Table.Briefing: Security

Regierung berät heute über Mali-Abzug + Sanktionen schwächen russisches Militär + Harald Welzer wünscht „Blut-Schweiß-Tränen-Rede“

  • Bundesregierung erwägt Abzug aus Mali
  • Keine modernen Waffen: Westliche Sanktionen schwächen russische Kampfkraft
  • Einschlag in Polen: Ukrainische Rakete hatte Ziel verloren
  • Verschleppt und assimiliert – Ukraine kämpft um deportierte Kinder
  • “Wir bräuchten jetzt mal eine Blut-Schweiß-Tränen-Rede”
  • Nationale Sicherheit gefährdet – Regierung verweigert Antworten zu Munitionsvorräten
  • Macrons Budgetplan gefährdet FCAS
  • Russlands Abhängigkeit von Steuereinnahmen aus Gas- und Öl-Exporten wächst
  • China-Strategie: Peking bezichtigt Deutschland der Lügen und Gerüchte
  • Reiche Staaten geben 30 Mal mehr aus für Militär als für Klima
  • Der IS rekrutiert unter verarmten Libanesen
  • Studie: Wachsendes Bewusstsein in Wirtschaft für geoökonomische Risiken
  • Es geht schon lange nicht mehr “nur” um Mali
  • Heads: Claudia Major – “Ich habe Verantwortung, den Ukraine-Krieg zu erklären”
Liebe Leserin, lieber Leser,

am Tag unserer Premieren-Ausgabe vor einer Woche tötete eine Flugabwehr-Rakete zwei Menschen in Polen. Die Nato berief eine Krisensitzung ein, BILD sprach von Putin-Raketen auf Bündnisgebiet. Doch die Befürchtung vieler Deutscher, der Krieg könnte sich ausweiten, erfüllte sich nicht. Marco Seliger rekonstruiert, wie sich die – sehr wahrscheinlich – ukrainische Rakete nach Polen verirren konnte. Außerdem sprach er mit dem Sozialpsychologen Harald Welzer über die ambivalente Haltung der Deutschen zu Sicherheitsfragen.

Doch Krieg ist nicht nur Kampf. Russland hat aus der Ukraine mindestens elftausend Kinder verschleppt, assimiliert sie und vollzieht damit einen kulturellen Genozid. Viktor Funk stellt dar, wie die Assimilierung läuft und wieso die Ukraine vom Roten Kreuz enttäuscht ist.

In Mali dürfte sich der deutsche Einsatz dem Ende nähern. Wie es aussieht, wollen Kanzleramt, Verteidigungs- und Entwicklungshilfeministerium (alle SPD) den Abzug bis Ende 2023.

Lisa-Martina Klein stellt Ihnen im Porträt die Sicherheitsexpertin Claudia Major näher vor. Seit mehr als zwei Jahrzehnten beschäftigt sich Major inzwischen mit Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Seit dem Angriffskrieg auf die Ukraine erlebt sie ein nie dagewesenes mediales Interesse an ihrem Themenfeld – mit nicht immer positiven Folgen.

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Ihr
Gabriel Bub
Bild von Gabriel  Bub

Analyse

Bundesregierung erwägt Abzug aus Mali

Am heutigen Dienstag entscheidet sich in Berlin möglicherweise das Schicksal der UN-Mission in Mali (Minusma). Am Mittag treffen sich Vertreter des Kanzleramts, Auswärtigen Amts sowie Verteidigungs- und Entwicklungshilfeministeriums, um über die Fortsetzung des umstrittenen Einsatzes zu beraten. Nach Informationen aus dem Verteidigungsministerium stehen die Zeichen auf Ausstieg bis Dezember 2023. Ein Rückzug Deutschlands könnte das Ende der Minusma bedeuten.

Vor allem die drei SPD-geführten Häuser, heißt es in Berlin, hegten große Zweifel am weiteren Sinn des Einsatzes. So ist aus dem Verteidigungsministerium die Absicht zu vernehmen, dem Bundestag ein Mandat für den Abzug der aktuell etwas mehr als 1.000 Soldatinnen und Soldaten aus Minusma vorzulegen. Das von den Grünen geführte und für Einsätze federführende Auswärtige Amt plädierte vor der heutigen Beratung allerdings noch für einen Verbleib der Soldaten.

Deutschland überließe Russland und China das Feld

“Es ist ein schwieriges Dilemma”, sagt Agnieszka Brugger, stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag. “Einerseits wird die Lage in Nord-Mali immer gefährlicher und ich frage mich, was wir noch erreichen können. Andererseits würden wir mit einem Abzug das Feld Russland und China überlassen und den Vereinten Nationen als Friedensstifter nachhaltig schaden.”

Vor allem China engagiert sich immer stärker in UN-Missionen, um seinen Einfluss auszuweiten. Das autokratisch regierte Land stößt in Lücken, die westliche Staaten durch ihren Abzug schaffen. “Ich hoffe nicht, dass wir Minusma aufgeben müssen, aber auf Dauer ist die aktuelle Situation nicht akzeptabel”, sagt Ralf Stegner, Mitglied im Auswärtigen Ausschuss für die SPD.

Es sei noch nicht entschieden, ob und wie der Einsatz weitergehe, aber die Abzugstendenz in Teilen der Bundesregierung habe er registriert. Die Erfahrungen in Afghanistan, sagt Stegner, hätten Regierung und Parlamentarier “hoch sensibilisiert”. “Wir müssen auf veränderte Lagen schneller reagieren.”

Einsatzziele nicht erreichbar

In der Union gibt es unterschiedliche Ansichten über eine Fortsetzung der Mission. “Der Einsatz muss die Ziele realistisch erreichen können. Dazu gehört die Akzeptanz unserer Soldaten in Mali und ihre bestmögliche Ausrüstung”, äußert Roderich Kiesewetter, Obmann der CDU/CSU-Fraktion im Auswärtigen Ausschuss. Beides sei nicht mehr gegeben.

Jürgen Hardt, außenpolitischer Sprecher der Union, fürchtet indes einen Dominoeffekt, sollte Deutschland abziehen. Es stehe zu befürchten, dass weitere Staaten folgen und Minusma ihrem Auftrag nur noch schwer nachkommen könne, sagte er der Augsburger Allgemeinen.

Andere Truppensteller flüchten aus Mali

Zuletzt hatte Großbritannien angekündigt, seine Soldaten aus dem Land abzuziehen. Auch die Elfenbeinküste und Ägypten wollen keine Soldaten mehr schicken. Die Ägypter stellen den Schutz der UN-Versorgungskonvois und beklagten zuletzt hohe Verluste durch Sprengsätze auf Straßen.

In diesem Jahr hatte Frankreich seinen Einsatz in der parallelen Anti-Terror-Mission “Barkhane” beendet. Präsident Macron begründete das damit, die Streitkräfte auf die Landes- und Bündnisverteidigung konzentrieren zu wollen. 2013 hatte Frankreich den Vormarsch dschihadistischer Milizen auf Bamako gestoppt und seitdem Terroristen bekämpft. Tatsächlich dürfte ausschlaggebend für den Abzug gewesen sein, dass die Franzosen in der Bevölkerung zuletzt immer stärker angefeindet wurden.

Malische Regierung drangsaliert Bundeswehr

Parallel zum Vorgehen gegen die ehemalige Kolonialmacht Frankreich war die Regierung in Bamako auf Konfrontationskurs auch zur internationalen Blauhelm-Präsenz bei Minusma gegangen. So konnte die Bundeswehr über Wochen keine Soldaten einfliegen, weil die malische Regierung die Genehmigung verweigerte. Ihren Auftrag, den Norden Malis aufzuklären, kann die Bundeswehr nicht erfüllen. Die in Gao stationierten Heron-Aufklärungsdrohnen dürfen seit Wochen nicht starten.

Zugleich hatte die Militärregierung in Bamako eine weitere Anlehnung an Russland gesucht. In Mali wurden zunehmend Kämpfer der Söldnerfirma Wagner eingesetzt; außerdem lieferte Moskau demonstrativ Waffen an die malischen Streitkräfte, unter anderem Kampfjets und weitere Hubschrauber. Zugleich gab es Hinweise auf Menschenrechtsverletzungen durch Wagner-Kämpfer.

Wachsendes Risiko für Abzug

Die Bundeswehr steht nun möglicherweise vor der Frage, wer ihren Abzug sichert, wenn alle anderen Staaten mit signifikanten militärischen Fähigkeiten schon weg sind. Bereits im jüngsten Bundestagsmandat im Mai dieses Jahres ist, ungewöhnlich für einen Auslandseinsatz der Bundeswehr, eine ausdrückliche Ausstiegsklausel für diese Mission enthalten.

Ein deutscher Ausstieg könnte Minusma endgültig zum Scheitern bringen. Die Bundeswehr liefert der Mission wichtige Informationen über die Lage in Nord-Mali. In Berlin heißt es, wenn nur noch Länder wie Bangladesch und Tschad dabeiblieben, sei die Mission kaum noch aufrechtzuerhalten.

Von Beginn an Zweifel am Einsatzsinn

Gut 12.000 Soldaten und 2.000 Polizisten versuchen seit neun Jahren, ein Friedensabkommen zwischen der malischen Regierung und aufständischen Gruppen aus dem Norden des Landes abzusichern. Nach anfänglicher Stabilisierung hat sich die Sicherheitslage kontinuierlich verschlechtert. Keine UN-Mission hat in so kurzer Zeit mehr Gefallene (281) zu beklagen als Minusma.

Vor allem dschihadistische Gruppen machen sich die Feindschaft der Volksgruppen in Mali zunutze und weiten ihren Einfluss aus. Vor gut zwei Jahren putschten teilweise in Deutschland ausgebildete Militärs gegen die Regierung in Bamako. Der Sinn der Minusma stand von Anfang an infrage. Die Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) schreibt von einem wirkungslosen Einsatz.

Neues Konfliktpotenzial in Niger

Neben Mali verschlechtert sich die Sicherheitslage auch in anderen Staaten des Sahel. In Berlin heißt es, dass Deutschland im Fall eines Abzugs aus Mali die Region nicht verlassen, sondern den Einsatz in Niger ausweiten werde. Doch auch hier droht neues Konfliktpotenzial. Auf Telegram-Kanälen war am Wochenende zu lesen, dass Russland erwäge, die Söldnergruppe Wagner in Niger einzusetzen, um französische Uranabbaupläne zu durchkreuzen. Mit Thomas Wiegold

  • Bundeswehr
  • Geopolitik

Keine modernen Waffen: Westliche Sanktionen schwächen russische Kampfkraft

Sanktionen gegen Russland: Bild von einem T-14 Armata bei einer Generalprobe für eine Militärparade in Russland
Ein T-14 Armata während einer Generalprobe für eine Militärparade in Russland.

Die ukrainischen Streitkräfte halten Russland auch deshalb stand, weil Putins Armee einen Krieg ohne moderne Waffen führen muss. Der Kampfpanzer Armata fehlt ebenso auf dem ukrainischen Gefechtsfeld wie das Stealth-Kampfflugzeug Su-57. Die russische Armee kann auch nur beschränkt auf Marschflugkörper wie Kinshal und Kalibr zurückgreifen. Zu großen Operationen sind die Russen daher nicht mehr in der Lage.

Gut 2000 Armata sollten bis Anfang der 2020er Jahre produziert und in die Streitkräfte eingeführt sein. So kündigten es Putins Propagandisten am Rande einer Militärparade im Frühjahr 2015 an, als sie Prototypen des angeblichen Super-Panzers aufmarschieren ließen. Nach Informationen von Security.Table haben bisher aber nur gut 35 Armata die Produktionshallen des Panzerbauers Uralwagonsawod verlassen.

Kein Import aufgrund von Sanktionen

Eine Ursache sind fehlende Mikrochips, Halbleiter und andere Elektronikteile, die Russland seit der Annexion der Krim 2014 nicht mehr aus Ländern wie Deutschland, Taiwan, den USA, Niederlanden und der Schweiz beziehen kann. Ohne diese Bauteile hat der Panzer keinen Gefechtswert, da Feuerleitung und Waffenrechner nicht funktionieren.

Auch andere Waffensysteme sind durch die Sanktionen kaum noch einsatzfähig. Dazu zählen einer Studie der DGAP zufolge die Luftabwehrsysteme 9K37 Buk, mit dem im Juli 2014 das malaysische Flugzeug MH17 abgeschossen wurde, und 9K22 Tunguska sowie der Tarnkappen-Marschflugkörper Ch-101.

Maschinen aus dem Westen fehlen

Folgenschwer wie der Mangel an Elektronikbauteilen ist auch das Finanzierungsproblem. Westliche Banken durften nach der Annexion der Krim nicht mehr mit russischen Rüstungsbetrieben zusammenarbeiten. Die Firmen finanzierten mit westlichen Krediten unter anderem westliche Fertigungstechnik. Seit 2014 müssen die russischen Rüstungsunternehmen im eigenen Land Kredite zu schlechteren Konditionen aufnehmen und können zwingend benötigte Maschinen aus dem Westen nicht mehr kaufen.

Putins Regierung reagierte auf die Sanktionen zwar mit dem Ziel, die heimische Hightech-Wirtschaft zu entwickeln und moderne Elektronik aus anderen Weltgegenden zu importieren. Doch ohne Erfolg. Die fehlende Technik und Elektronik verhindern die Waffenproduktion nicht, aber sie verlangsamen sie erheblich.

Arbeitskräftemangel und Korruption

Zwischen 2000 und 2021 haben mindestens fünf Millionen, überwiegend junge Menschen Russland dauerhaft verlassen. Seit Februar 2022 und besonders seit der Mobilmachung im September dürften noch eine weitere Million hinzugekommen sein. Diese Menschen fehlen nicht zuletzt in den Rüstungsunternehmen.

Hinzu kommt, dass ein guter Teil des staatlichen Budgets für Rüstungsaufträge in Bauprojekten versickert, die nicht realisiert werden, oder in Ausrüstung, die in minderwertiger Qualität geliefert wird. Wie groß das Korruptionsproblem ist, zeigt die Forderung des damaligen Leiters des russischen Weltraumprogramms, Dmitri Rogosin, als er im Juli 2021 öffentlich die Todesstrafe für Korruption im Rüstungsbereich forderte.

Der Armata hätte in der Ukraine einen Unterschied gemacht. Doch statt einen der modernsten, mit sieben Millionen Euro aber auch einen der teuersten Panzer weltweit zu bauen, war Russland durch die Sanktionen gezwungen, für seine Kriegsvorbereitungen ältere Panzer wie den T-72 und T-62M zu modernisieren sowie den T-90M zu produzieren. Auch hier gab es enorme Schwierigkeiten.

Keine Serienproduktion möglich

Der Exilzeitung “Nowaya Gazeta Europe” zufolge sind die Kapazitäten von Uralwagonsawod auf 250 Panzer pro Jahr beschränkt, sofern Bauteile und Personal vorhanden sind. Auch dann laufen die Panzer nicht mit den Fähigkeiten vom Band, die Putins Armee bräuchte. So fehlen für den T-72 Wärmebildgeräte aus Frankreich (Thales) und Optiken aus Japan.

Ähnliche strukturelle Probleme gibt es bei der Produktion von Flugzeugen und Marschflugkörpern. Die Sanktionen sorgten dafür, dass Russland heute weder die Su-57 noch Kinshal und Kalibr in Serie produzieren kann. “Nowaya Gazeta Europe” berichtet, dass Kalibr zuletzt direkt aus der Fabrik an die Front geliefert wurden.

Die Su-57, Mehrzweckkampfflugzeug der fünften Generation, hätte Russland eine massive Luftüberlegenheit in der Ukraine verschafft. Aufgrund seiner Stealth-Eigenschaften wäre es mit Aktivradar kaum aufzuklären. Doch statt der geplanten 60 Maschinen bis 2022 “verzögerte sich die Produktion durch die Sanktionen so sehr, dass Moskau zu Beginn der Invasion nur über fünf serienmäßig hergestellte Su-57 verfügte”, heißt es in der DGAP-Studie. Diese Darstellung wird in russischen Medien bestätigt.

Kein Testfeld für moderne russische Waffen

Der Ukraine-Krieg ist ein Testfeld für Waffen, allerdings für westliche. Die USA haben ihre HIMARS-Raketenartillerie bisher ebenso wenig unter den Bedingungen des hochintensiven Gefechtes eingesetzt wie Deutschland die Panzerhaubitze 2000. Krauss-Maffei Wegmann etwa kann nun auf die Panzerhaubitze 2000 das Siegel “Combat Proven” kleben. Ein stärkeres Verkaufsargument als den erfolgreichen Fronteinsatz gibt es nicht.

Die russische Armee indes hütet sich, ihre modernsten Waffen in der Ukraine einzusetzen. Erstens hat sie zu wenig davon, zweitens muss sie befürchten, dass sie den Ukrainern in die Hände fallen. Das gilt vor allem für den Armata, den Panzer-Experten als viel zu komplex für den Kriegseinsatz in der Ukraine bezeichnen.

Ein Grund ist: Früher konnte die Besatzung ihren Panzer selbst reparieren. Heute werden Mechatroniker und Software-Administratoren gebraucht. Die hat die russische Armee nicht. Bei einem Defekt wäre der Armata leichte Beute der Ukrainer, die ihn sofort an die Amerikaner weitergäben. Den USA und anderen Nato-Staaten bieten Beutewaffen wertvolle Einblicke in russische Systeme. So wurden inzwischen bereits Raketen, Drohnen, Flugzeugteile und ein Flugabwehrraketensystem Panzir zur Begutachtung in die USA gebracht.

Präzisere Sanktionen nötig

Ein Ergebnis der Untersuchung erbeuteter Waffen ist, dass wesentliche Bauteile nicht zuletzt der von Iran gelieferten Drohnen aus den USA, Japan und anderen westlichen Ländern stammen (siehe Medienschau). Für die Frage, wie die EU und andere westliche Staaten auf Russlands Kriegsmaschinerie wirken können, ist daher eine genaue Analyse der legalen und illegalen Beschaffungen westlicher Bauelemente durch russische (und etwa iranische) Rüstungsunternehmen nötig.

Politischen Druck konnten die westlichen Sanktionen nicht bewirken, aber sie haben nachweislich die Aufrüstung Russlands gebremst. Präzisere Sanktionen hätten möglicherweise eine stärkere Wirkung gehabt. Marco Seliger, Viktor Funk

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Einschlag in Polen: Ukrainische Rakete hatte Ziel verloren

Eine ukrainische Abwehrrakete soll eine russische Angriffsrakete in der Luft zerstören. Sie verfehlt ihr Ziel, fliegt weiter und schlägt ein, wo sie nicht einschlagen soll: auf Nato-Gebiet in Polen. So ist es vor einer Woche mit großer Wahrscheinlichkeit geschehen. Russland und Nato bemühten sich schnell um Deeskalation. Die Russen sagten, sie waren es nicht. Und der Nato war klar, dass ein Vorfall wie dieser – technisch betrachtet – auch der Ukraine passiert sein kann.

Kurz nach dem Einschlag tauchten im Internet Fotos der Raketentrümmer auf. Experten identifizierten sie als Reste eines 48D6-Triebwerks, das bei 5V55- oder 48N6-Flugkörpern verwendet wird. Diese Flugkörper werden von Flugabwehrsystemen S-300 und S-400 verschossen.

Ukrainische Waffensysteme sowjetischen Ursprungs

Der Lenkflugkörper 5V55 wurde in der UdSSR entwickelt und zu Sowjetzeiten in Leningrad (heute St. Petersburg) sowie Kiew hergestellt. Bis heute produziert die Ukraine Waffensysteme sowjetischen Ursprungs. Dazu zählen auch die Lenkflugkörper des S-300-Systems, mit deren Modernisierung ukrainische Unternehmen vor einigen Jahren beauftragt wurden.

Die in Polen eingeschlagene Rakete kann also aus sowjetischen, russischen oder ukrainischen Beständen stammen. Es spricht vieles dafür, dass sie von der Ukraine gestartet wurde. Dafür gibt es zwei Anhaltspunkte: die Erfahrung und die Technik.

Was die Erfahrung lehrt

Im Juli 2019 schlug auf Zypern eine Rakete ein, die von einem S-200-System in Syrien abgeschossen wurde. Die Einschlagstelle befand sich mehr als 200 Kilometer vom vermuteten Abschussort entfernt. Dieser Vorfall zeigte, dass Boden-Luft-Raketen (Surface-to-air-Missile, SAM), die ihr Ziel verfehlen, über große Entfernungen weiterfliegen können, ehe sie aufschlagen.

Das zur Einschlagstelle in Polen nächstgelegene russische S-300-Geschütz soll sich aber mehr als 800 Kilometer entfernt befunden haben. Dies spreche dagegen, dass die Rakete von Russland aus gestartet wurde, sagt ein Experte im Gespräch mit Security.Table.

Wie die Technik funktioniert

Wahrscheinlich ist folgendes passiert: Die Rakete sollte einen Marschflugkörper bekämpfen. Putins Truppen hatten an jenem Tag fast 100 Ch-101, Ch-555 sowie Kalibr auf die Ukraine gestartet. Die Abfangrakete flog nicht frontal zum Ziel, sondern sie sollte seine Flugbahn kreuzen und in unmittelbarer Nähe explodieren.

Das Problem ist: Marschflugkörper können manövrieren. In diesem Fall muss die Flugbahn der Abfangrakete angepasst werden. Ukrainische Raketen des S-300-Systems korrigieren ihre Zielauffassung nicht selbst, sondern bekommen ihre Daten von einer Bodenstation. Das erhöht die Treffgenauigkeit, birgt aber Fehlerpotenzial.

Radar verlor das Ziel

Zum einen kann das Zielortungsradar der Bodenstation das Ziel verlieren, weil geografische Hindernisse dazwischenliegen. Zum anderen kann die Funkverbindung zum Flugkörper abreißen. In der Westukraine, wo die Abfangrakete mutmaßlich gestartet wurde, gibt es Erhebungen von mehr als 400 Meter Höhe. Dies reicht als Hindernis aus, um eine Radarverbindung abreißen zu lassen.

Die Wahrscheinlichkeit, sagt der Experte, sei groß, dass das Radar und damit die Rakete das Ziel verlor. Sie stürzte ab, nachdem ihr Treibstoff ausgegangen war. Beim Einschlag starben zwei Menschen.

Westliche Lenkflugkörper zerstören sich selbst

Normalerweise sollen verirrte Raketen keinen Schaden anrichten können. Westliche Lenkflugkörper zerstören sich selbst, wenn sie kaum noch Treibstoff haben und das Ziel nicht mehr erreichen können. Bei vielen älteren sowjetischen, russischen und ukrainischen Flugkörpern gibt es diesen Mechanismus nicht.

Der Grund: Die Raketen sollen auch Ziele am Boden bekämpfen können. Dies erfordert längere Flugzeiten, Boden-Boden-Raketen starten mitunter mehrere hundert Kilometer, Flugabwehrraketen aber in der Regel nur 200 bis 300 Kilometer vom Ziel entfernt. Ein Selbstzerstörungsmechanismus wäre beim Einsatz am Boden unpraktisch.

Theoretisch, sagt der Raketenexperte, hätte es also auch ein von Russland als Boden-Boden-Rakete gestarteter Lenkflugkörper gewesen sein können. Praktisch aber spreche so gut wie alles dafür, dass eine in der Westukraine gestartete Abfangrakete einen in Russland oder Belarus abgefeuerten Marschflugkörper verfehlt habe.

Damit der Luftraum über Polen in Zukunft sicherer wird, will Deutschland helfen. Am gestrigen Montag vereinbarten die Verteidigungsministerien Deutschlands und Polens eine Kooperation: Deutschland bietet mit Patriot-Flugabwehrsystemen und Combat Air Patrolling durch Eurofighter seine Unterstützung an. Das Angebot für einen Beitrag zum Schutz des polnischen Luftraums sei unmittelbar nach dem Vorkommnis unterbreitet worden, hieß es in einer Mitteilung aus dem Ministerium von Christine Lambrecht (SPD). Marco Seliger

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Verschleppt und assimiliert – Ukraine kämpft um deportierte Kinder

Die ukrainische Regierung wirft dem Internationalen Komitee des Roten Kreuzes (ICRC) vor, zu wenig für die Rückkehr nach Russland deportierter ukrainischer Kinder zu tun. Sogar von “Passivität” des ICRC sprach der Leiter des Präsidialbüros, Andrij Jermak, in einer eigens dafür anberaumten Sitzung des ukrainischen Koordinationsrates für Fragen des Kinderschutzes. Anlass der Sitzung war der vergangene G20-Gipfel. Extra zu diesem Termin sollte das Thema in die Öffentlichkeit, denn es gibt neue Zahlen:

  • Mindestens 11.225 ukrainische Kinder gelten als deportiert
  • Mindestens 327 gelten als “verschwunden”
  • Mindestens 437 sind getötet und 839 Kinder im Krieg verwundet worden.

Die Daten stammen vom offiziellen ukrainischen Portal “Diti wijny” (Kinder des Krieges). Angehörige können dort vermisste Kinder melden und Augenzeugen Verschleppungen.

Ausmaß wird langsam sichtbar

Andrij Jermak klagte: “Die Russische Föderation setzt ihre Verbrechen im Zusammenhang mit ukrainischen Kindern fort. Sie werden weiterhin aus dem Land gebracht. Wegen der außerordentlich passiven Haltung in Teilen des ICRC sind wir derzeit nicht in der Lage genau zu sagen, wie viele unserer Kinder sich wo aufhalten.”

Die Zahl der als deportiert gemeldeten Kinder steigt, je mehr Gebiete die ukrainische Armee befreit. Das Portal “Diti wijny” wurde erst im August freigeschaltet, Ende September waren 7890 Kinder als deportiert registriert, jetzt sind es 11.225.

Assimilation schon in der Sowjetunion üblich

Nach dem Überfall auf die Ukraine verhinderte Russland die Flucht der Bevölkerung aus der östlichen in die westliche Ukraine. Wer das Kriegsgebiet verlassen wollte, konnte nur nach Russland fliehen, einige wenige nach Belarus. Kinder, die ohne Eltern kamen, sollen nach dem Willen Russlands leichter adoptiert werden können. Dafür hat Präsident Wladimir Putin im Mai entsprechende Gesetze unterzeichnet.

Im imperialen Verständnis und in der Tradition der Sowjetunion integriert, genauer gesagt assimiliert Russland auf diese Weise Kinder aus Minderheitengruppen oder eroberten Gebieten in seine Kultur. Zu Sowjetzeiten wurden Nomadenvölker in Sibirien, Kasachstan oder dem Kaukasus zwangsweise sesshaft gemacht und Russisch im gesamten Land als dominierende Sprache durchgesetzt.

Bildungswesen in besetzten Gebieten soll russifiziert werden

Die Verantwortliche für die Rechte der Kinder in Russland, Maria Lwowa-Belowa, sprach im Frühherbst von “erfolgreichen Anpassungen” von Kindern, die ihre “Liebe zu Russland” entwickelten. In ihren jüngsten Mitteilungen via Telegram kündigt sie derweil die Umstellung des Bildungssystems im ukrainischen Melitopol auf das russische Kurrikulum an.  

Die letzte vom russischen Verteidigungsministerium genannte Zahl von Menschen aus “evakuierten” Gebieten in der Ukraine ist vom 26. August. Demnach sollen mehr als 3,68 Millionen Menschen aus der Ukraine nach Russland gebracht worden sein unter ihnen 587.186 Kinder. Nicht wenige sind unfreiwillig ausgereist. Wer keine Angehörigen hatte und beispielsweise in Jugendheimen lebte, taucht nicht in der ukrainischen Liste der Deportierten auf. Dort müssen die Fälle einzeln eingetragen werden.

Deshalb dürften die Zahlen der ukrainischen Behörden eher noch zu niedrig liegen. Lediglich 69 Kinder konnte die Ukraine nach eigenen Angaben bisher aus Russland zurückholen. Aus Enttäuschung über die Arbeit des ICRC setzt Kiew nun auf die UN und andere Partnerorganisationen.

Verschleppung von Kindern ist ein Merkmal des Genozids

Es ist unwahrscheinlich, dass Russland die Umsiedlung so großer Gruppen von Anfang an geplant hat. Eine entsprechende Koordinierungsstelle für den komplizierten Prozess der Aufnahme, Versorgung und Integration der Geflüchteten wurde erst im März gegründet, als der Traum des Kremls von der schnellen Unterwerfung Kiews geplatzt war.

Die erzwungene Umsiedlung und Adoption von Kindern einer Gruppe durch eine andere ist einer von fünf Punkten der UN-Definition des Genozids. Die russische Regierung räumt diese Praxis freimütig ein. Einige ukrainische Kinder sollen nun sogar fürs Militär vorbereitet werden. Das erklärte Tschetscheniens Machthaber Ramsan Kadyrow vergangene Woche auf seinem Telegram-Kanal. Rund 200 “schwer erziehbare” Jugendliche, die unter anderem aus östlichen ukrainischen Gebieten stammen, sollen in der tschetschenischen Hauptstadt Grosny ein “patriotisches Programm” durchlaufen.  

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“Wir bräuchten jetzt mal eine Blut-Schweiß-Tränen-Rede”

Deutschland & Ukraine: Porträtfoto von Harald Welzer mit Brille und grauem Anzug.
Harald Welzer ist Sozialpsychologe und Publizist.

Herr Welzer, vor einer Woche schlug eine Rakete auf polnischem Gebiet ein. Ginge es nach einer großen deutschen Zeitung, stünde die Nato jetzt im Krieg mit Russland. Wie gefährlich sind Schlagzeilen in krisenhafter Zeit, die auf unzureichenden Informationen beruhen?

Kriegsgeschrei ist nichts Neues aus dem Hause BILD. Aber man kann an dem Beispiel sehen, dass reale Konstellationen in der Berichterstattung zugunsten der Erregung und Aufmerksamkeit keine Rolle mehr spielen. Wirklichkeit wird unwichtig.

Was macht das mit der Politik?

Es bringt ein höheres Maß an Irrationalität in die so dringend nötigen sachlichen Debatten.

Was resultiert daraus?

Nehmen Sie den Tweet von Frau Strack-Zimmermann an jenem Abend bei Twitter, in dem sie ungeprüft von russischen Raketen spricht. Sie ist die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, das ist unverantwortlich in ihrer Position. Wenn man sich als Politiker permanent in Situationen der Zuspitzung bewegt, wird das Spektrum von Handlungsmöglichkeiten kleiner. Heißt, die Politik gerät in immer größeres Risiko, unvernünftig zu agieren. Das ist gefährlich.

Andere sollen für unsere Sicherheit sorgen

Eine Umfrage der Körber-Stiftung kommt zu dem Ergebnis, dass 80 Prozent der Deutschen die Sorge haben, der Ukraine-Krieg könnte auf Nato-Gebiet überschwappen. Zugleich lehnen 68 Prozent der Bürger eine militärische Führungsrolle Deutschlands in Europa ab. Was sagt das über unsere Gesellschaft aus? 

Da die Deutschen schlechte Erfahrungen mit Führung und Krieg haben, die auch über die Generationen hinweg tief sitzen, ist diese Zweiseitigkeit der Perspektive nicht verwunderlich. 

Wir leben aber wieder in einer Zeit, in der sich die Macht eines Landes nicht primär über wirtschaftliche, sondern über militärische Stärke definiert. Wovon zeugt es, wenn sich eine Gesellschaft dieser Realität verweigert? 

Ich würde nicht sagen, dass sie sich verweigert. Die Identität der Bundesrepublik basierte im Wesentlichen darauf, wirtschaftlich stark zu sein. Nach 1989 kam die Annahme der Politiker hinzu, dass es große Kriege nicht mehr geben würde. Sie standen damit nicht allein. Die Militärwissenschaften sprachen von Terrorismus und den “neuen Kriegen” als Hauptbedrohung, weshalb wir keine großen Armeen mehr bräuchten und sich die Staaten durch Handel immer weiter annäherten. Was übrigens auch durchgängig die Auffassung im politischen Journalismus war. 

Heute wissen wir, dass diese Annahme falsch war. Unsere Politiker sagen, die Nato sei in dieser krisenhaften Zeit unsere Überlebensgarantie. Zugleich will aber unsere Gesellschaft nicht, dass wir in Europa mehr militärische Verantwortung übernehmen. Warum nehmen wir an, dass Andere für unsere Sicherheit sorgen werden? 

Weil das schon immer so war und wir aus dem Nachhall der historischen Erfahrung keine deutsche Führungsrolle wollen. Unserer Mentalität nach soll vielleicht der deutsche Ingenieur führend sein – was er nicht mehr ist – aber eine politische, gar militärische Führung will in diesem Land niemand einnehmen. Damit hat man schlechte Erfahrungen gemacht und lässt sich darum lieber vertreten. 

Deutsche mögen es, wenn man sich nicht so offensiv darstellt

Warum übernehmen die Politiker keine Führung und erklären der Gesellschaft die heutigen sicherheitspolitischen Notwendigkeiten? 

Dafür haben wir nicht die richtige Regierung. Scholz kann möglicherweise einiges, aber nicht kommunizieren. Sein politisches Agieren ist eher erratisch. Er ist gewählt worden, weil er von allen Kanzlerkandidaten Frau Merkel am nächsten kam. Die Deutschen mögen es, wenn man sich nicht so offensiv, manifest und mit Machtmitteln international darstellt. 

Dann macht er es doch richtig: Er bewahrt die Deutschen vor größeren Zumutungen. Oder würden wir sie schon ertragen, nur Scholz traut sich nicht?

Aus einer Allensbach-Umfrage wissen wir, dass 65 Prozent der Bürger dieser Regierung nicht zutrauen, die anstehenden Probleme zu lösen. Da müsste man sich schon mal überlegen, ob man nicht besser erklärt, was man macht, wenn man die Lösungskompetenz für sich beansprucht. 

Wie könnte es Scholz besser machen? 

Jedenfalls nicht mit wolkigen Metaphern wie Zeitenwende, sondern indem er den Bürgern unmissverständlich klarmacht, dass die Zeiten des beständigen Wohlstandzuwachses, der beständigen Externalisierung von allem möglichen, inklusive der militärischen Sicherheit, ein für alle Male vorbei sind. Es bräuchte jetzt mal eine “Blut-Schweiß-Tränen-Rede”. 

Putins Atomdrohungen gut kalkuliert

Sie spielen auf Churchills Rede im Mai 1940 vor dem britischen Unterhaus an, als er das Land auf die Härten und Leiden des Krieges gegen Nazi-Deutschland einschwor. Nun droht aber Russlands Präsident Putin mit Atomwaffen. Auf viele Deutschen wirken diese Drohungen einschüchternd. Woraus resultiert diese Angst? 

Putins Drohungen sind psychologisch gut kalkuliert. Leider ist der Einsatz von Atomwaffen keine reine Fantasie, sondern es handelt sich um die reale Möglichkeit einer Atommacht, so unwahrscheinlich der Einsatz dieser Waffen auch sein mag. Dass wir uns darüber Gedanken machen, finde ich richtig. 

Die US-Regierung behauptet, sie lasse sich durch solche Drohungen nicht einschüchtern. 

Kein Wunder, die Amerikaner sind weit weg vom Geschehen in Europa. Hier haben die Leute Angst vor einem entgrenzten Krieg. Nach den Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs ist das nachvollziehbar. Selbst wenn die Generation ausstirbt, die diesen Krieg erlebt hat, so leben ihre Erinnerungen in den jüngeren Generationen fort. 

Harald Welzer ist Sozialpsychologe und Publizist. Mit Sönke Neitzel hat er die international breit wahrgenommene Studie “Soldaten. Protokolle vom Kämpfen, Töten und Sterben” veröffentlicht und gerade gemeinsam mit Richard David Precht das Buch “Die vierte Gewalt – Wie Mehrheitsmeinung gemacht wird, auch wenn sie keine ist” publiziert.

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News

Nationale Sicherheit gefährdet – Regierung verweigert Antworten zu Munitionsvorräten

Das hat es selten gegeben: Die Bundesregierung hat sich in einer gestern versendeten Antwort auf eine Kleine Anfrage der Unionsfraktion im Bundestag auf die nationale Sicherheit (“aus Gründen des Staatswohls”) berufen und sich geweigert, einen Teil der Parlamentsfragen zu beantworten. Im Kern ging es um die Munitionsvorräte der Bundeswehr, ein in Kriegszeiten hochsensibles Thema.

In ihrem Fragenkatalog wollte die Union unter anderem wissen, welche verbindlichen Zusagen über Munitionsvorräte die Bundesregierung gegenüber der Nato gemacht hat, wie viel Munition die Bundeswehr derzeit verfügbar hat und wie lange es dauert, Munition zu beschaffen.

Gegenstand dieser Fragen seien Informationen, die in besonders hohem Maße das Staatswohl berührten und daher selbst in eingestufter Form nicht beantwortet werden könnten, antwortete die Regierung. Das Frage- und Informationsrecht des Bundestages gegenüber der Bundesregierung werde durch gleichfalls Verfassungsrang genießende schutzwürdige Interessen wie das Staatswohl begrenzt.

“Eine Offenlegung der angefragten Informationen birgt die Gefahr, dass Einzelheiten über schutzwürdige Interessen unseres Staates sowie die künftige Arbeitsfähigkeit und Aufgabenerfüllung der Bundeswehr bekannt würden”, heißt es weiter. Mittels dieser Informationen werde eine detaillierte Lage über die Einsatzbereitschaft und Kampfkraft wesentlicher Teile der Bundeswehr aktuell und für die nächsten Jahre abgegeben.

Darüber hinaus ließen sich Rückschlüsse auf die entsprechenden Planungen der Nato und auf die Verteidigungsfähigkeit des Bündnisses ziehen. Daher halte die Bundesregierung die Informationen der angefragten Art für so sensibel, dass selbst ein geringfügiges Risiko des Bekanntwerdens unter keinen Umständen hingenommen werden könne.

Selbst eine in sensiblen Fällen übliche Einstufung als Verschlusssache und Hinterlegung der angefragten Informationen in der Geheimschutzstelle des Bundestages wollte die Regierung aus Sicherheitsgründen nicht vornehmen. Die angefragten Inhalte beschrieben die Einsatzbereitschaft und Kampfkraft wesentlicher Teile der Bundeswehr sowie die Planungen der Nato so detailliert, dass eine Bekanntgabe auch gegenüber einem begrenzten Kreis von Empfängern ihrem Schutzbedürfnis nicht Rechnung tragen könne.

Jens Lehmann, Berichterstatter des Heeres für die Unionsfraktion, beklagte, die Bundesregierung verweigere dem Verteidigungsausschuss jede Information. “Das ist eine grobe Missachtung der Kontrollbefugnisse des Parlaments”, teilte er gestern Abend mit.

Sowohl Verteidigungsministerin Christine Lambrecht als auch Bundeswehr-Generalinspekteur Eberhard Zorn hatten bereits länger öffentlich gemacht, dass die Bundeswehr rund 20 Milliarden Euro benötigt, um die Munitionsvorräte der Streitkräfte auf den von der Nato verlangten Vorrat aufzustocken. Die Union hatte zu dieser Zahl Aufschlüsselungen verlangt.

Eine Verweigerungshaltung der Regierung gegenüber dem Parlament ist selten, gleichwohl vom Bundesverfassungsgericht gedeckt. Evident geheimhaltungsbedürftige Informationen muss die Bundesregierung einem höchstrichterlichen Urteil zufolge nicht offenlegen. tw/ms

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Macrons Budgetplan gefährdet FCAS

Die französische Wirtschaftszeitung La Tribune hat Frankreichs Etatpläne enthüllt, die das deutsch-französische Rüstungsprojekt Future Combat Air System (FCAS) gefährden könnten. Demnach will Staatspräsident Emmanuel Macron 410 Milliarden Euro für das Projekt “Armées 2030” veranschlagen. Dieses Budget reiche dem Bericht zufolge allerdings nicht für alle bereits geplanten Projekte.

Zu den Einsparplänen, die die Zeitung nennt, gehört neben dem Panzerprojekt MGCS auch FCAS. Die beiden deutsch-französischen Beschaffungsvorhaben sollen um zwei Jahre nach hinten geschoben werden. Ende voriger Woche wurde nach monatelangem Streit eine Einigung zwischen den Industriepartnern Airbus und Dassault erzielt.

Sie sieht den Baubeginn für einen Demonstrator noch in diesem Jahr vor. Wie ein Airbus-Sprecher gegenüber Security.Table erklärte, gibt es allerdings noch keinen Vertrag. “Es müssen in den jeweiligen Ländern noch einige formale Prozessschritte eingehalten werden, damit der Vertrag in Kürze unterzeichnet werden kann”, sagte er.

Eric Trappier, CEO von Dassault, relativierte gestern im französischen Fernsehen die Berichte über eine Einigung und sagte, dass man sich noch am Anfang des Prozesses befinde, auch wenn es Fortschritte gebe. Er sprach von einer “politischen Pseudoankündigung” Deutschlands.

Eine Verschiebung von FCAS auf französischer Seite könnte das Ende des Projekts bedeuten. Auf deutscher Seite kündigte ein Mitglied des Haushaltsausschusses an, dass es kein Geld mehr für das Projekt gebe, wenn es bis zum kommenden Frühjahr keine Einigung zwischen den deutschen und französischen Industriepartnern gebe, wie Security.Table berichtete.

Im deutschen Verteidigungshaushalt sind für das nächste Jahr 480 Millionen Euro für FCAS vorgesehen, die allerdings erst diese Woche mit dem Bundeshaushalt im Parlament bestätigt werden sollen. bub/nana 

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Russlands Abhängigkeit von Steuereinnahmen aus Gas- und Öl-Exporten wächst

Der Krieg in der Ukraine lässt Russlands Steuereinnahmen außerhalb des Gas- und Ölsektors stark sinken: 20 Prozent weniger nahm das Finanzministerium im Oktober im Vergleich zum Vorjahresmonat außerhalb der Öl- und Gasbranche ein. Obwohl die russische Regierung diese Verluste dank stark gestiegener Gas- und Öl-Preise ausgleichen konnte, bahnt sich ein großes Problem an.

Die Abhängigkeit von diesen Geldquellen wächst. In den vergangenen Jahren trug die Öl- und Gasbranche zu gut einem Drittel des russischen Staatsbudgets bei. Stiegen die Öl- und Gaspreise, nahm der Anteil zu – aber auch die Einnahmen aus anderen Branchen wuchsen. Diese brechen jetzt massiv weg. Die lange angestrebte Diversifizierung der Steuereinnahmen verschlechtert sich.

Zudem sind auch die Gas-Exporte in westliche Richtung nach dem Stopp der Nord Stream I- und II-Pipelines weitgehend ausgefallen. Gazproms Gewinn sank im Oktober um ein Drittel im Vergleich zum Vormonat, als die Exporte via Nord Stream I und II noch liefen.

Der Druck auf das russische Staatsbudget steigt. Der Kreml erhöhte deshalb die Steuer auf Förderung von Bodenschätzen. In Folge musste Gazprom im Oktober mehr als 1,28 Billionen Rubel (mehr als 21 Milliarden Euro) an das Finanzministerium abführen. Das ist doppelt so viel wie im September. Um dies zu erreichen, musste der Gasriese auf seine Reserven zurückzugreifen.

Die Folgen der angespannten Haushaltslage spüren inzwischen auch Kranke in Russland. So musste das Gesundheitsministerium bereits Mittel für teure Präparate reduzieren. In zwölf russischen Regionen klagen Menschen mit HIV, dass teure antiretrovirale Medikamente nicht mehr verfügbar sind. Im kommenden Jahr werde außerdem der Teil an Haushalten mit niedrigen Einkommen wachsen, prognostizieren russische Ökonomen, “die Hauptleidtragenden werden Vertreter der Mittelschicht sein”. vf

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Reiche Staaten geben 30 Mal mehr aus für Militär als für Klima

Die reichsten Staaten geben 30 Mal mehr für ihr Militär aus, als sie an Mittel im Bereich Klimaschutz an die anfälligsten Länder zahlen. Das zeigt eine Studie der NGO Transnational Institute (TNI).

Viele Militärs würden hervorheben, dass sie grüner werden wollen. Doch laut TNI sei das schwer möglich:

  • Das Militär habe noch keine geeigneten Kraftstoffalternativen gefunden, vor allem Alternativen für Flugzeuge und Kampfjets seien zu teuer
  • Die meisten der erklärten “Netto-Null-Ziele” basieren laut TNI auf falschen Annahmen und basieren auf der Ansicht, dass in Zukunft Carbon Capture Technologien verfügbar seien
  • Neue Waffensysteme würden mehr Treibstoff verbrauchen als Vorgänger-Versionen.

Laut den Autoren könnten die jährlichen Militärausgaben der zehn Staaten mit den größten Ausgaben die versprochene internationale Klimafinanzierung für 15 Jahre – 100 Milliarden US-Dollar pro Jahr – stemmen.

Militär verursacht 5,5 Prozent der weltweiten Emissionen

Weltweit ist das Militär für schätzungsweise 5,5 Prozent der CO2-Emissionen verantwortlich. Circa ein Fünftel davon geht auf “betriebliche Emissionen”, beispielsweise auf Militärbasen, zurück. Der Großteil stammt aus Lieferketten (Scope 3-Emissionen), wie eine neue Studie der Scientists for Global Responsibility und des Conflict and Environment Observatory zeigt. Wäre das globale Militär ein Land, hätte es demnach den viertgrößten CO2-Fußabdruck der Welt.

Die Autoren konnten nur auf einen kleinen Ausschnitt offizieller Daten zurückgreifen. Emissionsdaten für das Militär sind oft unvollständig, in zivilen Kategorien versteckt oder werden gar nicht erhoben, so die Studie. Das Pariser Klimaabkommen schreibt die Berichterstattung über militärische Emissionen nicht vor und überlässt es den Staaten, freiwillig Daten zu veröffentlichen. “Dass die Länder nicht dazu verpflichtet sind, die Emissionen ihres Militärs und der Rüstungsindustrie offenzulegen, ist inakzeptabel”, betont Angelika Claußen, Vorsitzende der Internationalen Ärztinnen und Ärzte für die Verhütung des Atomkriegs. nib

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Der IS rekrutiert unter verarmten Libanesen

Gruppen der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) locken offenbar erfolgreich junge Männer aus dem Libanon in die eigenen Reihen. Vor allem Personen ohne Arbeit und Einkommen sind Ziel der Organisation. Obwohl der IS seit 2019 als quasi-staatliche Struktur nicht mehr existiert, sind kleinere Gruppierungen weiterhin aktiv und verüben unter anderem im Irak und in Syrien immer wieder Anschläge.

Nach einem Bericht der BBC hat die irakische Armee bei einem Angriff auf mutmaßliche IS-Terroristen neun Menschen getötet, darunter auch Libanesen. “Normalerweise schließen sich Menschen aus Europa dem IS wegen ideologischer Gründe an. Aber die Menschen, die sich von hier dem IS anschließen, tun das wegen der Armut”, zitiert BBC den Richter Nabil Sari aus Tripoli.

Libanon befindet sich seit drei Jahren in einer katastrophalen ökonomischen Lage. Vor allem drei Ereignisse sind dafür verantwortlich: Die Finanzkrise von 2019 löste das heutige Problem aus, Corona vertiefte die Krise, und die Folgen des Explosionsunfalls im Hafen von Beirut verfestigten sie.

Das Bruttoinlandsprodukt fiel um mehr als die Hälfte von 52 Milliarden US-Dollar im Jahr 2019 auf 23,1 Milliarden US-Dollar in 2021, analysiert die Weltbank in einem Länderbericht. Auch für die nahe Zukunft sieht die Weltbank keine Zeichen für Optimismus: Die Arbeitslosigkeit wuchs von 11,4 Prozent in 2019 auf aktuell 29,6 Prozent. vf   

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China-Strategie: Peking bezichtigt Deutschland der Lügen und Gerüchte

Die chinesische Regierung hat den Entwurf für eine neue China-Strategie aus dem Auswärtigen Amt scharf kritisiert. In einer Stellungnahme des chinesischen Außenministeriums hieß es, die Einstufung Chinas als “Wettbewerber” und “systemischer Rivale” sei ein “Erbe des Denkens aus dem Kalten Krieg”.

Die chinesische Seite bezeichnete das Papier als eine “Verunglimpfung Chinas durch die deutsche Seite”. Das Papier sei voll von “Lügen und Gerüchten”. Das Papier definiert China als Partner, Wettbewerber und systemischen Rivalen.

Geht es nach dem Willen von Außenministerin Annalena Baerbock, sollen im Umgang mit China vor allem die Menschenrechte eine größere Rolle spielen und die Beziehungen zu Taiwan ausgebaut werden. Zudem sollen wirtschaftliche Abhängigkeiten “zügig und mit für die deutsche Volkswirtschaft vertretbaren Kosten” abgebaut werden.

Die neue China-Strategie steckt allerdings noch in der Abstimmungsphase mit den anderen Ministerien, vor allem aber mit dem Kanzleramt. Vor einer endgültigen Verabschiedung soll nach Aussage von Stefan Mair, Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik, erst die nationale Sicherheitsstrategie vorgestellt werden (Security.Table berichtete). flee

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Studie: Wachsendes Bewusstsein in Wirtschaft für geoökonomische Risiken

Der öffentliche und der private Sektor müssen enger zusammenarbeiten, um geopolitische Risiken und die Folgen politischer Entscheidungen besser zu verstehen. So heißt es in einer heute veröffentlichten Studie des Thinktanks Finnish Institute of International Affairs (FIIA). 

Die Covid-19-Pandemie und Russlands Krieg in der Ukraine hätten gezeigt, dass Großmächte politische Maßnahmen für wirtschaftliche Zwecke nutzen. “Die Unternehmen sind nun mit neuartigen Risiken konfrontiert, von Finanzsanktionen bis hin zu Handelsembargos”, sagt Mikael Wigell, Leiter der Studie. Deshalb sei eine neue Form der Zusammenarbeit nötig, um beide Seiten aufeinander abzustimmen.

“Regierungen greifen in die Geschäfte ein, während Unternehmen sich entscheiden können, Regierungsziele zu unterstützen oder zu untergraben”, heißt es in der Studie. Zwar sei das Bewusstsein für geoökonomische Risiken bei Unternehmen gewachsen, dennoch sei ein stärkerer Fokus auf diese Themen nötig. 

In Deutschland dürfte die Studie aufgrund der Debatte um den Teilverkauf des Hamburger Hafens an den chinesischen Staatskonzern Cosco und die Diversifizierung der Energieversorgung auf großes Interesse stoßen. 

Mit der Studie liefert das Team um Wigell Handreichungen für eine bessere Koordinierung zwischen Politik und Wirtschaft, etwa die Einrichtung eines Dialogforums auf strategischer Ebene oder die Durchführung regelmäßiger geoökonomischer Risikobewertungenbub 

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Presseschau

Reuters – Red tape, potholes and politics hamper NATO’s defence efforts as the Russia threat rises: Nicht nur auf Twitter beschweren sich Menschen über die Deutsche Bahn. Ben Hodges, bis 2017 Kommandeur der U.S. Army in Europa, kritisiert, dass Europas Infrastruktur nicht für den Kriegsfall gerüstet ist. Das geht von ungenügenden Zugkapazitäten oder schlechten Straßen bis zu behäbigen bürokratischen Strukturen. Reuters wirft einen Blick in die europäischen Länder und zeigt, wo infrastrukturell aufgebaut werden muss und wo es selbstgemachte Probleme gibt.
 
Newsweek – Leaked FSB Letters Reveal Civil War Among Putin’s Allies: Das US-amerikanische Magazin beruft sich auf geleakte E-Mails des russischen Geheimdienstes FSB, die einen “unvermeidbaren” Bürgerkrieg prognostizieren. Risse täten sich im Kreml zwischen dem Gründer der Wagner-Gruppe, Jewgeni Prigoschin, und Wladimir Putin auf. Weil Prigoschin weniger Einfluss nicht mehr akzeptieren würde, bereite er Brigaden für “innerrussischen Terror” vor. Wenn die Leaks echt sind, drohen Putin schwere Zeiten. Wenn nicht, zeigen sie zumindest, wie Information Warfare funktioniert.
 
Podcast: Center for Strategic and International Studies – Yemen in Conflict: Die Jemen-Expertin Helen Lackner erklärt, wie sich der Krieg in Kontinuitäten einordnet und wie das Land kurzzeitig auf einem guten Weg in Richtung Demokratisierung zu sein schien. Im zweiten Teil besprechen Jon Alterman, Natasha Hall und Calep Harber US-amerikanische Ziele im Jemen.
 
The Warzone – This Is How Taiwan’s Military Would Go To War With China: Roy Choo analysiert sehr konkret, wie ein Angriff durch China auf Taiwan aussehen könnte, wie Taiwans Verteidigung dafür gerüstet ist und wie es sie einsetzen könnte. Schlechte Interoperabilität mit amerikanischen Streitkräften könnte zum Problem werden.
 
The Wall Street Journal – Ukrainian Analysis Identifies Western Supply Chain Behind Iran’s Drones: Der Iran baut die Drohnen, die in der Ukraine eingesetzt werden, auch mithilfe westlicher Teile, sagen ukrainische Aufklärungskräfte. Der Geheimdienst schätzt, dass drei Viertel der Drohnenteile aus den USA stammen, schreibt Ian Talley. Es sollen auch Teile vom deutschen Unternehmen Infineon stammen, was der Konzern dementiert.

Standpunkt

Es geht schon lange nicht mehr “nur” um Mali

Von Ulf Laessing
Porträtfoto von Ulf Laessing mit Brille und blau-weißem Hemd.
Ulf Laessing leitet das Regionalprogramm Sahel der Konrad-Adenauer-Stiftung in Mali.

Trotz vieler Bedenken: Die Mission der Bundeswehr in Mali ist sinnvoll, um etwas Stabilität in den Norden des Landes zu bringen. Dort sind seit dem Abzug der französischen Armee mit ihrer Anti-Terror-Mission die Dschihadisten auf dem Vormarsch. Sie haben in den vergangenen Monaten Territorium eingenommen und erstmals seit einem Jahrzehnt wieder kurzzeitig eine kleine Stadt unter ihre Kontrolle gebracht.

An die großen Städte wie Gao trauen sie sich nicht ran. Noch nicht, solange die Deutschen da sind, sagen die Bewohner Gaos. Deutschland hat ein Interesse an einem stabilen Nord-Mali, weil die Dschihadisten sich von hier in die Nachbarstaaten und sogar die Küstenländer wie Elfenbeinküste und Togo ausbreiten. Es geht schon lange nicht mehr nur um Mali, sondern um die Stabilität Westafrikas.

Eintausend Russen in Mali, darunter viele Söldner

Doch in letzter Zeit mehren sich die Zweifel, ob eine Zusammenarbeit mit Mali noch sinnvoll ist. Die Militärregierung, die im August 2020 an die Macht gekommen ist, hat die für Februar geplanten Wahlen um zwei Jahre verschoben und die militärische Zusammenarbeit mit Russland deutlich ausgebaut.

1000 Russen sind im Land, viele von ihnen offenbar Söldner der berüchtigten Wagner-Gruppe. Als Reaktion darauf hat Frankreich seine Truppen bereits abgezogen. Andere europäische und afrikanische Länder folgen jetzt (siehe Analyse).

EU fürchtet malische Kooperation mit Wagner-Gruppe

Auch der europäischen Ausbildungsmission (EUTM) droht das Aus. Die EU hatte die Mission im Mai zunächst suspendiert. Sie wollte keine weiteren malischen Truppen ausbilden, die dann mit russischen Söldnern ins Feld ziehen. Ihr Verhältnis mit der Regierung in Mali verbesserte sich aber nicht.

Jetzt hat die tschechische Missionsleitung den Rückzug angekündigt. De-facto bedeutet dies das Ende der Mission. Prag will sogar seine Botschaft in Bamako schließen und wie andere Europäer einschließlich der Bundeswehr das Engagement im Nachbarstaat Niger ausweiten.

Kriegsverbrechen durch russische Söldner

Wagner-Söldner werden immer wieder der Tötung von Zivilisten beschuldigt. Zudem will Russland nicht die eigenen Positionen ausgespäht wissen. Seit Wochen sind die Aufklärungsdrohnen der Bundeswehr am Boden.

Deutschlands Beziehungen zu Mali sind noch einigermaßen intakt. Es häufen sich aber die Beschwerden der Bundeswehr über die Militärregierung, die die UN-Mission einschränkt, offenbar auf Druck der Russen. Sie wollen vor allem nicht, dass die Minusma Menschenrechtsverletzungen untersucht.

Bürokratie behindert die Arbeit der Bundeswehr

Dabei ist die Aufklärung eine Kernaufgabe der Bundeswehr. Die Deutschen sollen für die 13.000-Mann starke UN-Mission ein tägliches Lagebild über terroristische Bedrohungen erstellen, damit Patrouillen sicher das Camp verlassen können. Doch seit der Ankunft der Russen verlangt Mali besondere Genehmigungen für den Drohneneinsatz, der bis zu einer Woche vorher beantragt werden muss.

Dies macht die Drohnen nutzlos, da sie ein Instrument sind, um schnell auf veränderte Lagen zu reagieren. Seit dem 11. Oktober hat Mali nach Angaben der Bundeswehr keine Genehmigungen mehr erteilt.

Bereits im Sommer gab es Probleme mit Fluggenehmigungen für Truppenrotationen. Mali verlangt seitdem, dass Anträge zunächst bei der UN-Mission eingereicht werden müssen. Diese ist damit häufig überfordert. Mehrere Stationen bei Minusma müssen die Anträge genehmigen.

Bei der Bundeswehr gibt es Unverständnis über das bürokratische Vorgehen. Minusma-Mitarbeiter monieren hingegen, dass die Bundeswehr mit Last-Minute-Änderungen zum Bearbeitungsstau beiträgt.

Der Frust im Auswärtigen Amt wächst

Bislang hat das Auswärtige Amt den Einsatz gegen Bedenken des Verteidigungsministeriums verteidigt. Aber auch bei den Diplomaten wächst der Ärger. Dennoch sollte Deutschland erwägen, vorerst in Mali zu bleiben.

Befürworter des Einsatzes hoffen, dass Russland bald die Puste ausgeht. Für Moskau ist Mali wichtig, um Söldner und Waffen zu vermarkten und den Westen zum Abzug zu bringen. Ein Rückzug der Bundeswehr – nach Frankreich – wäre ein geopolitischer Triumph für Putin. Die nächsten Monate werden spannend. Es mehren sich die Gerüchte, dass Russland wegen des Ukraine-Krieges seine Söldner abziehen könnte.

Bis jetzt ist offenbar auch deren Bezahlung unklar. Russland will nach Aussage von Diplomaten in Gold bezahlt werden. Dazu müsste Mali eine Lizenz für den Goldabbau vergeben. Diese Genehmigungen sind aber in den Händen anderer Unternehmen, die Malis Regierung im Ausland verklagen könnten, wenn ihnen die Lizenz entzogen würde.

Ein abrupter Abzug würde schaden

Es ist sinnvoll, angesichts der Probleme über alle Ausstiegsoptionen nachzudenken. Aber einen abrupten Abzug wie aus Kabul sollte Deutschland vermeiden. Er hatte in Bamako im Vorjahr die Befürchtung ausgelöst, der Westen könnte auch Mali im Stich lassen. Die Folge: Die Militär-Regierung suchte den Kontakt zu Moskau.

Wenn Deutschland jetzt überhastet geht, überlässt es Mali den Russen. Dann könnte sich Putins Schattenarmee als nächstes Niger vornehmen. Zumindest wird dieses Land, aus dem Frankreich Uran für seine Atomkraftwerke bezieht, als ein wichtiges geostrategisches Ziel in Kreml-freundlichen Telegram-Kanälen diskutiert.

Niger steht bislang fest an der Seite des Westens. Wie in Mali und anderen Staaten des Sahel gibt es auch hier ein anti-französisches Sentiment. Eine russische Delegation besuchte im November Niamey, um eine Militärkooperation auszuloten. 

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Heads

Claudia Major – “Ich habe Verantwortung, den Ukraine-Krieg zu erklären”

Porträtfoto von Claudia Major, Sicherheitsexpertin bei der SWP, vor einem hellen Hintergrund.
Claudia Major leitet bei der SWP die Forschungsgruppe Sicherheitspolitik.

Der Jetlag sitzt Claudia Major noch in den Knochen. Gerade ist die Leiterin der Forschungsgruppe Sicherheitspolitik bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) aus Tokio wiedergekommen. Dort hat sie mit Vertretern aus Wissenschaft, Wirtschaft und Politik sicherheitspolitische Entwicklungen im indopazifischen Raum erörtert. “Für mich ging es dort darum, die regionalen Sicherheitsherausforderungen, von China und Russland bis Nordkorea, besser zu verstehen und in den größeren Kontext einzuordnen.”

Denn die europäischen und indo-pazifischen Sicherheitsräume seien verbunden; was dort passiere, betreffe auch die Menschen in Europa. “Wir müssen diese Räume daher mehr zusammen denken. Also: Wie agieren die Schlüsselfiguren China und USA, und was heißt das praktisch für Europa, die Verbündeten und die europäische Verteidigung”, sagt Major. 

Der Jetlag ist aber nicht der einzige Grund für ihre Müdigkeit. Dieses Jahr ist für Major eines der arbeitsintensivsten in ihrer mehr als 20 Jahre währenden Karriere in der Sicherheitspolitik. “Für Sicherheits- und Verteidigungspolitik hat sich bis Ende des vergangenen Jahres kaum jemand interessiert. Seit Beginn des Krieges in der Ukraine kam zu unserer eigentlichen Forschungs- und Beratungsaufgabe aber enorm viel Medienarbeit dazu”, sagt die 46-jährige gebürtige Berlinerin.

Kritik gegen Frauen ist anders

“Ich empfinde es als eine große Verantwortung, Menschen mit meinen Erklärungen zu helfen, die Entwicklungen besser einordnen zu können und im besten Fall politische Entscheidungsträger mit Analysen und Ideen zu unterstützen”, sagt Major. Auffällig: Noch nie zuvor waren Frauen als Expertinnen in einem Krieg so präsent. Ob in der Tagesschau, auf Twitter, in Gastbeiträgen oder in Talkshows: Major, aber auch Sicherheitsexpertinnen wie Jana Puglierin, Sabine Fischer, Franziska Davies, Margarethe Klein oder Janka Oertel ordnen ein, warnen und fordern, wissenschaftlich fundiert, mit Argumenten unterlegt.

Wie ihre männlichen Kollegen sind auch sie teils heftiger Kritik ausgesetzt. Diese unterscheide sich allerdings in ihrer Qualität, sagt Major. Frauen spräche man die Kompetenz ab, beleidige sie sexistisch, betitele sie als “Kriegstreiberinnen” oder “kriegsgeil”. “Ich habe einen dicken Ordner angelegt für die ganzen Beleidigungen, gegen die ich vorgehen will. Aber aktuell möchte ich meine Energie auf anderes verwenden.”

Zum Beispiel darauf, jüngere Frauen zu unterstützen und ihnen Raum in der Sicherheitspolitik zu geben. “Damit sie vielleicht schneller wahr- und ernstgenommen werden, als ich es wurde. Denn ich habe schon das Gefühl, meine Expertise mehr unter Beweis stellen zu müssen als einige Kollegen, denen die Kompetenz von vornherein zugesprochen wird.” Nicht zuletzt deshalb engagiert sich Major seit über 15 Jahren im Verein Women in International Security (WIIS).

Forderung nach schweren Waffen

Energie braucht Major aber auch für den Spagat zwischen ihrer Führungsposition bei der SWP, inhaltlicher Forschung, Medienarbeit und der wissenschaftlich fundierten Beratung der Abgeordneten, etwa beim Thema Waffenlieferungen an die Ukraine. Major gehört zu den Stimmen, die Lieferungen schwerer Waffen an das angegriffene Land fordern.

Diesen Forderungen, sagt Major, liegen aber oft die Ziele zugrunde, die die Bundesregierung selbst formuliert habe. “Ich bin keine Aktivistin, die bestimmte Interessen vertritt. Meine Aufgabe als Think-Tankerin ist es, basierend auf wissenschaftlicher Arbeit, also methodisch sauberer Forschung, Vorschläge zu erarbeiten, wie die Regierung ihre Ziele erreichen kann oder um auf neue Herausforderungen hinzuweisen.” 

In der Politik höre – zumindest ein Teil – auch genau zu. Trotzdem könne es frustrierend sein, wenn Debatten, die sie bereits vor Monaten anzustoßen versuchte, erst viel später geführt würden, wie die langfristige Ausrichtung der Rüstungsindustrie. “Statt auf den Frust konzentriere ich mich dann aber auf das, was schon passiert ist auf deutscher Seite, und das sollte man nicht kleinreden.” Lisa-Martina Klein

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Security.Table Redaktion

SECURITY.TABLE REDAKTION

Licenses:
    • Bundesregierung erwägt Abzug aus Mali
    • Keine modernen Waffen: Westliche Sanktionen schwächen russische Kampfkraft
    • Einschlag in Polen: Ukrainische Rakete hatte Ziel verloren
    • Verschleppt und assimiliert – Ukraine kämpft um deportierte Kinder
    • “Wir bräuchten jetzt mal eine Blut-Schweiß-Tränen-Rede”
    • Nationale Sicherheit gefährdet – Regierung verweigert Antworten zu Munitionsvorräten
    • Macrons Budgetplan gefährdet FCAS
    • Russlands Abhängigkeit von Steuereinnahmen aus Gas- und Öl-Exporten wächst
    • China-Strategie: Peking bezichtigt Deutschland der Lügen und Gerüchte
    • Reiche Staaten geben 30 Mal mehr aus für Militär als für Klima
    • Der IS rekrutiert unter verarmten Libanesen
    • Studie: Wachsendes Bewusstsein in Wirtschaft für geoökonomische Risiken
    • Es geht schon lange nicht mehr “nur” um Mali
    • Heads: Claudia Major – “Ich habe Verantwortung, den Ukraine-Krieg zu erklären”
    Liebe Leserin, lieber Leser,

    am Tag unserer Premieren-Ausgabe vor einer Woche tötete eine Flugabwehr-Rakete zwei Menschen in Polen. Die Nato berief eine Krisensitzung ein, BILD sprach von Putin-Raketen auf Bündnisgebiet. Doch die Befürchtung vieler Deutscher, der Krieg könnte sich ausweiten, erfüllte sich nicht. Marco Seliger rekonstruiert, wie sich die – sehr wahrscheinlich – ukrainische Rakete nach Polen verirren konnte. Außerdem sprach er mit dem Sozialpsychologen Harald Welzer über die ambivalente Haltung der Deutschen zu Sicherheitsfragen.

    Doch Krieg ist nicht nur Kampf. Russland hat aus der Ukraine mindestens elftausend Kinder verschleppt, assimiliert sie und vollzieht damit einen kulturellen Genozid. Viktor Funk stellt dar, wie die Assimilierung läuft und wieso die Ukraine vom Roten Kreuz enttäuscht ist.

    In Mali dürfte sich der deutsche Einsatz dem Ende nähern. Wie es aussieht, wollen Kanzleramt, Verteidigungs- und Entwicklungshilfeministerium (alle SPD) den Abzug bis Ende 2023.

    Lisa-Martina Klein stellt Ihnen im Porträt die Sicherheitsexpertin Claudia Major näher vor. Seit mehr als zwei Jahrzehnten beschäftigt sich Major inzwischen mit Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Seit dem Angriffskrieg auf die Ukraine erlebt sie ein nie dagewesenes mediales Interesse an ihrem Themenfeld – mit nicht immer positiven Folgen.

    Sie möchten Feedback auf Security.Table geben? Schreiben Sie gern an gabriel.bub@table.media. Und: Empfehlen Sie uns Ihrer sicherheitspolitischen “Community” gern weiter.

    Ihr
    Gabriel Bub
    Bild von Gabriel  Bub

    Analyse

    Bundesregierung erwägt Abzug aus Mali

    Am heutigen Dienstag entscheidet sich in Berlin möglicherweise das Schicksal der UN-Mission in Mali (Minusma). Am Mittag treffen sich Vertreter des Kanzleramts, Auswärtigen Amts sowie Verteidigungs- und Entwicklungshilfeministeriums, um über die Fortsetzung des umstrittenen Einsatzes zu beraten. Nach Informationen aus dem Verteidigungsministerium stehen die Zeichen auf Ausstieg bis Dezember 2023. Ein Rückzug Deutschlands könnte das Ende der Minusma bedeuten.

    Vor allem die drei SPD-geführten Häuser, heißt es in Berlin, hegten große Zweifel am weiteren Sinn des Einsatzes. So ist aus dem Verteidigungsministerium die Absicht zu vernehmen, dem Bundestag ein Mandat für den Abzug der aktuell etwas mehr als 1.000 Soldatinnen und Soldaten aus Minusma vorzulegen. Das von den Grünen geführte und für Einsätze federführende Auswärtige Amt plädierte vor der heutigen Beratung allerdings noch für einen Verbleib der Soldaten.

    Deutschland überließe Russland und China das Feld

    “Es ist ein schwieriges Dilemma”, sagt Agnieszka Brugger, stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag. “Einerseits wird die Lage in Nord-Mali immer gefährlicher und ich frage mich, was wir noch erreichen können. Andererseits würden wir mit einem Abzug das Feld Russland und China überlassen und den Vereinten Nationen als Friedensstifter nachhaltig schaden.”

    Vor allem China engagiert sich immer stärker in UN-Missionen, um seinen Einfluss auszuweiten. Das autokratisch regierte Land stößt in Lücken, die westliche Staaten durch ihren Abzug schaffen. “Ich hoffe nicht, dass wir Minusma aufgeben müssen, aber auf Dauer ist die aktuelle Situation nicht akzeptabel”, sagt Ralf Stegner, Mitglied im Auswärtigen Ausschuss für die SPD.

    Es sei noch nicht entschieden, ob und wie der Einsatz weitergehe, aber die Abzugstendenz in Teilen der Bundesregierung habe er registriert. Die Erfahrungen in Afghanistan, sagt Stegner, hätten Regierung und Parlamentarier “hoch sensibilisiert”. “Wir müssen auf veränderte Lagen schneller reagieren.”

    Einsatzziele nicht erreichbar

    In der Union gibt es unterschiedliche Ansichten über eine Fortsetzung der Mission. “Der Einsatz muss die Ziele realistisch erreichen können. Dazu gehört die Akzeptanz unserer Soldaten in Mali und ihre bestmögliche Ausrüstung”, äußert Roderich Kiesewetter, Obmann der CDU/CSU-Fraktion im Auswärtigen Ausschuss. Beides sei nicht mehr gegeben.

    Jürgen Hardt, außenpolitischer Sprecher der Union, fürchtet indes einen Dominoeffekt, sollte Deutschland abziehen. Es stehe zu befürchten, dass weitere Staaten folgen und Minusma ihrem Auftrag nur noch schwer nachkommen könne, sagte er der Augsburger Allgemeinen.

    Andere Truppensteller flüchten aus Mali

    Zuletzt hatte Großbritannien angekündigt, seine Soldaten aus dem Land abzuziehen. Auch die Elfenbeinküste und Ägypten wollen keine Soldaten mehr schicken. Die Ägypter stellen den Schutz der UN-Versorgungskonvois und beklagten zuletzt hohe Verluste durch Sprengsätze auf Straßen.

    In diesem Jahr hatte Frankreich seinen Einsatz in der parallelen Anti-Terror-Mission “Barkhane” beendet. Präsident Macron begründete das damit, die Streitkräfte auf die Landes- und Bündnisverteidigung konzentrieren zu wollen. 2013 hatte Frankreich den Vormarsch dschihadistischer Milizen auf Bamako gestoppt und seitdem Terroristen bekämpft. Tatsächlich dürfte ausschlaggebend für den Abzug gewesen sein, dass die Franzosen in der Bevölkerung zuletzt immer stärker angefeindet wurden.

    Malische Regierung drangsaliert Bundeswehr

    Parallel zum Vorgehen gegen die ehemalige Kolonialmacht Frankreich war die Regierung in Bamako auf Konfrontationskurs auch zur internationalen Blauhelm-Präsenz bei Minusma gegangen. So konnte die Bundeswehr über Wochen keine Soldaten einfliegen, weil die malische Regierung die Genehmigung verweigerte. Ihren Auftrag, den Norden Malis aufzuklären, kann die Bundeswehr nicht erfüllen. Die in Gao stationierten Heron-Aufklärungsdrohnen dürfen seit Wochen nicht starten.

    Zugleich hatte die Militärregierung in Bamako eine weitere Anlehnung an Russland gesucht. In Mali wurden zunehmend Kämpfer der Söldnerfirma Wagner eingesetzt; außerdem lieferte Moskau demonstrativ Waffen an die malischen Streitkräfte, unter anderem Kampfjets und weitere Hubschrauber. Zugleich gab es Hinweise auf Menschenrechtsverletzungen durch Wagner-Kämpfer.

    Wachsendes Risiko für Abzug

    Die Bundeswehr steht nun möglicherweise vor der Frage, wer ihren Abzug sichert, wenn alle anderen Staaten mit signifikanten militärischen Fähigkeiten schon weg sind. Bereits im jüngsten Bundestagsmandat im Mai dieses Jahres ist, ungewöhnlich für einen Auslandseinsatz der Bundeswehr, eine ausdrückliche Ausstiegsklausel für diese Mission enthalten.

    Ein deutscher Ausstieg könnte Minusma endgültig zum Scheitern bringen. Die Bundeswehr liefert der Mission wichtige Informationen über die Lage in Nord-Mali. In Berlin heißt es, wenn nur noch Länder wie Bangladesch und Tschad dabeiblieben, sei die Mission kaum noch aufrechtzuerhalten.

    Von Beginn an Zweifel am Einsatzsinn

    Gut 12.000 Soldaten und 2.000 Polizisten versuchen seit neun Jahren, ein Friedensabkommen zwischen der malischen Regierung und aufständischen Gruppen aus dem Norden des Landes abzusichern. Nach anfänglicher Stabilisierung hat sich die Sicherheitslage kontinuierlich verschlechtert. Keine UN-Mission hat in so kurzer Zeit mehr Gefallene (281) zu beklagen als Minusma.

    Vor allem dschihadistische Gruppen machen sich die Feindschaft der Volksgruppen in Mali zunutze und weiten ihren Einfluss aus. Vor gut zwei Jahren putschten teilweise in Deutschland ausgebildete Militärs gegen die Regierung in Bamako. Der Sinn der Minusma stand von Anfang an infrage. Die Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) schreibt von einem wirkungslosen Einsatz.

    Neues Konfliktpotenzial in Niger

    Neben Mali verschlechtert sich die Sicherheitslage auch in anderen Staaten des Sahel. In Berlin heißt es, dass Deutschland im Fall eines Abzugs aus Mali die Region nicht verlassen, sondern den Einsatz in Niger ausweiten werde. Doch auch hier droht neues Konfliktpotenzial. Auf Telegram-Kanälen war am Wochenende zu lesen, dass Russland erwäge, die Söldnergruppe Wagner in Niger einzusetzen, um französische Uranabbaupläne zu durchkreuzen. Mit Thomas Wiegold

    • Bundeswehr
    • Geopolitik

    Keine modernen Waffen: Westliche Sanktionen schwächen russische Kampfkraft

    Sanktionen gegen Russland: Bild von einem T-14 Armata bei einer Generalprobe für eine Militärparade in Russland
    Ein T-14 Armata während einer Generalprobe für eine Militärparade in Russland.

    Die ukrainischen Streitkräfte halten Russland auch deshalb stand, weil Putins Armee einen Krieg ohne moderne Waffen führen muss. Der Kampfpanzer Armata fehlt ebenso auf dem ukrainischen Gefechtsfeld wie das Stealth-Kampfflugzeug Su-57. Die russische Armee kann auch nur beschränkt auf Marschflugkörper wie Kinshal und Kalibr zurückgreifen. Zu großen Operationen sind die Russen daher nicht mehr in der Lage.

    Gut 2000 Armata sollten bis Anfang der 2020er Jahre produziert und in die Streitkräfte eingeführt sein. So kündigten es Putins Propagandisten am Rande einer Militärparade im Frühjahr 2015 an, als sie Prototypen des angeblichen Super-Panzers aufmarschieren ließen. Nach Informationen von Security.Table haben bisher aber nur gut 35 Armata die Produktionshallen des Panzerbauers Uralwagonsawod verlassen.

    Kein Import aufgrund von Sanktionen

    Eine Ursache sind fehlende Mikrochips, Halbleiter und andere Elektronikteile, die Russland seit der Annexion der Krim 2014 nicht mehr aus Ländern wie Deutschland, Taiwan, den USA, Niederlanden und der Schweiz beziehen kann. Ohne diese Bauteile hat der Panzer keinen Gefechtswert, da Feuerleitung und Waffenrechner nicht funktionieren.

    Auch andere Waffensysteme sind durch die Sanktionen kaum noch einsatzfähig. Dazu zählen einer Studie der DGAP zufolge die Luftabwehrsysteme 9K37 Buk, mit dem im Juli 2014 das malaysische Flugzeug MH17 abgeschossen wurde, und 9K22 Tunguska sowie der Tarnkappen-Marschflugkörper Ch-101.

    Maschinen aus dem Westen fehlen

    Folgenschwer wie der Mangel an Elektronikbauteilen ist auch das Finanzierungsproblem. Westliche Banken durften nach der Annexion der Krim nicht mehr mit russischen Rüstungsbetrieben zusammenarbeiten. Die Firmen finanzierten mit westlichen Krediten unter anderem westliche Fertigungstechnik. Seit 2014 müssen die russischen Rüstungsunternehmen im eigenen Land Kredite zu schlechteren Konditionen aufnehmen und können zwingend benötigte Maschinen aus dem Westen nicht mehr kaufen.

    Putins Regierung reagierte auf die Sanktionen zwar mit dem Ziel, die heimische Hightech-Wirtschaft zu entwickeln und moderne Elektronik aus anderen Weltgegenden zu importieren. Doch ohne Erfolg. Die fehlende Technik und Elektronik verhindern die Waffenproduktion nicht, aber sie verlangsamen sie erheblich.

    Arbeitskräftemangel und Korruption

    Zwischen 2000 und 2021 haben mindestens fünf Millionen, überwiegend junge Menschen Russland dauerhaft verlassen. Seit Februar 2022 und besonders seit der Mobilmachung im September dürften noch eine weitere Million hinzugekommen sein. Diese Menschen fehlen nicht zuletzt in den Rüstungsunternehmen.

    Hinzu kommt, dass ein guter Teil des staatlichen Budgets für Rüstungsaufträge in Bauprojekten versickert, die nicht realisiert werden, oder in Ausrüstung, die in minderwertiger Qualität geliefert wird. Wie groß das Korruptionsproblem ist, zeigt die Forderung des damaligen Leiters des russischen Weltraumprogramms, Dmitri Rogosin, als er im Juli 2021 öffentlich die Todesstrafe für Korruption im Rüstungsbereich forderte.

    Der Armata hätte in der Ukraine einen Unterschied gemacht. Doch statt einen der modernsten, mit sieben Millionen Euro aber auch einen der teuersten Panzer weltweit zu bauen, war Russland durch die Sanktionen gezwungen, für seine Kriegsvorbereitungen ältere Panzer wie den T-72 und T-62M zu modernisieren sowie den T-90M zu produzieren. Auch hier gab es enorme Schwierigkeiten.

    Keine Serienproduktion möglich

    Der Exilzeitung “Nowaya Gazeta Europe” zufolge sind die Kapazitäten von Uralwagonsawod auf 250 Panzer pro Jahr beschränkt, sofern Bauteile und Personal vorhanden sind. Auch dann laufen die Panzer nicht mit den Fähigkeiten vom Band, die Putins Armee bräuchte. So fehlen für den T-72 Wärmebildgeräte aus Frankreich (Thales) und Optiken aus Japan.

    Ähnliche strukturelle Probleme gibt es bei der Produktion von Flugzeugen und Marschflugkörpern. Die Sanktionen sorgten dafür, dass Russland heute weder die Su-57 noch Kinshal und Kalibr in Serie produzieren kann. “Nowaya Gazeta Europe” berichtet, dass Kalibr zuletzt direkt aus der Fabrik an die Front geliefert wurden.

    Die Su-57, Mehrzweckkampfflugzeug der fünften Generation, hätte Russland eine massive Luftüberlegenheit in der Ukraine verschafft. Aufgrund seiner Stealth-Eigenschaften wäre es mit Aktivradar kaum aufzuklären. Doch statt der geplanten 60 Maschinen bis 2022 “verzögerte sich die Produktion durch die Sanktionen so sehr, dass Moskau zu Beginn der Invasion nur über fünf serienmäßig hergestellte Su-57 verfügte”, heißt es in der DGAP-Studie. Diese Darstellung wird in russischen Medien bestätigt.

    Kein Testfeld für moderne russische Waffen

    Der Ukraine-Krieg ist ein Testfeld für Waffen, allerdings für westliche. Die USA haben ihre HIMARS-Raketenartillerie bisher ebenso wenig unter den Bedingungen des hochintensiven Gefechtes eingesetzt wie Deutschland die Panzerhaubitze 2000. Krauss-Maffei Wegmann etwa kann nun auf die Panzerhaubitze 2000 das Siegel “Combat Proven” kleben. Ein stärkeres Verkaufsargument als den erfolgreichen Fronteinsatz gibt es nicht.

    Die russische Armee indes hütet sich, ihre modernsten Waffen in der Ukraine einzusetzen. Erstens hat sie zu wenig davon, zweitens muss sie befürchten, dass sie den Ukrainern in die Hände fallen. Das gilt vor allem für den Armata, den Panzer-Experten als viel zu komplex für den Kriegseinsatz in der Ukraine bezeichnen.

    Ein Grund ist: Früher konnte die Besatzung ihren Panzer selbst reparieren. Heute werden Mechatroniker und Software-Administratoren gebraucht. Die hat die russische Armee nicht. Bei einem Defekt wäre der Armata leichte Beute der Ukrainer, die ihn sofort an die Amerikaner weitergäben. Den USA und anderen Nato-Staaten bieten Beutewaffen wertvolle Einblicke in russische Systeme. So wurden inzwischen bereits Raketen, Drohnen, Flugzeugteile und ein Flugabwehrraketensystem Panzir zur Begutachtung in die USA gebracht.

    Präzisere Sanktionen nötig

    Ein Ergebnis der Untersuchung erbeuteter Waffen ist, dass wesentliche Bauteile nicht zuletzt der von Iran gelieferten Drohnen aus den USA, Japan und anderen westlichen Ländern stammen (siehe Medienschau). Für die Frage, wie die EU und andere westliche Staaten auf Russlands Kriegsmaschinerie wirken können, ist daher eine genaue Analyse der legalen und illegalen Beschaffungen westlicher Bauelemente durch russische (und etwa iranische) Rüstungsunternehmen nötig.

    Politischen Druck konnten die westlichen Sanktionen nicht bewirken, aber sie haben nachweislich die Aufrüstung Russlands gebremst. Präzisere Sanktionen hätten möglicherweise eine stärkere Wirkung gehabt. Marco Seliger, Viktor Funk

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    Einschlag in Polen: Ukrainische Rakete hatte Ziel verloren

    Eine ukrainische Abwehrrakete soll eine russische Angriffsrakete in der Luft zerstören. Sie verfehlt ihr Ziel, fliegt weiter und schlägt ein, wo sie nicht einschlagen soll: auf Nato-Gebiet in Polen. So ist es vor einer Woche mit großer Wahrscheinlichkeit geschehen. Russland und Nato bemühten sich schnell um Deeskalation. Die Russen sagten, sie waren es nicht. Und der Nato war klar, dass ein Vorfall wie dieser – technisch betrachtet – auch der Ukraine passiert sein kann.

    Kurz nach dem Einschlag tauchten im Internet Fotos der Raketentrümmer auf. Experten identifizierten sie als Reste eines 48D6-Triebwerks, das bei 5V55- oder 48N6-Flugkörpern verwendet wird. Diese Flugkörper werden von Flugabwehrsystemen S-300 und S-400 verschossen.

    Ukrainische Waffensysteme sowjetischen Ursprungs

    Der Lenkflugkörper 5V55 wurde in der UdSSR entwickelt und zu Sowjetzeiten in Leningrad (heute St. Petersburg) sowie Kiew hergestellt. Bis heute produziert die Ukraine Waffensysteme sowjetischen Ursprungs. Dazu zählen auch die Lenkflugkörper des S-300-Systems, mit deren Modernisierung ukrainische Unternehmen vor einigen Jahren beauftragt wurden.

    Die in Polen eingeschlagene Rakete kann also aus sowjetischen, russischen oder ukrainischen Beständen stammen. Es spricht vieles dafür, dass sie von der Ukraine gestartet wurde. Dafür gibt es zwei Anhaltspunkte: die Erfahrung und die Technik.

    Was die Erfahrung lehrt

    Im Juli 2019 schlug auf Zypern eine Rakete ein, die von einem S-200-System in Syrien abgeschossen wurde. Die Einschlagstelle befand sich mehr als 200 Kilometer vom vermuteten Abschussort entfernt. Dieser Vorfall zeigte, dass Boden-Luft-Raketen (Surface-to-air-Missile, SAM), die ihr Ziel verfehlen, über große Entfernungen weiterfliegen können, ehe sie aufschlagen.

    Das zur Einschlagstelle in Polen nächstgelegene russische S-300-Geschütz soll sich aber mehr als 800 Kilometer entfernt befunden haben. Dies spreche dagegen, dass die Rakete von Russland aus gestartet wurde, sagt ein Experte im Gespräch mit Security.Table.

    Wie die Technik funktioniert

    Wahrscheinlich ist folgendes passiert: Die Rakete sollte einen Marschflugkörper bekämpfen. Putins Truppen hatten an jenem Tag fast 100 Ch-101, Ch-555 sowie Kalibr auf die Ukraine gestartet. Die Abfangrakete flog nicht frontal zum Ziel, sondern sie sollte seine Flugbahn kreuzen und in unmittelbarer Nähe explodieren.

    Das Problem ist: Marschflugkörper können manövrieren. In diesem Fall muss die Flugbahn der Abfangrakete angepasst werden. Ukrainische Raketen des S-300-Systems korrigieren ihre Zielauffassung nicht selbst, sondern bekommen ihre Daten von einer Bodenstation. Das erhöht die Treffgenauigkeit, birgt aber Fehlerpotenzial.

    Radar verlor das Ziel

    Zum einen kann das Zielortungsradar der Bodenstation das Ziel verlieren, weil geografische Hindernisse dazwischenliegen. Zum anderen kann die Funkverbindung zum Flugkörper abreißen. In der Westukraine, wo die Abfangrakete mutmaßlich gestartet wurde, gibt es Erhebungen von mehr als 400 Meter Höhe. Dies reicht als Hindernis aus, um eine Radarverbindung abreißen zu lassen.

    Die Wahrscheinlichkeit, sagt der Experte, sei groß, dass das Radar und damit die Rakete das Ziel verlor. Sie stürzte ab, nachdem ihr Treibstoff ausgegangen war. Beim Einschlag starben zwei Menschen.

    Westliche Lenkflugkörper zerstören sich selbst

    Normalerweise sollen verirrte Raketen keinen Schaden anrichten können. Westliche Lenkflugkörper zerstören sich selbst, wenn sie kaum noch Treibstoff haben und das Ziel nicht mehr erreichen können. Bei vielen älteren sowjetischen, russischen und ukrainischen Flugkörpern gibt es diesen Mechanismus nicht.

    Der Grund: Die Raketen sollen auch Ziele am Boden bekämpfen können. Dies erfordert längere Flugzeiten, Boden-Boden-Raketen starten mitunter mehrere hundert Kilometer, Flugabwehrraketen aber in der Regel nur 200 bis 300 Kilometer vom Ziel entfernt. Ein Selbstzerstörungsmechanismus wäre beim Einsatz am Boden unpraktisch.

    Theoretisch, sagt der Raketenexperte, hätte es also auch ein von Russland als Boden-Boden-Rakete gestarteter Lenkflugkörper gewesen sein können. Praktisch aber spreche so gut wie alles dafür, dass eine in der Westukraine gestartete Abfangrakete einen in Russland oder Belarus abgefeuerten Marschflugkörper verfehlt habe.

    Damit der Luftraum über Polen in Zukunft sicherer wird, will Deutschland helfen. Am gestrigen Montag vereinbarten die Verteidigungsministerien Deutschlands und Polens eine Kooperation: Deutschland bietet mit Patriot-Flugabwehrsystemen und Combat Air Patrolling durch Eurofighter seine Unterstützung an. Das Angebot für einen Beitrag zum Schutz des polnischen Luftraums sei unmittelbar nach dem Vorkommnis unterbreitet worden, hieß es in einer Mitteilung aus dem Ministerium von Christine Lambrecht (SPD). Marco Seliger

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    Verschleppt und assimiliert – Ukraine kämpft um deportierte Kinder

    Die ukrainische Regierung wirft dem Internationalen Komitee des Roten Kreuzes (ICRC) vor, zu wenig für die Rückkehr nach Russland deportierter ukrainischer Kinder zu tun. Sogar von “Passivität” des ICRC sprach der Leiter des Präsidialbüros, Andrij Jermak, in einer eigens dafür anberaumten Sitzung des ukrainischen Koordinationsrates für Fragen des Kinderschutzes. Anlass der Sitzung war der vergangene G20-Gipfel. Extra zu diesem Termin sollte das Thema in die Öffentlichkeit, denn es gibt neue Zahlen:

    • Mindestens 11.225 ukrainische Kinder gelten als deportiert
    • Mindestens 327 gelten als “verschwunden”
    • Mindestens 437 sind getötet und 839 Kinder im Krieg verwundet worden.

    Die Daten stammen vom offiziellen ukrainischen Portal “Diti wijny” (Kinder des Krieges). Angehörige können dort vermisste Kinder melden und Augenzeugen Verschleppungen.

    Ausmaß wird langsam sichtbar

    Andrij Jermak klagte: “Die Russische Föderation setzt ihre Verbrechen im Zusammenhang mit ukrainischen Kindern fort. Sie werden weiterhin aus dem Land gebracht. Wegen der außerordentlich passiven Haltung in Teilen des ICRC sind wir derzeit nicht in der Lage genau zu sagen, wie viele unserer Kinder sich wo aufhalten.”

    Die Zahl der als deportiert gemeldeten Kinder steigt, je mehr Gebiete die ukrainische Armee befreit. Das Portal “Diti wijny” wurde erst im August freigeschaltet, Ende September waren 7890 Kinder als deportiert registriert, jetzt sind es 11.225.

    Assimilation schon in der Sowjetunion üblich

    Nach dem Überfall auf die Ukraine verhinderte Russland die Flucht der Bevölkerung aus der östlichen in die westliche Ukraine. Wer das Kriegsgebiet verlassen wollte, konnte nur nach Russland fliehen, einige wenige nach Belarus. Kinder, die ohne Eltern kamen, sollen nach dem Willen Russlands leichter adoptiert werden können. Dafür hat Präsident Wladimir Putin im Mai entsprechende Gesetze unterzeichnet.

    Im imperialen Verständnis und in der Tradition der Sowjetunion integriert, genauer gesagt assimiliert Russland auf diese Weise Kinder aus Minderheitengruppen oder eroberten Gebieten in seine Kultur. Zu Sowjetzeiten wurden Nomadenvölker in Sibirien, Kasachstan oder dem Kaukasus zwangsweise sesshaft gemacht und Russisch im gesamten Land als dominierende Sprache durchgesetzt.

    Bildungswesen in besetzten Gebieten soll russifiziert werden

    Die Verantwortliche für die Rechte der Kinder in Russland, Maria Lwowa-Belowa, sprach im Frühherbst von “erfolgreichen Anpassungen” von Kindern, die ihre “Liebe zu Russland” entwickelten. In ihren jüngsten Mitteilungen via Telegram kündigt sie derweil die Umstellung des Bildungssystems im ukrainischen Melitopol auf das russische Kurrikulum an.  

    Die letzte vom russischen Verteidigungsministerium genannte Zahl von Menschen aus “evakuierten” Gebieten in der Ukraine ist vom 26. August. Demnach sollen mehr als 3,68 Millionen Menschen aus der Ukraine nach Russland gebracht worden sein unter ihnen 587.186 Kinder. Nicht wenige sind unfreiwillig ausgereist. Wer keine Angehörigen hatte und beispielsweise in Jugendheimen lebte, taucht nicht in der ukrainischen Liste der Deportierten auf. Dort müssen die Fälle einzeln eingetragen werden.

    Deshalb dürften die Zahlen der ukrainischen Behörden eher noch zu niedrig liegen. Lediglich 69 Kinder konnte die Ukraine nach eigenen Angaben bisher aus Russland zurückholen. Aus Enttäuschung über die Arbeit des ICRC setzt Kiew nun auf die UN und andere Partnerorganisationen.

    Verschleppung von Kindern ist ein Merkmal des Genozids

    Es ist unwahrscheinlich, dass Russland die Umsiedlung so großer Gruppen von Anfang an geplant hat. Eine entsprechende Koordinierungsstelle für den komplizierten Prozess der Aufnahme, Versorgung und Integration der Geflüchteten wurde erst im März gegründet, als der Traum des Kremls von der schnellen Unterwerfung Kiews geplatzt war.

    Die erzwungene Umsiedlung und Adoption von Kindern einer Gruppe durch eine andere ist einer von fünf Punkten der UN-Definition des Genozids. Die russische Regierung räumt diese Praxis freimütig ein. Einige ukrainische Kinder sollen nun sogar fürs Militär vorbereitet werden. Das erklärte Tschetscheniens Machthaber Ramsan Kadyrow vergangene Woche auf seinem Telegram-Kanal. Rund 200 “schwer erziehbare” Jugendliche, die unter anderem aus östlichen ukrainischen Gebieten stammen, sollen in der tschetschenischen Hauptstadt Grosny ein “patriotisches Programm” durchlaufen.  

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    “Wir bräuchten jetzt mal eine Blut-Schweiß-Tränen-Rede”

    Deutschland & Ukraine: Porträtfoto von Harald Welzer mit Brille und grauem Anzug.
    Harald Welzer ist Sozialpsychologe und Publizist.

    Herr Welzer, vor einer Woche schlug eine Rakete auf polnischem Gebiet ein. Ginge es nach einer großen deutschen Zeitung, stünde die Nato jetzt im Krieg mit Russland. Wie gefährlich sind Schlagzeilen in krisenhafter Zeit, die auf unzureichenden Informationen beruhen?

    Kriegsgeschrei ist nichts Neues aus dem Hause BILD. Aber man kann an dem Beispiel sehen, dass reale Konstellationen in der Berichterstattung zugunsten der Erregung und Aufmerksamkeit keine Rolle mehr spielen. Wirklichkeit wird unwichtig.

    Was macht das mit der Politik?

    Es bringt ein höheres Maß an Irrationalität in die so dringend nötigen sachlichen Debatten.

    Was resultiert daraus?

    Nehmen Sie den Tweet von Frau Strack-Zimmermann an jenem Abend bei Twitter, in dem sie ungeprüft von russischen Raketen spricht. Sie ist die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, das ist unverantwortlich in ihrer Position. Wenn man sich als Politiker permanent in Situationen der Zuspitzung bewegt, wird das Spektrum von Handlungsmöglichkeiten kleiner. Heißt, die Politik gerät in immer größeres Risiko, unvernünftig zu agieren. Das ist gefährlich.

    Andere sollen für unsere Sicherheit sorgen

    Eine Umfrage der Körber-Stiftung kommt zu dem Ergebnis, dass 80 Prozent der Deutschen die Sorge haben, der Ukraine-Krieg könnte auf Nato-Gebiet überschwappen. Zugleich lehnen 68 Prozent der Bürger eine militärische Führungsrolle Deutschlands in Europa ab. Was sagt das über unsere Gesellschaft aus? 

    Da die Deutschen schlechte Erfahrungen mit Führung und Krieg haben, die auch über die Generationen hinweg tief sitzen, ist diese Zweiseitigkeit der Perspektive nicht verwunderlich. 

    Wir leben aber wieder in einer Zeit, in der sich die Macht eines Landes nicht primär über wirtschaftliche, sondern über militärische Stärke definiert. Wovon zeugt es, wenn sich eine Gesellschaft dieser Realität verweigert? 

    Ich würde nicht sagen, dass sie sich verweigert. Die Identität der Bundesrepublik basierte im Wesentlichen darauf, wirtschaftlich stark zu sein. Nach 1989 kam die Annahme der Politiker hinzu, dass es große Kriege nicht mehr geben würde. Sie standen damit nicht allein. Die Militärwissenschaften sprachen von Terrorismus und den “neuen Kriegen” als Hauptbedrohung, weshalb wir keine großen Armeen mehr bräuchten und sich die Staaten durch Handel immer weiter annäherten. Was übrigens auch durchgängig die Auffassung im politischen Journalismus war. 

    Heute wissen wir, dass diese Annahme falsch war. Unsere Politiker sagen, die Nato sei in dieser krisenhaften Zeit unsere Überlebensgarantie. Zugleich will aber unsere Gesellschaft nicht, dass wir in Europa mehr militärische Verantwortung übernehmen. Warum nehmen wir an, dass Andere für unsere Sicherheit sorgen werden? 

    Weil das schon immer so war und wir aus dem Nachhall der historischen Erfahrung keine deutsche Führungsrolle wollen. Unserer Mentalität nach soll vielleicht der deutsche Ingenieur führend sein – was er nicht mehr ist – aber eine politische, gar militärische Führung will in diesem Land niemand einnehmen. Damit hat man schlechte Erfahrungen gemacht und lässt sich darum lieber vertreten. 

    Deutsche mögen es, wenn man sich nicht so offensiv darstellt

    Warum übernehmen die Politiker keine Führung und erklären der Gesellschaft die heutigen sicherheitspolitischen Notwendigkeiten? 

    Dafür haben wir nicht die richtige Regierung. Scholz kann möglicherweise einiges, aber nicht kommunizieren. Sein politisches Agieren ist eher erratisch. Er ist gewählt worden, weil er von allen Kanzlerkandidaten Frau Merkel am nächsten kam. Die Deutschen mögen es, wenn man sich nicht so offensiv, manifest und mit Machtmitteln international darstellt. 

    Dann macht er es doch richtig: Er bewahrt die Deutschen vor größeren Zumutungen. Oder würden wir sie schon ertragen, nur Scholz traut sich nicht?

    Aus einer Allensbach-Umfrage wissen wir, dass 65 Prozent der Bürger dieser Regierung nicht zutrauen, die anstehenden Probleme zu lösen. Da müsste man sich schon mal überlegen, ob man nicht besser erklärt, was man macht, wenn man die Lösungskompetenz für sich beansprucht. 

    Wie könnte es Scholz besser machen? 

    Jedenfalls nicht mit wolkigen Metaphern wie Zeitenwende, sondern indem er den Bürgern unmissverständlich klarmacht, dass die Zeiten des beständigen Wohlstandzuwachses, der beständigen Externalisierung von allem möglichen, inklusive der militärischen Sicherheit, ein für alle Male vorbei sind. Es bräuchte jetzt mal eine “Blut-Schweiß-Tränen-Rede”. 

    Putins Atomdrohungen gut kalkuliert

    Sie spielen auf Churchills Rede im Mai 1940 vor dem britischen Unterhaus an, als er das Land auf die Härten und Leiden des Krieges gegen Nazi-Deutschland einschwor. Nun droht aber Russlands Präsident Putin mit Atomwaffen. Auf viele Deutschen wirken diese Drohungen einschüchternd. Woraus resultiert diese Angst? 

    Putins Drohungen sind psychologisch gut kalkuliert. Leider ist der Einsatz von Atomwaffen keine reine Fantasie, sondern es handelt sich um die reale Möglichkeit einer Atommacht, so unwahrscheinlich der Einsatz dieser Waffen auch sein mag. Dass wir uns darüber Gedanken machen, finde ich richtig. 

    Die US-Regierung behauptet, sie lasse sich durch solche Drohungen nicht einschüchtern. 

    Kein Wunder, die Amerikaner sind weit weg vom Geschehen in Europa. Hier haben die Leute Angst vor einem entgrenzten Krieg. Nach den Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs ist das nachvollziehbar. Selbst wenn die Generation ausstirbt, die diesen Krieg erlebt hat, so leben ihre Erinnerungen in den jüngeren Generationen fort. 

    Harald Welzer ist Sozialpsychologe und Publizist. Mit Sönke Neitzel hat er die international breit wahrgenommene Studie “Soldaten. Protokolle vom Kämpfen, Töten und Sterben” veröffentlicht und gerade gemeinsam mit Richard David Precht das Buch “Die vierte Gewalt – Wie Mehrheitsmeinung gemacht wird, auch wenn sie keine ist” publiziert.

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    Nationale Sicherheit gefährdet – Regierung verweigert Antworten zu Munitionsvorräten

    Das hat es selten gegeben: Die Bundesregierung hat sich in einer gestern versendeten Antwort auf eine Kleine Anfrage der Unionsfraktion im Bundestag auf die nationale Sicherheit (“aus Gründen des Staatswohls”) berufen und sich geweigert, einen Teil der Parlamentsfragen zu beantworten. Im Kern ging es um die Munitionsvorräte der Bundeswehr, ein in Kriegszeiten hochsensibles Thema.

    In ihrem Fragenkatalog wollte die Union unter anderem wissen, welche verbindlichen Zusagen über Munitionsvorräte die Bundesregierung gegenüber der Nato gemacht hat, wie viel Munition die Bundeswehr derzeit verfügbar hat und wie lange es dauert, Munition zu beschaffen.

    Gegenstand dieser Fragen seien Informationen, die in besonders hohem Maße das Staatswohl berührten und daher selbst in eingestufter Form nicht beantwortet werden könnten, antwortete die Regierung. Das Frage- und Informationsrecht des Bundestages gegenüber der Bundesregierung werde durch gleichfalls Verfassungsrang genießende schutzwürdige Interessen wie das Staatswohl begrenzt.

    “Eine Offenlegung der angefragten Informationen birgt die Gefahr, dass Einzelheiten über schutzwürdige Interessen unseres Staates sowie die künftige Arbeitsfähigkeit und Aufgabenerfüllung der Bundeswehr bekannt würden”, heißt es weiter. Mittels dieser Informationen werde eine detaillierte Lage über die Einsatzbereitschaft und Kampfkraft wesentlicher Teile der Bundeswehr aktuell und für die nächsten Jahre abgegeben.

    Darüber hinaus ließen sich Rückschlüsse auf die entsprechenden Planungen der Nato und auf die Verteidigungsfähigkeit des Bündnisses ziehen. Daher halte die Bundesregierung die Informationen der angefragten Art für so sensibel, dass selbst ein geringfügiges Risiko des Bekanntwerdens unter keinen Umständen hingenommen werden könne.

    Selbst eine in sensiblen Fällen übliche Einstufung als Verschlusssache und Hinterlegung der angefragten Informationen in der Geheimschutzstelle des Bundestages wollte die Regierung aus Sicherheitsgründen nicht vornehmen. Die angefragten Inhalte beschrieben die Einsatzbereitschaft und Kampfkraft wesentlicher Teile der Bundeswehr sowie die Planungen der Nato so detailliert, dass eine Bekanntgabe auch gegenüber einem begrenzten Kreis von Empfängern ihrem Schutzbedürfnis nicht Rechnung tragen könne.

    Jens Lehmann, Berichterstatter des Heeres für die Unionsfraktion, beklagte, die Bundesregierung verweigere dem Verteidigungsausschuss jede Information. “Das ist eine grobe Missachtung der Kontrollbefugnisse des Parlaments”, teilte er gestern Abend mit.

    Sowohl Verteidigungsministerin Christine Lambrecht als auch Bundeswehr-Generalinspekteur Eberhard Zorn hatten bereits länger öffentlich gemacht, dass die Bundeswehr rund 20 Milliarden Euro benötigt, um die Munitionsvorräte der Streitkräfte auf den von der Nato verlangten Vorrat aufzustocken. Die Union hatte zu dieser Zahl Aufschlüsselungen verlangt.

    Eine Verweigerungshaltung der Regierung gegenüber dem Parlament ist selten, gleichwohl vom Bundesverfassungsgericht gedeckt. Evident geheimhaltungsbedürftige Informationen muss die Bundesregierung einem höchstrichterlichen Urteil zufolge nicht offenlegen. tw/ms

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    Macrons Budgetplan gefährdet FCAS

    Die französische Wirtschaftszeitung La Tribune hat Frankreichs Etatpläne enthüllt, die das deutsch-französische Rüstungsprojekt Future Combat Air System (FCAS) gefährden könnten. Demnach will Staatspräsident Emmanuel Macron 410 Milliarden Euro für das Projekt “Armées 2030” veranschlagen. Dieses Budget reiche dem Bericht zufolge allerdings nicht für alle bereits geplanten Projekte.

    Zu den Einsparplänen, die die Zeitung nennt, gehört neben dem Panzerprojekt MGCS auch FCAS. Die beiden deutsch-französischen Beschaffungsvorhaben sollen um zwei Jahre nach hinten geschoben werden. Ende voriger Woche wurde nach monatelangem Streit eine Einigung zwischen den Industriepartnern Airbus und Dassault erzielt.

    Sie sieht den Baubeginn für einen Demonstrator noch in diesem Jahr vor. Wie ein Airbus-Sprecher gegenüber Security.Table erklärte, gibt es allerdings noch keinen Vertrag. “Es müssen in den jeweiligen Ländern noch einige formale Prozessschritte eingehalten werden, damit der Vertrag in Kürze unterzeichnet werden kann”, sagte er.

    Eric Trappier, CEO von Dassault, relativierte gestern im französischen Fernsehen die Berichte über eine Einigung und sagte, dass man sich noch am Anfang des Prozesses befinde, auch wenn es Fortschritte gebe. Er sprach von einer “politischen Pseudoankündigung” Deutschlands.

    Eine Verschiebung von FCAS auf französischer Seite könnte das Ende des Projekts bedeuten. Auf deutscher Seite kündigte ein Mitglied des Haushaltsausschusses an, dass es kein Geld mehr für das Projekt gebe, wenn es bis zum kommenden Frühjahr keine Einigung zwischen den deutschen und französischen Industriepartnern gebe, wie Security.Table berichtete.

    Im deutschen Verteidigungshaushalt sind für das nächste Jahr 480 Millionen Euro für FCAS vorgesehen, die allerdings erst diese Woche mit dem Bundeshaushalt im Parlament bestätigt werden sollen. bub/nana 

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    Russlands Abhängigkeit von Steuereinnahmen aus Gas- und Öl-Exporten wächst

    Der Krieg in der Ukraine lässt Russlands Steuereinnahmen außerhalb des Gas- und Ölsektors stark sinken: 20 Prozent weniger nahm das Finanzministerium im Oktober im Vergleich zum Vorjahresmonat außerhalb der Öl- und Gasbranche ein. Obwohl die russische Regierung diese Verluste dank stark gestiegener Gas- und Öl-Preise ausgleichen konnte, bahnt sich ein großes Problem an.

    Die Abhängigkeit von diesen Geldquellen wächst. In den vergangenen Jahren trug die Öl- und Gasbranche zu gut einem Drittel des russischen Staatsbudgets bei. Stiegen die Öl- und Gaspreise, nahm der Anteil zu – aber auch die Einnahmen aus anderen Branchen wuchsen. Diese brechen jetzt massiv weg. Die lange angestrebte Diversifizierung der Steuereinnahmen verschlechtert sich.

    Zudem sind auch die Gas-Exporte in westliche Richtung nach dem Stopp der Nord Stream I- und II-Pipelines weitgehend ausgefallen. Gazproms Gewinn sank im Oktober um ein Drittel im Vergleich zum Vormonat, als die Exporte via Nord Stream I und II noch liefen.

    Der Druck auf das russische Staatsbudget steigt. Der Kreml erhöhte deshalb die Steuer auf Förderung von Bodenschätzen. In Folge musste Gazprom im Oktober mehr als 1,28 Billionen Rubel (mehr als 21 Milliarden Euro) an das Finanzministerium abführen. Das ist doppelt so viel wie im September. Um dies zu erreichen, musste der Gasriese auf seine Reserven zurückzugreifen.

    Die Folgen der angespannten Haushaltslage spüren inzwischen auch Kranke in Russland. So musste das Gesundheitsministerium bereits Mittel für teure Präparate reduzieren. In zwölf russischen Regionen klagen Menschen mit HIV, dass teure antiretrovirale Medikamente nicht mehr verfügbar sind. Im kommenden Jahr werde außerdem der Teil an Haushalten mit niedrigen Einkommen wachsen, prognostizieren russische Ökonomen, “die Hauptleidtragenden werden Vertreter der Mittelschicht sein”. vf

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    Reiche Staaten geben 30 Mal mehr aus für Militär als für Klima

    Die reichsten Staaten geben 30 Mal mehr für ihr Militär aus, als sie an Mittel im Bereich Klimaschutz an die anfälligsten Länder zahlen. Das zeigt eine Studie der NGO Transnational Institute (TNI).

    Viele Militärs würden hervorheben, dass sie grüner werden wollen. Doch laut TNI sei das schwer möglich:

    • Das Militär habe noch keine geeigneten Kraftstoffalternativen gefunden, vor allem Alternativen für Flugzeuge und Kampfjets seien zu teuer
    • Die meisten der erklärten “Netto-Null-Ziele” basieren laut TNI auf falschen Annahmen und basieren auf der Ansicht, dass in Zukunft Carbon Capture Technologien verfügbar seien
    • Neue Waffensysteme würden mehr Treibstoff verbrauchen als Vorgänger-Versionen.

    Laut den Autoren könnten die jährlichen Militärausgaben der zehn Staaten mit den größten Ausgaben die versprochene internationale Klimafinanzierung für 15 Jahre – 100 Milliarden US-Dollar pro Jahr – stemmen.

    Militär verursacht 5,5 Prozent der weltweiten Emissionen

    Weltweit ist das Militär für schätzungsweise 5,5 Prozent der CO2-Emissionen verantwortlich. Circa ein Fünftel davon geht auf “betriebliche Emissionen”, beispielsweise auf Militärbasen, zurück. Der Großteil stammt aus Lieferketten (Scope 3-Emissionen), wie eine neue Studie der Scientists for Global Responsibility und des Conflict and Environment Observatory zeigt. Wäre das globale Militär ein Land, hätte es demnach den viertgrößten CO2-Fußabdruck der Welt.

    Die Autoren konnten nur auf einen kleinen Ausschnitt offizieller Daten zurückgreifen. Emissionsdaten für das Militär sind oft unvollständig, in zivilen Kategorien versteckt oder werden gar nicht erhoben, so die Studie. Das Pariser Klimaabkommen schreibt die Berichterstattung über militärische Emissionen nicht vor und überlässt es den Staaten, freiwillig Daten zu veröffentlichen. “Dass die Länder nicht dazu verpflichtet sind, die Emissionen ihres Militärs und der Rüstungsindustrie offenzulegen, ist inakzeptabel”, betont Angelika Claußen, Vorsitzende der Internationalen Ärztinnen und Ärzte für die Verhütung des Atomkriegs. nib

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    Der IS rekrutiert unter verarmten Libanesen

    Gruppen der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) locken offenbar erfolgreich junge Männer aus dem Libanon in die eigenen Reihen. Vor allem Personen ohne Arbeit und Einkommen sind Ziel der Organisation. Obwohl der IS seit 2019 als quasi-staatliche Struktur nicht mehr existiert, sind kleinere Gruppierungen weiterhin aktiv und verüben unter anderem im Irak und in Syrien immer wieder Anschläge.

    Nach einem Bericht der BBC hat die irakische Armee bei einem Angriff auf mutmaßliche IS-Terroristen neun Menschen getötet, darunter auch Libanesen. “Normalerweise schließen sich Menschen aus Europa dem IS wegen ideologischer Gründe an. Aber die Menschen, die sich von hier dem IS anschließen, tun das wegen der Armut”, zitiert BBC den Richter Nabil Sari aus Tripoli.

    Libanon befindet sich seit drei Jahren in einer katastrophalen ökonomischen Lage. Vor allem drei Ereignisse sind dafür verantwortlich: Die Finanzkrise von 2019 löste das heutige Problem aus, Corona vertiefte die Krise, und die Folgen des Explosionsunfalls im Hafen von Beirut verfestigten sie.

    Das Bruttoinlandsprodukt fiel um mehr als die Hälfte von 52 Milliarden US-Dollar im Jahr 2019 auf 23,1 Milliarden US-Dollar in 2021, analysiert die Weltbank in einem Länderbericht. Auch für die nahe Zukunft sieht die Weltbank keine Zeichen für Optimismus: Die Arbeitslosigkeit wuchs von 11,4 Prozent in 2019 auf aktuell 29,6 Prozent. vf   

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    China-Strategie: Peking bezichtigt Deutschland der Lügen und Gerüchte

    Die chinesische Regierung hat den Entwurf für eine neue China-Strategie aus dem Auswärtigen Amt scharf kritisiert. In einer Stellungnahme des chinesischen Außenministeriums hieß es, die Einstufung Chinas als “Wettbewerber” und “systemischer Rivale” sei ein “Erbe des Denkens aus dem Kalten Krieg”.

    Die chinesische Seite bezeichnete das Papier als eine “Verunglimpfung Chinas durch die deutsche Seite”. Das Papier sei voll von “Lügen und Gerüchten”. Das Papier definiert China als Partner, Wettbewerber und systemischen Rivalen.

    Geht es nach dem Willen von Außenministerin Annalena Baerbock, sollen im Umgang mit China vor allem die Menschenrechte eine größere Rolle spielen und die Beziehungen zu Taiwan ausgebaut werden. Zudem sollen wirtschaftliche Abhängigkeiten “zügig und mit für die deutsche Volkswirtschaft vertretbaren Kosten” abgebaut werden.

    Die neue China-Strategie steckt allerdings noch in der Abstimmungsphase mit den anderen Ministerien, vor allem aber mit dem Kanzleramt. Vor einer endgültigen Verabschiedung soll nach Aussage von Stefan Mair, Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik, erst die nationale Sicherheitsstrategie vorgestellt werden (Security.Table berichtete). flee

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    Studie: Wachsendes Bewusstsein in Wirtschaft für geoökonomische Risiken

    Der öffentliche und der private Sektor müssen enger zusammenarbeiten, um geopolitische Risiken und die Folgen politischer Entscheidungen besser zu verstehen. So heißt es in einer heute veröffentlichten Studie des Thinktanks Finnish Institute of International Affairs (FIIA). 

    Die Covid-19-Pandemie und Russlands Krieg in der Ukraine hätten gezeigt, dass Großmächte politische Maßnahmen für wirtschaftliche Zwecke nutzen. “Die Unternehmen sind nun mit neuartigen Risiken konfrontiert, von Finanzsanktionen bis hin zu Handelsembargos”, sagt Mikael Wigell, Leiter der Studie. Deshalb sei eine neue Form der Zusammenarbeit nötig, um beide Seiten aufeinander abzustimmen.

    “Regierungen greifen in die Geschäfte ein, während Unternehmen sich entscheiden können, Regierungsziele zu unterstützen oder zu untergraben”, heißt es in der Studie. Zwar sei das Bewusstsein für geoökonomische Risiken bei Unternehmen gewachsen, dennoch sei ein stärkerer Fokus auf diese Themen nötig. 

    In Deutschland dürfte die Studie aufgrund der Debatte um den Teilverkauf des Hamburger Hafens an den chinesischen Staatskonzern Cosco und die Diversifizierung der Energieversorgung auf großes Interesse stoßen. 

    Mit der Studie liefert das Team um Wigell Handreichungen für eine bessere Koordinierung zwischen Politik und Wirtschaft, etwa die Einrichtung eines Dialogforums auf strategischer Ebene oder die Durchführung regelmäßiger geoökonomischer Risikobewertungenbub 

    • Geostrategie

    Presseschau

    Reuters – Red tape, potholes and politics hamper NATO’s defence efforts as the Russia threat rises: Nicht nur auf Twitter beschweren sich Menschen über die Deutsche Bahn. Ben Hodges, bis 2017 Kommandeur der U.S. Army in Europa, kritisiert, dass Europas Infrastruktur nicht für den Kriegsfall gerüstet ist. Das geht von ungenügenden Zugkapazitäten oder schlechten Straßen bis zu behäbigen bürokratischen Strukturen. Reuters wirft einen Blick in die europäischen Länder und zeigt, wo infrastrukturell aufgebaut werden muss und wo es selbstgemachte Probleme gibt.
     
    Newsweek – Leaked FSB Letters Reveal Civil War Among Putin’s Allies: Das US-amerikanische Magazin beruft sich auf geleakte E-Mails des russischen Geheimdienstes FSB, die einen “unvermeidbaren” Bürgerkrieg prognostizieren. Risse täten sich im Kreml zwischen dem Gründer der Wagner-Gruppe, Jewgeni Prigoschin, und Wladimir Putin auf. Weil Prigoschin weniger Einfluss nicht mehr akzeptieren würde, bereite er Brigaden für “innerrussischen Terror” vor. Wenn die Leaks echt sind, drohen Putin schwere Zeiten. Wenn nicht, zeigen sie zumindest, wie Information Warfare funktioniert.
     
    Podcast: Center for Strategic and International Studies – Yemen in Conflict: Die Jemen-Expertin Helen Lackner erklärt, wie sich der Krieg in Kontinuitäten einordnet und wie das Land kurzzeitig auf einem guten Weg in Richtung Demokratisierung zu sein schien. Im zweiten Teil besprechen Jon Alterman, Natasha Hall und Calep Harber US-amerikanische Ziele im Jemen.
     
    The Warzone – This Is How Taiwan’s Military Would Go To War With China: Roy Choo analysiert sehr konkret, wie ein Angriff durch China auf Taiwan aussehen könnte, wie Taiwans Verteidigung dafür gerüstet ist und wie es sie einsetzen könnte. Schlechte Interoperabilität mit amerikanischen Streitkräften könnte zum Problem werden.
     
    The Wall Street Journal – Ukrainian Analysis Identifies Western Supply Chain Behind Iran’s Drones: Der Iran baut die Drohnen, die in der Ukraine eingesetzt werden, auch mithilfe westlicher Teile, sagen ukrainische Aufklärungskräfte. Der Geheimdienst schätzt, dass drei Viertel der Drohnenteile aus den USA stammen, schreibt Ian Talley. Es sollen auch Teile vom deutschen Unternehmen Infineon stammen, was der Konzern dementiert.

    Standpunkt

    Es geht schon lange nicht mehr “nur” um Mali

    Von Ulf Laessing
    Porträtfoto von Ulf Laessing mit Brille und blau-weißem Hemd.
    Ulf Laessing leitet das Regionalprogramm Sahel der Konrad-Adenauer-Stiftung in Mali.

    Trotz vieler Bedenken: Die Mission der Bundeswehr in Mali ist sinnvoll, um etwas Stabilität in den Norden des Landes zu bringen. Dort sind seit dem Abzug der französischen Armee mit ihrer Anti-Terror-Mission die Dschihadisten auf dem Vormarsch. Sie haben in den vergangenen Monaten Territorium eingenommen und erstmals seit einem Jahrzehnt wieder kurzzeitig eine kleine Stadt unter ihre Kontrolle gebracht.

    An die großen Städte wie Gao trauen sie sich nicht ran. Noch nicht, solange die Deutschen da sind, sagen die Bewohner Gaos. Deutschland hat ein Interesse an einem stabilen Nord-Mali, weil die Dschihadisten sich von hier in die Nachbarstaaten und sogar die Küstenländer wie Elfenbeinküste und Togo ausbreiten. Es geht schon lange nicht mehr nur um Mali, sondern um die Stabilität Westafrikas.

    Eintausend Russen in Mali, darunter viele Söldner

    Doch in letzter Zeit mehren sich die Zweifel, ob eine Zusammenarbeit mit Mali noch sinnvoll ist. Die Militärregierung, die im August 2020 an die Macht gekommen ist, hat die für Februar geplanten Wahlen um zwei Jahre verschoben und die militärische Zusammenarbeit mit Russland deutlich ausgebaut.

    1000 Russen sind im Land, viele von ihnen offenbar Söldner der berüchtigten Wagner-Gruppe. Als Reaktion darauf hat Frankreich seine Truppen bereits abgezogen. Andere europäische und afrikanische Länder folgen jetzt (siehe Analyse).

    EU fürchtet malische Kooperation mit Wagner-Gruppe

    Auch der europäischen Ausbildungsmission (EUTM) droht das Aus. Die EU hatte die Mission im Mai zunächst suspendiert. Sie wollte keine weiteren malischen Truppen ausbilden, die dann mit russischen Söldnern ins Feld ziehen. Ihr Verhältnis mit der Regierung in Mali verbesserte sich aber nicht.

    Jetzt hat die tschechische Missionsleitung den Rückzug angekündigt. De-facto bedeutet dies das Ende der Mission. Prag will sogar seine Botschaft in Bamako schließen und wie andere Europäer einschließlich der Bundeswehr das Engagement im Nachbarstaat Niger ausweiten.

    Kriegsverbrechen durch russische Söldner

    Wagner-Söldner werden immer wieder der Tötung von Zivilisten beschuldigt. Zudem will Russland nicht die eigenen Positionen ausgespäht wissen. Seit Wochen sind die Aufklärungsdrohnen der Bundeswehr am Boden.

    Deutschlands Beziehungen zu Mali sind noch einigermaßen intakt. Es häufen sich aber die Beschwerden der Bundeswehr über die Militärregierung, die die UN-Mission einschränkt, offenbar auf Druck der Russen. Sie wollen vor allem nicht, dass die Minusma Menschenrechtsverletzungen untersucht.

    Bürokratie behindert die Arbeit der Bundeswehr

    Dabei ist die Aufklärung eine Kernaufgabe der Bundeswehr. Die Deutschen sollen für die 13.000-Mann starke UN-Mission ein tägliches Lagebild über terroristische Bedrohungen erstellen, damit Patrouillen sicher das Camp verlassen können. Doch seit der Ankunft der Russen verlangt Mali besondere Genehmigungen für den Drohneneinsatz, der bis zu einer Woche vorher beantragt werden muss.

    Dies macht die Drohnen nutzlos, da sie ein Instrument sind, um schnell auf veränderte Lagen zu reagieren. Seit dem 11. Oktober hat Mali nach Angaben der Bundeswehr keine Genehmigungen mehr erteilt.

    Bereits im Sommer gab es Probleme mit Fluggenehmigungen für Truppenrotationen. Mali verlangt seitdem, dass Anträge zunächst bei der UN-Mission eingereicht werden müssen. Diese ist damit häufig überfordert. Mehrere Stationen bei Minusma müssen die Anträge genehmigen.

    Bei der Bundeswehr gibt es Unverständnis über das bürokratische Vorgehen. Minusma-Mitarbeiter monieren hingegen, dass die Bundeswehr mit Last-Minute-Änderungen zum Bearbeitungsstau beiträgt.

    Der Frust im Auswärtigen Amt wächst

    Bislang hat das Auswärtige Amt den Einsatz gegen Bedenken des Verteidigungsministeriums verteidigt. Aber auch bei den Diplomaten wächst der Ärger. Dennoch sollte Deutschland erwägen, vorerst in Mali zu bleiben.

    Befürworter des Einsatzes hoffen, dass Russland bald die Puste ausgeht. Für Moskau ist Mali wichtig, um Söldner und Waffen zu vermarkten und den Westen zum Abzug zu bringen. Ein Rückzug der Bundeswehr – nach Frankreich – wäre ein geopolitischer Triumph für Putin. Die nächsten Monate werden spannend. Es mehren sich die Gerüchte, dass Russland wegen des Ukraine-Krieges seine Söldner abziehen könnte.

    Bis jetzt ist offenbar auch deren Bezahlung unklar. Russland will nach Aussage von Diplomaten in Gold bezahlt werden. Dazu müsste Mali eine Lizenz für den Goldabbau vergeben. Diese Genehmigungen sind aber in den Händen anderer Unternehmen, die Malis Regierung im Ausland verklagen könnten, wenn ihnen die Lizenz entzogen würde.

    Ein abrupter Abzug würde schaden

    Es ist sinnvoll, angesichts der Probleme über alle Ausstiegsoptionen nachzudenken. Aber einen abrupten Abzug wie aus Kabul sollte Deutschland vermeiden. Er hatte in Bamako im Vorjahr die Befürchtung ausgelöst, der Westen könnte auch Mali im Stich lassen. Die Folge: Die Militär-Regierung suchte den Kontakt zu Moskau.

    Wenn Deutschland jetzt überhastet geht, überlässt es Mali den Russen. Dann könnte sich Putins Schattenarmee als nächstes Niger vornehmen. Zumindest wird dieses Land, aus dem Frankreich Uran für seine Atomkraftwerke bezieht, als ein wichtiges geostrategisches Ziel in Kreml-freundlichen Telegram-Kanälen diskutiert.

    Niger steht bislang fest an der Seite des Westens. Wie in Mali und anderen Staaten des Sahel gibt es auch hier ein anti-französisches Sentiment. Eine russische Delegation besuchte im November Niamey, um eine Militärkooperation auszuloten. 

    • Bundeswehr
    • Geopolitik
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    • Söldner

    Heads

    Claudia Major – “Ich habe Verantwortung, den Ukraine-Krieg zu erklären”

    Porträtfoto von Claudia Major, Sicherheitsexpertin bei der SWP, vor einem hellen Hintergrund.
    Claudia Major leitet bei der SWP die Forschungsgruppe Sicherheitspolitik.

    Der Jetlag sitzt Claudia Major noch in den Knochen. Gerade ist die Leiterin der Forschungsgruppe Sicherheitspolitik bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) aus Tokio wiedergekommen. Dort hat sie mit Vertretern aus Wissenschaft, Wirtschaft und Politik sicherheitspolitische Entwicklungen im indopazifischen Raum erörtert. “Für mich ging es dort darum, die regionalen Sicherheitsherausforderungen, von China und Russland bis Nordkorea, besser zu verstehen und in den größeren Kontext einzuordnen.”

    Denn die europäischen und indo-pazifischen Sicherheitsräume seien verbunden; was dort passiere, betreffe auch die Menschen in Europa. “Wir müssen diese Räume daher mehr zusammen denken. Also: Wie agieren die Schlüsselfiguren China und USA, und was heißt das praktisch für Europa, die Verbündeten und die europäische Verteidigung”, sagt Major. 

    Der Jetlag ist aber nicht der einzige Grund für ihre Müdigkeit. Dieses Jahr ist für Major eines der arbeitsintensivsten in ihrer mehr als 20 Jahre währenden Karriere in der Sicherheitspolitik. “Für Sicherheits- und Verteidigungspolitik hat sich bis Ende des vergangenen Jahres kaum jemand interessiert. Seit Beginn des Krieges in der Ukraine kam zu unserer eigentlichen Forschungs- und Beratungsaufgabe aber enorm viel Medienarbeit dazu”, sagt die 46-jährige gebürtige Berlinerin.

    Kritik gegen Frauen ist anders

    “Ich empfinde es als eine große Verantwortung, Menschen mit meinen Erklärungen zu helfen, die Entwicklungen besser einordnen zu können und im besten Fall politische Entscheidungsträger mit Analysen und Ideen zu unterstützen”, sagt Major. Auffällig: Noch nie zuvor waren Frauen als Expertinnen in einem Krieg so präsent. Ob in der Tagesschau, auf Twitter, in Gastbeiträgen oder in Talkshows: Major, aber auch Sicherheitsexpertinnen wie Jana Puglierin, Sabine Fischer, Franziska Davies, Margarethe Klein oder Janka Oertel ordnen ein, warnen und fordern, wissenschaftlich fundiert, mit Argumenten unterlegt.

    Wie ihre männlichen Kollegen sind auch sie teils heftiger Kritik ausgesetzt. Diese unterscheide sich allerdings in ihrer Qualität, sagt Major. Frauen spräche man die Kompetenz ab, beleidige sie sexistisch, betitele sie als “Kriegstreiberinnen” oder “kriegsgeil”. “Ich habe einen dicken Ordner angelegt für die ganzen Beleidigungen, gegen die ich vorgehen will. Aber aktuell möchte ich meine Energie auf anderes verwenden.”

    Zum Beispiel darauf, jüngere Frauen zu unterstützen und ihnen Raum in der Sicherheitspolitik zu geben. “Damit sie vielleicht schneller wahr- und ernstgenommen werden, als ich es wurde. Denn ich habe schon das Gefühl, meine Expertise mehr unter Beweis stellen zu müssen als einige Kollegen, denen die Kompetenz von vornherein zugesprochen wird.” Nicht zuletzt deshalb engagiert sich Major seit über 15 Jahren im Verein Women in International Security (WIIS).

    Forderung nach schweren Waffen

    Energie braucht Major aber auch für den Spagat zwischen ihrer Führungsposition bei der SWP, inhaltlicher Forschung, Medienarbeit und der wissenschaftlich fundierten Beratung der Abgeordneten, etwa beim Thema Waffenlieferungen an die Ukraine. Major gehört zu den Stimmen, die Lieferungen schwerer Waffen an das angegriffene Land fordern.

    Diesen Forderungen, sagt Major, liegen aber oft die Ziele zugrunde, die die Bundesregierung selbst formuliert habe. “Ich bin keine Aktivistin, die bestimmte Interessen vertritt. Meine Aufgabe als Think-Tankerin ist es, basierend auf wissenschaftlicher Arbeit, also methodisch sauberer Forschung, Vorschläge zu erarbeiten, wie die Regierung ihre Ziele erreichen kann oder um auf neue Herausforderungen hinzuweisen.” 

    In der Politik höre – zumindest ein Teil – auch genau zu. Trotzdem könne es frustrierend sein, wenn Debatten, die sie bereits vor Monaten anzustoßen versuchte, erst viel später geführt würden, wie die langfristige Ausrichtung der Rüstungsindustrie. “Statt auf den Frust konzentriere ich mich dann aber auf das, was schon passiert ist auf deutscher Seite, und das sollte man nicht kleinreden.” Lisa-Martina Klein

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