mit seiner Ankündigung, taktische Atomwaffen nach Belarus zu verlegen, hatte Russlands Präsident Wladimir Putin Ende März für Aufregung im Westen gesorgt. Table.Media vorliegende Satellitenaufnahmen der früheren sowjetischen Militäranlagen Nowokolosowo und Lida deuten nun darauf hin, dass die Vorbereitungen zu deren Stationierung in vollem Gange sind – unweit der Grenze zu den Nato-Staaten Polen und Litauen.
Mein Kollege Viktor Funk hat zudem mit Nikolai Sokow vom Vienna Center for Disarmament and Non-Proliferation in Wien gesprochen, der einst für das sowjetische Außenministerium die Abrüstungsverträge START I und II mitverhandelte. Sokow verweist darauf, dass auf dem belarussischen Flugfeld Lida im Nordwesten des Landes Kampfflugzeuge vom Typ SU-25 stationiert seien, die Atombomben tragen können.
Bis zur Verabschiedung des Bundeshaushalts für 2024 im Juni hat das Kabinett in Berlin noch einige Wochen Zeit. Doch der Druck auf Bundeskanzler Olaf Scholz, die Verteidigungsausgaben zu erhöhen, wächst: nicht nur, weil Deutschland das Zweiprozentziel der Nato ansonsten abermals verfehlt, sondern auch, weil die Opposition Verteidigungsminister Boris Pistorius beispringt. Der stellvertretende Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Henning Otte (CDU), will zwanzig Milliarden Euro mehr für den nächsten Wehretat. Pistorius selbst hatte bislang eine Aufstockung um zehn Milliarden auf 60 Milliarden Euro gefordert.
Unseren Standpunkt diese Woche hat die Politikwissenschaftlerin Gesine Weber vom German Marshall Fund of the United States in Paris beigesteuert. Sie rät EU und USA, bei sicherheits- und verteidigungspolitischen Entscheidungen die Interessen der sogenannten “Global Swing States” Brasilien, Indien, Indonesien und Türkei stärker zu berücksichtigen.
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Eine aufschlussreiche Lektüre wünscht
Belarussische Soldaten üben bereits den Einsatz der Kurzstreckenrakete Iskander in Russland. Und Belarus bereitet offenbar schon die Lagerung und die Stationierung von russischen Atomwaffen vor. Gleich mehrere Orte – alte sowjetische Flugplätze und Stützpunkte – kommen dafür infrage. Zwei von ihnen stechen aufgrund ihrer Geschichte und ihrer geografischen Lage hervor:
In Nowokolosowo, ehemals Stolbtsy-2, befand sich bis 1992 das Arsenal der 25. Einheit der Strategischen Raketenkräfte der Sowjetunion. Es war das einzige Lager für strategische Atomwaffen in Belarus. Dort sollen 1.120 nukleare Sprengköpfe gelagert worden sein. Offiziell existierte dieser Ort nicht.
Nach dem Abzug der sowjetischen Atomwaffen und Trägerraketen aus Belarus Ende 1996 bekam Nowokolosowo eine neue militärische und zivile Bedeutung. Dort ist jetzt zum einen das Arsenal der belarussischen 25. Einheit ballistischer Raketen untergebracht, zum anderen sollen einige alte Hallen als Lager für zivile Produkte vermietet worden sein. Nach Informationen von Table.Media sind den zivilen Nutzern dieses Geländes die Mietverträge gekündigt worden.
Wie Satellitenbilder von Vertical52, die Table.Media exklusiv ausgewertet hat, zeigen, sind zwischen August 2021 und Ende 2023 vier große überdachte Abstellflächen auf dem Militärstützpunkt entstanden. Auf dem aktuellen Foto ist auch sichtbar, dass größere Flächen auf dem Gelände gerodet worden sind. Auf dem gesamten Gelände ist mehr Militärtechnik zu sehen als auf dem Bild vom 2021.
Die geografische Lage von Nowokolosowo ist günstig: Der Stützpunkt liegt an der wichtigen Fernstraße M1, Nordost-Südwest-Richtung, und zwischen zwei Fernstraßen, die in Ost-West-Richtung verlaufen. Zur polnischen, litauischen und zur ukrainischen Grenze gibt es gute Verbindungen. Auch eine eigens zum Militärgelände verlegte Eisenbahnlinie ist vorhanden. Ob sie betriebsbereit ist, ist unklar.
Neben Nowokolosowo gilt der Flugplatz Lida als möglicher Lagerort, von dem aus russische Jets mit Atomwaffen starten könnten. Dieser alte Flugplatz im Westen des Landes befindet sich nur wenige Kilometer von den Nato-Staaten Polen und Litauen entfernt. Südlich davon war zur Zeit der Sowjetunion eine Atomraketen-Einheit stationiert. Von diesem Ort war am 27. November 1996 die letzte sowjetische Topol-Atomrakete nach Russland verlegt worden.
Auf dem heutigen Flugplatz seien laut Nikolai N. Sokow die Kampfflugzeuge SU-25 stationiert, die Atombomben tragen können. Etwa zehn SU-25 wurden angeblich bereits technisch modifiziert. Sokow ist Senior Fellow am Wiener Zentrum für Abrüstung und Nichtverbreitung (VCDNP). Er war lange Mitarbeiter des russischen Außenministeriums und an den Verhandlungen der Atomabrüstungsverträge START I und II beteiligt. Auf Nachfrage hält er neben Lida auch Nowokolosowo als einen Lagerort für Atomwaffen für möglich. Journalisten des unabhängigen belarussischen Fernsehsenders Belsat halten das Gelände gar für den wahrscheinlichsten Ort, an dem russische Atomwaffen gelagert werden könnten.
Sokow betont jedoch, dass es unerheblich sei, wo russische Atomwaffen stationiert würden. “Wichtiger ist die Frage, ob es dazu wirklich kommt. Das hängt von verschiedenen Faktoren ab”, sagt der ehemalige Diplomat gegenüber Table.Media. Die Wahrscheinlichkeit wachse. “Ich bin noch nicht bereit, eine konkrete Vorhersage zu geben, aber die Entwicklung läuft stetig so, dass es zu einem Transfer kommt. Vieles wird nicht so sehr davon abhängen, was in der Ukraine passiert, sondern vom Verhalten der Nato und besonders Polens.”
Sokow warnt vor einer zu schnellen Reaktion der Nato und vor einer Verlegung von amerikanischen B-61- Atombomben nach Polen. “Damit würde die Nato das russische Spiel spielen und die Eskalation beschleunigen.” Bisher deutet nichts darauf hin, dass die Nato trotz der Wünsche Polens über eine Verlegung von Atomwaffen in die östlichen Mitgliedstaaten nachdenkt.
Der belarussische Oppositionelle Pawel Latuschka geht davon aus, dass der von der EU nicht anerkannte Präsident Aleksander Lukaschenko russische Atomwaffen auf jeden Fall haben wolle. “Er sichert damit auch seine Macht ab. Die Waffen werden kommen”, sagt Latuschka im Gespräch mit Table.Media. Der ehemalige Kulturminister leitet die oppositionelle Organisation National Anti-Crisis Management (NAM), die in Polen ihren Sitz hat.
Er wirft der EU vor, die Rolle von Belarus im russischen Krieg zu unterschätzen. “Täglich werden dort Regimegegner verhaftet, die belarussische Armee bildet russische Soldaten aus und versorgt sie mit Munition und Technik.” Außerdem sei das Regime auch an der Deportation ukrainischer Kinder beteiligt. “Seit elf Monaten gibt es keine schärferen Sanktionen gegen Minsk”, klagt der 50-Jährige.
Lukaschenko und Putin würden mit einem möglichen Einsatz einer Atomwaffe von Belarus aus auf Verwirrung setzen. Latuschka erläutert: “Wenn russische Atomwaffen mit belarussischen Trägersystemen von belarussischem Boden aus abgeschossen werden, dann ist nicht eindeutig klar, wer die Verantwortung trägt. Der Westen wird diskutieren und am Ende nichts unternehmen, was Putin und Lukaschenko abschreckt.”
Neben den Übungen in Russland für die Iskander-Raketen, die nach Angaben von Russlands Verteidigungsminister Sergej Schoigu bereits an Belarus übergeben wurden, trainieren belarussische und russische Streitkräfte derzeit auch gemeinsam in Belarus. Latuschka bestätigt Medienberichte, dass aktuell die Einsatzbereitschaft belarussischer Reservisten geprüft werde.
“Es gibt 40.000 Reservisten, 40.000 in der Armee und die russischen Soldaten im Land. Zusammen sind es vielleicht 100.000 Mann.” Auf die Frage, ob Lukaschenko bisher nicht ausdrücklich vermieden habe, aktiv in den Krieg einzugreifen, sagt der ehemalige Minister: “Das stimmt. Aber wenn Putin es ihm befiehlt, dann wird er es tun.”
Der Satz “Die Bundeswehr steht schlechter da als vor einem Jahr” stammt von der Wehrbeauftragten Eva Högl ebenso wie von Ihnen. Was muss die Bundesregierung tun, damit sich das ändert?
Leider ist von dem Sondervermögen in Höhe von hundert Milliarden Euro 2022 kein Cent bei der Bundeswehr angekommen. Deshalb fordere ich die Bundesregierung auf, schnellstmöglich Gelder aus diesem Topf freizumachen – und den originären Haushalt aufzustocken. Unter CDU/CSU-Führung ist der sogenannte Einzelplan 14 in der letzten Legislaturperiode um 30 Prozent erhöht worden – die Ampel hat ihn für die nächsten vier Jahre abgesenkt und eingefroren auf 50,1 Milliarden Euro. Das ist alles Sachstand vor Ausbruch des Krieges und müsste dringend geändert werden. Das ist im Übrigen auch die Erwartungshaltung unserer Nachbarn in Europa.
Verteidigungsminister Boris Pistorius fordert 60 Milliarden Euro im Jahr.
Ich halte 70 Milliarden Euro für notwendig. Dass der Verteidigungsminister zehn Milliarden mehr fordert, ist zwar berechtigt, aber eigentlich brauchen wir mindestens 20 Milliarden mehr aus dem laufenden Haushalt und nicht aus dem Sondervermögen, was ja eher ein Hilfsmittel ist, um schnell an Geld zu kommen. Denn nur mit mehr Investitionen lässt sich die Kaltstartfähigkeit der Bundeswehr erhöhen, und darum geht es in der jetzigen sicherheitspolitischen Lage. Hinzu kommen Lohnanpassungen und die Inflation, sodass es letztlich ein Vielfaches von dem braucht, was die Bundesregierung bereit ist, zur Verfügung zu stellen.
Deutschland hinkt nicht nur beim Zweiprozentziel der Nato hinterher, sondern auch, was die Höhe von Investitionen in neue Ausstattung anbelangt. Was müsste Verteidigungsminister Pistorius tun, um das zu ändern?
Der investive Anteil im Verteidigungsetat muss wesentlich erhöht werden, da sollten wir die von der Nato verlangten zwanzig Prozent endlich konsequent anstreben. Nur so lässt sich die Modernisierung der Bundeswehr wirklich angehen.
Wenn der stellvertretende Vorsitzende des Verteidigungsausschusses und der Minister sich in wesentlichen Punkten einig sind – warum passiert das dann nicht?
Eigentlich müsste es offenkundig sein, dass mehr in die Verteidigungsbereitschaft Deutschlands und mithin der Nato investiert werden muss. Mein Eindruck ist, dass es Kräfte in der SPD gibt, die sich davor scheuen, langfristige Rüstungsentscheidungen zu erteilen. Sie würden das Geld lieber für andere Dinge ausgeben.
Das Lob für Pistorius reicht bis tief in die Opposition, wie erklären Sie sich das?
Mir scheint, dass es ein Bedürfnis gibt nach klarer Ansprache, verbindlichem Auftreten und engagiertem Führen, das er erfüllt – zumindest bis jetzt. Seine Achillesferse wird darin liegen, ob ihm die SPD-Bundestagsfraktion folgt, der er nicht angehört. Erste Anzeichen deuten darauf hin, dass ihm die volle Unterstützung der Fraktion in Haushaltsfragen fehlt.
Bedauern Sie, dass sich die Regierung gegen Einrichtung eines Nationalen Sicherheitsrats entschieden hat?
Ich vermisse ehrlich gesagt, dass es bis heute nicht einmal eine Nationale Sicherheitsstrategie gibt, obwohl Außenministerin Annalena Baerbock diese schon bei der Münchner Sicherheitskonferenz im Februar vorstellen wollte. Dieses Vorgehen reiht sich ein in eine Serie von Defiziten der Ampel – keine nationale Sicherheitsstrategie, keine Sahel-Strategie, keine China-Strategie. Für mich ist das Ausdruck einer außen- und sicherheitspolitischen Unbestimmtheit, die auf den Bundeskanzler zurückzuführen ist, dem es offensichtlich nicht gelingt, die Fäden seiner Koalition zusammenzuführen.
Wird die CDU für die Einrichtung eines Nationalen Sicherheitsrats werben im Wahlkampf 2025?
Wir halten einen Nationalen Sicherheitsrat für notwendig und von besonderer Bedeutung – das haben wir auch schon deutlich gesagt im Wahlprogramm zur letzten Bundestagswahl. Um herauszukommen aus dem Silodenken einzelner Ministerien ist ein vernetzter Ansatz notwendig, das hat der russische Angriff auf die Ukraine noch einmal sehr deutlich gemacht. Ein Nationaler Sicherheitsrat könnte das Vorgehen besser koordinieren und Antworten auf die sicherheitspolitischen Veränderungen geben.
Die fragile Sicherheitslage im Osten Afrikas wird Bundeskanzler Olaf Scholz bei seiner Reise nach Kenia und Äthiopien von Donnerstag bis Samstag sicherlich stark beschäftigen. Vor einem Monat war der kenianische Präsident William Ruto in Berlin zu Gast, im Vordergrund standen dabei noch wirtschaftliche Themen.
In Äthiopien wird Scholz mit dem Präsidenten der Afrikanischen Union (AU), Moussa Faki, vor allem über die Rolle der Afrikanischen Union im Bereich der Friedenssicherung sprechen. Vermittlungsversuche der AU im Sudan waren zuletzt nicht erfolgreich.
In der sudanesischen Hauptstadt Khartum, aber auch in anderen Landesteilen kämpfen seit mehr als zwei Wochen Einheiten von Armeechef Abdel Fattah Burhan gegen paramilitärische Kämpfer der Rapid Support Forces (RSF) unter Mohammed Hamdan Daglo alias Hametti. Darüber hinaus gefährdet der nach wie vor fragile Waffenstillstand im Norden Äthiopiens die Stabilität in der Region; auch im Osten Kongos an den Großen Seen hat sich die Sicherheitslage zuletzt verschlechtert.
In Äthiopien war im vergangenen November ein Waffenstillstandsabkommen zwischen der Regierung und der Tigray People’s Liberation Front (TPLF) geschlossen worden. Doch die Vereinbarung ist fragil – trotz Schlichtungsbemühungen von Uhuru Kenyatta, der von der kenianischen Regierung dem von der Afrikanischen Union eingesetzten Vermittler, Olusegun Obasanjo, zur Seite gestellt wurde. So reiste Kenyatta vergangene Woche zu Gesprächen nach Äthiopien. Auch der frühere Vizepräsident von Südafrika, Phumzile Mlambo, versucht, in dem Konflikt zu vermitteln. hlr
Vor dem Landgericht München I stehen sich heute Vertreter von Krauss-Maffei Wegman (KMW) und Rheinmetall gegenüber. Gemeinsam produzieren die beiden Firmen den Kampfpanzer Leopard, doch nun gibt es juristischen Streit: KMW will dem im März in den DAX aufgenommenen Düsseldorfer Unternehmen die Behauptung untersagen, dass die Rechte am Leopard bis einschließlich Version 2 A4 bei Rheinmetall lägen.
In einem Interview mit der Neuen Zürcher Zeitung hatte Rheinmetall-Chef Armin Papperger im März die Rechte für sein Unternehmen beansprucht: “Wir haben eintausend Leopard 2 A4 gebaut, und zwar auf Grundlage unseres eigenen geistigen Eigentums.” Diese Äußerungen beanstandet die in München ansässige, im Besitz der deutsch-französischen Holding KNDS befindliche KMW laut Gericht als “unwahre, irreführende und ihre Rechte verletzende Tatsachenbehauptungen”.
Rheinmetall selbst schreibt auf seiner Firmenwebseite die Entwicklung des Panzers KMW zu: “Der Leopard 2 von Krauss-Maffei Wegmann (KMW) ist der leistungsfähigste Kampfpanzer der Welt und zugleich das Waffensystem mit der größten internationalen Verbreitung”, heißt es dort. KMW ist Generalunternehmer des Projekts, Rheinmetall steuert nach Unternehmensangaben Kanone, Munition, Feuerleitanlage und Führungssystem bei. mrb
Ein Jahr nach der erzwungenen Schließung der Filiale in Russland hat der US-Think-Tank Carnegie Endowment For International Peace ein neues Zentrum in Berlin eröffnet. Das thematische Spektrum der Arbeit umfasst Russland und Eurasien. Die Leitung übernimmt der ehemalige russische Journalist und Spezialist für russisch-chinesische Beziehungen, Alexander Gabuev. Derzeit steht Russlands Krieg gegen die Ukraine im Fokus seiner Forschung.
Das Carnegie-Zentrum in Moskau wurde Anfang April 2022 am selben Tag wie deutschen parteinahen politischen Stiftungen, Amnesty International sowie weiterer westlicher Stiftungen und NGOs verboten. Das neue Zentrum in Berlin soll emigrierte russische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die teils schon vorher für Carnegie tätig waren, vernetzen. Nicht alle werden persönlich in Berlin arbeiten.
Die Carnegie-Filiale in Moskau bestand zwischen 1994 und 2022, die Homepage des Zentrums ist als Nachlass aufrufbar. Wenige Tage vor dem russischen Überfall auf die Ukraine publizierte das Zentrum einen Text mit dem Titel: Can Russia Be Trusted at Negotiation Tables? vf
Guardian – “I don’t want more children to suffer what I did” – the 50-year fight to clear US bombs from Laos: Diese Geschichte über die Folgen eines alten Krieges zeigt eindringlich, worauf sich die Ukraine und ihre Unterstützer einstellen müssen. Es wird Jahrzehnte dauern, bis das Land von Minen und nicht explodierter Munition gesäubert worden ist.
Podcast: Friedensgespräche: dis:arm: Einmal im Monat diskutiert der frühere Linken-Bundestagsabgeordnete Jan van Aken mit der Journalistin Linda Peikert sowie Friedensforschern und Aktivistinnen aus aller Welt über Fragen von Krieg und Verhandlungen, über Konflikte und Wege, sie zu lösen.
The Economist – How the war split the mafia (Paywall): Vor dem Krieg war die Ukraine ein Paradies für Schmuggler. Kokain kam aus Lateinamerika, Waffen gingen nach Afrika und Asien. Jetzt braucht Russland Schmuggler, um Halbleiter ins Land zu bringen. Die sagen aber: “Wir sind Diebe, wir sind gegen jeden Staat, aber wir haben uns entschieden, dass wir für die Ukraine sind.” Der Krieg habe die “sozialen Arterien” zwischen der Ukraine und kriminellen russischen Netzwerken geschwächt, so der Economist.
Frankfurter Rundschau – “Spuren von Folter”: Dieser Bericht aus Frankreich zeigt weitere, wenig beachtete Hilfe der EU für die Ukraine: Französisches Forensiker sammeln Beweise für mögliche Verbrechen russischer Armee in Butscha.
Dokumentation: Phoenix – Rote Linie Baltikum: In der Übung “Griffin Lightning” trainiert die Nato im Baltikum nah an der reellen Bedrohung. Interviews unter anderem mit Wolfgang Schmidt, Kontingentführer des deutschen Anteils an der Enhanced Forward Presence (eFP) in Litauen. 28 Minuten
Sabine Lackner soll am 1. Juli neue Präsidentin des Technischen Hilfswerk (THW) werden. Das gab Innenministerin Nancy Faeser am Samstag bekannt. Die Zustimmung des Bundeskabinetts vorausgesetzt, das im Mai über die Personalie entscheiden wird, wäre die 56-Jährige die erste Frau an der Spitze der Bundesanstalt. Der bisherige Präsident Gerd Friedsam (66) geht einer Mitteilung des Bundesinnenministeriums zufolge in den Ruhestand.
Lackner ist seit 2001 für das THW tätig und verantwortete dort zunächst in der die Bereiche Auslandsprojekte und internationale Zusammenarbeit. 2016 wurde sie Landesbeauftragte für den THW-Landesverband Bremen/Niedersachsen, bevor sie im April 2020, ebenfalls als erste Frau, zur Vizepräsidentin des THW ernannt wurde. klm
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Die Resolution der UN-Vollversammlung von März 2022, in der die russische Invasion der Ukraine verurteilt wurde, war für viele europäische Staaten und ihre Partner ein geopolitischer Weckruf: Auch wenn die überwältigende Mehrheit die Resolution annahm, enthielten sich 35 Staaten – darunter mit Indien und Südafrika zwei G20-Staaten. Russland ist nicht so isoliert, wie es sich die Unterstützer der Ukraine erhoffen; Das haben auch die Äußerungen des brasilianischen Präsidenten Lula da Silva zu Verhandlungen zwischen Russland und der Ukraine gezeigt.
Im Indo-Pazifik ist die uneingeschränkte Unterstützung der US-Position und entsprechendes Handeln auch für Partner der USA kein Automatismus. Es ist vor allem das Narrativ einer globalen Konfrontation zwischen Demokratien und Autokratien, das die Administration Präsident Joe Bidens zu einer zentralen Linie der US-Außenpolitik gemacht hat. Und das für viele Alliierte – einschließlich traditioneller Partner auch innerhalb Europas – problematisch ist, weil es Staaten dazu drängt, sich einem US-geführten oder einem China-geführten Block anzuschließen.
Für Staaten, die mit beiden Seiten zusammenarbeiten, ist das allerdings keine Option. Gerade Länder, die in globalen und regionalen Foren eine zunehmend wichtige Rolle einnehmen, zeigen eher flexible Präferenzen für Kooperation. Südafrika beispielsweise hat in den vergangenen Jahren gleichermaßen Militärübungen mit Russland, China und einzelnen Nato-Mitgliedsstaaten, darunter Deutschland, durchgeführt.
Das Konzept der “Global Swing States” beschreibt, wie die Kooperationspräferenzen dieser Staaten globale Politik prägen können. Eine neue Studie des German Marshall Fund of the United States (GMF) konzipiert die Kooperationsmuster von “Global Swing States” als dynamisch und zeigt die Relevanz von Multi-Alignment als Konzept für internationale Kooperation.
Für sechs “Global Swing States” – Brasilien, Indien, Indonesien, Saudi-Arabien, Südafrika, Türkei – haben die Expert:innen des GMF die Präferenzen für Kooperation mit den USA, Europa, China, Russland und anderen Partnern analysiert. Die Analysen zeigen, dass internationale Kooperation für diese Staaten mit den USA oder Europa in einem Bereich engere Zusammenarbeit mit China oder Russland in einem anderen Bereich nicht ausschließt.
Im neuen geopolitischen Kontext werden sich die USA und Europa an die Tatsache gewöhnen müssen, dass sie ihre Partner für globale Politik – sei es bei zentralen sicherheitspolitischen Herausforderungen wie dem Krieg in der Ukraine, der Klimakrise oder wirtschaftlicher Kooperation – immer wieder neu gewinnen müssen. Dazu gehört auch die Erkenntnis, dass ein entscheidender Faktor für Kooperation das bessere Angebot ist und dass rein normative Ansätze Kooperation mit Europa oder den USA nicht zwingend attraktiver machen.
Europa und die USA müssen aus dem Scheitern dieses Ansatzes lernen und ihre eigenen Ansätze überdenken. Ein Beginn zeichnet sich bereits ab: In ihrer Strategie für Kooperation im Indo-Pazifik priorisiert die EU Kooperation in Bereichen wie Klima oder Konnektivität klar, wobei sie Kooperation im Sicherheitsbereich durch die Mitgliedstaaten auf bilateraler Ebene mit regionalen Partnern vertieft.
Darüber hinaus können insbesondere die G20 ein erfolgversprechendes Format sein, um auf diese Weise mit aufstrebenden Wirtschaftsmächten konkrete Fortschritte zu erzielen. Europa kann hier eine zentrale Rolle einnehmen, um die Folgen des Wettbewerbs zwischen den USA und China abzumildern und breitere multilaterale Koalitionen bilden, um globale Herausforderungen anzugehen. Die Überlegungen zur geopolitischen Neuordnung und dem Umgang mit “Global Swing States” zeigen aber vor allem eines: Europa muss sich geopolitisch verorten und darauf basierend Interessen und Strategien definieren.
Putins langer Schatten reicht bis in den Sudan: Die humanitäre Lage sei “am Tiefpunkt”, klagen die Vereinten Nationen. Hoffnung auf Frieden im Sudan gibt es kaum, auch weil hier größere Mächte wirken: Gold und die Gruppe Wagner. Mehr.
“Uns bleibt der Guerillakrieg”: Ahmad Massud ist der Sohn des afghanischen Nationalhelden, der einst den Widerstand gegen die Taliban organisiert hat – nun er will die Islamisten in Kabul von der Macht vertreiben. Ein Gespräch über die Gefahren der Ideologie, bewaffneten Widerstand und seinen berühmten Namen. Mehr.
mit seiner Ankündigung, taktische Atomwaffen nach Belarus zu verlegen, hatte Russlands Präsident Wladimir Putin Ende März für Aufregung im Westen gesorgt. Table.Media vorliegende Satellitenaufnahmen der früheren sowjetischen Militäranlagen Nowokolosowo und Lida deuten nun darauf hin, dass die Vorbereitungen zu deren Stationierung in vollem Gange sind – unweit der Grenze zu den Nato-Staaten Polen und Litauen.
Mein Kollege Viktor Funk hat zudem mit Nikolai Sokow vom Vienna Center for Disarmament and Non-Proliferation in Wien gesprochen, der einst für das sowjetische Außenministerium die Abrüstungsverträge START I und II mitverhandelte. Sokow verweist darauf, dass auf dem belarussischen Flugfeld Lida im Nordwesten des Landes Kampfflugzeuge vom Typ SU-25 stationiert seien, die Atombomben tragen können.
Bis zur Verabschiedung des Bundeshaushalts für 2024 im Juni hat das Kabinett in Berlin noch einige Wochen Zeit. Doch der Druck auf Bundeskanzler Olaf Scholz, die Verteidigungsausgaben zu erhöhen, wächst: nicht nur, weil Deutschland das Zweiprozentziel der Nato ansonsten abermals verfehlt, sondern auch, weil die Opposition Verteidigungsminister Boris Pistorius beispringt. Der stellvertretende Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Henning Otte (CDU), will zwanzig Milliarden Euro mehr für den nächsten Wehretat. Pistorius selbst hatte bislang eine Aufstockung um zehn Milliarden auf 60 Milliarden Euro gefordert.
Unseren Standpunkt diese Woche hat die Politikwissenschaftlerin Gesine Weber vom German Marshall Fund of the United States in Paris beigesteuert. Sie rät EU und USA, bei sicherheits- und verteidigungspolitischen Entscheidungen die Interessen der sogenannten “Global Swing States” Brasilien, Indien, Indonesien und Türkei stärker zu berücksichtigen.
Wenn Ihnen der Security.Table gefällt, leiten Sie uns bitte weiter. Und wenn Ihnen diese Mail zugeleitet wurde: Hier können Sie sich für das Security-Briefing und weitere Themen anmelden.
Eine aufschlussreiche Lektüre wünscht
Belarussische Soldaten üben bereits den Einsatz der Kurzstreckenrakete Iskander in Russland. Und Belarus bereitet offenbar schon die Lagerung und die Stationierung von russischen Atomwaffen vor. Gleich mehrere Orte – alte sowjetische Flugplätze und Stützpunkte – kommen dafür infrage. Zwei von ihnen stechen aufgrund ihrer Geschichte und ihrer geografischen Lage hervor:
In Nowokolosowo, ehemals Stolbtsy-2, befand sich bis 1992 das Arsenal der 25. Einheit der Strategischen Raketenkräfte der Sowjetunion. Es war das einzige Lager für strategische Atomwaffen in Belarus. Dort sollen 1.120 nukleare Sprengköpfe gelagert worden sein. Offiziell existierte dieser Ort nicht.
Nach dem Abzug der sowjetischen Atomwaffen und Trägerraketen aus Belarus Ende 1996 bekam Nowokolosowo eine neue militärische und zivile Bedeutung. Dort ist jetzt zum einen das Arsenal der belarussischen 25. Einheit ballistischer Raketen untergebracht, zum anderen sollen einige alte Hallen als Lager für zivile Produkte vermietet worden sein. Nach Informationen von Table.Media sind den zivilen Nutzern dieses Geländes die Mietverträge gekündigt worden.
Wie Satellitenbilder von Vertical52, die Table.Media exklusiv ausgewertet hat, zeigen, sind zwischen August 2021 und Ende 2023 vier große überdachte Abstellflächen auf dem Militärstützpunkt entstanden. Auf dem aktuellen Foto ist auch sichtbar, dass größere Flächen auf dem Gelände gerodet worden sind. Auf dem gesamten Gelände ist mehr Militärtechnik zu sehen als auf dem Bild vom 2021.
Die geografische Lage von Nowokolosowo ist günstig: Der Stützpunkt liegt an der wichtigen Fernstraße M1, Nordost-Südwest-Richtung, und zwischen zwei Fernstraßen, die in Ost-West-Richtung verlaufen. Zur polnischen, litauischen und zur ukrainischen Grenze gibt es gute Verbindungen. Auch eine eigens zum Militärgelände verlegte Eisenbahnlinie ist vorhanden. Ob sie betriebsbereit ist, ist unklar.
Neben Nowokolosowo gilt der Flugplatz Lida als möglicher Lagerort, von dem aus russische Jets mit Atomwaffen starten könnten. Dieser alte Flugplatz im Westen des Landes befindet sich nur wenige Kilometer von den Nato-Staaten Polen und Litauen entfernt. Südlich davon war zur Zeit der Sowjetunion eine Atomraketen-Einheit stationiert. Von diesem Ort war am 27. November 1996 die letzte sowjetische Topol-Atomrakete nach Russland verlegt worden.
Auf dem heutigen Flugplatz seien laut Nikolai N. Sokow die Kampfflugzeuge SU-25 stationiert, die Atombomben tragen können. Etwa zehn SU-25 wurden angeblich bereits technisch modifiziert. Sokow ist Senior Fellow am Wiener Zentrum für Abrüstung und Nichtverbreitung (VCDNP). Er war lange Mitarbeiter des russischen Außenministeriums und an den Verhandlungen der Atomabrüstungsverträge START I und II beteiligt. Auf Nachfrage hält er neben Lida auch Nowokolosowo als einen Lagerort für Atomwaffen für möglich. Journalisten des unabhängigen belarussischen Fernsehsenders Belsat halten das Gelände gar für den wahrscheinlichsten Ort, an dem russische Atomwaffen gelagert werden könnten.
Sokow betont jedoch, dass es unerheblich sei, wo russische Atomwaffen stationiert würden. “Wichtiger ist die Frage, ob es dazu wirklich kommt. Das hängt von verschiedenen Faktoren ab”, sagt der ehemalige Diplomat gegenüber Table.Media. Die Wahrscheinlichkeit wachse. “Ich bin noch nicht bereit, eine konkrete Vorhersage zu geben, aber die Entwicklung läuft stetig so, dass es zu einem Transfer kommt. Vieles wird nicht so sehr davon abhängen, was in der Ukraine passiert, sondern vom Verhalten der Nato und besonders Polens.”
Sokow warnt vor einer zu schnellen Reaktion der Nato und vor einer Verlegung von amerikanischen B-61- Atombomben nach Polen. “Damit würde die Nato das russische Spiel spielen und die Eskalation beschleunigen.” Bisher deutet nichts darauf hin, dass die Nato trotz der Wünsche Polens über eine Verlegung von Atomwaffen in die östlichen Mitgliedstaaten nachdenkt.
Der belarussische Oppositionelle Pawel Latuschka geht davon aus, dass der von der EU nicht anerkannte Präsident Aleksander Lukaschenko russische Atomwaffen auf jeden Fall haben wolle. “Er sichert damit auch seine Macht ab. Die Waffen werden kommen”, sagt Latuschka im Gespräch mit Table.Media. Der ehemalige Kulturminister leitet die oppositionelle Organisation National Anti-Crisis Management (NAM), die in Polen ihren Sitz hat.
Er wirft der EU vor, die Rolle von Belarus im russischen Krieg zu unterschätzen. “Täglich werden dort Regimegegner verhaftet, die belarussische Armee bildet russische Soldaten aus und versorgt sie mit Munition und Technik.” Außerdem sei das Regime auch an der Deportation ukrainischer Kinder beteiligt. “Seit elf Monaten gibt es keine schärferen Sanktionen gegen Minsk”, klagt der 50-Jährige.
Lukaschenko und Putin würden mit einem möglichen Einsatz einer Atomwaffe von Belarus aus auf Verwirrung setzen. Latuschka erläutert: “Wenn russische Atomwaffen mit belarussischen Trägersystemen von belarussischem Boden aus abgeschossen werden, dann ist nicht eindeutig klar, wer die Verantwortung trägt. Der Westen wird diskutieren und am Ende nichts unternehmen, was Putin und Lukaschenko abschreckt.”
Neben den Übungen in Russland für die Iskander-Raketen, die nach Angaben von Russlands Verteidigungsminister Sergej Schoigu bereits an Belarus übergeben wurden, trainieren belarussische und russische Streitkräfte derzeit auch gemeinsam in Belarus. Latuschka bestätigt Medienberichte, dass aktuell die Einsatzbereitschaft belarussischer Reservisten geprüft werde.
“Es gibt 40.000 Reservisten, 40.000 in der Armee und die russischen Soldaten im Land. Zusammen sind es vielleicht 100.000 Mann.” Auf die Frage, ob Lukaschenko bisher nicht ausdrücklich vermieden habe, aktiv in den Krieg einzugreifen, sagt der ehemalige Minister: “Das stimmt. Aber wenn Putin es ihm befiehlt, dann wird er es tun.”
Der Satz “Die Bundeswehr steht schlechter da als vor einem Jahr” stammt von der Wehrbeauftragten Eva Högl ebenso wie von Ihnen. Was muss die Bundesregierung tun, damit sich das ändert?
Leider ist von dem Sondervermögen in Höhe von hundert Milliarden Euro 2022 kein Cent bei der Bundeswehr angekommen. Deshalb fordere ich die Bundesregierung auf, schnellstmöglich Gelder aus diesem Topf freizumachen – und den originären Haushalt aufzustocken. Unter CDU/CSU-Führung ist der sogenannte Einzelplan 14 in der letzten Legislaturperiode um 30 Prozent erhöht worden – die Ampel hat ihn für die nächsten vier Jahre abgesenkt und eingefroren auf 50,1 Milliarden Euro. Das ist alles Sachstand vor Ausbruch des Krieges und müsste dringend geändert werden. Das ist im Übrigen auch die Erwartungshaltung unserer Nachbarn in Europa.
Verteidigungsminister Boris Pistorius fordert 60 Milliarden Euro im Jahr.
Ich halte 70 Milliarden Euro für notwendig. Dass der Verteidigungsminister zehn Milliarden mehr fordert, ist zwar berechtigt, aber eigentlich brauchen wir mindestens 20 Milliarden mehr aus dem laufenden Haushalt und nicht aus dem Sondervermögen, was ja eher ein Hilfsmittel ist, um schnell an Geld zu kommen. Denn nur mit mehr Investitionen lässt sich die Kaltstartfähigkeit der Bundeswehr erhöhen, und darum geht es in der jetzigen sicherheitspolitischen Lage. Hinzu kommen Lohnanpassungen und die Inflation, sodass es letztlich ein Vielfaches von dem braucht, was die Bundesregierung bereit ist, zur Verfügung zu stellen.
Deutschland hinkt nicht nur beim Zweiprozentziel der Nato hinterher, sondern auch, was die Höhe von Investitionen in neue Ausstattung anbelangt. Was müsste Verteidigungsminister Pistorius tun, um das zu ändern?
Der investive Anteil im Verteidigungsetat muss wesentlich erhöht werden, da sollten wir die von der Nato verlangten zwanzig Prozent endlich konsequent anstreben. Nur so lässt sich die Modernisierung der Bundeswehr wirklich angehen.
Wenn der stellvertretende Vorsitzende des Verteidigungsausschusses und der Minister sich in wesentlichen Punkten einig sind – warum passiert das dann nicht?
Eigentlich müsste es offenkundig sein, dass mehr in die Verteidigungsbereitschaft Deutschlands und mithin der Nato investiert werden muss. Mein Eindruck ist, dass es Kräfte in der SPD gibt, die sich davor scheuen, langfristige Rüstungsentscheidungen zu erteilen. Sie würden das Geld lieber für andere Dinge ausgeben.
Das Lob für Pistorius reicht bis tief in die Opposition, wie erklären Sie sich das?
Mir scheint, dass es ein Bedürfnis gibt nach klarer Ansprache, verbindlichem Auftreten und engagiertem Führen, das er erfüllt – zumindest bis jetzt. Seine Achillesferse wird darin liegen, ob ihm die SPD-Bundestagsfraktion folgt, der er nicht angehört. Erste Anzeichen deuten darauf hin, dass ihm die volle Unterstützung der Fraktion in Haushaltsfragen fehlt.
Bedauern Sie, dass sich die Regierung gegen Einrichtung eines Nationalen Sicherheitsrats entschieden hat?
Ich vermisse ehrlich gesagt, dass es bis heute nicht einmal eine Nationale Sicherheitsstrategie gibt, obwohl Außenministerin Annalena Baerbock diese schon bei der Münchner Sicherheitskonferenz im Februar vorstellen wollte. Dieses Vorgehen reiht sich ein in eine Serie von Defiziten der Ampel – keine nationale Sicherheitsstrategie, keine Sahel-Strategie, keine China-Strategie. Für mich ist das Ausdruck einer außen- und sicherheitspolitischen Unbestimmtheit, die auf den Bundeskanzler zurückzuführen ist, dem es offensichtlich nicht gelingt, die Fäden seiner Koalition zusammenzuführen.
Wird die CDU für die Einrichtung eines Nationalen Sicherheitsrats werben im Wahlkampf 2025?
Wir halten einen Nationalen Sicherheitsrat für notwendig und von besonderer Bedeutung – das haben wir auch schon deutlich gesagt im Wahlprogramm zur letzten Bundestagswahl. Um herauszukommen aus dem Silodenken einzelner Ministerien ist ein vernetzter Ansatz notwendig, das hat der russische Angriff auf die Ukraine noch einmal sehr deutlich gemacht. Ein Nationaler Sicherheitsrat könnte das Vorgehen besser koordinieren und Antworten auf die sicherheitspolitischen Veränderungen geben.
Die fragile Sicherheitslage im Osten Afrikas wird Bundeskanzler Olaf Scholz bei seiner Reise nach Kenia und Äthiopien von Donnerstag bis Samstag sicherlich stark beschäftigen. Vor einem Monat war der kenianische Präsident William Ruto in Berlin zu Gast, im Vordergrund standen dabei noch wirtschaftliche Themen.
In Äthiopien wird Scholz mit dem Präsidenten der Afrikanischen Union (AU), Moussa Faki, vor allem über die Rolle der Afrikanischen Union im Bereich der Friedenssicherung sprechen. Vermittlungsversuche der AU im Sudan waren zuletzt nicht erfolgreich.
In der sudanesischen Hauptstadt Khartum, aber auch in anderen Landesteilen kämpfen seit mehr als zwei Wochen Einheiten von Armeechef Abdel Fattah Burhan gegen paramilitärische Kämpfer der Rapid Support Forces (RSF) unter Mohammed Hamdan Daglo alias Hametti. Darüber hinaus gefährdet der nach wie vor fragile Waffenstillstand im Norden Äthiopiens die Stabilität in der Region; auch im Osten Kongos an den Großen Seen hat sich die Sicherheitslage zuletzt verschlechtert.
In Äthiopien war im vergangenen November ein Waffenstillstandsabkommen zwischen der Regierung und der Tigray People’s Liberation Front (TPLF) geschlossen worden. Doch die Vereinbarung ist fragil – trotz Schlichtungsbemühungen von Uhuru Kenyatta, der von der kenianischen Regierung dem von der Afrikanischen Union eingesetzten Vermittler, Olusegun Obasanjo, zur Seite gestellt wurde. So reiste Kenyatta vergangene Woche zu Gesprächen nach Äthiopien. Auch der frühere Vizepräsident von Südafrika, Phumzile Mlambo, versucht, in dem Konflikt zu vermitteln. hlr
Vor dem Landgericht München I stehen sich heute Vertreter von Krauss-Maffei Wegman (KMW) und Rheinmetall gegenüber. Gemeinsam produzieren die beiden Firmen den Kampfpanzer Leopard, doch nun gibt es juristischen Streit: KMW will dem im März in den DAX aufgenommenen Düsseldorfer Unternehmen die Behauptung untersagen, dass die Rechte am Leopard bis einschließlich Version 2 A4 bei Rheinmetall lägen.
In einem Interview mit der Neuen Zürcher Zeitung hatte Rheinmetall-Chef Armin Papperger im März die Rechte für sein Unternehmen beansprucht: “Wir haben eintausend Leopard 2 A4 gebaut, und zwar auf Grundlage unseres eigenen geistigen Eigentums.” Diese Äußerungen beanstandet die in München ansässige, im Besitz der deutsch-französischen Holding KNDS befindliche KMW laut Gericht als “unwahre, irreführende und ihre Rechte verletzende Tatsachenbehauptungen”.
Rheinmetall selbst schreibt auf seiner Firmenwebseite die Entwicklung des Panzers KMW zu: “Der Leopard 2 von Krauss-Maffei Wegmann (KMW) ist der leistungsfähigste Kampfpanzer der Welt und zugleich das Waffensystem mit der größten internationalen Verbreitung”, heißt es dort. KMW ist Generalunternehmer des Projekts, Rheinmetall steuert nach Unternehmensangaben Kanone, Munition, Feuerleitanlage und Führungssystem bei. mrb
Ein Jahr nach der erzwungenen Schließung der Filiale in Russland hat der US-Think-Tank Carnegie Endowment For International Peace ein neues Zentrum in Berlin eröffnet. Das thematische Spektrum der Arbeit umfasst Russland und Eurasien. Die Leitung übernimmt der ehemalige russische Journalist und Spezialist für russisch-chinesische Beziehungen, Alexander Gabuev. Derzeit steht Russlands Krieg gegen die Ukraine im Fokus seiner Forschung.
Das Carnegie-Zentrum in Moskau wurde Anfang April 2022 am selben Tag wie deutschen parteinahen politischen Stiftungen, Amnesty International sowie weiterer westlicher Stiftungen und NGOs verboten. Das neue Zentrum in Berlin soll emigrierte russische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die teils schon vorher für Carnegie tätig waren, vernetzen. Nicht alle werden persönlich in Berlin arbeiten.
Die Carnegie-Filiale in Moskau bestand zwischen 1994 und 2022, die Homepage des Zentrums ist als Nachlass aufrufbar. Wenige Tage vor dem russischen Überfall auf die Ukraine publizierte das Zentrum einen Text mit dem Titel: Can Russia Be Trusted at Negotiation Tables? vf
Guardian – “I don’t want more children to suffer what I did” – the 50-year fight to clear US bombs from Laos: Diese Geschichte über die Folgen eines alten Krieges zeigt eindringlich, worauf sich die Ukraine und ihre Unterstützer einstellen müssen. Es wird Jahrzehnte dauern, bis das Land von Minen und nicht explodierter Munition gesäubert worden ist.
Podcast: Friedensgespräche: dis:arm: Einmal im Monat diskutiert der frühere Linken-Bundestagsabgeordnete Jan van Aken mit der Journalistin Linda Peikert sowie Friedensforschern und Aktivistinnen aus aller Welt über Fragen von Krieg und Verhandlungen, über Konflikte und Wege, sie zu lösen.
The Economist – How the war split the mafia (Paywall): Vor dem Krieg war die Ukraine ein Paradies für Schmuggler. Kokain kam aus Lateinamerika, Waffen gingen nach Afrika und Asien. Jetzt braucht Russland Schmuggler, um Halbleiter ins Land zu bringen. Die sagen aber: “Wir sind Diebe, wir sind gegen jeden Staat, aber wir haben uns entschieden, dass wir für die Ukraine sind.” Der Krieg habe die “sozialen Arterien” zwischen der Ukraine und kriminellen russischen Netzwerken geschwächt, so der Economist.
Frankfurter Rundschau – “Spuren von Folter”: Dieser Bericht aus Frankreich zeigt weitere, wenig beachtete Hilfe der EU für die Ukraine: Französisches Forensiker sammeln Beweise für mögliche Verbrechen russischer Armee in Butscha.
Dokumentation: Phoenix – Rote Linie Baltikum: In der Übung “Griffin Lightning” trainiert die Nato im Baltikum nah an der reellen Bedrohung. Interviews unter anderem mit Wolfgang Schmidt, Kontingentführer des deutschen Anteils an der Enhanced Forward Presence (eFP) in Litauen. 28 Minuten
Sabine Lackner soll am 1. Juli neue Präsidentin des Technischen Hilfswerk (THW) werden. Das gab Innenministerin Nancy Faeser am Samstag bekannt. Die Zustimmung des Bundeskabinetts vorausgesetzt, das im Mai über die Personalie entscheiden wird, wäre die 56-Jährige die erste Frau an der Spitze der Bundesanstalt. Der bisherige Präsident Gerd Friedsam (66) geht einer Mitteilung des Bundesinnenministeriums zufolge in den Ruhestand.
Lackner ist seit 2001 für das THW tätig und verantwortete dort zunächst in der die Bereiche Auslandsprojekte und internationale Zusammenarbeit. 2016 wurde sie Landesbeauftragte für den THW-Landesverband Bremen/Niedersachsen, bevor sie im April 2020, ebenfalls als erste Frau, zur Vizepräsidentin des THW ernannt wurde. klm
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Die Resolution der UN-Vollversammlung von März 2022, in der die russische Invasion der Ukraine verurteilt wurde, war für viele europäische Staaten und ihre Partner ein geopolitischer Weckruf: Auch wenn die überwältigende Mehrheit die Resolution annahm, enthielten sich 35 Staaten – darunter mit Indien und Südafrika zwei G20-Staaten. Russland ist nicht so isoliert, wie es sich die Unterstützer der Ukraine erhoffen; Das haben auch die Äußerungen des brasilianischen Präsidenten Lula da Silva zu Verhandlungen zwischen Russland und der Ukraine gezeigt.
Im Indo-Pazifik ist die uneingeschränkte Unterstützung der US-Position und entsprechendes Handeln auch für Partner der USA kein Automatismus. Es ist vor allem das Narrativ einer globalen Konfrontation zwischen Demokratien und Autokratien, das die Administration Präsident Joe Bidens zu einer zentralen Linie der US-Außenpolitik gemacht hat. Und das für viele Alliierte – einschließlich traditioneller Partner auch innerhalb Europas – problematisch ist, weil es Staaten dazu drängt, sich einem US-geführten oder einem China-geführten Block anzuschließen.
Für Staaten, die mit beiden Seiten zusammenarbeiten, ist das allerdings keine Option. Gerade Länder, die in globalen und regionalen Foren eine zunehmend wichtige Rolle einnehmen, zeigen eher flexible Präferenzen für Kooperation. Südafrika beispielsweise hat in den vergangenen Jahren gleichermaßen Militärübungen mit Russland, China und einzelnen Nato-Mitgliedsstaaten, darunter Deutschland, durchgeführt.
Das Konzept der “Global Swing States” beschreibt, wie die Kooperationspräferenzen dieser Staaten globale Politik prägen können. Eine neue Studie des German Marshall Fund of the United States (GMF) konzipiert die Kooperationsmuster von “Global Swing States” als dynamisch und zeigt die Relevanz von Multi-Alignment als Konzept für internationale Kooperation.
Für sechs “Global Swing States” – Brasilien, Indien, Indonesien, Saudi-Arabien, Südafrika, Türkei – haben die Expert:innen des GMF die Präferenzen für Kooperation mit den USA, Europa, China, Russland und anderen Partnern analysiert. Die Analysen zeigen, dass internationale Kooperation für diese Staaten mit den USA oder Europa in einem Bereich engere Zusammenarbeit mit China oder Russland in einem anderen Bereich nicht ausschließt.
Im neuen geopolitischen Kontext werden sich die USA und Europa an die Tatsache gewöhnen müssen, dass sie ihre Partner für globale Politik – sei es bei zentralen sicherheitspolitischen Herausforderungen wie dem Krieg in der Ukraine, der Klimakrise oder wirtschaftlicher Kooperation – immer wieder neu gewinnen müssen. Dazu gehört auch die Erkenntnis, dass ein entscheidender Faktor für Kooperation das bessere Angebot ist und dass rein normative Ansätze Kooperation mit Europa oder den USA nicht zwingend attraktiver machen.
Europa und die USA müssen aus dem Scheitern dieses Ansatzes lernen und ihre eigenen Ansätze überdenken. Ein Beginn zeichnet sich bereits ab: In ihrer Strategie für Kooperation im Indo-Pazifik priorisiert die EU Kooperation in Bereichen wie Klima oder Konnektivität klar, wobei sie Kooperation im Sicherheitsbereich durch die Mitgliedstaaten auf bilateraler Ebene mit regionalen Partnern vertieft.
Darüber hinaus können insbesondere die G20 ein erfolgversprechendes Format sein, um auf diese Weise mit aufstrebenden Wirtschaftsmächten konkrete Fortschritte zu erzielen. Europa kann hier eine zentrale Rolle einnehmen, um die Folgen des Wettbewerbs zwischen den USA und China abzumildern und breitere multilaterale Koalitionen bilden, um globale Herausforderungen anzugehen. Die Überlegungen zur geopolitischen Neuordnung und dem Umgang mit “Global Swing States” zeigen aber vor allem eines: Europa muss sich geopolitisch verorten und darauf basierend Interessen und Strategien definieren.
Putins langer Schatten reicht bis in den Sudan: Die humanitäre Lage sei “am Tiefpunkt”, klagen die Vereinten Nationen. Hoffnung auf Frieden im Sudan gibt es kaum, auch weil hier größere Mächte wirken: Gold und die Gruppe Wagner. Mehr.
“Uns bleibt der Guerillakrieg”: Ahmad Massud ist der Sohn des afghanischen Nationalhelden, der einst den Widerstand gegen die Taliban organisiert hat – nun er will die Islamisten in Kabul von der Macht vertreiben. Ein Gespräch über die Gefahren der Ideologie, bewaffneten Widerstand und seinen berühmten Namen. Mehr.