverhandlungen für den Haushalt 2025 weitestgehend ausgeklammert. wp
Durch die Drohungen Wladimir Putins, Kernwaffen gegen Unterstützer Kiews einzusetzen, muss Deutschland sich erstmals seit dem Kalten Krieg wieder mit der Gefahr einer nuklearen Eskalation beschäftigen, heißt es in einem neuen Arbeitspapier der Bundesakademie für Sicherheitspolitik (Baks), das Table.Briefings vorliegt.
“Damit ist das Konzept der nuklearen Abschreckung mit all seinen Vorteilen, Gefahren und Dilemmata wieder ein Kernelement deutscher, europäischer und transatlantischer Sicherheitspolitik”, schreibt der Autor des Papiers, Karl-Heinz Kamp, ehemaliger Präsident der Bundesakademie für Sicherheitspolitik.
Er attestiert Deutschland allerdings weitestgehend “tiefe Ahnungslosigkeit” mit Blick auf das Thema und nimmt fünf Institutionen in die Pflicht, daran etwas zu ändern:
Die “Träume von einer Welt ohne Atomwaffen” seien der Erkenntnis gewichen, dass Deutschland die nukleare Zukunft mitgestalten muss. Dazu brauche es nukleare Expertise in Politik, Journalismus und interessierter Öffentlichkeit. Politisch geführt wird die Baks durch den Bundessicherheitsrat als Kuratorium. Vorsitzender ist der Bundeskanzler. Organisatorisch gehört die Baks als selbstständige Dienststelle zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung. Am Mittwoch soll es veröffentlicht werden. wp
Um die Partnerschaften der Nato an ihrer Südflanke besser zu koordinieren, soll ein Sonderbeauftragter eingerichtet werden. Die Idee geht auf einen Vorschlag aus der Expertengruppe der Nato zur südlichen Nachbarschaft zurück. Für die Politikwissenschaftlerin Isabelle Werenfels, von Oktober 2023 bis April 2024 Mitglied der Expertengruppe, ist die Nato “zu wenig präsent in dieser Region”.
In diesem Umfeld ginge es darum, “persönliche Beziehungen aufzubauen”. Dies sei zu wenig geschehen in den letzten Jahren. Partnerschaftsangebote an diese Länder, seien “keine Almosen”, sondern ein “sicherheitspolitisches Instrument”, so die Nato-Expertin Claudia Major.
Ein Problem der Nato sind vor allem die unterschiedlichen Interessen der einzelnen Länder. Nato-Partner wie die Staaten auf der arabischen Halbinsel haben zum Teil bereits seit längerem über US-Stützpunkte in ihren Ländern, ein Beispiel ist Kuweit. Nach dem umstrittenen Einsatz der Nato in Libyen sehen aber Länder wie Algerien oder Tunesien eine Zusammenarbeit kritisch.
Die südlichen Länder wie Spanien oder Italien hingegen “fürchten sich weniger vor Russland, als vor den Problemen vor ihrer Haustüre”, analysiert Major in einem Podcast der SWP, der am Montag erschienen ist. Dies seien vor allem zerfallende Staaten in ihren Nachbarschaften, Migration oder Terrorismus. Während Russland eindeutig als Bedrohung für die Ostflanke definiert ist, weiß die Nato im Süden “nicht so richtig, was sie will”.
Der kommende Nato-Gipfel in Washington wird sich vorrangig um die Verteidigungsfähigkeit des Bündnisses und die Frage nach der nachhaltigen Unterstützung der Ukraine drehen. Deshalb sei es wichtig, auch die südlichen Partnerschaften mit ihren Interessen wahrzunehmen. Die Frage sei nicht Süden gegen Osten, so die SWP-Wissenschaftlerin Werenfels. “Wir haben gesehen, wie eng die Nachbarschaften verflochten sind”. Die Folgen des Krieges in der Ukraine zeigen, wie “Getreideengpässe oder hohe Energiepreise vor allem den afrikanischen Bevölkerungen zu schaffen gemacht haben”.
Die Nato hat über 40 Partnerschaften mit einzelnen Staaten und Organisationen wie der Europäischen Union oder der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE). Ein Sonderbeauftragter für die südliche Nachbarschaft könnte vor allem eine bessere Koordination mit schwierigen Partnern organisieren. Als Beispiel für eine erfolgreiche Kooperation nannte Werenfels die Nato-Mission im Irak. Ziel der Mission ist die Stärkung der irakischen Sicherheitsinstitutionen. “Dafür braucht man einen langen Atem”. nana
Russland will seine Arbeit in der Parlamentarischen Versammlung der OSZE sowie die finanziellen Beiträge zum Budget der Versammlung dauerhaft aussetzen. Eine entsprechende Erklärung soll der russische Föderationsrat am morgigen Mittwoch annehmen. Grund für diese Pläne ist höchstwahrscheinlich die Resolution der Parlamentarischen Versammlung der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), die Russlands Krieg gegen die Ukraine als “Genozid am ukrainischen Volk” bezeichnen soll. Laut der Deutschen Welle soll der Resolutionstext am 3. Juli veröffentlicht werden.
Noch bis Mittwoch dauert das Treffen der 250 Parlamentarier aus Nordamerika, Europa und Zentralasien in Bukarest an. Rumänien hat der russischen Delegation keine Visa erteilt, so wie zuvor schon Kanada. Moskau wirft der Parlamentarischen Versammlung der OSZE mit 53 Mitgliedern “Russophobie” vor – ein Vorwurf, den Russland gegen alle internationalen Kritiker erhebt.
Im Gegensatz zur Versammlung der OSZE-Mitgliedstaaten in Wien gilt in der Parlamentarischen Versammlung der OSZE das Mehrheits- und kein Einstimmigkeitsprinzip. Russland könne hier nicht einfach etwas blockieren, erläutert Cornelius Friesendorf, der am Hamburger Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik zur OSZE forscht. Darüber hinaus habe Russland ohnehin schon 2022 und 2023 keine Mitgliedsbeiträge bezahlt und dadurch kein Stimmrecht gehabt.
Zieht sich Russland aus der Arbeit in der Parlamentarischen Versammlung doch zurück, “ist es ein weiteres Forum, in dem kein Austausch mehr stattfinden kann”, sagt Friesendorf. “Man könnte argumentieren, dass Moskau dann auch seine Propaganda nicht verbreiten könnte. Aber wenn sich was in Moskau ändert, dann wären solche Foren wichtig.” vf
War on the Rocks: What France´s Surprise Elections Could Mean for Its Relations with the World. Ulrike Franke vom European Council on Foreign Relations (ECFR) hat aufgeschrieben, welche Konsequenzen es für die Außen- und Sicherheitspolitik Frankreichs haben würde, wenn die links- und rechtsextremen Kräfte in Frankreich die Parlamentswahlen gewinnen. In deren Programmen dominieren antieuropäische, antiamerikanische und auch antideutsche Standpunkte.
SWP: Am Abgrund – Warum der Konflikt zwischen Nord- und Südkorea eskalieren könnte. Während Nordkorea in den vergangenen Jahren die Beziehungen zu Russland und China, die militärische Modernisierung und den Personenkult um Kim Jong-un verstärkte, konzentriert sich Südkorea auf Sicherheitspartnerschaften mit USA und Japan. Derzeit häufen sich die Zwischenfälle an der innerkoreanischen Grenze und die Wahrscheinlichkeit eines offenen Konflikts ist deutlich erhöht, schreibt Korea-Wissenschaftler Eric Ballbach.
DGAP: Stabilisierungspolitik nach den Coups im Sahel. Nach den jüngsten Putschen in der Sahel-Zone stellt sich die Frage, ob und wie die bisherigen Stabilisierungspolitiken fortgeführt werden können. Die DGAP vergleicht an dieser Stelle die Politiken von Deutschland, Großbritannien, den Niederlanden und den USA und fordert, Deutschland müsse klarer definieren, welche Partner als legitim betrachtet werden und welche grundlegenden Prinzipien maßgeblich sein sollten.
SWR: Die Flutkatastrophe im Ahrtal – True Crime. Bei der Flut im Ahrtal im Juli 2021 starben 135 Menschen. Der zuständige Landrat ließ seinen Krisenstab allein – dennoch verzichtet die Staatsanwaltschaft auf eine Anklage wegen fahrlässiger Tötung durch Unterlassen. In diesem Podcast diskutieren der Journalist Holger Schmidt und der frühere Bundesrichter Thomas Fischer über Verantwortung und Strafbarkeit in Krisensituationen.
SWP: Das Vereinigte Königreich und die EU – Neue Möglichkeiten, alte Hindernisse. Welche Perspektiven es in der europäisch-britischen Zusammenarbeit in der Außen- und Sicherheitspolitik nach den Unterhauswahlen gibt, analysiert dieses Papier. “Mittelfristig geht es nicht um eine Rückabwicklung des Brexits, wohl aber um den Aufbau einer Gemeinsamen Strategischen EU-UK-Initiative“, schreibt EU-Forschungsgruppenleiter Nicolai von Ondarza.
Dass Serap Güler (43, CDU) erst seit dieser Legislaturperiode im Verteidigungsausschuss und überhaupt im Bundestag sitzt, kann man schon mal vergessen, so omnipräsent ist die Sicherheitspolitik mit der Rückkehr des Kriegs nach Europa geworden. Und damit auch die Sichtbarkeit der überschaubaren Anzahl von Fachpolitikerinnen und -politikern aus diesem Bereich in den Medien.
Beinahe über Nacht waren Waffenlieferungen in ein Kriegsgebiet, Jugendoffiziere an Schulen und die Öffnung der Bundeswehr für Ausländer keine Tabus mehr. Themen, für die sich Güler einsetzt. Wobei sich letzteres “mit der Zeit von selbst erledigen wird”, wie sie sagt. Viele junge Menschen mit Migrationsgeschichte hätten bereits die deutsche Staatsbürgerschaft, seit diesem Jahr gebe es die Möglichkeit, zwei Pässe zu führen.
Trotzdem sei der Zugang von Ausländern zur Bundeswehr ein Thema, welches es zu diskutieren gelte: “Die Öffnung hätte einen integrativen Charakter, den man mit nichts anderem so stark forcieren kann wie mit einem Einsatz in der Bundeswehr. Es signalisiert: Ich gehöre in dieses Land, ich diene diesem Land, ich verteidige, wenn es darauf ankommt, dieses Land. Das hat man nirgendwo so stark wie bei der Bundeswehr.” Die Truppe selbst, so wisse sie aus Gesprächen mit Soldatinnen und Soldaten, sei darüber geteilter Meinung. Etwa die Hälfte stehe der Öffnung positiv gegenüber. Es dürfe aber nicht der Eindruck einer Fremdenlegion entstehen, sagen andere.
“Weniger problematisch wäre das bei einem verpflichtenden Gesellschaftsjahr, das hätte meiner Meinung nach auch eine sehr integrative Wirkung”, sagt Güler. Wichtig sei hier, dass es nicht nur um die Bundeswehr gehen dürfe: “Die Bundeswehr kann, soll und muss eine Säule eines größeren Systems sein. Wir müssen das große Ganze sehen, wir brauchen eine gesamtgesellschaftliche Resilienz”, sagt Güler. Die auf dem vergangenen Parteitag von der Union beschlossene Position für eine Reaktivierung der Wehrpflicht sei als Zwischenschritt zu verstehen.
Eigentlich hatte die Tochter türkischer Gastarbeiter mit dem Einzug in den Bundestag 2021 die Migrationspolitik hinter sich lassen wollen. Mehr als 20 Jahre hatte sie sich dafür auf Landesebene in ihrer Heimat Nordrhein-Westfalen starkgemacht. Armin Laschet (CDU), ihr politischer Ziehvater und – vor seiner Zeit als Ministerpräsident – Integrationsminister in NRW, habe der Integrationspolitik bundesweit einen hohen Stellenwert verschafft, sagte Güler einmal der Südwest Presse.
2009 entschied sie sich für den Beitritt zu den Christdemokraten, drei Jahre später war sie bereits im Bundesvorstand der CDU angekommen, seit 2013 ist sie stellvertretende Parteivorsitzende der CDU Köln. Und das, obwohl sie sich erst “recht spät” überhaupt für Politik interessierte, wie sie sagt. Nach ihrer Ausbildung zur Hotelfachfrau studierte sie Kommunikationswissenschaften und Germanistik an der Universität Duisburg-Essen, in ihrer Abschlussarbeit lag ihr Fokus auf der Migration.
In ihrer “ersten” Karriere war sie Staatssekretärin im nordrhein-westfälischen Landesministerium für Generationen, Familie, Frauen und Integration. “Aber irgendwann gab es keine Studie mehr, welche ich nicht schon mal gesehen hätte”, erklärt Güler. “Mit großer Freude am Austausch mit der Truppe” mache sie nun die Arbeit im Verteidigungsausschuss. Die Interessen der Truppe und vor allem die der vielen Bundeswehr-Standorte in Köln waren es, für die sie im Wahlkampf für den Einzug in den Bundestag warb.
Künftig wird sie sich auf deutlich kontroversere Debatten einstellen müssen: Güler will deutlich mehr Jugendoffizierinnen und -offiziere in den Schulen sehen. “Ich möchte, dass jede Schulklasse ab der neunten Klasse einmal mit der Bundeswehr, mit Jugendoffizieren, in Verbindung kommt.” Widerstand dagegen kommt nicht nur aus vielen Schulen, sondern auch vor allem von den Grünen. Güler scheut die Debatten nicht: “Wir müssen die Bürger endlich aus der Watte packen. Wir können nicht über Verteidigungsfähigkeit, Sicherheit und den Erhalt von unserem Wohlstand diskutieren, ohne dafür bereit zu sein, bestimmte Schritte zu gehen.” Lisa-Martina Klein