Table.Briefing: Security

Rüstungsindustrie nervös vor US-Wahl + Rutte rückt Nato näher an EU

Liebe Leserin, lieber Leser,

weniger Globalisierung wagen? Die deutsche Rüstungsindustrie könnte sich diese Frage durchaus stellen. Sie ist nämlich stark abhängig von Rohstoffen und Vorprodukten aus China, die teurer oder ganz wegbleiben würden, wenn es unter einem Präsidenten Donald Trump zu einem neuen Handelskrieg zwischen den USA und China käme. Wilhelmine Preußen und Gabriel Bub haben die Stimmung in der Branche vor der Wahl heute aufgefangen.

Mehr kooperieren? Dem neuen Nato-Chef werden gute diplomatische Fähigkeiten zugeschrieben. Die braucht Mark Rutte auch. Denn er muss die Zusammenarbeit innerhalb der Nato und auch die Kooperation zwischen dem Verteidigungsbündnis und der EU festigen. Wie das gelingen soll, erfahren Sie in der Analyse von Stephan Israel und Wilhelmine Preußen.  

Frühzeitig eingrenzen? Je länger der russisch-ukrainische Krieg dauert, desto mehr fliegende, fahrende und schwimmende Drohnen sind im Einsatz. Ebenso wächst die Bedeutung möglicher autonomer Waffen. Noch bis Freitag berät der 1. Ausschuss der UN-Generalversammlung in New York über Abrüstung und die Regulierung solcher Waffensysteme, Gabriel Bub sprach mit dem US-Juristen Harold Hongju Koh, der für die Regulation dieser Techniken eintritt. Ein steiniger Weg.

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Ihr
Viktor Funk
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Analyse

US-Wahl: Warum die deutsche Rüstungsindustrie nervös ist

BDSV-Hauptgeschäftsführer Hans Christoph Atzpodien im Oktober 2023 in der Bundespressekonferenz.

Die deutsche Rüstungsindustrie blickt besorgt auf die US-Präsidentenwahl – unabhängig vom Wahlausgang. 

Die Sorgen sind nicht allein mit der “America-First”-Politik Donald Trumps verbunden. Auswirkungen könnte nach Aussagen von Rüstungsvertretern auch die China-Politik des republikanischen Präsidentschaftskandidaten haben. Trump könnte Exportkontrollen verschärfen, Sanktionen gegen chinesische Unternehmen verhängen, mit dem Ziel, die US-amerikanische Industrie von der chinesischen zu lösen, schreiben Brandon Bohrn und Peter Walkenhorst in einem Policy Brief für die Bertelsmann Stiftung. Das könnte auch die europäische Industrie von wesentlichen Rohstoffen aus der Volksrepublik abschneiden. 

Ein geopolitischer Konflikt zwischen den USA und China wäre für die europäische Sicherheits- und Verteidigungsindustrie “kritisch”, sagt Hans Christoph Atzpodien, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie (BDSV). Die US-Konkurrenz habe im Gegensatz zur europäischen Branche mit Mitteln der Regierung seit Jahren daran gearbeitet, ihre Abhängigkeiten von chinesischen Rohstoffen im Bereich von Defence-Produkten konsequent zu reduzieren. Wie groß die Abhängigkeit wirklich ist, ist im Konkreten schwer zu definieren, weil viele Unternehmen ihre potenziellen Schwachstellen nicht offenlegen wollen. Ein Interview des Rheinmetall-Chefs Armin Papperger in der “Financial Times” (FT) lässt aber Vermutungen über das Ausmaß zu. Er warnte, dass Europa derzeit einen unabdingbaren Bestandteil der Munition, Nitrozellulose, auch Schießbaumwolle genannt, zu 70 Prozent aus China beziehe. Reaktion darauf könne nur sein, für “alternatives Sourcing entsprechendes Geld zu bezahlen”, so Atzpodien, aber daran fehle es derzeit bekanntlich ja auch anderswo.

Armin Papperger: USA ein “bedeutender Kernmarkt”

Mit Bezug auf die Geschäfte in Amerika erwarten Experten weniger Veränderung. Mehr Exportmöglichkeiten für deutsche Unternehmen in die USA werde es unter beiden Kandidaten nicht geben, prognostiziert Christian Mölling, Direktor des Programms Europas Zukunft bei der Bertelsmann Stiftung. Was passieren könne, sei, dass bestehende deutsche Kaufoption nicht mehr gezogen würden. Am ehesten unter Trump. Geschäfte zu stoppen, die schon laufen, würde sich für die USA allerdings nicht lohnen. Dafür sei erstens das Volumen zu gering – der größte Teil der amerikanischen Beschaffungen stammt aus der Heimatindustrie – und zweitens würde das den USA selbst schaden. Wenn Donald Trump sich aus ideologischen Gründen entscheiden würde, ein Rüstungsgeschäft mit einem Nato-Partner zu stoppen, hätte das Signalwirkung. “Und viele kaufen bei den USA, weil sie hoffen, eine Sicherheitsgarantie mitzukaufen”, so Mölling.  “Diesen Mythos zu zerstören, würde die Geschäfte für die Amerikaner schwieriger machen.”

Trump hat mehrfach angekündigt, das Geld, das er ausgibt, an US-Firmen zu verteilen. Für diesen Fall hat Rheinmetall schon vorgesorgt. Für knapp eine Milliarde Dollar hat Rheinmetall im August den US-Zulieferer Loc Performance übernommen. Konzern-Chef Armin Papperger sagte damals, dass die USA in den kommenden Jahren “ein bedeutender Kernmarkt” würden. Der Konzern teilte mit, dass er seine Fertigungskapazitäten “mit Blick auf angestrebte volumenstarke Groß­aufträge für Fahrzeugprogramme der U.S.-Armee mit einem Gesamtpotenzial von über 60 Mrd USD” erhöhen wolle.  

Sorge vor Trumps Unberechenbarkeit

Mit American Rheinmetall Vehicles, American Rheinmetall Munitions, American Rheinmetall Systems und American Rheinmetall Defense will der Düsseldorfer Konzern keine Zweifel lassen, wo er produziert und investiert. Ohne “American” im Namen könnte es schwieriger werden.

Denn dass ein Präsident Donald Trump sich damit zufriedengeben würde, dass europäische Konzerne ihre Produktion in die USA verlegen, bezweifeln manche in der Branche. Trumps Unberechenbarkeit sei das größte Risiko, sagte ein Vertreter eines deutschen Rüstungsunternehmens Table.Briefings. Wenn Trump ein Problem damit habe, bei einem deutschen Unternehmen zu beschaffen, dann helfe es auch nicht weiter, wenn es in den USA produziere. Da entscheide bei Trump der Bauch.

Europäische Nato-Partner müssen mehr investieren

Einzelne Unternehmen wie beispielsweise Heckler und Koch geben sich betont gelassen. “Wir sorgen für Wertschöpfung am Standort in Georgia. Solange wir unsere Hausaufgaben machen, brauchen wir keine Sorgen zu haben”, so der Leiter Public Affairs und Kommunikation Thomas Müller. Mit Interesse wird das Unternehmen, dessen wichtigster Markt seit 2020 die USA ist, den Wahlabend mit Sicherheit jedoch ebenfalls verfolgen. Vor allem der Zivilmarkt ist für den schwäbischen Handwaffenhersteller wichtig, aber auch die amerikanischen Streitkräfte kaufen bei dem deutschen Konzern.

Was der deutschen Rüstungsindustrie zugute kommen könnte: Der Druck auf die europäischen Nato-Partner mehr Geld in Verteidigung zu investieren. So betont Florian Seibel, CEO und Gründer des Drohnen Start-Ups Quantum-Systems, dass die US-Wahl, egal wer es ins Weiße Haus schafft, “Deutschland in die Realität zwingen” werde und forderte bei der Gelegenheit, den Militärhaushalt und die Anstrengungen in der Ukraine drastisch zu erhöhen. “Es ist fünf nach zwölf”, so Seibel.

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Mark Rutte – Wie er neue Nato-Akzente setzt

“Wir sind uns beide einig, dass wir den europäischen Pfeiler in der Nato stärken müssen”, sagte Bundeskanzler Olaf Scholz am Montag bei seiner Pressekonferenz mit dem neuen Nato-Generalsekretär Mark Rutte, der zu seinem Antrittsbesuch in Berlin war.

Seine Amtsübernahme könnte der Anfang einer neuen Ära sein: Kaum einen Monat im Amt hat Mark Rutte mit Ursula von der Leyen bereits eine neue “high-level task force” einberufen, um die Zusammenarbeit zwischen Nato und EU zu “verstärken”. In einer zunehmend gefährlicheren Welt sei diese Partnerschaft unverzichtbar, um Frieden, Freiheit und Prosperität zu verteidigen, so der neue Nato-Generalsekretär und die Kommissionspräsidentin vergangene Woche.

Der Kontrast könnte kaum größer sein: Vorgänger Jens Stoltenberg hatte zum Ende seiner Amtszeit ziemlich offen die verteidigungspolitischen Ambitionen der EU kritisiert und eindringlich vor doppelnden Strukturen gewarnt. Dem hölzernen Norweger war die EU immer fremd geblieben, es fehlten ihm auch die persönlichen Kontakte. Stoltenberg habe nicht den “europäischen Reflex” gehabt, den der Niederländer als langjähriger Regierungschef und Kenner des Betriebs im Brüsseler Europaviertel mitbringe, heißt es am Sitz der Nato. Rutte und von der Leyen könnten noch zum Dreamteam in Brüssel werden. Man kennt und schätzt sich von langen Nächten bei EU-Gipfeln und unzähligen bilateralen Treffen.

Eine neue Ära nach Stoltenberg

Nach der wachsenden Rivalität zum Ende der Ära Stoltenberg stehen die Zeichen nun auf Zusammenrücken, auch mit Blick auf ein mögliches Comeback von Donald Trump als US-Präsident. Es ist ein Balanceakt, den der joviale Rutte schaffen könnte. In der Rolle als Regierungschef hat er bewiesen, dass er auch mit Trump umgehen kann. Das demonstriert er auch jetzt, wenn er sich nach dem Amtsantritt als Nato-Chef diplomatisch mit Blick auf ein Comeback des ehemaligen US-Präsidenten und möglichen Folgen für das Bündnis äußert. Dies unter dem Motto, Trump keinen Vorwand zu liefern, die Türe zuzuschlagen.

Gleichzeitig stand Rutte im Kreis der EU-Staats- und Regierungschefs irgendwo in der Mitte, zwischen einem Olaf Scholz und einem Emmanuel Macron. Er ist Transatlantiker und Europäer. Für den Niederländer habe die Partnerschaft mit der EU Priorität, während für Stoltenberg auch mit Blick auf US-amerikanische Interessen immer die Zusammenarbeit mit den Asia-Pacific 4 im Vordergrund gestanden habe, heißt es in Brüssel. Da hilft es, dass auch im Europaviertel Anfang Dezember oder spätestens im Januar ein neues Team antritt, das an einem Strang zieht. Zwischen der EU-Außenbeauftragten Kaja Kallas, dem künftigen EU-Ratsvorsitzenden Antonio Costa, von der Leyen und Rutte gebe es ein großes Einverständnis, heißt es.

Rutte könnte die EU-Nato Beziehungen auf neue Pfeiler stellen

“Ich halte es für sehr wichtig, dass beide Organisationen von Personen geführt werden, die eher einen Geist der Zusammenarbeit als einen Geist des Misstrauens fördern wollen”, betont Camille Grandehemaliger stellvertretender Nato-Generalsekretär und Distinguished Policy Fellow beim ECFR. Grand sieht ganz konkrete Möglichkeiten, die Zusammenarbeit der beiden Organisationen auszubauen und auf eine vertrauensvollere Basis zu stellen.

  • Die gegenseitige Teilnahme – ohne Stimmrecht – an gewissen hochrangigen Gesprächsformaten zu ermöglichen oder auszubauen. Der Ausschluss von gewissen Gesprächsformaten sollte die “Ausnahme” sein und nicht die “Standardeinstellung”. Ein Beispiel seien die Treffen der nationalen Rüstungsdirektoren, die zweimal im Jahr in beiden Organisationen stattfinden.
  • Auch der regelmäßige Austausch von Mitarbeitern, vor allem derjenigen, die voraussichtlich langfristig in der Organisation bleiben, biete die Möglichkeit, ein gegenseitiges Verständnis füreinander zu entwickeln.
  • Auch eingestufte Informationen müssten einfacher zwischen den beiden Organisationen ausgetauscht werden, beispielsweise im Bereich Military Mobility, Prioritäten bei der Ausrüstung oder bei der Entwicklung der militärischen Fähigkeiten. Das sei wichtig, auch wenn Letzteres bedeuten könnte, “ein bisschen politisches Gewicht und Engagement” zu verwenden, um einzelne Mitgliedstaaten, beispielsweise die Türkei oder Zypern, davon zu überzeugen.
  • Es gehe auch darum zu erkennen: Wo sind die jeweiligen Stärken und Schwächen und wo kann man vielleicht voneinander profitieren, beispielsweise beim Thema Weltraum. Da die EU in den letzten Jahren bedeutende Weltraumkapazitäten entwickelt hat, wäre es sinnvoll, diese so auszurichten, dass sie den Nato-Verbündeten, einschließlich den USA, zugutekommen, ohne deren jeweilige Rolle im Weltraum infrage zu stellen.

“Es ist wichtig”, so Grand, “von einem natürlichen Misstrauen und Konkurrenzdenken zu einem neuen Standard der Zusammenarbeit überzugehen, der eine reibungslose Kooperation gewährleistet.” Rutte könnte dazu beitragen.

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“Die Proliferationsgefahr bei autonomen Waffen ist gigantisch”

Seit zehn Jahren diskutiert die Convention on Certain Conventional Weapons (CCW) in Genf über die Regulierung autonomer Waffensysteme. Warum ist noch nichts passiert?

Die Technologien entwickeln sich schnell weiter. Es ist, als müsse man eine Landschaft aus einem fahrenden Zug beschreiben. Es werden auch zu viele Themen diskutiert. Die Kernfrage, um die es gehen sollte, ist die der Notwendigkeit menschlicher Kontrolle bei Entscheidungen über tödliche Angriffe. Und Schurkenstaaten wie Russland oder China wollen keine Vereinbarung. Sie können auf Zeit spielen und bei der CCW in Genf Fortschritte blockieren. Das ist ein Grund, warum diese Veranstaltung an ihre praktischen Grenzen gerät.

Wo sehen Sie die Rolle Deutschlands bei der Regulierung?

Die Deutschen sehen sich verpflichtet, keine Weltkriege mehr zuzulassen, und sie sehen sich dem Prinzip der Verantwortung verpflichtet, das aus den Nürnberger Prozessen hervorging. Das ist Teil der deutschen nationalen Identität geworden. Außerdem liefert Deutschland Waffen in Kriegsgebiete. Sowohl in die Ukraine als auch nach Israel – es kämpft nicht direkt, könnte aber verantwortlich gemacht werden, wenn diese Waffen missbräuchlich genutzt werden. Wegen der Lieferungen nach Israel wurde Deutschland bereits von Südafrika angeklagt. Die Genfer Konventionen sind nicht direkt auf diese neuen Entwicklungen ausgelegt, deshalb brauchen wir ein Rahmenwerk für die Probleme des 21. Jahrhunderts. Die Franzosen haben beim Klimawandel eine Führungsrolle eingenommen; warum sollten die Deutschen das nicht bei dieser Frage tun? Deutschland steht im Zentrum der regelbasierten Ordnung und hat genügend politische Stabilität und Schlagkraft, um diese Rolle auszufüllen.

Wo sehen Sie die Risiken einer Nichtregulierung autonomer Waffensysteme?

Wenn jede Art von autonomen Waffen, die entwickelt wird, legal ist, bedeutet das, dass die reichsten und rücksichtslosesten Länder die Debatte bestimmen und die gefährlichsten Waffen kontrollieren. Deshalb braucht man ein Regelwerk, damit man weiß, wer sich an die regelbasierte Ordnung hält und wer nicht.

Autonome Waffensysteme könnten weniger fehleranfällig sein als Menschen.

KI ist fehlbar, und sie wird es bleiben. Jeden Tag verschicke ich fehlerhafte E-Mails, die von der Autokorrektur zu Nonsens gemacht werden. Wenn ich Uber nutze, fordere ich regelmäßig Orte an, an die ich gar nicht wollte. Das zeigt, dass wir menschliche Kontrolle über automatisierte Entscheidungen brauchen. Es gibt aber einen noch viel tiefergehenden Aspekt dieses Problems. Für Programmierer sind manche Leben mehr wert als andere. Autonome Fahrzeuge wie Tesla werden so programmiert, dass Menschen, die im Auto sitzen, wichtiger sind als diejenigen, die sie überfahren könnten. Wer würde einen Tesla kaufen, wenn sie nicht so programmiert würden? Menschenleben außerhalb des Autos sind also weniger wert als Menschenleben innerhalb des Autos. Diese Entscheidungen sollten keine Programmierer treffen, die nicht zur Rechenschaft gezogen werden können. Wenn Ihr GPS einen Fehler macht, ist es ihm egal. Maschinen evaluieren nicht die menschlichen Kosten ihrer Fehler.

Sie verteidigen die Ukraine vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag. Wie sehen Sie den Einsatz autonomer Waffensysteme in der Ukraine?

Die Türken liefern viele autonome Waffensysteme. Die Türkei hat sowieso ihre eigenen Probleme mit Demokratie. Russland ist der Aggressor, und die Ukraine verteidigt sich. Aber je länger der Krieg dauert, desto mehr kann man sehen, dass mehr und mehr Länder in den Konflikt treten und die Grenze zwischen den Guten und den Bösen verschwimmt. Das passiert bei vielen militärischen Entscheidungen. Und das bringt die Unterstützer der Ukraine in eine Zwickmühle. Denn wenn die Ukraine beginnt, mit autonomen Waffen Ziele in Russland anzugreifen, könnte Putin sagen: Vielleicht verwende ich Nuklearwaffen gegen euch.

Wie groß ist die Gefahr, dass autonome Waffensysteme in den Händen von Terroristen landen?

Sie ist bereits signifikant. Man kann Drohnen auf Amazon kaufen. Die Geschichte von terroristischer Kriegsführung handelt von improvisierten Sprengsätzen. Ich denke, dass es unvermeidbar ist, dass nicht-staatliche Akteure an diese Waffen gelangen werden. Und das wird sie auf die nächste Stufe stellen. Das ist anders als bei Nuklearwaffen, die Länder mit viel Geld und einer enormen Vorinvestition in wissenschaftliches Equipment entwickeln müssen. All diese Faktoren machen die Proliferationsgefahr bei autonomen Waffen gigantisch.

Harold Hongju Koh ist Professor für internationales Recht an der Yale Law School. Er beriet vier US-Administrationen, zuletzt zu Beginn der Amtszeit die Joe Biden-Regierung, und vertritt die Ukraine in vier internationalen Prozessen gegen Russland.

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  • Drohnen
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  • Rüstung
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News

Baerbock sagt Kiew weitere Winterhilfe zu

Außenministerin Annalena Baerbock hat der Ukraine auch mit Blick auf die US-Präsidentschaftswahl die volle Unterstützung Deutschlands im Kampf gegen Russland zugesichert. “Wir als deutsche Bundesregierung, als größtes Land Europas, wissen um unsere Verantwortung”, sagte Baerbock bei ihrem inzwischen achten Solidaritätsbesuch am Montag in Kiew.

Mit Blick auf den nahenden Winter und die anhaltenden russischen Angriffe auf die Energieversorgung sagte Baerbock dem Land weitere 200 Millionen Euro an Winterhilfe zu. Mit dem Geld werde die humanitäre Soforthilfe des Auswärtigen Amts aufgestockt, damit etwa auch frontnahe Häuser ohne Energieversorgung Brennstoff erhalten, sagte sie. Die deutsche Förderung aus Mitteln der humanitären Hilfe etwa auch für humanitäres Minenräumen liegt im laufenden Jahr nun bei insgesamt 390 Millionen Euro.

Westen soll Drohnen über Ukraine abschießen

Andrij Sybiha, Außenminister der Ukraine, dankte Deutschland, mahnte zugleich aber, dass die Ukraine endlich westliche Waffen mit größerer Reichweite dazu einsetzen können dürfe, russische Stützpunkte hinter der Grenze anzugreifen. “Das ist unser Recht.” Zudem müssten die verbündeten westlichen Staaten auch dazu übergehen, selbst russische Raketen und Drohnen über der Ukraine abzuschießen. Schließlich brauche die Ukraine weitere Mittel zur Flugabwehr. Dies sei nicht nur für den Schutz der Städte wichtig, sondern auch zur Verteidigung der ukrainischen Atomanlagen. Es gebe Hinweise, dass Russland diese Anlagen angreifen wolle. klm/rtr/dpa

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Seoul hält sich bei Ukraine-Hilfe zurück

Im Worte vereint, im Handeln getrennt: Vergeblich hat der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell am Montag versucht, die Regierung von Südkorea zur direkten, militärischen Unterstützung der Ukraine zu bewegen. Seoul hält sich bisher mit direkten Waffenlieferungen an Kiew zurück. Ob das Land dabei auch bleibt, nachdem bekannt geworden ist, dass der kommunistische Nachbar im Norden Soldaten für Russlands Krieg zur Verfügung stellt, ist noch nicht entschieden. Der freundliche Druck der EU wirkt bisher nicht.

Wer sich unter europäischen Diplomaten umhört, bekommt Frust darüber zu hören, warum Seoul die Ukraine nicht stärker unterstützt. So heißt es unter anderem, dass südkoreanische Regierungsvertreter immer noch darauf spekulieren würden, dass man bei einem baldigen Frieden in der Ukraine wieder zu alten Geschäften mit Russland zurückkehren werde – und dementsprechend es sich mit Wladimir Putin nicht verscherzen dürfe.

Südkorea schickt Beobachter in die Ukraine

Am Montag ist nun eine südkoreanische Delegation von ranghohen Vertretern des Verteidigungsministeriums und des Geheimdienstes aus Kiew zurückgekehrt. Sie hatten neue Möglichkeiten der Zusammenarbeit mit der Ukraine ausgelotet. Dass Südkorea eigene Beobachter nach Kiew schicken wird, welche die nordkoreanischen Soldaten beobachten und in Fluchtfällen auch mit Übersetzung und Wissen zur Seite stünden, gilt als gesichert.

Bislang scheint es, dass Verteidigungsminister Kim Yong Hyun beim Thema Militärhilfen vor allem Zeit schinden möchte: Man werde in Zusammenarbeit mit der internationalen Staatengemeinschaft und basierend auf den Resultaten der südkoreanischen Delegation “notwendige Maßnahmen ergreifen”. Wann dies sein werde und was konkret passieren wird – das bleibt offen. vf/fk

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NIS-2: Weshalb Ausnahmen für AA und BMVg Deutschland verwundbar machen

Das NIS-2-Umsetzungs- und Cybersicherheitsstärkungsgesetz (NIS2UmsuCG) sieht Ausnahmen von den zusätzlichen IT-Sicherheitsmaßnahmen für Teile der Bundesregierung, unter anderem für das Auswärtige Amt (AA), das Verteidigungsministerium und andere nachgeordnete Bundesbehörden vor.

Experten warnten bei einer öffentlichen Anhörung im Innenausschuss des Deutschen Bundestags am Montag, dass das die Cybersicherheit des Landes insgesamt schwäche.

“IT-Sicherheitsvorgaben müssen für die gesamte Bundesverwaltung gleichermaßen gelten”, sagte Claudia Plattner, Präsidentin des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) und betonte, dass Deutschland sich die aktuell formulierten Ausnahmen nicht leisten könne, “denn wir sind hier verwundbar”. Sie warnte außerdem, dass die Ausnahmen ein “massives Glaubwürdigkeitsproblem” darstellten. Man erwarte von der Wirtschaft etwas, was man selbst nicht bereit sei, zu tun. Das unterstrich auch Felix Kuhlenkamp, Referent für Sicherheitspolitik beim Branchenverband der deutschen Informations- und Telekommunikationsbranche Bitkom.

“Keine sinnhafte Begründung” für bestehende Ausnahmen

Der Kabinettsentwurf sieht vor, dass rund 30.000 Unternehmen in Zukunft umfassende IT-Sicherheitsmaßnahmen ergreifen müssen.

Für das AA, das Verteidigungsministerium und nachgeordnete Bundesbehörden wie auch das BSI selbst gelten diese neuen Anforderungen nicht oder nicht in gleichem Umfang. Das BSI muss zum Beispiel keine Sicherheitsvorkehrungen nach dem IT-Grundschutz mehr treffen. “Dafür ist keine sinnhafte Begründung zu finden”, so Hisolutions-Vorstand Timo Kob, der von der Union als Experte benannt wurde. Die übereinstimmende Meinung der Experten war: Sonderregeln sollten für so wenige wie möglich gelten. Auch unter den Ampel-Innenpolitikern herrscht hier weitgehend die Meinung, dass diese Sonderregeln nicht vermittelbar sind. Gerade das AA und die Auslandsvertretungen sind oft Opfer von Cyberangriffen, weswegen ihre Ausnahme von den Regeln besonders heikel ist. Allerdings wird es schwer, das noch im parlamentarischen Verfahren zu ändern. “Die Ausnahmen für das Auswärtige Amt waren ein Hauptgrund, warum das NIS-2-Gesetz so lange in der Luft hing”, hieß es aus Parlamentskreisen. wp

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UNRWA: Experte fordern Unterstellung unter Palästinensische Autonomiebehörde

Israel hat die Vereinten Nationen nun auch offiziell darüber informiert, dass es eine Tätigkeit des UN-Palästinenserhilfswerks UNWRA in Israel ab 2025 nicht mehr erlauben werde. Das im Oktober von der Knesset beschlossene Verbot der mit mehr als 13.000 Mitarbeitern im Gazastreifen tätigen Agentur war weltweit auf Kritik gestoßen – die Regierung in Jerusalem begründet es mit der Verwicklung von UNWRA-Mitarbeitern in den Terroranschlag vom 7. Oktober 2023; ihr UN-Botschafter in New York, Danny Danon, teilte am Sonntag mit, die Vereinten Nationen hätten “nichts unternommen, um diese Realität anzugehen”.

Im Gespräch mit Table.Briefings hatte UNRWA-Generalkommissar Philippe Lazzarini noch im Oktober Beweise für Verstrickungen weiterer mutmaßlicher Hamas-Angehöriger von Israel verlangt; nach Bekanntwerden der Vorwürfe waren im August neun UNRWA-Mitarbeiter entlassen worden. Das 1949 gegründete Hilfswerk stattet Millionen von Palästinensern im Libanon, Jordanien, Ostjerusalem, Westjordanland und Gazastreifen mit Gesundheits- und Bildungsdienstleistungen aus. Kritiker werfen ihm vor, den in UN-Resolution 194 von 1949 verankerten Flüchtlingsstatus ganzer Generationen von Palästinensern zu perpetuieren.  

UNWRA darf nicht Paralleluniversum zurückkehren

Um die palästinensische Staatlichkeit zu stärken, fordert Ahmad Fouad Alkhatib von der US-Denkfabrik Atlantic Council deshalb eine grundlegende Reform des Bildungs- und Gesundheitswesens im Gazastreifen. “Die UNRWA sollte nicht zu einem Paralleluniversum zurückzukehren”, sagte er am Montag bei einem Besuch in Berlin. Vielmehr sollte die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) die Führungsrolle beim Aufbau von Gesundheits- und Bildungsapparat übernehmen. Eine Rückkehr der PA in den Gazastreifen gilt als realistisches Szenario, die Hamas als politischen Akteur nach Kriegsende zu ersetzen. mrb

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Must-Reads

ECFR: Readying Europe for an age between war and peace. Die EU ist stolz darauf, ein Friedensprojekt zu sein. Dennoch kann Diplomatie nur dann glaubwürdig wirken, wenn Europa seine militärische, wirtschaftliche, industrielle und finanzielle Macht rasch und entschlossen einsetzt. Dies ist erforderlich, um Konflikte zu vermeiden, Verbündete zu unterstützen, Kriege von den Grenzen der Union fernzuhalten und Europa zu schützen.

The Guardian: Kupiansk trembles as Russian forces close in again. Die Lage an der Ostfront verschlechtert sich für die Ukraine zusehends. Russlands Absicht ist es, die Stadt Kupiansk zu erobern und zu zerstören. Die Soldaten der Ukraine kämpfen um jeden Zentimeter und hoffen auf den Winter.

Foreign Affairs: Xi Jinping’s Axis of Losers. China ist die größte Bedrohung für die USA. Doch wenn es dem Westen gelingt, Russland, den Iran und Nordkorea zu stoppen, stehen die Chancen gut, dass China seine aggressive Politik aufgibt.

Spiegel: Ex-Regierungsberater Richard Haass über die Fehler der US-Außenpolitik. Das Ziel amerikanischer Außenpolitik sollte es nicht sein, Regimewechsel zu erzwingen. Wichtiger sei es, auch durch militärische Macht Autokraten davon abzuhalten, andere Länder zu überfallen.

The Guardian: The ultranationalist TV channel fast becoming Israel’s most-watched news source. Ein von der Regierung unterstützter israelischer Fernsehsender hat sich schnell zu einer der meistgenutzten Nachrichtenquellen des Landes entwickelt. Im vergangenen Monat übertraf Channel 14 den führenden Mainstream-Nachrichtensender Channel 12 in den Zuschauerquoten.

Standpunkt

Deutschland trägt Risiken bei Stationierung der US-Mittelstreckenraketen

Von Wolfgang Richter
Wolfgang Richter ist Associate Fellow beim Genfer Zentrum für Sicherheitspolitik.

Am Rande des Washingtoner Nato-Gipfels am 10. Juli 2024 erklärten die USA und Deutschland bilateral die Absicht, ab 2026 konventionelle landgestützte Mittelstreckenraketen in Deutschland zu stationieren: SM-6 Standardraketen, Tomahawk Marschflugkörper und neu entwickelte Hyperschallraketen (LRHW Dark Eagle).

Stationierung war vor russischem Angriff auf die Ukraine geplant

Die Raketen gehören strukturell zur 2. Multi-Domain Task Force (MDTF). Sie wurde bereits im Sommer 2021, also noch vor dem russischen Angriff auf die Ukraine, in Wiesbaden stationiert. Ihre Raketeneinheiten verblieben aber zunächst im Staat New York. Auch wenn ihre Zahl noch nicht bekannt ist, legt die Grundgliederung der MDTF nahe, dass es sich um drei bis fünf Einheiten von jeweils vier Startfahrzeugen handeln wird. Da sie über je zwei oder vier Startkanister verfügen und Nachladungen vorgesehen sind, könnte es sich um 100 bis 200 Raketen handeln.

Weltweit stellen die USA fünf MDTFs auf, davon drei im asiatisch-pazifischen Raum. Damit wollen sie der Fähigkeit Chinas begegnen, im Krisenfall mit landgestützten Mittel- und Kurzstreckenraketen den U.S. Flotten den Zugang zur Region zu verwehren. Die erste MDTF wurde 2017 aufgestellt, zwei Jahre vor dem Ende des amerikanisch-sowjetischen INF-Vertrags von 1987. Er verbot landgestützte Raketen mit Reichweiten zwischen 500 und 5.500 km sowie ihre Startsysteme und Infrastruktur. Präsident Trump begründete die Kündigung des Vertrags nicht nur mit einer Vertragsverletzung durch Moskau, sondern vor allem mit dem Raketenpotenzial Chinas. Es habe die U.S. Streitkräfte in der Region in eine schwierige strategische Lage gebracht.

Risiken trägt Deutschland alleine

Sollte die Stationierungsentscheidung 2026 realisiert werden, würden zum ersten Mal seit 1988 U.S.-Mittelstreckenraketen mit Reichweiten zwischen 1.700 und 3.000 km von deutschem Boden aus Ziele in der Tiefe Russlands bedrohen. Die präzisen konventionellen Raketen wären dann in der Lage, in wenigen Minuten strategische Ziele anzugreifen und so das nuklearstrategische Gleichgewicht zwischen den USA und Russland zu verändern. Anders als der “Doppelbeschluss” der Nato von 1979 bietet die bilaterale Erklärung Moskau nicht an, den drohenden Stationierungswettlauf zu verhindern, etwa durch Vereinbarungen über ein verifiziertes Stationierungsmoratorium. Dies könnte das Ende der ohnehin schon geringen Chancen auf eine Erneuerung der Rüstungskontrolle ankündigen und die Sicherheitslage Europas und Deutschlands weiter verschlechtern. Die Risiken der Stationierung trägt Deutschland allein. In der gemeinsamen Nato-Erklärung vom gleichen Tag wird sie nicht erwähnt.

Abzug der russischen Iskander-Raketen wäre “wünschenswert”

Ob sie zwingend erforderlich ist, um eine Fähigkeitslücke zu schließen, ist zweifelhaft. Die Luft- und Seestreitkräfte der Nato in Europa sind mit ihren durchsetzungsfähigen Flugzeugen und Marschflugkörpern denen Russlands weit überlegen. Unzweifelhaft aber schaffen die US-Mittelstreckenraketen Optionen für Überraschungsangriffe gegen russische Raketen, bevor sie gestartet werden. Sie passen nicht zu einem plausiblen politischen Szenario. Moskau sieht dies nicht als defensive Abschreckung, sondern als offensive Option, zu Beginn eines bewaffneten Konflikts die nuklearstrategische Balance zugunsten der USA zu verändern. Dies wird in seiner Perzeption den strategischen Druck erhöhen, diese Gefahr präemptiv auszuschalten, sollte ein militärischer Konflikt als unvermeidbar erscheinen. Angesichts der konventionellen Unterlegenheit Russlands kann eine frühe nukleare Eskalation nicht ausgeschlossen werden.

Trotz der weitreichenden Konsequenzen ging der Stationierungsentscheidung keine nationale Diskussion in Deutschland voraus. Dass sie in der parallelen Nato-Erklärung nicht erwähnt wurde, widerspricht dem deutschen Prinzip der Risiko- und Lastenteilung. Sie steht auch im Kontrast zum vorsichtigen Kurs des Bundeskanzlers, zwar die Ukraine zu unterstützen, aber eine Eskalation zu vermeiden, die Deutschland unkalkulierbaren Risiken aussetzen würde. Dieser Kurs sollte durch eine Initiative gegenüber Moskau gestützt werden, auch wenn dies politisch schwierig erscheint, solange der Angriffskrieg gegen die Ukraine anhält. Ein verifizierbares Stationierungsmoratorium sollte ebenso erwogen werden wie ein unilateraler Stationierungsverzicht, sofern Moskau mit reziproken Maßnahmen reagiert. Ein Abzug der Iskander-Raketen aus Kaliningrad wäre ein wünschenswertes Signal, auch wenn sie vom INF-Vertrag nicht verboten waren.

Wolfgang Richter ist Experte im Bereich Rüstungskontrolle, Sicherheitskooperation und Internationales Völkerrecht und arbeitete bis 2022 bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). Seit 2023 ist er Associate Fellow beim Genfer Zentrum für Sicherheitspolitik (GCSP).

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Security.Table Redaktion

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    Mehr kooperieren? Dem neuen Nato-Chef werden gute diplomatische Fähigkeiten zugeschrieben. Die braucht Mark Rutte auch. Denn er muss die Zusammenarbeit innerhalb der Nato und auch die Kooperation zwischen dem Verteidigungsbündnis und der EU festigen. Wie das gelingen soll, erfahren Sie in der Analyse von Stephan Israel und Wilhelmine Preußen.  

    Frühzeitig eingrenzen? Je länger der russisch-ukrainische Krieg dauert, desto mehr fliegende, fahrende und schwimmende Drohnen sind im Einsatz. Ebenso wächst die Bedeutung möglicher autonomer Waffen. Noch bis Freitag berät der 1. Ausschuss der UN-Generalversammlung in New York über Abrüstung und die Regulierung solcher Waffensysteme, Gabriel Bub sprach mit dem US-Juristen Harold Hongju Koh, der für die Regulation dieser Techniken eintritt. Ein steiniger Weg.

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    US-Wahl: Warum die deutsche Rüstungsindustrie nervös ist

    BDSV-Hauptgeschäftsführer Hans Christoph Atzpodien im Oktober 2023 in der Bundespressekonferenz.

    Die deutsche Rüstungsindustrie blickt besorgt auf die US-Präsidentenwahl – unabhängig vom Wahlausgang. 

    Die Sorgen sind nicht allein mit der “America-First”-Politik Donald Trumps verbunden. Auswirkungen könnte nach Aussagen von Rüstungsvertretern auch die China-Politik des republikanischen Präsidentschaftskandidaten haben. Trump könnte Exportkontrollen verschärfen, Sanktionen gegen chinesische Unternehmen verhängen, mit dem Ziel, die US-amerikanische Industrie von der chinesischen zu lösen, schreiben Brandon Bohrn und Peter Walkenhorst in einem Policy Brief für die Bertelsmann Stiftung. Das könnte auch die europäische Industrie von wesentlichen Rohstoffen aus der Volksrepublik abschneiden. 

    Ein geopolitischer Konflikt zwischen den USA und China wäre für die europäische Sicherheits- und Verteidigungsindustrie “kritisch”, sagt Hans Christoph Atzpodien, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie (BDSV). Die US-Konkurrenz habe im Gegensatz zur europäischen Branche mit Mitteln der Regierung seit Jahren daran gearbeitet, ihre Abhängigkeiten von chinesischen Rohstoffen im Bereich von Defence-Produkten konsequent zu reduzieren. Wie groß die Abhängigkeit wirklich ist, ist im Konkreten schwer zu definieren, weil viele Unternehmen ihre potenziellen Schwachstellen nicht offenlegen wollen. Ein Interview des Rheinmetall-Chefs Armin Papperger in der “Financial Times” (FT) lässt aber Vermutungen über das Ausmaß zu. Er warnte, dass Europa derzeit einen unabdingbaren Bestandteil der Munition, Nitrozellulose, auch Schießbaumwolle genannt, zu 70 Prozent aus China beziehe. Reaktion darauf könne nur sein, für “alternatives Sourcing entsprechendes Geld zu bezahlen”, so Atzpodien, aber daran fehle es derzeit bekanntlich ja auch anderswo.

    Armin Papperger: USA ein “bedeutender Kernmarkt”

    Mit Bezug auf die Geschäfte in Amerika erwarten Experten weniger Veränderung. Mehr Exportmöglichkeiten für deutsche Unternehmen in die USA werde es unter beiden Kandidaten nicht geben, prognostiziert Christian Mölling, Direktor des Programms Europas Zukunft bei der Bertelsmann Stiftung. Was passieren könne, sei, dass bestehende deutsche Kaufoption nicht mehr gezogen würden. Am ehesten unter Trump. Geschäfte zu stoppen, die schon laufen, würde sich für die USA allerdings nicht lohnen. Dafür sei erstens das Volumen zu gering – der größte Teil der amerikanischen Beschaffungen stammt aus der Heimatindustrie – und zweitens würde das den USA selbst schaden. Wenn Donald Trump sich aus ideologischen Gründen entscheiden würde, ein Rüstungsgeschäft mit einem Nato-Partner zu stoppen, hätte das Signalwirkung. “Und viele kaufen bei den USA, weil sie hoffen, eine Sicherheitsgarantie mitzukaufen”, so Mölling.  “Diesen Mythos zu zerstören, würde die Geschäfte für die Amerikaner schwieriger machen.”

    Trump hat mehrfach angekündigt, das Geld, das er ausgibt, an US-Firmen zu verteilen. Für diesen Fall hat Rheinmetall schon vorgesorgt. Für knapp eine Milliarde Dollar hat Rheinmetall im August den US-Zulieferer Loc Performance übernommen. Konzern-Chef Armin Papperger sagte damals, dass die USA in den kommenden Jahren “ein bedeutender Kernmarkt” würden. Der Konzern teilte mit, dass er seine Fertigungskapazitäten “mit Blick auf angestrebte volumenstarke Groß­aufträge für Fahrzeugprogramme der U.S.-Armee mit einem Gesamtpotenzial von über 60 Mrd USD” erhöhen wolle.  

    Sorge vor Trumps Unberechenbarkeit

    Mit American Rheinmetall Vehicles, American Rheinmetall Munitions, American Rheinmetall Systems und American Rheinmetall Defense will der Düsseldorfer Konzern keine Zweifel lassen, wo er produziert und investiert. Ohne “American” im Namen könnte es schwieriger werden.

    Denn dass ein Präsident Donald Trump sich damit zufriedengeben würde, dass europäische Konzerne ihre Produktion in die USA verlegen, bezweifeln manche in der Branche. Trumps Unberechenbarkeit sei das größte Risiko, sagte ein Vertreter eines deutschen Rüstungsunternehmens Table.Briefings. Wenn Trump ein Problem damit habe, bei einem deutschen Unternehmen zu beschaffen, dann helfe es auch nicht weiter, wenn es in den USA produziere. Da entscheide bei Trump der Bauch.

    Europäische Nato-Partner müssen mehr investieren

    Einzelne Unternehmen wie beispielsweise Heckler und Koch geben sich betont gelassen. “Wir sorgen für Wertschöpfung am Standort in Georgia. Solange wir unsere Hausaufgaben machen, brauchen wir keine Sorgen zu haben”, so der Leiter Public Affairs und Kommunikation Thomas Müller. Mit Interesse wird das Unternehmen, dessen wichtigster Markt seit 2020 die USA ist, den Wahlabend mit Sicherheit jedoch ebenfalls verfolgen. Vor allem der Zivilmarkt ist für den schwäbischen Handwaffenhersteller wichtig, aber auch die amerikanischen Streitkräfte kaufen bei dem deutschen Konzern.

    Was der deutschen Rüstungsindustrie zugute kommen könnte: Der Druck auf die europäischen Nato-Partner mehr Geld in Verteidigung zu investieren. So betont Florian Seibel, CEO und Gründer des Drohnen Start-Ups Quantum-Systems, dass die US-Wahl, egal wer es ins Weiße Haus schafft, “Deutschland in die Realität zwingen” werde und forderte bei der Gelegenheit, den Militärhaushalt und die Anstrengungen in der Ukraine drastisch zu erhöhen. “Es ist fünf nach zwölf”, so Seibel.

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    Mark Rutte – Wie er neue Nato-Akzente setzt

    “Wir sind uns beide einig, dass wir den europäischen Pfeiler in der Nato stärken müssen”, sagte Bundeskanzler Olaf Scholz am Montag bei seiner Pressekonferenz mit dem neuen Nato-Generalsekretär Mark Rutte, der zu seinem Antrittsbesuch in Berlin war.

    Seine Amtsübernahme könnte der Anfang einer neuen Ära sein: Kaum einen Monat im Amt hat Mark Rutte mit Ursula von der Leyen bereits eine neue “high-level task force” einberufen, um die Zusammenarbeit zwischen Nato und EU zu “verstärken”. In einer zunehmend gefährlicheren Welt sei diese Partnerschaft unverzichtbar, um Frieden, Freiheit und Prosperität zu verteidigen, so der neue Nato-Generalsekretär und die Kommissionspräsidentin vergangene Woche.

    Der Kontrast könnte kaum größer sein: Vorgänger Jens Stoltenberg hatte zum Ende seiner Amtszeit ziemlich offen die verteidigungspolitischen Ambitionen der EU kritisiert und eindringlich vor doppelnden Strukturen gewarnt. Dem hölzernen Norweger war die EU immer fremd geblieben, es fehlten ihm auch die persönlichen Kontakte. Stoltenberg habe nicht den “europäischen Reflex” gehabt, den der Niederländer als langjähriger Regierungschef und Kenner des Betriebs im Brüsseler Europaviertel mitbringe, heißt es am Sitz der Nato. Rutte und von der Leyen könnten noch zum Dreamteam in Brüssel werden. Man kennt und schätzt sich von langen Nächten bei EU-Gipfeln und unzähligen bilateralen Treffen.

    Eine neue Ära nach Stoltenberg

    Nach der wachsenden Rivalität zum Ende der Ära Stoltenberg stehen die Zeichen nun auf Zusammenrücken, auch mit Blick auf ein mögliches Comeback von Donald Trump als US-Präsident. Es ist ein Balanceakt, den der joviale Rutte schaffen könnte. In der Rolle als Regierungschef hat er bewiesen, dass er auch mit Trump umgehen kann. Das demonstriert er auch jetzt, wenn er sich nach dem Amtsantritt als Nato-Chef diplomatisch mit Blick auf ein Comeback des ehemaligen US-Präsidenten und möglichen Folgen für das Bündnis äußert. Dies unter dem Motto, Trump keinen Vorwand zu liefern, die Türe zuzuschlagen.

    Gleichzeitig stand Rutte im Kreis der EU-Staats- und Regierungschefs irgendwo in der Mitte, zwischen einem Olaf Scholz und einem Emmanuel Macron. Er ist Transatlantiker und Europäer. Für den Niederländer habe die Partnerschaft mit der EU Priorität, während für Stoltenberg auch mit Blick auf US-amerikanische Interessen immer die Zusammenarbeit mit den Asia-Pacific 4 im Vordergrund gestanden habe, heißt es in Brüssel. Da hilft es, dass auch im Europaviertel Anfang Dezember oder spätestens im Januar ein neues Team antritt, das an einem Strang zieht. Zwischen der EU-Außenbeauftragten Kaja Kallas, dem künftigen EU-Ratsvorsitzenden Antonio Costa, von der Leyen und Rutte gebe es ein großes Einverständnis, heißt es.

    Rutte könnte die EU-Nato Beziehungen auf neue Pfeiler stellen

    “Ich halte es für sehr wichtig, dass beide Organisationen von Personen geführt werden, die eher einen Geist der Zusammenarbeit als einen Geist des Misstrauens fördern wollen”, betont Camille Grandehemaliger stellvertretender Nato-Generalsekretär und Distinguished Policy Fellow beim ECFR. Grand sieht ganz konkrete Möglichkeiten, die Zusammenarbeit der beiden Organisationen auszubauen und auf eine vertrauensvollere Basis zu stellen.

    • Die gegenseitige Teilnahme – ohne Stimmrecht – an gewissen hochrangigen Gesprächsformaten zu ermöglichen oder auszubauen. Der Ausschluss von gewissen Gesprächsformaten sollte die “Ausnahme” sein und nicht die “Standardeinstellung”. Ein Beispiel seien die Treffen der nationalen Rüstungsdirektoren, die zweimal im Jahr in beiden Organisationen stattfinden.
    • Auch der regelmäßige Austausch von Mitarbeitern, vor allem derjenigen, die voraussichtlich langfristig in der Organisation bleiben, biete die Möglichkeit, ein gegenseitiges Verständnis füreinander zu entwickeln.
    • Auch eingestufte Informationen müssten einfacher zwischen den beiden Organisationen ausgetauscht werden, beispielsweise im Bereich Military Mobility, Prioritäten bei der Ausrüstung oder bei der Entwicklung der militärischen Fähigkeiten. Das sei wichtig, auch wenn Letzteres bedeuten könnte, “ein bisschen politisches Gewicht und Engagement” zu verwenden, um einzelne Mitgliedstaaten, beispielsweise die Türkei oder Zypern, davon zu überzeugen.
    • Es gehe auch darum zu erkennen: Wo sind die jeweiligen Stärken und Schwächen und wo kann man vielleicht voneinander profitieren, beispielsweise beim Thema Weltraum. Da die EU in den letzten Jahren bedeutende Weltraumkapazitäten entwickelt hat, wäre es sinnvoll, diese so auszurichten, dass sie den Nato-Verbündeten, einschließlich den USA, zugutekommen, ohne deren jeweilige Rolle im Weltraum infrage zu stellen.

    “Es ist wichtig”, so Grand, “von einem natürlichen Misstrauen und Konkurrenzdenken zu einem neuen Standard der Zusammenarbeit überzugehen, der eine reibungslose Kooperation gewährleistet.” Rutte könnte dazu beitragen.

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    “Die Proliferationsgefahr bei autonomen Waffen ist gigantisch”

    Seit zehn Jahren diskutiert die Convention on Certain Conventional Weapons (CCW) in Genf über die Regulierung autonomer Waffensysteme. Warum ist noch nichts passiert?

    Die Technologien entwickeln sich schnell weiter. Es ist, als müsse man eine Landschaft aus einem fahrenden Zug beschreiben. Es werden auch zu viele Themen diskutiert. Die Kernfrage, um die es gehen sollte, ist die der Notwendigkeit menschlicher Kontrolle bei Entscheidungen über tödliche Angriffe. Und Schurkenstaaten wie Russland oder China wollen keine Vereinbarung. Sie können auf Zeit spielen und bei der CCW in Genf Fortschritte blockieren. Das ist ein Grund, warum diese Veranstaltung an ihre praktischen Grenzen gerät.

    Wo sehen Sie die Rolle Deutschlands bei der Regulierung?

    Die Deutschen sehen sich verpflichtet, keine Weltkriege mehr zuzulassen, und sie sehen sich dem Prinzip der Verantwortung verpflichtet, das aus den Nürnberger Prozessen hervorging. Das ist Teil der deutschen nationalen Identität geworden. Außerdem liefert Deutschland Waffen in Kriegsgebiete. Sowohl in die Ukraine als auch nach Israel – es kämpft nicht direkt, könnte aber verantwortlich gemacht werden, wenn diese Waffen missbräuchlich genutzt werden. Wegen der Lieferungen nach Israel wurde Deutschland bereits von Südafrika angeklagt. Die Genfer Konventionen sind nicht direkt auf diese neuen Entwicklungen ausgelegt, deshalb brauchen wir ein Rahmenwerk für die Probleme des 21. Jahrhunderts. Die Franzosen haben beim Klimawandel eine Führungsrolle eingenommen; warum sollten die Deutschen das nicht bei dieser Frage tun? Deutschland steht im Zentrum der regelbasierten Ordnung und hat genügend politische Stabilität und Schlagkraft, um diese Rolle auszufüllen.

    Wo sehen Sie die Risiken einer Nichtregulierung autonomer Waffensysteme?

    Wenn jede Art von autonomen Waffen, die entwickelt wird, legal ist, bedeutet das, dass die reichsten und rücksichtslosesten Länder die Debatte bestimmen und die gefährlichsten Waffen kontrollieren. Deshalb braucht man ein Regelwerk, damit man weiß, wer sich an die regelbasierte Ordnung hält und wer nicht.

    Autonome Waffensysteme könnten weniger fehleranfällig sein als Menschen.

    KI ist fehlbar, und sie wird es bleiben. Jeden Tag verschicke ich fehlerhafte E-Mails, die von der Autokorrektur zu Nonsens gemacht werden. Wenn ich Uber nutze, fordere ich regelmäßig Orte an, an die ich gar nicht wollte. Das zeigt, dass wir menschliche Kontrolle über automatisierte Entscheidungen brauchen. Es gibt aber einen noch viel tiefergehenden Aspekt dieses Problems. Für Programmierer sind manche Leben mehr wert als andere. Autonome Fahrzeuge wie Tesla werden so programmiert, dass Menschen, die im Auto sitzen, wichtiger sind als diejenigen, die sie überfahren könnten. Wer würde einen Tesla kaufen, wenn sie nicht so programmiert würden? Menschenleben außerhalb des Autos sind also weniger wert als Menschenleben innerhalb des Autos. Diese Entscheidungen sollten keine Programmierer treffen, die nicht zur Rechenschaft gezogen werden können. Wenn Ihr GPS einen Fehler macht, ist es ihm egal. Maschinen evaluieren nicht die menschlichen Kosten ihrer Fehler.

    Sie verteidigen die Ukraine vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag. Wie sehen Sie den Einsatz autonomer Waffensysteme in der Ukraine?

    Die Türken liefern viele autonome Waffensysteme. Die Türkei hat sowieso ihre eigenen Probleme mit Demokratie. Russland ist der Aggressor, und die Ukraine verteidigt sich. Aber je länger der Krieg dauert, desto mehr kann man sehen, dass mehr und mehr Länder in den Konflikt treten und die Grenze zwischen den Guten und den Bösen verschwimmt. Das passiert bei vielen militärischen Entscheidungen. Und das bringt die Unterstützer der Ukraine in eine Zwickmühle. Denn wenn die Ukraine beginnt, mit autonomen Waffen Ziele in Russland anzugreifen, könnte Putin sagen: Vielleicht verwende ich Nuklearwaffen gegen euch.

    Wie groß ist die Gefahr, dass autonome Waffensysteme in den Händen von Terroristen landen?

    Sie ist bereits signifikant. Man kann Drohnen auf Amazon kaufen. Die Geschichte von terroristischer Kriegsführung handelt von improvisierten Sprengsätzen. Ich denke, dass es unvermeidbar ist, dass nicht-staatliche Akteure an diese Waffen gelangen werden. Und das wird sie auf die nächste Stufe stellen. Das ist anders als bei Nuklearwaffen, die Länder mit viel Geld und einer enormen Vorinvestition in wissenschaftliches Equipment entwickeln müssen. All diese Faktoren machen die Proliferationsgefahr bei autonomen Waffen gigantisch.

    Harold Hongju Koh ist Professor für internationales Recht an der Yale Law School. Er beriet vier US-Administrationen, zuletzt zu Beginn der Amtszeit die Joe Biden-Regierung, und vertritt die Ukraine in vier internationalen Prozessen gegen Russland.

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    Baerbock sagt Kiew weitere Winterhilfe zu

    Außenministerin Annalena Baerbock hat der Ukraine auch mit Blick auf die US-Präsidentschaftswahl die volle Unterstützung Deutschlands im Kampf gegen Russland zugesichert. “Wir als deutsche Bundesregierung, als größtes Land Europas, wissen um unsere Verantwortung”, sagte Baerbock bei ihrem inzwischen achten Solidaritätsbesuch am Montag in Kiew.

    Mit Blick auf den nahenden Winter und die anhaltenden russischen Angriffe auf die Energieversorgung sagte Baerbock dem Land weitere 200 Millionen Euro an Winterhilfe zu. Mit dem Geld werde die humanitäre Soforthilfe des Auswärtigen Amts aufgestockt, damit etwa auch frontnahe Häuser ohne Energieversorgung Brennstoff erhalten, sagte sie. Die deutsche Förderung aus Mitteln der humanitären Hilfe etwa auch für humanitäres Minenräumen liegt im laufenden Jahr nun bei insgesamt 390 Millionen Euro.

    Westen soll Drohnen über Ukraine abschießen

    Andrij Sybiha, Außenminister der Ukraine, dankte Deutschland, mahnte zugleich aber, dass die Ukraine endlich westliche Waffen mit größerer Reichweite dazu einsetzen können dürfe, russische Stützpunkte hinter der Grenze anzugreifen. “Das ist unser Recht.” Zudem müssten die verbündeten westlichen Staaten auch dazu übergehen, selbst russische Raketen und Drohnen über der Ukraine abzuschießen. Schließlich brauche die Ukraine weitere Mittel zur Flugabwehr. Dies sei nicht nur für den Schutz der Städte wichtig, sondern auch zur Verteidigung der ukrainischen Atomanlagen. Es gebe Hinweise, dass Russland diese Anlagen angreifen wolle. klm/rtr/dpa

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    Seoul hält sich bei Ukraine-Hilfe zurück

    Im Worte vereint, im Handeln getrennt: Vergeblich hat der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell am Montag versucht, die Regierung von Südkorea zur direkten, militärischen Unterstützung der Ukraine zu bewegen. Seoul hält sich bisher mit direkten Waffenlieferungen an Kiew zurück. Ob das Land dabei auch bleibt, nachdem bekannt geworden ist, dass der kommunistische Nachbar im Norden Soldaten für Russlands Krieg zur Verfügung stellt, ist noch nicht entschieden. Der freundliche Druck der EU wirkt bisher nicht.

    Wer sich unter europäischen Diplomaten umhört, bekommt Frust darüber zu hören, warum Seoul die Ukraine nicht stärker unterstützt. So heißt es unter anderem, dass südkoreanische Regierungsvertreter immer noch darauf spekulieren würden, dass man bei einem baldigen Frieden in der Ukraine wieder zu alten Geschäften mit Russland zurückkehren werde – und dementsprechend es sich mit Wladimir Putin nicht verscherzen dürfe.

    Südkorea schickt Beobachter in die Ukraine

    Am Montag ist nun eine südkoreanische Delegation von ranghohen Vertretern des Verteidigungsministeriums und des Geheimdienstes aus Kiew zurückgekehrt. Sie hatten neue Möglichkeiten der Zusammenarbeit mit der Ukraine ausgelotet. Dass Südkorea eigene Beobachter nach Kiew schicken wird, welche die nordkoreanischen Soldaten beobachten und in Fluchtfällen auch mit Übersetzung und Wissen zur Seite stünden, gilt als gesichert.

    Bislang scheint es, dass Verteidigungsminister Kim Yong Hyun beim Thema Militärhilfen vor allem Zeit schinden möchte: Man werde in Zusammenarbeit mit der internationalen Staatengemeinschaft und basierend auf den Resultaten der südkoreanischen Delegation “notwendige Maßnahmen ergreifen”. Wann dies sein werde und was konkret passieren wird – das bleibt offen. vf/fk

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    NIS-2: Weshalb Ausnahmen für AA und BMVg Deutschland verwundbar machen

    Das NIS-2-Umsetzungs- und Cybersicherheitsstärkungsgesetz (NIS2UmsuCG) sieht Ausnahmen von den zusätzlichen IT-Sicherheitsmaßnahmen für Teile der Bundesregierung, unter anderem für das Auswärtige Amt (AA), das Verteidigungsministerium und andere nachgeordnete Bundesbehörden vor.

    Experten warnten bei einer öffentlichen Anhörung im Innenausschuss des Deutschen Bundestags am Montag, dass das die Cybersicherheit des Landes insgesamt schwäche.

    “IT-Sicherheitsvorgaben müssen für die gesamte Bundesverwaltung gleichermaßen gelten”, sagte Claudia Plattner, Präsidentin des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) und betonte, dass Deutschland sich die aktuell formulierten Ausnahmen nicht leisten könne, “denn wir sind hier verwundbar”. Sie warnte außerdem, dass die Ausnahmen ein “massives Glaubwürdigkeitsproblem” darstellten. Man erwarte von der Wirtschaft etwas, was man selbst nicht bereit sei, zu tun. Das unterstrich auch Felix Kuhlenkamp, Referent für Sicherheitspolitik beim Branchenverband der deutschen Informations- und Telekommunikationsbranche Bitkom.

    “Keine sinnhafte Begründung” für bestehende Ausnahmen

    Der Kabinettsentwurf sieht vor, dass rund 30.000 Unternehmen in Zukunft umfassende IT-Sicherheitsmaßnahmen ergreifen müssen.

    Für das AA, das Verteidigungsministerium und nachgeordnete Bundesbehörden wie auch das BSI selbst gelten diese neuen Anforderungen nicht oder nicht in gleichem Umfang. Das BSI muss zum Beispiel keine Sicherheitsvorkehrungen nach dem IT-Grundschutz mehr treffen. “Dafür ist keine sinnhafte Begründung zu finden”, so Hisolutions-Vorstand Timo Kob, der von der Union als Experte benannt wurde. Die übereinstimmende Meinung der Experten war: Sonderregeln sollten für so wenige wie möglich gelten. Auch unter den Ampel-Innenpolitikern herrscht hier weitgehend die Meinung, dass diese Sonderregeln nicht vermittelbar sind. Gerade das AA und die Auslandsvertretungen sind oft Opfer von Cyberangriffen, weswegen ihre Ausnahme von den Regeln besonders heikel ist. Allerdings wird es schwer, das noch im parlamentarischen Verfahren zu ändern. “Die Ausnahmen für das Auswärtige Amt waren ein Hauptgrund, warum das NIS-2-Gesetz so lange in der Luft hing”, hieß es aus Parlamentskreisen. wp

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    UNRWA: Experte fordern Unterstellung unter Palästinensische Autonomiebehörde

    Israel hat die Vereinten Nationen nun auch offiziell darüber informiert, dass es eine Tätigkeit des UN-Palästinenserhilfswerks UNWRA in Israel ab 2025 nicht mehr erlauben werde. Das im Oktober von der Knesset beschlossene Verbot der mit mehr als 13.000 Mitarbeitern im Gazastreifen tätigen Agentur war weltweit auf Kritik gestoßen – die Regierung in Jerusalem begründet es mit der Verwicklung von UNWRA-Mitarbeitern in den Terroranschlag vom 7. Oktober 2023; ihr UN-Botschafter in New York, Danny Danon, teilte am Sonntag mit, die Vereinten Nationen hätten “nichts unternommen, um diese Realität anzugehen”.

    Im Gespräch mit Table.Briefings hatte UNRWA-Generalkommissar Philippe Lazzarini noch im Oktober Beweise für Verstrickungen weiterer mutmaßlicher Hamas-Angehöriger von Israel verlangt; nach Bekanntwerden der Vorwürfe waren im August neun UNRWA-Mitarbeiter entlassen worden. Das 1949 gegründete Hilfswerk stattet Millionen von Palästinensern im Libanon, Jordanien, Ostjerusalem, Westjordanland und Gazastreifen mit Gesundheits- und Bildungsdienstleistungen aus. Kritiker werfen ihm vor, den in UN-Resolution 194 von 1949 verankerten Flüchtlingsstatus ganzer Generationen von Palästinensern zu perpetuieren.  

    UNWRA darf nicht Paralleluniversum zurückkehren

    Um die palästinensische Staatlichkeit zu stärken, fordert Ahmad Fouad Alkhatib von der US-Denkfabrik Atlantic Council deshalb eine grundlegende Reform des Bildungs- und Gesundheitswesens im Gazastreifen. “Die UNRWA sollte nicht zu einem Paralleluniversum zurückzukehren”, sagte er am Montag bei einem Besuch in Berlin. Vielmehr sollte die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) die Führungsrolle beim Aufbau von Gesundheits- und Bildungsapparat übernehmen. Eine Rückkehr der PA in den Gazastreifen gilt als realistisches Szenario, die Hamas als politischen Akteur nach Kriegsende zu ersetzen. mrb

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    Must-Reads

    ECFR: Readying Europe for an age between war and peace. Die EU ist stolz darauf, ein Friedensprojekt zu sein. Dennoch kann Diplomatie nur dann glaubwürdig wirken, wenn Europa seine militärische, wirtschaftliche, industrielle und finanzielle Macht rasch und entschlossen einsetzt. Dies ist erforderlich, um Konflikte zu vermeiden, Verbündete zu unterstützen, Kriege von den Grenzen der Union fernzuhalten und Europa zu schützen.

    The Guardian: Kupiansk trembles as Russian forces close in again. Die Lage an der Ostfront verschlechtert sich für die Ukraine zusehends. Russlands Absicht ist es, die Stadt Kupiansk zu erobern und zu zerstören. Die Soldaten der Ukraine kämpfen um jeden Zentimeter und hoffen auf den Winter.

    Foreign Affairs: Xi Jinping’s Axis of Losers. China ist die größte Bedrohung für die USA. Doch wenn es dem Westen gelingt, Russland, den Iran und Nordkorea zu stoppen, stehen die Chancen gut, dass China seine aggressive Politik aufgibt.

    Spiegel: Ex-Regierungsberater Richard Haass über die Fehler der US-Außenpolitik. Das Ziel amerikanischer Außenpolitik sollte es nicht sein, Regimewechsel zu erzwingen. Wichtiger sei es, auch durch militärische Macht Autokraten davon abzuhalten, andere Länder zu überfallen.

    The Guardian: The ultranationalist TV channel fast becoming Israel’s most-watched news source. Ein von der Regierung unterstützter israelischer Fernsehsender hat sich schnell zu einer der meistgenutzten Nachrichtenquellen des Landes entwickelt. Im vergangenen Monat übertraf Channel 14 den führenden Mainstream-Nachrichtensender Channel 12 in den Zuschauerquoten.

    Standpunkt

    Deutschland trägt Risiken bei Stationierung der US-Mittelstreckenraketen

    Von Wolfgang Richter
    Wolfgang Richter ist Associate Fellow beim Genfer Zentrum für Sicherheitspolitik.

    Am Rande des Washingtoner Nato-Gipfels am 10. Juli 2024 erklärten die USA und Deutschland bilateral die Absicht, ab 2026 konventionelle landgestützte Mittelstreckenraketen in Deutschland zu stationieren: SM-6 Standardraketen, Tomahawk Marschflugkörper und neu entwickelte Hyperschallraketen (LRHW Dark Eagle).

    Stationierung war vor russischem Angriff auf die Ukraine geplant

    Die Raketen gehören strukturell zur 2. Multi-Domain Task Force (MDTF). Sie wurde bereits im Sommer 2021, also noch vor dem russischen Angriff auf die Ukraine, in Wiesbaden stationiert. Ihre Raketeneinheiten verblieben aber zunächst im Staat New York. Auch wenn ihre Zahl noch nicht bekannt ist, legt die Grundgliederung der MDTF nahe, dass es sich um drei bis fünf Einheiten von jeweils vier Startfahrzeugen handeln wird. Da sie über je zwei oder vier Startkanister verfügen und Nachladungen vorgesehen sind, könnte es sich um 100 bis 200 Raketen handeln.

    Weltweit stellen die USA fünf MDTFs auf, davon drei im asiatisch-pazifischen Raum. Damit wollen sie der Fähigkeit Chinas begegnen, im Krisenfall mit landgestützten Mittel- und Kurzstreckenraketen den U.S. Flotten den Zugang zur Region zu verwehren. Die erste MDTF wurde 2017 aufgestellt, zwei Jahre vor dem Ende des amerikanisch-sowjetischen INF-Vertrags von 1987. Er verbot landgestützte Raketen mit Reichweiten zwischen 500 und 5.500 km sowie ihre Startsysteme und Infrastruktur. Präsident Trump begründete die Kündigung des Vertrags nicht nur mit einer Vertragsverletzung durch Moskau, sondern vor allem mit dem Raketenpotenzial Chinas. Es habe die U.S. Streitkräfte in der Region in eine schwierige strategische Lage gebracht.

    Risiken trägt Deutschland alleine

    Sollte die Stationierungsentscheidung 2026 realisiert werden, würden zum ersten Mal seit 1988 U.S.-Mittelstreckenraketen mit Reichweiten zwischen 1.700 und 3.000 km von deutschem Boden aus Ziele in der Tiefe Russlands bedrohen. Die präzisen konventionellen Raketen wären dann in der Lage, in wenigen Minuten strategische Ziele anzugreifen und so das nuklearstrategische Gleichgewicht zwischen den USA und Russland zu verändern. Anders als der “Doppelbeschluss” der Nato von 1979 bietet die bilaterale Erklärung Moskau nicht an, den drohenden Stationierungswettlauf zu verhindern, etwa durch Vereinbarungen über ein verifiziertes Stationierungsmoratorium. Dies könnte das Ende der ohnehin schon geringen Chancen auf eine Erneuerung der Rüstungskontrolle ankündigen und die Sicherheitslage Europas und Deutschlands weiter verschlechtern. Die Risiken der Stationierung trägt Deutschland allein. In der gemeinsamen Nato-Erklärung vom gleichen Tag wird sie nicht erwähnt.

    Abzug der russischen Iskander-Raketen wäre “wünschenswert”

    Ob sie zwingend erforderlich ist, um eine Fähigkeitslücke zu schließen, ist zweifelhaft. Die Luft- und Seestreitkräfte der Nato in Europa sind mit ihren durchsetzungsfähigen Flugzeugen und Marschflugkörpern denen Russlands weit überlegen. Unzweifelhaft aber schaffen die US-Mittelstreckenraketen Optionen für Überraschungsangriffe gegen russische Raketen, bevor sie gestartet werden. Sie passen nicht zu einem plausiblen politischen Szenario. Moskau sieht dies nicht als defensive Abschreckung, sondern als offensive Option, zu Beginn eines bewaffneten Konflikts die nuklearstrategische Balance zugunsten der USA zu verändern. Dies wird in seiner Perzeption den strategischen Druck erhöhen, diese Gefahr präemptiv auszuschalten, sollte ein militärischer Konflikt als unvermeidbar erscheinen. Angesichts der konventionellen Unterlegenheit Russlands kann eine frühe nukleare Eskalation nicht ausgeschlossen werden.

    Trotz der weitreichenden Konsequenzen ging der Stationierungsentscheidung keine nationale Diskussion in Deutschland voraus. Dass sie in der parallelen Nato-Erklärung nicht erwähnt wurde, widerspricht dem deutschen Prinzip der Risiko- und Lastenteilung. Sie steht auch im Kontrast zum vorsichtigen Kurs des Bundeskanzlers, zwar die Ukraine zu unterstützen, aber eine Eskalation zu vermeiden, die Deutschland unkalkulierbaren Risiken aussetzen würde. Dieser Kurs sollte durch eine Initiative gegenüber Moskau gestützt werden, auch wenn dies politisch schwierig erscheint, solange der Angriffskrieg gegen die Ukraine anhält. Ein verifizierbares Stationierungsmoratorium sollte ebenso erwogen werden wie ein unilateraler Stationierungsverzicht, sofern Moskau mit reziproken Maßnahmen reagiert. Ein Abzug der Iskander-Raketen aus Kaliningrad wäre ein wünschenswertes Signal, auch wenn sie vom INF-Vertrag nicht verboten waren.

    Wolfgang Richter ist Experte im Bereich Rüstungskontrolle, Sicherheitskooperation und Internationales Völkerrecht und arbeitete bis 2022 bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). Seit 2023 ist er Associate Fellow beim Genfer Zentrum für Sicherheitspolitik (GCSP).

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