Table.Briefing: Security

Pistorius’ MSC-Premiere + Finnland ohne Schweden in die Nato? + Skepsis gegenüber China

  • Pistorius punktet mit klaren Worten
  • Kallas: “Wir haben die Deutschen vermisst”
  • Finnischer Alleingang in die Nato möglich
  • USA und China geraten hart aneinander
  • Nikel: “Deutschland muss Vertrauen wiederherstellen”
  • Heads: Reza Pahlavi – Führer der Opposition im Exil
Liebe Leserin, lieber Leser,

die Münchner Sicherheitskonferenz 2023 war eine Demonstration der Geschlossenheit – abgesehen von Streitigkeiten zwischen den USA und China praktisch ohne nach außen sichtbare Kontroversen. Umso wichtiger waren die Details in den Aussagen auf der großen Bühne: Wenn Bundeskanzler Olaf Scholz nun davon spricht, Deutschland werde “seine Verteidigungsausgaben dauerhaft auf zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts anheben” – geht er damit hinter seine Aussage in der Zeitenwende-Rede zurück, in der er mehr als zwei Prozent versprochen hatte?

Wenn Macron sein Angebot zum europäischen Dialog über eine gemeinsame Nuklearstrategie aus dem Jahr 2020 erneuert – ist seitdem nichts passiert, oder will der Präsident die Bedeutung der Nuklearmacht Frankreich hervorheben? Und wenn US-Vizepräsidentin Kamala Harris vor allem zusichert, Washington würden russische Kriegsverbrechen verfolgen – ist das ein Schwerpunkt der US-Politik oder will sie ihrem Präsidenten Joe Biden die großen Aussagen für seine Rede in Warschau in dieser Woche überlassen?

Für die als öffentliche Nachricht wiederholte und verstärkte Aussage, die Ukraine könne so lange wie nötig mit Unterstützung rechnen, waren in München ganz andere Treffen wichtiger. Auf den Fluren des Bayerischen Hofs waren immer wieder Politiker, Diplomaten und Offiziere anzutreffen, die auf dem Weg von einem bilateralen Treffen zum nächsten kaum verschnaufen konnten. Die Zusammenkünfte im kleinen Rahmen, oft zwischen Ministern, viel mehr aber zwischen den politischen und militärischen Fachleuten und, auch das ein bestimmender Teil der MSC, mit Industrievertretern, setzten den Kurs für die künftige Ukraine-Hilfe.

Bekannt werden nur die wenigsten dieser Treffen – und wenn, ist es als politische Nachricht ausdrücklich gewollt. So wie die Zusammenkunft des deutschen Verteidigungsministers Boris Pistorius mit seinem polnischen Kollegen Mariusz Błaszczak und der Rüstungsindustrie beider Seiten, verkündet via Twitter. Ebenso das Treffen von deutschen und ukrainischen Wehrtechnik-Firmen. Organisiert nicht vom Verteidigungsministerium, sondern vom Auswärtigen Amt – und vom ukrainischen Außenminister Dmytro Kuleba genauso bewusst ebenfalls als Tweet öffentlich gemacht.

Während die Chefs der Rüstungsunternehmen seit jeher als Teilnehmer der Sicherheitskonferenz dabei sind, hatten sie in diesem Jahr auffallend viele ihrer Fachleute mitgebracht. Details für Nachbestellungen des Geräts, das an die Ukraine abgegeben wurde, sollten ebenso schnell geklärt werden können, wie die der erwarteten neuen Bestellungen der Streitkräfte.

Wegen der Konferenz erscheinen wir ausnahmsweise schon am Montag. Lesen Sie in meiner Analyse, wie sich Boris Pistorius auf seiner ersten MSC geschlagen hat; was Estlands Premierministerin Kaja Kallas im Gespräch mit Nana Brink über die Zusammenarbeit mit Deutschland sagt und wieso ein finnischer Alleingang in die Nato wahrscheinlicher werden könnte. Michael Radunski berichtet, wie das Gespräch zwischen Antony Blinken und Wang Yi zu bewerten ist.Viktor Funk und Till Hoppe haben den früheren Botschafter in Warschau und DGAP-Vizepräsidenten, Rolf Nikel, gefragt, wie man in Polen auf Deutschland blickt. Im Portrait von Lisa-Martina Klein: Reza Pahlavi, iranischer Oppositionsführer und Sohn des früheren Schahs.

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Ihr
Thomas Wiegold
Bild von Thomas  Wiegold

Analyse

Pistorius punktet mit klaren Worten

Der Andrang war enorm. Vor dem kleinen Palaissaal im Bayerischen Hof, der knapp 100 Zuhörerinnen und Zuhörer fasst, gab es schon vor Beginn Gedränge: “Meet the Minister”, triff den Minister, hatte das METIS-Forschungsinstitut an der Bundeswehr-Universität München sein – regelmäßiges – Format überschrieben, mit dem neuen Ressortchef Einblicke in seine Pläne für Ministerium und Bundeswehr entlockt werden sollten.

Der Zustrom war wenig überraschend, schließlich ist die Neugier auf den Minister auch nach einer Serie von Interviews in den ersten Wochen seiner Amtszeit immer noch ungebrochen. Überraschend allerdings, dass sich in der ersten Reihe vor dem Podium die fast komplette politische und militärische Führungsspitze der deutschen Streitkräfte versammelte. Der Generalinspekteur Eberhard Zorn, die Inspekteure praktisch aller Teilstreitkräfte und Organisationsbereiche (außer Luftwaffenchef Ingo Gerhartz, der zu einer Auslandsreise aufbrechen musste), die Parlamentarischen Staatssekretäre, die beamtete Staatssekretärin Margaretha Sudhof, mehrere Abteilungsleiter aus dem Ministerium: Alle hatten an diesem Samstagabend andere Termine beiseitegeschoben, um zu erfahren, was der Minister vorhat.

Minister will “positive Veränderung” in der Bundeswehr

Und da stand natürlich vor allem im Mittelpunkt des Interesses, welche Strukturen – und damit ja auch Posten – Pistorius in seinem Bereich verändern will. Dass sich im Ministerium was ändern muss, daran ließ der Minister keinen Zweifel. Das Organisationsschema des Bundesministeriums der Verteidigung, merkte er trocken an, “hat nach reiner verwaltungswissenschaftlicher Lehre mit einem Organigramm nicht so viel zu tun”.  Es fehle schlicht die klare Definition, “wer wofür verantwortlich ist”.

Auch wenn das die Kenner der Ministeriumsstrukturen in der ersten Reihe wenig überrascht haben dürfte, eine Befürchtung musste der Moderator, der Politikwissenschaftler Carlo Masala, doch noch ausräumen: Ob es denn, nach Jahren der Ministerinnen und Minister mit ihren Ansätzen für Umstrukturierungen, wieder eine Reform geben werde. Pistorius’ Antwort, in dem knappen Stil, den er bereits seit Amtsantritt erkennen ließ: “Nennen Sie es nicht Reform. Positive Veränderung!” Schließlich, erläuterte er, habe er sich vor Amtsantritt nicht vorstellen können, dass die Bundeswehr allein für ihre verschiedenen Varianten der Leopard-Kampfpanzer fünf verschiedene Munitionssorten vorhalten müsse: “Da wird sehr schnell klar, dass wir andere Vorgehensweisen brauchen.”

“Ukraine muss diesen Krieg gewinnen.”

Viele Schwierigkeiten, viele Aufgaben, aber auch viel Optimismus: Das hatte Pistorius bereits zuvor auf der großen Bühne der Sicherheitskonferenz ausgestrahlt. “Ich bin immer optimistisch, schauen Sie mein Gesicht an!”, antwortete er der polnischen Panel-Moderatorin Katarzyna Pisarska. Seine Rede im großen Saal hatte er mit einer historischen Reminiszenz begonnen: “Ich bin ein Kind des Kalten Krieges.”

Dass der fast 63-Jährige in seiner auf Englisch gehaltenen Rede so deutlich wie kein anderes deutsches Regierungsmitglied die Position vertrat “Ukraine must win this war”, die Ukraine muss diesen Krieg gewinnen, brachte ihm die Anerkennung und Zustimmung der internationalen Teilnehmer ein. Ebenso auch sein Eingeständnis, was der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine gezeigt habe: “Europa muss mehr tun. Eine Menge mehr.”

Bald geht es um den nächsten Verteidigungshaushalt

Solche Worte brachten Pistorius in München die Anerkennung ein, die dem Minister – oder der Ministerin – an der Spitze des deutschen Wehrressorts meist nicht zuteil wird – der Kanzler, früher die Kanzlerin, und die Spitze des Auswärtigen Amtes dominiert meist die Wahrnehmung der Teilnehmer. Für den Verteidigungsminister war es ein geglückter Start auf schwierigem Parkett.

Allerdings wird die hohe Schlagzahl, die Pistorius seit Amtsantritt vorlegen musste, auch in den nächsten Wochen nicht nachlassen. Am Samstagabend flog er, ordnungsgemäß entsprechend den Richtlinien für die Nutzung der Flugbereitschaft der Bundeswehr, mit einem verfügbaren Linienflug nach Hause. Am heutigen Montag erwarten ihn ukrainische Soldaten zum Besuch bei ihrer Ausbildung an den deutschen Leopard-Panzern in der Panzertruppenschule in Munster, am Dienstag führt ihm die Marine bei seinem Antrittsbesuch alles vor, was schwimmt und fliegt. Das alles sind allerdings Wohlfühltermine gegen das, was im März auf ihn zukommt: Die Verhandlungen über den nächsten Verteidigungshaushalt.

  • Boris Pistorius
  • Bundeswehr
  • Münchner Sicherheitskonferenz
  • Verteidigungsministerium

“Wir haben die Deutschen vermisst”

Kaja Kallas ist Premierministerin von Estland.

Die Deutschen sind skeptisch gegenüber der Nato – Enttäuscht sie das?

Nein, die Deutschen sind gute Alliierte und ich würde auch nicht darauf abheben, was sie getan haben. Sie sind in den baltischen Staaten präsent und bestätigen sich als Nato-Alliierte.

Sie sind sehr diplomatisch. Aber Sie haben schon öfters geäußert, dass sich die Deutschen der Gefahr nicht bewusst sind.

Darüber habe ich im vergangenen Jahr viel nachgedacht. Was mich wirklich bewegt, ist, dass Europa eine kleine Region ist, wir aber unsere jeweilige Geschichte nicht kennen. Über die 50 Jahre, die wir besetzt waren, wissen die Deutschen recht wenig. Sie haben uns nicht vermisst, aber wir sie schon! Darüber müssen wir reden. Und wir müssen uns über unsere historische Erfahrung austauschen: Was w i r sehen, wie Russland agiert. Was wir wissen, wie Russland operiert und wohin das führen könnte. Ich habe das Gefühl, wir sind im vergangenen Jahr mehr gehört worden als jemals zuvor.

Wie groß schätzen Sie die Gefahr ein, die für Estland von Russland ausgeht?

Wir sind Nato-Mitglied. Wir würden in dunklen Zeiten leben, wären wir nicht in der Nato. Deshalb haben wir auch keine Furcht. Wir glauben nicht, dass Russland ein Nato-Mitglied angreift, weil es eben auch ein Angriff auf die USA, Deutschland und Frankreich wäre.

Also glauben Sie, dass Deutschland noch mehr tun muss, als Panzer schicken?

Ich würde mich nicht so sehr auf diese großen “Dinger” fokussieren. Was die Ukraine braucht, ist Munition. Ich habe in der vergangenen Woche auf dem Europäischen Gipfel vorgeschlagen, eine gemeinsame Beschaffung von Munition einzuleiten und der Rüstungsindustrie die Sicherheit für den Kauf dieser Munition zu geben, die dann direkt in die Ukraine geliefert wird. Das spart Zeit. Und Zeit ist entscheidend.

Mit der Hilfe von Deutschland?

Ja, und wenn ich ihn richtig verstehe, dann ist Olaf Scholz dieser Idee gegenüber sehr aufgeschlossen.

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  • Ukraine-Krieg

Finnischer Alleingang in die Nato möglich

Gehen sie zusammen oder doch getrennt? Trotz aller Beteuerungen, “Hand in Hand” in die Nato zu gehen, könnte Finnland bereits im Sommer beitreten, – allerdings ohne Schweden. Auf der Münchner Sicherheitskonferenz wurde zwar auf offener Bühne Einigkeit demonstriert. Hinter den Kulissen allerdings sprachen sich finnische Politiker für einen Alleingang aus.

Erst Ende Januar hatte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan eine Zustimmung nur zum Nato-Beitritt Finnlands eröffnet: “Schweden wird schockiert sein, wenn wir eine unterschiedliche Botschaft zu Finnland geben.” De facto hätte Erdogan die Möglichkeit dazu, denn beide Länder haben ihre Anträge getrennt eingereicht. Für die finnische Europaministerin Tytti Tuppurainen liegt genau da die Schwierigkeit – oder auch die Chance: “Wir haben den Beitrag selbstständig gestellt, es ist kein Paket.”

Bislang hatten sowohl Schweden als auch Finnland offiziell gelassen auf die türkischen Drohungen reagiert. Finnlands Präsident Sauli Niinistö betonte in einem TV-Interview auf der Münchner Sicherheitskonferenz: Er sei “sehr optimistisch”, dass beide Länder noch vor dem Nato-Gipfel in Vilnius Mitte Juli dem Bündnis beitreten werden.

Entscheidung liegt bei der Türkei

Allerdings sendeten hochrangige finnische Politiker in München ganz andere Signale. Die finnische Ministerpräsidentin Sanna Marin erklärte auf einer Podiumsdiskussion im Hinblick auf die Blockadehaltung der Türkei: “Natürlich können wir nicht beeinflussen, wie ein anderes Land ratifizieren wird, aber unsere Botschaft ist, dass wir zum Beitritt bereit sind und es vorziehen würden, gemeinsam beizutreten.”

In einem Gespräch mit Table.Media schloss Europaministerin Tuppurainen einen alleinigen Beitritt Finnlands nicht aus: “Das ist nicht die beste Idee. Ganz klar, dass wir zusammen mit Schweden in die Nato gehen wollen. Das war die ursprüngliche Idee, wie wir die Allianz stärker machen können. Es geht darum, was die Türkei entscheiden wird, wir können es nicht beeinflussen.”

Der Nato-Beitritt spielt im finnischen Wahlkampf eine große Rolle. Am 2. April wird ein neues Parlament gewählt. Insofern war die Münchner Sicherheitskonferenz für viele finnische Politiker nicht nur eine internationale Bühne. Es ging auch darum, dem eigenen Wahlvolk gegenüber Entschlossenheit zu signalisieren. Für Elisabeth Bauer, zehn Jahre Sicherheitsexpertin für die nordische Region bei der Konrad-Adenauer-Stiftung, erklären sich die jüngsten Alleingänge der finnischen Regierung mit der veränderten Sicherheitslage.

Schwedens Position geschwächt

Finnland teilt mit Russland eine 1300 Kilometer lange Landgrenze: “Natürlich ist es problematisch, wenn Finnland von der bisherigen Position abrückt, gemeinsam mit Schweden beizutreten, aber – und das hat insbesondere der finnische Präsident Niinistö sehr deutlich gemacht – es ist eine Frage der nationalen Sicherheit.” Auf der anderen Seite mache es sich Finnland zu einfach, indem es “die Entscheidung an die Türkei abgibt”.

Für Schweden bedeute ein finnischer Alleingang eine Schwächung der eigenen Position, so Bauer: “In Schweden gibt es einerseits Verständnis für den Wunsch nach Sicherheit, andererseits schürt er Ängste, dass auf diesem Weg der Beitritt weiter erschwert werden könnte. Schweden wäre in der Region das einzige Land, das seine Sicherheit vorläufig nicht durch die Nato-Mitgliedschaft stärken könnte.”

Kritik am türkischen Verhalten kommt vor allem auch aus Norwegen. Für Premierminister Jonas Gare Støre ist ein gemeinsamer Beitritt ein “wichtiges Signal für die Geschlossenheit der Nato”. Gegenüber Table.Media erklärte er: “Schweden und Finnland erfüllen alle Kriterien für die Nato-Mitgliedschaft.” Die Türkei sollte sich nun “zusammenreißen” und ihre Bedenken ad acta legen.

  • Geopolitik
  • Nato
  • Türkei

USA und China geraten hart aneinander

Es muss ziemlich hart zur Sache gegangen sein zwischen US-Außenminister Antony Blinken und Chinas höchstem Außenpolitiker Wang Yi. Zu später Stunde hatten sie sich am Samstag für ein vertrauliches Gespräch in die Hinterzimmer des Hotels Bayerischer Hof zurückzogen. Sehr direkt und kontrovers sei der Austausch verlaufen, hieß es anschließend aus der US-Delegation. Blinken selbst sagt, er habe China wegen des chinesischen Spionageballons verwarnt: “So etwas darf nie wieder passieren.” 

Das ganze Wochenende über fuhren beide Weltmächte scharfe Attacken gegeneinander. Und doch war die 59. Münchner Sicherheitskonferenz (MSC) ein gutes Treffen für die internationale Diplomatie: China kündigte einen eigenen Friedensplan für die Ukraine an. Die USA nutzten derweil die Möglichkeiten der MSC, um nach dem Ballon-Vorfall wieder die direkte Kommunikation mit China aufzunehmen. Dass es derzeit um die Beziehungen zwischen den beiden Weltmächten nicht allzu gut bestellt ist, konnte – und wollte – allerdings keine Seite beschönigen.

China kündigt Friedensplan an

So blieben die Chinesen auch in München bei ihrer Version des Ballon-Vorfalls, wonach es sich lediglich um ein Flugobjekt gehandelt habe, das für zivile Zwecke genutzt und versehentlich von seinem Kurs abgekommen sei. Darauf hätten die USA “absurd und hysterisch” reagiert. Es handele sich um einen “Missbrauch von Gewalt” und eine “Verletzung internationaler Praktiken”, klagte Wang in München. Es sei an den USA, den selbst angerichteten Schaden zu beseitigen.

Wenige Stunden vor seinem Hinterzimmer-Treffen mit Blinken kündigte Chinas wichtigster Außenpolitiker auf der großen Bühne im Bayerischen Hof an, man werde demnächst die chinesische Position zur politischen Beilegung der Ukrainekrise vorlegen – leider ohne genaue Details zu nennen. 

Folgende Gedanken äußerte Wang zum Friedensplan:

  • Die Souveränität und territoriale Integrität müsse respektiert werden,
  • die Ziele und Prinzipien der UN-Charta beachtet sowie
  • die legitimen Sicherheitsinteressen aller Parteien ernst genommen werden.
  • “Wir werden auf der Seite des Friedens und des Dialoges standfest stehen”, so Wang.

China zwischen UN-Prinzipien und Nähe zu Russland

Die Ausdrucksweise verrät, dass Wang hier ein ganz anderer Friedensschluss vorschwebt als den Unterstützern der Ukraine. China spricht auch fast ein Jahr nach dem Ausbruch des Krieges lediglich von einer Krise. Und auch Wangs Verweis auf “legitime Sicherheitsinteressen aller Parteien” lässt darauf schließen, dass China wohl nicht allzu energisch die russischen Gebietsgewinne im Osten der Ukraine zurückfordern wird. Schließlich handelt es sich hierbei wortgleich um die russische Begründung für den Angriff auf die Ukraine.

Falls Wang die Kriterien ernst meint, handelt es sich um die Quadratur des Kreises: die UN-Prinzipien von Souveränität und territoriale Integrität für die Ukraine zusammenzubringen mit den vermeintlichen Sicherheitsinteressen Russlands, die aus Sicht Moskaus offenbar durch die bloße Existenz der Ukraine gefährdet sind.  

Eberhard Sandschneider glaubt, hinter dem chinesischen Vorstoß denn auch andere Gründe zu erkennen. “China ist in München auf Charme-Offensive”, sagte der Politikwissenschaftler im Gespräch mit Table.Media “Die Volksrepublik will nach drei Jahren Corona-Pandemie unbedingt wieder zurück auf die große Bühne der Weltpolitik.” 

Peking will zurück auf die große Bühne

Annalena Baerbock begrüßte in München hingegen den chinesischen Vorstoß: Man sollte jede Chance nutzen, sagte die deutsche Außenministerin. “Es ist gut, wenn China seine Verantwortung sieht, für den Weltfrieden einzustehen.” Das habe sie Wang auch im direkten Gespräch mitgeteilt. Allerdings müsse bei alldem die territoriale Integrität der Ukraine gewahrt werden, betonte Baerbock. 

Weitaus skeptischer zeigte sich ihr US-amerikanischer Kollege: “Wer will nicht, dass die Waffen endlich ruhen?”, sagte Blinken. “Aber wir müssen unglaublich vorsichtig sein angesichts der Fallen, die gesetzt werden können.” Putin werde sicherlich nicht über die besetzten Gebiete in der Ukraine verhandeln, sondern eher die Zeit nutzen wollen, um seine Truppen neu zu formieren und auszurüsten. 

Westen zeigt sich noch skeptisch

Stattdessen warnte Blinken, China erwäge derzeit, eigene Waffen und Ausrüstung an Russland zu liefern. Man werde demnächst Informationen vorlegen, die das belegen würden. Experten zufolge könnte China Satellitenaufnahmen bereitstellen, die es der russischen Söldnertruppe Wagner ermöglichen, gezielter zuzuschlagen oder hochwertige Elektronikteile, die das russische Militär dringend benötigt. Die Warnung beruhe auf “Erkenntnissen” der USA.

Blieben noch die zunehmenden Spannungen um Taiwan. Es war der frühere MSC-Vorsitzende Wolfgang Ischinger, der Wang Yi nach dessen Vortrag bat, der Weltöffentlichkeit zu versichern, dass um Taiwan keine militärische Eskalation bevorstehe. Doch bei diesem Thema weicht China keinen Millimeter zurück.

Wang: Taiwan wird nie ein eigenes Land sein

Entsprechend schroff erwiderte Wang: “Taiwan ist Teil des chinesischen Territoriums. Es war niemals ein eigenständiges Land, und es wird auch in der Zukunft kein Land sein.” Alle sollten sich an die Ein-China-Politik halten, mahnte Wang und fügte hinzu: “Wir wollen Souveränität und territoriale Integrität respektieren. Das ist gut. Aber das muss auch in Bezug auf China gelten.”

Es ist die entscheidende Frage, wie China eben jene Prinzipien in seinem Friedensplan für die Ukraine umsetzen will. Die Antwort könnte schon bald folgen. Auf den Gängen der Sicherheitskonferenz war zu hören, dass China seinen Plan kommende Woche zum Jahrestag des Kriegsausbruchs in der Ukraine vorlegen will.

  • China
  • Münchner Sicherheitskonferenz
  • Ukraine-Krieg
  • USA

“Deutschland muss Vertrauen wiederherstellen”

Rolf Nikel war 2014 bis 2020 Botschafter in Polen.
Rolf Nikel war 2014 bis 2020 Botschafter in Polen.

Herr Nikel, Sie warnen vor einem tiefen Zerwürfnis zwischen Deutschland und Polen, verursacht gerade durch die Fehler in der deutschen Politik gegenüber Russland.

Das Zerwürfnis betrifft die politische Ebene, nicht den zivilgesellschaftlichen Austausch und die boomende Wirtschaft. Deutschland muss nach seiner gescheiterten Russlandpolitik verloren gegangenes Vertrauen zurückgewinnen. Diese Politik haben diverse Bundesregierungen, große Teile der deutschen Wirtschaft und der deutschen Öffentlichkeit mitgetragen. Polen, nicht nur die heutige Regierungspartei PiS, hat uns immer wieder gesagt, dass wir sicherheitspolitisch zu naiv seien und uns energiepolitisch viel zu abhängig gemacht haben von Russland. Wir wollten das nicht hören.

Glaubt man in Warschau den Beteuerungen aus Berlin, daraus gelernt zu haben?

Die Zeitenwende, die Bundeskanzler Scholz am 27. Februar letzten Jahres verkündete, hat viele Erwartungen an der gesamten Nato-Ostflanke geweckt. In Polen ganz besonders. Jetzt muss es darum gehen, durch Handlungen Vertrauen wiederherzustellen. Deutschland steht da noch mehr in der Pflicht als früher.

Verfolgen Warschau und Berlin überhaupt die gleichen Ziele gegenüber Moskau?

Polen will Russland und seine Menschen möglichst komplett isolieren, Deutschland will Moskau eindämmen, wirtschaftlich schwächen und politisch isolieren. Polen betrachtet Deutschland noch immer als einen politischen Gegenspieler, wenn es um Russland geht. Trotzdem besteht jetzt eine bessere Chance für eine gemeinsame Russlandpolitik auf Augenhöhe, da die Bundesregierung sich in der Russland-Politik auf Polen zubewegt hat wie nie zuvor.

Auch dann, wenn aus Polen wieder Forderungen an Deutschland nach hohen Reparationen kommen?

Diese tragen sicherlich nicht dazu bei, geschlossen gegen Putin aufzutreten. Deutschland hat eine 180-Grad-Wende vollzogen: in der Russland- und Ukrainepolitik, energiepolitisch und auch bei der EU-Erweiterung. Das bietet die strategische Chance, auf Augenhöhe miteinander zu reden und zu handeln.

Die Ankündigung der Bundesregierung, den Kampfpanzer Leopard zu liefern, müsste doch von Polen positiv bewertet werden. Immerhin haben sie genau das gefordert.

Wird sie auch. Die Entscheidung von Kanzler Scholz ist sehr wichtig. Aber jetzt zeigt sich, dass sich da manche hinter Deutschland versteckt haben, die laut nach Panzerlieferungen gerufen haben. Wer A sagt, sollte auch B sagen können.

Würde Polen eine Führungsrolle Berlins in Europa, ob politisch oder militärisch, überhaupt akzeptieren?

Es kommt darauf an, was unter Führungsrolle zu verstehen ist. Der polnische Außenminister hat im vergangenen Jahr noch eine Selbstbeschränkung Deutschlands gefordert. Es war eine generelle politische Aussage. Wenn es um die Ukraine und bestimmte Waffensysteme geht, dann hat Warschau mehr deutsches Engagement gefordert. Und hier lag Warschau nicht unbedingt falsch.

Und wie?

In der aktuellen Lage spielt die Stärkung des Nato-Bündnisses eine wichtige Rolle, besonders der Ostflanke. Das heißt, wir müssen die Verteidigungsfähigkeit der Bundeswehr stärken. Das Zwei-Prozent-Ziel ist dabei nur ein Schritt. Dann lägen wir bei etwa 70 Milliarden Euro im Jahr, das wird von manchen aber nicht unbedingt mit Enthusiasmus aufgenommen, auch nicht in Polen. Daher wäre eine noch stärkere Einbettung in EU und Nato wünschenswert. Das ist auch eine Frage der Kommunikation. Und: Bei aller notwendigen Besonnenheit, wir müssen der Ukraine alles geben, was sie in der gegenwärtigen Situation braucht. Damit sie diesen Krieg gewinnt.

Wie blicken die Polen auf die Forderungen in den offenen Briefen aus Deutschland nach Friedensverhandlungen zwischen Kiew und Moskau? 

Diese innerdeutsche Debatte wird in Polen überhaupt nicht verstanden. Sie schadet sogar, denn die Forderungen werden als zynisch verstanden, weil sie droht, einem Aggressionsopfer die nötige Hilfe zu verweigern und Zweifel an der Zeitenwende in der deutschen Öffentlichkeit weckt. In Polen gilt das Rational von Marschall Józef Piłsudski, der Symbolfigur der polnischen Unabhängigkeit der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, dass es keine polnische Freiheit ohne eine unabhängige Ukraine geben könne.

Warschau setzt sehr stark auf die USA als Sicherheitsgaranten. Was bedeutet das für die Bemühungen, die europäische Verteidigungsfähigkeit zu stärken?

Der bisherige Verlauf des Kriegs hat gezeigt, wie wichtig die USA für uns Europäer insgesamt sind. Wir müssen zuerst anerkennen, dass Warschau in Zukunft eine wichtige Rolle in dem sich abzeichnenden neuen systemischen Konflikt zwischen Russland und dem Westen spielen wird. Polen wird zum neuen Frontstaat, so wie Deutschland während des Kalten Krieges. Washington hat aber kein Interesse daran, dass dieser Staat im Konflikt mit Brüssel und Berlin steht. Insofern setzt sich die US-Administration für größtmöglichen europäische und westliche Geschlossenheit ein.

Wie lässt sich die Abstimmung hier verbessern?

Wir brauchen für eine echte gemeinsame europäische Ostpolitik. Das betrifft die EU-Erweiterungspolitik genauso wie die östliche Partnerschaft. Gespräche mit Polen, allen anderen östlichen EU-Staaten, aber auch Frankreich sind notwendig. Deswegen schlage ich vor, das Format des Weimarer Dreiecks wiederzubeleben. Für alle Fragen, die die Ukraine betreffen, könnte das Weimarer Dreieck um die Ukraine erweitert werden.

Die PiS scheint aber wenig Interesse an enger Zusammenarbeit mit Deutschland zu haben.

Es käme auf einen Versuch an. In Polen stehen bekanntlich in diesem Jahr Wahlen an. Und die Ukraine, die an diesem Format sicherlich großes Interesse hätte, könnte auf Warschau Einfluss ausüben. Polen bekundet immer wieder, dass es die EU-Bestrebungen der Ukraine unterstützt. Hier wäre eine sinnvolle Plattform.

Wie sollte die deutsche Politik damit umgehen, wenn die Deutschland-kritischen Töne im polnischen Wahlkampf lauter werden?

Sich nicht in den Wahlkampf hineinziehen lassen. Cool bleiben. Deutschland ist immer Teil der polnischen Innenpolitik gewesen. Auch in Deutschland sind Wahlkämpfe nicht unbedingt eine Übung in Nuancen.

Sollte sich Berlin auch aus dem Streit zwischen EU-Kommission und Warschau um Justizreform und eingefrorene EU-Mittel heraushalten?

Wir sollten uns jedenfalls hüten, diesen Streit zwischen Polen und der EU-Kommission zu bilateralisieren. Da geht es um Grundwerte, es gibt entsprechende Urteile des Europäischen Gerichtshofes, Entscheidungen der Kommission und lange Diskussionen im EU-Ministerrat. Wir sollten darauf drängen, den Konflikt zu lösen und erste Anzeichen, dass dies gelingen könnte, gibt es ja.

In Ihrem Buch werden Sie für einen Diplomaten durchaus deutlich, berichten aus vertraulichen Gesprächen mit polnischen Politikerinnen und Politikern. Warum?

Ich glaube, man muss auch ab und an Klartext reden, schon gar als Vertreter eines Think-Tanks, der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, der ich seit mehr als zwei Jahren als Vizepräsident diene. Und einige Anekdoten sind ja vielleicht für den Leser auch ganz spannend. Ich habe mich insgesamt zurückgehalten und tue es auch weiterhin.

Das Buch: “Feinde Fremde Freunde. Polen und die Deutschen”, 312 S., 24€; LMV

Rolf Nikel: Rolf Nikel, Jahrgang 1954, begann 1980 seine Karriere beim Auswärtigen Amt. Er war Mitarbeiter in den Botschaften der Sowjetunion, Kenia und Frankreich bevor er 2014 zum Botschafter in Polen ernannt wurde. Während seiner 40-jährigen Laufbahn im diplomatischen Dienst arbeitete er insgesamt 14 Jahre im Bundeskanzleramt für Helmut Kohl, Gerhard Schröder und Angela Merkel. Seit Juni 2020 ist er Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP).

Presseschau

MSC Spezial: Podcast “Sicherheitshalber” mit Claudia Major: – Security.Table-Kollege Thomas Wiegold spricht mit Ulrike Franke, Frank Sauer und Carlo Masala mit Claudia Major über die Unterschiede zwischen öffentlich geäußerter und tatsächlich umgesetzter Geschlossenheit des Westens gegen den russischen Krieg; über das Comeback der nuklearen Abschreckungsdoktrin und die Forderung der Ukraine, geächtete Waffen zu liefern.

Washington Post – In wake of Ukraine war, U.S. and allies are hunting down Russian spies: Von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt gehen westliche Staaten seit einem Jahr massiv gegen russische Spione vor. Die Washington Post zeichnet nach, wie der BND einen Maulwurf enttarnte und wie russische Spione jahrelang unbemerkt in Brasilien leben, bevor sie zu ihren Einsätzen in Europa aufbrechen.

Podcast: War Studies – The women of IS: Weil der IS eine Gesellschaft aufbauen wollte, brauchte er bis zu einem bestimmten Grad Diversität. Die Wissenschaftlerin Gina Vale spricht über die Rollen von Frauen und Kindern, Hierarchien unter Frauen und warum Zugereiste mehr zu sagen hatten, als Irakerinnen oder Syrerinnen. 35 Minuten.

SIPRI – Climate security, Sweden and NATO: Das Stockholm International Peace ResearchInstitute betrachtet den Klimawandel durch die Nato-Brille. In einer Serie von 2- bis 6-minütigen Kurzvideos sprechen Benedetta Berti (Nato), Blair Brimmell (Global Affairs Canada), Bruce Jones (Brookings Institution) und Stefan Larsson (Schwedische Streitkräfte) darüber, wie Klima- und Sicherheitsfragen gemeinsam gelöst werden können.

Süddeutsche Zeitung – Zeit des Erwachens. Eine Rekonstruktion der Wochen vor Kriegsbeginn (Paywall): Man sollte sich die halbe Stunde Zeit nehmen, um nachzulesen, was in Berlin in der Nacht vor dem russischen Angriff auf die Ukraine geschah. Wie Robert Habeck einen US-Geheimdienstbericht zugesteckt bekommt und danach nervös bei “Maischberger” sitzt und wie er ab Dezember 2021 mit Christian Lindner und BND-Chef Bruno Kahl wöchentlich in einem abhörsicheren Raum sondierte, wie lange das Gas in Deutschland noch reicht. Gibt detaillierte Einblicke in Politik in Krisensituationen.

Welt am Sonntag – Wagner Leaks (Paywall): Journalisten der Welt am Sonntag haben Unterlagen ausgewertet, die zeigen, wie die russische Söldner-Truppe Wagner entstand, wo sie eingesetzt wird und was sie antreibt – Geld und Hass. Ein seltener Blick auf ein destruktives außenpolitisches Werkzeug Moskaus.

Heads

Reza Pahlavi – Iranischer Aktivist im Exil

Reza Pahlavi gehört zur iranischen Opposition.

Die Münchner Sicherheitskonferenz war auch die “Konferenz der Alternativen”. Aus dem Iran, wie auch aus Russland, waren keine Regierungsvertreter geladen, stattdessen Oppositionelle und Aktivisten. Unter ihnen: Reza Pahlavi. Der 63-jährige Iraner setzt sich seit knapp vierzig Jahren aus dem Exil für die Rechte seiner Landsleute ein und kämpft gegen das islamistische Regime.

Ob er sein Land noch kennt, obwohl er seit 1979 nicht mehr dort war? “Natürlich”, sagt er. In seinem Kampf für Freiheit und säkulare Demokratie auf Grundlage der Menschenrechte sei er in engem Kontakt mit den Menschen im Iran, aber auch mit Oppositionellen in der Diaspora, mit Politikern, der Zivilgesellschaft und Aktivisten. 

Auf der Münchner Sicherheitskonferenz zu sprechen, verdankt er auch dem Momentum, das die aktuellen Proteste im Iran haben. “Die Welt hat endlich entschieden, lieber mit den Vertretern der Alternativen zu sprechen, anstatt mit den Regimen”, sagt Pahlavi. Es brauche eine Mischung aus Unterstützung für die Menschen im Land, damit diese Druck von innen durch Proteste aufbauen können, aber auch Druck von außen, etwa durch Sanktionen, damit sich etwas ändere.

Demonstranten passen sich an

Dass Länder wie Deutschland eine feministische Außenpolitik etablieren, begrüßt er. Es sei “herzerwärmend” und eine gute Sache, wenn diese Werte in die Außenpolitik, insbesondere in die einer westlichen demokratischen Regierung, integriert würden. “Das bedeutet, dass sich die Welt gegen ein Regime wehrt, das Frauen vom ersten Tag an als Bürger zweiter Klasse behandelt hat. Das ist ein enormer Schub für die Moral der Frauen, deren Revolution das ist.” 

Erst am vergangenen Freitag kam es wieder zu Protesten, 40 Tage nach der Hinrichtung zweier Demonstranten. Irans Regierung lässt die Proteste oft brutal niederschlagen. “Das Regime unterdrückt weiter, das sind Kampftruppen.” Aber die Menschen passten sich an, indem sie sich dezentral im Land aufstellten. “Je dezentraler wir sind, desto mehr muss das Regime seine Truppen ausdünnen, um überall präsent zu sein. Es ist ein Katz- und Mausspiel”, erklärt Pahlavi. 

Aber was passiert, wenn es den Iranern tatsächlich gelingt, das Regime zu stürzen? Welche Lücke, welches Chaos würde es hinterlassen, auch vor dem Hintergrund, dass die iranische Protestbewegung nicht in allen Punkten geeint ist? Pahlavi fürchtet keine Instabilität, “denn die größte Bedrohung für unsere Stabilität ist das Regime, das versucht, so zu tun, als ob der Iran ein weiteres Syrien werden würde, wenn es verschwindet.” 

Entscheidend werde sein, nach einem Sturz eine stabile Übergangsregierung zu etablieren, die die Verwaltung der Angelegenheiten des Landes übernehme und freie Wahlen durchführe. “In dieser Phase kann ich unterstützen.” Absichten, in die Politik zu wechseln, habe er aber keine, auch wenn ihn immer mehr Menschen gerne als Anführer einer Übergangsregierung sehen würden. “Ich will keine zeremonielle Position. Als Aktivist kann ich mehr tun, auch wenn ich im Exil lebe.”

Sein Vater war Schah von Iran

Pahlavi ist unter den Oppositionellen allerdings umstritten. Immer wieder muss er sich von seinem Vater, dem ehemaligen und 1980 verstorbenen Schah Mohammad Reza Pahlavi, distanzieren. Noch immer ist Pahlavi Kronprinz von Iran, weshalb viele vor allem im Exil lebende Iraner ihn kritisch sehen.

Seit dem Sturz der Monarchie und der Machtübernahme der Islamisten 1979 lebt Pahlavi in den USA, wo er bei der US Air Force eine Ausbildung zum Kampfpiloten absolvierte. Er lebt mit seiner Frau und seinen drei Töchtern in Maryland, USA. Lisa-Martina Klein

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  • Proteste

Security.Table Redaktion

SECURITY.TABLE REDAKTION

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    • Nikel: “Deutschland muss Vertrauen wiederherstellen”
    • Heads: Reza Pahlavi – Führer der Opposition im Exil
    Liebe Leserin, lieber Leser,

    die Münchner Sicherheitskonferenz 2023 war eine Demonstration der Geschlossenheit – abgesehen von Streitigkeiten zwischen den USA und China praktisch ohne nach außen sichtbare Kontroversen. Umso wichtiger waren die Details in den Aussagen auf der großen Bühne: Wenn Bundeskanzler Olaf Scholz nun davon spricht, Deutschland werde “seine Verteidigungsausgaben dauerhaft auf zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts anheben” – geht er damit hinter seine Aussage in der Zeitenwende-Rede zurück, in der er mehr als zwei Prozent versprochen hatte?

    Wenn Macron sein Angebot zum europäischen Dialog über eine gemeinsame Nuklearstrategie aus dem Jahr 2020 erneuert – ist seitdem nichts passiert, oder will der Präsident die Bedeutung der Nuklearmacht Frankreich hervorheben? Und wenn US-Vizepräsidentin Kamala Harris vor allem zusichert, Washington würden russische Kriegsverbrechen verfolgen – ist das ein Schwerpunkt der US-Politik oder will sie ihrem Präsidenten Joe Biden die großen Aussagen für seine Rede in Warschau in dieser Woche überlassen?

    Für die als öffentliche Nachricht wiederholte und verstärkte Aussage, die Ukraine könne so lange wie nötig mit Unterstützung rechnen, waren in München ganz andere Treffen wichtiger. Auf den Fluren des Bayerischen Hofs waren immer wieder Politiker, Diplomaten und Offiziere anzutreffen, die auf dem Weg von einem bilateralen Treffen zum nächsten kaum verschnaufen konnten. Die Zusammenkünfte im kleinen Rahmen, oft zwischen Ministern, viel mehr aber zwischen den politischen und militärischen Fachleuten und, auch das ein bestimmender Teil der MSC, mit Industrievertretern, setzten den Kurs für die künftige Ukraine-Hilfe.

    Bekannt werden nur die wenigsten dieser Treffen – und wenn, ist es als politische Nachricht ausdrücklich gewollt. So wie die Zusammenkunft des deutschen Verteidigungsministers Boris Pistorius mit seinem polnischen Kollegen Mariusz Błaszczak und der Rüstungsindustrie beider Seiten, verkündet via Twitter. Ebenso das Treffen von deutschen und ukrainischen Wehrtechnik-Firmen. Organisiert nicht vom Verteidigungsministerium, sondern vom Auswärtigen Amt – und vom ukrainischen Außenminister Dmytro Kuleba genauso bewusst ebenfalls als Tweet öffentlich gemacht.

    Während die Chefs der Rüstungsunternehmen seit jeher als Teilnehmer der Sicherheitskonferenz dabei sind, hatten sie in diesem Jahr auffallend viele ihrer Fachleute mitgebracht. Details für Nachbestellungen des Geräts, das an die Ukraine abgegeben wurde, sollten ebenso schnell geklärt werden können, wie die der erwarteten neuen Bestellungen der Streitkräfte.

    Wegen der Konferenz erscheinen wir ausnahmsweise schon am Montag. Lesen Sie in meiner Analyse, wie sich Boris Pistorius auf seiner ersten MSC geschlagen hat; was Estlands Premierministerin Kaja Kallas im Gespräch mit Nana Brink über die Zusammenarbeit mit Deutschland sagt und wieso ein finnischer Alleingang in die Nato wahrscheinlicher werden könnte. Michael Radunski berichtet, wie das Gespräch zwischen Antony Blinken und Wang Yi zu bewerten ist.Viktor Funk und Till Hoppe haben den früheren Botschafter in Warschau und DGAP-Vizepräsidenten, Rolf Nikel, gefragt, wie man in Polen auf Deutschland blickt. Im Portrait von Lisa-Martina Klein: Reza Pahlavi, iranischer Oppositionsführer und Sohn des früheren Schahs.

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    Ihr
    Thomas Wiegold
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    Analyse

    Pistorius punktet mit klaren Worten

    Der Andrang war enorm. Vor dem kleinen Palaissaal im Bayerischen Hof, der knapp 100 Zuhörerinnen und Zuhörer fasst, gab es schon vor Beginn Gedränge: “Meet the Minister”, triff den Minister, hatte das METIS-Forschungsinstitut an der Bundeswehr-Universität München sein – regelmäßiges – Format überschrieben, mit dem neuen Ressortchef Einblicke in seine Pläne für Ministerium und Bundeswehr entlockt werden sollten.

    Der Zustrom war wenig überraschend, schließlich ist die Neugier auf den Minister auch nach einer Serie von Interviews in den ersten Wochen seiner Amtszeit immer noch ungebrochen. Überraschend allerdings, dass sich in der ersten Reihe vor dem Podium die fast komplette politische und militärische Führungsspitze der deutschen Streitkräfte versammelte. Der Generalinspekteur Eberhard Zorn, die Inspekteure praktisch aller Teilstreitkräfte und Organisationsbereiche (außer Luftwaffenchef Ingo Gerhartz, der zu einer Auslandsreise aufbrechen musste), die Parlamentarischen Staatssekretäre, die beamtete Staatssekretärin Margaretha Sudhof, mehrere Abteilungsleiter aus dem Ministerium: Alle hatten an diesem Samstagabend andere Termine beiseitegeschoben, um zu erfahren, was der Minister vorhat.

    Minister will “positive Veränderung” in der Bundeswehr

    Und da stand natürlich vor allem im Mittelpunkt des Interesses, welche Strukturen – und damit ja auch Posten – Pistorius in seinem Bereich verändern will. Dass sich im Ministerium was ändern muss, daran ließ der Minister keinen Zweifel. Das Organisationsschema des Bundesministeriums der Verteidigung, merkte er trocken an, “hat nach reiner verwaltungswissenschaftlicher Lehre mit einem Organigramm nicht so viel zu tun”.  Es fehle schlicht die klare Definition, “wer wofür verantwortlich ist”.

    Auch wenn das die Kenner der Ministeriumsstrukturen in der ersten Reihe wenig überrascht haben dürfte, eine Befürchtung musste der Moderator, der Politikwissenschaftler Carlo Masala, doch noch ausräumen: Ob es denn, nach Jahren der Ministerinnen und Minister mit ihren Ansätzen für Umstrukturierungen, wieder eine Reform geben werde. Pistorius’ Antwort, in dem knappen Stil, den er bereits seit Amtsantritt erkennen ließ: “Nennen Sie es nicht Reform. Positive Veränderung!” Schließlich, erläuterte er, habe er sich vor Amtsantritt nicht vorstellen können, dass die Bundeswehr allein für ihre verschiedenen Varianten der Leopard-Kampfpanzer fünf verschiedene Munitionssorten vorhalten müsse: “Da wird sehr schnell klar, dass wir andere Vorgehensweisen brauchen.”

    “Ukraine muss diesen Krieg gewinnen.”

    Viele Schwierigkeiten, viele Aufgaben, aber auch viel Optimismus: Das hatte Pistorius bereits zuvor auf der großen Bühne der Sicherheitskonferenz ausgestrahlt. “Ich bin immer optimistisch, schauen Sie mein Gesicht an!”, antwortete er der polnischen Panel-Moderatorin Katarzyna Pisarska. Seine Rede im großen Saal hatte er mit einer historischen Reminiszenz begonnen: “Ich bin ein Kind des Kalten Krieges.”

    Dass der fast 63-Jährige in seiner auf Englisch gehaltenen Rede so deutlich wie kein anderes deutsches Regierungsmitglied die Position vertrat “Ukraine must win this war”, die Ukraine muss diesen Krieg gewinnen, brachte ihm die Anerkennung und Zustimmung der internationalen Teilnehmer ein. Ebenso auch sein Eingeständnis, was der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine gezeigt habe: “Europa muss mehr tun. Eine Menge mehr.”

    Bald geht es um den nächsten Verteidigungshaushalt

    Solche Worte brachten Pistorius in München die Anerkennung ein, die dem Minister – oder der Ministerin – an der Spitze des deutschen Wehrressorts meist nicht zuteil wird – der Kanzler, früher die Kanzlerin, und die Spitze des Auswärtigen Amtes dominiert meist die Wahrnehmung der Teilnehmer. Für den Verteidigungsminister war es ein geglückter Start auf schwierigem Parkett.

    Allerdings wird die hohe Schlagzahl, die Pistorius seit Amtsantritt vorlegen musste, auch in den nächsten Wochen nicht nachlassen. Am Samstagabend flog er, ordnungsgemäß entsprechend den Richtlinien für die Nutzung der Flugbereitschaft der Bundeswehr, mit einem verfügbaren Linienflug nach Hause. Am heutigen Montag erwarten ihn ukrainische Soldaten zum Besuch bei ihrer Ausbildung an den deutschen Leopard-Panzern in der Panzertruppenschule in Munster, am Dienstag führt ihm die Marine bei seinem Antrittsbesuch alles vor, was schwimmt und fliegt. Das alles sind allerdings Wohlfühltermine gegen das, was im März auf ihn zukommt: Die Verhandlungen über den nächsten Verteidigungshaushalt.

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    “Wir haben die Deutschen vermisst”

    Kaja Kallas ist Premierministerin von Estland.

    Die Deutschen sind skeptisch gegenüber der Nato – Enttäuscht sie das?

    Nein, die Deutschen sind gute Alliierte und ich würde auch nicht darauf abheben, was sie getan haben. Sie sind in den baltischen Staaten präsent und bestätigen sich als Nato-Alliierte.

    Sie sind sehr diplomatisch. Aber Sie haben schon öfters geäußert, dass sich die Deutschen der Gefahr nicht bewusst sind.

    Darüber habe ich im vergangenen Jahr viel nachgedacht. Was mich wirklich bewegt, ist, dass Europa eine kleine Region ist, wir aber unsere jeweilige Geschichte nicht kennen. Über die 50 Jahre, die wir besetzt waren, wissen die Deutschen recht wenig. Sie haben uns nicht vermisst, aber wir sie schon! Darüber müssen wir reden. Und wir müssen uns über unsere historische Erfahrung austauschen: Was w i r sehen, wie Russland agiert. Was wir wissen, wie Russland operiert und wohin das führen könnte. Ich habe das Gefühl, wir sind im vergangenen Jahr mehr gehört worden als jemals zuvor.

    Wie groß schätzen Sie die Gefahr ein, die für Estland von Russland ausgeht?

    Wir sind Nato-Mitglied. Wir würden in dunklen Zeiten leben, wären wir nicht in der Nato. Deshalb haben wir auch keine Furcht. Wir glauben nicht, dass Russland ein Nato-Mitglied angreift, weil es eben auch ein Angriff auf die USA, Deutschland und Frankreich wäre.

    Also glauben Sie, dass Deutschland noch mehr tun muss, als Panzer schicken?

    Ich würde mich nicht so sehr auf diese großen “Dinger” fokussieren. Was die Ukraine braucht, ist Munition. Ich habe in der vergangenen Woche auf dem Europäischen Gipfel vorgeschlagen, eine gemeinsame Beschaffung von Munition einzuleiten und der Rüstungsindustrie die Sicherheit für den Kauf dieser Munition zu geben, die dann direkt in die Ukraine geliefert wird. Das spart Zeit. Und Zeit ist entscheidend.

    Mit der Hilfe von Deutschland?

    Ja, und wenn ich ihn richtig verstehe, dann ist Olaf Scholz dieser Idee gegenüber sehr aufgeschlossen.

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    Finnischer Alleingang in die Nato möglich

    Gehen sie zusammen oder doch getrennt? Trotz aller Beteuerungen, “Hand in Hand” in die Nato zu gehen, könnte Finnland bereits im Sommer beitreten, – allerdings ohne Schweden. Auf der Münchner Sicherheitskonferenz wurde zwar auf offener Bühne Einigkeit demonstriert. Hinter den Kulissen allerdings sprachen sich finnische Politiker für einen Alleingang aus.

    Erst Ende Januar hatte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan eine Zustimmung nur zum Nato-Beitritt Finnlands eröffnet: “Schweden wird schockiert sein, wenn wir eine unterschiedliche Botschaft zu Finnland geben.” De facto hätte Erdogan die Möglichkeit dazu, denn beide Länder haben ihre Anträge getrennt eingereicht. Für die finnische Europaministerin Tytti Tuppurainen liegt genau da die Schwierigkeit – oder auch die Chance: “Wir haben den Beitrag selbstständig gestellt, es ist kein Paket.”

    Bislang hatten sowohl Schweden als auch Finnland offiziell gelassen auf die türkischen Drohungen reagiert. Finnlands Präsident Sauli Niinistö betonte in einem TV-Interview auf der Münchner Sicherheitskonferenz: Er sei “sehr optimistisch”, dass beide Länder noch vor dem Nato-Gipfel in Vilnius Mitte Juli dem Bündnis beitreten werden.

    Entscheidung liegt bei der Türkei

    Allerdings sendeten hochrangige finnische Politiker in München ganz andere Signale. Die finnische Ministerpräsidentin Sanna Marin erklärte auf einer Podiumsdiskussion im Hinblick auf die Blockadehaltung der Türkei: “Natürlich können wir nicht beeinflussen, wie ein anderes Land ratifizieren wird, aber unsere Botschaft ist, dass wir zum Beitritt bereit sind und es vorziehen würden, gemeinsam beizutreten.”

    In einem Gespräch mit Table.Media schloss Europaministerin Tuppurainen einen alleinigen Beitritt Finnlands nicht aus: “Das ist nicht die beste Idee. Ganz klar, dass wir zusammen mit Schweden in die Nato gehen wollen. Das war die ursprüngliche Idee, wie wir die Allianz stärker machen können. Es geht darum, was die Türkei entscheiden wird, wir können es nicht beeinflussen.”

    Der Nato-Beitritt spielt im finnischen Wahlkampf eine große Rolle. Am 2. April wird ein neues Parlament gewählt. Insofern war die Münchner Sicherheitskonferenz für viele finnische Politiker nicht nur eine internationale Bühne. Es ging auch darum, dem eigenen Wahlvolk gegenüber Entschlossenheit zu signalisieren. Für Elisabeth Bauer, zehn Jahre Sicherheitsexpertin für die nordische Region bei der Konrad-Adenauer-Stiftung, erklären sich die jüngsten Alleingänge der finnischen Regierung mit der veränderten Sicherheitslage.

    Schwedens Position geschwächt

    Finnland teilt mit Russland eine 1300 Kilometer lange Landgrenze: “Natürlich ist es problematisch, wenn Finnland von der bisherigen Position abrückt, gemeinsam mit Schweden beizutreten, aber – und das hat insbesondere der finnische Präsident Niinistö sehr deutlich gemacht – es ist eine Frage der nationalen Sicherheit.” Auf der anderen Seite mache es sich Finnland zu einfach, indem es “die Entscheidung an die Türkei abgibt”.

    Für Schweden bedeute ein finnischer Alleingang eine Schwächung der eigenen Position, so Bauer: “In Schweden gibt es einerseits Verständnis für den Wunsch nach Sicherheit, andererseits schürt er Ängste, dass auf diesem Weg der Beitritt weiter erschwert werden könnte. Schweden wäre in der Region das einzige Land, das seine Sicherheit vorläufig nicht durch die Nato-Mitgliedschaft stärken könnte.”

    Kritik am türkischen Verhalten kommt vor allem auch aus Norwegen. Für Premierminister Jonas Gare Støre ist ein gemeinsamer Beitritt ein “wichtiges Signal für die Geschlossenheit der Nato”. Gegenüber Table.Media erklärte er: “Schweden und Finnland erfüllen alle Kriterien für die Nato-Mitgliedschaft.” Die Türkei sollte sich nun “zusammenreißen” und ihre Bedenken ad acta legen.

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    USA und China geraten hart aneinander

    Es muss ziemlich hart zur Sache gegangen sein zwischen US-Außenminister Antony Blinken und Chinas höchstem Außenpolitiker Wang Yi. Zu später Stunde hatten sie sich am Samstag für ein vertrauliches Gespräch in die Hinterzimmer des Hotels Bayerischer Hof zurückzogen. Sehr direkt und kontrovers sei der Austausch verlaufen, hieß es anschließend aus der US-Delegation. Blinken selbst sagt, er habe China wegen des chinesischen Spionageballons verwarnt: “So etwas darf nie wieder passieren.” 

    Das ganze Wochenende über fuhren beide Weltmächte scharfe Attacken gegeneinander. Und doch war die 59. Münchner Sicherheitskonferenz (MSC) ein gutes Treffen für die internationale Diplomatie: China kündigte einen eigenen Friedensplan für die Ukraine an. Die USA nutzten derweil die Möglichkeiten der MSC, um nach dem Ballon-Vorfall wieder die direkte Kommunikation mit China aufzunehmen. Dass es derzeit um die Beziehungen zwischen den beiden Weltmächten nicht allzu gut bestellt ist, konnte – und wollte – allerdings keine Seite beschönigen.

    China kündigt Friedensplan an

    So blieben die Chinesen auch in München bei ihrer Version des Ballon-Vorfalls, wonach es sich lediglich um ein Flugobjekt gehandelt habe, das für zivile Zwecke genutzt und versehentlich von seinem Kurs abgekommen sei. Darauf hätten die USA “absurd und hysterisch” reagiert. Es handele sich um einen “Missbrauch von Gewalt” und eine “Verletzung internationaler Praktiken”, klagte Wang in München. Es sei an den USA, den selbst angerichteten Schaden zu beseitigen.

    Wenige Stunden vor seinem Hinterzimmer-Treffen mit Blinken kündigte Chinas wichtigster Außenpolitiker auf der großen Bühne im Bayerischen Hof an, man werde demnächst die chinesische Position zur politischen Beilegung der Ukrainekrise vorlegen – leider ohne genaue Details zu nennen. 

    Folgende Gedanken äußerte Wang zum Friedensplan:

    • Die Souveränität und territoriale Integrität müsse respektiert werden,
    • die Ziele und Prinzipien der UN-Charta beachtet sowie
    • die legitimen Sicherheitsinteressen aller Parteien ernst genommen werden.
    • “Wir werden auf der Seite des Friedens und des Dialoges standfest stehen”, so Wang.

    China zwischen UN-Prinzipien und Nähe zu Russland

    Die Ausdrucksweise verrät, dass Wang hier ein ganz anderer Friedensschluss vorschwebt als den Unterstützern der Ukraine. China spricht auch fast ein Jahr nach dem Ausbruch des Krieges lediglich von einer Krise. Und auch Wangs Verweis auf “legitime Sicherheitsinteressen aller Parteien” lässt darauf schließen, dass China wohl nicht allzu energisch die russischen Gebietsgewinne im Osten der Ukraine zurückfordern wird. Schließlich handelt es sich hierbei wortgleich um die russische Begründung für den Angriff auf die Ukraine.

    Falls Wang die Kriterien ernst meint, handelt es sich um die Quadratur des Kreises: die UN-Prinzipien von Souveränität und territoriale Integrität für die Ukraine zusammenzubringen mit den vermeintlichen Sicherheitsinteressen Russlands, die aus Sicht Moskaus offenbar durch die bloße Existenz der Ukraine gefährdet sind.  

    Eberhard Sandschneider glaubt, hinter dem chinesischen Vorstoß denn auch andere Gründe zu erkennen. “China ist in München auf Charme-Offensive”, sagte der Politikwissenschaftler im Gespräch mit Table.Media “Die Volksrepublik will nach drei Jahren Corona-Pandemie unbedingt wieder zurück auf die große Bühne der Weltpolitik.” 

    Peking will zurück auf die große Bühne

    Annalena Baerbock begrüßte in München hingegen den chinesischen Vorstoß: Man sollte jede Chance nutzen, sagte die deutsche Außenministerin. “Es ist gut, wenn China seine Verantwortung sieht, für den Weltfrieden einzustehen.” Das habe sie Wang auch im direkten Gespräch mitgeteilt. Allerdings müsse bei alldem die territoriale Integrität der Ukraine gewahrt werden, betonte Baerbock. 

    Weitaus skeptischer zeigte sich ihr US-amerikanischer Kollege: “Wer will nicht, dass die Waffen endlich ruhen?”, sagte Blinken. “Aber wir müssen unglaublich vorsichtig sein angesichts der Fallen, die gesetzt werden können.” Putin werde sicherlich nicht über die besetzten Gebiete in der Ukraine verhandeln, sondern eher die Zeit nutzen wollen, um seine Truppen neu zu formieren und auszurüsten. 

    Westen zeigt sich noch skeptisch

    Stattdessen warnte Blinken, China erwäge derzeit, eigene Waffen und Ausrüstung an Russland zu liefern. Man werde demnächst Informationen vorlegen, die das belegen würden. Experten zufolge könnte China Satellitenaufnahmen bereitstellen, die es der russischen Söldnertruppe Wagner ermöglichen, gezielter zuzuschlagen oder hochwertige Elektronikteile, die das russische Militär dringend benötigt. Die Warnung beruhe auf “Erkenntnissen” der USA.

    Blieben noch die zunehmenden Spannungen um Taiwan. Es war der frühere MSC-Vorsitzende Wolfgang Ischinger, der Wang Yi nach dessen Vortrag bat, der Weltöffentlichkeit zu versichern, dass um Taiwan keine militärische Eskalation bevorstehe. Doch bei diesem Thema weicht China keinen Millimeter zurück.

    Wang: Taiwan wird nie ein eigenes Land sein

    Entsprechend schroff erwiderte Wang: “Taiwan ist Teil des chinesischen Territoriums. Es war niemals ein eigenständiges Land, und es wird auch in der Zukunft kein Land sein.” Alle sollten sich an die Ein-China-Politik halten, mahnte Wang und fügte hinzu: “Wir wollen Souveränität und territoriale Integrität respektieren. Das ist gut. Aber das muss auch in Bezug auf China gelten.”

    Es ist die entscheidende Frage, wie China eben jene Prinzipien in seinem Friedensplan für die Ukraine umsetzen will. Die Antwort könnte schon bald folgen. Auf den Gängen der Sicherheitskonferenz war zu hören, dass China seinen Plan kommende Woche zum Jahrestag des Kriegsausbruchs in der Ukraine vorlegen will.

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    “Deutschland muss Vertrauen wiederherstellen”

    Rolf Nikel war 2014 bis 2020 Botschafter in Polen.
    Rolf Nikel war 2014 bis 2020 Botschafter in Polen.

    Herr Nikel, Sie warnen vor einem tiefen Zerwürfnis zwischen Deutschland und Polen, verursacht gerade durch die Fehler in der deutschen Politik gegenüber Russland.

    Das Zerwürfnis betrifft die politische Ebene, nicht den zivilgesellschaftlichen Austausch und die boomende Wirtschaft. Deutschland muss nach seiner gescheiterten Russlandpolitik verloren gegangenes Vertrauen zurückgewinnen. Diese Politik haben diverse Bundesregierungen, große Teile der deutschen Wirtschaft und der deutschen Öffentlichkeit mitgetragen. Polen, nicht nur die heutige Regierungspartei PiS, hat uns immer wieder gesagt, dass wir sicherheitspolitisch zu naiv seien und uns energiepolitisch viel zu abhängig gemacht haben von Russland. Wir wollten das nicht hören.

    Glaubt man in Warschau den Beteuerungen aus Berlin, daraus gelernt zu haben?

    Die Zeitenwende, die Bundeskanzler Scholz am 27. Februar letzten Jahres verkündete, hat viele Erwartungen an der gesamten Nato-Ostflanke geweckt. In Polen ganz besonders. Jetzt muss es darum gehen, durch Handlungen Vertrauen wiederherzustellen. Deutschland steht da noch mehr in der Pflicht als früher.

    Verfolgen Warschau und Berlin überhaupt die gleichen Ziele gegenüber Moskau?

    Polen will Russland und seine Menschen möglichst komplett isolieren, Deutschland will Moskau eindämmen, wirtschaftlich schwächen und politisch isolieren. Polen betrachtet Deutschland noch immer als einen politischen Gegenspieler, wenn es um Russland geht. Trotzdem besteht jetzt eine bessere Chance für eine gemeinsame Russlandpolitik auf Augenhöhe, da die Bundesregierung sich in der Russland-Politik auf Polen zubewegt hat wie nie zuvor.

    Auch dann, wenn aus Polen wieder Forderungen an Deutschland nach hohen Reparationen kommen?

    Diese tragen sicherlich nicht dazu bei, geschlossen gegen Putin aufzutreten. Deutschland hat eine 180-Grad-Wende vollzogen: in der Russland- und Ukrainepolitik, energiepolitisch und auch bei der EU-Erweiterung. Das bietet die strategische Chance, auf Augenhöhe miteinander zu reden und zu handeln.

    Die Ankündigung der Bundesregierung, den Kampfpanzer Leopard zu liefern, müsste doch von Polen positiv bewertet werden. Immerhin haben sie genau das gefordert.

    Wird sie auch. Die Entscheidung von Kanzler Scholz ist sehr wichtig. Aber jetzt zeigt sich, dass sich da manche hinter Deutschland versteckt haben, die laut nach Panzerlieferungen gerufen haben. Wer A sagt, sollte auch B sagen können.

    Würde Polen eine Führungsrolle Berlins in Europa, ob politisch oder militärisch, überhaupt akzeptieren?

    Es kommt darauf an, was unter Führungsrolle zu verstehen ist. Der polnische Außenminister hat im vergangenen Jahr noch eine Selbstbeschränkung Deutschlands gefordert. Es war eine generelle politische Aussage. Wenn es um die Ukraine und bestimmte Waffensysteme geht, dann hat Warschau mehr deutsches Engagement gefordert. Und hier lag Warschau nicht unbedingt falsch.

    Und wie?

    In der aktuellen Lage spielt die Stärkung des Nato-Bündnisses eine wichtige Rolle, besonders der Ostflanke. Das heißt, wir müssen die Verteidigungsfähigkeit der Bundeswehr stärken. Das Zwei-Prozent-Ziel ist dabei nur ein Schritt. Dann lägen wir bei etwa 70 Milliarden Euro im Jahr, das wird von manchen aber nicht unbedingt mit Enthusiasmus aufgenommen, auch nicht in Polen. Daher wäre eine noch stärkere Einbettung in EU und Nato wünschenswert. Das ist auch eine Frage der Kommunikation. Und: Bei aller notwendigen Besonnenheit, wir müssen der Ukraine alles geben, was sie in der gegenwärtigen Situation braucht. Damit sie diesen Krieg gewinnt.

    Wie blicken die Polen auf die Forderungen in den offenen Briefen aus Deutschland nach Friedensverhandlungen zwischen Kiew und Moskau? 

    Diese innerdeutsche Debatte wird in Polen überhaupt nicht verstanden. Sie schadet sogar, denn die Forderungen werden als zynisch verstanden, weil sie droht, einem Aggressionsopfer die nötige Hilfe zu verweigern und Zweifel an der Zeitenwende in der deutschen Öffentlichkeit weckt. In Polen gilt das Rational von Marschall Józef Piłsudski, der Symbolfigur der polnischen Unabhängigkeit der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, dass es keine polnische Freiheit ohne eine unabhängige Ukraine geben könne.

    Warschau setzt sehr stark auf die USA als Sicherheitsgaranten. Was bedeutet das für die Bemühungen, die europäische Verteidigungsfähigkeit zu stärken?

    Der bisherige Verlauf des Kriegs hat gezeigt, wie wichtig die USA für uns Europäer insgesamt sind. Wir müssen zuerst anerkennen, dass Warschau in Zukunft eine wichtige Rolle in dem sich abzeichnenden neuen systemischen Konflikt zwischen Russland und dem Westen spielen wird. Polen wird zum neuen Frontstaat, so wie Deutschland während des Kalten Krieges. Washington hat aber kein Interesse daran, dass dieser Staat im Konflikt mit Brüssel und Berlin steht. Insofern setzt sich die US-Administration für größtmöglichen europäische und westliche Geschlossenheit ein.

    Wie lässt sich die Abstimmung hier verbessern?

    Wir brauchen für eine echte gemeinsame europäische Ostpolitik. Das betrifft die EU-Erweiterungspolitik genauso wie die östliche Partnerschaft. Gespräche mit Polen, allen anderen östlichen EU-Staaten, aber auch Frankreich sind notwendig. Deswegen schlage ich vor, das Format des Weimarer Dreiecks wiederzubeleben. Für alle Fragen, die die Ukraine betreffen, könnte das Weimarer Dreieck um die Ukraine erweitert werden.

    Die PiS scheint aber wenig Interesse an enger Zusammenarbeit mit Deutschland zu haben.

    Es käme auf einen Versuch an. In Polen stehen bekanntlich in diesem Jahr Wahlen an. Und die Ukraine, die an diesem Format sicherlich großes Interesse hätte, könnte auf Warschau Einfluss ausüben. Polen bekundet immer wieder, dass es die EU-Bestrebungen der Ukraine unterstützt. Hier wäre eine sinnvolle Plattform.

    Wie sollte die deutsche Politik damit umgehen, wenn die Deutschland-kritischen Töne im polnischen Wahlkampf lauter werden?

    Sich nicht in den Wahlkampf hineinziehen lassen. Cool bleiben. Deutschland ist immer Teil der polnischen Innenpolitik gewesen. Auch in Deutschland sind Wahlkämpfe nicht unbedingt eine Übung in Nuancen.

    Sollte sich Berlin auch aus dem Streit zwischen EU-Kommission und Warschau um Justizreform und eingefrorene EU-Mittel heraushalten?

    Wir sollten uns jedenfalls hüten, diesen Streit zwischen Polen und der EU-Kommission zu bilateralisieren. Da geht es um Grundwerte, es gibt entsprechende Urteile des Europäischen Gerichtshofes, Entscheidungen der Kommission und lange Diskussionen im EU-Ministerrat. Wir sollten darauf drängen, den Konflikt zu lösen und erste Anzeichen, dass dies gelingen könnte, gibt es ja.

    In Ihrem Buch werden Sie für einen Diplomaten durchaus deutlich, berichten aus vertraulichen Gesprächen mit polnischen Politikerinnen und Politikern. Warum?

    Ich glaube, man muss auch ab und an Klartext reden, schon gar als Vertreter eines Think-Tanks, der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, der ich seit mehr als zwei Jahren als Vizepräsident diene. Und einige Anekdoten sind ja vielleicht für den Leser auch ganz spannend. Ich habe mich insgesamt zurückgehalten und tue es auch weiterhin.

    Das Buch: “Feinde Fremde Freunde. Polen und die Deutschen”, 312 S., 24€; LMV

    Rolf Nikel: Rolf Nikel, Jahrgang 1954, begann 1980 seine Karriere beim Auswärtigen Amt. Er war Mitarbeiter in den Botschaften der Sowjetunion, Kenia und Frankreich bevor er 2014 zum Botschafter in Polen ernannt wurde. Während seiner 40-jährigen Laufbahn im diplomatischen Dienst arbeitete er insgesamt 14 Jahre im Bundeskanzleramt für Helmut Kohl, Gerhard Schröder und Angela Merkel. Seit Juni 2020 ist er Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP).

    Presseschau

    MSC Spezial: Podcast “Sicherheitshalber” mit Claudia Major: – Security.Table-Kollege Thomas Wiegold spricht mit Ulrike Franke, Frank Sauer und Carlo Masala mit Claudia Major über die Unterschiede zwischen öffentlich geäußerter und tatsächlich umgesetzter Geschlossenheit des Westens gegen den russischen Krieg; über das Comeback der nuklearen Abschreckungsdoktrin und die Forderung der Ukraine, geächtete Waffen zu liefern.

    Washington Post – In wake of Ukraine war, U.S. and allies are hunting down Russian spies: Von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt gehen westliche Staaten seit einem Jahr massiv gegen russische Spione vor. Die Washington Post zeichnet nach, wie der BND einen Maulwurf enttarnte und wie russische Spione jahrelang unbemerkt in Brasilien leben, bevor sie zu ihren Einsätzen in Europa aufbrechen.

    Podcast: War Studies – The women of IS: Weil der IS eine Gesellschaft aufbauen wollte, brauchte er bis zu einem bestimmten Grad Diversität. Die Wissenschaftlerin Gina Vale spricht über die Rollen von Frauen und Kindern, Hierarchien unter Frauen und warum Zugereiste mehr zu sagen hatten, als Irakerinnen oder Syrerinnen. 35 Minuten.

    SIPRI – Climate security, Sweden and NATO: Das Stockholm International Peace ResearchInstitute betrachtet den Klimawandel durch die Nato-Brille. In einer Serie von 2- bis 6-minütigen Kurzvideos sprechen Benedetta Berti (Nato), Blair Brimmell (Global Affairs Canada), Bruce Jones (Brookings Institution) und Stefan Larsson (Schwedische Streitkräfte) darüber, wie Klima- und Sicherheitsfragen gemeinsam gelöst werden können.

    Süddeutsche Zeitung – Zeit des Erwachens. Eine Rekonstruktion der Wochen vor Kriegsbeginn (Paywall): Man sollte sich die halbe Stunde Zeit nehmen, um nachzulesen, was in Berlin in der Nacht vor dem russischen Angriff auf die Ukraine geschah. Wie Robert Habeck einen US-Geheimdienstbericht zugesteckt bekommt und danach nervös bei “Maischberger” sitzt und wie er ab Dezember 2021 mit Christian Lindner und BND-Chef Bruno Kahl wöchentlich in einem abhörsicheren Raum sondierte, wie lange das Gas in Deutschland noch reicht. Gibt detaillierte Einblicke in Politik in Krisensituationen.

    Welt am Sonntag – Wagner Leaks (Paywall): Journalisten der Welt am Sonntag haben Unterlagen ausgewertet, die zeigen, wie die russische Söldner-Truppe Wagner entstand, wo sie eingesetzt wird und was sie antreibt – Geld und Hass. Ein seltener Blick auf ein destruktives außenpolitisches Werkzeug Moskaus.

    Heads

    Reza Pahlavi – Iranischer Aktivist im Exil

    Reza Pahlavi gehört zur iranischen Opposition.

    Die Münchner Sicherheitskonferenz war auch die “Konferenz der Alternativen”. Aus dem Iran, wie auch aus Russland, waren keine Regierungsvertreter geladen, stattdessen Oppositionelle und Aktivisten. Unter ihnen: Reza Pahlavi. Der 63-jährige Iraner setzt sich seit knapp vierzig Jahren aus dem Exil für die Rechte seiner Landsleute ein und kämpft gegen das islamistische Regime.

    Ob er sein Land noch kennt, obwohl er seit 1979 nicht mehr dort war? “Natürlich”, sagt er. In seinem Kampf für Freiheit und säkulare Demokratie auf Grundlage der Menschenrechte sei er in engem Kontakt mit den Menschen im Iran, aber auch mit Oppositionellen in der Diaspora, mit Politikern, der Zivilgesellschaft und Aktivisten. 

    Auf der Münchner Sicherheitskonferenz zu sprechen, verdankt er auch dem Momentum, das die aktuellen Proteste im Iran haben. “Die Welt hat endlich entschieden, lieber mit den Vertretern der Alternativen zu sprechen, anstatt mit den Regimen”, sagt Pahlavi. Es brauche eine Mischung aus Unterstützung für die Menschen im Land, damit diese Druck von innen durch Proteste aufbauen können, aber auch Druck von außen, etwa durch Sanktionen, damit sich etwas ändere.

    Demonstranten passen sich an

    Dass Länder wie Deutschland eine feministische Außenpolitik etablieren, begrüßt er. Es sei “herzerwärmend” und eine gute Sache, wenn diese Werte in die Außenpolitik, insbesondere in die einer westlichen demokratischen Regierung, integriert würden. “Das bedeutet, dass sich die Welt gegen ein Regime wehrt, das Frauen vom ersten Tag an als Bürger zweiter Klasse behandelt hat. Das ist ein enormer Schub für die Moral der Frauen, deren Revolution das ist.” 

    Erst am vergangenen Freitag kam es wieder zu Protesten, 40 Tage nach der Hinrichtung zweier Demonstranten. Irans Regierung lässt die Proteste oft brutal niederschlagen. “Das Regime unterdrückt weiter, das sind Kampftruppen.” Aber die Menschen passten sich an, indem sie sich dezentral im Land aufstellten. “Je dezentraler wir sind, desto mehr muss das Regime seine Truppen ausdünnen, um überall präsent zu sein. Es ist ein Katz- und Mausspiel”, erklärt Pahlavi. 

    Aber was passiert, wenn es den Iranern tatsächlich gelingt, das Regime zu stürzen? Welche Lücke, welches Chaos würde es hinterlassen, auch vor dem Hintergrund, dass die iranische Protestbewegung nicht in allen Punkten geeint ist? Pahlavi fürchtet keine Instabilität, “denn die größte Bedrohung für unsere Stabilität ist das Regime, das versucht, so zu tun, als ob der Iran ein weiteres Syrien werden würde, wenn es verschwindet.” 

    Entscheidend werde sein, nach einem Sturz eine stabile Übergangsregierung zu etablieren, die die Verwaltung der Angelegenheiten des Landes übernehme und freie Wahlen durchführe. “In dieser Phase kann ich unterstützen.” Absichten, in die Politik zu wechseln, habe er aber keine, auch wenn ihn immer mehr Menschen gerne als Anführer einer Übergangsregierung sehen würden. “Ich will keine zeremonielle Position. Als Aktivist kann ich mehr tun, auch wenn ich im Exil lebe.”

    Sein Vater war Schah von Iran

    Pahlavi ist unter den Oppositionellen allerdings umstritten. Immer wieder muss er sich von seinem Vater, dem ehemaligen und 1980 verstorbenen Schah Mohammad Reza Pahlavi, distanzieren. Noch immer ist Pahlavi Kronprinz von Iran, weshalb viele vor allem im Exil lebende Iraner ihn kritisch sehen.

    Seit dem Sturz der Monarchie und der Machtübernahme der Islamisten 1979 lebt Pahlavi in den USA, wo er bei der US Air Force eine Ausbildung zum Kampfpiloten absolvierte. Er lebt mit seiner Frau und seinen drei Töchtern in Maryland, USA. Lisa-Martina Klein

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    Security.Table Redaktion

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